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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XIII. Die Göttliche Maya

Im Namen des Herrn und in ihrem Namen gestalteten und maßen sie die Kraft der Mutter des Lichts. Macht um Macht dieser Kraft trugen die Herren der maya als ein Gewand und arbeiteten so die Form aus in diesem Seienden. Die Meister von maya gestalteten alles durch Seine maya. Die Väter, die die göttliche Schau haben, setzten Ihn ins Innere wie ein Kind, das geboren werden soll.

Rig Veda, III,38.7.; IX,83.3.

Sein, das durch die Macht und aus reiner Freude seines bewußten Wesens wirkt und erschafft, ist die Wirklichkeit, die wir sind, das Selbst all unserer Seinsweisen und Stimmungen, Ursache, Zweck und Ziel all unseres Handelns, Werdens und Erschaffens. Wie der Dichter, Künstler oder Musiker, wenn er etwas erschafft, in Wirklichkeit nichts anderes tut, als eine in seinem nichtmanifestierten Selbst enthaltene Potenz in eine Form der Manifestation zu entfalten, wie Denker, Staatsmann, Techniker nur das in dingliche Gestaltung herausbringen, was in ihnen selbst verborgen lag, was sie selbst waren und auch dann noch sind, wenn es in Form geprägt ist, so ist es mit der Welt und mit dem Ewigen. Alle Schöpfung oder alles Werden ist nichts als diese Selbst-Manifestation. Aus dem Keim entwickelt sich, was schon im Keim enthalten ist, präexistent war, im Wesen prädestiniert ist in seinem Willen zum Werden, im voraus angelegt ist auf die Seligkeit des Werdens. Das ursprüngliche Plasma enthielt schon in sich, in der Kraft des Wesens, den aus ihm entstehenden Organismus. Denn immer ist es jene geheime, die Last der Schöpfung tragende, selbst-bewußte Kraft, die sich unter ihrem eigenen unwiderstehlichen Impuls abmüht, die Form ihrer selbst zu manifestieren, mit der sie belastet ist. Allein der individuelle Mensch, der aus sich heraus etwas erschafft oder entwickelt, macht einen Unterschied zwischen sich, der in ihm wirkenden Kraft und dem von ihm bearbeiteten Material. In Wirklichkeit ist er die Kraft selbst. Das individualisierte Bewußtsein, das der Kraft als Werkzeug dient, ist er selbst. Das Material, das sie verwendet, ist er selbst. Und auch die sich ergebende Form ist er selbst. Mit anderen Worten: es gibt nur ein einziges Sein, eine einzige Kraft, eine einzige Seligkeit des Wesens, die sich an verschiedenen Punkten konzentriert und an jedem Punkt sagt: “Dieses bin ich” und dort durch ein vielfältiges Spiel der Selbst-Kraft für ein vielfältiges Spiel der Selbst-Gestaltung wirkt.

Was diese Selbst-Kraft hervorbringt, ist sie selbst. Es kann nichts anderes als sie selbst sein. Sie arbeitet ein Spiel aus, einen Rhythmus, eine Entfaltung ihres eigenen Seins, ihrer eigenen Bewußtseins-Kraft und ihrer Seins-Seligkeit. Darum sucht alles, was in die Welt eintritt, nichts anderes als dies: zu sein, zu der beabsichtigten Gestaltung zu gelangen, sein Selbst-Sein in dieser Gestalt auszuweiten, das Bewußtsein und die ihm innewohnende Macht zu entwickeln, zu manifestieren, zu vermehren, bis ins Unendliche zu realisieren. Es will die Freude seines Eintritts in die Manifestation besitzen: die Seligkeit der Form des Seienden, die Seligkeit des Rhythmus des Bewußtseins, die Seligkeit des Spiels der Kraft. Diese Freude will es mit allen verfügbaren Mitteln vergrößern und vervollkommnen, in jeder Richtung, durch jede Idee seiner selbst, die ihm nahe gelegt wird durch das Sein, die Bewußtseins-Kraft und die Seligkeit, die in seinem tiefsten Wesen wirksam wird.

Wenn es ein Ziel, eine Vollkommenheit gibt, nach der alles strebt, kann es – beim Individuum ebenso wie bei dem Ganzen, das die Einzelnen konstituieren – nur die Vervollkommnung seines Selbst-Seins sein, seiner Macht, seines Bewußtseins und seiner Freude als Seiendes. Solange aber das individuelle Bewußtsein innerhalb der Grenzen der individuellen Gestaltung konzentriert ist, kann es keine solche Vollkommenheit haben. Eine absolute Vollkommenheit ist im Endlichen nicht erreichbar, weil sie dem Selbst-Begriff des Endlichen fremd ist. Darum ist einzig mögliches Endziel das Hervortreten des unendlichen Bewußtseins im individuellen Menschen. So entdeckt er wieder die Wahrheit von sich selbst durch Selbst-Erkenntnis und Selbst-Verwirklichung, die Wahrheit des Unendlichen im Seienden, des Unendlichen im Bewußtsein, des Unendlichen in der Freude, die er wieder in Besitz nimmt als sein eigenes Selbst und als Wirklichkeit, von der das Endliche nur Maske und Instrument ist, um es in verschiedenartiger Weise auszudrücken.

So müssen wir uns, gerade durch die Natur des Welt-Spiels, wie es von saccidananda in der ungeheuren Weite Seines als Raum und Zeit ausgebreiteten Seins verwirklicht wurde, zuerst eine Involution und Selbst-Absorption des bewußten Wesens in die Dichtigkeit und unendliche Teilbarkeit des Stoffs vorstellen. Anders kann es keine endliche Variation geben. Ferner müssen wir erkennen, wie die Kraft, die sich selbst in das geformte, in das lebendige und in das denkende Wesen einsperrte, daraus hervortritt. Schließlich sehen wir, wie das gestaltete denkende Wesen in die freie Verwirklichung seiner selbst als das Eine und Unendliche freigesetzt wird, das in der Welt sein Spiel aufführt. Durch die Befreiung erlangt es wieder die grenzenlose Seins-Bewußtseins-Seligkeit, die es jetzt schon insgeheim wirklich und ewig ist. Diese dreifache Bewegung ist der ganze Schlüssel des Welt-Rätsels.

Auf diese Weise nimmt die alte ewige Wahrheit des Vedanta die moderne, an den äußeren Erscheinungen orientierte Wahrheit der Evolution im Universum in sich auf, erleuchtet und rechtfertigt sie und zeigt uns ihre volle Bedeutung. Nur so kann diese moderne Wahrheit der Evolution, die die alte Wahrheit des Universals ist, das sich in der Aufeinanderfolge der Zeit entfaltet, ihre volle Bedeutung und Rechtfertigung finden. Durch das Studium von Kraft und Materie allein wird sie nur dunkel geschaut, sie erleuchtet sich selbst durch das Licht der alten ewigen Wahrheit, die für uns noch in den vedantischen Schriften aufbewahrt ist. Dieser gegenseitigen Selbst-Entdeckung und Selbst-Erleuchtung durch die Verschmelzung alter östlicher und neuer westlicher Erkenntnis wendet sich heute das Denken der Welt zu.

Dennoch ist noch nicht alles erklärt, wenn wir gefunden haben, alle Dinge sind saccidananda. Wir erkennen zwar die Wirklichkeit des Universums, kennen aber nicht den Prozeß, durch den sich diese Wirklichkeit in diese Welt der Erscheinung verwandelt hat. Wir besitzen zwar den Schlüssel des Rätsels, müssen aber noch das Schloß finden, in das er paßt. Denn dieses Sein, diese Bewußte Kraft, diese Freude handelt nicht unmittelbar oder mit souveräner Unverantwortlichkeit wie ein Zauberer, der Welten und Systeme des Universums durch das reine Gebot seines Wortes aufbaut. Wir nehmen einen Prozeß wahr und erkennen ein Gesetz.

Es ist wahr, daß sich bei unserer Analyse dieses Gesetz in ein Gleichgewicht des Spiels von Kräften und in eine Bestimmung dieses Spiels durch bestimmte Grundregeln aufzulösen scheint, die durch das Zusammentreffen von Entwicklung und gewohntem Ablauf früher verwirklichter Energie wirken. Diese scheinbare und sekundäre Wahrheit ist aber für uns nur so lange gültig, als wir allein Kraft wahrnehmen. Wenn wir erkennen, daß Kraft ein Selbstausdruck des Seins ist, müssen wir auch einsehen, daß die von der Kraft eingeschlagene Richtung einer Selbst-Wahrheit jenes Seins entspricht, das die konstante Kurve und Bestimmung der Kraft regiert und determiniert. Da Bewußtsein die Natur des ursprünglichen Seins und das Wesen seiner Kraft ist, muß diese Wahrheit eine Selbst-Wahrnehmung im Bewußten Seienden sein und diese Bestimmung der von der Kraft eingeschlagenen Richtung von der Macht eines selbst-dirigierenden Wissens herrühren, das dem Bewußtsein eingeboren ist und es dazu befähigt, seine Kraft unwiderstehlich auf die logische Bahn ursprünglicher Selbst-Wahrnehmung zu lenken. Also gibt es im universalen Bewußtsein eine selbst-bestimmende Macht, eine Fähigkeit im Selbst-Innesein des unendlichen Seins, eine gewisse Wahrheit in sich selbst zu erkennen und ihre Kraft zur Schöpfung auf der Linie dieser Wahrheit, die ständig über der kosmischen Manifestation waltet, zu leiten.

Warum sollten wir aber zwischen das unendliche Bewußtsein selbst und das Resultat seines Wirkens eine besondere Macht oder Befähigung einschieben? Könnte sich dieses Selbst-Innesein des Unendlichen nicht frei entfalten und Gestaltungen schaffen, die nachher solange im Spiel bleiben, als über sie kein Gebot ausgesprochen wird, das verlangt, sie sollten aufhören, - etwa so, wie uns die alte Offenbarung der Semiten berichtet: “Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht”? Wenn wir nun sagen: “Gott sprach, es werde Licht”, nehmen wir den Akt einer Bewußtseins-Macht an, die entscheidet, daß Licht aus allem anderen entstehen soll, das nicht Licht ist. Wenn wir weiter sagen: “und es ward Licht”, setzen wir eine lenkende Kraft voraus, eine aktive Macht, die der ursprünglichen, wahrnehmenden Macht entspricht und das Phänomen hervortreten läßt. Da sie Licht gemäß der ursprünglichen Wahrnehmung herausarbeitet, verhindert sie, daß es von all den unendlichen Möglichkeiten überwältigt wird, die anders sind als es. Ein unendliches Bewußtsein kann in seiner unendlichen Aktion nur unendliche Resultate zustande bringen. Um auf der Grundlage einer feststehenden Wahrheit oder einer Ordnung von Wahrheiten eine Welt in Übereinstimmung mit dem zu errichten, was festgelegt ist, ist eine auswählende Kraft des Wissens erforderlich, die den Auftrag hat, eine endliche Erscheinung aus der unendlichen Wirklichkeit zu gestalten.

Diese Macht war den vedischen Sehern unter dem Namen maya bekannt. Für sie bedeutet maya die Macht unendlichen Bewußtseins, aus der unermeßlichen, unbegrenzten Wahrheit unendlichen Seins Namen und Gestalt zu begreifen, in sich zu enthalten und abzugrenzen, d. h. zu formen – denn Form ist Abgrenzung. So wird durch maya jene statische Wahrheit des wesenhaft Seienden zur geordneten Wahrheit des aktiv Seienden, oder – in einer mehr metaphysischen Sprache – aus dem Höchsten Wesen, in dem alles ohne die Schranke eines trennenden Bewußtseins alles ist, tritt das phänomenale Dasein hervor, in dem alles in jedem einzelnen und jeder einzelne in allem ist, für das Spiel des Seins mit dem Sein, des Bewußtseins mit dem Bewußtsein, der Kraft mit der Kraft und der Seligkeit mit der Seligkeit. Dieses Spiel aller im einzelnen und jedes einzelnen in allem wird anfangs vor uns verborgen durch das mentale Spiel oder die Illusion von maya, das den einzelnen zwar davon überzeugt, daß er in allem ist, daß aber nicht alle in ihm seien, daß er unter allen als ein abgesondertes Wesen lebe, nicht aber als ein Wesen, das immer untrennbar eins ist mit dem übrigen Dasein. Später müssen wir aus diesem Irrtum in das supramentale Spiel oder in die Wahrheit von maya kommen, wo “jeder einzelne” und “alle” in der untrennbaren Einheit der einen Wahrheit und des vielfältigen Symbols zusammen existieren. Zuerst müssen wir diese niedere, gegenwärtige und täuschende mentale maya akzeptieren, um sie dann zu überwinden. Es ist Gottes Spiel mit Zerteilung, Finsternis und Begrenzung, mit Begehren, Widerstreit und Leiden, in dem Er Sich Selbst der Kraft unterstellt, die aus Ihm Selbst hervorging und Ihm ihre unerleuchtete Art als Leiden der Verfinsterung auferlegt. An jener anderen maya, die durch diese mentale maya verborgen ist, müssen wir zuerst vorübergehen. Später müssen wir sie völlig annehmen, denn sie ist Gottes Spiel der Unendlichkeiten des Seins, der Herrlichkeiten des Wissens, der Wunder der bemeisterten Kraft und der Entzückungen unbegrenzter Liebe, bei dem Er aus der Umschlingung durch die Kraft frei hervortritt, statt dessen nun sie umarmt und in ihr, der erleuchteten, das zur Erfüllung bringt, wofür sie am Anfang aus Ihm hervorgegangen war.

Diese Unterscheidung zwischen niederer und höherer maya ist in Denken und kosmischer Tatsache das Band, das die pessimistischen und illusionistischen Philosophien übersehen oder mißachten. Für sie ist die mentale maya – oder vielleicht ein Übermental – die Schöpferin der Welt. Eine von mentaler maya erschaffene Welt wäre tatsächlich ein unerklärliches Paradoxon und ein zwar formulierter aber ungreifbar fließender Albdruck bewußten Seins, das man weder als Illusion noch als Wirklichkeit bezeichnen kann. Wir müssen einsehen, daß das Mental nur der Begriff einer Stufe zwischen dem schöpferischen lenkenden Wissen und der in ihre Werke eingesperrten Seele ist. Saccidananda, durch eine Seiner niederen Bewegungen in selbst-vergessene Inanspruchnahme jener Kraft verwickelt, die sich in die Gestalt ihrer eigenen Wirkensweisen verloren hat, kehrt aus dieser Selbst-Vergessenheit zu Sich Selbst zurück. Das Mental ist nur eines Seiner Instrumente beim Herniederkommen und Emporsteigen. Es ist ein Instrument der niederkommenden Schöpfung, aber nicht die verborgene Schöpferin – eine Übergangsstufe beim Emporsteigen, nicht die hohe Quelle unseres Ursprungs und der höchste Zielbegriff kosmischen Seins.

Jene Philosophien, die allein das Mental als Schöpfer der Welten anerkennen oder ein ursprüngliches Prinzip annehmen, wobei das Mental der einzige Vermittler zwischen ihm und den Gestaltungen des Universums ist, können in die rein nominalistischen und die idealistischen Philosophien eingeteilt werden. Die rein nominalistischen erkennen im Kosmos nur das Werk des Mentals, des Denkens, der Idee an. Idee kann aber rein willkürlich sein und braucht keine wesenhafte Beziehung zu einer wirklichen Wahrheit des Seins zu haben. Oder eine solche Wahrheit kann, wenn sie überhaupt existiert, als reines Absolutes angesehen werden, das erhaben über allen Beziehungen schwebt und unvereinbar ist mit einer Welt von Beziehungen. Die idealistische Deutung setzt eine Beziehung zwischen der Wahrheit im Hintergrund und der von ihr konzipierten Welt der Erscheinung im Vordergrund voraus, die Beziehung nicht nur einer Antinomie und Opposition. Die von mir hier dargestellte Anschauung geht in der Richtung des Idealismus weiter. Sie erkennt die schöpferische Idee als Real-Idee an, als eine Macht Bewußter Kraft, die das wirkliche Wesen zum Ausdruck bringt, aus dem wirklichen Wesen geboren ist und an seiner Natur teilnimmt, die also weder ein Kind der Leere ist noch ein Webmeister von Fiktionen. Sie ist bewußte Wirklichkeit, die sich in veränderliche Formen ihrer eigenen unvergänglichen und unveränderlichen Substanz ausprägt. Darum ist die Welt keine Begriffs-Fiktion im universalen Mental, sondern eine bewußte Geburt aus Jenem, das jenseits des Mentals existiert, in Gestaltungen aus Jenem selbst. Eine Wahrheit von bewußtem Wesen stützt und erhält diese Gestaltungen und bringt sich in ihnen zum Ausdruck, und das so ausgedrückte, dieser Wahrheit entsprechende Wissen regiert als supramentales Wahrheits-Bewußtsein,1 indem es reale Ideen in einer vollkommenen Harmonie organisiert, bevor sie in die mental-vital-materielle Prägeform gegossen werden. Mental, Leben und Körper sind ein untergeordnetes Bewußtsein und partieller Ausdruck. Sie streben danach, in der Art einer wandelbaren Evolution zu jenem übergeordneten Ausdruck ihres Selbst zu gelangen, der schon im Jenseits-des-Mentals vorhanden ist. Was in jenem Jenseits-des-Mentals existiert, ist das Ideal, das zu realisieren das Mental sich unter seinen eigenen Bedingungen abmüht.

Unter dem Gesichtspunkt unseres Emporsteigens können wir sagen: Das Wirkliche steht hinter allem, was existiert. Es bringt sich selbst mittelbar in einem Ideal zum Ausdruck, das eine harmonisierte Wahrheit seiner selbst ist. Das Ideal projiziert eine phänomenale Wirklichkeit von veränderlichem Bewußt-Seiendem nach außen, die unwiderstehlich zu ihrer eigenen wesenhaften Wirklichkeit hingezogen wird und versucht, diese zuletzt wieder vollständig zu erlangen, entweder durch einen gewaltigen Sprung oder, normalerweise, durch das Ideal, das sie hervorbrachte. Diese Tatsache erklärt die unvollkommene Wirklichkeit des menschlichen Daseins, wie sie vom Mental geschaut wird, und das instinktive Streben im mentalen Wesen zu einer Vervollkommnung immer jenseits seiner selbst, zu der verborgenen Harmonie des Ideals und zu dem höchsten Aufschwung des Geistes über das Ideal hinaus zum Transzendenten. Die wirklichen Tatsachen unseres Bewußtseins, seine Konstitution und sein Bedürfnis setzen eine solche dreifache Ordnung voraus. Sie verneinen die zweite, unversöhnliche Antithese eines bloßen Absoluten gegenüber einer bloßen Relativität.

Das Mental reicht nicht hin, das Sein im Universum zu erklären. Unendliches Bewußtsein muß sich zuerst in unendliche Kraft zum Wissen übertragen oder, wie wir es von unserem Gesichtspunkt aus nennen, Allwissenheit. Das Mental ist aber keine Befähigung zum Wissen und auch kein Instrument der Allwissenheit. Es besitzt die Fähigkeit, nach Wissen zu suchen, in gewissen Formen relativen Denkens so viel davon auszudrücken, wie es erlangen kann, und es zu gewissen Leistungen des Handelns zu verwenden. Selbst wenn das Mental etwas findet, besitzt es dieses doch nicht. Es kann sich immer nur ein gewisses Kapital an gängiger Münze der Wahrheit, jedoch nie die Wahrheit selbst, in der Bank des Gedächtnisses halten, um je nach seinen Bedürfnissen davon abzuheben. Denn das Mental ist etwas, das nicht weiß, sondern zu wissen trachtet, und das niemals direkt, sondern nur indirekt weiß “wie in einem dunklen Spiegel”. Es ist die Macht, die die Wahrheit des universalen Seins für die praktischen Verwendungen in einer gewissen Ordnung der Dinge interpretiert. Es ist nicht die Macht, die jenes Sein kennt oder lenkt. Darum kann es auch nicht die Macht sein, die es erschaffen und manifestiert hat.

Setzen wir aber ein unendliches Mental voraus, frei von unseren Einschränkungen, könnte das nicht vielleicht der Schöpfer des Universums sein? Ein solches Mental wäre aber etwas von der Definition des Mentals, wie wir es kennen, völlig Verschiedenes. Es wäre etwas jenseits der Mentalität. Es wäre die supramentale Wahrheit. Ein unendliches Mental, konstruiert nach den Begriffen der Mentalität, wie wir sie kennen, könnte nur ein unendliches Chaos erschaffen, einen ungeheuren Zusammenprall von Zufällen, Unfällen, Wechselfällen. Es würde sich immer auf ein unbestimmtes Ziel hin bewegen, nach dem es mit unsicherem Suchen tastet und strebt. Ein unendliches, allwissendes und allmächtiges Mental wäre überhaupt kein Mental. Es wäre supramentales Wissen.

Mental, wie wir es kennen, ist ein reflektierender Spiegel, der Darstellungen oder Bilder einer prä-existenten Wahrheit oder Tatsache empfängt, die für es etwas außerhalb von ihm Befindliches, zumindest etwas viel Umfassenderes ist als es selbst. Es vergegenwärtigt sich von Augenblick zu Augenblick das Phänomen, das ist oder gewesen ist. Es besitzt auch die Fähigkeit, in sich selbst mögliche Bilder zu konstruieren, die anders sind als die ihm dargebotene aktuelle Tatsache. Das bedeutet, es kann sich nicht nur das Phänomen vergegenwärtigen, das gewesen ist, sondern auch ein Phänomen, das sein könnte. Dabei ist zu beachten, daß es sich kein Phänomen vergegenwärtigen kann, das mit aller Sicherheit eintreten muß, außer wenn es eine sichere Wiederholung dessen ist, was jetzt ist oder schon gewesen ist. Schließlich hat es noch die Fähigkeit, neue Abwandlungen vorauszusagen, die es aus dem Zusammentreffen von dem, was gewesen ist, und dem, was kommen mag, zu konstruieren sucht: aus der erfüllten und der noch unerfüllten Möglichkeit. Solche Konstruktionen gelingen ihm manchmal mehr oder weniger genau. Manchmal verwirklichen sie sich aber gar nicht. Gewöhnlich findet es sie dann in anderen Formen ausgeprägt, als es sie vorausgesehen hatte, und daß sie zu anderen Zwecken dienen müssen, als es wünschte oder beabsichtigte.

Ein unendliches Mental dieses Charakters könnte vielleicht einen verhängnisvollen Kosmos aus einander widerstreitenden Möglichkeiten konstruieren; es könnte ihn in etwas Veränderliches, immer Vorübergehendes, in seinem Dahintreiben immer Ungewisses gestalten, das weder wirklich noch unwirklich ist und kein definitives Ziel und keinen endgültigen Zweck besitzt, nur eine endlose Aufeinanderfolge von zeitbedingten Zielen wäre, die schließlich nirgendwohin führt, – da es keine übergeordnete lenkende Macht des Wissens gibt. Der einzige logische Schluß aus einer solchen reinen Ideen-Lehre ist Nihilismus oder Illusionismus oder eine verwandte Weltanschauung. Ein so konstruierter Kosmos wäre eine Darstellung oder Widerspiegelung von etwas, das nicht selbst ein Kosmos ist, sondern immer und bis zum Ende eine falsche Darstellung, eine verzerrte Spiegelung. Die gesamte kosmische Existenz wäre ein Mental, das danach ringt, seine eigenen Phantasien vollständig auszuarbeiten, damit aber versagt, weil diese keine zwingende Grundlage in einer Wahrheit des Selbsts besitzen. Überwältigt und vorwärtsgerissen vom Strom seiner eigenen vergangenen Energien, würde es unbestimmt für immer ohne Zweck und Ziel weiter dahingetragen werden, wenn es nicht oder bis es sich entweder selbst vernichtet oder in ewige Stille versinken kann. Das ist, bis an die Wurzeln zurückverfolgt, Nihilismus und Illusionismus, und es ist die einzige Weisheit, wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, unsere menschliche Mentalität oder überhaupt etwas wie sie stelle die höchste kosmische Kraft und die ursprüngliche Konzeption dar, die im Universum am Werk ist.

Jedoch wird von dem Augenblick an, wo wir in der ursprünglichen Macht des Wissens eine höhere Kraft entdecken als die durch unsere menschliche Mentalität dargestellte, diese Auffassung des Universums unzureichend und darum ungültig. In ihr liegt zwar eine Wahrheit, doch nicht die ganze Wahrheit. Sie ist ein Gesetz der unmittelbaren Erscheinung des Universums, aber nicht das seiner ursprünglichen Wahrheit und letzten Tatsächlichkeit. Denn wir nehmen hinter dem Wirken von Mental, Leben und Körper etwas wahr, das nicht vom Strom der Kraft umfaßt wird, sondern diesen in sich einbezieht und kontrolliert. Dieses Umfassende wurde nicht in eine Welt hineingeboren, die es zu interpretieren sucht, sondern es hat in seinem Wesen eine Welt erschaffen, deren Allwissenheit es besitzt. Es müht sich nicht ständig ab, etwas aus sich zu gestalten, um dabei selbst auf den es überwältigenden Wogen vergangener Energien, die es nicht mehr kontrollieren kann, dahingetrieben zu werden. Vielmehr trägt es in seinem Bewußtsein bereits eine vollkommene Form seiner selbst, die es hier stufenweise entfaltet. Die Welt ist der Ausdruck einer vorausgeschauten Wahrheit, gehorcht einem vorausbestimmenden Willen, verwirklicht eine ursprüngliche gestaltende Selbst-Schau – sie ist das immer deutlicher hervortretende Ebenbild einer göttlichen Schöpfung.

Solange wir nur durch unsere von den Erscheinungen beherrschte Mentalität wirken, kann das, was jenseits von uns, hinter uns und doch uns immanent wirkt, nur eine indirekte Schlußfolgerung sein oder vage als eine Gegenwart gefühlt werden. Wir nehmen ein Gesetz zyklischen Fortschritts wahr und schließen daraus indirekt auf eine zunehmende Vervollkommnung von etwas, das irgendwo vorausgewußt wird. Denn wir sehen überall ein Gesetz, das im Selbst-Seienden gegründet ist, und finden, wenn wir in den rationalen Grund seines Verfahrens eindringen, daß dieses Gesetz der Ausdruck eines eingeborenen Wissens ist, das ursprünglich dem Sein innewohnt, das aus dem Sein selbst hervortritt und in der Kraft enthalten ist, die es ausdrückt. Ein Gesetz, das durch Wissen so entfaltet wird, daß es Fortschritt zuläßt, setzt ein göttlich geschautes Ziel voraus, zu dem die Bewegung hingelenkt wird. Außerdem sehen wir, daß unsere Vernunft aus dem hilflosen Getriebensein durch unsere Mentalität herauszukommen und Herr über sie zu werden versucht. Dabei kommen wir zu der Erkenntnis, daß Vernunft nur Bote, Stellvertreter oder Schatten eines höheren Bewußtseins ist, das jenseits von ihr existiert und für sich den Vernunftgebrauch gar nicht nötig hat, da es alles ist und alles weiß, was es ist. Von da aus können wir weiter schließen, diese Quelle der Vernunft sei mit dem Wissen identisch, das als Gesetz in der Welt wirkt. Dieses Wissen bestimmt souverän sein eigenes Gesetz, weil es weiß, was gewesen ist, was ist und was sein wird. Es weiß das, weil es ewig ist und sich selbst ohne Grenzen kennt. So wird Seiendes, das unendliches Bewußtsein ist, und unendliches Bewußtsein, das allmächtige Kraft ist, wenn es eine Welt – das heißt eine Harmonie seiner selbst - zum Gegenstand von Bewußtsein macht, für unser Denken als ein kosmisches Sein erkennbar, das seine eigene Wahrheit weiß und in Gestaltungen verwirklicht, was es weiß.

Dieses andere Bewußtsein wird aber für uns erst dann wirklich offenbar, wenn wir aufhören, uns allein auf die Vernunft zu verlassen, und tief in unser Inneres eindringen, in jenen geheimen Bereich, wo die Aktivität des Mentals stillgelegt ist – auch wenn diese Manifestation noch unvollkommen ist, weil wir so lange an die mentale Reaktion und Beschränktheit gewöhnt sind. Wir können nun in wachsender Erleuchtung und Gewißheit das erkennen, was wir nur unsicher im blassen, flackernden Licht der Vernunft wahrgenommen hatten. Wissen wartet auf uns; sein Sitz ist jenseits von Mental und intellektuellem Vernunft-Denken, sein Thron steht in den leuchtenden Weiten unbegrenzbarer Selbst-Schau.

 

1 Ich übernehme den Ausdruck aus dem Rig Veda, rta-cit, in der Bedeutung: Bewußtsein der wesenhaften Wahrheit des Seienden ( satyam ), der geordneten Wahrheit des aktiven Seienden ( rtam ) und des unendlichen Selbstinneseins ( brhat ), in dem allein dieses Bewußtsein möglich ist.

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