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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XXIV. Materie

Er kam zu der Erkenntnis: Materie ist brahman.

Taittiriya Upanishad, III. 2.

Wir haben nun die rationale Gewißheit gewonnen: Leben ist weder ein unerklärlicher Traum noch ein unmögliches Übel, das dennoch zur schmerzvollen Tatsache geworden ist, sondern ein mächtiger Pulsschlag göttlichen All-Seins. Wir erkennen etwas von seiner Grundlage und seinem Prinzip. Wir schauen aufwärts zu seinen hohen Möglichkeiten und seinem erhabenen göttlichen Aufblühen. Nun gibt es aber das eine Prinzip unterhalb all der anderen, das wir noch nicht genügend betrachtet haben: das Prinzip der Materie, auf dem das Leben wie auf einem Sockel steht oder aus dem es sich wie die Gestalt eines vielästigen Baumes aus der Schale des Kerns entwickelt hat. Des Menschen Mental, Leben und Körper hängen von diesem physischen Prinzip ab. Wenn das Aufblühen des Lebens dadurch entsteht, daß das Bewußtsein als Mental aus ihm hervortritt, sich ausdehnt und im Suchen nach seiner eigenen Wahrheit in die Weite des supramentalen Seins erhebt, so scheint es doch auch durch diese Schale von Körper und durch dieses Fundament von Materie bedingt zu sein. Die Bedeutung des Körpers ist offensichtlich. Der Mensch ist nur deshalb über das Tier emporgekommen, weil er einen Körper und ein Gehirn entwickelt oder empfangen hat, die fortschreitende mentale Erleuchtung aufnehmen und sich ihrer bedienen können. So wird er auch nur dadurch über sich selbst hinauswachsen und nicht nur im Denken und im inneren Wesen, sondern im Leben ein vollkommenes göttliches Menschentum verwirklichen, wenn er einen Körper oder zumindest ein tätiges physisches Instrument entwickelt, das fähig ist, eine noch höhere Erleuchtung zu empfangen und ihr zu dienen. Sonst wird entweder das Versprechen des Lebens aufgehoben, seine Bedeutung annulliert, so daß das irdische Wesen saccidananda nur realisieren kann, indem es sich selbst vernichtet, indem es Mental, Vital und Körper von sich abschüttelt und in das reine Unendliche zurückkehrt. Oder der Mensch ist nicht das göttliche Instrument, es gibt eine vorausbestimmte unüberschreitbare Grenze zu jener bewußt progressiven Macht, die ihn von allen anderen Erdenwesen unterscheidet. Und wie er jene entthront hat, so muß schließlich er durch ein anderes ersetzt werden, das sein Erbe antritt.

Es sieht wirklich so aus, als sei der Körper von Anfang an die große Schwierigkeit für die Seele, ihr ständiger Hemmschuh und Stein des Anstoßes. Darum hat der eifrige Sucher nach spiritueller Erfüllung seinen Bannstrahl gegen den Körper geschleudert. Seine Abscheu vor der Welt wählt vor allen anderen dieses Welt-Prinzip als besonderen Gegenstand der Verachtung. Der Körper ist ihm die düstere Last, die er nicht tragen kann. Seine widerspenstige materielle Grobheit wird für ihn zur Besessenheit, die ihn zum Leben des Asketen treibt, damit er von ihm befreit wird. Um ganz davon loszukommen, ist er soweit gegangen, die Wirklichkeit des materiellen Universums zu leugnen. Die meisten Religionen haben die Materie mit ihrem Fluch belegt und aus der Zurückweisung des physischen Lebens oder dem resignierten zeitlichen Ertragen des Lebens den Beweis für religiöse Wahrheit und Spiritualität gemacht. Die älteren Glaubensrichtungen zerteilten jedoch nicht so rigoros, sie waren geduldiger, grübelten tiefer und waren noch nicht berührt von der Qual der Seele und ihrer fiebernden Ungeduld unter der Last des Eisernen Zeitalters. Sie erkannten Erde als die Mutter und Himmel als den Vater an und erwiesen beiden in gleicher Weise ihre Liebe und Verehrung. Aber ihre alten Mysterien sind für unseren Blick dunkel und unergründlich, da wir, ob unsere Weltanschauung materialistisch oder spirituell ist, uns damit zufriedengeben, den Gordischen Knoten des Seins-Problems mit einem einzigen Hieb zu durchschneiden und die Flucht in ewige Seligkeit oder ein Ende in ewiger Vernichtung oder ewiger Stille zu akzeptieren.

In Wirklichkeit fängt dieser Streit nicht erst dann an, wenn wir zur Erkenntnis unserer spirituellen Möglichkeiten erwachen. Er beginnt schon dann, wenn das Leben selbst erscheint und darum kämpft, seine Aktivitäten und seine dauernden Zusammenschlüsse lebendiger Form gegen die Kraft der Trägheit, gegen die Kraft der Unbewußtheit, gegen die Kraft der atomaren Auflösung dieser Aggregate zu führen, die im materiellen Prinzip der Kern der großen Verneinung ist. Leben liegt in ständigem Krieg mit Materie. Die Schlacht scheint stets in der sichtbaren Niederlage des Lebens zu enden und in jenem Zusammenbruch bis hinab zu dem materiellen Prinzip, das wir Tod nennen. Mit dem Erscheinen des Mentals vertieft sich die Gegensätzlichkeit, denn das Mental hat seinen eigenen Streit mit Leben und Materie. Es ist in ständigem Kampf gegen ihre Beschränkungen, in ständiger Unterwerfung unter die Trägheit und Grobheit des einen und die Leidenschaften und Leiden des anderen, in dauernder Revolte gegen beide. Schließlich scheint – obwohl nicht ganz sicher - der Kampf für das Mental in einem teilweisen, teuer erkauften Sieg zu enden, bei dem es die vitalen Sehnsüchte besiegt, unterdrückt oder sogar ausrottet, die physische Kraft verkrüppelt, und das Gleichgewicht des Körpers im Interesse einer größeren mentalen Aktivität und eines höheren moralischen Wesens stört. In diesem Widerstreit entsteht seine Ungeduld gegenüber dem Leben, die Abscheu vor dem Körper und das Zurückweichen aus beiden in ein rein mentales und moralisches Dasein. Wenn der Mensch zu einem Dasein jenseits des Mentals erwacht, weitet er dieses Prinzip der Zwietracht noch mehr aus. Mental, Körper und Leben werden von ihm als die Trinität der Welt, als das Fleisch, als der Teufel verdammt. Aber auch das Mental wird als Ursprung all unserer Krankheit mit Bann belegt. Es wird Krieg erklärt zwischen dem Geist und seinen Werkzeugen. Den Sieg des spirituellen Bewohners sucht man darin, daß dieser aus seinem engen Haus entflieht, Mental, Leben und Körper zurückweist und sich in die eigenen Unendlichkeiten zurückzieht. Die Welt sei Zwietracht, wir würden ihre Verworrenheit am besten dadurch lösen, daß wir das Prinzip der Zwietracht selbst bis zu seiner äußersten Möglichkeit austragen, indem wir es wegschneiden und uns endgültig von ihm trennen.

Diese Niederlagen und Siege sind aber nur scheinbar, diese Lösung ist keine wirkliche Lösung des Problems, sondern Flucht vor ihm. Leben wird von Materie nicht wirklich besiegt, es schließt einen Kompromiß, indem es den Tod zur Fortsetzung des Lebens verwendet. Das Mental ist nicht wirklich siegreich gegenüber Leben und Materie, sondern hat bisher nur eine unvollkommene Entwicklung einiger seiner Potentialitäten auf Kosten anderer erreicht, die eng verbunden sind mit den unverwirklichten oder verworfenen Möglichkeiten seiner besseren Verwendung von Leben und Körper. Die individuelle Seele hat die niedere Dreifaltigkeit nicht besiegt, sondern nur deren Anspruch zurückgewiesen und ist dann aus dem Werk geflohen, das der Geist unternahm, als er sich am Anfang in der Form des Universums ausprägte. Das Problem dauert fort, weil die Arbeit des Göttlichen Wesens im Universum weitergeht, wenn sie auch bisher keine befriedigende Lösung des Problems oder eine irgendwie siegreiche Vollendung der Arbeit erreichte. Nun haben wir aber den Standpunkt eingenommen, daß saccidananda Anfang, Mitte und Ende ist. Kampf und Zwietracht können keine ewigen und fundamentalen Prinzipien in Seinem Wesen sein. Vielmehr erfordert gerade ihre Existenz unser Mühen um vollkommene Lösung und vollständigen Sieg. Deshalb sollen wir diese Lösung als wirklichen Sieg des Lebens über die Materie dadurch suchen, daß das Leben frei und vollkommen über den Körper verfügt; den wirklichen Sieg des Mentals über Leben und Materie dadurch, daß das Mental die Lebens-Kraft und Lebens-Form frei und vollkommen gebraucht; einen wirklichen Sieg des Geistes über die Dreifaltigkeit dadurch, daß der bewußte Geist Mental, Leben und Körper frei und vollkommen in Besitz nimmt. In der von uns erarbeiteten Anschauung kann allein diese letzte Eroberung die anderen möglich machen. Um zu erkennen, wie diese Siege überhaupt und vollauf möglich sein können, müssen wir in gleicher Weise die Wirklichkeit von Materie herausfinden, wie wir die Wirklichkeit von Mental, Seele und Leben entdeckt haben, als wir nach der grundlegenden Erkenntnis suchten.

In gewissem Sinn ist Materie unwirklich und nicht-seiend. Das heißt, unsere gegenwärtige Erkenntnis, Vorstellung und Erfahrung von Materie ist nicht ihre Wahrheit, sondern nur ein Phänomen besonderer Beziehung zwischen unseren Sinnen und dem All-Sein, in dem wir uns bewegen. Wenn die Naturwissenschaft entdeckt, daß Materie sich in Formen von Energie auflöst, hat sie eine universale und fundamentale Wahrheit gefunden. Und wenn die Philosophie feststellt, daß Materie dem Bewußtsein gegenüber nur als stoffliche Erscheinung existiert, während die einzige Wirklichkeit Geist oder reines bewußtes Wesen ist, hat sie eine noch größere, vollständigere und fundamentalere Wahrheit erfaßt. Doch bleibt noch die Frage, warum Energie diese Form von Materie und nicht die von bloßen Kraft-Strömungen annimmt oder warum das, was wirklich Geist ist, das Phänomen von Materie überhaupt zuläßt und nicht in Zuständen, Willensformen und Freuden des Geistes verbleibt. Darauf antwortet man: das sei das Wirken des Mentals, oder es sei das Werk der Sinne, da offenbar Denken nicht unmittelbar erschafft oder auch die materielle Form der Dinge nicht direkt wahrnimmt. Das Sinnen-Mental erschaffe die Formen, die es wahrzunehmen scheint, und das Denk-Mental arbeite an den Formen, die ihm das Sinnen-Mental darreicht. Offensichtlich ist aber das individuell verkörperte Mental nicht der Schöpfer des Phänomens der Materie. Das Erd-Dasein kann nicht das Ergebnis des menschlichen Mentals sein, das selbst das Resultat des Erd-Daseins ist. Wenn wir sagen, die Welt existiert nur in unserem Mental, sprechen wir eine Nicht-Tatsache, eine Verwechslung aus. Die materielle Welt existierte, bevor ein Mensch auf der Erde war, und sie wird weiter existieren, falls der Mensch von der Erde verschwindet oder sogar unser individuelles Mental sich im Unendlichen auflösen sollte. Wir müssen also zu dem Schluß kommen: es gibt ein allumfassendes Mental.1 Dieses universale Mental, das für uns in der Form des Universums unterbewußt, in seinem Geist überbewußt ist, hat diese Form zu seiner Wohnung erschaffen. Da der Schöpfer seiner Schöpfung vorausgegangen und größer sein muß als diese, setzt dies tatsächlich ein überbewußtes Mental voraus, das durch die Mitwirkung eines universalen Sinnes in sich selbst die Beziehung von Form zu Form erschafft und den Rhythmus des materiellen Universums konstituiert. Aber auch das ist noch keine vollständige Lösung. Sie sagt uns, Materie sei eine Schöpfung des Bewußtseins. Sie erklärt aber nicht, wie Bewußtsein dazu kam, Materie als Basis für sein kosmisches Wirken zu erschaffen.

Das werden wir besser verstehen, wenn wir sofort zum ursprünglichen Prinzip der Dinge zurückgehen. Sein ist in seiner Aktivität eine Bewußte Kraft, die das Wirken ihrer Kraft ihrem Bewußtsein als Formen seines eigenen Wesens darbietet. Da Kraft nur die Aktion eines einzigen allein-existierenden Bewußten Wesens ist, können ihre Ergebnisse nicht anderes als Formen dieses Bewußten Wesens sein. Stofflichkeit oder Materie ist dann nur eine Form von Geist. Die Erscheinung, die diese Geist-Form unseren Sinnen gegenüber annimmt, rührt von jener zerteilenden Wirkensweise des Mentals her, aus der wir folgerichtig die gesamte Erscheinungsform des Universums ableiten konnten. Wir wissen jetzt, daß Leben ein Wirken von Bewußter Kraft ist, dessen Resultat materielle Formen sind. Das in diese Formen involvierte Leben, das in ihnen zuerst als eine ihrer nicht bewußte Kraft erscheint, tritt bei seiner Evolution daraus hervor und bringt als Mental wieder jenes Bewußtsein zur Manifestation, das das wirkliche Selbst der Kraft ist und nie in ihr zu existieren aufhörte, auch wenn es nicht manifest gewesen ist. Ebenso wissen wir, daß das Mental eine untergeordnete Macht des ursprünglichen bewußten Wissens oder des Supramentals ist, eine Macht, für die Leben als hilfreiche Energie wirkt. Durch das Supramental herabkommend, stellt sich nämlich Bewußtsein, chit, als Mental dar, die Kraft des Bewußtseins, tapas, als Leben. Durch Absonderung von seiner eigenen höheren Wirklichkeit im Supramental erweckt Leben den Anschein von Zerteilung und wird schließlich durch Involution in seine eigene Lebens-Kraft im Leben unterbewußt und nimmt so die äußere Erscheinung einer ihren materiellen Aktivitäten gegenüber nicht-bewußten Kraft an. Darum muß die Nicht-Bewußtheit, die Trägheit, die atomare Auflösung der Verbindungen der Materie ihren Grund in diesem all-zerteilenden und sich-selbst-involvierenden Wirken von Mental haben, durch das unser Universum ins Dasein gekommen ist. So wie das Mental nur eine letzte Aktion des Supramentals bei seiner Herabkunft in die Schöpfung ist und Leben eine Aktion der Bewußten Kraft, die in den durch die Herabkunft des Mentals geschaffenen Bedingungen der Unwissenheit wirkt, so ist auch Materie, wie wir sie kennen, nur die letzte Form, die vom Bewußt-Seienden als das Ergebnis dieses Wirkens angenommen wurde. Materie ist Stoff des einen Bewußten Wesens, das erscheinungsmäßig durch das Wirken eines universalen Mentals2 in sich selbst zerteilt ist. Diese Zerteilung wiederholt das individuelle Mental und verharrt darin. Das hebt aber die Einheit des Geistes oder die Einheit der Energie oder die wirkliche Einheit der Materie nicht auf und verringert sie in keiner Weise.

Warum gibt es aber diese Zerteilung eines unzerteilbaren Seins in der äußeren Erscheinung und Praxis? Weil das Mental das Prinzip der Vielfalt bis zur äußersten Möglichkeit durchzuführen hat, was nur durch Absonderung und Trennung geleistet werden kann. Dazu muß das Mental sich aus sich heraus in das Leben hinauswerfen, um Formen für das Vielfältige zu erschaffen. Es muß dem universalen Prinzip des Wesens statt einer reinen oder subtilen Substanz die Erscheinung einer groben, materiellen geben. Es muß ihm sozusagen die äußere Erscheinung von Stofflichem geben, das sich in der Berührung mit dem Mental als etwas Stabiles, Gegenständliches in dauerhafter Vielfalt von Objekten darbietet, nicht als eine Substanz, die sich dem Kontakt des reinen Bewußtseins als etwas aus seinem ewigen Sein und seiner Wirklichkeit darstellt, oder den subtilen Sinnen als ein Prinzip plastischer Form, das in freier Weise das bewußte Wesen ausdrücken kann. Der Kontakt des Mentals mit seinen Gegenständen erschafft das, was wir Sinne nennen; hier aber unerleuchtete, nach außen gewendete Sinne, die von der Wirklichkeit dessen, womit sie in Kontakt kommen, überzeugt werden müssen. So folgt der Abstieg reiner Substanz in materielle Substanz unvermeidlich dem Abstieg von saccidananda durch das Supramental in Mental und Leben. Das ist das notwendige Ergebnis des Willens, eine Vielfalt des Seienden und das Wahrnehmen der Dinge von getrennten Zentren des Bewußtseins her zur ersten Methode dieser niederen Erfahrung des Seins zu machen. Wenn wir zur spirituellen Basis der Dinge zurückkehren, löst sich Stoffliches in seiner äußersten Reinheit in reines bewußtes Wesen auf, das aus dem Selbst existiert und seinem ursprünglichen Wesen gemäß durch Identität seines Selbsts inne ist, das aber noch nicht sein Bewußtsein auf sich selbst als auf sein Objekt richtet. Dieses Selbst-Innesein durch Identität bewahrt sich das Supramental als den Stoff seiner Selbst-Erkenntnis und als das Licht seiner Selbst-Schöpfung. Für diese Schöpfung stellt es aber das Sein sich selbst in der Subjekt-Objekt-Beziehung gegenüber, als das Eine und das Vielfältige seines aktiven Bewußtseins. Hier wird das Sein als Objekt einer höchsten Erkenntnis festgehalten, die es durch inneres Verstehen sowohl als Objekt der Erkenntnis in sich selbst, als auch subjektiv als sich selbst sehen kann. Die Erkenntnis kann aber auch, und zwar gleichzeitig, durch äußeres Verstehen das Sein als ein Objekt (oder als Objekte) der Erkenntnis in den Umkreis ihres Bewußtseins projizieren, der nichts anderes ist als das Sein selbst, ein Teil seines Wesens, aber ein Teil (oder Teile), den es von sich wegstellte, das heißt: weg vom Zentrum des Schauens, worin sich das Sein als der Wissende, als der beobachtende Zeuge oder purusha konzentriert. Wir haben gesehen, wie aus diesem verstehenden Bewußtsein die Bewegung des Mentals entsteht: jene Bewegung, durch die der individuell Erkennende eine Gestaltung seines eigenen universalen Wesens so betrachtet, als ob es ein anderes sei als er selbst. Im Göttlichen Mental gibt es aber unmittelbar, oder vielmehr gleichzeitig, eine andere Bewegung, oder besser die Kehrseite derselben Bewegung, einen Akt von Einung im Wesen, der diese Zerteilung der äußeren Erscheinung aufhebt und sie daran hindert, auch nur einen Augenblick lang für den Erkennenden zu etwas allein Wirklichem zu werden. Dieser Akt bewußter Einung ist das, was andererseits im zerteilenden Mental dumpf, unwissend, ganz äußerlich als Kontakt im Bewußtsein zwischen getrennten lebendigen Wesen und gesonderten Gegenständen dargestellt wird. Bei uns wird dieser Kontakt im geteilten Bewußtsein in erster Linie durch das Prinzip der Sinne dargestellt. Auf diese Sinnen-Basis, auf diesen der Zerteilung unterworfenen Kontakt der Einheit gründet sich das Wirken des Denk-Mentals, hier bereitet es sich vor auf die Rückkehr zu einem höheren Prinzip der Einung, in dem Zerteilung zum Anlaß der Einheit gemacht und ihr untergeordnet wird. Substanz, wie wir sie als materielle Stofflichkeit kennen, ist also die Form, in der das Mental, durch die Sinne handelnd, Kontakt mit dem Bewußten Wesen hält, von dem es selbst eine Bewegung des Wissens ist.

Das Mental neigt aber, seiner Natur gemäß, dazu, den Stoff des bewußten Wesens nicht in seiner Totalität zu erkennen und zu empfinden, sondern durch das Prinzip der Zerteilung. Es sieht ihn sozusagen in unendlich kleinen Punkten, die es zusammensetzt, um zur Ganzheit zu gelangen. Das kosmische Mental versenkt sich in diese Blickpunkte und Zusammensetzungen und verbleibt in ihnen. So verwandelt es durch sein Innewohnen – durch seine eingeborene Kraft als aktiver Repräsentant der Real-Idee schöpferisch wirkend und durch seine Art gehalten, alle seine äußeren Wahrnehmungen in Lebens-Energie umzuformen – als der All-Seiende alles, was Er als Seine Selbst-Aspekte zum Ausdruck bringt, in unterschiedliche Energie Seiner schöpferischen Kraft des Bewußtseins und macht aus diesen vielfältigen Punkten Seiner Schau universalen Seins die Standpunkte allumfassenden Lebens.

Das kosmische Mental verwandelt sie in der Materie in Formen atomaren Wesens, die von dem Leben durchdrungen sind, das sie formt, und von dem Mental und Willen regiert werden, die die Zerteilung bewirken. Zugleich müssen die atomaren Existenzformen, die es so gestaltet, durch das eigene Gesetz ihres Wesens danach streben, sich zusammenzuschließen und zu verbinden. Durchdrungen von dem verborgenen Leben, das sie formt, und von dem verborgenen Mental und Willen, die sie antreiben, enthalten alle diese Verbindungen in sich die Fiktion eines getrennten individuellen Daseins. Je nachdem das Mental in solchen individuellen Objekten oder individuellen Existenzen innerlich inaktiv oder nach außen aktiv, je nachdem es unmanifestiert oder manifestiert ist, wird es gefördert und erhalten entweder durch sein mechanisches Kraft-Ich, in dem der Wille-zum-Sein dumpf und gefangen, trotzdem machtvoll ist, oder durch sein selbstbewußtes mentales Ich, in dem der Wille-zum-Sein befreit, bewußt und gesondert aktiv ist.

So ist also nicht ein ewiges und ursprüngliches Gesetz ewiger und ursprünglicher Materie die Ursache atomarer Existenz, sondern die Art des Wirkens des kosmischen Mentals. Materie ist eine Schöpfung, für sie wurde die unendlich kleine, äußerste Fragmentierung des Unendlichen als Ausgangspunkt oder Basis benötigt. Äther mag existieren -und existiert wirklich – als ungreifbare, fast spirituelle Unterstützung der Materie. Als äußeres Phänomen scheint er aber, wenigstens nach unserer jetzigen Erkenntnis, materiell nicht auffindbar zu sein. Wir mögen das sichtbare Aggregat oder das geformte Atom in die Grundbestandteile des Atoms zerlegen, sie in den unendlich feinsten Staub des Seienden spalten, soviel wir wollen; wir werden wegen der Eigenart von Mental und Leben, die sie bildeten, doch nur bis zu einer äußersten atomaren Existenz gelangen, die vielleicht instabil ist, sich aber im ewigen Strom der Kraft immer wieder als etwas Phänomenales rekonstituiert, also keine nicht-atomare, zu keinen Inhalten fähige Ausdehnung ist. Nicht-atomare Ausdehnung von Substanz, eine Ausdehnung, die kein Zusammenschluß wäre, oder Koexistenz in anderer Weise als durch Verteilung im Raum, das sind Wirklichkeiten reinen Seins, reiner Substanz. Sie sind eine Erkenntnis des Supramentals und ein Prinzip seiner Dynamik, aber kein schöpferisches Konzept des zerteilenden Mentals, wenn auch das Mental hinter den eigenen Wirkensweisen ihrer gewahr werden kann. Sie sind die der Materie zugrunde liegende Wirklichkeit, aber nicht das Phänomen, das wir Materie nennen. Mental, Leben, Materie an sich können mit jenem reinen Sein und mit seiner bewußten Ausdehnung in ihrer statischen Wirklichkeit geeint sein. Sie können aber nicht in ihrer dynamischen Aktion, in ihrer Selbst-Wahrnehmung und Selbst-Gestaltung durch dieses Einssein wirken.

Wir kommen also zu folgender Wahrheit über die Materie: Es gibt eine nach Gestaltung drängende Selbst-Ausdehnung des Wesens, die sich im Universum als Stofflichkeit oder als Objekt von Bewußtsein auswirkt. Kosmisches Mental und Leben stellen sie in ihrer schöpferischen Aktion durch atomare Teilung und Zusammensetzung als das dar, was wir Materie nennen. Aber auch diese Materie bleibt ebenso wie Mental und Leben immer Wesen oder brahman in seiner selbst-schöpferischen Aktion. Sie ist eine Form der Kraft von Bewußtem Wesen, eine Form, die ihr vom Mental gegeben und vom Leben verwirklicht wird. Sie hält in ihrem Innern, als eigene Wirklichkeit, Bewußtsein vor sich verborgen, in das Ergebnis ihrer Selbst-Gestaltung involviert und von ihr absorbiert, darum selbst-vergessen. Wie grob und sinnentleert Materie uns auch erscheinen mag, für die geheime Erfahrung des Bewußtseins, das in ihr verborgen ist, bleibt sie dennoch Seligkeit des Wesens, die sich diesem geheimen Bewußtsein als Objekt der Empfindung darbietet, um jene verborgene Gottheit aus ihrer Verborgenheit herauszulocken. Sein, geoffenbart als Stoffliches, Kraft des Wesens geprägt in Form, in eine gestaltete Selbst-Repräsentation des geheimen Selbst-Bewußtseins, und Seligkeit, die sich ihrem eigenen Bewußtsein als Objekt darbietet: was ist das anderes als saccidananda? Materie ist saccidananda, das sich Seiner eigenen mentalen Erfahrung als geformte Basis zu objektiver Erkenntnis, zum Handeln und zur Daseins-Freude darbietet.

 

1 Das Mental, wie wir es kennen, erschafft nur in einem relativen, instrumentalen Sinn. Es hat unbegrenzte Macht zur Kombination, aber seine schöpferischen Motive und Formen kommen zu ihm von oben: Alle geschaffenen Formen haben ihre Basis im Unendlichen, oberhalb von Mental, Leben und Materie. Sie werden hier aus dem Infinitesimalen repräsentiert, rekonstruiert – gewöhnlich stark miß-konstruiert. Ihre Wurzeln sind oben, ihre Verzweigungen gehen nach unten, sagt der Rig Veda. Das überbewußte Mental, von dem wir sprechen, sollte man eher ein Übermental nennen. Es nimmt in der hierarchischen Ordnung der Mächte des Geistes eine Zone ein, die direkt vom supramentalen Bewußtsein abhängt.

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2 Mental wird hier in seinem weitesten Sinn gebraucht und schließt auch das Wirken einer Übermental-Macht ein, die dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein am nächsten steht und die erste Quelle für die Erschaffung der Unwissenheit ist.

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