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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XXI. Der Aufstieg des Lebens

Laßt den Pfad des Wortes zu den Gottheiten führen, hin zu den Wassern, durch das Wirken des Mentals.

Rig Veda, X.30.1.

O Flamme, du gehst zum Himmels-Ozean, zu den Göttern. Du läßt die Gottheiten der Ebenen sich treffen, die Wasser, die Im Bereich des Lichtes über der Sonne sind, und die Wasser, die darunter bleiben.

Rig Veda, III.22.3.

Der Herr der Seligkeit erobert den dritten Zustand. Er erhält und regiert im Einklang mit der Seele des Allumfassenden. Wie ein Falke, wie eine Weihe läßt er sich auf dem Gefäß nieder und hebt es empor, als Finder des Lichts offenbart er den vierten Zustand und bleibt dem Ozean treu, der das Wogen dieser Wasser ist.

Rig Veda, IX.96.18,19.

Dreimal schritt Vishnu, setzte er seinen Schritt, aufgerichtet aus dem ursprünglichen Staub. Drei Schritte ist er geschritten, der Wächter, der Unbesiegbare, und vom Jenseits her hält er ihre Gesetze aufrecht. Erforsche die Wirkungen Vishnus und schaue, von wo er ihre Gesetze geoffenbart hat! Das Ist sein höchster Schritt, der je von Sehern geschaut wird, wie ein Auge, das sich im Himmel weitete; jenes entzünden die Erleuchteten, die Erwachten, zu lodernder Flamme: eben Vishnus höchsten Schritt.

Rig Veda, I.22.17-21.

Wir haben gesehen: Wie das zerteilte sterbliche Mental, Urheber der Begrenzung, Unwissenheit und Dualitäten, nur eine unerleuchtete Gestalt des Supramentals ist, des aus dem Selbst leuchtenden Göttlichen Bewußtseins bei seinem ersten Umgang mit der scheinbaren Verneinung seines Selbsts, aus der unser Kosmos entsteht, so ist auch Leben nur eine dunkle Gestaltung der göttlichen überbewußten Kraft, deren höchste Begriffe Unsterblichkeit, zufriedene Seligkeit und Allmacht sind, wenn es in unserem materiellen Universum als Energie des zerteilenden Mentals, unterbewußt, in Materie versunken und gefangen, als Urheber von Tod, Hunger und Unfähigkeit hervortritt. Diese Beziehung stellt die Eigentümlichkeit jenes großen kosmischen Vorgangs fest, dessen Teil wir sind. Sie bestimmt die ersten, die mittleren und die letzten Begriffe unserer Evolution. Die ersten Begriffe von Leben sind Zerteilung, ein Kraft-getriebener unterbewußter Wille, der nicht als Wille, sondern als dumpfer Drang physischer Energie erscheint und die Ohnmacht eines trägen Unterworfenseins unter jene mechanischen Kräfte ist, die den Austausch zwischen der Form und ihrer Umgebung regieren. Dieses Nicht-Bewußtsein und dieses blinde, aber machtvolle Wirken von Energie sind der Typus des materiellen Universums, wie es der Physiker sieht, der diese seine Betrachtung der Dinge verallgemeinert und zum Ganzen des fundamentalen Daseins verkehrt. Es ist das Bewußtsein von Materie und der vollendete Typus materiellen Lebens. Hier kommt es aber zu einem neuen Kräfte-Gleichgewicht. Eine neue Reihe von Begriffen tritt auf, die in dem Maße wachsen, in dem sich das Leben aus dieser Form befreit und zum bewußten Mental zu entwickeln beginnt. Denn die mittleren Begriffe von Leben sind Tod und gegenseitiges Sichverzehren, Hunger und bewußtes Verlangen, das Empfinden von begrenztem Raum und beschränkter Begabung, sowie das Bemühen, zu wachsen, sich auszudehnen, zu erobern und zu besitzen. Diese drei Begriffe bilden die Grundlage für diese Stufe der Evolution, die zuerst die Theorie Darwins der menschlichen Erkenntnis erschlossen hat. Denn das Phänomen des Todes schließt in sich den Kampf um Überleben ein, da Tod nur der negative Begriff ist, in dem sich Leben vor sich selbst verbirgt, um sein positives Wesen anzureizen, nach der Unsterblichkeit zu suchen. Denn das Phänomen von Hunger und Begehren involviert das Ringen nach einem Zustand von Befriedigung und Sicherheit, da Begehren nur der Anreiz ist, durch den Leben das eigene positive Wesen verlockt, aus der Negation unerfüllten Hungers zum vollen Besitz der Daseins-Seligkeit zu gelangen. Das Phänomen begrenzter Begabung involviert das Ringen um Ausdehnung, Meisterschaft, den Besitz des eigenen Selbsts und die Eroberung der Umwelt. Denn Einschränkung und Mangel sind nur die Negation, durch die Leben sein eigenes positives Wesen ermutigen will, nach Vollkommenheit zu suchen, zu der es stets fähig ist. Der Kampf um Leben ist nicht nur ein Kampf um Überleben, er ist auch ein Kampf um Besitz und Vervollkommnung, da Überleben nur gesichert werden kann, wenn wir unsere Umwelt mehr oder weniger in unsere Macht bekommen: durch Selbst-Anpassung an sie oder indem wir sie uns anpassen, sie akzeptieren und uns mit ihr aussöhnen oder sie erobern und umwandeln. Ebenso ist es wahr, daß wir uns nur durch immer mehr Vervollkommnung Dauerhaftigkeit, bleibendes Überleben sichern können. Diese Wahrheit sucht der Darwinismus durch die Formel vom Überleben des Tüchtigsten auszudrücken.

Wie das naturwissenschaftliche Mental auf das Leben jenes mechanische Prinzip auszuweiten versuchte, das dem Dasein und verborgenen mechanischen Bewußtsein in der Materie eigentümlich ist, ohne zu erkennen, daß ein neues Prinzip auftrat, dessen eigentlicher Daseinsgrund es war, über das Mechanische Herr zu werden, so wurde auch die Formel Darwins verwendet, um das aggressive Prinzip des Lebens zu weit über seine Geltung hinaus auszudehnen: die vitale Ichsucht des Individuums, den Instinkt und Prozeß der Selbsterhaltung, Selbstbehauptung und aggressive Lebensweise. Denn diese beiden ersten Zustandsformen von Leben enthalten in sich die Keime eines neuen Prinzips und eines anderen Zustands, der in dem Maße weiterwachsen muß, wie sich das Mental aus der Materie mittels der vitalen Formel in sein eigenes Gesetz entfaltet. Mehr noch müssen sich alle Dinge verändern, wenn ebenso, wie sich Leben zum Mental emporentwickelt, dieses Mental sich weiterentwickelt zum Supramental und zum Geist. Gerade weil der Kampf um Überleben, der Impuls zur Dauer auf den Widerspruch des Gesetzes des Todes stößt, wird das individuelle Leben gezwungen und dazu verwendet, Dauer eher für die Gattung zu suchen als für sich selbst. Das kann es aber ohne die Mitwirkung anderer nicht leisten. So werden das Prinzip des Zusammenwirkens und gegenseitiger Hilfe, das Verlangen nach den anderen, nach Weib und Kind, Freund und Helfer, nach der vereinten Gruppe, nach der Praxis des Zusammenschlusses, nach bewußter Gemeinschaft und nach Austausch zu Keimen, aus denen das Prinzip der Liebe erblüht. Zugegeben, Liebe ist zuerst eine ausgeweitete Ichsucht, und dieser Aspekt eines umfassenderen Egoismus mag weiter andauern und vorherrschen, wie er ja auch noch auf höheren Stufen der Evolution fortwirkt und vorherrscht. Wenn sich das Mental aber weiterentwickelt und immer mehr sich selbst findet, erkennt es dank der Erfahrung von Leben, Liebe und gegenseitiger Hilfe immer mehr, daß das naturhafte Individuum nur ein untergeordneter Begriff des Wesens ist und durch das Weltumfassende existiert. Hat der Mensch, das mentale Wesen, dies einmal entdeckt – wie er es unausbleiblich entdecken muß ist sein Schicksal bestimmt. Denn er hat den Punkt erreicht, da das Mental sich immer mehr der Wahrheit öffnen kann, daß es etwas jenseits von ihm gibt. Von diesem Augenblick an ist seine Entwicklung, wie dunkel und langsam sie auch sein mag, zu etwas Höherem vorbestimmt: zum Geist, zum Supramental, zum übermenschlichen Wesen.

Darum ist Leben durch seine eigene Natur für einen dritten Zustand prädestiniert, zu einer dritten Reihe von Begriffen, in denen es sich ausdrückt. Untersuchen wir diesen Aufstieg des Lebens, so werden wir sehen, daß die letzten Begriffe seiner aktuellen Evolution, die Begriffe dessen, was wir den dritten Zustand nennen, in ihrer Erscheinung notwendigerweise seinen ersten Zustandsformen völlig widersprechen und in Gegensatz zu ihnen stehen müssen, während sie in Wirklichkeit deren wahre Erfüllung und Umgestaltung sind. Leben beginnt mit äußersten Zerteilungen und starren Formen von Materie. Der eigentliche Typus dieser strengen Zerteilung ist das Atom, das die Grundlage aller materiellen Form ist. Das Atom steht von allen anderen Atomen selbst dann gesondert da, wenn es mit ihnen eine Einheit bildet. Es weist Tod und Auflösung durch jede gewöhnliche Kraft zurück. Es ist der physikalische Typus des abgesonderten Ichs, das sein Dasein gegen das Prinzip der Verschmelzung in der Natur abgrenzt. Aber in der Natur ist Einheit ein ebenso starkes Prinzip wie Trennung. Eigentlich ist es das Hauptprinzip, zu dem die Zertrennung nur ein untergeordneter Begriff ist. Darum muß sich jede zerteilte Form dem Prinzip der Einheit auf die eine oder andere Weise unterwerfen: durch mechanische Notwendigkeit, Zwang, Zustimmung oder freundlichen Druck. Wenn also die Natur wegen ihrer eigenen Ziele und um prinzipiell eine gesicherte Basis für ihre Kombinationen und einen festen Kern für ihre Formen zu besitzen, dem Atom gewöhnlich erlaubt, dem Prozeß der Fusion durch Auflösung zu widerstehen, zwingt sie es doch, dem Prozeß der Verschmelzung durch Zusammenschluß zu dienen. Wie das Atom der erste Zusammenschluß ist, so ist es auch die erste Grundlage für einheitliche Zusammenschlüsse.

Wenn Leben seinen zweiten Zustand erreicht, den wir als Vitalität kennen, übernimmt das entgegengesetzte Phänomen die Führung. Dann muß die physische Basis des vitalen Ichs der Auflösung zustimmen. Seine Bestandteile werden zerbrochen, so daß die Elemente des einen Lebens verwendet werden können, in die elementare Formation anderer Leben einzugehen. Wir haben noch nicht völlig erkannt, bis zu welchem Ausmaß dieses Gesetz in der Natur herrscht, und wir können das auch erst, wenn wir eine Wissenschaft vom mentalen Leben und spirituellen Dasein haben, die so gut fundiert ist wie unsere jetzige Wissenschaft des physischen Lebens und des Daseins der Materie. Immerhin können wir im allgemeinen sehen, daß nicht nur die Elemente unseres physischen Körpers, sondern auch die unseres subtileren vitalen Wesens, unsere Lebens-Energie, die Energie unseres Begehrens, unsere Mächte, Kämpfe und Leidenschaften sowohl während unseres Lebens wie auch nach unserem Tod in die Existenz anderer eingehen. Ein altes geheimes Wissen sagt uns: Wir haben ebenso eine vitale wie eine physische Struktur; auch sie wird nach dem Tod aufgelöst und gibt sich für die Konstituierung anderer vitaler Körper her. Solange wir leben, vermischen sich unsere Lebens-Energien ständig mit den Energien anderer Wesen. Ein ähnliches Gesetz lenkt die Beziehungen zwischen unserem mentalen Leben und dem mentalen Leben anderer denkender Geschöpfe. Es ist da eine ständige Auflösung, Ausstreuung und eine Rekonstruktion, die durch die Schockwirkung von Mental auf Mental mit konstantem Austausch und der Fusion von Elementen ausgeübt wird. Gegenseitiger Austausch, Vermischung und Fusion von Wesen mit Wesen ist der eigentliche Lebensprozeß, ein Daseins-Gesetz des Lebens.

So haben wir im Leben zwei Prinzipien: einerseits die Notwendigkeit oder den Willen des gesonderten Ichs, in seiner Besonderheit zu überleben und seine Identität zu bewahren; andererseits den ihm von der Natur auferlegten Zwang, mit anderen zu verschmelzen. In der physikalischen Welt legt die Natur auf ersteren Impuls starken Nachdruck. Denn sie muß stabile besondere Formen erschaffen, da es ihr erstes und in der Tat schwierigstes Problem ist, so etwas wie ein gesondertes Überleben von Individualität und für diese eine stabile Form zu erschaffen inmitten der ständigen Strömung und Bewegung von Energie und innerhalb der Einheit des Unendlichen. Darum bleibt im Atomleben die individuelle Form als Basis bestehen und sichert durch ihren Zusammenschluß mit anderen das mehr oder minder lang ausgedehnte Dasein aggregater Formen, die zur Basis vitaler und mentaler Individualisierungen werden. Sobald die Natur aber in dieser Beziehung genügend Festigkeit für eine ausreichend gesicherte Durchführung ihrer späteren Maßnahmen gewonnen hat, kehrt sie das Verfahren um. Die individuelle Form geht zugrunde, und das zu Gruppen zusammengeschlossene Leben gewinnt durch die Elemente der so aufgelösten Form. Das kann aber nicht die letzte Stufe sein. Diese kann nur erreicht werden, wenn die beiden Prinzipien harmonisiert sind, wenn das Individuum im Bewußtsein seiner Individualität beharren und dennoch mit anderen verschmelzen kann, ohne das bewahrende Gleichgewicht zu stören und ohne das Überleben zu unterbrechen.

Die Begriffe des Problems setzen voraus, daß das Mental völlig hervortritt. In einer Vitalität ohne bewußtes Mental kann es keine Ausgeglichenheit geben, nur ein zeitweiliges instabiles Gleichgewicht, das im Tod des Körpers, in der Auflösung des Individuums und in der Ausstreuung seiner Elemente in das Allumfassende endet. Die Eigenart physischen Lebens verbietet die Idee einer individuellen Form, die dieselbe innewohnende Macht zur Dauerhaftigkeit und darum auch zum fortgesetzten individuellen Dasein hat wie das Atom, aus dem sie zusammengesetzt ist. Nur ein mentales Wesen, das sich auf die verbindende psychische Mitte im Inneren stützen kann, die die geheime Seele ausdrückt oder auszudrücken beginnt, kann hoffen, dadurch zu überdauern, daß es in einem Strom von Kontinuität Vergangenheit mit Zukunft verknüpft. Wenn die Form zerbricht, mag auch die Kontinuität in der physischen Erinnerung abbrechen. Das braucht aber die Kontinuität im mentalen Wesen nicht zu zerstören, da durch mögliche Entwicklung die Lücke in der physischen Erinnerung überbrückt werden kann, die durch Tod und Geburt des Körpers geschaffen wurde. Selbst im jetzigen Zustand und bei der gegenwärtigen unvollkommenen Entwicklung des verkörperten Mentals wird das mentale Wesen der Masse einer Vergangenheit und einer Zukunft inne, deren Ausdehnung größer ist als die Lebens-Dauer dieses Körpers. Der Mensch nimmt in sich eine individuelle Vergangenheit individueller Lebensabläufe wahr, die sein jetziges Leben geschaffen haben und deren Entwicklung und abgewandelte Reproduktion er selbst ist. Er ahnt künftige individuelle Lebensabläufe, die er aus sich selbst erschafft. Er ist auch eines gemeinschaftlichen vergangenen und künftigen Lebens bewußt, in das seine eigene Kontinuität als einer von dessen Fäden eingewoben ist. Was der physischen Wissenschaft in den Begriffen von Vererbung einleuchtet, wird in anderer Weise der sich hinter dem mentalen Wesen entfaltenden Seele in den Begriffen fortdauernder Personalität deutlich. So ist das mentale Wesen, das dieses Seelen-Bewußtsein ausdrücken kann, die Verknüpfung des fortdauernden individuellen Lebens mit dem fortdauernden Gemeinschaftsleben. In ihm werden ihre Einheit und Harmonie möglich.

Ein Zusammenschluß mit Liebe als dem geheimen Prinzip und der hervorragend höchsten Erfüllung ist Typus und Macht dieser neuen Beziehung, darum auch das bestimmende Prinzip der Entwicklung zum dritten Zustand des Lebens. Notwendig für das Wirken des Prinzips der Liebe ist die bewußte Erhaltung der Individualität zusammen mit dem bewußt als notwendig anerkannten Verlangen nach Austausch, Selbst-Hingabe und Verschmelzung mit anderen Individuen. Wenn eine dieser beiden Voraussetzungen unerfüllt bleibt, hört das Wirken der Liebe auf, einerlei, was dann ihren Platz einnehmen mag. Erfüllung der Liebe durch völliges Sich-aufopfern, ja mit einer Illusion der Selbst-Vernichtung, ist gewiß auch eine Idee und ein Impuls im mentalen Wesen. Das weist aber auf eine Entwicklung hin, die jenseits des dritten Status des Lebens liegt. Der dritte Status ist ein Zustand, in dem wir immer mehr über den Kampf ums Leben durch gegenseitiges Sichaufzehren und das Überleben des Tüchtigen durch diesen Kampf hinauskommen. Hier kommt es immer mehr zu einem Überleben durch gegenseitige Hilfe und zur Selbst-Vervollkommnung durch gegenseitige Anpassung, durch Austausch und Verschmelzung. Leben ist zwar eine Selbst-Behauptung des Wesens, sogar Entwicklung und Überleben des Ichs, aber eines Wesens das die anderen Wesen braucht, und eines Ichs, das sich mit dem Ich anderer Menschen zu vereinigen und sie ebenso in sich einzuschließen sucht, wie es in ihr Leben einbezogen werden will. In diesem dritten Status der Evolution werden am tüchtigsten zum Überleben jene Individuen und Vereinigungen sein, die am meisten das Gesetz der Gemeinschaft und das Gesetz der Liebe verwirklichen: allgemeine Hilfe, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Kameradschaftlichkeit und Einheit; die am erfolgreichsten das eigene Überleben mit gegenseitiger Selbst-Hingabe in Einklang bringen; deren Gesellschaft das Individuum ebenso wachsen läßt wie das Individuum die Gesellschaft; wo der Einzelne den Einzelnen und die Gemeinschaft die Gemeinschaft stärken durch gegenseitigen Austausch.

Diese Entwicklung ist für die zunehmende Vorherrschaft des Mentals1 bedeutsam, das sein Gesetz dem materiellen Dasein in stetigem Fortschritt auferlegt. Da das Mental eine größere Feinheit besitzt, braucht es nicht etwas zu verzehren, um es sich einzugliedern, es zu besitzen und dadurch zu wachsen. Vielmehr empfängt und wächst es um so mehr, je mehr es hingibt. Je mehr es mit anderen verschmilzt, desto mehr nimmt es diese in sich hinein und vermehrt so die umfassende Weite seines Wesens. Physisches Wesen erschöpft sich, wenn es sich zu sehr verausgabt. Es ruiniert sich, wenn es zu viel verzehrt. Wenn das Mental sich auf das Gesetz der Materie stützt, erleidet es im gleichen Maß dieselbe Beschränkung. In dem Maß aber, in dem es in das eigene Gesetz hineinwächst, neigt es dazu, diese Beschränkung zu überwinden. Je mehr es die materielle Beschränkung überwindet, desto mehr werden Geben und Empfangen eines. In seinem Emporsteigen wächst das Mental in das Gesetz der bewußten Einheit in Unterschiedlichkeit, in das göttliche Gesetz des geoffenbarten saccidananda.

Der zweite Begriff des ursprünglichen Lebens-Status ist unterbewußter Wille, der im sekundären Status zu Hunger und bewußtem Begehren wird, dem ersten Keim bewußter Mentalität. Die Entwicklung in den dritten Lebens-Zustand durch das Prinzip des Zusammenschlusses, das Wachstum der Liebe, hebt das Gesetz des Begehrens nicht auf, vielmehr wird es dadurch verwandelt und erfüllt. Ihrer Natur gemäß ist Liebe der Wunsch, sich an andere hinzugeben und andere im Tausch dafür zu empfangen. Es ist ein Handel zwischen dem einen und dem anderen Wesen. Physisches Leben begehrt nicht, sich hinzugeben; es begehrt nur zu empfangen. Es ist wahr, daß es gezwungen wird, sich hinzugeben; denn das Leben, das nur empfängt und nicht selbst gibt, muß unfruchtbar werden, verdorren und zugrunde gehen, – falls ein solches Leben in vollem Umfang überhaupt hier oder in irgendeiner Welt möglich ist. Es wird aber dazu gezwungen und ist selbst nicht willens. Es gehorcht eher dem unterbewußten Impuls der Natur, als daß es bewußt daran Anteil hat. Selbst wenn Liebe dazukommt, bewahrt die Selbst-Hingabe anfangs noch weithin den mechanischen Charakter des unterbewußten Willens im Atom. Liebe selbst gehorcht anfangs dem Gesetz des Hungers und genießt eher das Empfangen und die Ausnutzung anderer, als daß sie sich anderen schenkt und sich ihnen unterordnet; letzteres akzeptiert sie höchstens als notwendigen Preis für das, was sie begehrt. Hier hat sie eben noch nicht ihre wahre Natur erlangt. Ihr wahres Gesetz ist, einen gleichen Handel zu schaffen, in dem die Freude am Schenken ebenso groß ist wie die Freude über das Empfangen und am Ende sogar dazu neigt, die größere zu werden. Das geschieht aber dann, wenn sie unter dem Druck der psychischen Flamme über sich hinausschießt, um in der äußersten Einheit ihre Erfüllung zu erlangen. Deshalb kann sie nun, statt ihrer eigenen Individualität, das, was ihr zuerst als das Nicht-Selbst erschien, als ein größeres und lieberes Selbst verwirklichen. In seinem Lebens-Ursprung ist das Gesetz der Liebe der Impuls, sich selbst in anderen und durch andere zu verwirklichen und zu erfüllen; reich zu werden, indem man andere bereichert; andere zu besitzen und selbst ein Besitz der anderen zu sein, weil man, wenn man nicht auch von den anderen in Besitz genommen wird, sich selbst nicht bis zum letzten besitzen kann.

Zum ersten Lebens-Status gehört, daß das dumpfe Atom-Dasein unfähig ist, sich selbst zu besitzen, und das materielle Individuum dem Nicht-Selbst unterworfen ist. Der Typus des zweiten Status ist das Bewußtsein, eingeschränkt zu sein, und der Kampf, beides, das Selbst und das Nicht-Selbst, zu besitzen und zu beherrschen. Auch hier bringt die Entwicklung zum dritten Status eine Umwandlung der ursprünglichen Begriffe zu Erfüllung und Harmonie: Sie wiederholen die Begriffe, während sie ihnen zu widersprechen scheinen. Durch Gemeinschaftsbildung und Liebe kommt es zur Anerkennung des Nicht-Selbsts als eines größeren Selbsts und darum zur bewußt akzeptierten Unterwerfung unter sein Gesetz und seine Forderung, die den wachsenden Impuls gemeinschaftlichen Lebens erfüllt, das Individuum zu absorbieren. Hier kommt es wieder dazu, daß das Individuum das Leben anderer und alles dessen, was es ihm zu geben hat, als sein Eigen in seinen Besitz nimmt und so wieder den entgegengesetzten Impuls zu individuellem Besitz erfüllt. Diese Beziehung auf Gegenseitigkeit zwischen dem Individuum und der Welt, in der es lebt, kann so lange nicht richtig ausgedrückt werden oder vollständig und gesichert sein, als nicht die gleiche Beziehung zwischen Individuum und Individuum und zwischen den Gemeinschaften hergestellt ist. Das ganze schwierige Bemühen des Menschen, Selbstbehauptung und Freiheit, durch die er sich selbst besitzt, in Einklang zu bringen mit Gemeinschaft und Liebe, Brüderlichkeit und Kameradschaft, in denen er sich an andere hingibt, sowie seine Ideale des harmonischen Gleichgewichts, der Gerechtigkeit, Gegenseitigkeit, Gleichheit, durch die er einen Ausgleich der beiden Gegensätze schaffen will, sind in Wirklichkeit ein in seinen Grundlinien unvermeidlich vorausbestimmter Versuch, das ursprüngliche Problem der Natur zu lösen, das Problem des Lebens selbst durch Auflösung des Konflikts zwischen den beiden Gegensätzen, die sich schon in den Grundlagen des Lebens in der Materie vorfinden. Diese Lösung wird durch das höhere Prinzip des Mentals versucht, das allein den Weg zu der beabsichtigten Harmonie finden kann, auch wenn man diese Harmonie selbst in einer Macht entdecken kann, die noch jenseits von uns liegt.

Wenn die Daten, von denen wir ausgingen, richtig sind, kann das Ende des Wegs, das Ziel selbst, nur von einem Mental erreicht werden, das über sich selbst empordringt in das, was jenseits des Mentals liegt. Mental ist von Jenem nur ein untergeordneter Begriff und dessen Werkzeug: zunächst für das Herabkommen in die Gestaltung und Individualität und sodann für den Wiederaufstieg in jene Wirklichkeit, die sich in der Form verkörpert und durch die Individualität repräsentiert wird. Darum ist es unwahrscheinlich, daß die vollkommene Lösung des Lebens-Problems allein verwirklicht werden kann durch Zusammenschluß, gegenseitigen Austausch und Hilfsbereitschaft der Liebe oder allein durch das Gesetz des Mentals und des Herzens. Sie muß durch einen vierten Lebens-Status kommen. In ihm wird die ewige Einheit der Vielen durch den Geist realisiert. Dann werden die Lebensfunktionen bewußt nicht mehr auf die Zerteilungen des körperlichen Daseins gegründet, auch nicht auf die Leidenschaften und den Hunger der Vitalität oder auf die Gruppierungen und unvollkommenen Harmonien des Mentals oder auf eine Kombination all dieser, sondern auf die Einheit und Freiheit des Geistes.

 

1 Hier wird vom Mental so gesprochen, wie es unmittelbar im Leben, im vitalen Wesen, durch das Herz wirkt. Liebe (als das relative, nicht als das absolute Prinzip) ist ein Prinzip des Lebens, nicht des Mentals; es kann aber nur dann im Besitz seines Selbsts sein und sich auf beständige Dauer hin entwickeln, wenn es vom Mental in dessen Licht emporgehoben wird. Was im Körper und in den vitalen Schichten Liebe genannt wird, ist meist eine Form von Hunger ohne Dauer.

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