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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel V. Die Bestimmung des Einzelnen

Durch die Unwissenheit überschreiten sie die Grenze des Todes, und durch das Wissen genießen sie Unsterblichkeit... Durch das Nicht-Geborenwerden überschreiten sie die Grenze des Todes, und durch die Geburt genießen sie Unsterblichkeit.

Isha Upanishad, II.14.

Eine allgegenwärtige Wirklichkeit ist die Wahrheit alles Lebens und Daseins, ob es absolut oder relativ, körperlich oder unkörperlich, belebt oder unbelebt, intelligent oder unintelligent ist. Die Wirklichkeit ist eine einzige, und nicht eine Summe oder Ansammlung, in all ihren unendlich verschiedenen, ja ständig entgegengesetzten Ausdrucksweisen, von den Widersprüchen, die unserer gewöhnlichen Erfahrung am nächsten liegen, bis hin zu jenen entlegensten Antinomien, die sich am Rande des Unaussprechlichen verlieren. In dieser Wirklichkeit haben alle Variationen ihren Ursprung. In ihr haben alle Variationen ihren Bestand. Zu ihr kehren alle Variationen wieder zurück. Alle Bejahungen werden nur deshalb verneint, um hin zu einer umfassenderen Bejahung derselben Wirklichkeit zu führen. Alle Antinomien treten einander entgegen, damit sie in ihren einander entgegengesetzten Aspekten eine einzige Wahrheit anerkennen und durch die Methode des Widerstreits ihre beiderseitige Einheit zutiefst umfassen. Brahman ist das Alpha und das Omega. Brahman ist das Eine, neben dem nichts anderes existiert. Diese Einheit ist aber ihrer Natur nach undefinierbar. Wenn wir versuchen, sie uns durch unser Mental vorzustellen, müssen wir durch eine unendliche Reihe von Begriffen und Erfahrungen hindurchgehen. Und doch werden wir am Ende genötigt, unsere weitesten Begriffe und umfassendsten Erfahrungen zu negieren, um zu der Feststellung zu gelangen, daß die Wirklichkeit über alle Definitionen hinausgeht. Wir kommen zu der Formel der indischen Weisen neti neti: “Es ist nicht dieses, Es ist nicht jenes”. Es gibt keine Erfahrung, durch die man Es begrenzen, auch keinen Begriff, durch das man Es definieren kann.

Die Einheit ist ein Unerkennbares, das uns in vielen Zuständen und Eigenschaften des Seins, in vielen Bewußtseinsformen, in vielen Energiewirkungen erscheint. Nur so viel kann letzten Endes das Mental aussagen über das Sein, das wir selbst sind und das wir in allem sehen, was sich unserem Denken und unseren Sinnen darbietet. In diesen Zuständen, Formen, Wirkungen und durch sie haben wir uns dem Unerkennbaren zu nahen und es darin zu erkennen. Unsere Gedanken versündigen sich aber gegen Seine Unerkennbarkeit und kommen nicht zur wahren Einheit. Sie gelangen vielmehr zu einer Zerteilung des Unteilbaren, wenn wir in unserer Hast, zu einer Einheit zu finden, die unser Mental begreifen und festhalten kann, und in unserem Drang, das Unendliche in unseren Begriff einzuschränken, die Wirklichkeit mit irgendeinem definierbaren Zustand des Seienden, sei er noch so rein und ewig, mit einer besonderen Eigenschaft, sei sie noch so allgemein und umfassend, und mit einer festen Formulierung von Bewußtsein, sei sie in ihrem Horizont noch so weit, oder mit einer Energie oder Aktivität, sei sie in ihrer Anwendung noch so grenzenlos, identifizieren und alles übrige ausschließen.

So stark war diese in alten Zeiten erfaßte Wahrheit, daß die vedantischen Seher selbst dann, als sie zur krönenden Idee, zur überzeugenden Erfahrung von saccidananda als dem für unser Bewußtsein höchsten positiven Ausdruck der Wirklichkeit gelangt waren, in ihren Spekulationen ein asat errichteten oder in ihren Begriffen zu ihm weitergingen, zu einem jenseitigen Nicht-Seienden, das nicht das äußerste Sein, das reine Bewußtsein, die unendliche Seligkeit ist, deren Ausdruck oder Entstellung alle unsere Erfahrungen sind. Wenn es überhaupt ein Sein, ein Bewußtsein, eine Seligkeit gibt, dann liegt das jenseits der höchsten und reinsten positiven Form dieser Dinge, die wir hier besitzen können, und ist darum anders als das, was wir hier unter diesen Namen kennen. Der Buddhismus, der etwas willkürlich von den Theologen zu einer unvedischen Lehre erklärt wurde, weil er die Autorität der Schriften ablehnte, geht jedoch auf diese wesentlich vedantische Auffassung zurück. Nur betrachtete die positive und synthetische Auffassung der Upanishaden sat und asat nicht als Gegensätze, die einander aufheben, sondern als äußerste Antinomie, durch die wir zum Unerkennbaren emporblicken. In allem Handeln unseres positiven Bewußtseins muß die Einheit auch die Vielfalt berücksichtigen; denn die Vielen sind auch brahman. Durch vidya, das Wissen vom Einssein, erkennen wir Gott. Ohne es ist avidya, das relative vielfältige Bewußtsein, die Nacht der Finsternis und die Unordnung der Unwissenheit. Wenn wir aber den Bereich dieser Unwissenheit ausschalten, wenn wir avidya verwerfen, als sei es etwas Nichtseiendes und Unwirkliches, wird Erkenntnis selbst zu einer Art Dunkelheit und Ursprung der Unvollkommenheit. Wir werden zu Menschen, die durch ein Licht so geblendet sind, daß sie nicht mehr den Bereich sehen können, den jenes Licht erleuchtet.

Still, weise und klar ist die Lehre unserer ältesten Weisen. Sie hatten die Geduld und Stärke, zu finden und zu erkennen. Sie besaßen auch die Klarheit und Demut, die Begrenztheit unserer Erkenntnis zuzugeben. Sie gewahrten die Grenzen, über die unsere Erkenntnis hinausgehen muß in einen Bereich jenseits von ihr. Eine spätere Ungeduld von Herz und Mental, das heftige Hingezogensein zu einer höchsten Seligkeit oder hohen Meisterschaft reiner Erfahrung und scharfer Intelligenz suchte den Einen, um die Vielen zu verneinen. Weil man den Atem der Höhen verspürt hatte, verachtete man das Geheimnis der Tiefe und schreckte vor ihr zurück. Das beharrliche Schauen der alten Weisheit sah aber, daß man, um Gott wirklich zu erkennen, Ihn überall gleich und ohne Unterschied erkennen muß, die Gegensätzlichkeiten, durch die Er hindurchscheint, wohl erwägend und wertend, aber nicht von ihnen überwältigt.

Wir werden also die scharfen Unterscheidungen einer unvollständigen Logik übergehen, die erklärt, da das Eine die Wirklichkeit ist, seien die Vielen eine Illusion, und weil das Absolute, sat, das einzige Sein ist, sei das Relative asat und nicht-seiend. Wenn wir dem Einen beharrlich in den Vielen nachgehen, kehren wir mit dem Segen und der Offenbarung des Einen zurück, das sich in den Vielen bestätigt.

Wir wollen uns auch vor der übertriebenen Bedeutung hüten, die das Mental jenen besonderen Anschauungen beilegt, zu denen es bei seinen machtvolleren Höhenflügen und Übergängen gelangt. Die Auffassung des spiritualisierten Mentals, das Universum sei ein unwirklicher Traum, kann für uns keinen absoluteren Wert haben als die des materialisierten Mentals, Gott und das Jenseits seien illusorische Gedanken. Im einen Fall ist das Mental, da es nur auf die Evidenz der Sinne eingestellt ist und Wirklichkeit auf das körperliche Faktum gründet, entweder nicht daran gewöhnt, andere Mittel der Erkenntnis zu verwenden, oder unfähig, den Begriff Wirklichkeit auf eine supraphysische Erfahrung auszudehnen. Im anderen Fall überträgt dasselbe Mental das zu überwältigender Erfahrung unkörperlicher Wirklichkeit im Jenseitigen gelangt, einfach jene selbe Unfähigkeit und das daraus folgende Empfinden von Traum und Halluzination auf die Erfahrungen der Sinne. Aber wir erkennen auch die Wahrheit, die beide Auffassungen entstellen. Es ist wahr, daß für diese Welt der Form, in die wir zu unserer Selbst-Verwirklichung hineingestellt sind, nichts voll gültig ist, wenn es nicht unser physisches Bewußtsein in Besitz genommen und sich auf den niedersten Ebenen in Harmonie mit seiner Manifestation auf den höchsten Gipfeln geoffenbart hat. Ebenso wahr ist, daß Gestaltung und Materie, wenn sie sich als selbstseiende Wirklichkeit behaupten, eine Illusion der Unwissenheit sind. Form und Materie können nur als Gestalt und Substanz einer Manifestation für das Unkörperliche und Unmaterielle gültig sein. Sie sind ihrer Natur nach ein Akt göttlichen Bewußtseins und nach ihrem Zweck und Ziel die Darstellung eines Zustandes des Geistes.

Mit anderen Worten: Wenn brahman in die Form eingegangen ist und Sein Wesen in materieller Substanz dargestellt hat, kann das nur sein, weil es sich der Selbst-Manifestation in den Gebilden relativen und phänomenalen Bewußtseins erfreuen will. Brahman ist in dieser Welt, um Sich in den Werten des Lebens darzustellen. Leben existiert in brahman, damit es brahman in sich selbst entdeckt. Darum ist der Mensch in der Welt wichtig, damit er ihr zu jener Entwicklung von Bewußtsein verhilft, in der ihre Umgestaltung durch vollkommene Entdeckung des Selbst möglich wird. Gott im Leben zur Erfüllung zu bringen, ist des Menschen Menschsein. Er geht hervor aus der Tier-Vitalität und deren Wirkensweisen. Sein Ziel ist aber ein göttliches Dasein.

Wie im Denken, so ist auch im Leben das wahre Gesetz der Selbst-Verwirklichung ein stets fortschreitendes umfassendes Verstehen. Brahman bringt Sich in vielen aufeinanderfolgenden Bewußtseinsformen zum Ausdruck. Sie folgen in ihrer Beziehung aufeinander, selbst wenn sie im Seienden koexistent und in der Zeit gleichzeitig sind. So muß sich auch das Leben bei seiner Selbst-Entfaltung in immer neue Bereiche seines eigenen Wesens erheben. Wenn wir aber aus Eifer für unsere neue Errungenschaft beim Übergang von einem Bereich in den anderen das verwerfen, was uns bisher gegeben war, wenn wir also beim Eintritt in das mentale Leben das physische Leben, das unsere Grundlage ist, wegwerfen oder gering achten oder wenn wir, angezogen vom Spirituellen, das Mentale und das Physische zurückweisen, bringen wir Gott nicht integral zur Erfüllung und leisten wir auch den Bedingungen Seiner Selbst-Manifestation nicht Genüge. Wir werden nicht vollkommen, sondern wechseln nur das Feld unserer Unvollkommenheiten oder erreichen höchstens eine begrenzte Höhe. Wie hoch wir auch emporsteigen, und sei es bis zum Nicht-Seienden, unser Anstieg ist doch falsch, wenn wir unsere Basis vergessen. Die wahre Göttlichkeit der Natur besteht darin, daß wir die niedere nicht sich selbst überlassen, sondern in das Licht der höheren umwandeln, die wir erreicht haben. Brahman ist vollständig und vereinigt gleichzeitig viele Bewußtseinszustände. Auch wir, die die Natur des brahman offenbaren, sollten vollständig und allumfassend werden.

Neben dem Zurückscheuen vor dem physischen Leben gibt es im asketischen Impuls noch eine andere Übertreibung, die vom Ideal vollständiger Manifestation korrigiert wird. Im Leben ist der Knotenpunkt die Beziehung zwischen drei allgemeinen Bewußtseinsformen: dem individuellen, universalen und transzendenten oder suprakosmischen Bewußtsein. In seiner üblichen Haltung zu den Lebensbetätigungen betrachtet sich der Einzelne als ein gesondertes Wesen, das in das Universum einbezogen ist. Beide, Individuum und Universum, sind abhängig von Jenem, das sowohl Individuum wie Universum transzendiert. Dieser Transzendenz geben wir gewöhnlich den Namen Gott, der dadurch für unsere Auffassung nicht so sehr über-kosmisch als außer-kosmisch wird. Eine natürliche Folge dieser Trennung ist die Herabsetzung und Entwertung des Einzelnen und des Universums. Logischerweise wäre der äußerste Schluß, daß Individuum und Universum aufhören müssen, wenn wir die Transzendenz erlangt haben.

Die integrale Schau der Einheit von brahman vermeidet diese Konsequenzen. Wie wir das körperliche Leben nicht aufzugeben brauchen, um das mentale und das spirituelle zu erlangen, können wir zu einer Anschauung gelangen, in der die Beibehaltung individueller Betätigungen nicht mehr im Widerspruch dazu steht, daß wir das kosmische Bewußtsein erfassen oder das transzendente und suprakosmische erlangen. Das die Welt Transzendierende umfaßt das Universum, ist eins mit ihm und schließt es nicht aus. Ebenso umfaßt das Universum den einzelnen Menschen, ist eins mit ihm und schließt ihn nicht aus. Der einzelne Mensch ist ein Mittelpunkt des ganzen universalen Bewußtseins. Das Universum ist eine Gestaltung und Begrenzung, die von der Immanenz des Formlosen und Unbegrenzbaren völlig eingenommen wird.

Dies ist immer die wahre Beziehung, die durch unsere Unwissenheit und unser falsches Bewußtsein von den Dingen vor uns verhüllt ist.

Wenn wir zum Wissen oder zum richtigen Bewußtsein gelangen, wird zwar nichts Wesentliches in der ewigen Beziehung geändert, doch verwandeln sich vom individuellen Mittelpunkt her der Einblick und der Ausblick grundlegend und, als Folge davon, auch Geist und Wirkungskraft ihrer Betätigung. Der Einzelne ist für das Wirken des Transzendenten im Universum weiterhin notwendig, und die Möglichkeit zu diesem Wirken in ihm hört durch seine Erleuchtung nicht auf. Im Gegenteil, da die bewußte Offenbarung des Transzendenten im Individuum das Mittel ist, durch das das Kollektiv, das Universale, ebenso seiner bewußt werden soll, ist es zwingend notwendig im Welten-Spiel, daß der erleuchtete Einzelne in der Welt weiter handelt. Wäre es Gesetz, daß er gerade durch die Tatsache der Erleuchtung zwangsläufig aus der Welt verschwinden müßte, wäre die Welt dazu verurteilt, ewig der Schauplatz unerlöster Finsternis, des Todes und des Leidens zu bleiben. Eine solche Welt kann nur fürchterliche Qual oder mechanische Illusion sein.

Als solche will die asketische Weltanschauung sie auch begreifen. Die Erlösung des Einzelnen kann aber nicht wirklich Sinn haben, wenn das Dasein im Kosmos selbst eine Illusion ist. Nach der monistischen Anschauung ist die individuelle Seele eins mit dem Erhabenen. Ihr Empfinden von Getrenntheit ist Unwissenheit, Flucht aus diesem Empfinden und Identität mit dem Erhabenen ist die Erlösung. Wem aber nützt dann diese Flucht? Nicht dem Erhabenen Selbst, denn bei ihm wird vorausgesetzt, daß es immer und unwandelbar frei, still, schweigend und rein ist. Auch nicht der Welt, denn sie bleibt ständig in der Gebundenheit und wird durch die Flucht einer einzelnen Seele nicht von der universalen Illusion befreit. Es ist die individuelle Seele selbst, die sich ihr höchstes Gut durch die Flucht aus Kummer und Trennung in den Frieden und die Seligkeit bewirkt. Also könnte es so aussehen, als gäbe es gerade im Ereignis der Befreiung und Erleuchtung eine gewisse Wirklichkeit der individuellen Seele, unterschieden von der Welt und vom Erhabenen. Für den Anhänger der IIlusionstheorie ist aber die individuelle Seele Illusion und nur existent im unerklärlichen Geheimnis von maya. So ergibt sich: Die Flucht einer illusorischen, nicht-seienden Seele aus illusorischer, nicht-seiender Gebundenheit in einer illusorischen, nicht-seienden Welt ist das höchste Gut, nach dem diese nicht-seiende Seele trachten muß! Denn das ist das letzte Wort dieser Erkenntnis: “Es gibt niemand, der gebunden, niemand, der befreit ist und niemand, der frei zu werden sucht.” So wird vidya letztlich ebenso sehr ein Teil des Phänomenalen wie avidya. Maya tritt uns gerade bei unserer Flucht in den Weg und lacht über die triumphierende Logik, die den Knoten ihres Geheimnisses zu durchschneiden schien.

Man sagt also, diese Dinge könnten nicht erklärt werden. Sie seien das ursprüngliche, unauflösbare Wunder. Sie seien uns eine praktische Tatsache und müßten akzeptiert werden. Durch Konfusion sollen wir der Konfusion entkommen. Die individuelle Seele könne den Knoten des Ego nur durch einen höchsten Akt von Egoismus durchhauen, indem sie sich ausschließlich an ihre individuelle Erlösung bindet, was auf absolute Bejahung ihrer gesonderten Existenz in maya hinausläuft. Wir sollen andere Seelen so ansehen, als seien sie Phantasiegebilde unseres Mentals. Ihre Erlösung sei unwichtig, unsere Seele allein sei ganz wirklich und ihre Erlösung das einzige, worauf es ankomme. Ich soll also meine persönliche Flucht aus der Gebundenheit als wirklich ansehen, während andere Seelen, die ebenso mein eigenes Ich sind, in ihrer Gebundenheit zurückbleiben!

Nur wenn wir jede unvereinbare Antinomie zwischen Selbst und Welt unbeachtet lassen, ordnen sich die Dinge durch eine weniger paradoxe Logik an ihrem richtigen Platz ein. Wir müssen die Vielseitigkeit der Manifestationen akzeptieren, indem wir zugleich die Einheit des Manifestierten behaupten. Ist das aber nicht gerade die Wahrheit, die uns überall begegnet, wohin wir schauen, wenn wir es nicht vorziehen wollen, nichts zu sehen? Ist das nicht letzten Endes das vollkommen natürliche und einfache Geheimnis des Bewußten Seienden, daß Es weder durch seine Einheit noch durch seine Vielfalt gebunden ist? Es ist “absolut” in dem Sinne, daß es völlig unabhängig und frei ist, auf Seine Weise alle möglichen Begriffe, in denen Es sich selbst ausdrückt, einzubeziehen und zu arrangieren. Da ist niemand gebunden, niemand befreit, niemand, der sucht, frei zu werden. Denn immer ist Jenes vollkommene Freiheit. Es ist so frei, daß es sogar nicht einmal durch seine Freiheit gebunden ist. Es kann den Gebundenen spielen, ohne in eine wirkliche Gebundenheit zu geraten. Seine Fessel ist eine selbst-auferlegte Vereinbarung. Seine Eingrenzung in das Ich ist eine vorübergehende Maßnahme, die Es verwendet, um seine Transzendenz und Universalität im Schema des individuellen brahman zu wiederholen. Das Transzendente, das Suprakosmische ist absolut und in sich selbst frei, jenseits von Zeit und Raum, jenseits der begrifflichen Gegensätze von endlich und unendlich. Im Kosmos aber gebraucht es seine Freiheit der Selbst-Gestaltung, seine maya, um aus Sich Selbst ein System in den komplementären Begriffen von Einheit und Vielfalt herzustellen. Es konstituiert diese vielfältige Einheit in den drei Bewußtseinsformen des Unterbewußten, Bewußten und Überbewußten. Denn wir sehen tatsächlich, daß die Vielen, die in einer Gestaltung in unserem materiellen Universum objektiviert sind, als eine unterbewußte Einheit anfangen, die sich deutlich genug in kosmischer Aktion und kosmischer Substanz kundtut, deren sie selbst aber nach außen hin nicht bewußt sind. Im Bewußten wird das Ich zu jenem Punkt an der Oberfläche, an dem das Gewahrwerden der Einheit hervortreten kann. Es wendet seinen Begriff der Einheit aber nur auf die äußere Form und das oberflächliche Handeln an und nimmt, weil es all das nicht berücksichtigt, was im Hintergrund wirkt, auch nicht wahr, daß es nicht nur in sich selbst eins ist, sondern auch eins mit den anderen. Diese Einschränkung des universalen Ich auf den getrennten Ich-Sinn konstituiert unsere unvollkommene individualisierte Personalität. Wenn aber das Ich das personale Bewußtsein transzendiert, schließt es das immer mehr ein, was für uns überbewußt ist, und wird davon überwältigt. Es erkennt die kosmische Einheit und geht in das Transzendente Selbst ein, das der Kosmos hier in vielfältiger Einheit ausdrückt.

Die Befreiung der individuellen Seele ist also der Schlüssel zum definitiven göttlichen Wirken. Sie ist die grundlegende göttliche Notwendigkeit und der Angelpunkt, um den sich alles andere dreht. Sie ist der Licht-Punkt, an dem die beabsichtigte völlige Selbst-Manifestation in den Vielen hervorzutreten beginnt. Aber die befreite Seele dehnt ihre Wahrnehmung der Einheit sowohl horizontal wie vertikal aus. Ihre Einheit mit dem transzendenten Einen ist unvollständig ohne ihre Einheit mit den kosmischen Vielen. Diese Einheit überträgt sich nach den Seiten hin durch Multiplikation, eine Reproduktion ihres eigenen befreiten Zustands an anderen Punkten in der Vielfalt. Die göttliche Seele vervielfacht sich in ähnlichen befreiten Seelen, wie sich das Tier in ähnlichen Körpern reproduziert. Darum besteht überall dort, wo eine einzelne Seele befreit ist, die Tendenz zur Ausdehnung, sogar zur Explosion desselben göttlichen Selbstbewußtseins in anderen individuellen Seelen unserer irdischen Menschheit und – wer weiß? – vielleicht sogar jenseits des irdischen Bewußtseins. Wo sollen wir die Grenze dieser Ausdehnung festlegen? Ist es wirklich nur eine Legende, wenn berichtet wird, Buddha habe, als er an der Schwelle des Nirvana, des Nicht-Seienden, stand, seine Seele zurückgewandt und das Gelübde getan, er wolle nie den unwiderruflichen Schritt hinüber tun, solange noch ein einziges Wesen unerlöst auf der Erde lebe, gefesselt durch den Knoten des Leidens und die Gebundenheit des Ichs?

Wir können aber das Höchste erlangen, ohne uns im kosmischen Bereich auszulöschen. Brahman behält immer Seine beiden Grundhaltungen von innerer Freiheit und Gestaltung nach außen. Es bringt sich zum Ausdruck und bleibt doch frei von diesem Ausdruck. Da wir Jenes brahman sind, können wir den gleichen göttlichen Besitz unseres Selbsts erlangen. Die Harmonie dieser beiden Tendenzen ist die Grundvoraussetzung alles Lebens, das wirklich göttlich zu sein strebt. Wenn man die Freiheit dadurch erstrebt, daß man das wegwirft, worüber man hinausgekommen ist, führt diese Freiheit auf dem Weg der Negation zur Ablehnung dessen, was Gott angenommen hat. Übt man die Aktivität so aus, daß man ganz im Wirken und in der Energie aufgeht, so führt das zur Bejahung niederer Werte und zur Verleugnung des Höchsten. Warum sollte denn der Mensch unbedingt das scheiden wollen, was Gott zusammengefügt hat und in einer Synthese vereint? Vollkommen zu sein, so wie Er vollkommen ist, ist die Bedingung, wenn man Ihn integral erlangen will.

Durch avidya, die Vielfalt, hindurch führt unser Weg aus dem vorübergehenden ichhaften Selbst-Ausdruck, in dem Tod und Leiden vorherrschen. Durch vidya, die mit avidya durch das vollkommene Empfinden von Einheit selbst in der Vielfalt übereinstimmt, genießen wir integral Unsterblichkeit und Seligkeit. Indem wir zum Ungeborenen jenseits von allem Werden gelangen, werden wir von dieser niederen Geburt und vom Tod befreit. Indem wir das Werden als das Göttliche Wesen frei annehmen, dringen wir mit dieser unsterblichen Seligkeit in die Sterblichkeit ein und werden zu erleuchteten Zentren ihres bewußten Selbst-Ausdrucks in der Menschheit.