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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1I

Kapitel XX. Die Philosophie der Wiedergeburt

Ein Ende haben diese Leiber einer verkörperten Seele, die ewig ist... Sie wird nicht geboren, und sie stirbt nicht. Auch ist es nicht so, daß sie, wenn sie einmal gewesen ist, nicht wieder sein wird. Sie ist ungeboren, uralt, ewig-dauernd. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird. Wie ein Mensch seine abgetragenen Kleider ablegt und neue anzieht, so legt auch das verkörperte Wesen seine Leiber ab und vereinigt sich wieder mit anderen, die neu sind. Der Tod dessen, das geboren ist, ist sicher, und sicher ist die Geburt dessen, das stirbt.

Gita, II. 18,20,22,27.

Es gibt eine Geburt und ein Wachsen des Selbsts. Je nach seinen Taten nimmt der verkörperte Mensch nacheinander Gestaltungen an vielen Orten an. Er nimmt viele grobe und feine Gestaltungen an durch die Kraft seiner natürlichen Eigenschaften.

Svetasvatara Upanishad, V. 11,12.

Geburt ist das erste spirituelle Geheimnis des physischen Universums, Tod das zweite. Er gibt dem Geheimnis der Geburt seine zweifache Rätselhaftigkeit. Denn das Leben, das sonst eine selbstverständliche Tatsache des Daseins wäre, wird nun selbst zu einem Geheimnis dank dieser beiden, die sein Anfang und sein Ende zu sein scheinen, sich aber auf tausend Arten als keines von beiden, vielmehr als Mittel-Stufen in einem geheimnisvollen Prozeß des Lebens erweisen. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei die Geburt ein ständiges Hervorbrechen von Leben in einem allgemeinen Tod, ein beharrlich fortdauernder Umstand in der universalen Leblosigkeit von Materie. Bei näherer Untersuchung wird es jedoch wahrscheinlicher, daß Leben etwas in die Materie Involviertes oder sogar eine der Energie, die Materie erschafft, innewohnende Macht ist. Sie kann aber nur dann in Erscheinung treten, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen dazu bekommt, die für sie charakteristischen Phänomene sicher durchzusetzen und eine für sie geeignete Organisation zu erschaffen. Doch gibt es bei der Geburt des Lebens noch etwas mehr, das an seinem Hervortreten mitwirkt, ein Element, das nicht mehr materiell ist, das starke Hervorbrechen der Flamme einer Seele, eine erste sichtbare Schwingung des Geistes.

Alle bekannten Umstände und Resultate der Geburt lassen uns ein Unbekanntes ahnen, das vor ihr ist, Und ebenso legt sich uns eine Universalität nahe, ein Wille zum dauernden Beharren des Lebens, ein Fehlen von Schlüssigkeit beim Tod, das auf etwas Unbekanntes danach hinzuweisen scheint. Was waren wir vor der Geburt, was sind wir nach dem Tod? Das sind die Fragen, deren Beantwortungen voneinander abhängen. Von Anfang an hat der Intellekt des Menschen sich diese Fragen gestellt, ohne daß er bis jetzt bei einer endgültigen Lösung zur Ruhe kommen kann. Tatsächlich kann der Intellekt kaum die endgültige Antwort geben. Denn diese muß ihrer Natur nach jenseits der Gegebenheiten des physischen Bewußtseins und Gedächtnisses sowohl der menschlichen Rasse wie des Individuums liegen. Und das sind doch die einzigen Gegebenheiten, die der Intellekt mit so etwas wie Vertrauen zu konsultieren gewöhnt ist. Bei diesem Mangel an Materialien und bei dieser Ungewißheit schweift er immer weiter von einer Hypothese zur anderen; jede nennt er der Reihe nach einen gültigen Schluß. Überdies hängt die Lösung von Natur, Ursprung und Ziel der kosmischen Bewegung ab. Je nachdem wir diese bestimmen, müssen wir auch unsere Schlüsse in Bezug auf Geburt, Leben und Tod, auf das Vorher und das Nachher ziehen.

Die erste Frage ist, ob das Vorher und das Nachher etwas rein Physisches und Vitales oder in gewisser Beziehung, gar überwiegend, etwas Mentales und Spirituelles ist. Kein weiteres Fragen wäre möglich, wenn Materie das Prinzip des Universums wäre, wie der Materialist behauptet, wenn sich die Wahrheit der Dinge in jener ersten Formel finden ließe, zu der Bhrigu, der Sohn des Varuna, kam, als er über das ewige brahman meditierte: “Die Materie ist das Ewige, denn aus der Materie werden alle Wesen geboren, durch die Materie existieren alle Wesen, und zur Materie scheiden alle Wesen hin und kehren sie zurück.” Das Vorher unserer Körper bestände dann im Einsammeln dessen, was sie aufbaut, aus den verschiedenen physischen Elementen durch Vermittlung des Samens und der Nahrung, vielleicht auch unter dem Einfluß verborgener, aber immer materieller Energien. Und das Vorher unseres bewußten Wesens wäre eine Vorbereitung durch Vererbung oder einen anderen physisch-vitalen oder physisch-mentalen Vorgang in der universalen Materie, die ihre Aktivität auf diesen Einzelnen ausrichtet und ihn durch die Körper seiner Eltern, durch Samen, Gen und Chromosom aufbaut. Das Nachher des Körpers wäre dann seine Auflösung in die materiellen Elemente und das Nachher des bewußten Wesens ein Zurücksinken in die Materie, wobei vielleicht die Auswirkungen seiner Aktivität im allgemeinen Mental und Leben der Menschheit überleben würden. Dieses letztere ziemlich illusorische Überleben würde unsere einzige Chance für die Unsterblichkeit sein. Da man aber nicht mehr die Universalität der Materie für eine ausreichende Erklärung der Existenz des Mentals halten kann und da tatsächlich auch Materie selbst nicht länger allein durch Materie erklärt werden kann, weil sie nicht selbst-existent zu sein scheint, werden wir von dieser leichten und naheliegenden Lösung auf andere Hypothesen zurückgeworfen.

Eine von diesen ist der alte religiöse Mythus und das dogmatische Mysterium von einem Gott, der ständig unsterbliche Seelen aus seinem Wesen, durch seinen “Atem” oder durch die Lebens-Macht erschafft. Sie gehen, wie man annimmt, in die materielle Natur oder vielmehr in die Körper ein, die er in ihr erschafft und die er in ihrem Innern durch sein spirituelles Prinzip verlebendigt. Man kann dies als Mysterium des Glaubens hochhalten und braucht es nicht weiter zu untersuchen. Ist es doch Absicht der Glaubens-Mysterien, jenseits von Frage und Erforschung zu stehen. Für die Vernunft und die Philosophie fehlt dem aber die Überzeugungskraft. Es paßt nicht in die bekannte Ordnung der Dinge. Denn es enthält zwei Paradoxa, die einer gründlicheren Rechtfertigung bedürfen, bevor man ihnen überhaupt Beachtung schenken kann. Das erste ist die stündliche Erschaffung von Wesen, die zwar einen Anfang, aber kein Ende in der Zeit haben und die überdies durch die Geburt aus dem Körper geboren werden, aber nicht durch den Tod des Körpers enden. Das zweite Paradoxon ist die Annahme einer fertigbereiteten Masse kombinierter Eigenschaften, von Tugenden und Lastern, Fähigkeiten und Mängeln, Vorzügen und Behinderungen durch Temperament und andere Umstände, die ganz und gar nicht von ihnen selbst durch ein Wachsen zustande gebracht, sondern für sie durch willkürliche Anordnung, wenn nicht durch ein Gesetz der Vererbung, gemacht wurden, für die und für deren vollkommenen Gebrauch sie dennoch von ihrem Schöpfer verantwortlich gemacht werden.

Wir können, wenigstens vorläufig, gewisse Dinge für legitime Mutmaßungen der philosophischen Vernunft halten und fairerweise die Beweislast hinsichtlich ihres Gegenteils denen auferlegen, die sie bestreiten. Zu diesen Postulaten gehört das Prinzip, daß das, was kein Ende hat, notwendigerweise auch ohne Anfang sein muß. Alles, was anfängt oder erschaffen ist, findet sein Ende: durch das Aufhören des Prozesses, der es erschuf oder im Dasein erhält, durch die Auflösung der Materialien, aus denen es zusammengesetzt ist, oder durch das Ende der Funktion, um deretwillen es ins Dasein kam. Wenn es für dieses Gesetz eine Ausnahme gibt, muß das durch das Herabkommen des Geistes in die Materie geschehen, der die Materie mit Göttlichkeit beseelt oder ihr seine eigene Unsterblichkeit verleiht. Aber der Geist, der so herniederkommt, ist unsterblich, nicht gemacht oder erschaffen. Wenn die Seele dazu geschaffen wurde, den Körper zu beseelen, wenn sie für ihren Eintritt ins Dasein vom Körper abhing, kann sie keinen Grund und keine Grundlage mehr für ihre Existenz haben, nachdem der Körper verschwunden ist. Es ist eine natürliche Annahme, daß der “Atem” oder die Macht, die dem Körper zu seiner Beseelung verliehen wurde, nach dessen endgültiger Auflösung wieder zu ihrem Schöpfer zurückkehrt. Wenn sie statt dessen als ein unsterbliches verkörpertes Wesen weiterbesteht, muß es einen subtilen oder psychischen Körper geben, in dem sie weiterexistiert. Dann ist ziemlich sicher, daß dieser psychische Körper und sein Bewohner vor dem materiellen Körper existent gewesen sein muß. Es ist irrational, anzunehmen, sie seien ursprünglich nur dazu geschaffen worden, diese kurzlebige, vergängliche Gestalt zu bewohnen. Ein unsterbliches Wesen kann nicht das Ergebnis eines so kurzlebigen Vorfalls in der Schöpfung sein. Wenn die Seele aber in einem körperlosen Zustand übrigbleibt, kann sie wegen ihres Daseins nicht ursprünglich von einem Körper abhängig gewesen sein. Sie muß vor der Geburt ebenso als ein nicht verkörperter Geist existiert haben, wie sie in ihrer körperlosen spirituellen Wesenheit nach dem Tod fortdauert.

Weiterhin können wir annehmen, daß dort, wo wir in der Zeit eine gewisse Entwicklungsstufe wahrnehmen, eine Vergangenheit dieser Entwicklung vorausgegangen sein muß. Wenn darum eine Seele in dieses Leben mit einer gewissen Entwicklung von Personalität eintritt, muß diese in anderen vorausgegangenen Leben hier oder anderswo vorbereitet worden sein. Wenn sie aber nur ein voraus gefertigtes Leben und eine Persönlichkeit annimmt, die nicht von ihr vorbereitet worden ist, die vielleicht durch eine körperliche, vitale oder mentale Vererbung vorbereitet wurde, muß sie selbst etwas von diesem Leben und dieser Persönlichkeit völlig Unabhängiges sein, etwas, das nur durch einen Zufall mit dem Mental und dem Körper verbunden ist. Sie kann darum nicht wirklich von dem beeinflußt werden, was in diesem mentalen und körperlichen Lebensablauf getan oder entwickelt wurde. Ist die Seele etwas Wirkliches, ist sie unsterblich, kein konstruiertes Wesen oder nur eine Erscheinung des Seienden, dann muß sie ebenso ewig, anfangslos in der Vergangenheit wie endlos in der Zukunft sein. Wenn sie aber ewig ist, muß sie entweder ein unwandelbares Selbst sein, das vom Leben und seinen Gesetzmäßigkeiten nicht beeinträchtigt wird, oder ein zeitloser purusha, eine ewige spirituelle Person, die in der Zeit einen Strom sich wandelnder Personalität offenbart oder hervorruft. Ist sie eine solche Person, kann sie diesen Strom von Personalität nur in einer Welt von Geburt und Tod dadurch manifestieren, daß sie aufeinanderfolgende Körper annimmt, – mit einem Wort: durch ständige Wiedergeburt in die Gestaltungen der Natur.

Aber die Unsterblichkeit oder Ewigkeit der Seele drängt sich uns auch dann nicht ohne weiteres als notwendig auf, wenn wir die Deutung ablehnen, alle Dinge seien aus einer ewigen Materie entstanden. Denn wir haben da noch die Hypothese von der Erschaffung einer zeitweiligen Seele, die durch die Macht jener ursprünglichen Einheit in Erscheinung trat, aus der alle Dinge ihren Anfang nahmen, durch die sie leben und in die sie sich wieder auflösen. Einerseits können wir auf der Grundlage gewisser moderner Ideen oder Entdeckungen die Theorie von einem kosmischen Unbewußten aufstellen, das eine vergängliche Seele erschafft, ein Bewußtsein, das nach einem kurzen Spiel ausgelöscht wird und wieder ins Unbewußte zurückkehrt. Oder es könnte ein ewiges Werden geben, das sich in einer kosmischen Lebens-Kraft offenbart, Wobei die Materie als das eine, objektive Ende ihrer Operationen, das Mental als das andere, subjektive Ende in Erscheinung tritt. Die Einwirkung dieser beiden Phänomene der Lebens-Kraft aufeinander erschafft unser menschliches Dasein. Andererseits haben wir die Theorie von einem allein existierenden Überbewußten, einem ewigen unveränderlichen Wesen, das durch maya die Illusion eines individuellen Seelen-Lebens in dieser Welt von phänomenalem Mental und Materie zuläßt oder erschafft. Diese beiden seien letztlich unwirklich – selbst wenn sie eine kurzfristige und phänomenale Wirklichkeit besitzen oder annehmen –, da das eine unwandelbare und ewige Selbst oder der Geist die einzige Wirklichkeit sei. Oder wir haben die buddhistische Theorie von einem Nichts oder nirvana und, diesem irgendwie aufgezwungen, ein ewiges Handeln oder eine Energie aufeinanderfolgenden Werdens, karma, das die Illusion von einem fortdauernden Selbst oder einer Seele durch die Kontinuität von Verknüpfungen, Ideen, Erinnerungen, Empfindungen und Bildern erschafft. In ihrer Auswirkung auf das Lebens-Problem sind diese drei Erklärungen praktisch eine einzige. Denn auch das Überbewußte ist für die Zwecke des universalen Wirkens ein Äquivalent des Unbewußten. Es kann nur seines eigenen unwandelbaren Selbst-Seins inne werden. Die Erschaffung einer Welt von individuellen Wesen durch maya ist etwas diesem Selbst-Sein Aufgezwungenes. Das findet statt vielleicht in einer Art Schlaf des Bewußtseins, das in das Selbst versunken ist, susupti.1 Aus diesem treten dennoch alles aktive Bewußtsein und die Abwandlung des phänomenalen Werdens genauso hervor, wie in der modernen Theorie unser Bewußtsein eine vorübergehende Entfaltung aus dem Unbewußten ist. In allen drei Theorien ist die in Erscheinung tretende Seele oder spirituelle Individualität des Geschöpfes nicht unsterblich im Sinne von Ewigkeit. Vielmehr hat sie einen Anfang und ein Ende in der Zeit, ist eine Schöpfung von maya oder von einer Natur-Kraft oder eine kosmische Aktion aus dem Unbewußten oder Überbewußten. Darum ist sie in ihrem Dasein ohne Bestand. In allen drei Theorien ist Wiedergeburt entweder unnötig oder auch etwas Illusorisches. Sie ist entweder die Verlängerung einer Illusion durch deren Wiederholung. Oder sie ist ein zusätzliches, sich immer weiter drehendes Rad unter den vielen Rädern des komplexen Werde-Mechanismus. Oder sie ist deshalb ausgeschlossen, weil eine einzige Geburt alles ist, was ein bewußtes Wesen erlangen kann, das durch Zufall als Teil einer unbewußten Schöpfung entstanden ist.

Ob wir nun bei diesen Ansichten annehmen, das Eine Ewige Sein sei ein vitales Werden oder ein unveränderliches und unmodifizierbares spirituelles Wesen oder ein namenloses und formloses Nicht-Seiendes, hier kann das, was wir die Seele nennen, nur eine sich wandelnde Masse oder ein Strom von Bewußtseins-Phänomenen sein, der im Ozean eines wirklich illusorischen Werdens ins Dasein trat und hier auch zu existieren aufhören wird. Oder die Seele ist vielleicht ein vergängliches Substrat, ein bewußter Reflex des Überbewußten Ewigen, das durch seine Gegenwart die Masse der Phänomene unterstützt. Sie ist nicht ewig. Ihre Unsterblichkeit besteht nur daraus, daß sie längere oder kürzere Dauer im Werden besitzt. Sie ist keine wirkliche und immer seiende Person, die den Strom oder die Masse der Phänomene in Gang hält und ihre Erfahrung damit macht. Was diese in Gang hält, was wirklich und immer existiert, ist entweder das eine ewige Werden oder das eine ewige und apersonale Wesen oder der ständige Strom von Energie in seinen Wirkweisen. Für eine Theorie dieser Art ist es entbehrlich, daß eine psychische Wesenheit, und zwar immer dieselbe, fortdauert und Körper um Körper, Gestalt um Gestalt annimmt, bis sie zuletzt durch irgendeinen Prozeß aufgelöst wird, der zugleich auch den ursprünglichen Anstoß annulliert, der diesen Zyklus in Gang gebracht hat. Es ist sehr wohl möglich, daß sich so, wie jede Gestaltung entwickelt worden ist, auch ein der Form entsprechendes Bewußtsein entwickelt. Wenn sich dann die Form auflöst, vergeht auch das entsprechende Bewußtsein mit ihr. Nur das Eine, das alles gestaltet, dauert für immer fort. Oder wie der Körper aus den allgemeinen Elementen der Materie zusammengewachsen ist und sein Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod beendet, kann sich auch das Bewußtsein aus den allgemeinen Elementen des Mentals entwickelt haben. Es mag ebenso mit der Geburt anfangen und mit dem Tod enden. Auch hier ist der Eine, der durch maya oder auf andere Weise die Kraft liefert, die die Elemente erschafft, die einzige Wirklichkeit, die fortdauert. Bei keiner dieser Theorien des Seins ist die Wiedergeburt eine absolute Notwendigkeit oder ein unvermeidliches Ergebnis der Theorie2

Tatsächlich erkennen wir jedoch einen großen Unterschied. Denn die alten Theorien bejahen die Wiedergeburt als einen Teil des universalen Prozesses, während die modernen sie verwerfen. Modernes Denken geht vom physischen Körper als der Basis unseres Daseins aus. Es erkennt nicht die Wirklichkeit einer anderen als der Welt dieses materiellen Universums an. Was es hier sieht, ist ein mentales Bewußtsein, das mit dem Leben des Körpers eng verbunden ist, das bei seiner Geburt kein Anzeichen eines vorhergehenden individuellen Daseins an sich trägt und das, wenn es den Körper mit seinem Ende verläßt, nichts andeutet von einem darauffolgenden individuellen Dasein. Was vor der Geburt war, sei die materielle Energie mit ihrem Lebens-Samen, bestenfalls die Energie einer Lebens-Kraft, die in dem Samen fortdauert und von den Eltern übertragen wird. Er präge durch seine geheimnisvolle Beimischung vergangener Entwicklungen diesem winzigen Träger, dem auf diese Weise wunderbar erschaffenen neuen individuellen Mental und Körper, einen eigenen mentalen und physischen Stempel auf. Was nach dem Tod übrig bleibt, sei dieselbe materielle Energie und Lebenskraft, die in dem Samen weiterbesteht. Er wird an die Kinder weitergegeben und sorgt für die weitere Entwicklung des in ihm enthaltenen mentalen und physischen Lebens. Von uns bleibt nichts übrig als das, was wir auf diese Weise an andere weitergeben. Oder das wirkt fort, was die Energie, die das Individuum durch ihr präexistentes Schaffen und die Umwelteinflüsse, durch Geburt und Umgebung, gestaltet hat, nun als das Ergebnis des individuellen Lebens annehmen mag, um es in ihr darauffolgendes Wirken hineinzuarbeiten. Allein das könne ein Überleben haben, was durch Zufall oder durch ein physisches Gesetz dazu helfe, die mentalen und vitalen Bauelemente und die Umgebung anderer Individuen zu bilden. Hinter beiden, den mentalen und den physischen Phänomenen, gebe es vielleicht ein universales Leben, dessen Individualisierungen evolutionäre und phänomenale Werdeformen sind. Dieses universale Leben erschaffe zwar eine wirkliche Welt und wirkliche Wesen. Aber die bewußte Personalität in diesen Wesen sei nicht – oder brauche es zumindest nicht zu sein -das Zeichen oder die Form von Bewußtsein einer ewigen, ja nicht einmal einer fortdauernden Seele oder einer supraphysischen Person. -In dieser Formel vom Sein findet sich nichts, was uns zwingt, an eine psychische Wesenheit zu glauben, die den Tod des Körpers überdauert. Es gibt hier keinen Grund und auch nur wenig Raum für die Anerkennung der Wiedergeburt als eines Teils des Grundschemas der Dinge.

Wie aber, wenn wir mit der Erweiterung unserer Erkenntnis finden würden – wie gewisse Forschungen und Entdeckungen vorauszusagen scheinen –, daß die Abhängigkeit des mentalen Wesens oder der psychischen Entität in uns vom Körper nicht so vollständig ist, wie wir das natürlicherweise zuerst aus dem Studium allein der Gegebenheiten des physischen Daseins und des physischen Universums schließen? Wie, wenn man erkennen würde, daß die menschliche Personalität den Tod des Körpers überlebt und dann zwischen anderen Ebenen und diesem materiellen Universum hin- und hergeht? Dann müßte die vorherrschende moderne Vorstellung von einem nur zeitweiligen bewußten Dasein sich ausweiten und ein Leben anerkennen, das einen weiteren Bereich als das physische Universum umfaßt. Sie müßte auch eine personale Individualität zulassen, die nicht vom materiellen Körper abhängig ist. Sie könnte praktisch die antike Vorstellung von einer subtilen Gestalt oder von einem Körper wieder annehmen müssen, der von einer psychischen Entität bewohnt wird. Eine psychische oder seelische Wesenheit, die das mentale Bewußtsein in sich trägt, oder – falls es keine solche ursprüngliche Seele gibt - die entwickelte und fortdauernde mentale Einzelperson würde nach dem Tod weiterexistieren in dieser subtilen, fortdauernden Gestalt, die für sie entweder vor ihrer Geburt oder durch die Geburt selbst oder während des Lebens erschaffen worden sein muß. Denn entweder ist die psychische Entität in anderen Welten in subtiler Form präexistent und kommt mit dieser von dort hierher zu einem kurzen Aufenthalt auf der Erde. Oder die Seele entwickelt sich hier in der materiellen Welt selbst, und mit ihr wird im weiteren Verlauf der Natur ein psychischer Körper entwickelt, der nach dem Tod in anderen Welten fortbesteht oder hier durch Wiedergeburt weiter existiert. Das wären die beiden möglichen Alternativen.

Ein universales Leben könnte in seiner Evolution auf der Erde die wachsende Personalität entfaltet haben, die jetzt zu unserem Ich geworden ist, bevor sie überhaupt in einen menschlichen Körper einging. Die Seele, die jetzt in uns ist, könnte sich in niederen Lebens-Gestaltungen entwickelt haben, bevor der Mensch erschaffen wurde. In diesem Fall hätte unsere Personalität früher Tier-Formen bewohnt. Der subtile Körper wäre ein plastisches Gebilde, das von Geburt zu Geburt übertragen wurde, sich aber jeder physischen Gestaltung anpaßte, die die Seele bewohnte. Oder das sich entwickelnde Leben könnte fähig sein, eine zum Überleben geeignete Persönlichkeit aufzubauen, dies jedoch nur in der menschlichen Gestalt, sobald diese erschaffen war. Das würde durch die Kraft des plötzlichen Wachstums eines mentalen Bewußtseins geschehen, und gleichzeitig könnte sich eine Hülle von subtiler Mental-Substanz entwickeln und helfen, dieses mentale Bewußtsein zu individualisieren. Sie würde ebenso als innerer Körper funktionieren, wie die grob-physische Gestalt durch ihre Organisation Tier-Mental und Tier-Leben zugleich individualisiert und beherbergt. Aufgrund der früheren Annahme müßten wir zugeben, daß auch das Tier die Auflösung des physischen Körpers überlebt und eine Art Seelen-Formation besitzt, die nach dem Tod andere Tierformen auf der Erde und schließlich einen menschlichen Körper in Besitz nimmt. Denn es besteht nur geringe Wahrscheinlichkeit, daß die Tier-Seele über die Erde hinauskommt und auf andere als die physischen Lebens-Ebenen übergeht, um ständig hierher zurückzukehren, bis sie für die menschliche Inkarnation bereit ist. Die bewußte Individualisierung des Tieres scheint nicht weit genug zu gehen, um einen solchen Übergang tragen zu können oder um sich an ein Dasein in anderen Welten anzupassen. Bei der zweiten Annahme würde die Macht, auf diese Weise den Tod des physischen Körpers in anderen Seins-Zuständen zu überleben, erst auf der menschlichen Stufe der Evolution auftreten. Wäre die Seele tatsächlich nicht eine so konstruierte Personalität, die vom Leben entwickelt wird, sondern eine fortdauernde, sich nicht entwickelnde Wirklichkeit mit einem irdischen Leben und Körper als ihrem notwendigen Feld, dann würde man der Theorie von der Wiedergeburt im Sinne der Seelenwanderung des Pythagoras zustimmen müssen. Ist sie aber eine fortdauernde, sich entwickelnde Wesenheit und fähig, über die irdische Stufe hinauszukommen, dann wäre die indische Vorstellung von einem Weitergehen in andere Welten und einer Rückkehr zur Geburt auf der Erde möglich und höchst wahrscheinlich. Sie wäre aber noch nicht unausweichlich. Denn man könnte vermuten, daß die menschliche Personalität, wenn sie einmal so hoch entwickelt ist, daß sie andere Ebenen erreichen kann, von diesen nicht mehr zurückzukehren brauchte. Es wäre nur natürlich, wenn sie, falls kein stärkerer zwingender Grund vorliegt, ihr Dasein auf der höheren Ebene, zu der sie emporgekommen ist, fortsetzen würde. Sie hätte dann ihre Lebens-Entwicklung auf der Erde zu Ende gebracht. Eine umfassendere Voraussetzung wäre nur dann zwingend und eine wiederholte Wiedergeburt in menschlichen Gestaltungen unvermeidlich, wenn eine Konfrontation mit einem wirklich zwingenden Beweis für die Notwendigkeit einer Rückkehr auf die Erde besteht.

Aber selbst dann brauchte die vitalistische Entwicklungs-Theorie sich nicht zu spiritualisieren. Sie müßte nicht das wirkliche Dasein einer Seele, deren Unsterblichkeit oder Ewigkeit zugeben. Sie könnte die Personalität immer noch betrachten als eine phänomenale Schöpfung des universalen Lebens durch das Aufeinandereinwirken von Lebens-Bewußtsein und physischer Form und Kraft, beide aber mit einer ausgedehnteren, variableren und subtileren gegenseitigen Einwirkung und mit einer anderen Geschichte, als man sie bisher für möglich hielt. Sie mag dann zu einer Art von vitalistischem Buddhismus kommen, der das karma anerkennt, es aber nur als das Wirken einer universalen Lebens-Kraft zuläßt. Als eines der Ergebnisse würde sie die Kontinuität des Stroms der Personalität in der Wiedergeburt durch eine mentale Verknüpfung zugeben, aber jedes wirkliche Selbst des Individuums oder irgendein ewiges Wesen bestreiten, das etwas anderes wäre als dieses immer aktive vitale Werden. Andererseits könnte sie, einer Gedankenrichtung folgend, die jetzt etwas an Kraft gewinnt, ein universales Selbst oder einen kosmischen Geist als die uranfängliche Wirklichkeit und das Leben als seine Macht oder seinen Agenten annehmen. Sie könnte so zu einer Form von spiritualisiertem vitalen Monismus kommen. Auch in dieser Theorie wäre ein Gesetz von Wiedergeburt möglich, wenn auch nicht zwingend. Sie könnte eine phänomenale Tatsache sein, ein aktuelles Gesetz des Lebens. Sie wäre aber kein logisches Ergebnis der Theorie vom Seienden, nicht deren unvermeidliche Konsequenz.

Die Anhänger des Advaita des Mayavada gingen, wie der Buddhismus, von der schon akzeptierten Überzeugung – als einem Teil des überkommenen Schatzes an antikem Wissen – aus, daß es supraphysische Ebenen und Welten sowie einen Verkehr zwischen diesen und unserer Welt gibt, der einen Übergang von der Erde und – obwohl das eine weniger ursprüngliche Entdeckung gewesen zu sein scheint – eine Rückkehr zur Erde in die menschliche Personalität zuläßt. Immerhin hatte ihr Denken eine alte Auffassung und sogar Erfahrung hinter sich, zumindest eine uralte Tradition von einem Vorher und Nachher für die Personalität und war nicht auf das physische Universum begrenzt. Denn es gründete sich auf eine Betrachtung von Selbst und Welt, die schon ein supraphysisches Bewußtsein als das primäre Phänomen ansah und das physische Wesen nur als ein sekundäres und abhängiges Phänomen. Mit diesen Fakten als Mitte hatten sie die Natur der ewigen Wirklichkeit und den Ursprung des phänomenalen Werdens zu bestimmen. Darum erkannten sie den Übergang der Personalität von dieser zu anderen Welten und ihre Rückkehr in die Form und das Leben auf Erden an. Die so akzeptierte Wiedergeburt war aber, im Sinne des Buddhismus, nicht eine wirkliche Wiedergeburt einer wirklichen spirituellen Person in die Formen des materiellen Daseins. Im späteren Advaita war die Anschauung von der spirituellen Wirklichkeit vorhanden, aber die in Erscheinung tretende Individualität und darum auch ihre Geburt und Wiedergeburt waren ein Teil der kosmischen Illusion, eine trügerische, wenn auch wirksame Konstruktion der universalen maya.

Im buddhistischen Denken wurde das Sein des Selbsts bestritten. Wiedergeburt konnte nur eine Kontinuität von Ideen, Empfindungen und Handlungen bedeuten, die ein fiktives Individuum aufbauen, das sich zwischen verschiedenen Welten – sagen wir zwischen verschiedentlich organisierten Ebenen von Idee und Empfindung – bewegt. Denn tatsächlich erschafft nur die bewußte Kontinuität des Strömens ein Phänomen von Selbst und ein Phänomen von Personalität. Im Advaita des Mayavada erkannte man einen jivatman, ein individuelles Selbst und sogar ein wirkliches Selbst des Individuums an.3 Aber diese Konzession an unsere normale Sprache und unsere Vorstellungen ist schließlich doch nur scheinbar. Denn es stellt sich heraus, daß es kein wirkliches und ewiges Individuum, kein “Ich” und “Du” gibt. Darum kann es auch kein wirkliches Selbst des Individuums, nicht einmal ein wahres universales Selbst geben, sondern nur ein vom Universum gesondertes Selbst, immer ungeboren, immer unveränderlich, niemals beeinträchtigt durch die Mutation der Phänomene. Letzten Endes werden Geburt, Leben, Tod, die ganze Masse der individuellen und kosmischen Erfahrung, nichts anderes als eine Illusion oder ein zeitlich vorübergehendes Phänomen. Auch Gebundenheit und Befreiung können nur solch eine Illusion, nur ein Teil vergänglicher Phänomene sein: Sie stellen nur die bewußte Kontinuität der illusorischen Erfahrungen des Ichs dar, das selbst eine Schöpfung der großen Illusion ist. Die Kontinuität und das Bewußtsein hören schließlich auf bei ihrem Eingehen in das Überbewußtsein Dessen, das allein war, ist und immer sein wird, oder besser: das nichts zu tun hat mit der Zeit, sondern auf ewig ungeboren, zeitlos und unaussprechlich ist.

Während es also in der vitalistischen Betrachtung der Dinge ein wirkliches Universum und ein wirkliches, wenn auch kurzes vergängliches Werden von individuellem Leben gibt, das, auch wenn kein immerdauernder purusha existiert, dennoch unserer individuellen Erfahrung und unserem Handeln beträchtliche Bedeutung beimißt – denn diese sind im wirklichen Werden wahrhaft wirksam –, so haben in der Theorie des Mayavadins diese Dinge keine wirkliche Bedeutung oder wahre Wirkung. Sie sind nur so etwas wie die Konsequenz eines Traums. Denn sogar die Befreiung findet nur im kosmischen Traum oder in einer Halluzination statt durch die Anerkennung der Illusion und durch das Aufhören des individualisierten Mentals und Körpers. In Wirklichkeit gibt es niemand, der gebunden, und niemand, der befreit ist. Denn das allein-existierende Selbst wird von dieser Illusion des Ichs nicht berührt. Um aus dieser alles zerstörenden Unfruchtbarkeit, die das logische Resultat sein würde, herauszukommen, müssen wir dieser Traum-Konsequenz eine praktische Bedeutung verleihen, wie falsch sie schließlich auch sein mag, und auf unsere Gebundenheit und individuelle Befreiung immenses Gewicht legen, auch wenn das Leben des Individuums nur phänomenal ist und wenn für das Eine Wirkliche Selbst sowohl die Gebundenheit wie die Befreiung nur etwas Nicht- Seiendes sind und nichts anderes sein können. Bei dieser erzwungenen Konzession an die tyrannische Nicht-Wirklichkeit von maya muß die einzig wahre Bedeutung von Leben und Erfahrung in dem Maß liegen, in dem sie auf die Verneinung des Lebens vorbereiten, auf die Selbst-Eliminierung des Individuums und auf das Ende der kosmischen Illusion.

Das ist aber eine extreme Anschauung und Konsequenz der monistischen These. Die ältere Advaita-Vedanta-Lehre, die von den Upanishaden ausgeht, zieht nicht diese extremen Konsequenzen. Sie erkennt ein aktuelles Werden des Ewigen in der Zeit, darum auch ein reales Universum an. Auch dem Individuum wird eine ausreichende Wirklichkeit zugebilligt, denn jedes Individuum ist an sich Der Ewige, der Namen und Gestalt angenommen hat und durch sich selbst die Erfahrungen des Lebens fördert, indem er an einem immer kreisenden Rad der Geburten in der Manifestation dreht. Das Rad wird durch das Begehren des Individuums in Gang gehalten – das wird zur wirksamen Ursache der Wiedergeburt – und weil sich das Mental von der Erkenntnis des ewigen Selbsts hinwendet zu einem ausschließlichen Interesse am zeitlichen Werden. Mit dem Aufhören des Begehrens und dieser Unwissenheit zieht sich das Ewige im Individuum von den Mutationen der individuellen Personalität und Erfahrung zurück in sein zeitloses, apersonales und unveränderliches Wesen.

Aber diese Wirklichkeit des Individuums ist etwas recht Vergängliches. Es hat keine dauerhafte Grundlage, nicht einmal die ständige Wiederkehr in der Zeit. Wiedergeburt ist, obwohl sie bei einer solchen Auffassung des Universums von großer Aktualität ist, keine unvermeidliche Folge aus der Beziehung zwischen der Individualität und dem Zweck der Manifestation. Denn die Manifestation scheint keinen anderen Zweck zu haben als den Willen des Ewigen zur Weltschöpfung. Sie kann nur dadurch enden, daß dieser Wille sich zurückzieht. Dieser kosmische Wille könnte sich aber ohne jeden Mechanismus der Wiedergeburt und ohne das Begehren des Individuums, das diese fortdauern läßt, auswirken. Denn das Begehren des Menschen kann nur eine Feder im Mechanismus des kosmischen Daseins, nie dessen Ursache oder notwendige Voraussetzung sein, da das Individuum selbst in dieser Betrachtung ein Ergebnis der Schöpfung ist und nicht vor dem Werden existiert hat. Der Wille zur Schöpfung könnte sich selbst dadurch vollziehen, daß er vorübergehend in jedem Namen und in jeder Gestalt Individualität annimmt, ein einzelnes Leben in vielen nicht fortdauernden Individuen. Das eine Bewußtsein würde sich entsprechend dem Typus jedes erschaffenen Wesens selbst gestalten, aber es könnte sehr wohl in jedem individuellen Körper mit dem Erscheinen der physischen Gestalt anfangen und mit deren Aufhören enden. Individuum würde auf Individuum folgen, wie eine Woge auf die andere folgt; aber das Meer bliebe immer dasselbe.4 Jede Gestaltung des bewußten Wesens steige aus dem Universum auf, rolle eine bestimmte Zeit weiter und sinke dann in das Schweigen zurück. Es gibt bei dieser Auffassung keinen ersichtlichen Grund für die Annahme, zu diesem Zweck sei ein individualisiertes Bewußtsein notwendig, das kontinuierlich fortdauert, Namen um Namen, Gestalt um Gestalt annimmt und sich zwischen verschiedenen Ebenen hin- und herbewegt. Und selbst als eine Möglichkeit drängt sich dies nicht stark genug auf. Noch weniger gibt es hier Raum für einen evolutionären Fortschritt, der unvermeidlich beim Weitergehen von der einen Gestalt zu einer höheren Gestalt geleistet werden muß, wie man das bei jener Theorie von der Wiedergeburt annimmt, die die Involution und Evolution des Geistes in der Materie als die bedeutungsvolle Formel für unser irdisches Dasein behauptet.

Es ist vorstellbar, der Ewige habe sich tatsächlich dafür entschieden, sich auf diese Weise im Körper zu offenbaren oder vielmehr sich in ihm zu verbergen. Es mag sein Wille gewesen sein, ein Individuum zu werden oder als ein solches zu erscheinen, das einen Zyklus von ständigem und wiederkehrendem Dasein als Mensch und Tier von Geburt zum Tod und vom Tod zu einem neuen Dasein durchschreitet. Das Eine Wesen würde personalisiert verschiedene Gestaltungen des Werdens, nach Laune oder aufgrund irgendeines Gesetzes der Konsequenzen des Handelns, durchwandern, bis durch Erleuchtung das Ende gekommen ist, eine Rückkehr zum Einssein. Der Einzige und identische zieht sich dann wieder aus der besonderen Individualisierung zurück. Ein solcher Zyklus besäße aber keine ursprüngliche oder endgültige, ihn bestimmende Wahrheit, die ihm Bedeutung verleihen würde. Es gibt nichts, um dessentwillen er notwendig wäre. Er wäre lediglich ein Spiel, lila. Sobald man aber zugibt, der Geist hat sich der Unbewußtheit involviert und manifestiert sich durch evolutionäre Stufenfolge im individuellen Wesen, gewinnt der ganze Vorgang Sinn und Folgerichtigkeit. Der progressive Aufstieg des Individuums wird zum Schlüsselbegriff für diese kosmische Bedeutung. Die Wiedergeburt der Seele im Körper wird zu einer natürlichen und unvermeidbaren Konsequenz der Wahrheit des Werdens und zu dem ihm innewohnenden Gesetz. Wiedergeburt ist ein unentbehrlicher Mechanismus für das Auswirken einer spirituellen Evolution. Sie ist die einzig mögliche effektive Bedingung, der einleuchtende dynamische Prozeß einer solchen Manifestation im materiellen Universum.

Unsere Erklärung der Evolution in der Materie geht dahin: Das Universum ist der selbst-schöpferische Prozeß einer höchsten Wirklichkeit, deren Gegenwart den Geist zur Substanz der Dinge macht, – alle Dinge sind hier Mächte, Mittel und Formen des Geistes zu seiner Manifestation. Unendliches Sein, unendliches Bewußtsein, unendliche Kraft, unendlicher Wille, unendliche Seins-Seligkeit sind die insgeheim hinter den Erscheinungen des Universums stehende Wirklichkeit. Ihr göttliches Supramental, ihre Gnosis, hat die kosmische Ordnung geschaffen. Es hat diese aber mittelbar durch die drei untergeordneten und begrenzenden Begriffe organisiert, deren wir hier bewußt sind: Mental, Leben und Materie. Das materielle Universum ist die niederste Stufe eines Sprunges der Manifestation in die Tiefe, eine Involution des manifestierten Wesens dieser dreieinigen Wirklichkeit in eine scheinbare Nicht-Bewußtheit ihrer selbst, in das, was wir jetzt die Unbewußtheit nennen. Die Evolution dieses geoffenbarten Wesens aus der Nichtbewußtheit in ein wiedergewonnenes Selbst-Innesein war vom ersten Anfang an unvermeidlich. Das war deshalb unerläßlich, weil das, was involviert ist, sich wieder evolvieren muß. Denn es existiert dort nicht nur als ein Sein, sondern als eine in ihrem scheinbaren Gegenteil verborgene Kraft. Jede solche Kraft muß in ihrer innersten Natur dazu gedrängt sein, ihr Selbst zu finden, ihr Selbst zu realisieren, sich in das Kräftespiel freizusetzen. Sie muß die Wirklichkeit dessen, was die Nichtbewußtheit verbirgt, das Selbst, das sie verloren hat, suchen und wiedergewinnen; das muß die ganze verborgene Bedeutung und der ständige Drang ihres Wirkens sein. Durch das bewußte individuelle Wesen wird diese Wiedergewinnung möglich. In ihm wird das sich entwickelnde Bewußtsein organisiert und dazu fähig, zu seiner eigenen Wirklichkeit zu erwachen. Die außerordentliche Bedeutung des individuellen Menschen, die immer weiter zunimmt, je weiter er auf der Stufenleiter emporkommt, ist die auffallendste und wichtigste Tatsache eines Universums, das ohne Bewußtsein und Individualität in undifferenzierter Nichtbewußtheit begann. Diese Bedeutung kann nur gerechtfertigt sein, wenn das Selbst als das Individuum ebenso wirklich ist wie das Selbst als das Kosmische Wesen oder als der Geist und wenn beides die Mächte des Ewigen sind. Nur so kann man erklären, daß das Wachsen des Individuums und seine Entdeckung seines Selbsts notwendige Voraussetzung ist für die Entdeckung des kosmischen Selbsts, des kosmischen Bewußtseins und der höchsten Wirklichkeit. Wenn wir diese Lösung anerkennen, ist ihr erstes Ergebnis die Wirklichkeit des fortdauernden Individuums. Aus dieser ersten Konsequenz folgt aber das andere Ergebnis, daß die Wiedergeburt, wie sie auch geartet ist, nicht mehr nur ein möglicher Mechanismus ist, den man akzeptieren mag oder nicht. Sie wird vielmehr zu einer Notwendigkeit, zu etwas Unvermeidlichem, das sich aus der Grundnatur unseres Seins ergibt.

Nun genügt es nicht mehr, ein nur illusorisches oder vergängliches Individuum anzunehmen, das in jeder Gestalt durch ein Spiel von Bewußtsein neu erschaffen wird. Individualität muß man nicht mehr nur als eine Begleiterscheinung des Bewußtseins in einer Körpergestalt auffassen, die diese Gestalt überleben mag oder nicht, welche die falsche Kontinuität ihres Selbsts von Gestalt zu Gestalt, von Leben zu Leben fortsetzen mag oder nicht, die das aber gewiß nicht tun muß. Was wir in dieser Welt zunächst zu sehen scheinen, ist, daß ein Individuum ohne jede Kontinuität das andere ersetzt, daß die Gestalt sich auflöst und zugleich mit ihr auch die falsche oder vorübergehende Individualität vergeht, während die universale Energie oder ein universales Wesen allein für immer übrigbleibt. Das könnte sehr wohl das ganze Prinzip der kosmischen Manifestation sein. Ist aber das Individuum eine beharrende Wirklichkeit, ein ewiger Teil oder eine Macht des Ewigen und ist die Entwicklung seines Bewußtseins das Mittel, durch das der Geist in den Dingen sein Wesen enthüllt, dann offenbart sich der Kosmos als eine hierdurch bedingte Manifestation des Spiels des Ewigen Einen mit den Ewigen Vielen im Wesen von saccidananda. Dann muß eine wahre Person ganz sicher hinter all den Wandlungen unserer Personalität vorhanden sein, die den Strom ihrer Veränderungen lebendig erhält, ein wirkliches spirituelles Individuum, ein wahrer purusha. Der Eine, der sich in die Universalität ausweitet, existiert in jedem Wesen und bestätigt sich in dieser Individualität. Im individuellen Menschen enthüllt er sein totales Sein durch das Einssein mit allen in der Universalität. Im individuellen Menschen enthüllt er außerdem seine Transzendenz als Der Ewige, auf den die gesamte universale Einheit gegründet ist. Diese Trinität der Selbst-Manifestation, dieses unermeßliche lila der vielfältigen Identität, diese Magie der maya oder das proteisch-vielgestaltige Wunder der bewußten Wahrheit des Wesens des Unendlichen ist die lichtvolle Offenbarung, die durch eine langsame Evolution aus der ursprünglichen Unbewußtheit hervortritt.

Gäbe es nicht diese Notwendigkeit, das Selbst zu finden, sondern nur ein ewiges Genießen dieses Spiels im Wesen von saccidananda -solch ewiges Genießen ist die Art gewisser höchster Zustände bewußten Seins dann hätten Evolution und Wiedergeburt nicht in Gang gebracht zu werden brauchen. Es hat aber eine Involution der Einheit in das zerteilende Mental stattgefunden, ein Sprung hinab in die Selbst-Vergessenheit, durch den das immer gegenwärtige Empfinden für die vollständige Einheit verloren gegangen ist. Nun kommt das Spiel der trennenden Verschiedenheit – nur phänomenal, da die wirkende Einheit in der Verschiedenheit uneingeschränkt im Hintergrund verbleibt - als beherrschende Wirklichkeit in den Vordergrund. Dieses Spiel der Verschiedenheit hat dadurch seinen äußersten Begriff der Empfindung von Zerteilung gefunden, daß sich das zerteilende Mental in eine Körpergestaltung hinabstürzte, in der es seiner selbst als eines gesonderten Ichs bewußt wird. So ist durch Involution der aktiven Selbst-Bewußtheit von saccidananda in eine phänomenale Nichtbewußtheit eine feste, solide Grundlage für dieses Spiel der Zerteilung in einer Welt getrennter Formen von Materie geschaffen worden. Die Fundierung in der Nichtbewußtheit macht die Zertrennung zu etwas Gesichertem, denn sie widersetzt sich mit aller Macht der Rückkehr in das Bewußtsein der Einheit. Die Zertrennung ist aber, obwohl sie effektiv Zerstörung ausübt, nur phänomenal und kann beendet werden, da in ihr, über ihr, als tragende Stütze der allbewußte Geist ist. Deshalb stellt sich die scheinbare Nichtbewußtheit nur als eine Konzentration, eine ausschließende Aktion von Bewußtsein heraus, das sich durch einen Sprung in den tiefen Abgrund einer Trance der Selbst-Vergessenheit völlig von dem formativen und kreativen materiellen Prozeß aufzehren ließ. In einem so erschaffenen phänomenalen Universum wird die trennende Gestalt zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für all seine Lebens-Aktion. Darum muß sich der individuelle purusha, wenn er in dieser physischen Welt seine kosmischen Beziehungen zu dem Einen ausarbeiten will, auf die Form gründen und einen Körper annehmen. Es ist der Körper, den er zu seiner eigenen Grundlage und zum Ausgangspunkt für die Entwicklung seines Lebens, Mentals und Geistes im physischen Dasein machen muß. Dieses Annehmen des Körpers nennen wir Geburt. Nur in ihm kann hier die Entwicklung des Selbsts und das Spiel der Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Universum sowie zu allen anderen Individuen stattfinden. Nur in ihm kann es die progressive Entwicklung unseres bewußten Wesens zu einer erhabenen Wiedergewinnung der Einheit mit Gott und mit allen Wesen in Gott geben. Die Summe dessen, was wir Leben in der physischen Welt nennen, ist eine fortschreitende Entwicklung der Seele. Sie geht durch Geburt in den Körper ein und hat diesen als ihre Stütze, als die Grundbedingung für ihr Wirken und als die Voraussetzung dafür, daß sie in der Evolution fortbesteht.

Geburt ist also notwendig für die Manifestation des purusha auf der physischen Ebene. Seine menschliche oder irgendeine andere Geburt kann aber in dieser Welt-Ordnung nicht ein isoliertes Ereignis oder der plötzliche Ausflug einer Seele in die Körperlichkeit sein, ohne daß sie in einer Vergangenheit dafür vorbereitet ist oder nach einer solchen Erfüllung findet. In einer Welt der Involution und Evolution, nicht nur einer physischen Form, sondern eines bewußten Wesens über Leben und Mental hin zum Geist, könnte solch eine isolierte Annahme von Leben in einem menschlichen Körper nicht das Gesetz für das Dasein der individuellen Seele sein. Das wäre eine völlig sinnlose und inkonsequente Einrichtung, eine Laune, für die es in der Natur und im System der Dinge keinen Raum gibt. Das wäre ein gewaltsamer störender Eingriff, der den Rhythmus der Selbst-Offenbarung des Geistes durchbrechen würde. Das Eindringen solch einer Norm für das individuelle Seelen-Leben in die evolutionäre spirituelle Progression würde aus dieser eine Wirkung ohne Ursache und eine Ursache ohne Wirkung machen. Das Leben des individuellen Menschen wäre der Torso einer Gegenwart ohne eine Vergangenheit oder Zukunft. Es muß aber den gleichen bedeutungsvollen Rhythmus, dasselbe Progressions-Gesetz haben wie das kosmische Leben. Sein Ort in diesem Rhythmus kann nicht ein zufälliges sinnloses Auftreten, es muß eine bleibende Instrumentation für die Verwirklichung des kosmischen Zieles sein. In solcher Ordnung können wir auch nicht eine isolierte Herabkunft der Seele in den menschlichen Körper, nur eine einzige Geburt als ihre erste und letzte Erfahrung dieser Art, dadurch erklären, daß sie vorher in anderen Welten existierte und dann eine Zukunft in noch anderen Bereichen der Erfahrung vor sich hat. Denn das Leben hier auf Erden, das Leben im physischen Universum, ist nicht nur eine gelegentliche Herberge für die Wanderungen der Seele von einer Welt zur anderen und kann das nicht sein. Es ist eine große langsame Entwicklung, die, wie wir jetzt wissen, unberechenbare Strecken von Zeit für seine Evolution benötigt. Menschliches Leben ist nur ein Begriff in einer Stufenfolge, durch die der im Universum insgeheim wirkende Geist in Graden seine Absicht entfaltet und diese schließlich ausarbeitet, indem sich das individuelle Seelen-Bewußtsein im Körper ausweitet und nach oben verstärkt. Dieser Aufstieg kann sich nur durch Wiedergeburt innerhalb der nach oben fortschreitenden Ordnung vollziehen. Ein individueller Besuch, der diese Ordnung hier durchkreuzt, um dann anderswohin weiterzugehen, könnte nicht in das System des evolutionären Seins hineinpassen.

Auch ist die menschliche Seele, der individuelle Mensch, kein freier Wanderer, der nach seinen Launen oder leichtsinnig von einem Bereich zum anderen eilen könnte, nach unbeschränkter Wahl oder ungebundenem spontan veränderlichen Handeln und nach dem Ergebnis seines Handelns. Das ist die glänzende Vorstellung von einer reinen spirituellen Freiheit, die auf jenseitigen Ebenen oder in einer schließlich erlangten Erlösung ihre Wahrheit haben mag. Sie ist aber vorerst im Erdenleben, dem Leben im physischen Universum, nicht wahr. Das Hineingeborenwerden des Menschen in diese Welt ist nach seiner spirituellen Seite ein Komplex von zwei Elementen: einer spirituellen Person und einer Seele der Personalität. Die spirituelle Person ist des Menschen ewiges Wesen; die Seele der Personalität ist sein kosmisches und veränderliches Wesen. Als spirituelle und apersonale Person ist der Mensch in seiner Natur und in seinem Wesen eins mit der Freiheit von saccidananda. Er hat hier als solcher seiner Involution in die Nichtbewußtheit einer Reihe von Seelenerfahrungen wegen zugestimmt oder diese gewollt, die auf andere Weise nicht möglich ist, und lenkt so insgeheim seine Evolution. Als Seele der Personalität ist er selbst ein Teil dieser langen Entwicklung der Seelen-Erfahrung in den Gestaltungen der Natur. Seine eigene Evolution muß den Gesetzen und Grundlinien der universalen Evolution folgen. Als Geist ist er eins mit der Transzendenz, die der Welt immanent ist und diese umgreift. Als Seele ist er zugleich eins mit und Teil der in der Welt selbst ausgedrückten Universalität von saccidananda: Sein Selbst-Ausdruck muß durch die Stufen des kosmischen Ausdrucks hindurchgehen, seine Seelen-Erfahrung muß den Umdrehungen des Rades von brahman im Universum folgen.

Der in die Dinge, in die Nichtbewußtheit des physischen Universums involvierte universale Geist leistet die Evolution des Selbsts seiner Natur in einer Aufeinanderfolge von physischen Gestaltungen bis hin zu den abgestuften Reihen von Materie, Leben, Mental und Geist. Das Selbst taucht zuerst als eine geheime Seele in materiellen Gestaltungen auf, nach außen völlig der Nichtbewußtheit unterworfen. Es entwickelt sich als eine Seele, die noch verborgen, aber im Begriff ist, in vitalen Gestaltungen hervorzutreten, die an der Grenze zwischen Nichtbewußtheit und dem partiellen Licht von Bewußtsein stehen, das unsere Unwissenheit ist. Es entwickelt sich noch weiter als die noch primitive bewußte Seele im Tier-Mental und tritt schließlich als die mehr nach außen bewußte, aber noch nicht voll bewußte Seele im Menschen hervor: Das Bewußtsein befindet sich hier durchweg in den verborgenen Teilen unseres Wesens. Seine Entwicklung geschieht in der sich manifestierenden Natur. Diese evolutionäre Entwicklung hat sowohl einen universalen wie einen individuellen Aspekt: Das Universale entwickelt die Grade seines Wesens und die geordnete Variation der Universalität seiner selbst in der Reihe der evolvierten Formen seines Wesens. Die individuelle Seele folgt der Linie dieser kosmischen Reihe und manifestiert das, was in der Universalität des Geistes vorbereitet ist. Der universale Mensch, der kosmische purusha in der Menschheit, ist am Werk, in der menschlichen Rasse jene Macht zu entfalten, die aus den Graden unterhalb der Menschheit in diese emporgewachsen ist und noch weiter wachsen soll bis zum Supramental und zum Geist. Sie soll zur Göttlichkeit in dem Menschen werden, der seines wahren und integralen Selbsts und der göttlichen Universalität seiner Natur bewußt ist. Der individuelle Mensch muß bisher dieser Entwicklungslinie gefolgt sein. Er muß über einer Seelen-Erfahrung in den niedrigeren Formen des Lebens gewaltet haben, bevor er die menschliche Evolution auf sich genommen hat. So wie das Eine fähig war, in seiner Universalität diese niedrigeren Formen von Pflanze und Tier aufsichzunehmen, so muß auch das Individuum, jetzt in Menschengestalt, fähig gewesen sein, diese in seinen früheren Stufen des Daseins aufsichzunehmen. Nun tritt er als eine menschliche Seele in Erscheinung. Der Geist nimmt die innere und äußere Form des Menschseins an. Er ist aber durch diese Gestalt ebensowenig begrenzt, wie er durch die früher von ihm angenommenen Formen von Pflanze und Tier begrenzt gewesen ist. Er kann von ihr aus weitergehen, um sein Selbst auf einer höheren Stufe der Natur zum Ausdruck zu bringen.

Bei andersartiger Auffassung müßte man annehmen, der Geist, der jetzt über der menschlichen Seelen-Erfahrung waltet, sei ursprünglich durch eine menschliche Mentalität und den menschlichen Körper gebildet worden, existiere durch diesen, könne nicht getrennt von diesem dasein und niemals unter diesen hinabsinken oder über diesen hinauskommen. Tatsächlich wäre es dann vernünftig, anzunehmen, daß er nicht unsterblich ist, vielmehr erst durch das Erscheinen des menschlichen Mentals und Körpers in der Evolution ins Dasein eingetreten sei und durch deren Verschwinden auch vergehen würde. Aber Körper und Mental sind nicht die Schöpfer des Geistes. Der Geist ist der Schöpfer von Mental und Körper. Er entwickelt diese Prinzipien aus seinem Wesen. Er wird nicht aus ihnen ins Dasein entwickelt. Er ist keine Zusammensetzung aus ihren Elementen und auch kein Ergebnis ihres Zusammentreffens. Wenn es so aussieht, als entwickle er sich aus Mental und Körper, so deshalb, weil er sich stufenweise in ihnen offenbart, nicht aber, weil er von ihnen erschaffen würde oder durch sie existiere. Wenn er sich manifestiert, werden sie als untergeordnete Begriffe seines Wesens offenbar und müssen schließlich aus ihrer gegenwärtigen Unvollkommenheit herausgeholt und in sichtbare Formen und Werkzeuge des Geistes umgewandelt werden. Nach unserer Auffassung ist Geist etwas, das nicht durch Namen und Form konstituiert wird, sondern verschiedene Formen von Körper und Mental annimmt, im Einklang mit den verschiedenen Manifestationen seines Seelen-Wesens. Das tut er hier durch die aufeinanderfolgenden Stufen der Evolution. Nacheinander entwickelt er eine Folge von Formen und übereinanderliegende Schichten des Bewußtseins. Denn er ist nicht daran gebunden, stets nur dieselbe Gestalt anzunehmen oder nur eine Art von Mentalität zu besitzen, die seine einzig mögliche subjektive Offenbarung wäre. Die Seele ist nicht durch die Formel eines mentalen Menschen-Typus gebunden. Sie fing nicht mit diesem an und wird nicht bei diesem enden. Sie besaß eine vormenschliche Vergangenheit, sie hat eine übermenschliche Zukunft.

Was wir von der Natur sehen und von der menschlichen Natur wissen, rechtfertigt die Anschauung, daß die individuelle Seele von einer Gestalt zur anderen geboren wurde, bis sie die menschliche Ebene des offenbarten Bewußtseins erreicht hat. Diese ist nun ihr Werkzeug, um zu noch höheren Ebenen emporzukommen. Wir sehen, daß sich die Natur von einer Stufe zur anderen entwickelt. Sie nimmt in jede neue Stufe ihre Vergangenheit mit empor und wandelt diese in den Stoff zu einer neuen Entwicklung um. Wir sehen auch, daß die menschliche Natur von derselben Beschaffenheit ist. Die ganze Erden-Vergangenheit ist in ihr gegenwärtig: Sie besitzt ein vom Leben emporgenommenes Element von Materie, ein vom Mental emporgenommenes Element von Leben und ein vom Geist emporgenommenes Element von Mental: Das Tier ist noch im Typus Mensch gegenwärtig. Die eigentliche Natur des menschlichen Wesens setzt eine materielle und eine vitale Stufe voraus, die sein Emportauchen in das Mental vorbereiten; ebenso auch eine Tier-Vergangenheit, die ein erstes Element seines komplexen Menschenwesens formte. Wir wollen uns aber hüten, zu sagen, das sei so, weil die materielle Natur durch Evolution sein Leben, seinen Körper, sein Tier-Mental entwickelt; erst dann sei eine Seele in die so erschaffene Form herabgestiegen. Zwar steht eine gewisse Wahrheit hinter dieser Vorstellung, jedoch nicht die Wahrheit, die diese Formel uns nahelegen möchte. Denn das würde eine Kluft zwischen Seele und Körper, zwischen Seele und Leben, zwischen Seele und Mental voraussetzen, die tatsächlich nicht existiert. Es gibt keinen Körper ohne Seele, keinen Körper, der nicht selbst eine Form von Seele wäre. Materie selbst ist Substanz und Macht von Geist und könnte nicht existieren, wenn sie etwas anderes wäre. Denn nichts kann existieren, das nicht Substanz und Macht von brahman ist. Und wenn Materie das ist, müssen umso sicherer Leben und Mental das sein und beseelt werden durch die Gegenwart des Geistes. Wären Materie und Leben nicht bereits beseelt gewesen, der Mensch hätte nicht erscheinen können. Oder er wäre nur eine Zwischen-Erscheinung gewesen oder ein Zufall, nicht aber ein Teil der evolutionären Ordnung.

So kommen wir notwendig zu dem Schluß, daß die Geburt des Menschen ein Ausdruck ist, zu dem die Seele in einer langen Aufeinanderfolge von Wiedergeburten gekommen sein muß, und daß sie als ihre vorhergehenden und vorbereitenden Begriffe in der Aufeinanderfolge die niederen Formen des Lebens auf der Erde gehabt haben muß. Sie ist durch die ganze Kette hindurchgegangen, die das Leben im physischen Universum auf der Grundlage des Körpers, des physischen Prinzips, aneinandergereiht hat. Dann erhebt sich die weitere Frage, ob diese Aufeinanderfolge von Wiedergeburten noch weitergeht, wenn das Menschsein einmal erreicht worden ist, und, wenn das so ist, in welcher Abfolge oder durch welche Abwandlungen das geschieht. Zuerst müssen wir fragen, ob die Seele, wenn sie einmal das Menschsein erlangt hat, wieder zum Tierleben und Tierkörper zurückkehren kann. Das ist ein Rückschritt, den die alten populären Theorien der Seelenwanderung für eine gewöhnliche Bewegung gehalten haben. Es erscheint unmöglich, daß die Seele in ihrer Ganzheit so zurückfallen könnte. Der Grund ist, daß der Übergang vom Tier zum menschlichen Leben eine entscheidende Bewußtseins-Umwandlung bedeutet, die genau so einschneidend ist wie die Umwandlung des vitalen Bewußtseins der Pflanze in das mentale Bewußtsein des Tieres. Es ist gewiß unmöglich, daß eine von der Natur vollzogene, so entscheidende Umwandlung durch die Seele wieder rückgängig gemacht werden könnte und daß die Entscheidung des Geistes in ihrem Innern sozusagen nichtig würde. Das könnte, vorausgesetzt, daß so etwas angeht, nur solchen menschlichen Seelen möglich sein, in denen die Umwandlung nicht entscheidend gewesen ist. Das wären Seelen, die sich zwar weit genug entwickelt haben, um einen menschlichen Körper zu bilden, ihn innezuhaben oder anzunehmen, die aber nicht weit genug gekommen sind, um die Annahme dieses Körpers sicher durchzuhalten, damit sie in dem, was sie erlangt haben, auf die Dauer beharren und dem menschlichen Typus des Bewußtseins treu bleiben konnten. Vorausgesetzt daß gewisse Tierneigungen heftig genug sind, um eine gesonderte Befriedigung ihrer völlig eigenen Art zu erfordern, könnte es höchstens zu einer teilweisen Wiedergeburt kommen. Eine menschliche Seele würde noch lose an einer Tierform festhalten, von der sie aber danach sofort wieder zu ihrer normalen Progression zurückkehren würde. Der Gang der Natur ist immer komplex genug, so daß wir eine solche Entwicklung nicht dogmatisch ausschließen dürfen. Sollte das eine Tatsache sein, so könnte dieses Minimum an Wahrscheinlichkeit hinter der populären übertriebenen Überzeugung stehen, die annimmt, eine Wiedergeburt der Seele, die einmal im Menschen beheimatet gewesen ist, in einem Tier sei etwas genauso Normales und Mögliches wie eine Wiedergeburt im Menschen. Einerlei aber, ob die Rückkehr in das Tier-Leben möglich ist oder nicht, das normale Gesetz für die Seele, die einmal zum Menschsein fähig gewesen ist, muß die Wiederholung der Geburt in neuen menschlichen Gestaltungen sein.

Warum gibt es aber eine Aufeinanderfolge von menschlichen Geburten und nicht nur eine einzige? Aus demselben Grund, der die Geburt als Mensch an sich zu einem Höhepunkt der vergangenen Aufeinanderfolge, der früheren aufsteigenden Reihe, gemacht hat; aufgrund der einen Notwendigkeit der spirituellen Evolution muß das auch weitergehen. Denn die Seele hat das, was sie zu tun hat, noch nicht dadurch vollendet, daß sie sich nur bis in das Menschsein entwickelte. Sie muß dieses Menschenwesen noch in seine höheren Möglichkeiten weiterentwickeln. Offensichtlich hat die Seele, die in einem karibischen Eingeborenen, in einem ungebildeten Primitiven, in einem Apachen von Paris oder in einem amerikanischen Gangster wohnt, noch nicht die Notwendigkeiten erschöpft, aus denen sie als Mensch geboren wurde. Sie hat noch nicht ihre umfassende Potentialität oder die ganze Bedeutung des Menschseins entfaltet. Sie hat noch nicht den umgreifenden Sinn von saccidananda im universalen Menschen herausgearbeitet. Das hat aber auch die Seele nicht fertig gebracht, die in einem vitalistischen Europäer wohnt, der völlig aufgeht in der dynamischen Produktion oder in seinem vitalen Vergnügen. Ebensowenig hat das die Seele in einem Bauern Asiens getan, der völlig eingefangen ist in den Rundlauf seines häuslichen und wirtschaftlichen Lebens. Vernünftigerweise können wir selbst daran zweifeln, ob ein Plato oder Shankara die Krönung und deshalb das Ende des Aufblühens des Geistes im Menschen darstellen. Wir sind zu der Annahme geneigt, diese könnten die oberste Grenze sein, weil sie und ihresgleichen uns als der Höhepunkt erscheinen, den Mental und Seele des Menschen erreichen können. Das kann aber eine Illusion der gegenwärtig von uns erreichten Möglichkeit sein. Es mag eine höhere, zumindest eine umfassendere Möglichkeit geben, die das Göttliche Wesen noch im Menschen zu verwirklichen beabsichtigt. Ist das aber so, dann waren die durch diese höchsten Seelen erbauten Stufen nötig, um den Weg zu diesem Ziel zu bahnen und die Tore dorthin zu öffnen. Auf jeden Fall muß dieser gegenwärtig höchste Punkt zumindest erreicht werden, bevor wir unter die Wiederkehr der menschlichen Geburt für das Individuum das “Ende” schreiben können. Der Mensch ist hier, damit er aus der Unwissenheit und jenem kleinen Leben, das er in Mental und Körper lebt, voranschreitet zum Wissen und zu dem hohen göttlichen Leben, das er durch die Entfaltung des Geistes ergreifen kann. Zumindest soll erreicht werden, daß sich der Geist in ihm öffnet, daß er sein wirkliches Selbst erkennt, daß er das spirituelle Leben führt, bevor er endgültig und für immer woandershin weitergehen darf. Jenseits von diesen ersten Höhepunkten mag es noch ein größeres Aufblühen des Geistes im menschlichen Leben geben, von dem wir jetzt nur die ersten Ahnungen haben. Die Unvollkommenheit des Menschen ist nicht das letzte Wort der Natur. Aber seine Vervollkommnung ist auch nicht die letzte Gipfelhöhe des Geistes.

Diese Möglichkeit wird zu einer Gewißheit, wenn das gegenwärtig führende Prinzip des Mentals, soweit der Mensch es entwickelt hat, der Intellekt, nicht sein höchstes Prinzip ist. Wenn es im Mental selbst noch andere als die jetzt nur unvollkommen von den höchsten Typen des menschlichen Individuums repräsentierten gibt, ist es unvermeidlich, daß die Linie der Evolution, und folgerichtig auch die aufsteigende Linie der Wiedergeburt, verlängert wird, um diese zu verkörpern. Wenn das Supramental auch eine hier noch in der Evolution verborgene Bewußtseins-Macht ist, darf die Linie der Wiedergeburt vor ihr nicht Halt machen. Sie kann mit ihrem Aufstieg erst dann aufhören, wenn die mentale Natur durch die supramentale ersetzt und wenn ein verkörpertes supramentales Wesen zum Lenker des Daseins auf Erden geworden ist.

Dies ist also die rationale und philosophische Begründung für die Überzeugung von der Wiedergeburt. Sie ist eine unausweichliche logische Schlußfolgerung, wenn in der Natur der Erde gleichzeitig ein evolutionäres Prinzip und die Wirklichkeit einer individuellen Seele besteht, die in die evolutionäre Natur hineingeboren wurde. Gibt es keine Seele, dann kann es eine mechanische Evolution ohne Notwendigkeit oder Bedeutung geben. Die Geburt ist dann nur ein Teil dieses eigenartigen, aber sinnlosen Mechanismus. Wenn das Individuum nur eine vorübergehende Gestaltung ist, die mit dem Körper anfängt und mit ihm endet, kann die Evolution ein Spiel der All-Seele oder des Kosmischen Seins sein, die durch eine Progression von höheren zu immer höheren Arten bis zu ihrer äußersten Möglichkeit in diesem Werden oder bis zu ihrem höchsten bewußten Prinzip emporsteigt. Eine Wiedergeburt existiert dann nicht und ist auch als Mechanismus dieser Evolution nicht erforderlich. Oder wenn sich das All-Sein in einer fortdauernden, jedoch illusorischen Individualität ausdrückt, wird die Wiedergeburt zu einer Möglichkeit oder zu einem illusorischen Faktum. Sie ist aber nicht evolutionär notwendig und kein spirituelles Bedürfnis, nur ein Mittel, um die Illusion zu betonen und bis zu ihrer äußersten Zeit-Grenze weiterzuführen. Gibt es eine individuelle Seele, einen purusha, der nicht vom Körper abhängig ist, sondern ihn nur für seinen Zweck bewohnt und verwendet, dann fängt Wiedergeburt an, etwas Mögliches zu werden. Sie ist aber keine Notwendigkeit, wenn es keine Evolution der Seele in der Natur gibt. Die Gegenwart einer individuellen Seele in einem individuellen Körper könnte ein vorübergehendes Phänomen sein, eine vereinzelte Erfahrung, ohne hier eine Vergangenheit oder eine Zukunft zu haben. Ihre Vergangenheit und ihre Zukunft könnten sonstwo sein. Gibt es aber eine Evolution des Bewußtseins in einem evolutionären Körper und eine Seele, die diesen Körper bewohnt, also ein wirkliches und bewußtes Individuum, dann ist evident, daß die progressive Erfahrung dieser Seele in der Natur die Form dieser Evolution des Bewußtseins verwendet: Wiedergeburt ist dann selbstverständlich und ein notwendiger Teil, der einzig mögliche Mechanismus einer solchen Evolution. Sie ist ebenso notwendig wie die Geburt selbst. Denn ohne sie wäre die Geburt ein anfänglicher Schritt, ohne daß eine Konsequenz auf ihn folgt. Sie wäre das Antreten einer Reise, ohne daß man sie fortsetzt und ohne daß man am Ziel ankommt. Die Wiedergeburt gibt der Geburt eines unvollkommenen Wesens in einem Körper ihre Verheißung, daß es zu seiner vollkommenen Erfüllung gelangt und seine spirituelle Bedeutung verwirklicht.

 

1 Prajna der Mandukya Upanishad: das Selbst, in einem tiefen Schlaf befangen, ist der Herr und Schöpfer aller Dinge.

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2 In der buddhistischen Theorie ist Wiedergeburt nur deshalb zwingend, weil das karma sie erfordert. Nicht eine Seele, sondern das karma ist das Verbindungsglied für ein dem Schein nach fortdauerndes Bewußtsein, denn das Bewußtsein ändert sich von Augenblick zu Augenblick: Es gibt diese scheinbare Kontinuität von Bewußtsein, aber es gibt keine wirkliche, unsterbliche Seele, die die Geburt auf sich nimmt und durch den Tod des Körpers hindurchgeht, um in einem anderen Körper wiedergeboren zu werden.

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3 In dieser Anschauung ist das Selbst Eines; es kann nicht viele sein oder sich vervielfältigen. Darum kann es auch kein wahres Individuum geben, sondern höchstens das eine Selbst, das allgegenwärtig ist und jedes Mental und jeden Körper mit der Idee des “Ich” beseelt.

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4 Dr. Schweitzer behauptet in seinem Buch über das Denken Indiens, daß dies der wirkliche Sinn der Lehre der Upanishaden gewesen und daß Wiedergeburt eine spätere Erfindung sei. Aber es gibt zahllose wichtige Stellen in fast allen Upanishaden, die positiv die Wiedergeburt behaupten. Und auf alle Fälle erkennen die Upanishaden das Überleben der Personalität nach dem Tod und ihren Übergang in andere Welten an, was mit jener Interpretation nicht vereinbar wäre. Wenn es ein Überleben in anderen Welten und auch eine endgültige Bestimmung zur Befreiung in das brahman für die hier verkörperten Seelen gibt, dann zwingt sich die Wiedergeburt von selbst auf. Es gibt keinen Grund für die Annahme, das sei eine spätere Theorie. Der Schreiber war offensichtlich durch Anknüpfung an westliche Philosophie geneigt, in den eher subtilen und komplexen Gedanken des alten Vedanta einen rein pantheistischen Sinn hineinzulesen.

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