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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XIV. Das Supramental als Schöpfer

Alle Dinge sind Selbst-Entfaltungen des Göttlichen Wissens.

Vishnu Purana, II.12.39.

Ein Prinzip aktiven Willens und Wissens, dem Mental übergeordnet und Schöpferin der Welten, ist die vermittelnde Macht und der Zustand des Seienden zwischen jenem Selbst-Besitz des Einen und dem Fluten der Vielen. Dieses Prinzip ist uns nicht völlig fremd. Es gehört nicht ausschließlich und unmittelbar einem Wesen an, das völlig anders wäre als wir selbst, oder einem Seins-Zustand, von dem wir auf geheimnisvolle Weise in die Geburt geworfen, aber auch zurückgestoßen werden, unfähig zurückzukehren. Wenn dieses Prinzip auch auf Höhen weit oberhalb von uns zu liegen scheint, so sind das doch Höhen unseres eigenen Wesens, unserem Schritt erreichbar. Wir können jene Wahrheit uns nicht nur logisch erschließen und flüchtig sehen, wir sind auch befähigt, sie zu realisieren. Wir können durch immer stärkere Ausweitung unseres Selbsts oder durch eine plötzliche erleuchtete Selbst-Transzendierung in unvergeßlichen Augenblicken uns zu diesen Höhen emporschwingen oder für die Dauer von Stunden oder Tagen höchster übermenschlicher Erfahrung auf ihnen verweilen. Wenn wir wieder herabsteigen, verbleiben uns Tore der Kommunikation dorthin, die wir immer offen halten oder wieder auftun können, wenn sie sich auch ständig schließen sollten. Dort, auf diesem letzten höchsten Gipfel des erschaffenen und schöpferischen Seienden dauernd zu verweilen, ist schließlich das erhabene Ideal unseres sich entwickelnden menschlichen Bewußtseins, wenn es seine Selbst-Vervollkommnung, nicht seine Selbst-Vernichtung sucht. Denn das ist, wie wir gesehen haben, die ursprüngliche Idee und die endgültige Harmonie und Wahrheit, zu der unser Selbst, das sich stufenweise in der Welt zum Ausdruck bringt, zurückkehrt und die zu erlangen seine Bestimmung ist.

Dennoch mögen wir zweifeln, ob es jetzt oder überhaupt möglich ist, dem menschlichen Intellekt einen Bericht von diesem Zustand zu geben oder seine göttlichen Wirkensweisen für die Erhöhung unseres menschlichen Wissens und Handelns in einer mittelbaren und organisierbaren Weise zu verwenden. Der Zweifel erhebt sich nicht nur aus der Seltenheit und fragwürdigen Art bekannter Phänomene, die eine menschliche Betätigung dieser göttlichen Kraft verraten, oder aus der großen Distanz, die dieses Wirken von der Erfahrung und beweisbaren Erkenntnis gewöhnlichen Menschseins trennt. Zweifel wird auch durch den offensichtlichen Widerspruch, sowohl im Wesen wie im Funktionieren, zwischen der menschlichen Mentalität und dem göttlichen Supramental höchst nahe gelegt.

Gewiß wäre es ganz unmöglich, unseren menschlichen Vorstellungen von diesem Bewußtsein Bericht zu geben, wenn es überhaupt keine Beziehung zum Mental noch irgendeine Identität mit dem mentalen Wesen hätte. Wäre andererseits in seiner Natur nur Schau in Erkenntnis und überhaupt keine dynamische Macht der Erkenntnis, könnten wir vielleicht hoffen, durch den Kontakt mit ihm in einen seligen Zustand mentaler Erleuchtung zu gelangen, nicht aber zu mehr Licht und stärkerer Macht für unser Wirken in der Welt. Da dieses Bewußtsein aber die Schöpferin der Welt ist, muß es nicht nur ein Zustand von Wissen sein, sondern eine Macht des Wissens, nicht nur ein Wille zu Licht und Schau, sondern ein Wille zu Macht und Wirken. Weil auch das Mental aus ihm erschaffen wurde, muß das Mental eine Entfaltung durch Begrenzung aus dieser ursprünglichen Kraft und diesem vermittelnden Akt höchsten Bewußtseins und deshalb fähig sein, sich durch umgekehrte Entwicklung und Ausweitung wieder in es zurückzuverwandeln. Im Wesenhaften muß das Mental mit dem Supramental stets identisch sein und verborgen die Potenz des Supramentals enthalten, so andersartig, ja entgegengesetzt es in seinen aktuellen Formen und festgelegten Verfahrensweisen geworden sein mag. Darum ist es vielleicht kein irrationaler und nutzloser Versuch, durch die Methode von Vergleich und Kontrast danach zu streben, sich das Supramental vom Standpunkt und den Begriffen unserer intellektuellen Erkenntnis her vorzustellen. Gewiß mögen deren Idee und Begriffe unangemessen sein. Sie dienen uns aber doch als Scheinwerfer, der uns einen Weg vorausleuchtet, wie wir ihn, mindestens bis zu einer gewissen Entfernung, beschreiten können. Überdies hat das Mental die Fähigkeit, sich über sich selbst zu erheben bis In bestimmte Höhen oder Ebenen des Bewußtseins, die in ihrem Bereich ein abgewandeltes Licht oder eine Macht des supramentalen Bewußtseins empfangen, und dieses durch Erleuchtung, Intuition, direkten Kontakt oder Erfahrung zu erkennen, wenn auch dem Menschen noch nicht ermöglicht wurde, in jenen Bereichen des Bewußtseins zu leben, von dorther zu schauen und zu handeln.

Zuerst wollen wir einen Augenblick innehalten und uns fragen, ob wir nicht in der Vergangenheit ein Licht finden können, das uns zu diesen noch wenig erforschten Bereichen führen kann. Wir brauchen einen Namen und einen Ausgangspunkt. Wir haben diesen Bewußtseins-Zustand das Supramental genannt. Das Wort ist aber doppelsinnig. Man könnte darunter ein Mental verstehen, das “super-eminent” ist, zwar über die gewöhnliche Mentalität emporgehoben, aber nicht radikal umgewandelt. Oder das Wort könnte im Gegensatz dazu auch die Bedeutung von alldem haben, was jenseits vom Mental liegt. Dann würde es einen viel zu weiten Begriffsumfang annehmen, der letztlich sogar das Unnennbare mit einbeziehen würde. Eine Hilfs-Beschreibung ist notwendig, die seine Bedeutung genauer eingrenzen soll.

Hier helfen uns die geheimnisvollen Verse des Veda, denn sie enthalten, wenn auch verborgen, die Botschaft vom göttlichen und unsterblichen Supramental, und durch die Verhüllung kommen einige erleuchtende Strahlen zu uns. Durch diese Äußerungen hindurch können wir den Begriff dieses Supramentals erkennen als unermeßliche Weite jenseits der gewöhnlichen Horizonte unseres Bewußtseins, in denen die Wahrheit des Wesens in lichtvoller Weise eins ist mit allem, das sie zum Ausdruck bringt, und unausweichlich sicherstellt die Wahrheit von Schau, Formulierung, Anordnung, Wort, Akt und Bewegung und darum auch die Wahrheit des Ergebnisses der Bewegung, des Ergebnisses von Aktion und Ausdruck, unfehlbarer Anordnung oder Gesetz. Unbegrenztes Allumgreifendsein, lichtvolle Wahrheit und Harmonie des Seienden in dieser Unendlichkeit, nicht vages Chaos oder selbst-verlorene Finsternis, Wahrheit von Gesetz, Wirken und Erkenntnis, die diese harmonische Wahrheit des Seienden zum Ausdruck bringen: das scheinen die wesentlichen Begriffe der Beschreibung im Veda zu sein. Die Götter sind in ihrer höchsten geheimen Wesensart Mächte dieses Supramentals, aus ihm geboren, in ihm thronend als in ihrem eigentlichen Heim, in ihrem Wissen “Wahrheits-bewußt” und bei ihrem Handeln im Besitz des “Seher-Willens”. Ihre bewußte Kraft, dem Wirken und Erschaffen zugewandt, ist im Besitz und wird gelenkt von einem vollkommenen und unmittelbaren Wissen dessen, das getan werden muß, von dessen Wesen und Gesetz, – einem Wissen, das eine vollwirksame Willens-Macht bestimmt, die in ihrem Verfahren oder in ihrem Ergebnis nicht abirrt oder schwankt, sondern spontan und unumgänglich das im Wirken zum Ausdruck und zur Erfüllung bringt, was in der Vision geschaut wurde. Hier ist Licht geeint mit Kraft, die Vibrationen des Erkennens mit dem Rhythmus des Wollens, und beide sind vollkommen ohne Suchen, Tasten oder Bemühen eins mit dem gesicherten Ergebnis. Diese göttliche Natur hat eine doppelte Macht, eine spontane Selbst-Formulierung und Selbst-Anordnung, die in natürlichster Weise aus der Wesenhaftigkeit der geoffenbarten Sache strömt und ihre ursprüngliche Wahrheit ausdrückt, sowie eine Selbst-Kraft von Licht, die der Sache selbst eingeboren und die Quelle ihrer spontanen, unbeirrbaren Selbst-Anordnung ist.

Hier gibt es untergeordnete aber wichtige Einzelheiten. Die vedischen Seher scheinen von zwei ursprünglichen Fähigkeiten der “wahrheitsbewußten” Seele zu sprechen. Das sind Sehen und Hören, womit unmittelbare Betätigungen eines eingeborenen Wissens gemeint sind, die als Wahrheits-Schau und Wahrheits-Hören beschrieben werden und von weit her in unserer Mentalität durch die Fähigkeiten der Offenbarung und Eingebung reflektiert werden. Außerdem scheint in den Wirkensweisen des Supramentals unterschieden zu werden zwischen einem Wissen durch ein verstehendes und durchdringendes Bewußtsein, das der subjektiven Erkenntnis durch Identität sehr nahe kommt, und einem Wissen durch projizierendes, gegenüberstellendes und wahrnehmendes Bewußtsein, das der Anfang objektiver Kenntnisnahme ist. Das sind die vedischen Andeutungen. Aus dieser alten Erfahrung können wir den Hilfsbegriff “Wahrheits-Bewußtsein” übernehmen, um den Begriffsinhalt des elastischen Ausdrucks Supramental abzugrenzen.

Wir sehen sofort, daß ein so charakterisiertes Bewußtsein eine vermittelnde Formulierung sein muß, die einerseits zurückweist auf einen Begriff oberhalb von ihm und andererseits nach vorn weist auf einen anderen Begriff, der unterhalb von ihm liegt. Zugleich sehen wir, daß dieses Bewußtsein offensichtlich das Verbindungsglied und Mittel ist, durch das sich das Niedere aus dem Höheren entfaltet, und in gleicher Weise auch das Verbindungsglied und Mittel sein soll, durch das es sich wieder zurück zu seinen Ursprung entwickeln kann. Der Begriff oberhalb ist das unitarische oder unteilbare Bewußtsein des reinen saccidananda, in dem es keine trennenden Unterscheidungen gibt. Der Begriff unterhalb ist das analytische oder zerteilende Bewußtsein des Mentals, das nur durch Trennung und Unterscheidung erkennen kann und darum höchstens eine vage und abgeleitete äußerliche Wahrnehmung von Einheit und Unendlichkeit besitzt, – denn, obwohl es durch eine Synthese seine Trennungen wieder zusammenzufügen vermag, kann es doch nicht zu wahrer Totalität gelangen. Zwischen beiden liegt das begreifende, schöpferische Bewußtsein. Durch seine Macht zu eindringender und verstehender Erkenntnis ist es das Kind jenes Selbst-Inneseins durch Identität, das die Gelassenheit von brahman ist. Durch seine Macht zu projizierender, gegenüberstellender, wahrnehmender Erkenntnis ist es der Vater jenes Gewahrwerdens durch Unterscheidung, das der Denkprozeß des Mentals ist.

Darüber steht die ewig feststehende und unveränderliche Formel von dem Einen, darunter die Formel von den Vielen, die, ewig veränderlich, im Fluß der Dinge einen festen unveränderlichen Standpunkt sucht, aber kaum findet. Dazwischen ist der Ort aller Dreieinigkeiten, von allem was zwei-einig ist, von allem, was zu den Vielen-im-Einen wird und doch Eins-in-Vielen bleibt, weil es ursprünglich Eines war, das potentiell stets Viele ist. Dieser Vermittlungsbegriff ist deshalb Anfang und Ende, Alpha und Omega jeglicher Schöpfung und Anordnung, der Ausgangspunkt aller Unterschiedlichkeit, das Instrument für alle Vereinigung, Urheber aller realisierten oder realisierbaren Harmonien, ihr bevollmächtigter Bewirker und ihr Vollender. Er hat das Wissen des Einen, ist aber fähig, aus dem Einen seine verborgenen Vielheiten herauszuziehen. Er manifestiert die Vielen, verliert sich aber nicht an ihre Unterschiedlichkeiten. Sollten wir also nicht sagen, gerade seine Existenz weist zurück auf Etwas, das jenseits unserer höchsten Wahrnehmungen der unaussprechlichen Einheit liegt, ein Etwas, das unnennbar und mental unbegreiflich ist, nicht wegen seines Einsseins und seiner Unteilbarkeit, sondern weil es selbst von diesen Formulierungen unseres Mentals frei ist, – ein Etwas jenseits von beidem, von Einheit und Vielfalt? Das wäre das äußerste Absolute und Wirkliche, das uns gerade deshalb unser Wissen von Gott und unsere Erkenntnis der Welt rechtfertigt.

Diese Begriffe sind jedoch umfassend und schwer zu begreifen. Wir wollen sie darum präzisieren. Wir sprechen von dem Einen als von saccidananda. In der Beschreibung stellen wir aber drei Weisheiten nebeneinander und vereinigen sie, um zu einer Dreieinigkeit zu kommen. Wir sagen: “Sein, Bewußtsein, Seligkeit” und sagen dann: “sie sind eins”.

Das ist ein Denkvorgang des Mentals. Für das unitarische Bewußtsein ist ein solches Denken unzulässig. Sein ist Bewußtsein, es kann keinen Unterschied zwischen ihnen geben. Bewußtsein ist Seligkeit, auch hier kann zwischen beiden kein Unterschied bestehen. Da aber selbst dieser Unterschied nicht existieren kann, wie kann es da eine Welt geben? Wenn Jenes die einzige Wirklichkeit ist, existiert die Welt nicht und hat nie existiert, sie kann auch niemals konzipiert worden sein. Denn ein unteilbares Bewußtsein ist nicht zum Zerteilen fähig und kann darum auch nicht der Ursprung von Trennung und Unterschiedlichkeit sein. Das ist aber eine reductio ad absurdum. Wir könnten sie nur dann zulassen, wenn wir uns damit begnügen würden, alles auf das Fundament eines unmöglichen Paradoxon und der Unvereinbarkeit einer Antithese aufzubauen.

Andererseits kann das Mental nur getrennte Dinge mit Genauigkeit als wirklich begreifen. Es kann zwar eine synthetische Totalität oder das Endliche begreifen, das sich unendlich ausdehnt. Es kann Zusammensetzungen geteilter Dinge und die ihnen zugrunde liegende Gleichartigkeit begreifen. Aber letzte Einheit und absolute Unendlichkeit sind für sein bewußtes Verstehen der Dinge abstrakte Begriffe und ungreifbare Quantitäten, nichts, was für sein Erfassen wirklich wäre, viel weniger etwas, das allein wirklich ist. Hier steht also der dem unitarischen Bewußtsein völlig entgegengesetzte Begriff vor uns. Wir haben der wesenhaften und unteilbaren Einheit eine wesenhafte Vielfalt konfrontiert, die nicht zur Einheit gelangen kann, ohne sich selbst aufzuheben, und gerade durch diesen Akt bekennt, daß sie eigentlich nie wirklich existiert haben konnte. Dennoch hat sie existiert; denn sie ist das, was Einheit gefunden und sich damit aufgehoben hat. Wieder haben wir eine reductio ad absurdum, die das scharfe Paradoxon wiederholt, das das Denken durch Lähmung und die unvereinte und unvereinbare Antithese zu überzeugen sucht.

Die Schwierigkeit verschwindet in ihrem niederen Begriff, wenn wir uns klarmachen, daß das Mental nur eine vorbereitende Form unseres Bewußtseins ist. Das Mental ist ein Instrument für Analyse und Synthese, aber nicht für wesenhafte Erkenntnis. Seine Funktion besteht darin, vage aus dem unbekannten Ding-an-sich etwas herauszuschneiden, diese Maßeinheit und Abgrenzung aus dem Unbekannten das Ganze zu nennen, um dann wieder dieses Ganze in seinen Teilen zu analysieren, die es als gesonderte mentale Gegenstände betrachtet. Das Mental kann nur die Teile und ihr Zubehör definitiv sehen und auf seine Art erkennen. Seine einzige definitive Idee vom Ganzen ist eine Zusammenstellung von Teilen oder eine Totalität von Eigenschaften und Zubehör. Wenn das Ganze nicht als Teil von etwas anderem oder in seinen eigenen Teilen, Eigenschaften und Nebenerscheinungen betrachtet werden kann, ist es für das Mental nichts anderes als eine vage Vorstellung. Erst wenn es analysiert und als besonders konstituierter Gegenstand für sich dargestellt worden ist, als Totalität innerhalb einer größeren Totalität, kann das Mental zu sich sagen: “Das kenne ich nun.” In Wirklichkeit kennt es das aber nicht. Es kennt nur seine eigene Analyse des Gegenstandes und die Vorstellung, die es sich von ihm durch eine Synthese gesonderter Teile und Eigenschaften gebildet hat, wie es sie sah. Hier hören seine charakteristische Macht und sein sicheres Funktionieren auf. Wenn wir zu einem höheren, tieferen und wirklichen Wissen gelangen wollen – zu wahrem Wissen, nicht nur einem ungeformten Empfinden, wie es manchmal in bestimmten tiefen, aber nicht ausdrucksfähigen Schichten unserer Mentalität aufsteigt –, muß das Mental einem anderen Bewußtsein weichen. Dieses wird das Mental dadurch zur Erfüllung bringen, daß es jenes transzendiert oder seine Verfahrensweisen umkehrt und auf diese Weise richtig stellt, nachdem es sie übersprungen hat: Die höchste Höhe mentaler Erkenntnis ist nur ein Sprungbrett, von dem aus dieser Sprung gemacht werden kann. Die äußerste Sendung des Mentals besteht darin, unser unerleuchtetes Bewußtsein, das aus dem finsteren Gefängnis der Materie heraustrat, zu trainieren, seine blinden Instinkte, Zufalls-Intuitionen und vagen Auffassungen zu erleuchten, bis es für dieses höhere Licht und diesen höheren Aufstieg fähig wird. Das Mental ist ein Übergang, nicht ein Höhepunkt.

Andererseits kann das unitarische Bewußtsein oder die unteilbare Einheit nicht jenes unmögliche Gebilde sein, ein Ding ohne Inhalte, aus dem alle Inhalte hervorgegangen sind, in das sie wieder verschwinden und in dem sie zunichte werden. Es muß eine ursprüngliche Selbst-Konzentration sein, in der alles, jedoch auf eine andere Art als in dieser zeitlichen und räumlichen Manifestation, enthalten ist. Jenes, das sich so selbst konzentriert hat, ist das äußerste, unnennbare und unbegreifliche Sein, das sich der Nihilist seinem Mental gegenüber als das negative Leere von allem vorstellt, was wir wissen und sind, das der Transzendentalist aber aus dem gleichen Grund seinem Mental gegenüber auffassen kann als die positive, wenn auch nicht unterscheidbare Wirklichkeit alles dessen, was wir wissen und sind. Der Vedanta sagt: “Im Anfang war das eine Sein ohne ein zweites.” Aber vor und nach dem Anfang, jetzt, ewig, jenseits der Zeit, existiert das, was wir nicht einmal als das Eine beschreiben können, selbst wenn wir sagen, daß nichts existiert außer Jenem. Wessen wir innewerden können, ist erstens seine ursprüngliche Selbst-Konzentration, die wir als das unteilbare Eine zu realisieren bemüht sind; zweitens die Ausbreitung und scheinbare Selbst-Auflösung alles dessen, was in dieser Einheit konzentriert gewesen ist, was der Auffassung des Mentals vom Universum entspricht; drittens seine starke Selbst-Ausweitung im Wahrheits-Bewußtsein. Sie enthält die Ausbreitung, hält sie in Bestand und hindert sie daran, zu wirklicher Selbstauflösung zu werden, sie wahrt Einheit auch in äußerster Verschiedenartigkeit, sichert Stabilität auch in der äußersten Veränderlichkeit, drängt auf Harmonie selbst in der Erscheinung alles zersetzenden Streites und Zusammenpralls, erhält einen ewigen Kosmos, wo das Mental es nur zu einem Chaos bringen würde, das dauernd den Versuch macht, sich zu gestalten. Das alles ist das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, die Real-Idee, die sich selbst erkennt; zu alledem wird sie.

Das Supramental ist die unendliche Selbst-Ausbreitung des brahman, das enthält und entwickelt. Durch die Idee entfaltet es das trinitarische Prinzip von Sein, Bewußtsein und Seligkeit aus ihrer unteilbaren Einheit. Es differenziert, aber zerteilt sie nicht. Es errichtet eine Dreieinigkeit, die aber nicht, wie beim Mental, von den dreien ausgeht, um zum Einen zu gelangen, sondern die drei aus der Einheit offenbart – denn es manifestiert und entfaltet und bewahrt sie trotzdem in der Einheit –, denn es kennt und enthält sie in sich. Durch die Differenzierung ist es fähig, die eine oder andere von ihnen als die bewirkende Gottheit hervortreten zu lassen, die die anderen involviert oder nach außen entfaltet in sich enthält. Diesen Vorgang macht es zur Grundlage aller anderen Differenzierungen. Durch dasselbe Verfahren wirkt das Supramental auf alle Prinzipien und Möglichkeiten ein, die es aus dieser alles konstituierenden Dreieinigkeit entwickelt. Es besitzt die Macht zur Entfaltung, zur Evolution, um nach außen hervortreten zu lassen. Diese Macht enthält in sich jene andere Macht zur Involution, zur Verhüllung, zum Einbehalten der Entfaltung. In einem gewissen Sinn kann man sagen, die ganze Schöpfung ist eine Bewegung zwischen zwei Involutionen: Sie ist Geist, in den alles involviert ist und aus dem alles nach unten zum anderen Pol, zur Materie, evolviert. Und sie ist Materie, in der ebenfalls alles involviert ist und aus der alles nach oben zum anderen Pol, zum Geist, evolviert.

So besteht der ganze Vorgang der Differenzierung durch die Real-Idee, die das Universum erschafft, darin, daß Prinzipien, Kräfte und Gestaltungen herausgestellt werden, die für das verstehende Bewußtsein alles übrige Dasein in sich enthalten und das äußerlich auffassende Bewußtsein dem ganzen übrigen Sein, das hinter ihnen verhüllt ist, konfrontieren. Darum existiert alles in jedem einzelnen, wie jedes einzelne in allem. So birgt jeder Keim der Dinge in sich die ganze Unendlichkeit der verschiedenartigen Möglichkeiten, ist aber an ein einziges Gesetz von Verfahren und Resultat durch den Willen, d. h. durch die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens gebunden, der sich offenbart und, der Idee in sich gewiß, durch sie seine eigenen Formen und Abläufe im voraus bestimmt. Der Keim ist die Wahrheit seines eigenen Wesens, die dieses Selbst-Sein in sich selbst schaut. Das Ergebnis aus diesem Keim der Selbst-Schau ist die Wahrheit der Selbst-Aktion, das natürliche Gesetz von Entfaltung, Gestaltung und Funktionieren, das unverbrüchlich auf die Selbst-Schau folgt und sich an die Verfahrensweisen hält, die in der ursprünglichen Wahrheit involviert sind. So ist die gesamte Natur einfach der Seher-Wille und die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens, das am Werk ist, um in Kraft und Form die gesamte unverbrüchlich gültige Wahrheit der Idee zu entfalten, in die es sich ursprünglich entäußert hat.

Diese Auffassung der Idee zeigt uns den wesentlichen Gegensatz zwischen unserem mentalen Bewußtsein und dem Wahrheits-Bewußtsein. Wir sehen im Denken etwas vom Sein Getrenntes, Abstraktes, Nicht-Substantielles, von der Wirklichkeit Verschiedenes, das, man weiß nicht woher, in Erscheinung tritt und sich von der objektiven Wirklichkeit loslöst, um sie zu beobachten, zu verstehen und zu beurteilen. So erscheint und ist deshalb das Denken unserer alles zerteilenden und analysierenden Mentalität. Die erste Aufgabe des Mentals besteht darin, “diskret”, d. h. abstrakt und unterscheidbar zu machen, wodurch es aber eher Zertrennungen hervorruft als unterscheidet. Auf diese Weise hat das Mental die lähmende Spaltung zwischen Denken und Wirklichkeit geschaffen. Im Supramental ist dagegen alles Wesen auch Bewußtsein, und alles Bewußtsein kommt aus dem Wesen. Die Idee, eine mit Gestaltung trächtige Vibration des Bewußtseins, ist ebenso auch eine Vibration des Wesens, das trächtig ist von sich selbst. In einem schöpferischen Selbst-Wissen tritt aus seinem Ursprung das hervor, was dort in einem unschöpferischen Selbst-Innesein konzentriert lag. Es kommt hervor als Idee, die eine Wirklichkeit ist. Diese Wirklichkeit der Idee entwickelt sich selbst, immer durch ihre eigene Macht und ihr Bewußtsein von sich selbst, immer des Selbsts bewußt, immer das Selbst durch den der Idee eingeborenen Willen entfaltend, immer das Selbst durch das im Kern jedes Impulses enthaltene Wissen verwirklichend. Das ist die Wahrheit aller Schöpfung, aller Evolution.

Im Supramental sind Wesen, Bewußtsein des Wissens und Bewußtsein des Willens nicht so voneinander getrennt, wie sie in unseren mentalen Prozessen erscheinen. Dort sind sie eine Dreieinigkeit, eine einzige Bewegung mit drei wirksamen Aspekten. Jeder von ihnen hat seine eigene Wirkung: Wesen wirkt sich als Substanz aus. Bewußtsein hat den Effekt von Wissen, der selbstlenkenden und gestaltenden Idee, von innerem und äußerem Wahrnehmen. Wille bringt die sich selbst erfüllende Kraft hervor. Die Idee ist aber nur das Licht der Wirklichkeit, die sich selbst erleuchtet; sie ist weder mentales Denken noch Phantasie, sondern wirksames Selbst-Innesein. Sie ist Real-Idee.

Im Supramental ist Wissen in der Idee nicht abgetrennt vom Willen in der Idee, sondern eins mit ihm – genauso wie es nicht verschieden ist vom Wesen und von der Substanz, sondern eins mit dem Wesen und eine leuchtende Macht der Substanz. Wie die Kraft eines brennenden Lichts nicht von der Substanz des Feuers verschieden ist, so ist auch die Macht der Idee nicht verschieden von der Substanz des Wesens, das sich in der Idee und ihrer Entfaltung auswirkt. In unserer Mentalität sind alle voneinander verschieden. Wir haben eine Idee und einen Willen im Einklang mit der Idee. Oder wir haben einen Willensimpuls und eine Idee, die sich davon loslöst. So unterscheiden wir effektiv die Idee vom Willen und beide von uns selbst: Ich bin. Die Idee ist eine geheimnisvolle Abstraktion, die in mir erscheint. Der Wille ist ein anderes Geheimnis, eine Kraft, die der Konkretheit näher, doch nicht eigentlich konkret, sondern immer etwas ist, was ich nicht bin, sondern habe, bekomme oder wovon ich ergriffen bin, was ich selbst aber nicht bin. So mache ich auch eine Kluft zwischen meinem Willen, seinen Mitteln und der Auswirkung; denn letztere betrachte ich als konkrete Wirklichkeiten außerhalb von mir und als anders als ich bin. Darum sind weder ich selbst noch die Idee noch der Wille in mir selbst-wirksam Die Idee kann mir entfallen, der Wille versagen, die Mittel können mir fehlen, und ich selbst mag, wenn einer oder alle dieser Mängel mich befallen, unerfüllt bleiben.

Im Supramental gibt es keine solch lähmende Trennung, da Wissen hier nicht, wie im Mental, in sich selbst-zertrennt, Kraft nicht selbst-zertrennt und Wesen nicht selbst-zertrennt sind. Sie sind weder in sich selbst zerspalten, noch haben sie sich voneinander geschieden. Denn das Supramental ist das unermeßliche Weite. Es geht von der Einheit aus, nicht von der Zertrennung. Es ist in seinem Ursprung all-umgreifend, Differenzierung ist erst ein sekundärer Akt. Was auch immer die zum Ausdruck gebrachte Wahrheit des Wesens sein mag, immer entspricht ihm genau die Idee. Die Willens-Kraft entspricht der Idee – die Kraft ist nur eine Macht des Bewußtseins –, und das Ergebnis entspricht dem Willen. Die Idee prallt auch nicht mit anderen Ideen, der Wille oder die Kraft nicht mit einem anderen Willen oder einer anderen Kraft zusammen wie im Menschen und seiner Welt. Denn es gibt nur ein einziges unermeßlich weites Bewußtsein, das alle Ideen als seine eigenen in sich enthält und miteinander in Beziehung setzt. Es gibt nur den einen ungeheuer starken Willen, der alle Energien als seine eigenen in sich enthält und zueinander in Beziehung setzt. Er hemmt diese Energien und treibt jene vorwärts, jedoch im Einklang mit seinem eigenen im voraus konzipierenden Ideen-Willen.

Das ist die Rechtfertigung für die bestehenden religiösen Anschauungen von der All-Gegenwart, All-Wissenheit und All-Macht des Göttlichen Wesens. Weit davon entfernt, irrationale Phantasie zu sein, sind sie im Gegenteil vollkommen rational und widersprechen in keiner Weise der Logik einer allumfassenden Philosophie oder den Hinweisen von Beobachtung oder Erfahrung. Ihr Irrtum besteht darin, daß sie eine unüberbrückbare Kluft zwischen Gott und Mensch, zwischen brahman und Welt errichten. Dieser Irrtum übertreibt eine tatsächliche und praktische Unterschiedlichkeit in Wesen, Bewußtsein und Kraft bis zu einer wesenhaften Zertrennung. Auf diesen Aspekt der Frage müssen wir später noch zurückkommen. Im Augenblick sind wir bei einer Bejahung und einer gewissen Auffassung vom göttlichen und schöpferischen Supramental angekommen, in dem alles eins ist in Wesen, Bewußtsein, Willen und Seligkeit, jedoch mit einer unendlichen Fähigkeit zur Differenzierung, die die Einheit entfaltet, aber nicht zerstört: Im Supramental ist die Substanz Wahrheit. Wahrheit erhebt sich in die Idee, und Wahrheit tritt hervor in der Gestaltung. So gibt es nur eine einzige Wahrheit von Wissen und Willen, eine einzige Wahrheit von Selbst-Erfüllung und darum von Seligkeit. Denn alle Selbst-Erfüllung ist vollbefriedigende Erfüllung des Wesens. Darum entsteht auch in allen Mutationen und Kombinationen stets eine selbst-seiende und unveräußerliche Harmonie.