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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1I

Kapitel XXII. Wiedergeburt und andere Welten. Karma, Seele und Unsterblichkeit

Mit seinem Weggang aus dieser Welt geht er zum physischen Selbst; er geht weiter zum Selbst des Lebens; er geht weiter zum Selbst des Mentals; er geht weiter zum Selbst des Wissens; er geht weiter zum Selbst der Seligkeit. Durch diese Welten bewegt er sich nach seinem Willen.

Taittiriya Upanishad, III. 10. 5.

Sie sagen mit Recht, das bewußte Wesen sei aus Begehren gebildet. Aus was für einem Begehren er aber auch entsteht, er kommt zustande aus jenem Willen; und aus was für einem Willen er auch zustande kommt, er tut jene Handlung; und wie auch immer seine Handlung ist, dorthin (zu deren Ergebnis) gelangt er... Behaftet mit seinem karma1 geht er in seinem subtilen Körper dorthin, woran sich sein Mental klammert. Wenn er dann ans Ende seines karma kommt, ans Ende jeglicher Handlung, die er hier tut, kehrt er aus jener Welt in diese Welt gegen karma zurück.

Brihadaranyaka Upanishad, IV. 5. 5, 6.

Mit Eigenschaften ausgestattet, ein Täter von Werken und Schöpfer ihrer Konsequenzen, erntet er das Resultat seiner Handlungen. Er ist der Beherrscher des Lebens und bewegt sich auf seiner Lebensreise im Einklang mit seinen Taten. Er hat Idee und Ich und soll nach den Eigenschaften seiner Intelligenz und der Qualität seines Selbsts erkannt werden. Obwohl kleiner als der hundertste Teil der Spitze eines Haares, ist die Seele des lebenden Wesens befähigt zur Unendlichkeit. Er ist weder männlich noch weiblich noch neutral, sondern wird mit jedem Körper vereinigt, den er als den seinen annimmt.

Svetasvatara Upanishad, V.7-10.

Sterbliche, sie erlangten die Unsterblichkeit!

Rig Veda, I.110. 4.

Unsere erste Schlußfolgerung hinsichtlich des Problems der Reinkarnation war: Die Wiedergeburt der Seele in aufeinanderfolgenden irdischen Verkörperungen ist eine unvermeidliche Folge der ursprünglichen Bedeutung und des Prozesses der Manifestation in der Erden-Natur. Dieser Schluß führt uns aber zu weiteren Problemen und Ergebnissen, die wir jetzt aufhellen müssen. Zuerst erhebt sich die Frage nach dem Prozeß der Wiedergeburt. Wenn dieser Prozeß nicht rasch verläuft, so daß Geburt unmittelbar auf den Tod des Körpers folgt, um eine ununterbrochene Reihe von Lebensabläufen derselben Person zu gewährleisten, wenn es vielmehr Intervalle gibt, entsteht daraus die zweite Frage nach Prinzip und Prozeß des Übergangs in andere Welten, die der Schauplatz für diese Zwischenzeit sein müssen, und nach der Rückkehr auf die Erde. Eine dritte Frage gilt dem Ablauf der spirituellen Evolution selbst und den Veränderungen, denen sich die Seele bei ihrem Gang von Geburt zu Geburt durch die Stadien ihres Abenteuers zu unterziehen hat.

Wäre das physische Universum die einzige manifestierte oder eine völlig gesonderte Welt, würde Wiedergeburt als Teil des evolutionären Prozesses begrenzt bleiben auf die ständige Aufeinanderfolge unmittelbarer Seelenwanderungen von einem Körper zum anderen. Auf den Tod würde dann unmittelbar eine neue Geburt ohne die Möglichkeit eines Intervalls folgen. Der Übergang der Seele wäre ein spirituelles Ereignis in der ununterbrochenen Reihe eines zwangsläufigen, mechanischen, materiellen Vorgangs. Die Seele würde keine Befreiung von der Materie finden. Sie wäre ständig an ihr Instrument, den Körper, gebunden, für die Dauer ihres manifestierten Daseins von ihm abhängig. Wir haben aber erkannt, daß es nach dem Tod und vor der darauf folgenden Wiedergeburt ein Leben auf anderen Ebenen gibt, ein Leben, das der alten Stufe irdischen Daseins folgt und die neue vorbereitet. Andere Ebenen existieren gleichzeitig mit der unsrigen, sind Teil eines einzigen komplexen Systems und wirken ständig auf die physische Ebene als ihren endgültig niedrigsten Begriff ein. Sie empfangen deren Reaktionen und erlauben geheime Kommunikation und Austausch. Der Mensch kann sich dieser Ebenen bewußt werden. In gewissen Zuständen kann er sogar sein bewußtes Wesen in sie hineinprojizieren, teilweise im Leben, darum vermutlich vollständig nach Auflösung des Körpers. Die Möglichkeit für eine solche Projektion in andere Welten oder Ebenen des Seienden wird dann hinreichend aktuell, um die eigene Verwirklichung notwendig zu machen, indem sie unmittelbar und vielleicht ohne Ausnahme auf das Erdenleben eines Menschen folgt, wenn dieser von Anfang an mit der entsprechenden Macht begabt ist, sich dorthin zu versetzen, schließlich wenn er durch stufenweisen Fortschritt dorthin kommt. Denn es ist möglich, daß der Mensch am Anfang noch nicht genügend entwickelt ist, um sein Leben oder sein Mental in umfassendere Lebens- oder Mental-Weiten emporzutragen. Er wäre gezwungen, unmittelbare Seelenwanderung von einem irdischen Körper zum anderen als die jetzt einzige Möglichkeit seiner Fortdauer zu akzeptieren.

Die Notwendigkeit eines Zwischenreiches zwischen Tod und Geburt und für den Übergang zu anderen Welten entsteht aus doppeltem Grunde: In der zusammengesetzten Natur des Menschen üben die anderen Ebenen auf sein mentales und vitales Wesen wegen der Verwandtschaft dieser Stufen Anziehungskraft aus. Ein Intervall ist nützlich oder sogar notwendig, um die vollendete Lebens-Erfahrung zu assimilieren, das auszuarbeiten, was abgetan werden muß, und um auf eine neue Verkörperung und eine neue Erfahrung auf Erden vorzubereiten. Dieses Bedürfnis nach einer Periode der Angleichung und diese Anziehungskraft anderer Welten auf verwandte Seiten unseres Wesens könnte aber nur dann wirksam genug werden, wenn die mentale und vitale Individualität im halb-tierhaften physischen Menschen stark genug entwickelt ist. Sie könnten nicht bis zu diesem Grad vorhanden sein oder nicht aktiv genug hervortreten, wenn die Lebenserfahrungen zu einfach und zu elementar wären, als daß sie eine Angleichung benötigten, das natürliche Wesen zu grob, als daß es zu dem komplizierten Aufarbeitungs-Prozeß fähig wäre. Die höheren Seiten wären dann nicht entwickelt genug, um sich zu den höheren Seiten des Lebens erheben zu können. Wenn solche Verbindungen zu anderen Welten fehlen, kann jene Wiedergeburts-Theorie zutreffend sein, die nur ständige Seelenwanderung zuläßt. Hier ist das Dasein anderer Welten und der Aufenthalt der Seele auf anderen Ebenen kein aktueller auf keiner Stufe notwendiger Teil des Systems. Es kann auch eine andere Theorie geben, nach der dieser Übergang für alle Menschen bindende Regel ist und es keine unmittelbare Wiedergeburt gibt. Die Seele brauche einen Zwischenzustand der Vorbereitung auf eine neue Inkarnation und auf neue Erfahrung. Es ist auch ein Kompromiß zwischen beiden Theorien möglich. Die Seelenwanderung mag dann zuerst die Regel sein, die so lange gilt, wie die Seele für ein Dasein in höheren Welten noch nicht reif genug ist. Das Hinübergehen in andere Welten wäre dann das darauf folgende Gesetz. Es mag, wie manchmal angedeutet wird, noch eine dritte Stufe geben, auf der die Seele so machtvoll entwickelt ist und ihre natürlichen Seiten spirituell so lebendig sind, daß sie kein Intervall braucht, sondern wieder unmittelbar eine Geburt annehmen kann, um ohne Verzögerung und Unterbrechung eine raschere Entwicklung zu erlangen.

In den populären Vorstellungen, die sich von den Religionen herleiten, die die Reinkarnation anerkennen, gibt es einen Widerspruch, den aufzulösen diese, nach Art populärer Überzeugungen, sich keine Mühe gegeben haben. Einerseits gibt es, vage genug, doch ziemlich allgemein, die Auffassung, auf den Tod folge unmittelbar oder annähernd unmittelbar die Annahme eines neuen Körpers. Andererseits besteht das alte religiöse Dogma von einem Leben nach dem Tod in Höllen oder in Himmeln, vielleicht auch anderen Welten oder Stufen des Seienden, das sich die Seele durch ihr Verdienst im physischen Leben erworben oder durch ihre Untaten zugezogen habe. Die Rückkehr auf die Erde trete erst dann ein, wenn jenes Verdienst oder jene Versündigung erschöpft und der Mensch fähig sei für ein anderes irdisches Leben. Dieser Widerspruch würde verschwinden, wenn wir eine unterschiedliche Bewegung annehmen, die von jener Entwicklungsstufe abhängt, die die Seele während ihrer Manifestation in der Natur erlangt hat. Alles würde sich dann um den Grad ihrer Fähigkeit drehen, in einen höheren Zustand als den des irdischen Lebens einzugehen. In der gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt ist aber die Vorstellung einer spirituellen Entwicklung nicht ausdrücklich enthalten. Sie wird nur in der Tatsache angedeutet, daß die Seele den Punkt erreicht haben muß, an dem sie fähig ist, über den Zwang zur Wiedergeburt hinauszukommen und in ihren ewigen Ursprung zurückzukehren. Wenn es aber keine Evolution in Stufen oder Graden gibt, kann dieser Punkt ebenso gut durch eine wirre Zick-Zack-Bewegung erreicht werden, deren Gesetz nicht leicht bestimmbar ist. Die definitive Lösung der Frage hängt von Erforschung und Erfahrung des Seelischen ab. Hier können wir nur erwägen, ob in der Natur der Dinge oder in der Logik des evolutionären Prozesses eine äußerlich oder innerlich zwingende Notwendigkeit für die eine oder andere dieser Bewegungen vorliegt: für den unmittelbaren Übergang von dem einen in den anderen Körper oder dafür, daß vor einer neuen Reinkarnation ein Intervall durch das psychische Prinzip der Selbst-Verkörperung eintritt.

Etwas wie eine halbe Notwendigkeit für das Leben in anderen Welten, eine dynamische und praktische eher als eine wesenhafte Notwendigkeit, ergibt sich gerade aus der Tatsache, daß die verschiedenen Welt-Prinzipien ineinander verwoben und in etwa voneinander abhängig sind, ferner aus der Wirkung, die diese Tatsache auf den Prozeß unserer spirituellen Entwicklung haben muß. Entgegenwirken könnte dem eine Zeitlang der stärkere Zug nach unten oder die Anziehung des Irdischen oder die überwiegend physische Art der sich entwickelnden Natur. Unsere Überzeugung, daß eine aufsteigende Seele in die Gestalt eines Menschen geboren und in dieser Gestalt öfters wiedergeboren wird, weil sie sonst ihre menschliche Entwicklung nicht vollenden kann, ruht, vom Standpunkt der rational urteilenden Intelligenz her, auf der Basis, daß die Seele fortschreitend in höhere und immer höhere Grade des irdischen Daseins übergeht und, sobald sie einmal die Stufe des Menschen erreicht hat, ihre wiederholte menschliche Geburt eine Aufeinanderfolge darstellt, die für das Wachsen der Natur notwendig ist. Ein einziges kurzes menschliches Leben auf der Erde reicht offenbar für den evolutionären Zweck nicht aus. Auf den früheren Stufen einer Reihe menschlicher Reinkarnationen gibt es, während einer Periode primitiven Menschseins, auf den ersten Blick eine gewisse Möglichkeit dafür, daß der unmittelbare Übergang in einen anderen Körper oft wiederholt wird, – das öftere Annehmen einer neuen menschlichen Gestalt in einer Geburt unmittelbar, nachdem der vorhergehende Körper sich durch Stillstand oder Ausstoß der organisierten Lebens-Energie aufgelöst hat und als Folge davon die physische Zersetzung eingetreten ist, die wir Tod nennen. Welche Notwendigkeit des evolutionären Prozesses würde aber solch eine Reihe unmittelbarer Wiedergeburten bedingen? Offensichtlich könnte sie nur so lange erforderlich sein, wie die psychische Individualität – das ist nicht die verborgene Seelen-Wesenheit selbst, sondern die Seelen-Gestalt im natürlichen Wesen – wenig entwickelt, ungenügend entfaltet und so unvollkommen gestaltet ist, daß sie sich nur durch Abhängigkeit von einer ununterbrochenen Aufeinanderfolge der mentalen, vitalen und physischen Individualität dieses Lebens behaupten könnte: In ihrer Unfähigkeit, jetzt schon in sich selbst zu beharren, sich ihrer vergangenen Mental- und Lebens-Gestaltung zu entledigen und nach einem hilfreichen Intervall neue Gestaltungen aufzubauen, wäre sie gezwungen, ihre rudimentäre Personalität zu ihrer Erhaltung sofort auf einen neuen Körper zu übertragen. Es ist zweifelhaft, ob wir berechtigt sind, einem Wesen, das so stark individualisiert ist, daß es menschliches Bewußtsein erlangte, eine so völlig unzureichende Entwicklung zuzumuten. Das menschliche Individuum ist selbst in seiner niedrigsten Form noch eine Seele, die durch ein besonderes mentales Wesen handelt, mag sein Mental auch noch so schlecht ausgebildet, noch so beschränkt und zwergenhaft, noch so vergröbert und in ein physisches und vitales Bewußtsein eingesperrt und unfähig oder unwillig sein, sich von seinen niederen Gestaltungen freizumachen. Wir können auch annehmen, daß ein so starker Hang nach unten vorhanden ist, daß er das Wesen zwingt, eilends das physische Leben wieder anzunehmen, da die Gestaltung seiner Natur wirklich noch nicht für etwas anderes fähig oder auf einer höheren Ebene daheim ist. Es könnte die Lebens-Erfahrung so kurz und unvollständig sein, daß die Seele um ihrer Fortdauer willen zu unmittelbarer Wiedergeburt drängte. In dem komplexen Ablauf des Natur-Prozesses mag es noch andere Bedürfnisse, Einflüsse oder Ursachen geben, etwa einen starken Willen erdgebundenen Begehrens, der nach Erfüllung drängt und unmittelbaren Übergang der gleichen beharrenden Form der Personalität in einen neuen Körper erzwingen will. Dennoch würde die Alternative, der Prozeß der Reinkarnation, einer Wiedergeburt der Person, nicht nur in einem neuen Körper, sondern in einer neuen Gestaltung der Persönlichkeit, die normale Linie sein, die vom psychischen Wesen eingeschlagen wird, wenn es einmal die menschliche Stufe seines evolutionären Zyklus erreicht hat.

Denn im Lauf ihrer Entwicklung muß die Seelen-Persönlichkeit Macht genug über ihre eigene Natur-Gestalt und mentale und vitale Individualität gewinnen, die das Selbst genügend ausdrücken kann, um ohne Unterstützung des materiellen Körpers weiter bestehen und jeden übermäßigen, hemmenden Hang zur physischen Ebene und zum physischen Leben überwinden zu können. Sie sollte so weit entwickelt sein, daß sie im subtilen Körper bestehen kann. Von ihm wissen wir, daß er die charakteristische Behausung oder Umhüllung und die eigentliche subtil-physische Stütze des inneren Wesens ist. Die Seelen-Person, das psychische Wesen, überlebt; sie trägt Mental und Leben auf ihrer Reise mit sich. Im subtilen Körper verläßt sie ihre materielle Behausung. Beide müssen also für den Übergang ausreichend entwickelt sein. Eine Überführung von Mental und Leben auf die Ebenen des Mental- oder Vital-Daseins setzt beide als so weit geformt und entwickelt voraus, daß sie ohne Auflösung hinübergehen und eine Zeitlang auf den höheren Ebenen existieren können. Die Erfüllung dieser Bedingungen – also ausreichend entwickelte psychische Personalität, ein subtiler Körper und eine genügend entfaltete mentale und vitale Persönlichkeit – würde das Überleben der Seelen-Person ohne unmittelbare Neu-Geburt sichern; die Anziehungskraft der anderen Welten würde wirksam werden. Das würde an sich aber bedeuten, daß die Seele mit derselben mentalen und vitalen Persönlichkeit zur Erde zurückkehrt. Es gäbe dann keine freie Evolution in der neuen Geburt. Es sollte aber ein so hoher Grad an individueller Vervollkommnung der psychischen Person selbst erreicht werden, daß diese ebensowenig abhängig ist von ihren früheren Mental- und Lebens-Gestaltungen wie von dem vergangenen Körper. Vielmehr sollte sie diese zur gegebenen Zeit abschütteln und zu einer neuen Form für neue Erfahrung weitergehen. Um so die alten Formen abzulegen und neue vorzubereiten, muß sich die Seele eine Zeitlang zwischen den beiden Geburten irgendwo anders aufhalten als auf der ausschließlich materiellen Ebene, auf der wir uns jetzt bewegen. Denn hier gibt es keine bleibende Stätte für einen körperlosen Geist. Ein kurzer Aufenthalt wäre wohl möglich, sofern es subtile Hüllen des Erden-Daseins gibt, die zur Erde gehören, aber von vitaler oder mentaler Art sind. Aber selbst dann gäbe es nur dann einen triftigen Grund für die Seele, längere Zeit hier “umzugehen”, wenn sie noch mit übermächtiger Bindung an das Erden-Leben belastet ist. Will die Persönlichkeit den materiellen Körper überleben lassen, setzt das ein supraphysisches Dasein voraus. Das kann aber nur auf einer Ebene des Seienden geschehen, die der Entwicklungsstufe des Bewußtseins entspricht. Oder es muß, wenn es keine Entwicklung gibt, in einem zeitweiligen zweiten Heim des Geistes geschehen, das ihr natürlicher Aufenthaltsort zwischen dem einen und dem anderen Leben wäre, – wenn es nicht ihre ursprüngliche Welt ist, aus der sie nicht mehr in die materielle Natur zurückkehrt.

Wo würde dann dieser zeitweilige Aufenthalt im Supraphysischen stattfinden? Welches wäre die andere Wohnstätte der Seele? Es könnte so aussehen, als sollte das auf einer mentalen Ebene sein, in mentalen Welten, einerseits weil für den Menschen, das mentale Wesen, die Anziehung jener Welten, die schon im Leben so wirksam ist, dann überwiegen muß, wenn das Hindernis der Gebundenheit des Körpers nicht mehr besteht, andererseits weil die mentale Ebene offensichtlich die ursprüngliche und eigentliche Wohnstätte eines mentalen Wesens sein sollte. Weil aber das Wesen des Menschen so komplex ist, muß das nicht automatisch erfolgen. Er besitzt ebenso ein vitales wie ein mentales Dasein – seine vitalen Seiten treten oft machtvoller und aufdringlicher hervor als die mentalen –, und hinter dem mentalen Wesen ist eine Seele, deren Repräsentant das Mental ist. Außerdem gibt es viele Ebenen oder Stufen des Welt-Daseins, durch die die Seele hindurchgehen muß, um das für sie natürliche Heim zu erreichen. Man nimmt an, daß es in der physischen Ebene selbst oder nahe bei ihr Schichten von immer feinerer subtiler Art gibt, die man als Unter-Ebenen des Physischen von vitalem und mentalem Charakter ansehen kann. Das sind Schichten, die uns umgeben und zugleich auch in uns eindringen. Durch sie hindurch findet der Austausch zwischen den höheren Welten und der physischen Welt statt. Dann könnte es für den mentalen Menschen möglich sein, daß er, solange seine Mentalität noch nicht genügend entwickelt ist, solange sie hauptsächlich auf die mehr physischen Formen der Aktivität von Mental und Leben beschränkt ist, in diesen Zwischenregionen gefangen und aufgehalten wird. Er könnte sogar gezwungen werden, zwischen der einen und der anderen Geburt ganz dort zu bleiben. Das ist aber nicht wahrscheinlich und könnte nur dann geschehen, wenn und insofern seine Gebundenheit an die Erden-Formen seiner bisherigen Aktivität so stark gewesen ist, daß sie die Vollendung seines natürlichen Weges nach oben hin ausschließt oder behindert. Denn der Zustand der Seele nach dem Tod muß irgendwie der Entwicklung des Wesens auf der Erde entsprechen. Das Leben danach ist also keine freie Rückkehr nach oben von einem vorübergehenden zeitweiligen Irrweg hinab in die Sterblichkeit. Vielmehr ist es ein normales, sich wiederholendes Ereignis, das zwischen Tod und Geburt eintritt, um den Prozeß einer schwierigen spirituellen Entwicklung im physischen Dasein zu unterstützen. Es gibt eine Beziehung, die das menschliche Wesen in seiner Entwicklung auf Erden mit den höheren Ebenen des Seins knüpft. Das muß entscheidend auf sein Wohnen in diesen Ebenen zwischen Tod und Wiedergeburt wirken. Es muß seine Richtung nach dem Tod und auch Ort, Zeitdauer und Charakter seiner Selbst-Erfahrung dort bestimmen.

Es mag auch sein, daß der Mensch noch eine Zeitlang in einem dieser angrenzenden Bereiche anderer Welten umgeht, die von seinen gewohnten Anschauungen oder von der Art seines Trachtens im sterblichen Körper erschaffen werden. Wir wissen, daß er sich Bilder dieser höheren Ebenen macht, die oft mentale Übertragungen von gewissen Elementen in ihnen sind. Aus diesen Bildern errichtet er ein System, eine Form aktueller Welten. Er baut sich auch Wunsch-Welten vielerlei Art auf, die er dank seiner Neigung zu ihnen stark als innere Wirklichkeit empfindet: Möglicherweise sind diese Konstruktionen so stark, daß sie für ihn eine künstliche Umgebung nach dem Tod erschaffen, in der er dann verweilen kann. Denn die Macht des menschlichen Mentals, Bilder zu erschaffen, seine Phantasie, die in seinem physischen Leben nur eine unentbehrliche Hilfe ist, sich Wissen zu erwerben und das Leben zu gestalten, kann auf höherer Stufe zur schöpferischen Macht werden, die es seinem mentalen Wesen möglich macht, eine Zeitlang inmitten seiner eigenen Bilder zu leben, bis diese durch den Druck der Seele aufgelöst werden. Alle diese Mentalgebäude haben die Art von umfassenden Lebenskonstruktionen. In ihnen überträgt das Mental einige der wirklichen Zustände der höheren mentalen und vitalen Welten in die Begriffe seiner physischen Erfahrung, vergrößert, zeitlich verlängert, zu einem Zustand ausgedehnt, der über die physischen Verhältnisse hinausgeht. Durch diese Übertragung bringt er die vitale Freude und das vitale Leiden des physischen Wesens in die supraphysischen Verhältnisse, in denen sie größere Weite, Fülle und Dauer bekommen. Man muß also diese konstruierten Umgebungen, soweit sie überhaupt eine Stätte im Supraphysischen haben, als angrenzendes Gebiet der vitalen und niederen mentalen Ebenen ansehen.

Es gibt aber auch die wahren vitalen Welten – ursprüngliche Konstruktionen, organisierte Entwicklungen, echte Heimstätten des universalen Lebens-Prinzips, die kosmische vitale anima, die dort in ihrem eigenen Bereich und in ihrer eigenen Natur wirkt. Auf seinem Weg zwischen den Geburten mag der Mensch dort durch die Kraft der überwiegend vitalen Einflüsse, die sein irdisches Leben gestaltet haben, eine Weile festhalten werden, denn diese Einflüsse gehören ursprünglich zur vitalen Welt. Ihre Gewalt über ihn könnte ihn einige Zeit in ihrem Bezirk zurückhalten. Er mag dort in der Gewalt jener Dinge festgehalten werden, die ihn hier schon im physischen Wesen beherrschten. Aber jedes Verbleiben der Seele in Grenzgebieten oder in ihren eigenen Konstruktionen könnte nur eine Übergangsstufe des Bewußtseins sein, wenn sie vom physischen in den supraphysischen Zustand übergeht. Sie muß aus diesen Strukturen in die wahren Welten der supraphysischen Natur weitergehen. Sie kann sofort in die Welten des anderen Lebens eingehen oder auf einer Übergangsstufe in einem Bereich der subtilphysischen Erfahrung bleiben, dessen Umgebung ihr eine Ausweitung der Zustände des physischen Lebens zu sein scheint, jedoch unter freieren Bedingungen, die einem subtileren Medium angepaßter sind und eine Art glücklicher Vollkommenheit von Mental und Leben oder ein verfeinerteres körperliches Dasein darstellen. Jenseits dieser subtil-physischen Ebenen der Erfahrung und der Lebens-Welten gibt es auch mentale und spirituell-mentale Welten, zu denen die Seele zwischen Tod und Geburt einen Zugang zu haben scheint, in die sie ihren Weg zwischen ihren Inkarnationen lenken kann. Wahrscheinlich kann sie aber dort nicht bewußt leben, wenn sie nicht in diesem Leben schon eine ausreichende Entfaltung von Mental oder Seele erworben hat. Denn normalerweise müssen diese Stufen die höchsten sein, die das sich entwickelnde Wesen zwischen Tod und Geburt bewohnen kann, da niemand, der nicht über die mentalen Sprossen auf der Leiter des Seienden hinausgekommen ist, zu einem supramentalen oder übermentalen Zustand emporsteigen könnte. Hätte sich aber ein Mensch so sehr entwickelt, daß er den Sprung über die mentale Stufe hinaus gemacht und eine solche Höhe erlangt hat, dann könnte er möglicherweise nicht mehr hierher zurückkehren, solange die physische Evolution hier in der Materie noch keine Organisation eines übermentalen oder supramentalen Lebens entwickelt hat.

Indessen ist es aber nicht wahrscheinlich, daß die mentalen Welten die letzte normale Stufe beim Weitergehen nach dem Tod darstellen. Ist doch der Mensch nicht allein mental: Die Seele, das psychische Wesen, ist der Wanderer zwischen Tod und Geburt, nicht das Mental. Das mentale Wesen ist nur ein vorherrschendes Element in der Gestalt, in der sich die Seele zum Ausdruck bringt. So muß es also für die Seele eine Zuflucht auf einer Ebene rein psychischen Seins geben, in der sie auf ihre Wiedergeburt warten kann. Dort könnte sie sich die Kräfte ihres vergangenen Lebens und ihrer Erfahrung angleichen und ihre Zukunft vorbereiten. Im allgemeinen sollte man von einem normal entwickelten menschlichen Wesen, das zu einer genügend starken Mentalität emporgekommen ist, erwarten, daß es auf seinem Weg zu seiner psychischen Ruhestätte nacheinander durch alle die subtil-physischen, vitalen und mentalen Ebenen hindurchgeht. Auf jeder Stufe würde es die Bruchstücke seiner geformten Persönlichkeitsstruktur, die nur vorübergehend und äußerlich sind und zu seinem vergangenen Leben gehören, aufarbeiten, um sich ihrer zu entledigen. Es würde seine Mental-Hülle und seine Vital-Hülle ebenso ablegen wie schon vorher seine körperliche Hülle. Zurückbleiben würden das Wesen der Persönlichkeit und ihre mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen in einer latenten Erinnerung oder als dynamische Möglichkeit für die Zukunft. Wenn aber die Entwicklung des Mentals unzulänglich war, kann die Seele möglicherweise nicht bewußt über die vitale Stufe hinausgehen. Dieses Wesen würde dann entweder von hier aus zurückfallen und aus seinen vitalen Himmeln oder Fegefeuern zur Erde zurückkehren. Oder es würde folgerichtiger sofort in eine Art von seelischem Angleichungs-Schlaf versinken, der so lange dauert wie die Zeit bis zu seiner neuen Geburt. Um auf den höchsten Ebenen wach sein zu können, ist eine gewisse Entwicklung unerläßlich.

All das ist indessen nur von starker Wahrscheinlichkeit und, obwohl es in der Praxis an Notwendigkeit herankommt und durch gewisse Fakten subliminaler Erfahrung bestätigt wird, für das rational urteilende Mental an sich noch nicht voll beweiskräftig. Wir müssen uns fragen, ob es noch eine weitere, wesenhaftere Notwendigkeit für die Intervalle zwischen Tod und Geburt gibt, zumindest eine so kraftvolle, daß sie zu einem unwidersprechlichen Schluß führt. Eine solche Notwendigkeit werden wir in der entscheidenden Rolle finden, die die höheren Ebenen in der Erden-Entwicklung und in der Beziehung spielen, die die Evolution zwischen ihnen und dem sich entwickelnden Seelen-Bewußtsein geschaffen hat. Unsere Entwicklung findet weithin durch deren höheres, wenn auch verborgenes Einwirken auf unsere Erden-Ebene statt. All das ist im Unbewußten oder im Unterbewußten, jedoch als Entwicklungsmöglichkeit aufbewahrt. Die Einwirkung von oben hilft, ein Hervortreten zu erzwingen. Fortgesetztes Einwirken ist notwendig, um den Fortschritt der mentalen und vitalen Gestaltungen zu bestimmen, den unsere Evolution in der materiellen Natur durchläuft. Denn diese progressiven Bewegungen können nur dann ihre volle Wirkungskraft, ihre eigentliche Bedeutung gegen den Widerstand einer unbewußten, trägen, unwissenden materiellen Natur entfalten, wenn sie, zwar insgeheim aber ständig, Zuflucht bei den höheren supraphysischen Kräften ihrer eigenen Art suchen. Diese Zuflucht, das Wirken dieser geheimen Allianz, findet hauptsächlich in unserem subliminalen Wesen und nicht an der Oberfläche statt. Von hier tritt die aktive Macht unseres Bewußtseins hervor. Alles, was es realisiert, sendet es ständig in das subliminale Wesen zurück, damit es dort gespeichert und entwickelt wird, um später in stärkeren Gestaltungen wieder hervorzutreten. Diese gegenseitige Einwirkung zwischen unserem umfassenderen verborgenen Wesen und unserer vordergründigen Personalität ist das wichtigste Geheimnis der raschen Entwicklung, die im Menschen wirksam ist, sobald er einmal über die niederen Stufen des in der Materie versunkenen Mentals hinausgekommen ist.

Jene Zuflucht muß auf der Stufe zwischen Tod und Geburt fortbestehen. Denn eine neue Geburt, ein neues Leben nimmt die Entwicklung nicht genau an dem Punkt wieder auf, wo sie im letzten Leben aufhörte. Sie wiederholt nicht nur unsere frühere vordergründige Persönlichkeit und die Gestaltung unserer Natur und setzt diese fort. In jener Zuflucht findet Angleichung statt. Alte Charaktereigenschaften und Beweggründe werden abgelegt, manche verstärkt und neu geordnet. Die Entwicklungen der Vergangenheit werden neu gesichtet und für die Zwecke der Zukunft ausgewählt. Ohne das kann der neue Anfang nicht erfolgreich sein, die Entwicklung nicht weiterführen. Denn jede Geburt ist ein neuer Anfang. Gewiß entwickelt er sich aus der Vergangenheit; er ist aber nicht deren mechanische Fortsetzung: Wiedergeburt ist keine ständige Wiederholung, sondern ein Fortschritt. Sie ist der Mechanismus eines evolutionären Prozesses. Ein Teil dieser neuen Ordnung der Eigenschaften, besonders das Ausmerzen früherer starker Schwingungen der Personalität, kann nur dadurch bewirkt werden, daß nach dem Tod das Drängen früherer mentaler, vitaler und physischer Beweggründe zum Stillstand gebracht wird. Diese innere Befreiung, dieses Abwerfen von Behinderungen, muß auf Ebenen zustandegebracht werden, die den Beweggründen entsprechen, die beseitigt oder sonstwie aufgearbeitet werden sollen, also auf Ebenen, die selbst von jener Art sind. Nur dort kann die Seele noch jene Wirkweisen, die zum Stillstand gebracht oder aus dem Bewußtsein zurückgewiesen werden müssen, fortsetzen, damit sie zu einer neuen Gestalt weitergehen kann. Es ist auch wahrscheinlich, daß die integrierende positive Vorbereitung von der Seele selbst durchgeführt und von ihr der Charakter des neuen Lebens am Zufluchtsort, ihrer eigentlichen Heimat, entschieden wird, auf einer Ebene psychischer Ruhe, wo sie alles in sich zurücknehmen und ihre neue Stufe in der Evolution erwarten kann. Das würde bedeuten, daß die Seele fortschreitend durch die subtil-physischen, vitalen und mentalen Welten hindurch bis zu jener psychischen Zufluchtsstätte geht, von der aus sie dann zu ihrer weiteren Pilgerschaft auf die Erde zurückkehren würde. Konsequenz der Zuflucht zwischen Tod und Geburt wäre, daß die Seele die so vorbereiteten Materialien sammelt, entfaltet und in dem neuen Erden-Leben ausarbeitet. Die neue Geburt wird dann zum Feld für das hieraus entstehende Wirken, für ein neues Stadium oder für eine Spiral-Kurve in der individuellen Evolution des verkörperten Geistes.

Denn wenn wir sagen, die Seele entfaltet auf Erden nacheinander das physische, das vitale, das mentale und das spirituelle Wesen, so meinen wir nicht, daß sie diese neu erschafft und diese nicht schon vorher existiert hätten. Im Gegenteil, in Wirklichkeit manifestiert sie die Prinzipien ihres spirituellen Wesens und tut das unter den ihr von einer Welt physischer Natur auferlegten Bedingungen. Diese Manifestation nimmt die Form der Struktur einer Vordergrunds-Personalität an, die eine Übertragung des inneren Selbsts in die Begriffe und Möglichkeiten des physischen Daseins ist. So müssen wir faktisch die antiken Vorstellungen annehmen, daß der Mensch in seinem Innern nicht nur die physische Seele, den purusha hat samt der diesem entsprechenden Natur, sondern auch ein vitales, ein mentales, ein psychisches, ein supramentales und ein höchstes spirituelles Wesen (Taittiriya Upanishad). Alle diese Seiten seines Wesens oder ihre Gegenwart und Kraft sind zum größeren Teil in seinen subliminalen oder latenten und in seinen noch nicht formulierten überbewußten Seiten verborgen. Er muß ihre Mächte in seinem aktiven Bewußtsein in den Vordergrund bringen und selbst in seinem Wissen für sie wach werden. Jede dieser Mächte seines Wesens steht aber in Beziehung zu der eigenen, ihr entsprechenden Seins-Ebene, alle haben dort ihre Wurzeln. Durch diese nimmt das Wesen seine subliminale Zuflucht zu den gestaltenden Einflüssen von oben her, eine Zuflucht, die uns entsprechend unserer höheren Entwicklung immer mehr bewußt werden kann. Es ist also logisch, daß der Entwicklung ihrer Mächte in unserer bewußten Evolution auch der Zufluchtsort zwischen Tod und Geburt entsprechen muß, den die Art unserer Geburt hier, ihr evolutionäres Ziel und ihr Prozeß erfordern. Die Umstände und die Stufen dieser Zuflucht müssen komplex sein und dürfen nicht den grob und scharf abgegrenzten primitiven Charakter tragen, wie sich ihn die populären Religionen vorstellen. An sich kann man aber diese Zuflucht als eine unausweichliche Konsequenz des eigentlichen Ursprungs und der Natur des Seelen-Lebens im Körper akzeptieren. Das All ist ein eng verflochtenes Gewebe, eine Entwicklung und ein Ineinanderwirken, dessen Verbindungsglieder von einer Bewußten-Kraft gebildet worden sind, die die Wahrheit ihrer eigenen Beweggründe im Einklang mit einer kraftgeladenen Logik dieser endlichen Wirkweisen des Unendlichen durchführt.

Ist diese Betrachtung der Wiedergeburt und des zeitweiligen Übergangs der Seele in andere Ebenen des Seins korrekt, dann nehmen die Wiedergeburt und das Leben nach dem Tod Bedeutungen an, die verschieden sind, je nachdem sie durch die seit langem gängigen Vorstellungen von Wiedergeburt und den Aufenthalt nach dem Tod in Welten jenseits von uns gefärbt sind. Im allgemeinen nimmt man an, die Wiedergeburt habe zwei Aspekte, einen metaphysischen und einen moralischen, einen Aspekt spiritueller Notwendigkeit und einen kosmischer Gerechtigkeit und ethischer Disziplin. Die Seele – von der man in dieser Auffassung oder für diesen Zweck annimmt, sie habe ein wirkliches individuelles Dasein – sei infolge ihres Begehrens und ihrer Unwissenheit auf Erden. Sie müsse auf Erden bleiben oder immer wieder hierher zurückkehren, solange sie nicht des Begehrens müde geworden und zu der Erkenntnis ihrer Unwissenheit und zum wahren Wissen erwacht sei. Dieses Begehren zwinge sie, immer wieder zu einem neuen Körper zurückzukehren. Sie müsse stets den Umdrehungen des Rades der Geburt folgen, bis sie erleuchtet und befreit sei. Sie verbleibe allerdings nicht immer auf Erden, sondern wechsle zwischen der Erde und anderen Welten der Himmel und der Höllen, bis sie den in ihr angehäuften Vorrat von Verdienst und Vergehen infolge ihrer sündigen oder tugendhaften Handlungen aufgearbeitet habe.

Dann kehre sie auf die Erde und in eine Art irdischen Körper zurück, manchmal in einen menschlichen, manchmal in den eines Tieres und manchmal sogar in einen pflanzlichen. Die Art dieser neuen Inkarnation und das Schicksal der Seele würden automatisch durch ihre vergangenen Handlungen, durch das karma, bestimmt. Wenn die Summe des vergangenen Wirkens gut war, geschehe die Geburt in der höheren Gestalt, das Leben werde froh und erfolgreich oder unsagbar glücklich. War es schlecht, dann erhielten wir eine niedrigere Form der Natur als Haus, oder das Leben werde, als menschliches, ohne Freude, ohne Erfolg, voll von Leiden und Unglück sein. Waren unsere vergangenen Taten und unser Charakter vermischt, dann gebe uns die Natur, einem guten Buchhalter gleich, je nach der Gesamtsumme und den Werten unseres früheren Verhaltens, eine wohl bemessene Bezahlung mit einer Mischung von Freude und Leiden, Erfolg und Mißerfolg, dem seltensten großen Glück und dem härtesten Unglück. Zugleich mag auch ein starker persönlicher Wille oder ein Begehren im vergangenen Leben die neue Form der inkarnierten Seele, avatara, bestimmen. Diesen Bezahlungen der Natur wird oft ein mathematischer Aspekt gegeben, denn nach dieser Auffassung sollten wir eine genaue Strafe für unsere Missetaten auf uns laden, uns der gleich großen Vergeltung unterziehen oder den gleichhohen Gegenwert erstatten für das, was wir anderen zugefügt oder gegen sie veranlaßt haben. Die unerbittliche Regel “Zahn um Zahn” ist ein häufiges Prinzip dieses karma-Gesetzes. Denn dieses Gesetz ist ebenso ein Arithmetiker mit seiner Rechenmaschine wie ein Richter mit seinem Strafgesetz für lang hinter uns liegende Vergehen und Missetaten. Es ist aber auch zu bemerken, daß es in diesem System eine doppelte Bestrafung und eine doppelte Belohnung für Sünde und Tugend gibt. Denn der Sünder wird zuerst in der Hölle gefoltert und dann noch in einem anderen Leben hier für die gleichen Sünden geplagt. Und der Gerechte oder der Puritaner wird mit himmlischen Freuden belohnt und danach für dieselben Tugenden und guten Taten noch einmal in einem neuen irdischen Dasein verwöhnt.

Das sind sehr summarische Auffassungen; sie bieten der philosophischen Vernunft keinen Standpunkt und keine Antwort auf der Suche nach der wahren Bedeutung des Lebens. Ein ungeheures Welt-System, das als Einrichtung nur zu dem Zweck existieren sollte, endlos an einem Rad der Unwissenheit zu drehen, und kein anderes Ziel bietet, als schließlich die Chance, von ihm abzuspringen, ist keine Welt mit wirklichem Seinsgrund. Eine Welt, die nur als Schule für Sünde und Tugend dient, die aus einem System von Zuckerbrot und Peitsche besteht, wirkt auf unsere Intelligenz nicht überzeugender. Wenn die Seele oder der Geist in unserem Innern göttlich, unsterblich oder himmlisch ist, kann sie nicht nur hierher geschickt worden sein, um für eine solche Art roher und primitiver moralischer Erziehung in die Schule geschickt zu werden. Wenn sie in die Unwissenheit eintreten sollte, muß das geschehen sein, weil es ein höheres Prinzip, eine Möglichkeit in ihrem Wesen gibt, die durch die Unwissenheit ausgearbeitet werden muß. Ist die Seele andererseits ein Wesen, das für einen kosmischen Zweck aus dem Unendlichen in die Finsternis der Materie gestürzt wurde und in ihr zur Selbst-Erkenntnis heranwachsen soll, muß ihr Leben hier und seine Bedeutung etwas mehr sein, denn als kleines Kind zu einem tugendsamen Verhalten verhätschelt und gezüchtigt zu werden. Das Leben der Seele muß wachsen, aus angenommener Unwissenheit zur eigenen vollen spirituellen Größe, schließlich in ein unsterbliches Bewußtsein, in Wissen, Stärke, Schönheit, göttliche Reinheit und Macht übergehen. Für solch spirituelles Wachstum ist dieses Gesetz von karma allzu kindisch. Selbst wenn die Seele etwas Erschaffenes wäre, ein Kind-Wesen, das von der Natur zu lernen und in die Unsterblichkeit zu wachsen hat, muß das durch ein umfassenderes Wachstum geschehen, nicht aber durch irgendein göttliches Gesetzbuch primitiver, barbarischer Gerechtigkeit. Diese Vorstellung von karma ist eine Konstruktion des kleinlichen vitalen Mentals des Menschen, das sich vor allem um seine kümmerlichen Lebensregeln, seine Sehnsüchte, Freuden und Leiden sorgt und deren armselige Maßstäbe zu Gesetz und Ziel des Kosmos erhebt. Diese Auffassungen können für das denkende Mental nicht annehmbar sein. Sie tragen zu offensichtlich den Stempel einer Konstruktion an sich, die durch unsere menschliche Unwissenheit verfertigt wurde.

Man kann aber dieselbe Lösung auf eine höhere Stufe der Vernunft emporheben und ihr eine eher einleuchtende Deutung und die Färbung eines kosmischen Prinzips geben. Man könnte sie zuerst auf das unangreifbare Fundament stellen, daß alle Energien in der Natur ihre natürliche Konsequenz in sich tragen. Wenn eine Energie im gegenwärtigen Leben ohne sichtbares Resultat bleibt, mag es wohl sein, daß dieses Ergebnis nur verzögert, nicht aber für immer zurückgehalten wird. Jeder Mensch erntet den Herbst seiner Werke und Taten, den Lohn für das Wirken, das durch die Energien seiner Natur hervorgerufen wurde. Die Ergebnisse, die in seiner gegenwärtigen Geburt nicht zutage treten, müssen für ein darauffolgendes Dasein aufbewahrt werden. Es ist wahr, daß das Resultat der Energien und Handlungen des Einzelnen nicht ihm selbst, sondern den anderen zuwächst, wenn er weitergegangen ist. Denn das erleben wir ständig. Es kommt sogar während der Lebenszeit eines Menschen vor, daß die Früchte seiner Energien von anderen geerntet werden. Der Grund dafür ist, daß es eine Solidarität und Kontinuität des Lebens in der Natur gibt und daß der einzelne Mensch, auch wenn er es wollte, nicht völlig für sich allein leben kann. Wenn es aber für das Individuum eine Kontinuität des Lebens durch Wiedergeburt gibt, und nicht nur eine Kontinuität des Lebens der Masse und des kosmischen Lebens, und wenn der Einzelne ein Selbst, eine Natur und eine Erfahrung hat, die sich immer weiterentwickeln, darf unvermeidlich auch bei ihm das Wirken seiner Energien nicht plötzlich abgeschnitten werden, muß es zu irgendeiner Zeit in seinem fortdauernden, sich entwickelnden Sein Ergebnisse zeitigen. Des Menschen Wesen, seine Natur und seine Lebensumstände sind das Ergebnis seiner eigenen inneren und äußeren Betätigungen, nicht etwas Zufälliges und Unerklärliches: Er ist das, wozu er sich selbst gemacht hat. Der vergangene Mensch war der Vater des Menschen, der heute ist. Der gegenwärtige Mensch ist der Vater des Menschen, der morgen sein wird. Jeder Mensch erntet, was er sät. Von dem, was er tut, hat er seinen Vorteil; für das, was er tut, leidet er. Dies ist das Gesetz und die Kette des karma, des Handelns, des Wirkens der Natur-Energie. Es gibt der totalen Kraft unseres Daseins und seiner Natur, seinem Charakter und seinem Wirken seine Bedeutung, die anderen Theorien des Lebens fehlt. Aufgrund dieses Prinzips ist es evident, daß des Menschen vergangenes und gegenwärtiges karma seine zukünftige Geburt, deren Ereignisse und Umstände bestimmen muß. Denn auch diese müssen die Frucht seiner Energien sein: Alles, was er in der Vergangenheit war und tat, muß der Schöpfer all dessen sein, was er jetzt ist und in seiner Gegenwart erfährt. Alles, was er jetzt in der Gegenwart ist und tut, muß der Schöpfer dessen sein, was er in der Zukunft sein und erfahren wird. Der Mensch ist der Schöpfer seiner selbst. Er ist auch der Schöpfer seines Schicksals. All das ist völlig rational und duldet, soweit es geht, keine Ausnahme. Das Gesetz des karma kann als Tatsache, als ein Teil des kosmischen Mechanismus, anerkannt werden, denn es ist – wenn man einmal die Wiedergeburt anerkennt – so einleuchtend, daß es nicht bestritten werden kann.

Es gibt jedoch bei dieser Theorie zwei Begründungen, die den Ton eines gewissen Zweifels hereinbringen. Mögen sie auch teilweise wahr sein, so übertreiben sie doch und bewirken eine falsche Perspektive, weil sie als der ganze Sinn des karma herausgestellt werden. Die erste heißt: So wie die Art der Energie ist, so muß auch die Art des Resultats sein, die gute müsse gute Ergebnisse zeitigen, die schlechte zu schlechten Resultaten führen. Die zweite lautet: Das Schlüsselwort von karma sei Gerechtigkeit, und darum müßten gute Taten auch die Frucht von Glück und gutem Schicksal tragen, böse Taten dagegen die Frucht von Schmerz, Leid, Elend und bösem Schicksal. Da es eine kosmische Gerechtigkeit geben müsse, die zuschaue und irgendwie die unmittelbaren und sichtbaren Wirkweisen der Natur im Leben kontrolliere, die aber für uns in den Tatsachen des Lebens, wie wir sie sehen, nicht sichtbar sei, müsse sie in der Totalität ihrer unsichtbaren Maßnahmen gegenwärtig und bezeugt sein. Sie müsse das subtile und kaum sichtbare, doch starke und feste verborgene Band sein, das die sonst zusammenhanglosen Einzelheiten ihres Umgangs mit ihren Geschöpfen zusammenhält. Auf die Frage, warum allein Taten, gute oder böse, ein Resultat zeitigen sollten, mag man zugeben, auch alle guten oder bösen Gedanken, Gefühle, Handlungen haben ihre entsprechenden Ergebnisse. Nun sei aber das Handeln der größere Teil des Lebens und die Erprobung und formulierte Macht der Wesenswerte des Menschen. Auch sei er nicht immer verantwortlich für seine Gedanken und Gefühle, da diese oft unwillkürlich seien. Dagegen müsse man ihn für das verantwortlich machen, was er tue, da das seiner Entscheidung unterliege. Darum gestalteten hauptsächlich seine Taten sein Schicksal. Sie seien die hauptsächlichen oder stärksten, entscheidenden Faktoren für sein Wesen und seine Zukunft. Das sei das ganze Gesetz von karma. Dazu müssen wir bemerken, daß ein Gesetz oder eine Kette von karma nur ein äußerlicher Mechanismus ist. Man darf es nicht zu einer höheren Position erheben und zum alleinigen und absolut bestimmenden Faktor für das Wirken des Lebens im Kosmos machen, es sei denn, der Kosmos sei in seinem Charakter selbst etwas völlig Mechanisches. Gewiß haben viele die Auffassung, alles sei nur Gesetz und Verfahren, und es gebe kein bewußtes Wesen, keinen bewußten Willen in oder hinter dem Kosmos. Ist das so, dann ist hier ein Gesetz und ein Verfahren, das unsere menschliche Vernunft und unsere mentalen Maßstäbe von Recht und Gerechtigkeit befriedigt und die Schönheit und Wahrheit einer vollkommenen Symmetrie und einer mathematischen Genauigkeit seines Wirkens an sich trägt. Aber nicht alles ist Gesetz und Verfahren; es gibt auch Wesen und Bewußtsein. Es gibt in den Dingen nicht nur einen Mechanismus, sondern einen Geist; nicht allein Natur und Gesetz des Kosmos, sondern einen kosmischen Geist; nicht nur einen Funktionsablauf von Mental, Leben und Körper, sondern auch eine Seele im natürlichen Geschöpf. Wäre das nicht so, es könnte keine Wiedergeburt einer Seele und kein Feld für ein Gesetz von karma geben. Ist aber die fundamentale Wahrheit unseres Wesens spirituell und nicht mechanisch, dann müssen unser Selbst, unsere Seele grundlegend die Evolution bestimmen. Das Gesetz von karma kann nur eine unter den Verfahrensweisen sein, die sie für diesen Zweck verwendet: Unser Geist, unser Selbst muß größer sein als sein karma. Es gibt ein Gesetz; es gibt aber auch eine spirituelle Freiheit: Gesetz und Verfahrensablauf sind die eine Seite unseres Seins. Sie herrschen über unser äußeres Mental, unser Leben, unseren Körper, denn diese sind dem Mechanismus der Natur zumeist unterworfen. Aber gerade hier ist ihre mechanische Macht nur über den Körper und die Materie absolut. Denn das Gesetz wird immer komplexer und weniger starr, der Prozeß wird formbarer und weniger mechanisch, wenn das Phänomen des Lebens auftritt. Noch mehr ist das der Fall, wenn das Mental mit seiner Subtilität zur Wirkung kommt. Da beginnt schon innere Freiheit einzuwirken. Je mehr wir nach innen gehen, desto mehr macht sich die Seele, ihre Macht zur Entscheidung, fühlbar: Denn prakriti ist das Feld für Gesetz und Verfahren; purusha erteilt die Sanktion, anumanta. Und selbst wenn purusha gewöhnlich vorzieht, beobachtender Zeuge zu bleiben und nur eine automatische Sanktion zuzugestehen, kann die Seele, wenn sie will, Herr über ihre Natur sein, ishvara.

Es ist nicht vorstellbar, daß der Geist in unserem Innern nur ein Automat in den Händen von karma und in diesem Leben ein Sklave seiner vergangenen Taten ist. Die Wahrheit muß weniger starr und eher formgebend sein. Wenn eine gewisse Menge von Ergebnissen des vergangenen karma im gegenwärtigen Leben formuliert wird, muß das mit der Zustimmung des psychischen Wesens geschehen, das lenkend über der neuen Gestaltung seiner Erden-Erfahrung steht. Es stimmt nicht nur einem äußeren, zwangsläufigen Prozeß zu sondern einem geheimen Willen und einer Führung. Dieser geheime Wille ist nicht mechanisch sondern spirituell. Die Führung kommt von einer Intelligenz, die mechanische Verfahrensweisen anwenden mag, diesen jedoch nicht unterworfen ist. Was die Seele durch ihre Geburt in einem Körper sucht, sind Ausdruck ihres Selbsts und Erfahrung. Von ihr wird alles gestaltet, was für den Ausdruck des Selbsts und für die Erfahrung in diesem Leben notwendig ist, ob das eintritt als automatisches Ergebnis vergangener Leben oder als freie Auswahl ihrer Resultate und deren Fortsetzung oder als eine neue Entwicklung – alles ist ein Mittel zur Erschaffung der Zukunft: Denn das Prinzip besteht nicht darin, den Mechanismus eines Gesetzes auszuarbeiten, sondern durch die kosmische Erfahrung die Natur so zu entwickeln, daß sie schließlich aus der Unwissenheit herauswachsen kann. Darum muß es die beiden Elemente geben: Karma als Instrument, aber auch das verborgene Bewußtsein und den Willen im Innern, die durch das Mental, das Leben und den Körper wirken, die das karma verwenden. Das Schicksal ist nur einer der Faktoren unseres Daseins, ob es rein mechanisch oder von uns selbst erschaffen ist, eine von uns selbst geschmiedete Kette. Das Wesen mit seinem Bewußtsein und seinem Willen sind ein noch wichtigerer Faktor. In der indischen Astrologie, die alle Lebensumstände als karma ansieht, die zumeist in der Schrift der Sterne vorausbestimmt und angezeigt sind, gibt es doch einen Vorbehalt für die Energie und Kraft des Wesens, das einen Teil, viel oder sogar alles von dem verändern und aufheben kann, was so geschrieben steht, außer den zwingendsten und mächtigsten Bindungen des karma. Das ist eine vernünftige Darstellung eines Gleichgewichts. Aber es muß zu dieser Rechnung noch die Tatsache hinzugefügt werden, daß das Schicksal nicht einfach sondern komplex ist. Das Schicksal, das unser physisches Wesen festlegt, bindet es nur so lange und insofern, als kein höheres Gesetz eingreift. Das Handeln gehört zu unserer physischen Seite; es ist das physische Ergebnis unseres Wesens. Aber hinter unserer Außenseite steht eine freiere Lebens-Macht, eine freiere Mental-Macht, die über die andere Energie verfügt, ein anderes Schicksal erschaffen und dieses einsetzen kann, um den ursprünglichen Plan abzuändern. Sobald die Seele und das Selbst hervortreten und wir bewußte spirituelle Wesen werden, kann diese Umwandlung die Schrift unseres physischen Schicksals aufheben oder völlig umgestalten. Wir brauchen also karma, zumindest ein mechanisches Gesetz von karma, nicht als einzig bestimmenden Faktor der Umstände und ganzen Mechanismus unserer Wiedergeburt und künftigen Entwicklung anzuerkennen.

Das ist aber noch nicht alles. Mit diesen Feststellungen über das Gesetz irren wir dank zu großer Vereinfachung und der willkürlichen Auswahl eines begrenzten Prinzips. Handeln ist das Ergebnis der Energie des Menschen. Aber diese Energie ist nicht von einer einzigen Art. Die Bewußtseins-Kraft des Geistes manifestiert sich in vielen Arten von Energie: Es gibt innere Aktivitäten von Mental, Aktivitäten von Leben, von Begehren, Impuls, Charakter, Aktivitäten der Sinne und des Körpers, ein Streben nach Wahrheit und Wissen, ein Streben nach Schönheit, ein Streben nach ethisch Gutem oder Bösem, ein Streben nach Macht, Liebe, Glück, Freude, Vermögen, Erfolg, Vergnügen, Lebens-Befriedigungen aller Art und Ausweitung des Lebens, ein Streben nach individuellen oder kollektiven Zielen, ein Streben nach Gesundheit, Stärke, Tüchtigkeit und nach der Befriedigung des Körpers. All das macht eine äußerst komplexe Summe der vielfältigen Erfahrung und des vielseitigen Wirkens des Geistes im Leben aus. Man darf diese Mannigfaltigkeit nicht zugunsten eines einzigen Prinzips beiseite schieben. Sie darf auch nicht in so viele Unterteile der einzigen Dualität von ethisch Gutem oder Bösem zerhämmert werden. Deshalb kann die Ethik, das Aufrechterhalten der menschlichen Maßstäbe der Moral, nicht das vordringlichste Anliegen des kosmischen Gesetzes oder das einzige Prinzip sein, das die Wirksamkeit von karma bestimmt. Wenn es wahr ist, daß die Natur der eingesetzten Energie auch die Natur des Resultats oder Ergebnisses bestimmt, müssen alle diese Unterschiede in der Natur der Energie in Betracht gezogen werden; jede muß zu der ihr angemessenen Konsequenz führen. Die Energie des Suchens nach Wahrheit und Wissen muß als ihr natürliches Ergebnis – als ihren Lohn oder als ihr Honorar, wenn man so will – ein Hineinwachsen in die Wahrheit, eine Vermehrung von Wissen eintragen. Das Resultat einer Energie, die für Lüge und Falschheit verwendet wird, muß ein Anwachsen von Lüge und Falschheit in der Natur und ein tieferes Hinabsinken in die Unwissenheit sein. Wird eine Energie dem Streben nach Schönheit gewidmet, müßte sie belohnt werden durch vermehrten Sinn für Schönheit, die Freude an der Schönheit oder, wenn sie dahin gelenkt wird, durch Schönheit und Harmonie des Lebens und der Natur. Verfolgt man das Ziel der körperlichen Gesundheit, Kraft und Tüchtigkeit, so würde das den starken Menschen oder den erfolgreichen Athleten ausbilden. Wird die Kraft dafür eingesetzt, das ethisch Gute zu verwirklichen, so muß das schließlich anerkannt, belohnt oder vergolten werden durch vermehrte Tugend, das Glück sittlichen Wachstums oder die leuchtende Freude, Gelassenheit und Reinheit einer einfachen natürlichen Güte. Dagegen wäre die Strafe für die entgegengesetzten Energien, daß man tiefer in das Böse hinabsinkt, in eine stärkere Disharmonie und Verdorbenheit der Natur und, im Fall des Übermaßes in spirituellen Ruin, mahati vinastih. Wird eine Energie für Macht oder andere vitale Zwecke eingesetzt, so muß das zu einer Vermehrung der Fähigkeit führen, diese Ergebnisse zu erzwingen, oder zur Entfaltung von vitaler Stärke und Fülle. Das ist die gewöhnliche Ordnung der Dinge in der Natur. Wenn man von ihr Gerechtigkeit verlangt, so ist das sicherlich Gerechtigkeit, daß die eingesetzte Energie und Tüchtigkeit auch von ihr in der ihr entsprechenden Art eine passende Antwort erhalten sollte. Beim Rennen verleiht sie den Preis dem Schnellen, den Sieg in der Schlacht dem Tapferen, Starken und Tüchtigen, dem fähigen Intellekt und ernsten Forscher die Belohnungen des Wissens. Dem Mann, der zwar gut, aber nachlässig, schwach, ungeschickt oder dumm ist, wird sie diese Dinge nicht nur deshalb verleihen, weil er ein rechtschaffener und respektabler Mensch ist. Wenn er diese oder andere Mächte des Lebens erstrebt, muß er die ihnen entsprechenden Eigenschaften aufweisen und die richtige Art von Energie einsetzen. Würde die Natur anders handeln, könnte man sie mit Recht der Ungerechtigkeit zeihen. Es besteht kein Grund, sie wegen dieser vollkommen richtigen und normalen Ordnung der Ungerechtigkeit anzuklagen oder von ihr zu verlangen, sie solle in einem künftigen Leben die Lage so manipulieren, daß dem guten Menschen als natürliche Belohnung für seine Tugend ein hoher Posten, ein großes Bankkonto oder ein glückliches, leichtes und behagliches Leben gewährt werde. Das kann nicht die Bedeutung der Wiedergeburt oder eine ausreichende Grundlage für ein kosmisches Gesetz von karma sein.

Tatsächlich gibt es in unserem Leben ein starkes Element dessen, was wir Glück oder Erfolg nennen, das unsere Anstrengung für einen Erfolg vereitelt oder den Preis für Mühelosigkeit oder eine mindere Energie erteilt. Die geheime Ursache dieser Launen des Schicksals – oder die Ursachen, denn die Wurzeln eines Erfolges können vielfältig sein – muß zweifellos zum Teil im Dunkel unserer Vergangenheit gesucht werden. Man kann aber doch nur schwer die vereinfachte Lösung akzeptieren, ein besonderes Glück sei der Lohn für eine vergessene tugendhafte Tat in einem vergangenen Leben, während ein besonderes Unglück eine Vergeltung für eine Sünde oder für ein Verbrechen sei. Wenn wir einen gerechten Menschen leiden sehen, können wir doch schwerlich annehmen, dieses Vorbild an Tugend sei in seinem vergangenen Leben ein Bösewicht gewesen, der jetzt, selbst nach einer vorbildlichen Bekehrung durch eine neue Geburt, für damals begangene Sünden bezahlen müsse. Ebensowenig können wir bei dem bösen Menschen, der im Glück triumphiert, annehmen, er sei in seinem letzten Leben ein Heiliger gewesen, der plötzlich eine falsche Richtung einschlug, aber doch noch den Lohn für seine frühere Tugend in barer Münze bekommt. Eine völlige Bekehrung dieser Art zwischen dem einen Leben und dem anderen ist zwar möglich, doch ist sie wahrscheinlich nicht häufig. Die neue, entgegengesetzte Persönlichkeit aber mit den Belohnungen oder Strafen der früheren zu belasten, sieht wie ein sinnloses und reichlich mechanisches Vorgehen aus. Diese und viele andere Schwierigkeiten erheben sich, und die allzu simple Logik der Entsprechung ist nicht so stark, wie sie zu sein vorgibt. Die Vorstellung von Wiedervergeltung des karma als einer Kompensation für die Ungerechtigkeit des Lebens und der Natur ist eine schwache Grundlage für die Theorie, denn sie stellt ein seichtes menschliches Empfinden und einen oberflächlichen Maßstab als den Sinn des kosmischen Gesetzes heraus und gründet sich außerdem auf ein ungesundes Urteilsvermögen. Für das Gesetz des karma muß es eine andere und stärkere Begründung geben.

Hier entsteht, wie so oft, der Irrtum dadurch, daß wir einen Maßstab, den unser menschliches Mental erschafft, den höheren, freieren und umfassenderen Methoden der kosmischen Intelligenz aufzwingen. Bei der dem Gesetz von karma zugeschriebenen Wirksamkeit werden aus den vielen von der Natur geschaffenen Werten zwei ausgewählt: Das moralisch Gute und das Böse, Sünde und Tugend, sowie das vitalphysisch Gute und Böse, äußere Lust und Leiden, äußeres Glück und Unglück. Nun nimmt man an, es müsse zwischen beiden eine Gleichung bestehen, das eine müsse die Belohnung oder Bestrafung für das andere sein, die endgültige Sanktion, die es in der geheimen Gerechtigkeit der Natur empfange. Offenbar wird dieser Ausgleich von dem Gesichtspunkt aus getroffen, der allgemein das vital-physische Begehren in unseren Wesens-Seiten bestimmt. Da der niedere Teil unseres vitalen Wesens am meisten Lust und Glück begehrt und da er besonders Unglück und Leiden haßt und fürchtet, geht er so weit, daß er, wenn er die moralische Forderung an ihn, seine Neigungen einzuschränken, sich vom Tun des Bösen fernzuhalten und sich anzustrengen, das Gute zu tun, akzeptiert, einen Handel abschließt und ein kosmisches Gesetz aufstellt, das ihn für seine anstrengende Bezwingung seines Ichs kompensiert und ihm hilft, unter der Androhung von Strafen auf diesem schweren Weg der Selbstverleugnung standhaft zu bleiben. Ein wahrhaft sittlicher Mensch braucht aber kein System von Belohnungen und Strafen, um den Weg des Guten zu gehen und den Pfad des Bösen zu meiden. Tugend birgt für ihn ihren eigenen Lohn in sich; Sünde bringt dadurch ihre eigene Strafe mit sich, daß er unter dem Abfall vom Gesetz seiner eigenen Natur leidet. Das ist der wahre sittliche Maßstab. Im Gegensatz hierzu entwürdigt ein System von Belohnungen und Strafen sofort die sittlichen Werte des Guten, verkehrt Tugend in Ichsucht, in ein kommerzielles Feilschen egoistischen Interesses, und es ersetzt das richtige Motiv für die Enthaltung vom Bösen durch ein niederes Motiv. Die menschlichen Wesen haben eine Ordnung von Lohn und Strafe als gesellschaftliche Notwendigkeit errichtet, um zu verhindern, daß der Gemeinschaft Schädliches zugefügt wird, und um das zu ermutigen, was für sie hilfreich ist. Eine solche menschliche Maßnahme aber zu einem allgemeinen Gesetz der kosmischen Natur oder zu einem Gesetz des Höchsten Wesens oder zum obersten Gesetz des Seins zu erheben, ist von zweifelhaftem Wert. Es ist menschlich, aber auch kindisch, die unzureichenden engen Maßstäbe unserer Unwissenheit den umfassenderen und genaueren Wirkweisen der kosmischen Natur oder dem Wirken der höchsten Weisheit und des erhabenen Guten aufzuzwingen, das uns durch eine spirituelle Macht zu sich selbst emporzieht und langsam in uns durch unser inneres Wesen, nicht aber durch ein Gesetz von Versuchung und Zwang, auf unsere äußere vitale Natur einwirkt. Wenn die Seele mit Hilfe vielseitiger und komplexer Erfahrung durch die Evolution hindurchgeht, muß jedes Gesetz des karma, jede Vergeltung für ein Wirken oder für einen Einsatz von Energie, wenn es sich in diese Erfahrung einfügen soll, auch komplex sein und nicht von so einfachem und kleinlichem Gewebe oder in seiner Verfügung so starr und einseitig.

Zugleich kann man freilich dieser Lehre auch Teilwahrheit zubilligen, die jedoch kein fundamentales oder allgemeines Prinzip ist. Denn wenn diese Linien des Wirkens der Energie auch voneinander verschieden und unabhängig sind, können sie doch zusammenwirken und einander beeinflussen, wenn auch nicht durch ein starr festgelegtes Gesetz der Entsprechung. Es ist möglich, daß in der Gesamt-Methode der Vergeltungen der Natur ein Verbindungs-Faden oder eher eine gegenseitige Einwirkung zwischen dem vital-physischen Gut und Böse und dem sittlichen Gut und Böse vorkommt, eine begrenzte Entsprechung und ein Treffpunkt zwischen den auseinanderstrebenden Dualitäten, was zu einem untrennbaren Zusammenhang führt. Unsere verschiedenartigen Energien, Bestrebungen, Regungen sind in ihrem Wirken miteinander vermischt und können ein vermischtes Ergebnis zustande bringen: Unsere vitale Seite verlangt greifbare und äußere Belohnungen für Tugend, Erkenntnis, jede intellektuelle, ästhetische, moralische oder physische Anstrengung. Sie glaubt fest an Strafe für Sünde, sogar für Unwissenheit. Das mag einerseits ein entsprechendes kosmisches Wirken hervorrufen, andererseits auf ein solches reagieren. Denn die Natur nimmt uns so, wie wir sind, und paßt in gewissem Maß ihre Bewegungen unserem Bedürfnis und unseren Anforderungen an sie an. Wenn wir anerkennen, daß unsichtbare Kräfte auf uns einwirken, mag es auch unsichtbare Kräfte in der Lebens-Natur geben, die zur selben Ebene von Bewußtseins-Kraft gehören wie dieser Teil unseres Wesens, Kräfte, die sich im Einklang mit dem gleichen Plan oder dem gleichen Macht-Motiv bewegen wie unsere niedere vitale Natur. Man kann oft beobachten, daß ein sich durchsetzender vitaler Egoismus, der auf seinem Weg ohne Zurückhaltung oder Skrupel alles niedertrampelt, was sich seinem Willen oder Begehren entgegenstellt, in den Menschen eine Masse von Reaktionen gegen sich hervorruft, Reaktionen von Haß, Widerstand und Unwillen, die jetzt oder später ihre Folgen haben und noch furchtbarere feindliche Reaktionen in der universalen Natur hervorrufen. Es ist, als ob die Geduld der Natur, ihre Bereitwilligkeit, sich verwenden zu lassen, erschöpft wäre. Gerade die Kräfte, die das Ich des starken vitalen Menschen ergriffen und seinen Zwecken zu dienen gezwungen hat, rebellieren nun und wenden sich gegen ihn. Die Menschen, die er niedertrampelte, stehen auf und bekommen Macht, um ihn niederzuwerfen. Die unverschämte vitale Kraft des Menschen hat gegen den Thron der Notwendigkeit, des Schicksals, ausgeholt und wird nun selbst zerschmettert. Oder der lahme Fuß der strafenden Justitia holt zuletzt den bisher erfolgreichen Gesetzesbrecher ein. Diese Reaktion auf seine Energien mag in einem anderen Leben und nicht sogleich über ihn kommen. Sie mag eine Last von Folgewirkungen sein, die er bei seiner Rückkehr in das Feld dieser Kräfte auf sich nimmt. Das mag im kleinen wie im großen Maßstab geschehen, bei dem kleinen vitalen Menschen mit seinen kleinen Irrtümern ebenso wie bei viel größeren Geschehnissen. Denn das Prinzip wird dasselbe sein. Wenn das Mental in uns den Erfolg durch einen Mißbrauch der Kraft sucht, die ihm die Natur gewährt, die aber am Ende gegen es reagiert, empfängt es den Lohn in Gestalt von Niederlage, Leiden und Mißerfolg. Es hat aber keine Gültigkeit, diese untergeordnete Linie von Ursachen und Resultaten zu dem Status eines unveränderlichen absoluten Gesetzes oder zur ganzen kosmischen Ordnung für das Wirken eines Höchsten Wesens zu erheben. Sie gehören dem mittleren Bereich an zwischen der innersten und höchsten Wahrheit der Dinge und der Unparteilichkeit der materiellen Natur.

Auf jeden Fall sollen die Reaktionen der Natur in ihrer Essenz nicht als Belohnung oder als Bestrafung gelten. Das ist nicht ihr fundamentaler Wert, es ist vielmehr ein den natürlichen Beziehungen innewohnender Wert. Er ist, insofern er die spirituelle Entwicklung beeinflußt, ein Wert von Lehren der Erfahrung im kosmischen Training der Seele. Wenn wir Feuer berühren, brennt es uns; es gibt aber in dieser Beziehung zwischen Ursache und Wirkung kein Prinzip von Strafe. Es ist eine Lehre über Beziehungen und eine Lehre der Erfahrung. So gibt es bei allen Anlässen des Umgangs der Natur mit uns eine Beziehung der Dinge und eine entsprechende Lehre der Erfahrung. Das Wirken der kosmischen Energie ist komplex. Die gleichen Kräfte mögen auf verschiedene Art wirken im Einklang mit den Umständen, mit dem Bedürfnis des Menschen und mit der Absicht der kosmischen Macht in ihrer Aktion. Unser Leben wird nicht nur von seinen eigenen Energien beeinflußt, sondern auch von den Energien anderer und von den universalen Kräften. Dieses ungeheure Zusammenspiel kann in seinen Ergebnissen nicht allein durch den einen Faktor eines alles regierenden moralischen Gesetzes und dessen ausschließliche Rücksicht auf Verdienste und Vergehen, auf Sünden und Tugenden der individuellen Wesen entschieden werden. Auch darf man nicht Glück und Unglück, Lust und Schmerz, Freude, Elend und Leiden auffassen, als existierten sie nur als Anreiz und Abschreckung für das natürliche Wesen bei seiner Entscheidung zwischen Gut und Böse. Die Seele tritt in die Wiedergeburt ein, damit der individuelle Mensch Erfahrungen macht und wächst. Freude und Kummer, Schmerz und Leiden, Glück und Unglück sind Teile dieser Erfahrung, Mittel zu diesem Wachsen. Die Seele mag sogar von sich aus Armut, Unglück und Leiden als Hilfen für ihr Wachsen, als Antriebskräfte für eine neue Entwicklung, annehmen oder auswählen. Sie mag Reichtum und ein glänzendes, erfolgreiches Dasein als gefährlich ablehnen, als eine Verführung zum Nachlassen in ihren spirituellen Bemühungen. Glücklich zu sein und Erfolg zu haben, der glücklich macht, ist zweifellos ein legitimer Wunsch der Menschheit. Das ist ein Versuch von Leben und Materie, einen blassen Widerschein der Seligkeit oder ein vergröbertes Bild von ihr zu erlangen. Mag aber ein oberflächliches Glück und ein materieller Erfolg für unsere vitale Natur noch so begehrenswert sein, sie sind doch nicht der Hauptzweck unseres Daseins. Wäre das die Absicht gewesen, Leben wäre in der kosmischen Anordnung der Dinge anders geplant worden. Das ganze Geheimnis um die Umstände bei der Wiedergeburt kreist um das eine grundlegende Bedürfnis der Seele, um ihr Bedürfnis zu wachsen, ihr Bedürfnis nach Erfahrung. Das allein bestimmt die Linie ihrer Evolution; alles übrige ist nur Beiwerk. Das kosmische Dasein ist kein großangelegtes Verwaltungssystem einer universalen Gerechtigkeit mit einem kosmischen Gesetz der Belohnung und Vergeltung als seinem Mechanismus oder mit einem göttlichen Gesetzgeber und Richter als seinem Mittelpunkt. Zunächst erkennen wir es als eine große automatische Bewegung von Energie der Natur. In ihr tritt eine sich selbst entfaltende Bewegung von Bewußtsein hervor, die darum eine Bewegung von Geist ist, der sein eigenes Wesen in dem Kräfte-Ablauf der Natur ausarbeitet. In diesem Ablauf findet der Zyklus der Wiedergeburt statt. In diesem Zyklus bereitet die Seele, das psychische Wesen, für sich selbst vor -oder die Göttliche Weisheit oder die Kosmische Bewußtseins-Kraft bereitet durch sie und durch ihr Wirken vor –, was für den nächsten Schritt in ihrer Evolution benötigt wird, die nächste Gestaltung von Personalität, die kommende Verknüpfung notwendiger Erfahrungen, die ständig aus dem ununterbrochenen Strom vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Energien für jede neue Geburt geliefert wird. Das wird für jeden neuen Schritt des Geistes rückwärts oder vorwärts oder noch in einem Kreislauf organisiert, aber immer als für einen Schritt des Wachstums im Wesen zu der ihm bestimmten Selbst-Entfaltung in der Natur.

Das führt uns zu einem anderen Element in der gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt, die für uns deshalb nicht annehmbar ist, weil sie einen offensichtlichen Irrtum des physischen Mentals darstellt, -die Vorstellung von der Seele selbst, sie sei eine begrenzte Persönlichkeit, die unverändert von einer Geburt zur anderen überlebt. Diese allzu einfache und oberflächliche Vorstellung von Seele und Personalität entsteht aus der Unfähigkeit des physischen Mentals, über seine eigene, in diesem einzelnen Dasein in Erscheinung getretene Gestalt des Selbsts hinauszuschauen. Nach dessen Auffassung müßte das, was in der Wiedergeburt zurückkehrt, nicht nur das gleiche spirituelle Wesen, die gleiche psychische Wesenheit sein, sondern dieselbe Gestaltung der Natur, die den Körper der vorhergehenden Geburt bewohnt hat. Der Körper verändere sich, die Umstände seien verschieden, aber die Gestaltung des Wesens, das Mental, der Charakter, die Veranlagung, das Temperament und die Tendenzen seien dieselben: John Smith sei in seinem neuen Leben derselbe John Smith, der er bei der letzten Verkörperung seiner Seele gewesen sei. Wäre das so, dann hätte die Wiedergeburt überhaupt keinen spirituellen Nutzen und keine Bedeutung. Denn es wäre bis ans Ende der Zeit eine Wiederholung derselben unbedeutenden Persönlichkeit, der gleichen mentalen und vitalen Gestaltung. Für das Wachsen des verkörperten Wesens bis zur vollen Gestalt seiner Wirklichkeit ist nicht nur eine neue Erfahrung, sondern auch eine neue Persönlichkeit unentbehrlich. Die gleiche Persönlichkeit zu wiederholen, wäre nur dann hilfreich, wenn in der Gestalt ihrer Erfahrung etwas unvollständig geblieben wäre, das nun im gleichen Rahmen des Selbsts, in der gleichen Struktur des Mentals und mit der gleichen Begabungsform von Energie ausgearbeitet werden müßte. Normalerweise wäre das aber recht langweilig. Die Seele, die John Smith gewesen ist, kann nichts gewinnen, noch sich selbst erfüllen dadurch, daß sie für immer John Smith bleibt. Durch die ewige Wiederholung desselben Charakters, derselben Interessen, Beschäftigungen und Typen von inneren und äußeren Bewegungen kann sie nicht wachsen und keine Vervollkommnung erlangen. Unser Leben und unsere Wiedergeburt wären immer dieselbe unendliche Dezimalzahl. Es käme zu keiner Entwicklung, sondern gäbe nur die sinnlose Kontinuität ewiger Wiederholung. Daß wir an unserer gegenwärtigen Persönlichkeit hängen, verlangt eine solche Kontinuität, eine solche Wiederholung. John Smith will ewig John Smith bleiben. Dieses Verlangen ist aber offensichtlich ignorant. Würde es erfüllt, gäbe das eine Enttäuschung, keine Erfüllung. Nur durch Umwandlung unseres äußeren Selbsts, durch einen ständigen Fortschritt der Natur, durch Wachstum im Geist können wir unser Dasein rechtfertigen.

Persönlichkeit ist nur eine zeitweilige mentale, vitale und physische Gestalt, die vom Wesen, der wirklichen Person, der psychischen Entität herausgestellt wird. Sie ist nicht das Selbst in seiner bleibenden Wirklichkeit. Bei jeder Rückkehr zur Erde bildet die Person, purusha, eine neue Gestalt. Sie stellt ein neues personales Quantum heraus, das für neue Erfahrung, für neues Wachstum seines Wesens geeignet ist. Wenn dieses seinen Körper verläßt, behält es eine Zeitlang noch dieselbe vitale und mentale Form, aber diese Formen oder Hüllen lösen sich auf. Was übrig behalten wird, sind nur die wesenhaften Elemente des vergangenen Quantums, von denen einige, aber nicht viele, in der nächsten Inkarnation verwendet werden. Die wesenhafte Form der vergangenen Persönlichkeit mag als ein Element unter vielen, als eine unter vielen Personalitäten derselben Person, übrig bleiben. Sie steht jedoch im Hintergrund, im Subliminal, hinter dem Vorhang des vordergründigen Mentals, Lebens und Körpers und leistet selbsttätig von dorther jeden notwendigen Beitrag zu der neuen Gestaltung. Diese wird aber weder selber die ganze Form sein, noch den alten Arttypus neu und unverändert aufbauen. Es kann sogar sein, daß das neue Quantum oder die neue Struktur des Wesens einen entgegengesetzten Charakter, ein ganz anderes Temperament, ganz andere Eigenschaften und Tendenzen herausstellt. Denn es können verborgen gebliebene Entwicklungsmöglichkeiten nun bereit sein, hervorzutreten. Oder etwas, das bereits, wenn auch rudimentär, wirksam war, kann im letzten Leben zurückbehalten worden sein, das ausgearbeitet werden mußte, aber für eine spätere und geeignetere Kombination der Möglichkeiten der Natur aufbewahrt worden war. Zwar ist tatsächlich die ganze Vergangenheit mit ihrem beschleunigten Drängen und ihren Entwicklungsmöglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft vorhanden. Aber nicht alles davon ist sichtbar gegenwärtig und aktiv. Je größer die Verschiedenartigkeit der Gestaltungen ist, die in der Vergangenheit existiert haben und verwendet werden können, je reicher und vielfältiger die angehäuften Strukturen der Erfahrung sind, desto besser kann in der neuen Geburt ihr wesentliches Ergebnis an Begabung mit Wissen, Macht, Handeln, Charakter und vielseitiger Reaktion auf das Universum hervorgebracht und harmonisiert werden. Je zahlreicher die verhüllten mentalen, vitalen und auch physischen Persönlichkeiten sind, die kombiniert werden, um die neue Personalität in ihrer äußeren Form zu bereichern, desto größer und vielseitiger wird diese Personalität sein. Um so näher wird sie auch an den möglichen Übergang von der vollendeten mentalen Stufe der Evolution zu dem kommen, was jenseits von ihr ist. Solch innere Fülle und solches Zusammenfassen von vielen Personalitäten in einer einzigen Person kann ein Zeichen für eine weit fortgeschrittene Stufe der Entwicklung des einzelnen Menschen sein, wenn ein starkes zentrales Wesen vorhanden ist, das alles zusammenhält und auf Harmonisierung und Einbeziehung der ganzen vielseitigen Bewegung der Natur hinwirkt. Aber wenn auch das Vergangene in so reichem Maße übernommen wird, würde das keine Wiederholung der Persönlichkeit bedeuten. Es wäre eine neue Gestaltung und umfassende Höherentwicklung. Die Wiedergeburt ist kein Mechanismus zur ständigen Erneuerung oder Verlängerung der Dauer unveränderlicher Persönlichkeit. Vielmehr ist sie ein Mittel zur Entwicklung des spirituellen Wesens in der Natur.

Zugleich wird aber auch klar, daß in diesem Wiedergeburts-Plan die falsche Bedeutung, die unser Mental der Erinnerung an vergangene Lebensabläufe beilegt, entfällt. Würde Wiedergeburt tatsächlich unter der Herrschaft eines Systems von Belohnungen und Strafen stehen und wäre es die ganze Absicht des Lebens, den verkörperten Geist zu belehren, gut und moralisch zu sein – vorausgesetzt, das wäre die Absicht im Grundprinzip des karma und nicht das, was es in jener Darstellung zu sein scheint, nämlich ein mechanisches Gesetz von Vergütung und Vergeltung ohne jeden erzieherischen Sinn oder Zweck –, dann wäre es offensichtlich große Torheit und Ungerechtigkeit, dem Mental bei seiner neuen Inkarnation jegliche Erinnerung an seine vergangenen Geburten und Handlungen zu versagen. Denn das raubt dem wiedergeborenen Menschen jede Chance, einzusehen, warum er belohnt oder bestraft wird, oder einen Vorteil aus der Lehre von der Nützlichkeit der Tugend und der Schädlichkeit der Sünde zu ziehen, für die ihm eine Belohnung zugesichert oder ein Leiden zugefügt wird. Gerade weil das Leben oft das Gegenteil zu lehren scheint – er sieht, daß der Gute für sein Gutsein leidet, während der Bösewicht trotz seiner Bosheit Glück hat neigt er desto eher zum umgekehrten Schluß. Denn er hat nicht die Erinnerung an ein gesichertes und beständiges Ergebnis der Erfahrung, die ihm zeigen würde, daß das Leiden des guten Menschen durch seine frühere Bosheit und das Glück des Sünders durch den Glanz seiner vergangenen Tugenden verursacht war, so daß auf die Dauer Tugend die beste Lebensregel für jede vernünftige und kluge Seele wäre, die in diese Ordnung der Natur eintritt. Man könnte sagen, das psychische Wesen im Innern hat die Erinnerungen. Ein solch verborgenes Gedächtnis würde aber offensichtlich nur eine geringe Wirkung auf das Dasein, geringen Wert nach außen haben. Man könnte auch sagen, das psychische Wesen komme zur Einsicht in das, was geschehen war, und lerne daraus seine Lehre, wenn es seine Erfahrungen überschaut und assimiliert, nachdem es den Körper verlassen hat. Aber diese Erinnerung im Zwischenzustand hilft doch nicht offensichtlich in der nächsten Geburt. Denn die meisten von uns verharren in Sünde und Irrtum. Wir liefern keine nennenswerten Zeichen dafür, daß wir aus den Lehren unserer Erfahrung Nutzen gezogen haben.

Ist aber ständige Entwicklung des Wesens durch eine sich entwickelnde kosmische Erfahrung die Bedeutung der Wiedergeburt und verwendet sie dazu die Methode, bei einer neuen Geburt eine neue Persönlichkeit aufzubauen, dann ist jede fortdauernde oder vollständige Erinnerung an das vergangene Leben oder an mehrere Lebensabläufe nur eine Kette und ein ernstes Hindernis: Sie würde zu einer Kraft, die das alte Temperament, den Charakter, die vordringlichen Interessen zeitlich verlängert, und zu einer schrecklichen Bürde, die die freie Entfaltung einer neuen Persönlichkeit und ihre Fähigkeit, neue Erfahrung zu sammeln, behindert. Hätten wir eine klare Erinnerung an die Einzelheiten unseres vergangenen Lebens, dann wären die vielen Erlebnisse von Haß und Groll, von Zuneigungen und Verbindungen auch eine schreckliche Erschwerung. Denn das würde den wiedergeborenen Menschen an eine nutzlose Wiederholung oder an eine erzwungene Fortsetzung seiner früheren äußeren Art binden. Das würde seiner Entfaltung neuer Möglichkeiten aus den Tiefen des Geistes erheblich im Wege stehen. Wäre tatsächlich ein mentales Erlernen der Dinge der Kern der Sache, und wäre das der Prozeß unserer Entwicklung, der Erinnerung würde große Bedeutung zukommen. In Wirklichkeit wachsen aber Seelen-Personalität und Natur durch Angleichung an die Natur unseres Wesens und dadurch, daß wir schöpferisch wirksam die wesentlichen Ergebnisse vergangener Energien in uns aufnehmen. Bei diesem Prozeß hat die bewußte Erinnerung keine besondere Bedeutung. So wie der Baum durch unterbewußte oder unbewußte Assimilation des Wirkens von Sonne, Regen, Wind und dadurch wächst, daß er die Erd-Elemente absorbiert, wächst auch das Wesen des Menschen, indem der Mensch subliminal oder innerlich-bewußt die Ergebnisse seines vergangenen Werdens angleicht und aufnimmt und die Entwicklungsmöglichkeiten eines zukünftigen Lebens aus sich hervorbringt. Das Gesetz, das uns der Erinnerung an vergangene Lebensläufe beraubt, ist ein Gesetz der kosmischen Weisheit und dient ihrer evolutionären Absicht, es vereitelt sie nicht.

Man hat fälschlich und sehr unwissend das Fehlen jeglicher Erinnerung an vergangene Lebensabläufe für einen Beweis gegen die Tatsache der Wiedergeburt gehalten. Wenn es aber selbst in diesem Leben schwierig ist, alle Erinnerungen an unsere Vergangenheit zu bewahren, wenn diese in den Hintergrund treten oder völlig verschwinden, wenn wir keine Erinnerung an unsere Kindheit zurückbehalten und trotz dieser Lücke in unserem Gedächtnis wachsen und dasein können, wenn das Mental dazu fähig ist, die Erinnerung an vergangene Ereignisse und an die eigene Identität völlig zu verlieren, und es dennoch der gleiche Mensch ist, der hier lebt, und wenn das verlorene Gedächtnis eines Tages wieder erlangt werden kann, – so ist evident, daß eine so radikale Umwandlung wie der Übergang in andere Welten, auf den dann eine neue Geburt in einem neuen Körper erfolgt, normalerweise die oberflächliche oder mentale Erinnerung völlig auslöschen muß. Dennoch würde das nicht die Identität der Seele oder das Wachsen der Natur zunichte machen. Dieses Auslöschen der oberflächlichen mentalen Erinnerung ist um so mehr gewiß und ganz unvermeidlich, wenn eine neue Persönlichkeit desselben Wesens und eine neue Instrumentation entstehen soll, die den Platz der alten einnimmt, ein neues Mental, ein neues Leben, ein neuer Körper: Von dem neuen Gehirn kann man nicht erwarten, daß es in sich die Bilder weiterträgt, die in dem alten enthalten waren. Vom neuen Leben oder Mental kann man nicht verlangen, sie sollen die ausgelöschten Eindrücke des alten Mentals und Lebens aufbewahren, die aufgelöst wurden und nicht mehr existieren. Zweifellos besteht das subliminale Wesen weiter, das sich erinnern kann, da es nicht unter den Unzulänglichkeiten der vordergründigen Person leidet. Das äußere Mental ist aber vom subliminalen Gedächtnis abgeschnitten, das allein eine gewisse klare Erinnerung oder einen deutlichen Eindruck vergangener Leben bewahren könnte. Diese Absonderung ist notwendig, da die neue Persönlichkeit nach außen ohne bewußte Bezugnahme auf das aufgebaut werden muß, was im Innern ist. Wie alles übrige am äußeren Menschen, so wird gewiß auch die vordergründige Persönlichkeit durch ein Wirken von innen geformt. Dieses Wirken wird ihr aber nicht bewußt. Sie meint, sie selbst habe diese gebildet, oder sie sei ein Fertig-Fabrikat oder durch eine schwer verständliche Aktion der universalen Natur erschaffen. Und doch bleiben manchmal bruchstückartige Erinnerungen an vergangene Geburten trotz dieser fast unüberwindlichen Hindernisse übrig. Es gibt sogar in einigen sehr seltenen Fällen im Kind-Mental eine erstaunlich genaue und vollständige Erinnerung. Schließlich tritt auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Menschen, sobald sein inneres Wesen das Übergewicht über das äußere gewinnt und in den Vordergrund tritt, eine Erinnerung an vergangenes Leben manchmal wie aus einer versunkenen Schicht hervor. Das geschieht aber eher in der Gestalt einer Wahrnehmung der Substanz und Macht vergangener Personalitäten, die stark in der Zusammensetzung des gegenwärtigen Menschen wirksam sind, nicht in einer präzisen oder genauen Einzelheit von Ereignis und Umständen. Doch kann auch diese teilweise zurückkehren oder durch Konzentration aus der subliminalen Schau, aus einem verborgenen Gedächtnis oder unserer inneren Bewußtheits-Substanz hervorgeholt werden. Die Erinnerung an Einzelheiten ist aber für die Natur in ihrem normalen Wirken von geringerer Bedeutung; sie trifft dafür auch nur eine geringe oder gar keine Vorsorge. Ihr Hauptinteresse ist auf die Gestaltung der künftigen Entwicklung des menschlichen Wesens gerichtet. Die Vergangenheit wird zurückgestellt, hinter dem Vorhang behalten und nur als der geheime Ursprung von Materialien für die Gegenwart und für die Zukunft verwendet.

Wenn wir diese Auffassung von Person und Persönlichkeit anerkennen, müssen wir auch unsere geltenden Vorstellungen über die Unsterblichkeit der Seele ändern. Denn normalerweise meinen wir, wenn wir ein Sein der Seele, das nicht sterben kann, behaupten, es überlebe den Tod eine endgültige unveränderliche Persönlichkeit, die war und immer, in alle Ewigkeit, dieselbe bleiben wird. Für dieses sehr unvollkommene vordergründige “Ich” des Augenblicks, das von der Natur offensichtlich nur als eine zeitweilige Gestalt geschaffen und nicht der dauernden Erhaltung für wert erachtet wird, verlangen wir jenes ungeheure Recht auf Überleben und Unsterblichkeit. Das aber ist eine maßlose unerfüllbare Forderung. Das “Ich” des Augenblicks kann nur dann sein Überleben verdienen, wenn es seiner Umwandlung zustimmt; wenn es nicht länger es selbst sein will, sondern etwas anderes, Größeres, Besseres, im Wissen Erleuchteteres, stärker geprägt zum Ebenbild der ewigen inneren Schönheit und immer weiter fortschreitend zur Göttlichkeit des verborgenen Geistes. Dieser verborgene Geist, die Göttlichkeit des Selbsts in uns, ist unzerstörbar, da ungeboren und ewig. Die psychische Wesenheit in unserem Innern, Stellvertreter des Selbsts, das spirituelle Individuum in uns, ist die Person, die wir wirklich sind. Das “Ich” dieses Augenblicks aber, das “Ich” des Lebens, ist nur eine Gestalt, eine zeitweilige Personalität dieser inneren Person: Sie ist Stufe unter den zahlreichen Stufen unserer evolutionären Umwandlung. Sie dient ihrem wahren Zweck nur, wenn wir über sie hinaus zu einer weiteren Stufe emporsteigen, die uns zu einem höheren Grad von Bewußtsein und Wesen führt. Diese innere Person überlebt den Tod, wie sie auch schon vor der Geburt existiert. Denn dieses ständige Überleben überträgt die Ewigkeit unseres zeitlosen Geistes in die Begriffe der Zeit.

Unser normales Verlangen nach Überleben fordert ein ähnliches Überleben für unser Mental, für unser Leben, sogar für unseren Körper. Das Dogma von der Auferstehung des Leibes ist ein Beweis für letzteres Verlangen, – ebenso wie es auch die Wurzel eines uralten Bemühens des Menschen war, das Elixier der Unsterblichkeit oder irgendwelche magischen, alchimistischen oder wissenschaftlichen Mittel zu entdecken, um physisch den Tod des Körpers zu überwinden. Dieses Streben könnte aber nur dann Erfolg haben, wenn es dem Mental, dem Leben oder dem Körper gelingen würde, etwas von der Unsterblichkeit und Göttlichkeit des innewohnenden Geistes anzuziehen. Es gibt gewisse Umstände, unter denen die äußere mentale Persönlichkeit, die den inneren mentalen purusha repräsentiert, überleben könnte. Zum Beispiel wenn unser mentales Wesen an seiner Außenseite so machtvoll individualisiert, so sehr mit dem inneren Mental und dem inneren mentalen purusha geeint wäre und sich zugleich so sehr für das progressive Wirken des Unendlichen öffnen würde, daß die Seele die alte Form des Mentals nicht mehr auflösen und für ihren Fortschritt eine neue erschaffen müßte. Eine ähnliche Individualisierung, Einbeziehung und Offenheit des vitalen Wesens an seiner Außenseite allein würde ein ähnliches Überleben des Lebens-Teils in uns, der äußeren vitalen Persönlichkeit ermöglichen, die das innere Lebens-Wesen, den vitalen purusha, repräsentiert. Was wirklich dadurch geschehen würde? Die Mauer zwischen dem inneren Selbst und dem äußeren Menschen würde niedergerissen. Dann könnte von innen her das ständige mentale und vitale Wesen, die mentalen und vitalen Repräsentanten der unsterblichen psychischen Wesenheit, das Leben beherrschen. Unsere Mental-Natur und unsere Lebens-Natur könnten ständig und fortschreitend unsere Seele zum Ausdruck bringen. Sie wären dann nicht mehr nur Verbindungsglied für die aufeinanderfolgenden Gestalten der Seele, die nur in ihrem Wesen erhalten bliebe. Dann könnten unsere Mental- und Vital-Personalitäten ohne Auflösung von Geburt zu Geburt bestehen bleiben. In diesem Sinne wären sie unsterblich, ständig überlebend, kontinuierlich im Gefühl ihrer Identität. Das wäre offensichtlich ein ungeheurer Sieg von Seele, Mental und Leben über die Unbewußtheit und die Begrenzungen der materiellen Natur.

Ein solches Überleben könnte aber nur im subtilen Körper fortdauern. Das menschliche Wesen müßte noch weiter seine physische Gestalt ablegen, hinübergehen in andere Welten und bei seiner Rückkehr einen neuen Körper anlegen. Der erwachte mentale purusha und der vitale purusha, die die mentale Hülle und die Lebens-Hülle des subtilen Körpers, die gewöhnlich abgelegt werden, bewahren, würden mit ihnen in eine neue Geburt zurückkehren. Sie würden das lebhafte und andauernde Empfinden eines beständigen Wesens von Mental und Leben bewahren, das in der Vergangenheit aufgebaut wurde und in Gegenwart und Zukunft fortdauert. Aber die Grundlage des physischen Daseins, der materielle Körper, könnte auch bei dieser Wandlung nicht bewahrt bleiben. Das physische Wesen kann nur fortbestehen, wenn durch irgendwelche Mittel die physischen Ursachen von Verwesung und Verfall überwunden werden könnten2 und es zugleich in seiner Struktur und seinen Funktionsweisen so formbar und fortschrittlich gemacht werden könnte, daß es auf jede Umwandlung reagiert, die von ihm verlangt wird, damit die innere Person sich weiterentwickeln kann. Der Körper muß Schritt halten können mit der Seele, wenn sie eine das Selbst ausdrückende Persönlichkeit gestaltet, sowohl bei ihrem langen Bemühen, eine verborgene spirituelle Divinität zu entfalten, wie auch bei der langsamen Umwandlung des Mentals in das göttliche Mental oder das spirituelle Sein. Diese höchste Vollendung einer dreifachen Unsterblichkeit – der Natur, die die wesenhafte Unsterblichkeit des Geistes und das psychische Überleben des Todes zur Vollendung bringt – würde die Krönung der Wiedergeburt sein. Sie wäre ein Zeichen von höchster Bedeutung dafür, daß die materielle Unbewußtheit und die Unwissenheit gerade in ihrem wirklichen Fundament, in der Herrschaft der Materie überwunden sind. Die wahre Unsterblichkeit wäre aber immer noch die Ewigkeit des Geistes. Das physische Überleben könnte nur relativ sein, willkürlich begrenzbar, ein vorübergehendes Zeichen hier auf Erden für den Sieg des Geistes über Tod und Materie.

 

1 Handeln, karma. Nach der in diesem Vers der Upanishad ausgedrückten Anschauung wird das karma oder das Wirken dieses Lebens durch das Leben in der jenseitigen Welt, in der seine Ergebnisse zur Erfüllung kommen, erschöpft, die Seele kehrt für ein neues karma zur Erde zurück. Die Ursache für die Geburt in dieser Welt, für karma, für das Weitergehen der Seele zu einem Dasein in einer anderen Welt und für ihre Rückkehr hierher, ist ganz und gar das eigene Bewußtsein der Seele, ihr Wille und ihr Begehren.

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2 Selbst wenn die Wissenschaft – Naturwissenschaft oder okkulte Wissenschaft -die notwendigen Voraussetzungen oder Mittel für ein unbegrenztes Überleben des Körpers entdeckte, würde die Seele einen Weg finden, den Körper aufzugeben und zu einer neuen Inkarnation weiterzugehen, wenn der Körper sich nicht so anpassen könnte, daß er zum tauglichen Instrument würde, um das innere Wachsen der Seele auszudrücken. Die materiellen oder physischen Ursachen des Todes sind nicht dessen einzige oder wahre Ursache. Sein wahrer innerster Grund ist die spirituelle Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Wesens.

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