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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XX. Tod, Begehren und Untauglichkeit

Im Anfang war alles von Hunger, das ist Tod, bedeckt; dieser bildete für sich Mentalität, so daß er zum Besitz des Selbsts gelangen könnte.

Brihadaranyaka Upanishad, I.2.1.

Dies ist die Macht, die das Sterbliche entdeckt, das die Menge seiner Begehren hat, so daß es alle Dinge tragen könnte. Sie nimmt den Geschmack aller Speisen an und erbaut dem Seienden ein Haus.

Rig Veda, V.7.6.

Im vorigen Kapitel haben wir Leben unter dem Gesichtspunkt des materiellen Daseins und des Erscheinens und Wirkens des vitalen Prinzips in der Materie betrachtet und Schlüsse gezogen aus den Daten, die uns das evolutionäre irdische Dasein bietet. Es ist aber evident, daß das allgemeine Prinzip, wo immer es erscheint und wie es auch unter gleich welchen Bedingungen wirken mag, überall dasselbe sein muß. Leben ist universale Kraft, die aufgrund ihres fundamentalen Charakters wirkt, um zu erschaffen, mit Energie zu erfüllen, zu erhalten und umzugestalten, und dabei so weit geht, daß sie Formen von Substanz im gegenseitigen Kräftespiel und Austausch einer offen oder insgeheim bewußten Energie auflöst und neu konstruiert. In der von uns bewohnten materiellen Welt ist das Mental ebenso im Leben involviert und unterbewußt, wie das Supramental im Mental involviert und unterbewußt ist. Und das Leben, das ein involviertes unterbewußtes Mental in sich enthält, ist selbst wieder in Materie involviert. Darum ist hier Materie die Basis und der sichtbare Anfang. In der Sprache der Upanishaden ist prthvi, das Erd-Prinzip, unsere Grundlage. Das materielle Universum beginnt vom formalen Atom her, das mit Energie aufgeladen und angefüllt ist mit dem ungeformten Stoff von unterbewußtem Begehren, Willen und unterbewußter Intelligenz. Aus dieser Materie offenbart sich das sichtbar werdende Leben und entbindet aus sich mittels des lebendigen Körpers das Mental, das es in sich gefangen hält. Ebenso muß das Mental das in seinem Wirken verborgene Supramental aus sich entbinden. Wir können uns aber auch eine Welt von anderer Konstitution vorstellen, in der das Mental am Anfang nicht involviert ist, sondern bewußt seine ihm eingeborene Energie verwendet, um ursprüngliche Gestaltungen aus Stoff zu erschaffen, also nicht, wie hier, am Anfang nur unterbewußt ist. Wenn sich auch der Ablauf einer solchen Welt von dem der unsrigen ganz verschieden auswirken würde, wäre doch der vermittelnde Träger des Wirkens jener Energie immer Leben. Die Sache würde dieselbe sein, selbst wenn der Prozeß völlig umgekehrt wäre.

Dann wird aber unmittelbar klar, Leben ist nur eine zweckbestimmte Auswirkung der Bewußtseins-Kraft, deren bestimmende Form und schöpferischer Bewirker die Real-Idee ist, ebenso wie das Mental nur eine zweckbestimmte Wirkensart des Supramentals ist. Bewußtsein als Kraft ist die Eigentümlichkeit des Seins, und dieses bewußte Sein, als schöpferischer Wissens-Wille manifestiert, ist die Real-Idee oder das Supramental. Der supramentale Wissens-Wille ist Bewußtseins-Kraft, die wirksam gemacht wurde für die Erschaffung von Formen eines geeinten Wesens in einer geordneten Harmonie, der wir den Namen Welt oder Universum geben. Ebenso sind Mental und Leben dieselbe Bewußtseins-Kraft, derselbe Wissens-Wille, die aber für die Gestaltung und Erhaltung unterschiedlicher individueller Formen wirken: in einer Art Abgrenzung, Gegenüberstellung und gegenseitigem Austausch, wobei die Seele in jeder Form des Wesens ihr eigenes Mental und Leben ausarbeitet, als wären sie von den anderen getrennt, während sie tatsächlich niemals voneinander getrennt sind sondern das Spiel der einen Seele, des einen Mentals und Lebens in unterschiedlichen Gestaltungen ihrer einzigen Wirklichkeit. Mit anderen Worten: so wie das Mental das zweckbestimmte individualisierende Wirken des alles in sich begreifenden und alles nach außen verstehenden Supramentals ist, der Vorgang, durch den sein Bewußtsein, individualisiert in jeder Gestalt, von dem ihr eigentümlichen Standpunkt aus und mit den kosmischen Beziehungen wirkt, die von diesem Standpunkt ausgehen, so ist Leben das zweckbestimmte Wirken, durch das die Kraft des Bewußten Wesens durch den alles besitzenden und allschöpferischen Willen des universalen Supramentals individuelle Gestaltungen fördert, mit Energie erfüllt, konstituiert, rekonstituiert und in ihnen als in der Basis aller Aktivität der so verkörperten Seele handelt. Leben ist die Energie des Göttlichen Wesens, das sich selbst konstant in. Formen wie in einer Kraftmaschine auflädt und nicht nur mit der nach außen wirkenden Batterie ihrer Kraftstöße auf umgebende Formen der Dinge einwirkt, sondern selbst auch die eindringenden Kraftstöße alles umgebenden Lebens empfängt, wenn sie von außen, vom umgebenden Universum her, auf die Form einströmen und sie durchdringen.

Bei dieser Betrachtung erscheint Leben als eine vermittelnde und für die Einwirkung von Mental auf Materie geeignete Form von Bewußtseins-Energie. In gewissem Sinn kann man sagen, es ist ein Energie-Aspekt des Mentals, wenn dieses schöpferisch wirkt und sich nicht nur auf Ideen bezieht, sondern auf Bewegungen von Kraft und auf Formen von Stoff. Man muß aber sofort hinzufügen: ebenso, wie das Mental keine gesonderte Einheit ist, sondern das ganze Supramental hinter sich hat, und das Supramental es ist, das erschafft, mit dem Mental nur als seiner zweckbestimmten individualisierenden Wirkensweise, so ist auch Leben keine gesonderte Einheit oder Bewegung, sondern hat es die ganze Bewußte Kraft bei jeder einzelnen seiner Aktivitäten hinter sich. Und es ist allein jene Bewußte Kraft, die in den erschaffenen Dingen existiert und wirkt. Leben ist nur ihr zweckbestimmtes, zwischen Körper und Mental vermittelndes Wirken. Alles, was wir vom Leben aussagen, muß also durch das qualifiziert sein, was sich aus dieser Abhängigkeit ergibt. Erst dann kennen wir Leben in seiner Eigentümlichkeit und seinem Verfahren, wenn wir jener in ihm wirkenden Bewußten Kraft, deren äußerer Aspekt und Instrumentation es nur ist, inne sind und bewußt werden. Nur dann können wir als individuelle Seelen-Gestaltungen und als mentale und körperliche Instrumente des Göttlichen Wesens mit Erkenntnis den Willen Gottes im Leben wahrnehmen und ausführen. Nur dann können Leben und Mental in immer geraderen Wegen und Bewegungen zur Wahrheit in uns und in den Dingen vorwärtsgehen und die Entstellungen und Krümmungen der Unwissenheit ständig vermindern. Wie das Mental sich bewußt mit dem Supramental einen muß, von dem es sich durch die Einwirkung der Unwissenheit, avidya, absonderte, so muß auch Leben der Bewußten Kraft innewerden, die in ihm auf Ziele hinwirkt und einen Sinn erfüllt, deren das Leben in uns deshalb unbewußt ist, weil es vom bloßen Prozeß zu leben so völlig in Anspruch genommen ist, wie unser Mental von dem bloßen Vorgang absorbiert ist, Leben und Materie zu vergeistigen. Darum ist Leben in seinem verfinsterten Wirken so unbewußt, daß es diesen Prozessen blind und ignorant dient und nicht erleuchtet oder mit einer das Selbst erfüllenden Erkenntnis, Macht und Freude, wie es das in seiner Befreiung und Erfüllung tun muß und will.

Da unser Leben dem verfinsterten und trennenden Wirken des Mentals dient, ist es faktisch selbst verdunkelt, zertrennt und muß die Unterwerfung unter Tod, Beschränkung, Schwäche, Leiden und unwissendes Tätigsein auf sich nehmen, das vom gebundenen, beschränkten geschöpflichen Mental erzeugt und verursacht wird. Die ursprüngliche Quelle der Entstellung war, wie wir gesehen haben, die Selbst-Beschränkung der individuellen Seele. Sie ist an die Unkenntnis ihres Selbsts gebunden, da sie sich infolge einer exklusiven Konzentration für eine besondere, selbst-seiende Individualität hält und jedes kosmische Wirken nur so betrachtet, wie und als was es sich ihrem individuellen Bewußtsein, Erkennen, Wollen, Genießen, ihrer Kraft und begrenzten Wesenheit darbietet, statt sich selbst als bewußte Form des Einen zu erkennen und alles Bewußtsein und Erkennen, alles Wollen, alle Kraft, alles Genießen und alles Wesen als eines mit ihrem eigenen zu umfassen. So wird das universale Leben in uns, das dieser Lenkung durch die im Mental gefangene Seele gehorcht, selbst in eine individuelle Aktion eingesperrt. Es existiert und handelt als gesondertes Leben, begrenzt und unzureichend begabt, Schock und Druck des ganzen es umgebenden kosmischen Lebens unterworfen, das es nicht frei umfassen kann. Als ein armes, begrenztes, individuelles Dasein wird es in den ständigen kosmischen Kraft-Austausch im Universum geworfen. Darum leidet das Leben anfänglich hilflos und muß dem ungeheuren Spiel der aufeinander prallenden Kräfte mit einer nur mechanischen Reaktion auf all das antworten, was es angreift, verschlingt, genießt, verwendet und antreibt. Wenn sich aber Bewußtsein entwickelt, sobald das Licht seines eigenen Wesens aus der dumpfen Finsternis des Involutions-Schlafes hervortritt, wird das individuelle Dasein undeutlich seiner eigenen Macht inne und versucht, zuerst nervlich, dann mental dieses Kräftespiel zu bemeistern, zu verwenden und sich daran zu erfreuen. Dieses Erwachen zur Erfahrung der eigenen inneren Macht ist das stufenweise Wachwerden des Menschen zum Selbst. Leben ist Kraft, Kraft ist Macht, Macht ist Wille, Wille ist das Wirken des Meister-Bewußtseins. Im einzelnen Menschen wird das Leben in seinen Tiefen immer mehr dessen inne, daß auch es der Kraft-Wille von saccidananda, des Meisters des Universums, ist. Nun strebt er selbst danach, individuell Meister seiner eigenen Welt zu werden. Darum ist es der wachsende Impuls alles individuellen Lebens, seine eigene Macht zu realisieren, Meister über die eigene Welt zu werden und diese immer besser zu erkennen.

Dieser Impuls ist wesentliches Kennzeichen der wachsenden Selbst-Manifestation des Göttlichen Wesens im kosmischen Dasein.

Leben ist zwar Macht, und das Wachsen individuellen Lebens bedeutet Zunahme individueller Macht. Doch die bloße Tatsache, daß Leben und Kraft geteilt und individualisiert sind, hindert es daran, in Wirklichkeit Meister seiner Welt zu werden. Denn das würde bedeuten, daß es Meister der All-Kraft wäre. Für ein abgetrenntes, individualisiertes Bewußtsein mit einer zerteilten, individualisierten Macht und deshalb begrenztem Willen ist es aber unmöglich, Meister der All-Kraft zu sein. Nur der All-Wille kann das sein; der individuelle Wille nur dann – falls überhaupt –, wenn er wieder eins wird mit dem All-Willen und dadurch mit der All-Kraft. Wenn nicht, muß das individuelle Leben in individueller Gestalt stets den drei Merkmalen seiner Begrenzung unterworfen bleiben: Tod, Begehren, Unfähigkeit.

Dem individuellen Leben wird Tod sowohl von den Bedingungen seiner eigenen Existenz wie von seinen Beziehungen zur All-Kraft aufgenötigt, die sich im Universum manifestiert. Das individuelle Leben ist ein besonderes Energie-Spiel, darauf spezialisiert, eine der Myriaden Gestaltungen, die dem Gesamtspiel des Universums, jede an ihrem Ort, zu ihrer Zeit und in ihrer Reichweite dienen, zu konstituieren, zu erhalten, mit Kraft zu versorgen und schließlich aufzulösen, wenn es zu nichts mehr nütze ist. Die Lebensenergie im Körper ist dem Angriff der von außen auf ihn einwirkenden Energien im Universum dienstbar. Sie soll diese Kräfte in ihn hineinziehen, sich davon nähren und wird selbst ständig von ihnen verzehrt. Nach der Upanishad ist alle Materie Nahrung. Die Formel für die materielle Welt heißt: “Der Esser, der ißt, wird selbst aufgegessen.” Das im Körper organisierte Leben ist ständig der Möglichkeit ausgesetzt, durch den Angriff des von außerhalb andringenden Lebens zerstört zu werden, wenn seine Fähigkeit, selbst zu verzehren, nicht ausreicht, nicht richtig bedient wird oder wenn kein rechtes Gleichgewicht besteht zwischen der Fähigkeit, selbst zu verzehren, und der Fähigkeit oder Notwendigkeit, Nahrung für das Leben außerhalb zu liefern. Dann kann es sich nicht schützen und wird verzehrt, oder es ist unfähig, sich selbst zu erneuern, und wird vernichtet oder zerbrochen. So muß es durch den Prozeß des Todes hindurch, um neu erbaut oder erneuert zu werden.

Darüber hinaus ist aber – wieder in der Sprache der Upanishad – die Lebenskraft die Nahrung des Körpers und der Körper die Nahrung der Lebenskraft. Mit anderen Worten: die Lebensenergie in uns liefert einerseits das Material, durch das unsere Gestalt aufgebaut, ständig erhalten und erneuert wird, andererseits verbraucht sie dauernd ihre eigene stoffliche Form, die sie so erschafft und am Dasein erhält. Wenn das Gleichgewicht zwischen beiden Wirkensweisen unvollkommen oder gestört wird oder das geordnete Zusammenspiel der verschiedenen Ströme der Lebenskraft aus seinem Gang geraten ist, treten Krankheit und Verfall ein, und der Prozeß der Auflösung beginnt. Gerade das Ringen um bewußte Herrschaft des Mentals, selbst um sein Wachsen, erschwert die Erhaltung des Lebens noch mehr. Denn die Lebenskraft stellt dann höhere Anforderungen an die Gestalt, eine Beanspruchung, die über das ursprüngliche System der Belieferung hinausgeht und das frühere Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage stört. Bevor ein neues Gleichgewicht hergestellt werden kann, kommt es zu vielen Störungen, die der Harmonie und der Dauer der Erhaltung des Lebens abträglich sind. Außerdem ruft der Versuch zur Beherrschung stets eine entsprechende Reaktion von Kräften in der Umwelt hervor, die ihre eigene Befriedigung erstreben und darum gegenüber einer Existenz, die sie zu bemeistern sucht, intolerant sind, gegen sie revoltieren und sie angreifen. Auch hier wird das Gleichgewicht gestört und intensiverer Kampf hervorgerufen. Wie stark auch das beherrschende Leben ist, es kann nicht immer Widerstand leisten und siegen, sondern muß eines Tages unterliegen und sich auflösen, wenn es nicht unbegrenzt ist oder sonst wie mit Erfolg eine neue Harmonie mit seiner Umgebung herstellt.

Aber abgesehen von all diesen Notwendigkeiten gibt es das fundamentale Erfordernis der Natur und Ziel des verkörperten Lebens als solches: auf einer endlichen Grundlage unendliche Erfahrung zu suchen. Da aber gerade die Form, diese Basis, durch ihre Organisation die Möglichkeit von Erfahrung einschränkt, kann das nur geschehen, indem diese Gestaltungen aufgelöst und neue gesucht werden. Nachdem die Seele sich einmal dadurch einschränkte, daß sie sich auf den Augenblick und auf das irdische Feld konzentrierte, wird sie weiter getrieben, ihre Unendlichkeit wieder durch das Prinzip der Aufeinanderfolge zu gewinnen, indem sie Augenblick zu Augenblick fügt und so eine Zeit-Erfahrung speichert, die sie ihre Vergangenheit nennt. In dieser Zeit bewegt sie sich durch aufeinanderfolgende Bereiche, aufeinanderfolgende Erfahrungen oder Lebensabläufe, aufeinanderfolgende Anhäufung von Erkenntnis, Fähigkeit und Genuß. All das behält sie in unterbewußter oder überbewußter Erinnerung als ihr in vergangener Zeit erworbenes Kapital. Für diesen Prozeß ist die Verwandlung der Form wesentlich. Für die im individuellen Körper involvierte Seele bedeutet Verwandlung der Form Auflösung des Körpers im Gehorsam gegen das Gesetz und den Zwang des All-Lebens im materiellen Universum, gegen sein Gesetz, das Material für die Gestaltung zu liefern und von ihr Material zurückzufordern, gegen sein Prinzip ständigen Zusammenstoßes und Kampfes des verkörperten Lebens um sein Dasein in einer Welt gegenseitigen Sichverzehrens. Das ist das Gesetz des Todes.

Hierin besteht also die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Todes: Er ist nicht eine Infragestellung des Lebens sondern ein Prozeß des Lebens. Tod ist notwendig, weil ewiger Wechsel der Form die einzige Unsterblichkeit ist, nach der die endliche, lebende Substanz streben kann. Ewiger Wechsel der Erfahrung ist die einzige Unendlichkeit, die das endliche, im lebenden Körper involvierte Mental erlangen kann. Diese Wandlung der Form darf nicht nur eine ständige Erneuerung desselben Form-Typus bleiben, wie er unser körperliches Leben zwischen Geburt und Tod konstituiert. Denn die notwendige Variation von Erfahrung, die die eigentliche Natur eines Daseins in Zeit und Raum erfordert, kann nur dadurch bewirkt werden, daß der Form-Typus verändert und das erfahrende Mental in neue Formen unter neuen Umständen von Zeit, Ort und Umgebung eingepflanzt wird. Diese notwendige und heilsame Wandlung läßt den Prozeß des Todes unserer sterblichen Mentalität nur deshalb als so schrecklich und unerwünscht erscheinen, weil alles aufgelöst und das Leben vom Leben verschlungen wird, weil Freiheit fehlt, weil Zwang, Kampf, Schmerz uns anscheinend dem Wicht-Selbst unterwerfen. Das Empfinden, aufgezehrt, zerbrochen, zerstört, durch Zwang fortgerissen zu werden, ist der Stachel des Todes, den auch die Überzeugung eines persönlichen Überlebens nicht ganz beseitigen kann.

Dieser Prozeß ist eine Notwendigkeit des gegenseitigen Sich-verzehrens, das, wie wir gesehen haben, das ursprüngliche Gesetz des Lebens in der Materie ist. Die Upanishad sagt: “Leben ist Hunger, und das ist Tod, und durch diesen Hunger, der Tod ist, asanaya mrtyuh, ist die materielle Welt erschaffen worden.” Leben gestaltet sich hier in materieller Substanz. Materielle Substanz ist Wesen, das unendlich zerteilt ist und sich immer wieder zusammenzuschließen sucht. Zwischen diesen beiden Impulsen unendlicher Zerteilung und unendlichen Zusammenschlusses ist das materielle Dasein des Universums konstituiert. Der Versuch des Individuums, des lebenden Atoms, sich zu behaupten und zu vergrößern, ist der Sinn des Verlangens: Es wächst physisch, vital, moralisch, mental, indem es mehr und mehr Erfahrung in sich aufnimmt, immer mehr in seinen Besitz bringt, absorbiert, assimiliert, genießt. Das ist der unvermeidliche, fundamentale, unausrottbare Impuls des Daseins, sobald es einmal zerteilt und individualisiert ist. Jedoch bleibt es insgeheim seiner alles umfassenden, alles besitzenden Unendlichkeit stets bewußt. Der Impuls, dieses geheime Bewußtsein zu realisieren, ist der Sporn des kosmischen Göttlichen Wesens, die Lust des verkörperten Selbsts in jedem individuellen Geschöpf. Es ist unvermeidlich, richtig und heilsam, daß es dies zuerst in den Begriffen von Leben durch stets zunehmendes Wachsen und Sich-ausweiten verwirklichen soll. In der physischen Welt kann das nur dadurch getan werden, daß es sich von seiner Umgebung nährt, sich durch Absorption anderer oder vom Besitz anderer vergrößert. Diese Notwendigkeit ist die universale Rechtfertigung von Hunger in allen seinen Formen. Das, was verschlingt, muß auch selbst wieder verschlungen werden. Denn das Gesetz gegenseitigen Austauschs, von Aktion und Reaktion, von beschränkter Begabung und darum zuletzt von Erschöpfung und Erliegen, regiert alles Leben in der physischen Welt.

Was im unterbewußten Leben nur erst vitaler Hunger ist, überträgt sich im bewußten Mental in höhere Formen. Hunger in den vitalen Schichten wird im mentalisierten Leben zur Sehnsucht des Begehrens, zur Anspannung von Willen im intellektuellen oder denkenden Leben. Diese Bewegung von Begehren muß und sollte weitergehen, bis der Einzelne so herangewachsen ist, daß er zuletzt Herr über sich selbst und, durch zunehmendes Einswerden mit dem Unendlichen, Besitzer dieses Universums werden kann. Begehren ist der Hebel, durch den das göttliche Lebens-Prinzip sein Ziel durchsetzt, sich selbst im Universum zu behaupten. Der Versuch, es zugunsten dumpfer Trägheit zu vernichten, ist Verleugnung des göttlichen Lebens-Prinzips, ist Wille-zum-Nichtsein, und das ist zwangsläufig Unwissenheit. Denn man kann erst aufhören, individuell zu existieren, wenn man unendlich ist. Auch Begehren kann rechtmäßig nur dadurch aufhören, daß es zum Begehren des Unendlichen wird und seinen vollen Frieden in erhabener Erfüllung und unendlichem Genügen in der alles besitzenden Seligkeit des Unendlichen findet. Inzwischen muß es vom Typus sich gegenseitig verzehrenden Hungers zum Typus gegenseitigen Schenkens fortschreiten, zu einem froheren Opfer des Austauschs: Der Einzelne schenkt sich anderen Einzelnen und empfängt sie wieder im Austausch. Der Niedere gibt sich an den Höheren hin und der Höhere an den Niederen, so daß sie ineinander erfüllt werden können. Das Menschliche überantwortet sich dem Göttlichen und das Göttliche dem Menschlichen. Das All im Individuum ergibt sich dem All im Universum und empfängt als göttlichen Lohn seine verwirklichte Universalität. So muß das Gesetz des Hungers fortschreitend dem Gesetz der Liebe weichen, das Gesetz der Trennung dem Gesetz der Einheit, das Gesetz des Todes dem Gesetz der Unsterblichkeit. Von dieser Art ist die Notwendigkeit, die Rechtfertigung und die erhabene Höhe und Selbst-Erfüllung des Begehrens, das im Universum am Werk ist.

Wie die vom Leben angelegte Maske des Todes ihren Grund in der Bewegung seines endlichen Suchens hat, sich seiner Unsterblichkeit zu versichern, so ist Begehren der Impuls der Kraft des im Leben individualisierten Wesens, sich fortschreitend in den Begriffen der Aufeinanderfolge in der Zeit und der Selbst-Ausdehnung im Raum im Rahmenwerk des Endlichen seine unendliche Seligkeit, das ananda von saccidananda, zu sichern. Die von diesem Impuls getragene Maske des Begehrens rührt unmittelbar vom dritten Phänomen des Lebens her, von seinem Gesetz der Unfähigkeit. Leben ist unendliche Kraft, die in den Begriffen des Endlichen wirkt. Während ihres vordergründigen, individualisierten Wirkens im Endlichen muß die Allmacht dieser Kraft als begrenzte Begabung und partielle Machtlosigkeit erscheinen und wirken, obwohl hinter jedem, wenn auch noch so schwachen, versagenden und strauchelnden Handeln des Individuums die ganze überbewußte und unterbewußte Gegenwart unendlicher, allmächtiger Kraft stehen muß. Ohne sie kann sich im Kosmos nicht die geringste Bewegung ereignen. In ihre Summe universaler Aktion versinkt jeder einzelne Akt und jede Bewegung durch das Gebot der allmächtigen Allwissenheit, die als das den Dingen innewohnende Supramental wirkt. Die individualisierte Lebenskraft ist aber ihrem eigenen Bewußtsein gegenüber begrenzt und unfähig. Sie muß nicht nur gegen eine Masse anderer individualisierter Lebenskräfte aus ihrer Umgebung handeln, sondern ist auch der Kontrolle und Infragestellung durch das unendliche Leben selbst unterworfen, mit dessen totaler Willens-Tendenz ihr eigener Wille und ihre eigene Neigung nicht ohne weiteres übereinstimmen mögen. Darum ist Beschränkung von Kraft, das Phänomen Unfähigkeit, die dritte der drei bezeichnenden Eigenschaften individualisierten und zerteilten Lebens. Andererseits bleibt der Impuls, sich selbst auszuweiten und alles zu besitzen, bestehen und nimmt nicht die Begrenztheit seiner jetzigen Kraft oder Fähigkeit zum Maßstab oder beschränkt sich darauf (was er auch gar nicht tun soll). Aus dem Mißverhältnis zwischen dem Impuls, zu besitzen, und der Kraft, in Besitz zu nehmen, entsteht das Begehren. Wenn es diese Diskrepanz nicht gäbe, wenn die Kraft den begehrten Gegenstand stets in Besitz nehmen und ihr Ziel stets sicher erreichen könnte, würde Begehren gar nicht entstehen; vielmehr gäbe es einen ruhigen, das Selbst besitzenden Willen ohne sehnendes Verlangen, so wie es der Wille des Göttlichen Wesens ist.

Wäre die individualisierte Kraft die Energie eines von Unwissenheit freien Mentals, würde eine solche Beschränkung, eine Notwendigkeit des Begehrens nicht eintreten. Ein vom Supramental nicht getrenntes Mental, ein Mental göttlichen Wissens, würde die Absicht, Reichweite und das unvermeidliche Ergebnis jeder seiner Handlungen kennen. Es brauchte sie nicht zu begehren und nicht darum zu ringen. Vielmehr würde es eine in sich sichere, selbst-beschränkte Kraft für den unmittelbar beabsichtigten Zweck einsetzen. Auch wenn es über das Gegenwärtige hinausstrebt und Bewegungen unternimmt, für die kein unmittelbarer Erfolg beabsichtigt ist, wäre es doch nicht dem Begehren oder der Beschränkung unterworfen. Denn auch die Mißerfolge des Göttlichen Wesens sind Akte seiner allwissenden Allmacht, die die rechte Zeit und die Umstände für den Anfang, die Wechselfälle, vorläufigen und endgültigen Ergebnisse all seiner kosmischen Unternehmungen kennt. Das Wissens-Mental würde in seinem Einklang mit dem göttlichen Supramental an diesem Wissen und an dieser alles entscheidenden Macht teilhaben. Wie wir aber gesehen haben, ist die individualisierte Lebenskraft Energie eines individualisierenden und unwissenden Mentals, eines Mentals, das aus der Erkenntnis seines eigenen Supramentals herausgefallen ist. Darum ist für seine Beziehungen im Leben das Unvermögen notwendig und in der Natur der Dinge unvermeidlich. Denn die praktische Allmacht unwissender Kraft selbst in einer begrenzten Sphäre ist undenkbar, da sich solch eine Kraft hier dem Wirken der göttlichen, allwissenden Allmacht entgegenstellen und die feststehende Absicht der Dinge auflösen würde –, eine unmögliche kosmische Situation. Darum ist das erste Gesetz des Lebens der Kampf begrenzter Kräfte, die durch Ringen unter dem vorwärtsdrängenden Antrieb instinktiven oder bewußten Begehrens ihre Begabung erweitern. Wie beim Begehren, so ist es auch bei diesem Ringen: es muß sich in ein gegenseitig hilfreiches Erproben von Stärke, in ein bewußtes Ringen von Bruder-Kräften emporheben, bei denen der Sieger und der Besiegte, oder vielmehr das, was durch Wirken von oben her, und das, was durch den Gegenschlag eines Wirkens von unten her, aufeinander Einfluß ausübt, in gleicher Weise gewinnen und wachsen muß. Das muß zuletzt wieder zum frohen Zusammenstoß eines göttlichen Austauschs der Kräfte, zur starken Umarmung der Liebe führen, die die krampfhafte Umklammerung des Kampfes ersetzt. Immerhin ist Kampf der notwendige, heilsame Anfang. Tod, Begehren und Kampf sind die Trinität zerteilten Lebens, die dreifache Maske des göttlichen Lebens-Prinzips bei seinem ersten Versuch, sich im Kosmos durchzusetzen.