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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel IV. Allgegenwärtige Wirklichkeit

Wenn jemand Ihn als brahman, das Nicht-Seiende, erkennt, wird er nur zum Nicht-Seienden. Wenn einer erkennt, daß brahman Ist, dann wird er erkannt als der wirklich Seiende.

Taittiriya Upanishad, II.6.

Da wir also den Anspruch des reinen Geistes anerkennen, in uns seine absolute Freiheit zu offenbaren, wie auch den Anspruch der universalen Materie, Prägeform und Voraussetzung für unsere Manifestation zu sein, müssen wir nun eine Wahrheit finden, die diese Widersacher völlig aussöhnen, beiden den ihnen zukommenden Anteil am Leben und die ihnen zustehende Rechtfertigung vor dem Denken geben kann. Dabei dürfen wir keinen in seinen Rechten beschränken, keinem seine souveräne Wahrheit bestreiten, aus der selbst seine Irrtümer und auch die Ausschließlichkeit seiner Übertreibungen ständig ihre Kraft herleiten. Wir dürfen dessen sicher sein, daß wir überall dort, wo eine extreme Behauptung einen so starken Eindruck auf das menschliche Mental macht, vor etwas stehen, das nicht nur Irrtum, Aberglaube oder Halluzination ist, sondern vor einer souveränen verhüllten Tatsache, die von uns Loyalität verlangt und sich rächen wird, wenn wir sie leugnen oder ausschließen. Hierin liegt die Schwierigkeit für eine zufriedenstellende Lösung und die Ursache für diese fehlende Endgültigkeit, die allem Kompromiß zwischen Geist und Materie anhaftet. Ein Kompromiß ist immer ein Schachern, ein Interessengeschäft zwei miteinander streitender Mächte. Er ist keine wahre Versöhnung, die stets von einem gegenseitigen Verstehen ausgeht, das zu einer Art inniger Einheit führt. Wir werden also am ehesten durch die bestmögliche Einigung von Materie und Geist zu der sie versöhnenden Wahrheit und der besten Grundlage ausgleichender Praxis im inneren Leben des Einzelnen wie in seiner äußeren Existenz gelangen.

Im kosmischen Bewußtsein haben wir bereits einen Treffpunkt gefunden, wo Materie den Geist und Geist die Materie, beide sich gegenseitig als wirklich anerkennen. Im kosmischen Bewußtsein sind Mental und Leben vermittelnde Mächte und nicht mehr – was sie in der gewöhnlichen, vom Ich beherrschten Mentalität zu sein scheinen – Bewirker der Trennung, Anstifter eines künstlichen Streits zwischen den positiven und negativen Prinzipien derselben unerkennbaren Wirklichkeit. Wenn das Mental das kosmische Bewußtsein erlangt, durch eine Erkenntnis erleuchtet ist, die zugleich die Wahrheit der Einheit und die Wahrheit der Vielfalt wahrnimmt und die Formeln ihres Zusammenwirkens begreift, findet es seine Disharmonien zugleich erklärt und durch die göttliche Harmonie ausgesöhnt. In sich befriedet, ist es bereit, Bewirker jener höchsten Einung zwischen Gott und leben zu werden, nach der wir streben. Da offenbart sich dann dem wirklichkeitsoffenen Denken und den verfeinerten Sinnen die Materie als Gestalt und Körper des Geistes, – als Geist in seiner sich selbst formenden Ausdehnung. Durch dieselben übereinstimmenden Bewirker offenbart sich der Geist als Seele, Wahrheit und Wesen der Materie. Beide erkennen und bekennen sich gegenseitig als göttlich, wirklich und im Wesenhaften eins. In dieser Erleuchtung werden Mental und Leben zugleich als Gestaltungen und Instrumente des höchsten Bewußten Seins geoffenbart, durch die Es Sich ausbreitet und Sich Wohnung in der materiellen Form schafft. In dieser Form enthüllt Es Sich seinen vielfachen Bewußtseinszentren. Das Mental erlangt seine Selbst-Erfüllung, wenn es zum reinen Spiegel für die Wahrheit des Seienden wird, die sich in den Symbolen des Universums zum Ausdruck bringt. Das Leben kommt zur Erfüllung, wenn es seine Energien bewußt der vollkommenen Selbst-Darstellung des Göttlichen Wesens in immer neuen Gestaltungen und Betätigungen des universalen Daseins zur Verfügung stellt.

Im Lichte dieser Auffassung können wir die Möglichkeit eines göttlichen Lebens in der Welt für den Menschen ins Auge fassen. Es wird zugleich die Naturwissenschaft rechtfertigen, indem es einen lebendigen Sinn für die kosmische und irdische Evolution und ihr für die Intelligenz erkennbares Ziel enthüllt, und durch die Verwandlung der menschlichen in die göttliche Seele den großen idealen Traum aller Hochreligionen verwirklichen.

Was wird dann aber aus jenem schweigenden Selbst, das sich uns als inaktiv, rein, selbst-existent, wonnevoll in sich als die dauernde Rechtfertigung des Asketen darstellte? Auch hier muß eine Harmonie, nicht unversöhnlicher Gegensatz die erleuchtende Wahrheit sein. Das schweigende und der aktive brahman sind keine verschiedenen, entgegengesetzten und unvereinbaren Wesenheiten, von denen die eine kosmische Illusion bestreitet, während die andere sie behauptet. Sie sind das eine brahman in zwei Aspekten, dem positiven und dem negativen, und beide füreinander notwendig. Aus diesem Schweigen tritt ewig das Wort hervor, das die Welten erschafft; denn das Wort bringt zum Ausdruck, was im Schweigen selbst-verborgen ist. Eine ewige Passivität macht die vollkommene Freiheit und Allmacht einer ewigen göttlichen Aktivität in unzählbaren kosmischen Systemen möglich. Die Werdeformen dieser Aktivität beziehen ihre Energien und ihre unbegrenzbare Macht zu Variation und Harmonie aus dem unparteiischen Beistand des unveränderlichen Seins, aus seiner Zustimmung zu dieser unendlichen Schöpferkraft seiner eigenen dynamischen Natur.

Auch der Mensch wird erst dann vollkommen, wenn er in sich selbst jene absolute Stille und Passivität des brahman gefunden hat und durch sie eine freie unerschöpfliche Aktivität mit der gleichen göttlichen Toleranz und Schöpferfreude trägt und fördert. Wer so in seinem Innern die Stille besitzt, kann stets wahrnehmen, wie aus ihrem Schweigen der ewige Zustrom der Energien emporsprudelt, die im Universum wirken. Darum ist es nicht die Wahrheit des Schweigens, wenn man von ihm sagt, in seiner Natur liege die Verwerfung der Aktivität im Kosmos. Die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Zustandsformen ist ein Irrtum des beschränkten Mentals, das so sehr an scharfe Gegenüberstellungen von Bejahung und Verneinung und an den plötzlichen Übergang von dem einen Pol zum anderen gewöhnt ist, daß es ein allumfassendes, weites und genügend starkes Bewußtsein nicht begreifen kann, das die beiden Pole in gleichzeitiger Umfassung einbezieht. Das Schweigen lehnt die Welt nicht ab, es hält sie in Gang. Oder besser gesagt, es fördert mit gelassener Unparteilichkeit die Aktivität und das Zurücktreten aus der Aktivität. Es billigt auch deren Aussöhnung, durch die die Seele frei und still bleibt, selbst wenn sie sich für jegliches Handeln hergibt.

Trotzdem gibt es das absolute Sich-Zurückziehen, es gibt das NichtSeiende. Die alte Schrift sagt: Aus dem Nicht-Seienden erschien das Seiende. (“Am Anfang war dies alles das Nicht-Seiende. Aus diesem wurde das Seiende geboren.” Taittiriya Upanishad, II. 7.). Also muß es wieder in das Nicht-Seiende zurücksinken. Wenn das unendliche unterschiedslose Sein alle Möglichkeiten der Unterscheidung und vielfältigen Verwirklichung zuläßt, verneint und verwirft dann nicht das Nicht-Seiende als der Urzustand und die einzige konstante Wirklichkeit letztlich alle Möglichkeit eines wirklichen Universums? Dann wäre das Nihil gewisser Schulen des Buddhismus die wahre asketische Lösung. Das Selbst wäre ebenso wie das Ich nur eine ideative Gestaltung durch ein illusionäres phänomenales Bewußtsein.

Wieder finden wir, daß wir durch Worte irregeführt und getäuscht werden, durch die scharfen Gegenüberstellungen unserer begrenzten Mentalität, die sich gern auf verbale Unterscheidungen verläßt, als ob sie in vollkommener Weise letzte Wahrheiten darstellen könnten, und unsere supramentalen Erfahrungen im Sinne dieser einander ausschließenden Unterscheidungen umdeutet. Nicht-Seiendes ist nur ein Wort. Untersuchen wir die Tatsache genauer, die es darstellt, können wir nicht mehr dessen gewiß sein, daß das absolute Nicht-Sein bessere Aussicht hat als das unendliche Selbst, mehr zu sein als nur ein Denkgebilde des Mentals. In Wirklichkeit meinen wir mit diesem Nichts etwas, das jenseits des letzten Begriffs liegt, auf den wir unsere reinste Auffassung und unsere abstrakteste und subtilste Erfahrung des aktuell Seienden zurückführen können, wie wir es erkennen und begreifen, solange wir in diesem Universum leben. Dieses Nichts ist also eigentlich ein Etwas, das jenseits positiven Begreifens liegt. Wir errichten die Fiktion einer Nichtheit, damit wir durch die Methode totalen Ausschließens noch über alles hinauskommen, was wir wissen können und dessen wir bewußt sind. Wenn wir das Nihil gewisser Philosophien näher untersuchen, nehmen wir immer deutlicher wahr, daß es eine Nulldimension ist, die zugleich das All oder ein undefinierbares Unendliches ist, das dem Mental als etwas Leeres erscheint, weil dieses nur endliche Konstruktionen begreift. Tatsächlich ist es jedoch das einzig wahre Sein.1

Wenn wir sagen, aus dem Nicht-Seienden erschien das Seiende, merken wir, daß wir in Begriffen von Zeit über etwas sprechen, das jenseits der Zeit liegt. Wann war denn jenes schicksalhafte Datum in der Geschichte des ewigen Nichts, an dem Seiendes aus ihm geboren wurde, und wann wird jenes ebenfalls schreckliche Datum kommen, an dem ein unwirkliches All wieder in die ewig dauernde Leere zurücksinken wird? Wenn sat und asat beide zu bejahen sind, müssen wir sie doch so auffassen, daß sie gleichzeitig ihre Geltung besitzen. Sie erkennen einander an, wenn sie auch ablehnen, sich miteinander zu vermischen. Beide sind, da wir uns in Begriffen der Zeit ausdrücken müssen, ewig. Wer soll ein ewiges Seiendes davon überzeugen, daß es in Wirklichkeit nicht existiert, sondern daß nur ein ewiges Nicht-Seiendes etwas Wirkliches ist? Wie sollen wir dann in einer solchen Verneinung aller Erfahrung die Lösung finden, die alle Erfahrung erklärt?

Das Unerkennbare bejaht Sich Selbst als reines Seiendes, als die freie Basis alles kosmischen Daseins. Wir benennen mit Nicht-Seiendes eine entgegengesetzte Bejahung, daß Es frei ist von aller kosmischen Existenz, – also frei von allen positiven Begriffen aktuellen Daseins, die ein Bewußtsein im Universum sich selbst gegenüber formulieren kann, selbst vom abstraktesten, sogar vom transzendenten Begriff. Es bestreitet sie nicht als wirklichen Ausdruck Seiner Selbst. Es bestreitet aber, daß Es durch alles oder irgendetwas, das Es zum Ausdruck bringt, eingeschränkt werde. Das Nicht-Seiende ermöglicht ebenso das Seiende, wie das Schweigen die Aktivität zuläßt. Für die erwachte menschliche Seele wird durch diese gleichzeitige Verneinung und Bejahung, die einander nicht aufheben, sondern sich so ergänzen, wie es alle anderen Gegensätze tun, die gleichzeitige Wahrnehmung eines bewußten Selbst-Seienden als Wirklichkeit und des Unerkennbaren jenseits davon als die gleiche Wirklichkeit realisierbar. So war es für den Buddha möglich, den Zustand des nirvana zu erlangen und doch machtvoll in der Welt zu wirken, apersonal in seinem inneren Bewußtsein und doch im Handeln die machtvollste Persönlichkeit, von der wir wissen, daß sie gelebt und große Einwirkungen auf die Erde hervorgebracht hat.

Wenn wir über diese Dinge nachdenken, erkennen wir immer besser, wie unzureichend die von uns verwendeten Worte in ihrer ichhaften Anmaßung und wie verwirrend sie durch ihre fehlleitende Betonung der Unterschiedlichkeit sind. Außerdem sehen wir immer besser, daß die Begrenzungen, die wir brahman auferlegen, aus einer Enge der Erfahrung im individuellen Mental herrühren, das sich auf den einen Aspekt des Nichterkennbaren konzentriert und von da aus weitergeht, um alle übrigen Aspekte zu verneinen oder zu entwerten. Wir neigen immer dazu, das, was wir vom Absoluten erfassen oder wissen können, zu starr in die Begriffe unserer besonderen Relativität zu übertragen. Wir bejahen betont den Einen und Identischen, indem wir leidenschaftlich die Meinungen und partiellen Erfahrungen anderer diskriminieren und die Ichhaftigkeit unserer eigenen Meinungen und partiellen Erfahrungen dagegensetzen. Es ist weiser, zu warten, zu lernen und zu wachsen. Da wir um unserer Selbst-Vervollkommnung willen von diesen Dingen sprechen müssen, die eigentlich keine menschliche Sprache ausdrücken kann, sollen wir lieber nach der weitesten, biegsamsten und umfassendsten positiven Aussage suchen und auf sie die größte, alles umschließende Harmonie gründen.

Wir erkennen also, daß es für das individuelle Bewußtsein möglich ist, in einen Zustand einzutreten, in dem das relative Dasein scheinbar aufgelöst wird und sogar das Selbst ein unangemessener Begriff zu sein scheint. Es ist möglich, hinüberzugehen in ein Schweigen jenseits des Schweigens. Aber das ist nicht das Ganze unserer höchsten Erfahrung, und es ist auch nicht die einzige, alles andere ausschließende Wahrheit. Denn wir finden, daß dieses Nirvana, dieses Sichselbstauslöschen, der Seele zwar absoluten Frieden und Freiheit im Inneren gibt, dennoch im Handeln mit einem vom Begehren freien starken Wirken nach außen vereinbar ist. Diese Möglichkeit einer völlig bewegungslosen Apersonalität und leeren Stille im Innern, während man nach außen die Werke der ewigen Wahrheiten, Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit erfüllt, diese Überlegenheit gegenüber dem Ego, der Kette ichhaft-persönlicher Handlungen und der Identifizierung mit der veränderlichen Form und Idee, und nicht das kleinliche Ideal einer Flucht vor Kummer und Leiden infolge der physischen Geburt war vielleicht einst der wirkliche Kern der Lehre des Buddha. Jedenfalls könnte die völlig bewußte Seele des Menschen, ebenso wie der vollkommene Mensch Schweigen und Aktivität in sich vereinen kann, in die absolute Freiheit des Nicht-Seienden zurücktreten, ohne dadurch ihren Halt am Seienden und am Universum zu verlieren. Sie könnte so in sich selbst ständig neu das ewige Wunder des Göttlichen Seins vollziehen im Universum und zugleich jenseits davon und sozusagen auch jenseits ihrer selbst. Die entgegengesetzte Erfahrung wäre nur eine Konzentration der Mentalität des Individuums auf das Nichtsein mit dem Ergebnis, daß es seine kosmische Aktivität vergißt und sich persönlich aus ihr, die doch immer im Bewußtsein des Ewig-Seienden weitergeht, zurückzieht.

So erkennen wir, nachdem wir Geist und Materie im kosmischen Bewußtsein ausgesöhnt haben, im transzendenten Bewußtsein die Versöhnung zwischen der endgültigen Bejahung des Alls und seiner Verneinung. Wir entdecken, daß alle Bejahungen Behauptungen eines Zustands oder einer Aktivität des Unerkennbaren sind und daß alle entsprechenden Verneinungen behaupten, es sei frei von oder in diesem Zustand oder dieser Aktivität. Das Unerkennbare ist Etwas für uns, das erhaben, wunderbar und unaussprechlich ist, das Sich ständig unserem Bewußtsein gegenüber formuliert, Sich aber immer wieder dieser Formulierung entzieht, die Es gemacht hat. Das tut es aber nicht etwa wie ein bösartiger Geist oder ein heimtückischer Zauberer, der uns von einer Unwahrheit zu einer noch größeren Unwahrheit und schließlich zur endgültigen Verneinung aller Dinge führt, sondern gerade hier als der Weise, der hoch über unserer Weisheit steht und uns von einer Wirklichkeit zu einer noch tieferen und umfassenderen Wirklichkeit leitet, bis wir die tiefste und weiteste finden, deren wir fähig sind. Das brahman ist eine allgegenwärtige Wirklichkeit, nicht eine allgegenwärtige Ursache ständiger Illusionen.

Wenn wir so eine positive Grundlage für unsere Harmonie annehmen – worauf könnte sonst Harmonie gegründet werden? –, müssen die verschiedenen begrifflichen Formulierungen des Unerkennbaren, von denen jede eine Wahrheit darstellt, die jenseits des Begreifens liegt, soweit wie möglich in ihrer Beziehung zueinander und in ihrer Auswirkung auf das Leben verstanden, statt voneinander getrennt, statt einander ausschließend, statt in der Weise bejaht zu werden, daß sie alle anderen Bejahungen aufheben oder ungebührlich herabsetzen. Der wirkliche Monismus, das wahre advaita, erkennt alle Dinge als das eine brahman an und versucht nicht, Sein Dasein in zwei unvereinbare Wesenheiten zu zertrennen: in ewige Wahrheit und ewige Unwahrheit, brahman und Nicht-brahman, Selbst und Nicht-Selbst, ein wirkliches Selbst und eine unwirkliche, aber doch ewig dauernde maya. Wenn es wahr ist, daß das Selbst allein existiert, muß auch wahr sein, daß alles dieses das Selbst ist. Wenn dieses Selbst, Gott oder brahman, kein hilfloser Zustand, keine gefesselte Macht, keine begrenzte Personalität, sondern das Seiner Selbst bewußte All ist, muß es in ihm auch einen triftigen, ihm ureigenen Grund für die Manifestation geben. Um ihn zu entdecken, müssen wir von der Hypothese ausgehen, in allem, was manifestiert ist, wirkt eine mächtige Kraft, Weisheit und Wahrheit des Seienden. Die Disharmonie und das offenkundige Böse der Welt müssen innerhalb ihrer Sphäre zugegeben werden; wir dürfen sie aber nicht als Sieger über uns anerkennen. Das tiefste Grundgefühl der Menschheit sucht immer und klugerweise Weisheit als das letzte Wort der universalen Manifestation, nicht eine ewige Irreführung und Illusion, – ein geheimes, letztlich triumphierendes Gutes, nicht ein all-schöpferisches, unbesiegbares Böses – zuletzt Sieg und Erfüllung und nicht das enttäuschte Zurückschrecken der Seele vor ihrem großen Abenteuer.

Wir können doch nicht annehmen, die einzige Wesenheit werde von etwas, das außerhalb von ihr besteht oder anders ist als sie, beherrscht, da so etwas nicht existiert. Auch können wir nicht annehmen, sie unterwerfe sich gegen ihren Willen einem Teilgebilde ihres Selbst, das in ihrem Selbst ihrem ganzen Wesen feindlich gegenüberstehe, von ihr abgelehnt werde und dennoch zu stark für sie sei. Das würde nur bedeuten, daß wir mit anderen Worten den Widerspruch zwischen einem All und etwas, das anders ist als das All, wiederherstellen. Selbst wenn wir sagen, das Universum existiere nur deshalb, weil das Selbst in seiner absoluten Unparteilichkeit alle Dinge in gleicher Weise toleriere und alle Tatsachen und Möglichkeiten mit Gleichgültigkeit betrachte, gibt es dennoch etwas, das die Manifestation will, sie trägt und erhält. Dieses Etwas kann nichts anderes sein als das All. Brahman ist unteilbar in allen Dingen. Was in der Welt gewollt wird, geschieht letzten Endes durch den Willen des brahman. Nur unser relatives Bewußtsein sucht, durch die Phänomene des Bösen, der Unwissenheit und des Leidens im Kosmos bestürzt und verwirrt, brahman von der Verantwortung für sich selbst und seine Werke zu entbinden, indem es ein Gegenprinzip, maya oder mara, einen bewußten Teufel oder ein selbstseiendes Prinzip des Bösen aufstellt. Es gibt nur Einen Herrn und Ein Selbst; die Vielen sind nur Seine Repräsentanten und Werdeformen.

Sollte also die Welt ein Traum, eine Illusion oder ein Irrtum sein, so ist sie ein Traum, der vom Selbst in seiner Totalität nicht nur verursacht und gewollt, sondern auch gefördert und ständig erhalten wird. Überdies existiert dieser Traum in einer Wirklichkeit. Der Stoff, aus dem er gebildet ist, ist eben jene Wirklichkeit. Brahman muß das Material der Welt ebenso sein wie ihre Grundlage und ihr ganzer Inhalt. Wenn das Gold, aus dem ein Gefäß gebildet ist, wirklich existiert, wie sollten wir dann annehmen, das Gefäß selbst sei ein Wahngebilde? Wir sehen, daß solche Worte wie Traum und Illusion nur die Kunstgriffe unserer Sprache sind, Gewohnheiten unseres relativen Bewußtseins. Sie stellen eine gewisse Wahrheit, sogar eine bedeutende Wahrheit dar, aber sie entstellen diese auch. Ebenso wie sich das Nicht-Seiende als etwas anderes herausstellt als eine Nichtsheit, so erweist sich auch der kosmische Traum als etwas anderes als ein reines Phantasiegebilde oder eine Halluzination des Mentals. Das Phänomen ist kein Phantasiegebilde, es ist substantielle Form der Wahrheit.

Wir gehen also vom Begriff einer allgegenwärtigen Wirklichkeit aus, von der weder das Nicht-Seiende am einen, noch das Universum am anderen Ende Negationen sind, die einander aufheben. Vielmehr sind sie verschiedene Zustandsformen der Wirklichkeit, Bejahung auf der Vorder- und Rückseite derselben Münze. Die höchste Erfahrung dieser Wirklichkeit im Universum erweist diese nicht nur als ein bewußtes Sein, sondern als höchste Intelligenz, Kraft und selbst-seiende Seligkeit. Jenseits dieses Universums ist noch ein anderes unerkennbares Sein, eine andere höchste, unaussprechliche Seligkeit. Darum sind wir zur Annahme berechtigt, daß sich die Dualitäten des Universums, wenn wir sie nicht wie jetzt nur durch unsere sinnenhaften partiellen Begriffe, sondern durch unsere befreite Intelligenz und Erfahrung interpretieren, auch in diese höchsten Begriffe auflösen lassen. Solange wir uns noch unter dem Druck der Gegensätzlichkeiten abmühen, muß sich diese Auffassung zweifellos ständig auf einen Glaubensakt stützen, wenn auch auf einen Glauben, den die höchste Vernunft, die umfassende und geduldigste Reflexion nicht ablehnen, sondern bestätigen. Gewiß wurde dieser Glaube der Menschheit verliehen, um ihr auf ihrem Weg zu helfen, bis sie zu einer Stufe ihrer Entwicklung gekommen ist, da sich der Glaube in Wissen und in die vollkommene Erfahrung verwandelt und die Weisheit durch ihre Werke gerechtfertigt wird.

 

1 Eine andere Upanishad verwirft die Geburt des Seienden aus dem Nicht-Seienden als Unmöglichkeit. Sie sagt, Seiendes könne nur aus Seiendem geboren werden. Wenn wir aber Nicht-Seiendes nicht als ein nichtexistentes Nihil sondern als ein “x” nehmen, das über unsere Idee oder Erfahrung des Daseins hinausgeht – eine Bedeutung, die auf das absolute brahman des advaita ebenso anwendbar ist wie auf die Leere oder die Nulldimension der Buddhisten –, verschwindet die Unmöglichkeit. Denn Jenes mag sehr wohl der Ursprung des Seienden sein: ob durch eine empfangende oder formgebende maya, durch Manifestation oder durch Schöpfung aus sich selbst.

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