Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XVIII. Mental und Supramental
Er entdeckte, daß das
Mental das brahman war.
Taittiriya Upanishad, III, 4.
Unzerteilbar, aber so als ob zerteilt in Wesen.
Gita, XVIII, 17.
Die Auffassung, die wir uns bisher zu bilden bemüht haben, begreift nur das Essentielle supramentalen Lebens, das die göttliche Seele im Wesen von saccidananda gesichert besitzt, das nun aber die menschliche Seele in diesem hier in der Prägeform eines mentalen und physischen Lebens geformten Körper von saccidananda zu manifestieren hat. Doch soweit wir dieses supramentale Sein bisher erkennen konnten, scheint es überhaupt keine Verbindung oder Entsprechung zu dem uns bekannten Leben zu haben, zum aktiven Leben zwischen den beiden Begriffen unserer normalen Existenz, den Firmamenten von Mental und Körper. Vielmehr scheint es ein Status von Wesen, Bewußtsein, aktiver Beziehung und gegenseitiger Freude zu sein, wie ihn nur körperlose Seelen besitzen und erfahren mögen in einer Welt ohne körperliche Gestaltungen, einer Welt, in der zwar die Differenzierung von Seelen vollendet ist, aber nicht die Differenzierung von Körpern, einer Welt aktiver, freudvoller Unendlichkeiten, nicht formgefangener Geister. Darum könnte man vernünftigerweise zweifeln, ob solch ein göttliches Leben in dem Dasein, wie wir es kennen, möglich sei, bei dieser Beschränkung durch Körpergestalt und dieser Einengung durch formgefangene Mentalität und formbehinderte Kraft.
Wir haben uns in der Tat darum bemüht, einen gewissen
Begriff von diesem höchsten unendlichen Wesen, der bewußten Kraft und der
Selbst-Seligkeit zu bekommen, wovon unsere Welt eine Schöpfung und unsere
Mentalität eine verzerrte Gestaltung ist. Wir versuchten, uns vorzustellen, was
diese göttliche maya, dieses Wahrheits-Bewußtsein, diese Real-Idee sein
mögen, durch die bewußte Kraft des transzendenten und universalen Seins das
Universum, die Ordnung, den Kosmos seiner manifestierten Seins-Seligkeit
entwirft, formt und lenkt. Wir haben aber nicht die Verbindungen dieser vier
großen göttlichen Begriffe mit jenen drei anderen studiert, mit denen allein
unsere menschliche Erfahrung vertraut ist:
Mental, Leben und Körper. Wir haben diese andere, scheinbar ungöttliche maya,
die die Wurze! all unseres Ringens und Leidens ist, noch nicht erforscht und
nicht gesehen, wie sie sich gerade aus der göttlichen Wirklichkeit oder der
göttlichen maya entfaltet. Solange wir das nicht getan und das fehlende
Band gewoben haben, bleibt unsere Welt noch für uns unerklärt und hat der
Zweifel, ob jenes höhere Sein mit diesem niederen Leben vereint werden kann,
immer noch eine Basis. Wir wissen, daß unsere Welt aus saccidananda
hervorgegangen ist und in Seinem Wesen ruht. Wir begreifen, daß Er in ihr als
der sie Genießende und Erkennende, als Herr und Selbst wohnt. Wir haben
gesehen, daß unsere dualen Begriffe von Empfindung, Mental, Kraft und Wesen nur
Darstellungen Seiner Seligkeit, Seiner bewußten Kraft und Seines göttlichen
Seins sein können. Doch sieht es so aus, als ob sie so sehr das Entgegengesetzte
sind zu dem, was Er wirklich und erhaben ist, daß wir die göttliche Lebensweise
nicht erlangen können, solange wir noch in der Ursache dieser Gegensätze
beheimatet und in dem niederen dreifachen Begriff des Daseins festgehalten sind.
Entweder müßten wir dieses niedere Wesen in jenen höheren Status emporheben oder
den Körper vertauschen gegen jenes reine Sein, dieses Leben gegen jenen reinen
Zustand von bewußter Kraft, diese Empfindung und Mentalität gegen jenes reine
Entzücken und Erkennen, die in der Wahrheit der spirituellen Wirklichkeit leben.
Muß das aber nicht bedeuten, daß wir alle irdische oder begrenzte mentale
Existenz für etwas aufgeben, das ihr Gegenteil ist, entweder für den reinen
Status des Geistes oder auch für eine Welt der Wahrheit der Dinge – falls sie
existiert – oder für andere Welten göttlicher Wonne, göttlicher Kraft,
göttlichen Wesens – falls sie existieren? In diesem Fall gibt es die
Vollkommenheit des Menschen nicht in der Menschheit selbst. Dann kann der
Höhepunkt der Evolution nur der herrliche Gipfel einer sich auflösenden
Mentalität sein, von dem aus sie den großen Sprung wagt: in ein formloses Wesen
oder zu Welten jenseits der Reichweite des verkörperten Mentals.
In Wirklichkeit kann aber alles, was wir ungöttlich nennen, nur ein Wirken der vier göttlichen Prinzipien selbst sein, ihres Wirkens, wie es notwendig war, um dieses Universum von Formen zu erschaffen. Diese Gestaltungen wurden nicht außerhalb sondern innerhalb des Seins der bewußten Kraft und Wonne des Göttlichen erschaffen, nicht außerhalb sondern im Wirken der göttlichen Real-Idee und als ein Teil von ihr.
Darum ist die Vermutung
grundlos, in einer Welt der Formen könne es kein wirkliches Spiel des höheren
göttlichen Bewußtseins geben, oder jene Formen und ihre unmittelbaren Stützen –
mentales Bewußtsein, Vitalkraft und geformter Stoff – müßten notwendigerweise
entstellen, was sie darstellen. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß Mental,
Körper und Leben in reiner Form in der Göttlichen Wahrheit selbst zu finden
sind, faktisch als untergeordnete Wirkensweisen ihres Bewußtseins und als Teil
der vollständigen Instrumentation, durch die die höchste Kraft stets wirkt.
Mental, Leben und Körper müssen also zur Göttlichkeit befähigt sein. Jedoch
brauchen ihre Gestaltung und ihr Wirken in der kurzen Periode von vielleicht nur
einem einzigen Zyklus der Erden-Evolution, den uns die Wissenschaft enthüllt,
nicht alle potentiellen Wirkensweisen dieser drei Prinzipien im lebenden Körper
darzustellen. Ihre jetzige Art zu wirken kommt daher, daß sie durch irgendetwas
im Bewußtsein getrennt sind von der göttlichen Wahrheit, der sie entstammen.
Würde diese Trennung einmal durch die sich in der Menschheit ausbreitende Kraft
des Göttlichen Wesens aufgehoben, könnte, ja würde ihr gegenwärtiges
Funktionieren sehr wohl durch höchste Evolution und Progression in jenes reinere
Wirken verwandelt, das sie im Wahrheits-Bewußtsein haben.
In diesem Fall wäre es nicht nur möglich, das göttliche
Bewußtsein in Mental und Körper zu offenbaren und dauernd zu bewahren. Das
göttliche Bewußtsein könnte am Ende noch mehr erringen und sogar Mental, Leben
und Körper in ein vollkommeneres Ebenbild seiner ewigen Wahrheit umgestalten. Es
könnte nicht nur in der Seele, sondern auch im Stoff sein Himmelreich auf Erden
verwirklichen. Der erste dieser Siege, der innere, ist auf Erden gewiß in mehr
oder weniger hohem Grade von einigen, vielleicht von vielen, errungen worden.
Der andere, der äußere, auch wenn er in vergangenen Äonen nie als erster Typus
für künftige Zyklen mehr oder weniger verwirklicht und noch in der unterbewußten
Erinnerung der Erden-Natur bewahrt worden ist, kann doch als künftig zu
erringender Sieg Gottes in der Menschheit beabsichtigt sein. Dieses irdische
Leben muß nicht unbedingt und für immer ein Rad halb-frohen und halb-leidvollen
Mühens bleiben. Es kann durchaus beabsichtigt sein, daß ein großer Fortschritt
erzielt und die Herrlichkeit und Freude Gottes auf Erden geoffenbart werden
soll. Als nächstes Problem müssen wir betrachten, was Mental, Leben und Körper
in ihren höchsten Ursprüngen sind und was sie in der integralen Vervollkommnung der göttlichen Manifestation sein müssen, wenn sie von
der Wahrheit geformt und nicht von ihr abgeschnitten sind durch Trennung und
Unwissenheit, in denen wir gegenwärtig leben. Denn dort müssen sie schon ihre
Vollkommenheit haben, zu der wir hier emporwachsen, wir, die wir nur die erste,
noch gefesselte Bewegung des Mentals sind, das sich in der Materie entwickelt,
die wir noch nicht befreit sind von den Bedingungen und Auswirkungen jener
Involution des Geistes in die Form, jenes Absturzes des Lichts in seinen eigenen
Schatten, durch den das verdunkelte materielle Bewußtsein der physischen Natur
geschaffen wurde. Der Typus aller Vollkommenheit, zu dem wir emporwachsen, und
die Begriffe unserer höchsten Evolution müssen schon in der göttlichen Real-Idee
enthalten sein. Dort müssen sie für uns geformt und bewußt sein, damit wir zu
ihnen empor- und in sie hineinwachsen können: Denn diese Präexistenz im
göttlichen Wissen ist es, was unsere Mentalität als Ideal bezeichnet und sucht.
Das Ideal ist ewige Wirklichkeit, die wir in den Bedingungen unseres eigenen
Wesens noch nicht verwirklicht haben. Es ist nicht etwas Nicht-Seiendes, das das
Ewige, Göttliche Wesen noch nicht ersonnen hat und das wir unvollkommene Wesen
erahnt haben und zu erschaffen meinen. Das Mental ist in erster Linie der
gefesselte, behinderte Souverän unserer menschlichen Lebensweise. Mental ist in
seinem Wesen ein Bewußtsein, das ausmißt, abgrenzt, aus dem unteilbaren Ganzen
Formen der Dinge herausschneidet und sie so in sich behält, als ob jede ein
getrenntes Vollständiges sei. Selbst bei dem, was offensichtlich nur als Teil
und Fragment existiert, stellt das Mental diese Fiktion seines gewöhnlichen
Umgangs her, als ob sie Dinge seien, mit denen es gesondert umgehen könne, nicht
nur Aspekte eines Ganzen. Selbst wenn es weiß, daß sie nicht Dinge an und für
sich sind, sieht es sich gezwungen, so mit ihnen umzugehen, als seien sie Dinge
an und für sich. Sonst könnte es sie nicht seinem charakteristischen Wirken
unterwerfen. Diese sein Wesen bezeichnende Methode bedingt das Wirken aller
Mächte seines Verfahrens, des Begreifens, Wahrnehmens, Empfindens und des
Umgangs mit schöpferischem Denken. Es begreift, nimmt wahr und empfindet Dinge,
als seien sie aus einem Hintergrund oder einer Masse starr herausgeschnitten,
und verwendet sie als festgelegte Einheiten des ihm zur schöpferischen
Gestaltung oder zum Besitzen gegebenen Materials. So hat all sein Wirken und
Genießen es mit Ganzheiten zu tun, die Teil eines größeren Ganzen sind; und
diese untergeordneten
Ganzheiten werden wieder
in Teile aufgeteilt, die auch als Ganzheiten für die besonderen Zwecke behandelt
werden, denen sie dienen. Das Mental mag teilen, multiplizieren, addieren,
subtrahieren, aber es kann nicht über die Grenzen dieser Mathematik hinausgehen.
Wenn es sie überschreitet, wenn es ein wirkliches Ganzes zu begreifen sucht,
verliert es sich in ein fremdes Element. Es stürzt dann von seinem eigenen
festen Grund hinab in den Ozean des Ungreifbaren, in die Abgründe des
Unendlichen, wo es seinen Gegenstand weder wahrnehmen, begreifen und empfinden,
noch mit ihm zum Erschaffen oder Genießen umgehen kann. Denn wenn das Mental das
Unendliche manchmal zu begreifen, wahrzunehmen, zu empfinden oder als Besitz zu
genießen vermag, so nur scheinbar und stets in einem Sinnbild des Unendlichen.
Was es so vage besitzt, ist nur ein formloses außerordentlich Weites und nicht
das wirkliche raumlose Unendliche. Im Augenblick, wo es damit umzugehen und es
zu besitzen versucht, stellt sich sofort die unabänderliche Tendenz zur
Abgrenzung ein; das Mental findet sich wieder dabei, Bilder, Formen oder Wörter
zu behandeln. Das Mental kann das Unendliche nicht besitzen, es kann es nur
erleiden oder von ihm in Besitz genommen werden. Es kann nur selig-hilflos unter
dem lichtvollen Schatten des Wirklichen daliegen, der aus Seinsebenen jenseits
seiner Reichweite auf es geworfen wird. Erst dann können wir in den Besitz des
Unendlichen kommen, wenn wir in jene supramentalen Ebenen emporsteigen. Die
Erkenntnis des Unendlichen ist erst möglich, wenn wir das Mental passiv den zu
uns herabkommenden Botschaften der wahrheitsbewußten Wirklichkeit unterwerfen.
Diese im Wesen des Mentals liegende und sein Wirken
begleitende Fähigkeit und Begrenzung sind seine Wahrheit und legen seine
wirkliche Natur und Betätigung, svabhava und svadharma, fest. Hier
ist das Siegel des göttlichen Gebots, das ihm seine Aufgabe in der vollständigen
Instrumentation der Erhabenen maya anweist, eine Aufgabe, durch das
bestimmt, was es schon bei seiner Geburt aus der ewigen Selbst-Empfängnis des
Selbst-Seienden ist. Sein Amt besteht darin, Unendlichkeit laufend in die
Begriffe des Endlichen zu übersetzen, dieses abzumessen, zu begrenzen,
einzuteilen. Das leistet das Mental tatsächlich in unserem Bewußtsein unter
Ausschluß jedes wahren Empfindens für das Unendliche. Darum ist das Mental der
Knoten der großen Unwissenheit, denn es ist es, das ursprünglich trennt und
verteilt. Man hat es sogar mißverstanden als die Ursache des Universums und für
das Ganze der göttlichen maya gehalten.
Die göttliche maya umfaßt aber sowohl vidya wie avidya, das
Wissen ebenso wie die Unwissenheit. Offensichtlich ist das Endliche nur eine
Erscheinungsform des Unendlichen, ein Ergebnis seines Wirkens, ein Spiel seines
Begriffsvermögens. Das Endliche kann nur durch das Unendliche, in ihm und mit
ihm als seinem Hintergrund existieren, da es selbst Form aus jenem Stoff und das
Wirken jener Kraft ist. Darum muß es ein ursprüngliches Bewußtsein geben, das
beide zugleich in sich enthält und beide gleichzeitig betrachtet, das zuinnerst
aller Beziehungen des einen mit dem anderen bewußt ist. In diesem Bewußtsein
gibt es keine Unwissenheit, da das Unendliche gewußt und das Endliche nicht als
unabhängige Wirklichkeit von ihm getrennt ist. Aber es gibt dort noch einen
untergeordneten Vorgang von Abgrenzung – sonst könnte keine Welt existieren –,
einen Prozeß, durch den das laufend trennende und wieder vereinende Bewußtsein
des Mentals, die stets in entgegengesetzter und gleichlaufender Richtung
wirkende Aktion des Lebens und die unendlich zerteilte und sich wieder selbst
zusammensetzende Substanz der Materie, allesamt durch ein einziges Prinzip und
einen ursprünglichen Akt in das phänomenale Wesen eintreten. Dies untergeordnete
Wirken des ewigen Sehers und Denkers, der vollkommen erleuchtet, vollkommen
Seiner Selbst und des Alls inne ist, der, wohl wissend, was Er tut, des
Unendlichen im Endlichen, das Er erschafft, bewußt ist, mag das göttliche Mental
genannt werden. Es ist offensichtlich, daß es ein untergeordnetes, aber kein
wirklich abgetrenntes Wirken der Real-Idee, des Supramentals, ist und durch die
Bewegung des Wahrheits-Bewußtseins wirken muß, die wir als das nach außen
gerichtete Verstehen beschrieben haben.
Dieses die Wahrheit verstehende Bewußtsein, prajnana,
stellt, wie wir gesehen haben, das Wirken des unteilbaren Alls, das aktiv und
formativ ist, als Prozeß und Objekt schöpferischen Erkennens vor das Bewußtsein
desselben Alls. Es ist verursachend und erkennend, der Besitzer und beobachtende
Zeuge seines eigenen Wirkens, – etwa so, wie wenn ein Dichter die Schöpfungen
seines eigenen Bewußtseins, die in ihm vor ihn hingestellt sind, betrachtet, als
ob sie etwas anderes wären als der Schöpfer und seine schöpferische Kraft,
während sie doch in Wirklichkeit dauernd nur das Spiel der Selbst-Gestaltung
seines eigenen Wesens in ihm selbst und darum unabtrennbar sind von ihm, ihrem
Schöpfer. So vollzieht prajnana jene fundamentale Trennung, die zu allem
übrigen führt: die Trennung des purusha, der bewußten Seele, die weiß, schaut, durch ihre Schau erschafft und anordnet, von
prakriti, der Kraft-Seele oder Natur-Seele, die ihr Wissen und Schauen, ihre
Schöpfung und alles anordnende Macht ist. Beide sind ein einziges Wesen, ein
Sein. Die geschauten und geschaffenen Gestaltungen sind vielfältige Formen
dieses Wesens, die von Ihm selbst als ein Wissen vor Ihn als Wissenden und von
Ihm selbst als Kraft vor Ihn als Schöpfer gestellt werden. Die letzte Aktion
dieses verstehenden Bewußtseins findet statt, wenn der purusha die
bewußte Ausbreitung seines Wesens durchwaltet, wenn er gegenwärtig ist an jedem
Punkt seiner selbst wie auch in der Totalität, jede Gestaltung bewohnt und das
Ganze von jedem der von ihm eingenommenen Standpunkte her betrachtet, als ob er
das separat tun würde. Er betrachtet und regiert die Beziehungen jeder
Seelenform seiner selbst mit anderen Seelenformen von dem Standpunkt des Wollens
und Erkennens her, der jeder einzelnen Form angemessen ist.
So sind die Elemente der Trennung entstanden. Erstens
hat sich die Unendlichkeit des Einen übertragen in die Ausdehnung der Begriffe
von Zeit und Raum. Zweitens übersetzt sich die Allgegenwärtigkeit des Einen in
jener Selbst-bewußten Ausbreitung in die Vielfalt der bewußten Seele, die vielen
purusha der Sankhya-Philosophie. Drittens hat sich die Vielfalt der
Seelenformen übersetzt in ein geteiltes Einwohnen in der ausgedehnten Einheit.
Dieses geteilt Einwohnen ist in dem Augenblick unvermeidlich, da nicht jeder
dieser vielfältigen purusha eine eigene gesonderte Welt bewohnt und eine
gesonderte prakriti besitzt, die ein gesondertes Universum baut, wo sich
vielmehr alle purusha derselben prakriti erfreuen – wie sie es tun
müssen, da sie nur Seelenformen des Einen sind, der die vielfältigen Schöpfungen
Seiner Macht lenkt – und doch Beziehungen zueinander in der reinen Welt des
Seienden haben, die von der einen prakriti erschaffen ist. Purusha
identifiziert sich in jeder Form aktiv mit jedem einzelnen. Er grenzt sich in
dieser ab und stellt ihr in seinem Bewußtsein seine anderen Formen gegenüber, da
sie seine anderen Selbste enthalten, die mit ihm im Wesen identisch, aber in der
gegenseitigen Beziehung unterschiedlich sind, verschieden in Ausdehnung,
Reichweite von Bewegung, Betrachtung der einzigen Substanz, Kraft, Bewußtheit,
Seligkeit, die jede einzelne Seelenform tatsächlich in jedem gegebenen
Augenblick von Zeit oder jedem gegebenen Feld von Raum entfaltet. Zugegeben, es
gibt im göttlichen Sein, das seiner selbst vollkommen inne ist, keine bindende
Begrenzung und keine Identifikation, unter die
die Seele versklavt wird und von der sie nicht freiwerden kann, so wie wir unter
unsere Selbst-Identifikation mit dem Körper versklavt sind und über die
Begrenztheit durch unser bewußtes Ich nicht hinauskommen können, unfähig, einer
bestimmten Bewegung unseres Bewußtseins in der Zeit, die unser besonderes Feld
im Raum bestimmt, zu entfliehen. Dennoch gibt es eine freie Identifikation von
Augenblick zu Augenblick, die allein das unveränderliche Selbst-Wissen der
göttlichen Seele daran hindert, sich in einer scheinbar starren Reihe von
Trennung und Zeitfolge zu fixieren wie derjenigen, in der unser Bewußtsein
fixiert und gefesselt zu sein scheint.
So gibt es bereits die Stückelung: Die Beziehung von Form zu Form, als ob sie gesonderte Wesen wären, von Willen-zum-Sein zu Willen-zum-Sein, als wären sie gesonderte Kräfte, von Erkenntnis-des-Wesens zu Erkenntnis-des-Wesens, als wäre ihr Bewußtsein getrennt, – ist schon grundgelegt. Sie ist jedoch nur “als ob”, denn die göttliche Seele unterliegt nicht der Täuschung; sie gewahrt dieses alles als Phänomen des Seienden und hält fest an ihrem Sein in der Wirklichkeit des Seienden. So geht sie ihrer Einheit nicht verlustig: Sie verwendet das Mental als untergeordnete Wirkensweise des unendlichen Wissens, als Begrenzung der Dinge, ihrem Innesein der Unendlichkeit untergeordnet, als Einschränkung, die abhängig ist von ihrem Wissen um die wesenhafte Totalität, – und zwar nicht jene scheinbare, pluralistische Totalität von Summe und kollektivem Zusammenschluß, die nur ein anderes Phänomen des Mentals ist. Hier gibt es also noch keine wirkliche Begrenzung. Die Seele verwendet ihre abgrenzende Macht für das Spiel wohl-unterschiedener Formen und Kräfte, wird aber nicht selbst von dieser Macht verwendet.
Darum ist ein neuer Faktor, eine neue Aktion bewußter
Kraft notwendig, um die Wirksamkeit eines hilflos eingeschränkten Mentals (im
Unterschied zu einem sich frei begrenzenden Mental) zu erschaffen, das heißt
eines Mentals, das seinem eigenen Spiel unterworfen ist und von ihm getäuscht
wird (im Unterschied zu einem Mental, das Herr seines eigenen Spiels ist und in
ihm seine Wahrheit schaut): das kreatürliche Mental im Unterschied zum
göttlichen. Dieser neue Faktor ist avidya, die Unwissenheit, die das
Selbst ignorierende Fähigkeit, die die Aktion des Mentals abtrennt von der
Aktion des Supramentals, das sein Ursprung war und es immer noch aus dem
Hintergrund lenkt. So gesondert, nimmt das Mental nur das Besondere wahr und
nicht das Universale, oder es begreift nur das
Besondere, aber es besitzt dieses nicht in einem Universalen; es wird nicht mehr
beider, des Besonderen wie des Universalen, bewußt als der Erscheinungsformen
des Unendlichen. So haben wir das begrenzte Mental, das jedes Ding der
Erscheinung als ein Ding-an-sich betrachtet, als einen aus dem Ganzen
abgetrennten Teil, der wieder getrennt in einem größeren Ganzen existiert und so
weiter, wobei es zu immer größeren Zusammensetzungen weitergeht, ohne
zurückzukehren zum Empfinden wahrer Unendlichkeit.
Da das Mental ein Wirken des Unendlichen (infinitum) ist, zerteilt und vereinigt es ad infinitum. Es zerschneidet das Wesen in Ganzheiten, in immer kleinere Ganzheiten, in Atome und diese Atome in “Uratome”, bis es, wenn es könnte, auch dieses “Uratom” in Nichts auflösen würde. Das kann es aber nicht, denn hinter der teilenden Tätigkeit steht das rettende Wissen des Supramentals, das weiß, daß jede Ganzheit, jedes Atom nur eine Konzentration von All-Kraft, von All-Bewußtsein, von All-Wesen in phänomenalen Formen seiner selbst ist. Für das Supramental ist die Auflösung des Aggregats in das unendliche Nichts, wohin das Mental zu gelangen scheint, nur die Rückkehr des sich selbst konzentrierenden bewußten Wesens aus seiner Erscheinungsform in sein unendliches Sein. Das Bewußtsein kommt, welchen Weg es auch beschreitet, ob den der unendlichen Teilung oder den der unendlichen Ausweitung, immer nur zu sich selbst zurück, zu seiner eigenen unendlichen Einheit, seinem ewigen Wesen. Sobald die Aktion des Mentals bewußt diesem Wissen des Supramentals untergeordnet ist, ist ihm die Wahrheit dieses Vorgangs ebenso bekannt und wird ganz und gar nicht ignoriert. Es gibt keine wirkliche Teilung, sondern nur eine unendliche vielfältige Konzentration in Formen des Wesens und in Anordnungen der Beziehung dieser Formen des Wesens zueinander, in denen Teilung eine untergeordnete Erscheinung des ganzen Prozesses ist, nötig für ihr räumliches und zeitliches Kräftespiel. Wir mögen teilen, soviel wir wollen, hinabgehen bis zum unendlich kleinsten Atom, oder die monströseste mögliche Verbindung von Welten und Systemen bilden, durch keinen der beiden Prozesse können wir zum Ding-an-sich gelangen. Sie alle sind Formen einer Kraft, die allein in sich selbst wirklich ist, während das übrige nur wirklich ist als Selbst-Abbildungen oder sich manifestierende Selbst-Formen des ewigen Kraft-Bewußtseins.
Woher kommt dann ursprünglich die begrenzende
Unwissenheit, avidya, dieser Absturz des Mentals aus dem Supramental und
die sich daraus ergebende Vorstellung, wirklich
getrennt zu sein? Genauer: aus welcher Entstellung supramentaler Tätigkeit
entsteht sie? Sie entsteht aus der individuellen Seele, die jedes Ding von ihrem
eigenen Standpunkt aus betrachtet und alle anderen ausschließt. Die Unwissenheit
kommt sozusagen daher, daß die Seele das Bewußtsein in einer ausschließenden
Weise konzentriert, daß sie sich selbst ausschließlich mit einer besonderen
zeitlichen und räumlichen Aktion identifiziert, während diese nur ein Teil des
Spiels ihres eigenen Wesens ist. Die Unwissenheit beginnt damit, daß die Seele
die Tatsache ignoriert, daß alle anderen Seelen auch sie selbst sind, daß jede
andere Aktion ihre eigene Aktion ist und alle übrigen Zustände von Wesen und
Bewußtsein in gleicher Weise ihre eigenen sind wie die Aktion des einen
besonderen Augenblicks in der Zeit, des einen besonderen Standpunkts im Raum und
der einen besonderen Gestalt, die sie gegenwärtig einnimmt. Sie konzentriert
sich auf den Augenblick, das Feld, die Form und die Bewegung und verliert dabei
das übrige. Sie muß dann dieses übrige wieder dadurch zurückgewinnen, daß sie
die Aufeinanderfolge der Augenblicke, die Aufeinanderfolge der Raumpunkte, die
Aufeinanderfolge der Formen in Zeit und Raum und die Aufeinanderfolge der
Bewegungen in Zeit und Raum miteinander verknüpft. Auf diese Weise hat sie die
Wahrheit der Unteilbarkeit von Zeit und der Unteilbarkeit von Kraft und Stoff
verloren. Sie hat sogar den Blick für die offenkundige Tatsache verloren, daß
alle Mentale nur ein einziges Mental sind, das viele Standpunkte einnimmt; daß
alle Leben nur ein einziges Leben sind, das viele Ströme von Aktivität
entwickelt; daß alle Körper und Gestalten eine einzige Substanz von Kraft und
Bewußtsein sind, die sich in vielen scheinbar festen Formen von Kraft und
Bewußtsein konzentrieren. In Wahrheit sind aber alle diese Stabilitäten nur ein
beständiger Wirbel von Bewegung, die eine Form wiederholt, indem sie sie
modifiziert; darüber hinaus sind sie nichts. Denn das Mental versucht, alles in
starr festgelegte Formen und scheinbar unabänderliche oder unbewegliche äußere
Faktoren zu pressen, weil es sonst nicht wirken kann. Dann denkt es, es habe
bekommen, was es wünscht. In Wirklichkeit ist alles ein Fließen von Wechsel und
Erneuerung, und es gibt hier keine festgelegten Formen-an-sich und keinen
unwandelbaren äußeren Faktor. Nur die ewige Real-Idee ist beständig und erhält
eine gewisse geordnete Konstanz von Figuren und Beziehungen im Fließen der Dinge
aufrecht, eine Beständigkeit, die das Mental vergebens dadurch nachzuahmen
versucht,
daß es feste Beständigkeit jenem
beilegt, das immer unbeständig ist. Diese Wahrheiten muß das Mental
wiederentdecken. Es weiß sie die ganze Zeit jedoch nur im verborgenen hinteren
Bereich seines Bewußtseins, im geheimen Licht seines Selbst-Seins. Aber dieses
Licht ist für das Mental Finsternis, weil es die Unwissenheit erschaffen hat,
weil der Absturz erfolgte aus der teilenden hinab in die zerteilte Mentalität,
weil es in seine eigenen Wirkensweisen und Schöpfungen verwickelt wurde. Diese
Unwissenheit wird für den Menschen weiter vertieft durch seine
Selbst-Identifikation mit dem Körper. Das Mental scheint uns durch den Körper
bestimmt zu sein, da es sich vornehmlich mit ihm beschäftigt und sich den
körperlichen Funktionen widmet, die es für sein bewußtes Wirken nach außen in
der grob-materiellen Welt verwendet. Da es ständig die Arbeit von Gehirn und
Nerven gebraucht, die es im Lauf seines eigenen Werdegangs im Körper entwickelt
hat, ist es zu sehr von der Beobachtung dessen beansprucht, was ihm dieser
körperliche Mechanismus einträgt, als daß es aus ihm in seine eigenen reinen
Wirkensweisen zurücktreten könnte; und diese sind für es zumeist unterbewußt.
Doch können wir uns ein Lebens-Mental oder ein Lebens-Wesen vorstellen, das über
den durch die Evolution begründeten Zwang, so absorbiert zu sein, hinausgegangen
und fähig ist, sich selbst zu schauen oder zu erfahren, wie es einen Körper nach
dem anderen annimmt und nicht in jedem Körper gesondert neu erschaffen wird und
mit ihm endet. Denn derartig ist nur die körperliche Einwirkung des Mentals auf
die Materie, nur das körperliche Mentalwesen beschaffen, nicht aber das ganze
mentale Wesen. Die körperliche Mentalität ist das Mental unserer Außenseite, nur
die äußere Front, die es der körperlichen Erfahrung darbietet. Dahinter gibt es,
selbst in unserem irdischen Wesen, jenes andere Mental, das für uns unterbewußt
oder subliminal ist, das aber von sich weiß, daß es mehr ist als der Körper und
fähig zu einem weniger materialisierten Wirken. Diesem Mentalwesen verdanken wir
unmittelbar das meiste der umfassenderen, tieferen und kraftvolleren dynamischen
Aktion unseres vordergründigen Mentals. Wenn wir dessen oder seiner Einwirkung
auf uns bewußt werden, haben wir die erste Idee oder Realisation einer Seele
oder eines inneren Wesens, purusha, das als das Lebens-Wesen, das vitale
Wesen wahrgenommen wird, pranamaya purusha.
Auch wenn dieses Lebens-Mental vom Irrtum der
Körpergebundenheit frei werden kann, befreit es uns dennoch nicht vom ganzen
Irrtum des Mentals. Es bleibt immer noch dem
ursprünglichen Akt der Unwissenheit unterworfen, durch den die individualisierte
Seele alles von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet und die Wahrheit der
Dinge nur so sehen kann, wie sie sich ihr von außen her präsentieren oder auch
wie sie aus ihrem gesonderten zeitlichen und räumlichen Bewußtsein in ihr
Blickfeld treten als Formen und Ergebnisse vergangener und gegenwärtiger
Erfahrung. Die Seele ist sich ihrer anderen Selbste nur durch die äußeren
Hinweise bewußt, die sie von ihrem Dasein geben, Hinweise durch mitgeteiltes
Denken, Reden, Handeln, Ergebnisse von Tätigkeiten oder feinere Hinweise vitaler
Einwirkung und Beziehung, die nicht unmittelbar vom körperlichen Wesen gefühlt
werden. In gleicher Weise ist die Seele ihres eigenen Selbsts ungewiß. Sie kennt
ihr Selbst nur durch eine Bewegung in der Zeit und eine Aufeinanderfolge von
Lebensabläufen, in denen sie ihre unterschiedlich verkörperten Energien
verwendete. So wie unser physisches instrumentales Mental die Illusion des
Körpers hat, so hat dieses unterbewußte dynamische Mental die Illusion des
Lebens. Von diesem ist es absorbiert, in dieses ist es konzentriert, durch
dieses ist es begrenzt, mit diesem identifiziert es sein Wesen. Von hier aus
gelangen wir noch nicht zurück zu dem gemeinsamen Bereich von Mental und
Supramental, zu dem Punkt, an dem sie sich ursprünglich voneinander trennten.
Es gibt aber noch ein anderes, klareres,
reflektierendes Mentalwesen hinter dem dynamischen und vitalen, das solchem
Aufgezehrtwerden durch das Leben entgehen kann. Es kann sich selbst betrachten,
wie es Leben und Körper annimmt, um in aktiven Beziehungen von Kräften das
abzubilden, was es in Willen und Denken wahrnimmt. Das ist der Ursprung des
reinen Denkers in uns. Es erkennt das Mental an und für sich; es sieht die Welt
nicht in Begriffen von Leben und Körper, sondern mental. Es ist das eigentliche
mentale Wesen, manomaya purusha, das wir, wenn wir in es zurücktreten,
manchmal irrtümlich ebenso für den reinen Geist halten, wie wir das dynamische
Mental mit der Seele verwechseln. Dieses höhere Mental kann andere Seelen
wahrnehmen und mit ihnen umgehen, als ob sie andere Gestaltungen seines eigenen
reinen Selbsts sind. Es kann sie durch reine Mental-Einwirkung und reine
Kommunikation empfinden, nicht mehr nur durch vitale und nervliche Einwirkung
und körperlichen Hinweis. Außerdem begreift es ein mentales Bild von Einheit und
kann in seiner Aktivität und in seinem Willen unmittelbar – nicht nur indirekt
wie im gewöhnlichen physischen Leben –
erschaffen und besitzen, und zwar wie in seinem eigenen so auch im Mental und
Leben anderer Menschen. Aber selbst dieses reine Mentalwesen entgeht nicht dem
Ur-Irrtum des Mentals. Denn es macht immer noch sein gesondertes mentales Selbst
zum Richter, Zeugen und Zentrum des Universums und bemüht sich, durch dieses
allein zu seinem höheren Selbst und seiner Wirklichkeit zu gelangen. Alle
anderen sind “die anderen”, die sich für es um sein Selbst gruppieren: Wenn es
wirklich frei werden will, muß es sich aus Leben und Mental zurückziehen, um in
der wahren Einheit aufzugehen. Immer noch existiert der von der Unwissenheit,
avidya, geschaffene Vorhang zwischen mentalem und supramentalem Wirken; zwar
dringt ein Abbild der Wahrheit hindurch, jedoch nicht die Wahrheit selbst.
Erst wenn der Vorhang zerrissen und das zerteilte
Mental überwältigt, schweigend und einem supramentalen Wirken gegenüber passiv
geworden ist, kehrt das Mental selbst wieder zurück zur Wahrheit der Dinge. Dort
finden wir ein erleuchtetes Mentalwesen, das die Göttliche Real-Idee
reflektiert, ihr gehorcht und zu ihrem Instrument wird. Dort nehmen wir wahr,
was die Welt wirklich ist. Dort erkennen wir in jeder Weise uns selbst in
anderen und als andere, die anderen als uns selbst und alles als das universale
und selbst-vervielfältigte Eine. Wir geben den streng gesonderten individuellen
Standpunkt auf, der die Ursache allen Begrenztseins und Irrtums ist. Ferner
erkennen wir, daß alles, was die Unwissenheit des Mentals für die Wahrheit
hielt, tatsächlich die Wahrheit war, nur verzerrt, mißverstanden, falsch
aufgefaßt. Wir beobachten noch die Zerteilung, die individualisierende,
atomisierende Schöpfung, aber erkennen sie und uns selbst nun als das, was sie
und wir wirklich sind. So durchschauen wir, daß das Mental in Wirklichkeit eine
untergeordnete Wirkensweise und Instrumentation des Wahrheits-Bewußtseins war.
Solange sich das Mental in seiner Selbst-Erfahrung nicht vom umgreifenden
Meister-Bewußtsein gelöst hat und nicht versucht, sich hier ein selbständiges
Heim einzurichten, solange es passiv als Instrumentation dient und nicht darauf
aus ist, die Dinge zu seinen eigenen Gunsten zu besitzen, erfüllt es in
erleuchteter Weise seine Funktion: innerhalb der Wahrheit durch phänomenale,
rein formale Abgrenzung ihrer Aktivität Gestaltungen voneinander getrennt zu
halten, hinter denen die lenkende Universalität des Seins bewußt und unberührt
bleibt. Das Mental soll die Wahrheit der Dinge empfangen und sie im Einklang mit
der von Irrtum freien Wahrnehmung eines höchsten, universalen
Auges und Willens verteilen. Es soll eine Individualisierung von aktivem
Bewußtsein, Seligkeit, Kraft und Substanz aufrecht erhalten, die all ihre Macht,
Wirklichkeit und Freude aus einer dahinter stehenden unveränderlichen
Universalität beziehen. Es soll die Vielfalt des Einen in eine scheinbare
Aufteilung umwandeln, durch die die Beziehungen abgegrenzt und gegenseitig so
auseinander gehalten werden, daß sie einander begegnen und sich wieder
vereinigen können. Es soll die Seligkeit von Trennung und Kontakt inmitten
ewiger Einheit und Vermischung fest und sicher begründen. Das Mental soll es dem
Einen möglich machen, sich so zu erweisen, als ob Er ein Individuum wäre, das
mit anderen Individuen umgeht, jedoch immer in Seiner eigenen Einheit verbleibt;
das ist es, was die Welt wirklich ist. Das Mental ist die endgültige
Wirkensweise des aktiv verstehenden Wahrheits-Bewußtseins, das dies alles
möglich macht. Was wir die Unwissenheit nennen, erschafft nichts Neues und keine
absolute Falschheit, sondern stellt die Wahrheit nur falsch dar. Die
Unwissenheit ist das im Wissen von seiner Wissensquelle getrennte Mental. Es
gibt dem harmonischen Spiel der höchsten Wahrheit in ihrer universalen
Manifestation eine falsche Starrheit und den irrigen Anschein von Opposition und
Konflikt.
Der fundamentale Irrtum des Mentals ist also dieser
Absturz aus dem Selbst-Wissen, durch den die individuelle Seele ihre
Individualität als Faktum statt als Form des Einsseins begreift, sich zum
Mittelpunkt des eigenen Universums macht, statt sich als einen solchen der
Konzentrationen des Allumfassenden zu erkennen. Aus diesem ursprünglichen Irrtum
ergeben sich alle besonderen Unwissenheiten und Beschränkungen zwangsläufig von
selbst. Denn wenn das Mental den Fluß der Dinge nur so betrachtet, wie sie auf
es zukommen und durch es hindurchfließen, schafft es eine Beschränkung des
Wesens, aus der eine Beschränkung von Bewußtsein und deshalb von Erkenntnis
herrührt; eine Begrenzung von bewußter Kraft und bewußtem Willen, darum von
Macht; eine Einschränkung von Selbst-Genießen und darum von Seligkeit. Das
Mental ist der Dinge bewußt und erkennt sie nur so, wie sie sich seiner
Individualität darstellen. Darum verfällt es in Unwissenheit alles übrigen und
so in eine irrige Auffassung selbst dessen, was es zu wissen scheint: Denn wenn
alles Seiende untereinander abhängig ist, müssen wir entweder die Erkenntnis des
Ganzen oder die des Wesenhaften besitzen, um den Teil richtig erkennen zu
können. Daher liegt allem menschlichen Erkennen ein Element von Irrtum zugrunde.
In ähnlicher Weise muß auch unser Wille wegen
seiner Unkenntnis des übrigen All-Willens in irrtümliches Handeln und in einen
höheren oder geringeren Grad von Unfähigkeit und Machtlosigkeit fallen. Die
Selbst-Seligkeit der Seele und ihr Entzücken an den Dingen muß, da sie die
All-Wonne ignoriert und durch fehlerhaftes Wollen und Erkennen unfähig ist,
Meister ihrer Welt zu sein, in ein Unvermögen zu bleibender Seligkeit und darum
in Leiden versinken. Unkenntnis des eigenen Selbsts ist also die Wurzel aller
Verkehrtheit unseres Daseins. Diese Verkehrtheit wird in der
Selbst-Beschränkung, im Egoismus, verstärkt, der die von dieser
Selbst-Unkenntnis angenommene Form ist.
Dennoch ist alle Unwissenheit und Verkehrtheit nur die Entstellung des Wahren und Richtigen der Dinge und nicht das Spiel einer absoluten Falschheit. Sie ist das Ergebnis eines Mentals, das die Dinge in der Zerteilung schaut, die es selbst vornimmt, avidyayam antare, statt sich und seine Teilungen als Instrumentation und Phänomen des Spiels der Wahrheit von saccidananda zu verstehen. Wenn das Mental in die Wahrheit zurückkehrt, aus der es gefallen ist, wird es wieder zur endgültigen Aktion des Wahrheits-Bewußtseins in seiner umsichtigen Wirkensweise. Und die Beziehungen, die es in jenem Licht und jener Macht erschaffen hilft, werden Beziehungen der Wahrheit und nicht der Verkehrtheit sein. Es werden die geraden und nicht die krummen Dinge sein, um die ausdrucksvolle Unterscheidung der vedischen Rishis zu gebrauchen, das heißt Wahrheiten des göttlichen Wesens mit seinem das Selbst besitzenden Bewußtsein, Willen und Entzücken, die sich harmonisch in ihm bewegen. Jetzt haben wir die verzerrte Zickzackbewegung von Mental und Leben, Entstellungen, geschaffen durch das Ringen der Seele: Sie sucht aus der Vergessenheit ihres wahren Wesens sich selbst wiederzufinden, um allen Irrtum wieder in jene Wahrheit aufzulösen, die von unserer Wahrheit wie von unserem Irrtum, von unserem Rechten wie von unserem Unrechten beschränkt und entstellt wird. Sie will alle Unfähigkeit in jene Stärke verwandeln, die zu erlangen wir durch unsere Macht wie durch unsere Schwäche mit aller Kraft ringen. Sie will alles Leiden in jene Seligkeit aufheben, die zu realisieren wir uns durch unsere Freuden wie unsere Leiden krampfhaft bemühen. Sie will allen Tod in jene Unsterblichkeit verwandeln, zu der heimzukehren sich unser Wesen durch unser Leben und unser Sterben hindurch ständig bemüht.