Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XVI. Der dreifache Status des Supramentals
Mein Selbst ist das,
was alle Wesen fördert und ihr Dasein begründet... Ich bin das Selbst, das in
allen Wesen wohnt.
Gita, IX. 5., X.20.
Drei Mächte von Licht stützen drei leuchtende göttliche Welten.
Rig Veda, V. 29.1.
Bevor wir zu dieser leichter verständlichen Deutung der Welt, die wir bewohnen, vom Standpunkt eines wahrnehmenden Wahrheits-Bewußtseins übergehen, das die Dinge so sieht, wie eine individuelle Seele sie schauen würde, die von den mentalen Begrenzungen befreit und zugelassen ist zur Teilnahme am Wirken des Göttlichen Supramentals, müssen wir innehalten und kurz zusammenfassen, was wir vom Bewußtsein des Herrn, des ishvara, erkannt haben und noch erkennen können, wie Er die Welt durch Seine maya aus der ursprünglichen konzentrierten Einheit Seines Wesens zur Entfaltung bringt.
Wir sind von der Feststellung ausgegangen, daß alles,
was ist, ein einziges Sein ist, dessen wesenhafte Natur Bewußtsein ist. Die
aktive Natur dieses einen Bewußtseins ist Kraft oder Wille. Dieses Sein ist
tiefe Freude, dieses Bewußtsein ist tiefe Freude, diese Kraft oder dieser Wille
ist tiefe Freude. Ewige, unveränderliche Seligkeit von Sein, Seligkeit von
Bewußtsein, Seligkeit von Kraft oder Wille, – ob diese in sich selbst
konzentriert und in Ruhe oder ob sie aktiv und schöpferisch ist, – das ist Gott
und das sind wir selbst in unserem wesenhaften, nicht-phänomenalen Sein. Wenn es
in sich selbst konzentriert ist, besitzt oder besser ist es die wesenhafte,
ewige, unveränderliche Seligkeit. Ist es aktiv und schöpferisch, besitzt es oder
besser wird es zur seligen Freude des Spiels von Sein, des Spiels von
Bewußtsein, des Spiels von Kraft und Willen. Das Spiel ist das Universum, und
die Seligkeit ist einzig und allein Ursache, Motiv und Zweck kosmischen Daseins.
Das Göttliche Bewußtsein besitzt in sich dieses Spiel und diese Seligkeit ewig
und unveränderlich. Unser wesenhaftes Sein, unser wirkliches Selbst, das vor uns
durch das falsche Selbst, das mentale Ich, verborgen ist, erfreut sich ebenso
ewig und unveränderlich dieses Spiels und dieser Seligkeit.
Es kann gar nicht anders, da es im Wesen eins ist mit dem Göttlichen Bewußtsein.
Wenn wir also ein göttliches Leben erstreben, können wir es auf keinem anderen
Weg erlangen, als daß wir dieses verhüllte Selbst in uns enthüllen, daß wir uns
aus unserem gegenwärtigen Status im falschen Selbst oder mentalen Ich in einen
höheren Status, in das wahre Selbst, das atman, erheben, indem wir in die
Einheit mit jenem Göttlichen Bewußtsein eingehen, an dem sich etwas Überbewußtes
in uns immer erfreut – sonst könnten wir gar nicht existieren –, das aber unsere
bewußte Mentalität verwirkt hat.
Wenn wir aber dergestalt einerseits die Einheit von saccidananda und die zerteilte Mentalität andererseits feststellen, richten wir zwei entgegengesetzte Bereiche auf, von denen der eine falsch sein muß, wenn man den anderen für wahr halten, der eine beseitigt werden muß, wenn man sich am anderen erfreuen will. Nun existieren wir aber auf Erden im Mental und in seiner Form von Leben und Körper, und göttliches Leben wäre hier unmöglich, wenn wir das Bewußtsein von Mental, Leben und Körper abschaffen müßten, um das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit zu erlangen. Wir müßten dann die kosmische Existenz als Illusion aufgeben, um das Transzendente zu genießen oder es wieder zu werden. Hier gibt es ein Entrinnen nur, wenn es ein Vermittlungsglied zwischen beiden gibt, das sie einander erklären und zwischen ihnen eine solche Beziehung herstellen kann, die es uns ermöglicht, das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit in der Gestalt von Mental, Leben und Körper zu verwirklichen.
Dieses Verbindungsglied existiert. Wir nennen es das
Supramental oder das Wahrheits-Bewußtsein, weil es ein der Mentalität
übergeordnetes Prinzip ist und in der fundamentalen Wahrheit und in der Einheit
der Dinge und nicht, wie das Mental, in deren Erscheinungsformen und
phänomenalen Zerteilungen existiert, handelt und vorwärtsgeht. Die Existenz des
Supramentals ist eine logische Notwendigkeit, die sich unmittelbar aus unserer
Ausgangsposition ergibt. Denn saccidananda muß an sich ein raumloses und
zeitloses Absolutes bewußten Seins sein, das Seligkeit ist. Die Welt ist jedoch
im Gegensatz dazu eine Ausdehnung in Zeit und Raum und eine Bewegung,
Ausarbeitung und Entfaltung von Beziehungen und Möglichkeiten durch Kausalität –
oder durch das, was uns als solche erscheint – in Zeit und Raum. Der wahre Name
für diese Kausalität ist Göttliches Gesetz. Das Wesentliche dieses Gesetzes ist
eine unbeirrbare Selbst-Entfaltung der Wahrheit der Sache, die, als Idee, im wahren Wesen dessen enthalten ist, was entwickelt
wird. Es ist eine im voraus festgelegte Bestimmung relativer Bewegungen aus dem
Stoff unendlicher Möglichkeit. Was alle Dinge so zur Entfaltung bringt, muß ein
Wissens-Wille oder eine bewußte Kraft sein; denn die gesamte Manifestation des
Universums ist ein Spiel der Bewußten Kraft, die die wesenhafte Natur des Seins
ist. Aber der entfaltende Wissens-Wille kann nicht mental sein; denn das Mental
kennt, besitzt und lenkt dieses Gesetz nicht, vielmehr wird es selbst durch es
regiert, ist eines seiner Resultate, bewegt sich innerhalb der Erscheinungen der
Selbst-Entfaltung und nicht an ihrer Wurzel, beobachtet die Ergebnisse der
Entfaltung als getrennte Dinge und ringt vergebens darum, zu ihrem Ursprung und
ihrer Wirklichkeit zu gelangen. Außerdem muß dieser Wissens-Wille, der alles zur
Entwicklung bringt, im Besitz der Einheit der Dinge sein und aus ihr deren
Vielfalt manifestieren. Das Mental ist aber nicht im Besitz jener Einheit. Es
verfügt nur über einen unvollkommenen Besitz eines Teils der Vielfalt.
Darum muß ein dem Mental übergeordnetes Prinzip vorhanden sein, das die Bedingungen erfüllt, vor denen das Mental versagt. Zweifellos ist saccidananda selbst dieses Prinzip, aber nicht jenes, das in seinem reinen unendlichen unveränderlichen Bewußtsein ruht, sondern jenes, das aus diesem ursprünglichen Status der Ruhe heraustritt oder sich auf ihn als seine Grundlage stellt, in ihm wie in einem Behältnis verbleibt und in eine Bewegung eingeht, die seine Form von Energie und sein Instrument für kosmische Schöpfung ist. Bewußtsein und Kraft sind die wesenhaften Zwillingsaspekte der reinen Macht des Seins. Wissen und Wille müssen darum die Form sein, die jene Macht in der Ausdehnung von Zeit und Raum annimmt, um eine Welt gegenseitiger Beziehungen zu erschaffen. Dieses Wissen und dieser Wille müssen eins sein, unendlich, allumfassend, allbesitzend, allgestaltend, sie müssen ewig in sich festhalten, was saccidananda in Bewegung und Gestalt ausprägt. So ist also das Supramental ein Wesen, das nach außen in ein bestimmendes Selbst-Wissen hinaustritt, das gewisse Wahrheiten seiner selbst wahrnimmt und sie in einer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung seines eigenen zeitlosen und raumlosen Seins realisieren will. Was in seinem eigenen Wesen enthalten ist, nimmt Form an als Selbst-Wissen, als Wahrheits-Bewußtsein, als Real-Idee; da dieses Selbst-Wissen auch Selbst-Kraft ist, erfüllt und verwirklicht es sich unvermeidlich in Zeit und Raum.
Das ist also die Natur
des Göttlichen Bewußtseins, das in sich selbst alle Dinge durch eine Bewegung
seiner bewußten Kraft erschafft und ihre Entwicklung durch Selbst-Evolution
mittels eines eingeborenen Wissens-Willens der Wahrheit des Seins oder der
Real-Idee regiert, die jene gebildet hat. Das Wesen, das auf diese Weise um sich
selbst weiß, nennen wir Gott. Offensichtlich muß Er allgegenwärtig, allwissend
und allmächtig sein. Allgegenwärtig, denn alle Formen sind Gestaltungen Seines
bewußten Wesens, durch dessen Kraft der Bewegung in seiner eigenen Ausdehnung
als Raum und Zeit erschaffen; allwissend, denn alle Dinge existieren in Seinem
bewußten Wesen, sind durch es geformt und werden in seinem Besitz behalten;
allmächtig, denn dies alles besitzende Bewußtsein ist auch eine alles besitzende
Kraft und ein alles gestaltender Wille. Dieser Wille und dieses Wissen liegen
nicht miteinander im Kampf, wie unser Wille und unser Wissen einander
widerstreiten können, denn sie sind nicht verschieden, sondern eine einzige
Bewegung desselben Wesens. Gegen sie kann kein anderer Wille, keine andere Kraft
und kein anderes Bewußtsein von außen oder innen her Widerspruch erheben, denn
es gibt kein Bewußtsein und keine Kraft, die außerhalb von dem Einen wäre, und
alle Energien und Gestaltungen von Wissen in ihm sind nichts anderes als das
Eine. Sie sind nur ein Spiel des einen alles bestimmenden Willens und des einen
alles harmonisierenden Wissens. Was wir als Zusammenprall verschiedener
Willenstendenzen und Kräfte sehen – da wir ja im Gesonderten und Zertrennten
leben und das Ganze nicht schauen können –, betrachtet das Supramental als die
konspirierenden Elemente einer im voraus bestimmten Harmonie, die ihm immer
gegenwärtig ist, denn das Ganze der Dinge wird ewig von seinem Blick umfaßt.
Welche Balance der Kräfte oder Form sein Wirken auch
annimmt, es wird immer von der Art des göttlichen Bewußtseins sein. Da aber sein
Sein in sich selbst absolut ist, ist auch seine Seins-Macht in ihrer Ausdehnung
absolut und darum nicht auf eine einzige Kräfte-Balance oder Form von Wirken
begrenzt. Wir menschlichen Wesen sind nach unserer äußeren Erscheinung eine
besondere Gestaltung von Bewußtsein. Wir sind Zeit und Raum unterworfen. Wir
können darum in unserem vordergründigen Bewußtsein – das alles ist, was wir von
uns selbst kennen – zur gleichen Zeit nur ein einziges Ding, eine Formation, ein
Kräfte-Gleichgewicht des Wesens, ein Aggregat von Erfahrung sein. Dies eine ist für uns die Wahrheit unserer selbst, die wir anerkennen. Alles
übrige ist entweder nicht wahr, oder es ist nicht mehr wahr, denn es ist aus
unserem Gesichtskreis in die Vergangenheit entschwunden; oder es ist noch nicht
wahr, weil es noch in der Zukunft wartet und nicht im Horizont unseres Erkennens
liegt. Das göttliche Bewußtsein ist aber nicht so spezialisiert und nicht so
begrenzt. Es kann zur selben Zeit viele Dinge zugleich sein und mehr gestalten
als nur ein Kräfte-Gleichgewicht auf Dauer oder sogar für alle Zeiten. Wir
finden im Prinzip des Supramentals selbst drei solcher allgemeinen
Kräfte-Gleichgewichte oder Grundformen für sein die Welt begründendes
Bewußtsein. Die erste begründet die unveränderliche Einheit der Dinge. Die
zweite modifiziert diese Einheit, um die Manifestation der Vielen im Einen und
des Einen in Vielen zu fördern und zu erhalten. Die dritte modifiziert es noch
weiter, um die Evolution einer unterschiedlichen Individualität zu unterstützen,
die in uns, durch das Wirken der Unwissenheit, auf einer niederen Ebene zur
Illusion des gesonderten Ichs wird.
Wir haben gesehen, welches die Natur dieses ersten und
primären Kräfte-Gleichgewichts des Supramentals ist, das die unveränderliche
Einheit der Dinge begründet. Es ist nicht das reine unitarische Bewußtsein. Denn
das ist eine zeit- und raumlose Konzentration von saccidananda in sich
selbst, in der sich die Bewußte Kraft nicht in irgendeine Art von Ausbreitung
verausgabt: Wenn sie überhaupt das Universum in sich enthält, besitzt sie es in
ewiger Potenz, nicht in zeitlicher Aktualität. Im Gegensatz dazu ist es eine
gleichmäßige Selbst-Ausdehnung von saccidananda, die alles zusammenfaßt,
alles besitzt und alles konstituiert. Dies alles ist aber Eines, nicht eine
Vielzahl. Es gibt keine Individualisierung. Wenn der Widerschein des
Supramentals auf unser stillgelegtes und geläutertes Selbst fällt, verlieren wir
jedes Empfinden von Individualität. Denn hier gibt es keine Konzentration von
Bewußtheit, die eine individuelle Entfaltung unterstützen könnte. Alles ist in
der Einheit und als eines entfaltet. Alles wird durch dieses göttliche
Bewußtsein als Gestaltung seines Seins, nicht als gesonderte Existenzen
zusammengehalten. Das ist etwa so, wie uns die in unserem Mental auftauchenden
Gedanken und Bilder nicht als gesonderte Wesenheiten vorkommen, sondern als
Gestaltungen, die von unserem Bewußtsein gebildet wurden. So ist es auch mit
allen Namen und Formen in bezug auf dieses primäre Supramental. Das ist reine
göttliche Ideen-Bildung und Gestaltung im Unendlichen, aber eine Ideation und Gestaltung, die nicht wie ein unwirkliches Spiel mentalen
Denkens organisiert ist, sondern als wirkliches Spiel bewußten Wesens. Im diesem
Kräfte-Ausgleich würde die göttliche Seele keinen Unterschied zwischen Bewußter
Seele und Kraft-Seele machen, denn alle Kraft wäre ein Wirken von Bewußtsein.
Auch würde sie nicht zwischen Materie und Geist unterscheiden, denn jede
materielle Prägeform wäre einfach Form von Geist.
Bei dem sekundären Kräfte-Gleichgewicht des
Supramentals tritt das göttliche Bewußtsein in der Idee hinter die Bewegung
zurück, die es enthält. Es verwirklicht sie durch eine Art verstehenden
Bewußtseins, es folgt ihr, nimmt sie in Besitz und bewohnt ihre Werke, es
scheint sich selbst in ihre Gestaltungen zu verteilen. In jedem Namen und jeder
Form würde es sich als das stabile Bewußte Selbst, als dasselbe in allem
verwirklichen. Aber es würde sich auch als eine Konzentration von Bewußtem
Selbst realisieren, das dem individuellen Spiel von Bewegung folgt, es fördert
und dessen Differenzierung von anderem Bewegungs-Spiel stützt, – dabei in der
Seelen-Wesenheit überall dasselbe sein, doch verschieden in der Seelen-Form.
Diese Konzentration, die die Seelen-Form fördert, wäre das individuelle
Göttliche Wesen, jivatman, im Unterschied zum universalen Göttlichen
Wesen oder dem einen alles konstituierenden Selbst. Da würde es keinen
wesenhaften Unterschied geben, nur einen praktischen für das Spiel, der die
wahre Einheit nicht aufheben würde. Das universale Göttliche Wesen würde alle
Seelen-Gestaltungen als sich selbst anerkennen und trotzdem eine
unterschiedliche Beziehung zu jeder getrennt und ebenso auch in jeder zu allen
anderen unterhalten. Das individuelle Göttliche Wesen würde sein Sein als eine
Seelen-Form und Seelen-Bewegung des Einen ansehen und einerseits durch das
umfassend verstehende Wirken von Bewußtsein seine Einheit mit dem Einen und mit
allen Seelen-Gestaltungen genießen, andererseits auch durch ein nach vorwärts
und nach außen gerichtetes wahrnehmendes Wirken seine individuelle Bewegung
unterstützen und sich in ihr seiner Beziehungen einer freien Unterschiedlichkeit
in Einheit sowohl zu dem Einen wie auch zu allen seinen Gestaltungen erfreuen.
Würde unser geläutertes Mental dieses sekundäre Kräfte-Gleichgewicht des
Supramentals widerspiegeln, unsere Seele könnte ihr individuelles Dasein fördern
und besitzen und sich gerade darin als das Eine realisieren, das zu allen
geworden ist, alle bewohnt und alle in sich enthält. Sie könnte gerade in ihrer
besonderen Gestaltung ihre Einheit mit Gott und
ihren Mitmenschen pflegen. In keinem anderen Zustand supramentalen Seins würde
eine charakteristische Veränderung eintreten. Die einzige Veränderung wäre
dieses Spiel des Einen, das seine Vielfalt manifestiert, und der Vielen, die
immer noch eines sind, mit allem, das nötig ist, um dieses Spiel in Gang zu
halten und durchzuführen.
Ein tertiärer Kräfte-Ausgleich des Supramentals würde eintreten, wenn die zugrunde liegende Konzentration sozusagen nicht länger im Hintergrund der Bewegung stehen, sie mit einer gewissen Überlegenheit bewohnen, ihr in dieser Weise nachfolgen und sich an ihr freuen würde, sondern es sich selbst in die Bewegung hinausprojizieren und in gewisser Weise ihr involvieren würde. Hier würde sich der Charakter des Spiels zwar verändern, doch nur insofern, als nun das individuelle Göttliche Wesen das Spiel der Beziehungen zum Universalen und zu den anderen Gestaltungen auf so vordringliche Weise zum praktischen Feld seiner bewußten Erfahrung machen würde, daß die Realisation seiner äußersten Einheit mit ihnen nur noch eine überragende Begleiterscheinung, ständiger Höhepunkt aller Erfahrung sein würde. Im höheren Kräfte-Ausgleich wäre jedoch die Einheit noch die vorherrschende und fundamentale Erfahrung, die Variation wäre nur ein Spiel der Einheit. Das tertiäre Kräfte-Gleichgewicht wäre also eine Art fundamentalen seligen Dualismus innerhalb der Einheit – nicht mehr Einheit, die durch untergeordneten Dualismus qualifiziert wird – von individuellem Göttlichen Wesen und seinem universalen Ursprung mit allen Konsequenzen, die aus der Aufrechterhaltung und Durchführung eines solchen Dualismus entstünden.
Man kann sagen, die erste Konsequenz wäre ein
Hinabsinken in die Unwissenheit von avidya, das die Vielen als die
wirkliche Tatsache des Daseins ansieht und den Einen nur als kosmische Summe der
Vielen betrachtet. Ein solcher Absturz müßte aber nicht notwendigerweise
erfolgen. Denn das individuelle Göttliche Wesen wäre immer noch seiner selbst
bewußt als hervorgegangen aus dem Einen und seiner Macht zu bewußter
Selbst-Schöpfung, das heißt, seiner vielfältigen Selbst-Zentrierung, die so
konzipiert ist, daß das Eine sein vielfältiges Sein in der Ausdehung von Zeit
und Raum mannigfach lenken und genießen kann. Dieses wahre spirituelle
Individuum würde sich kein unabhängiges oder abgesondertes Dasein anmaßen. Es
würde nur die Wahrheit der differenzierenden Bewegung zugleich mit der Wahrheit
der feststehenden Einheit betonen und sie als
oberen und unteren Pol derselben Wahrheit und als Fundament und höchste Höhe
desselben göttlichen Spiels ansehen. Es würde Nachdruck legen auf die Freude an
der Differenzierung als notwendig für die Fülle der Freude an der Einheit.
Offenbar würden die drei Kräfte-Gleichgewichte verschiedene Wege sein, mit derselben Wahrheit umzugehen. Die dabei erlebte Freude an der Wahrheit des Seins wäre dieselbe, doch wäre die Art, sie zu genießen, oder vielmehr die Kräfte-Balance der Seele beim Genießen verschieden. Die Seligkeit, ananda, wäre verschiedenartig, sie würde aber immer innerhalb des Status des Wahrheits-Bewußtseins bleiben und nicht zum Absturz in Unwahrheit und Unwissenheit führen. Denn das sekundäre und tertiäre Supramental würde nur in den Begriffen der göttlichen Vielfalt das entwickeln und anwenden, was das primäre Supramental in den Begriffen der göttlichen Einheit enthalten hatte. Wir dürfen also keines dieser drei Kräfte-Gleichgewichte mit dem Stigma von Unwahrheit und Illusion belasten. Wenn die Upanishaden, die höchste Autorität des Altertums in bezug auf die Wahrheiten höherer Erfahrung, vom Göttlichen Sein sprechen, das sich manifestiert, setzen sie die Gleichwertigkeit all dieser Erfahrungen voraus. Wir können nur die Priorität des Einsseins gegenüber der Vielfalt betonen; das ist aber keine zeitliche, sondern bewußtseinsmäßige Priorität. Keine Aussage einer höchsten spirituellen Erfahrung, keine vedantische Philosophie bestreitet diese Priorität oder die ewige Abhängigkeit der Vielen von dem Einen. Weil die Vielen nicht in der Zeit ewig zu sein scheinen, sondern sich aus dem Einen manifestieren und wieder dorthin als in ihre Seins-Grundlage zurückkehren, wird ihnen ihre Realität bestritten. Man könnte aber mit demselben Recht folgern, die ewige Dauer oder, wenn man so will, die ewige Wiederkehr sei ein Beweis dafür, daß die göttliche Vielfalt nicht weniger eine ewige Tatsache des Höchsten jenseits der Zeit ist als die göttliche Einheit. Andernfalls könnte sie nicht die Eigenschaft unvermeidlicher ewiger Wiederkehr in der Zeit haben.
Tatsächlich ergibt sich die Notwendigkeit für diese
einander bekämpfenden Schulen der Philosophie nur aus der Tatsache, daß die
menschliche Mentalität ausschließlich auf die eine Seite der spirituellen
Erfahrung Nachdruck legt und behauptet, diese sei die einzige ewige Wahrheit,
und daß sie dies in den Begriffen unserer alles zerteilenden mentalen Logik
darstellt. Wenn wir also die alleinige Wahrheit des unitarischen
Bewußtseins betonen, beobachten wir das Spiel der göttlichen Einheit, das von
unserem Mental irrtümlich in die Begriffe einer wirklichen Differenz übersetzt
wird. Wir begnügen uns aber nicht damit, diesen Irrtum des Mentals durch die
Wahrheit eines höheren Prinzips zu korrigieren, sondern behaupten, das Spiel
selbst sei eine Illusion. Oder wir legen den Nachdruck auf das Spiel des Einen
in den Vielen und heben eine qualifizierte Einheit hervor, betrachten die
individuelle Seele als eine Seelen-Form des Höchsten, wollen so die Ewigkeit
dieses qualifizierten Daseins betonen und bestreiten dabei die Erfahrung reinen
Bewußtseins in einer unqualifizierten Einheit. Oder wir betonen allein das Spiel
der Unterschiedlichkeit, behaupten, der Höchste und die menschliche Seele seien
auf ewig verschieden, und bestreiten so die Gültigkeit einer Erfahrung, die über
diese Unterschiedlichkeit hinausgeht und sie offenbar aufhebt. Die Position, die
wir hier eingenommen haben, befreit uns von der Notwendigkeit solcher
Verneinungen und Ausschließungen: Wir sehen, daß es hinter all diesen
Behauptungen eine Wahrheit gibt. Wir erkennen zugleich die Übertreibung, die zu
einer schlecht begründeten Verneinung führt. Wir bejahen, wie wir es getan
haben, die unbedingte Absolutheit von Jenem, das durch unsere Vorstellung von
Einheit ebensowenig eingeschränkt wird wie durch unsere Ideen von Vielheit. Wir
bejahen die Einheit als Grundlage der Manifestation der Vielheit und die
Vielheit als Grundlage der Rückkehr zur Einheit und zum Erleben der Einheit in
der göttlichen Manifestation. Wir brauchen also nicht unsere jetzige Darstellung
mit diesen Diskussionen zu belasten oder die vergebliche Arbeit auf uns zu
nehmen und die absolute Freiheit des Göttlichen Unendlichen zum Sklaven unserer
mentalen Unterscheidungen und Definitionen zu machen.