Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1I
Kapitel XXIII. Mensch und Evolution
Die eine Gottheit, in
allen Wesen verborgen, alldurchdringend, das innere Selbst aller, über allem
Wirken waltend, der Zeuge, der bewußte Wissende und Absolute... der Eine, die
Vielen überwachend, die der Natur gegenüber passiv sind, gestaltet den einen
Samen in vielerlei Weisen.
Svetasvatara Upanishad, VI. 11,12.
Die Gottheit bewegt sich in diesem Feld und gestaltet jedes Gewebe der Dinge gesondert auf viele Weisen... Der Eine, er waltet über allen Schößen und Arten, er selbst ist der Schoß aller. Er ist das, was die Art des Wesens zur Reife bringt. Er gibt allen, die reifen sollen, die Frucht ihrer Entwicklung und verleiht ihrem Wirken alle Eigenschaften.
Svetasvatara Upanishad, V. 3-5.
Er gestaltet die eine Form der Dinge aus auf vielerlei Weise.
Katha Upanishad, V. 12.
Wer hat diese verborgene Wahrheit erkannt: Das Kind gibt den Müttern ihr Wesen durch die Wirkweisen seiner Natur? Ein Sprößling aus dem Schoß von vielen Wassern, tritt es aus diesen hervor, ein Seher, Besitzer des ganzen Gesetzes seiner Natur. Geoffenbart, wächst es im Schoß ihrer Verworfenheiten und wird groß, schön und herrlich.
Rig Veda, I. 95.4, 5.
Aus dem Nicht-Seienden zum wahren Seienden, aus der Finsternis zum Licht, aus dem Tod zur Unsterblichkeit.
Brihadaranyaka Upanishad, I.3.28.
Eine spirituelle Entwicklung, eine Entwicklung von
Bewußtsein in der Materie in ständiger, sich entfaltender Selbst-Gestaltung, bis
die Form den innewohnenden Geist offenbaren kann, ist also der Grundton, das
zentrale bedeutungsvolle Motiv irdischen Daseins. Diese Bedeutung wird am Anfang
durch die Involution des Geistes, der Göttlichen Wirklichkeit, in eine dichte
materielle Unbewußtheit verborgen. Eine Hülle von Unbewußtheit, von
Empfindungslosigkeit der Materie verbirgt die universale
Bewußtseins-Kraft, die im Innern wirkt, so daß die Energie, die erste Form, die
die Kraft der Schöpfung im physischen Universum annimmt, selbst unbewußt zu sein
scheint und dennoch die Werke einer umfassenden verborgenen Intelligenz tut. Die
dunkle geheimnisvolle Schöpferin entbindet schließlich das verborgene Bewußtsein
aus seinem dichten, finsteren Gefängnis. Sie bringt es aber nur langsam hervor,
nur wenig auf einmal, in unendlich kleinen Tropfen, in dünnen Strahlen, in
kleinen vibrierenden Gebilden von Energie und Stoff, von Leben, von Mental, als
sei das alles, was sie durch den enormen Widerstand und das dumpfe
widerspenstige Medium eines unbewußten Stoffes des Daseins hindurchzwingen
könnte. Sie nimmt ihre Wohnung zuerst in scheinbar völlig unbewußten
Gestaltungen von Materie. Dann ringt sie sich durch zu einer Mentalität
innerhalb der Dunkelheit von lebender Materie. Sie erlangt diese schließlich
unvollkommen im bewußten Tier. Dieses Bewußtsein ist zuerst rudimentär, zumeist
ein Halb-Bewußtsein oder nur ein bewußter Instinkt. Es entwickelt sich langsam
weiter, bis es in besser durchorganisierten Formen von lebender Materie seine
nächste Stufe von Intelligenz erreicht und im Menschen, dem denkenden Tierwesen,
über sich hinauskommt und sich in den vernunftbegabten mentalen Menschen
entfaltet. Dieser trägt aber, selbst auf seiner höchsten Stufe, noch die Prägung
ursprünglicher Tierheit an sich, den Ballast des Unterbewußten des Körpers, die
zur ursprünglichen Trägheit und Nichtbewußtheit niederziehende Schwerkraft, die
Herrschaft einer unbewußten materiellen Natur über seine bewußte Entwicklung,
deren Macht zur Begrenzung, ihr Gesetz einer schwierigen Entwicklung und ihre
ungeheure Kraft, jeden Fortschritt zu verzögern und zu vereiteln. Diese
Herrschaft der ursprünglichen Unbewußtheit über das aus ihr hervortretende
Bewußtsein nimmt die allgemeine Form einer Mentalität an, die um Wissen ringt,
aber selbst Unwissenheit ist in dem, was ihre fundamentale Art zu sein scheint.
Trotz dieser Gehemmtheit und Belastung muß der mentale Mensch aus sich heraus
das voll bewußte Wesen entwickeln, ein göttliches Menschsein oder ein
spirituelles oder supramentales Übermenschentum, das das nächste Erzeugnis der
Evolution sein soll. Dieser Übergang wird das Voranschreiten aus der Evolution
in der Unwissenheit zur größeren Entwicklung im Wissen kennzeichnen. Er gründet
und schreitet fort im Licht des Überbewußten und nicht mehr in der Finsternis
der Unwissenheit und Unbewußtheit.
Dieser irdische
Entwicklungsprozeß der Natur von der Materie zum Mental und über dieses hinaus
nimmt einen doppelten Verlauf: Es gibt einen äußerlich sichtbaren Prozeß der
physischen Evolution mit der Geburt als Mechanismus, – denn durch die Vererbung
wird jede entwickelte Körperform, die ihre eigene entfaltete Bewußtseins-Macht
in sich birgt, ständig im Dasein erhalten. Zugleich gibt es aber auch einen
unsichtbaren Prozeß von Seelen-Entwicklung mit dem Mechanismus der Wiedergeburt
in aufsteigenden Stufen von Gestalt und Bewußtsein. Der erste Vorgang würde an
sich nur eine kosmische Evolution bedeuten. Denn der Einzelne wäre nur ein rasch
zugrunde gehendes Werkzeug; die Rasse als dauerhafte kollektive Formulierung
wäre der wirkliche Schritt in der fortschreitenden Manifestation des kosmischen
Einwohners, des universalen Geistes: Wiedergeburt ist eine unentbehrliche
Voraussetzung für jegliche Dauer und Entwicklung des individuellen Wesens im
Erden-Dasein. Jede Stufe der kosmischen Manifestation, jeder Gestalt-Typus, der
den innewohnenden Geist beherbergen kann, wird durch die Wiedergeburt für die
individuelle Seele, das psychische Wesen, zu einem Mittel, immer mehr von dem in
ihm verborgenen Bewußtsein zu offenbaren. Jedes einzelne Leben wird zu einer
Stufe für den Sieg über die Materie durch ein mächtigeres fortschreitendes
Sich-Entfalten von Bewußtsein in ihm, wodurch schließlich die Materie selbst zu
einem Mittel für die völlige Offenbarung des Geistes wird.
Diese Darstellung von Verlauf und Bedeutung der
irdischen Schöpfung ist aber allseits einem Widerspruch im Mental des Menschen
selbst ausgesetzt. Denn die Evolution hat erst die Hälfte ihres Weges
zurückgelegt. Sie verläuft noch in der Unwissenheit und sucht im Mental eines
erst halb-entwickelten Menschseins nach ihrem eigenen Zweck und Sinn. Man kann
die Theorie der Evolution mit der Begründung infrage stellen, sie sei ungenügend
unterbaut und als Erklärung des Verlaufs des irdischen Daseins überflüssig.
Selbst wenn man die Evolution zugebe, könne man bezweifeln, ob der Mensch die
Fähigkeit habe, sich in ein höheres evolutionäres Wesen zu entwickeln. Ebenso
sei zweifelhaft, ob die Entwicklung noch über das hinausgehe, was sie bisher
erreicht hat, ob eine supramentale Entwicklung, das Erscheinen höchsten
Wahrheits-Bewußtseins, eines Wesens von Wissen in der zugrunde liegenden
Unwissenheit der irdischen Natur, überhaupt wahrscheinlich ist. Man könne das
Wirken des Geistes in der Offenbarung hier auf Erden auch durch eine andere,
weder teleologische noch evolutionäre, Theorie
erklären. Bevor wir weitergehen, mag es darum zweckmäßig sein, in Kürze jene
Denklinie genau darzustellen, die eine solche Konstruktion möglich macht.
Man gibt zu, die Schöpfung sei eine Manifestation des Zeitlos-Ewigen in der Zeit-Ewigkeit; es gebe die sieben Stufen des Bewußtseins; die materielle Unbewußtheit sei dem Wiederaufstieg des Geistes zugrunde gelegt; die Wiedergeburt sei eine Tatsache, ein Teil der irdischen Ordnung. Dennoch sei die spirituelle Evolution des individuellen Wesens nicht unausweichlich Folge aus einem oder allen diesen Zugeständnissen. Eine andere Betrachtung der spirituellen Bedeutung und des inneren Prozesses des irdischen Daseins sei möglich. Wenn jedes Geschöpf eine Gestalt des manifestierten Göttlichen Geistes sei, sei jedes durch die spirituelle Gegenwart in seinem Innern an sich göttlich, gleich, welches seine Erscheinung, seine Gestalt oder sein Charakter in der Natur ist. An jeder Form der Manifestation finde das Göttliche Wesen seine Seins-Seligkeit; es bestehe in ihr keine Notwendigkeit zur Wandlung oder zur Weiterentwicklung. Für alles, was die Natur des Göttlichen Wesens an geordneter Entfaltung oder Hierarchie verwirklichter Möglichkeiten brauche, sei ausreichend durch die unermeßliche Mannigfaltigkeit, die wimmelnde Menge der Formen, Bewußtseins-Typen und Naturen gesorgt, die wir überall um uns sehen. Es gebe keine zielstrebende Absicht in der Schöpfung und könne sie auch nicht geben, da in dem Unendlichen alles vorhanden ist: Für das Göttliche Wesen existiere nichts, was es gewinnen müsse, nichts, das es nicht habe. Gibt es eine Schöpfung und Offenbarung, so allein um der Wonne an der Schöpfung, an der Manifestation willen, sonst zu keinem anderen Zweck. Es gebe also keinen Grund für eine evolutionäre Bewegung, um einen höchsten Gipfel zu erreichen, ein Ziel auszuarbeiten und zu bewirken, oder einen Drang nach einer letzten Vollkommenheit.
Tatsächlich sehen wir wohl, daß die Prinzipien der
Schöpfung dieselben bleiben und sich nicht verändern. Jede Art des Seienden
bleibt sie selbst, versucht nicht – und muß das nicht –, etwas anderes zu
werden, als sie selbst ist. Zugegeben, einige Arten des Daseins verschwinden,
andere entstehen neu. Das geschehe aber, weil die Bewußtseins-Kraft im Universum
denen, die zugrunde gehen, ihre Lebensfreude entzieht und sich zu ihrem
Vergnügen der Erschaffung anderer zuwendet. Jeder Typus des Lebens besitze aber,
solange er besteht, seine eigene Struktur und bleibe trotz geringer Abwandlungen
diesem Muster treu. Er sei an sein eigenes
Bewußtsein gebunden, könne ihm nicht in ein anderes Bewußtsein entkommen. Er sei
durch seine eigene Natur begrenzt, könne diese Schranken nicht überschreiten und
in eine andersartige Natur übergehen. Wenn die Bewußtseins-Kraft des Unendlichen
das Leben offenbarte, nachdem sie die Materie manifestiert hatte, und das Mental
nach dem Leben, so folge daraus nicht, daß sie als nächsten Schritt irdischer
Schöpfung weitergehe, um das Supramental zu manifestieren. Denn Mental und
Supramental gehörten zu ganz verschiedenen Hemisphären, Mental zum niederen
Zustand der Unwissenheit, Supramental zum höheren Zustand des göttlichen
Wissens. Diese Welt sei eine Welt der Unwissenheit und nur als solche
beabsichtigt. Es müsse keine Absicht bestehen, die Mächte der höheren Hemisphäre
in die niedere Daseins-Hälfte herabzubringen oder ihre verborgene Gegenwart hier
zu offenbaren. Denn wenn diese überhaupt hier vorhanden seien, dann nur in
verborgener Immanenz ohne Kommunikation, nur zu dem Zweck, die Schöpfung
aufrecht zu erhalten, nicht aber sie zu vervollkommnen. Der Mensch sei der
Gipfel der unwissenden Schöpfung. Er habe das Äußerste an Bewußtsein und Wissen
erreicht, dessen er fähig sei. Wenn er darüber hinauszugehen versuche, werde er
sich nur in umfassenderen Kreisen seiner eigenen Mentalität bewegen. Denn das
sei die Kurve seines Daseins hier, eine endliche Kreisbewegung, die das Mental
in ihren Umdrehungen fortträgt, um es wieder zu seinem Ausgangspunkt
zurückzubringen. Das Mental könne nicht aus seinem eigenen Zyklus ausbrechen, –
jede Vorstellung von einer geraden Bewegungslinie oder einem Fortschritt, der
vertikal oder horizontal ins Unendliche strebt, sei eine Selbst-Täuschung. Wolle
die Seele über das Menschsein hinausgehen, um einen supramentalen oder einen
noch höheren Zustand zu erlangen, müsse sie aus diesem kosmischen Dasein
entweder in eine Welt oder Sphäre der Seligkeit und des Wissens oder in das
ungeoffenbarte Ewige und Unendliche ausscheiden.
Es ist wahr, daß die Wissenschaft jetzt ein
evolutionäres irdisches Dasein behauptet. Wenn auch die Tatsachen, mit denen sie
umgeht, verläßlich sind, so sind doch die Verallgemeinerungen, die sie wagt,
kurzlebig. Einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte hält sie an diesen fest. Dann
geht sie zu einer anderen Verallgemeinerung, zu einer anderen Theorie von den
Dingen über. Das geschieht sogar in der Physik, wo die Tatsachen zuverlässig
gesichert und durch das Experiment nachprüfbar sind: In
der Psychologie – die hier besonders wichtig ist, denn es handelt sich um
Evolution des Bewußtseins – ist die Instabilität noch größer. Man geht von der
einen Theorie zur anderen über, bevor die erste schon gut begründet ist. Es
behaupten sich sogar mehrere einander widersprechende Theorien gleichzeitig. Auf
diesem Flugsand kann kein gesichertes metaphysisches Gebäude errichtet werden.
Die Vererbung, auf der die Naturwissenschaft ihre Auffassung von der Evolution
des Lebens errichtet, ist gewiß eine Macht, ein Mechanismus, um die Art oder die
Gattung in unveränderlichem Wesen zu erhalten: Der Hinweis, Vererbung sei auch
ein Instrument beständig fortschreitender Variation, ist fragwürdig. Ihre
Tendenz ist eher konservativ als evolutionär. Es scheint, sie könne nur unter
Schwierigkeiten einen neuen Charakter annehmen, den die Lebens-Kraft ihr
aufzuzwingen versucht. Alle Tatsachen zeigen, daß ein Typus innerhalb seiner
spezifischen Natur-Gestalt variieren kann. Es ist noch nicht wirklich bewiesen,
daß sich die Affenart in den Menschen entwickelte. Hier sehe es so aus, als ob
ein dem Affen ähnlicher Typus, der aber immer für sich selbst, nicht für die
Affenart charakteristisch war, sich innerhalb der Tendenzen seiner eigenen Natur
entwickelt habe und zu dem geworden sei, was wir als Mensch kennen, zum
gegenwärtigen menschlichen Wesen. Es ist nicht einmal bewiesen, daß niedere
Menschenrassen aus sich die höheren Rassen entwickelt haben. Solche von niederer
Organisation und Fähigkeit gingen zugrunde. Man hat aber noch keine Anzeichen
dafür, daß sie die heutigen menschlichen Rassen als ihre Nachkommen
hinterließen. Dennoch wäre eine solche Entwicklung innerhalb des Typus
vorstellbar. Der Fortschritt der Natur von der Materie zum Leben und vom Leben
zum Mental mag zugegeben werden. Es gibt aber noch keinen Beweis dafür, daß sich
Materie in Leben oder Lebens-Energie in Mental-Energie entwickelte. Allein das
könne man zugeben, daß sich Leben in der Materie und Mental in lebender Materie
manifestiert hat. Denn es gibt keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sich eine
Pflanzengattung in ein Tierdasein oder eine Organisation unbelebter Materie in
einen lebenden Organismus entwickelt habe. Selbst wenn man später einmal
entdecken sollte, daß unter gewissen chemischen oder anderen Voraussetzungen
Leben auftritt, wird durch dieses Zusammentreffen nur bewiesen, daß sich unter
gewissen physischen Umständen Leben offenbart. Dagegen ist nicht bewiesen, daß
gewisse chemische Bedingungen die das Leben aufbauenden
Faktoren, seine Elemente, oder die evolutionäre Ursache für eine
Transformation von unbelebter in belebte Materie sind. Hier existiere, wie
überall, jede Stufe des Seienden in sich selbst und durch sich selbst. Sie werde
im Einklang mit ihrem Charakter durch die eigene spezifische Energie
manifestiert. Die Stufenfolgen über ihr und unter ihr seien weder ihre Ursprünge
noch resultierende Folgeerscheinungen, vielmehr Grade der ununterbrochenen Skala
der Erden-Natur.
Fragt man, wie all diese verschiedenen Stufen und Typen
des Seienden ins Dasein getreten sind, so kann man antworten, sie seien von der
Bewußtseins-Kraft in der Materie als ihrer Grundlage durch die Macht der
Real-Idee manifestiert worden, die ihre eigenen bedeutungsvollen Formen und
Typen für das kosmische Dasein des innewohnenden Geistes gestaltete: In
verschiedenen Graden oder Stufen mag die praktische oder physische Methode
beträchtliche Unterschiede aufweisen, obwohl eine grundlegende Ähnlichkeit
erkennbar sein kann. Die schöpferische Macht mag nicht nur ein sondern viele
Verfahren anwenden, viele Kräfte im Zusammenwirken einsetzen. In der Materie
besteht der Prozeß in der Erschaffung unendlich kleiner Teilchen, die mit
ungeheurer Energie geladen sind. Sie schließen sich nach Plan und Zahl zusammen.
Auf dieser ursprünglichen Basis manifestieren sich umfassendere Kleinstkörper.
Diese gruppieren sich und schließen sich zusammen, um wahrnehmbare Objekte,
Erde, Wasser, Mineralien, Metalle, das ganze Reich der Materie zu bilden. Auch
beim Leben fängt die Bewußtseins-Kraft mit unendlich winzigen Formen
pflanzlichen Lebens und kleinster Tierwesen an. Sie erschafft ein ursprüngliches
Plasma und vervielfältigt dieses. Sie bildet die lebendige Zelle als eine
Einheit und andere Arten eines winzigen biologischen Organismus wie Samen oder
Gene. Sie verwendet immer dieselbe Methode, zu gruppieren und
zusammenzuschließen, um so durch verschiedenartige Verfahren verschiedene
lebende Organismen hervorzubringen. Eine ständige Erschaffung von Arten wird
sichtbar; das ist aber noch kein zweifelsfreier Beweis für Evolution. Die Arten
sind manchmal sehr verschieden. Manchmal sind sie einander nahe und ähnlich,
manchmal in der Grundstruktur identisch, aber in Einzelheiten unterschieden.
Alle haben ihr eigenes Muster. Solch ein Unterschied in den Modellen bei
identischer ursprünglicher einfacher Grundlage ist das Zeichen dafür, daß eine
bewußte Kraft mit ihrer eigenen Idee spielt und dadurch alle Möglichkeiten der
Schöpfung entfaltet. Eine ins Dasein gerufene Tierart mag
mit einer gleichartigen rudimentären embryonischen oder fundamentalen
Grundstruktur, die für alle gilt, anfangen. Bis zu einer gewissen Stufe mag sie
Ähnlichkeiten der Entwicklung auf einer oder all ihren Entfaltungslinien
befolgen. Es mag auch Arten geben, die eine zweifache, etwa die amphibische,
Natur haben, Zwischenglieder zwischen dem einen und einem anderen Typus: Das
brauche aber nicht zu bedeuten, daß sich die Arten auseinander, in einer
evolutionären Reihe entwickelt haben. Andere Kräfte als jene hereditärer
Veränderung mögen am Werk gewesen sein und das Hervortreten neuer
charakteristischer Eigenschaften bewirken. Es gibt physische Kräfte wie Nahrung,
Lichtstrahlen und andere, die wir erst allmählich kennenlernen. Gewiß gibt es
noch weitere, von denen wir noch nichts wissen. Es sind unsichtbare
Lebens-Kräfte und dunkle psychische Kräfte am Werk. Diese subtileren Mächte
müssen sogar von der physischen Entwicklungstheorie anerkannt werden, um die
natürliche Zuchtwahl zu erklären. Wenn die geheime oder unterbewußte Energie in
manchen Arten auf das Bedürfnis der Umgebung reagiert, in anderen keine Reaktion
hervorbringt und diese nicht überleben läßt, ist das ein deutliches Zeichen für
eine variierende Lebens-Energie und -Psychologie, für ein Bewußtsein und eine
Kraft, die anders ist als das physische Wirken, das die Variation in der Natur
hervorruft. Das Problem der Verfahrensmethode hat noch zu viele dunkle und
unbekannte Faktoren, als daß irgendeines der jetzt möglichen Theorie-Gebäude
endgültig sein könnte.
In der Manifestation innerhalb der Materie sei der
Mensch ein Typus unter vielen ebenso konstruierten Arten, Modell in einer Menge
von Modellen. Er sei die am meisten komplexe unter den erschaffenen Arten,
besitze den reichsten Bewußtseinsinhalt, die teilnahmsvollste Genialität seiner
Struktur. Er sei das Haupt der irdischen Schöpfung, aber er rage nicht über sie
hinaus. Genauso wie die anderen habe auch er sein eigenes, ihm eingeborenes
Gesetz, seine Begrenzungen, seine besondere Daseins-Weise, svabhava,
svadharma. Innerhalb dieser Grenzen könne er sich ausweiten und entwickeln;
er könne sie aber nicht überschreiten. Gebe es eine Vollkommenheit, die er zu
erlangen habe, so müsse dies eine Vollkommenheit innerhalb seiner Art, seines
eigenen Daseins-Gesetzes sein: dessen volles Kräfte-Spiel, freilich unter
Beachtung von dessen Art und Maß, nicht im Transzendieren. Das eigene Maß zu
überschreiten, in den Übermenschen emporzuwachsen, sich
die Natur und Fähigkeiten eines Gottes anzueignen, wäre ein Widerspruch gegen
sein Selbst-Gesetz, praktisch nicht durchführbar. Jede Gestaltung und Wesensart
habe ihre eigene besondere Weise von Seins-Seligkeit. Mit Recht sei es Ziel des
Menschen, des mentalen Wesens, durch das Mental so viel Herrschaft über seine
Umgebung, so guten Gebrauch und Genuß von ihr zu suchen, wie er nur könne.
Darüber hinauszuschauen, einem höheren Zweck und Ziel des Daseins nachzujagen,
danach zu streben, über die mentale Größe hinauszukommen, bedeutet jedoch die
Anerkennung eines teleologischen Elements im Dasein, das in der kosmischen
Struktur nicht erkennbar sei. Wenn in der irdischen Schöpfung ein supramentales
Wesen erscheinen solle, müsse das eine neue, unabhängige Manifestation sein.
Genauso wie sich Leben und Mental in der Materie offenbart haben, müsse sich
dort auch das Supramental offenbaren. Die verborgene Bewußte Energie müsse die
notwendigen Modelle für diesen neuen Grad ihrer Machtmöglichkeiten erschaffen.
Es gebe aber in den Verfahrensweisen der Natur kein Zeichen dafür, daß sie so
etwas beabsichtigt.
Sei aber eine höhere Schöpfung beabsichtigt, dann könne dieser neue Entwicklungsgrad, dieser Typus oder dieses Modell sich nicht aus dem Menschen entwickeln. In diesem Fall müßte schon eine gewisse Rasse, eine Art oder Gestaltung menschlicher Wesen vorhanden sein, die bereits das Material zum Obermenschen in sich trage, genauso wie das besondere Tierwesen, das sich zum Menschsein entwickelte, schon die wesentlichen Elemente der menschlichen Natur potentiell oder aktuell besessen habe. Eine solche Rasse und Art, einen solchen Typus von Mensch gibt es aber nicht. Bestenfalls gebe es nur spiritualisierte mentale Wesen, die der irdischen Schöpfung zu entfliehen suchten. Wenn aufgrund eines okkulten Gesetzes der Natur solch eine menschliche Entfaltung des supramentalen Wesens beabsichtigt sei, könne das nur von einigen wenigen innerhalb der Menschheit unternommen werden, die sich aus der Rasse herauslösen, um erste Grundlegung für dieses neue Modell menschlichen Wesens zu werden. Es gebe aber keinen Grund für die Annahme, daß sich die ganze Rasse zu dieser Vollkommenheit entwickeln kann. Das könne keine für das menschliche Geschöpf allgemein gültige Möglichkeit sein.
Habe sich der Mensch tatsächlich in der Natur aus dem
Tier entwickelt, so zeige, soweit wir sehen können, doch jetzt keine andere
Tier-Art Anzeichen für eine Entwicklung über sich hinaus. Sollte es also im Tierreich einen solchen evolutionären Drang gegeben haben, so müsse er
völlig zur Ruhe gekommen sein, sobald dieses Ziel durch das Erscheinen des
Menschen erreicht war. Bestehe solch ein Drang nach einem neuen Schritt in der
Evolution, daß der Mensch über sich selbst hinauskommen muß, dann würde dieser
wahrscheinlich wieder in den Ruhezustand zurücksinken, sobald sein Ziel durch
das Erscheinen des suprarationalen Wesens erfüllt ist. In Wirklichkeit gebe es
aber keinen solchen Drang. Selbst die Vorstellung von einer Fortentwicklung des
Menschen sei sehr wahrscheinlich eine Illusion. Gebe es doch kein Anzeichen
dafür, daß der Mensch, nachdem er einmal aus der Tierstufe hervorgetreten ist,
sich im Verlauf der Geschichte seiner Rasse radikal verändert hat. Er sei
höchstens in der Erkenntnis der physischen Welt, in der Naturwissenschaft, in
der Handhabung seiner Umgebung und der Anwendung der verborgenen Gesetze der
Natur rein äußerlich und utilitaristisch fortgeschritten. Im übrigen sei er
derselbe geblieben, der er zu den frühesten Anfängen der Zivilisation war. Er
offenbare weiter dieselben Fähigkeiten, die gleichen Eigenschaften und Mängel,
die gleichen Bemühungen und Irrwege, Erfolge und Enttäuschungen. Wenn es einen
Fortschritt gegeben habe, dann in einem Kreislauf, höchstens in einem sich
stetig erweiternden Kreis. Der Mensch von heute sei nicht weiser als die alten
Seher, Philosophen und Denker. Er sei nicht spiritueller als die großen
Suchenden des Altertums, die ersten mächtigen Mystiker. Er sei auch in Kunst und
Handwerk den Künstlern und Handwerkern von ehedem nicht überlegen. Die alten,
jetzt verschwundenen Rassen zeigten eine ebenso gestaltungskräftige
ursprüngliche Originalität, Erfindungsgabe und Begabung im Umgang mit dem Leben.
Wenn der moderne Mensch in dieser Beziehung nicht durch wesentlichen
Fortschritt, sondern nur an Grad, Horizont und Fülle ein wenig weitergekommen
sei, so deshalb, weil er die Errungenschaften seiner Vorläufer ererbt habe.
Nichts rechtfertige aber die Vorstellung, er werde sich jemals seinen Weg aus
dem Halb-Wissen und der Halb-Unwissenheit heraus bahnen können, die das Gepräge
seiner Art ist, oder daß er, auch wenn er eine höhere Erkenntnis entwickelt, je
die äußerste Grenze des mentalen Kreises überschreiten könne.
Es sei wohl verlockend und nicht unlogisch,
Wiedergeburt als potentielles Mittel einer spirituellen Entwicklung anzusehen,
als den Faktor, der sie möglich macht. Vorausgesetzt, Wiedergeburt sei eine
Tatsache, so sei es doch nicht sicher, daß das ihre Bedeutung ist. Alle alten
Reinkarnations-Theorien nahmen an, es gebe eine
ständige Wanderung der Seele vom Tier zum Menschen, aber auch aus den
Menschenkörpern in Tierkörper. Das indische Denken fügte die Erklärung durch das
karma hinzu, eine Vergeltung für gutes oder böses Tun, die Frucht
vergangenen Wollens und Bemühens. Es gab aber keinen Hinweis auf eine
fortschreitende Entwicklung aus der einen in eine höhere Art, noch weniger auf
eine Geburt in eine andere Art des Wesens, das noch niemals existierte, sondern
sich erst in der Zukunft entwickeln sollte. Gebe es eine Evolution, dann sei der
Mensch deren letzte Stufe, weil durch ihn die Ablehnung des irdischen oder
verkörperten Lebens und eine Flucht in einen Himmel oder in das nirvana
möglich sei. Das war das Ziel, das die alten Theorien im Auge hatten. Da unsere
Welt hier fundamental und unabänderlich eine Welt der Unwissenheit sei -wenn
auch nicht alles kosmische Dasein seiner Natur nach ein Zustand von Unwissenheit
ist sei diese Flucht wahrscheinlich das wahre Ziel des Zyklus.
Diese Reihe von Schlußfolgerungen besitzt eine
beträchtliche Überzeugungskraft und Bedeutung. Darum war es notwendig, sie, wenn
auch nur kurz, darzustellen, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Denn wenn auch
einige ihrer Voraussetzungen gültig sind, so ist doch ihre Betrachtung der Dinge
nicht vollständig, und ihre Schlußfolgerungen sind nicht zwingend. Zuerst können
wir ohne große Schwierigkeiten den Einwand gegen das teleologische Element
ausschalten, das in die Struktur des irdischen Daseins eine vorausbestimmte
Evolution aus der Unbewußtheit zur Überbewußtheit anerkennt, die Entwicklung
einer aufsteigenden Ordnung von Wesen mit einem Übergang auf der höchsten Höhe
aus dem Leben in der Unwissenheit zu einem Leben im Wissen. Der Einwand gegen
einen teleologisch bestimmten Kosmos kann sich auf zwei Gründe stützen: auf eine
wissenschaftliche Beweisführung, die von der Annahme ausgeht, alles sei das Werk
einer unbewußten Energie, die automatisch durch mechanische Prozesse wirkt und
in sich kein Element von Zweck und Ziel enthalten könne, und auf die
metaphysische Beweisführung, die von der Auffassung ausgeht, das Unendliche und
Universale besitze bereits alles Einzelne in sich. Es könne nichts Unvollendetes
haben, das es erst zur Vollendung bringen muß, nichts, was es sich hinzufügen,
ausarbeiten, verwirklichen soll. Es könne deshalb in ihm auch kein Element von
Fortschritt, kein ursprüngliches oder hervortretendes Ziel geben. Die Geltung des wissenschaftlichen oder materialistischen Einwandes
kann nicht aufrechterhalten werden, wenn es in oder hinter der scheinbar
unbewußten Energie in der Materie ein verborgenes Bewußtsein gibt. Selbst im
Unbewußten scheint zumindest der Drang einer innewohnenden Notwendigkeit zu
bestehen, die Entwicklung von Formen und in den Formen ein sich entwickelndes
Bewußtsein hervorzubringen. Man kann wohl annehmen, dieses Drängen ist der
evolutionäre Wille eines verborgenen Bewußten Wesens. Sein Antrieb, sich
fortschreitend zu offenbaren, ist Beweis für eine ursprünglich der Evolution
innewohnende Absicht. Das ist ein teleologisches Element. Es ist nicht
vernunftwidrig, das zuzugeben. Denn die bewußte und selbst die unbewußte Neigung
entsteht aus einer Wahrheit des bewußten Wesens, das dynamisch geworden und nun
darauf aus ist, sich in einem automatischen Prozeß der materiellen Natur zur
Erfüllung zu bringen. Die Teleologie, das Element von zweckvoller Absicht, in
dieser Neigung ist die Übertragung der aus sich selbst wirkenden Wahrheit des
Seienden in Begriffe einer aus dem Selbst wirkenden Willens-Macht dieses
Seienden. Wenn Bewußtsein vorhanden ist, muß es hier auch eine Willens-Macht
geben, und ihre Übertragung ist normal und unvermeidlich. Eine Wahrheit des
Seienden, die sich unvermeidlich selbst zur Erfüllung bringt, wäre also die
fundamentale Tatsache der Evolution. Aber ein Wille und dessen Zweck und Ziel
müssen dann hier wirksam sein als Teil der Instrumentation, als Element in dem
sich auswirkenden Prinzip.
Der metaphysische Einwand ist schwerwiegender. Denn es
erscheint als selbstverständlich, daß das Absolute in der Manifestation keine
andere Absicht haben kann als die tiefe Freude an der Manifestation selbst. Eine
evolutionäre Bewegung in der Materie fällt als Teil der Manifestation unter
diese allgemeine Feststellung, sie kann nur zur Wonne an der Entfaltung, an
ihrer progressiven Ausführung und zu einer zweckfrei aneinandergereihten
Selbst-Offenbarung da sein. Eine universale Ganzheit kann auch als etwas in sich
Vollständiges angesehen werden. Für eine Ganzheit gibt es nichts, das sie
gewinnen oder der Fülle ihres Wesens hinzuzufügen hätte. Aber die materielle
Welt hier ist keine integrale Ganzheit. Sie ist Teil eines Ganzen, Stufe in
einer Stufenfolge. Sie kann also in sich selbst nicht nur die Gegenwart von
unentwickelten, nicht-materiellen Prinzipien oder Mächten zulassen, die dem
Ganzen angehören und ihrer Materie involviert sind, sondern auch gestatten, daß dieselben Mächte aus den höheren Stufen des
Systems in sie herniederkommen, um hier die mit ihnen verwandten Bewegungen aus
der Starrheit einer materiellen Begrenzung zu befreien. Man kann es also als die
Teleologie der Evolution ansehen, daß die höheren Mächte des Seins manifestiert
werden, bis das Seiende im Ganzen in der materiellen Welt in den Begriffen einer
höheren, spirituellen Schöpfung manifestiert ist. Diese Teleologie fügt keinen
Faktor hinzu, der nicht zur Ganzheit gehört. Ihre Absicht ist nur die
Verwirklichung der Ganzheit im Teil. Man kann gegen die Anerkennung eines
teleologischen Faktors in einer Teil-Bewegung der universalen Ganzheit keine
Einwendungen erheben, wenn die Absicht -nicht eine Absicht im menschlichen
Sinne, sondern das Drängen einer inneren Wahrheits-Notwendigkeit, die im Willen
des innewohnenden Geistes bewußt ist – darin besteht, hier alle Möglichkeiten,
die der totalen Bewegung eingeboren sind, vollkommen zu offenbaren. Zweifellos
existiert hier alles für die Seligkeit des Seins; alles ist sein Spiel, lila.
Aber auch ein Spiel enthält in sich einen Zweck, der voll durchgeführt werden
muß. Ohne die Erfüllung dieses Ziels wäre der Sinn des Spiels nicht voll
verwirklicht. Ein Drama ohne Auflösung des Knotens am Ende könnte eine
künstlerische Möglichkeit sein – wenn es nur für das Vergnügen existiert, die
Charaktere zu beobachten oder sich an den dargestellten Problemen zu erfreuen,
ohne daß diese gelöst oder indem sie nur so gelöst werden, daß alles in der
Schwebe und allen Zweifeln offen bleibt. Man mag sich vorstellen, das Drama der
Erden-Evolution könne diesen Charakter haben. Ebenso aber, und das überzeugt
mehr, ist es möglich, daß eine Auflösung der Verwicklungen beabsichtigt oder
innerlich vorherbestimmt ist. Ananda ist das geheime Prinzip alles
Seienden und die Unterstützung alles Wirkens im Seienden. Aber ananda
schließt nicht die große Freude daran aus, daß eine dem Seienden innewohnende
Wahrheit ausgearbeitet wird, die der Kraft oder dem Willen des Seienden immanent
ist und in dem verborgenen Selbst-Innesein ihrer Bewußtseins-Kraft aufrecht
erhalten wird, der dynamische Vollstrecker all ihrer Aktivitäten und der Kenner
ihrer Bedeutung.
Eine Theorie spiritueller Evolution ist nicht identisch
mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Formen-Entwicklung und physischer
Lebens-Entwicklung. Sie muß auf der eigenen, ihr innewohnenden Rechtfertigung
stehen: Sie mag die wissenschaftliche Darstellung der physischen
Evolution als Unterstützung oder als eines ihrer Elemente annehmen. Diese
Unterstützung ist aber nicht unentbehrlich. Die wissenschaftliche Theorie
kümmert sich nur um den äußeren sichtbaren Mechanismus und Prozeß, um die
Einzelheiten der Durchführung seitens der Natur, die physische Entwicklung der
Dinge in der Materie und das Gesetz, nach dem sich Leben und Mental in der
Materie entwickeln. Im Licht neuer Entdeckung mag ihre Darstellung der Vorgänge
beträchtlich verändert oder gar völlig fallengelassen werden. Das wird aber die
selbst-bezeugende Tatsache einer spirituellen Evolution, einer Entwicklung von
Bewußtsein, einer fortschreitenden Manifestation der Seele im materiellen Dasein
nicht beeinflussen. In ihren äußeren Aspekten kommt die Theorie der Evolution zu
folgenden Ergebnissen: In der Stufenfolge des irdischen Daseins gibt es eine
Entwicklung von Formen und Körpern, eine fortschreitend vielseitige
leistungsfähige Organisation von Materie. In der Materie entsteht Leben, in der
lebenden Materie Bewußtsein. Je besser in dieser Stufenfolge die äußere Form
organisiert ist, desto fähiger ist sie, ein besser organisiertes, mehr
komplexes, befähigtes, entfaltetes oder höher entwickeltes Leben und Bewußtsein
zu beherbergen. Hat man einmal die Evolutions-Hypothese aufgestellt und die sie
stützenden Tatsachen gesammelt, wirkt dieser Aspekt des irdischen Daseins so
überzeugend, daß er unbestreitbar zu sein scheint. Es ist eine zweitrangige,
wenn auch an sich interessante und wichtige Frage, nach welchem genauen
Mechanismus, nach welcher exakten Genealogie oder chronologischen Reihenfolge
der Arten des Wesens dies zustande kam. Man mag die Theorien von der Entwicklung
der einen Form des Lebens aus einer vorausgehenden weniger entwickelten Form,
von der natürlichen Zuchtwahl, vom Kampf ums Dasein, vom Überleben erworbener
Charakter-Eigenschaften akzeptieren oder nicht: Die Tatsache einer
aufeinanderfolgenden Schöpfung aufgrund eines in ihr enthaltenen
Entwicklungsplans ist der einzige Schluß von primärer Bedeutung. Ein anderer
selbst-bezeugender Schluß ist, daß es in der Evolution eine stufenweise,
notwendige Aufeinanderfolge gibt: zuerst die Entwicklung von Materie, danach die
Entwicklung von Leben in der Materie, dann die Entwicklung von Mental in der
lebenden Materie. Auf dieser letzten Stufe folgt auf eine Entwicklung zum Tier
die des Menschen. Die drei ersten Begriffe dieser Aufeinanderfolge sind zu
evident, als daß sie bestritten werden könnten. Man mag darüber debattieren, ob
der
Mensch auf das Tier folgte oder ob es eine
gleichzeitig-ursprüngliche Entwicklung beider gab, wobei dann der Mensch in der
Mental-Entwicklung das Tier überholt hat. Man hat sogar die Theorie aufgestellt,
der Mensch sei nicht die letzte, sondern die erste und älteste Gattung im
Tierreich gewesen. Diese Priorität des Menschen ist eine alte Vorstellung, sie
war aber nie allgemein. Sie stammt aus dem Empfinden einer klaren Überlegenheit
des Menschen über die irdischen Geschöpfe. Die Würde dieser Hoheit schien eine
Priorität der Geburt zu erfordern. Im faktischen Ablauf der Evolution tritt aber
der Überlegenere nicht als der Frühere in Erscheinung sondern als der Spätere.
Der weniger Entwickelte geht dem höher Entwickelten voraus und ist sein
Wegbereiter.
Tatsächlich fehlt im Denken des Altertums die Vorstellung von der Priorität der niederen Daseinsformen nicht vollständig. Abgesehen von den Berichten der Schöpfungsmythen finden wir bereits im alten und mittelalterlichen Denken in Indien Äußerungen, die die Priorität des Tieres gegenüber dem Menschen in der Zeitfolge in einem Sinne hervorheben, der mit dem modernen Evolutionsbegriff übereinstimmt. Eine Upanishad erklärt: Aufgrund seines Entschlusses, Leben zu schaffen, bildete das Selbst oder der Geist zuerst die Tiergestalten wie die Kuh und das Pferd. Die Götter aber – die im Denken der Upanishaden Mächte von Bewußtsein und Mächte der Natur sind – fanden diese als unzureichende Träger; so erschuf der Geist schließlich die Gestalt des Menschen. Diese Form erkannten die Götter als vortrefflich gestaltet und für sie angemessen an und gingen für ihre kosmischen Funktionen in sie ein. Das ist ein deutliches Gleichnis dafür, daß immer höher entwickelte Formen erschaffen wurden, bis sich eine fand, die fähig war, Träger für ein entwickeltes Bewußtsein zu sein. In den Puranas wird berichtet, die Erschaffung des Tiers vom Charakter des tamas sei zeitlich die erste gewesen. Tamas ist das indische Wort für das Prinzip von Trägheit an Bewußtsein und Kraft: Ein Bewußtsein, das in seinem Kräftespiel dumpf, nachlässig und untüchtig ist, wird als tamas-artig bezeichnet. Zur selben Kategorie würde eine Kraft, eine Lebens-Energie gerechnet werden, die stumpfsinnig, in ihrer Fähigkeit begrenzt und an einen niederen Bereich von instinktiven Trieben gebunden ist, die sich nicht entwickelt, nicht über sich hinauszukommen sucht, sich nicht getrieben fühlt zu einer größeren Betätigung ihrer kinetischen Energien oder zu einem erleuchteteren bewußten Wirken.
Das Tier, in dem sich
diese weniger entwickelte Bewußtseins-Kraft findet, erscheint in der Schöpfung
früher. Das entwickeltere Bewußtsein des Menschen, in dem die Kraft der
kinetischen Mental-Energie und des Lichts der Wahrnehmung größer ist, ist eine
spätere Schöpfung. Das Tantra spricht von einer Seele, die aus ihrem
Zustand gefallen ist und durch viele Hunderttausende von Geburten in Pflanzen-
und Tiergestalten hindurchgehen muß, bevor sie die Stufe des Menschen erreichen
und bereit sein kann für ihre Erlösung. Hier ist wieder die Auffassung
vorausgesetzt, daß die Lebensformen von Pflanze und Tier die niederen Sprossen
auf der Leiter sind, das Menschsein aber die letzte oder alles überhöhende
Entwicklung des bewußten Wesens. Diese Gestalt muß die Seele bewohnen, um fähig
zu sein, vom Geist motiviert zu werden und der Mentalität, der Vitalität und der
Körperlichkeit zu entkommen. Das ist tatsächlich die normale Auffassung; sie
drängt sich der Vernunft und der Intuition so überzeugend auf, daß man sie kaum
zu erörtern braucht. Die Schlußfolgerung daraus ergibt sich fast unentrinnbar.
Vor diesem Hintergrund eines sich entfaltenden
Evolutions-Prozesses müssen wir den Menschen betrachten, seinen Ursprung, sein
erstes Erscheinen, seinen Status in der Manifestation. Hier ergeben sich zwei
Möglichkeiten. Entweder trat ein menschlicher Körper mit einem Bewußtsein
plötzlich in der Erden-Natur in Erscheinung als eine abrupte Schöpfung oder
unabhängige automatische Offenbarung einer mit Vernunft begabten Mentalität in
der materiellen Welt. Sie kam plötzlich im Gefolge einer vorhergehenden
ähnlichen Manifestation von unterbewußten Lebensformen und von lebenden bewußten
Körpern in der Materie. Oder die Evolution des Mensch-Wesens aus dem Tier-Wesen
vollzog sich vielleicht erst langsam in ihrer Vorbereitung und in ihren
Entwicklungsstufen, machte aber dann an den entscheidenden Punkten des Übergangs
größere Sprünge. Letztere Theorie macht uns keine Schwierigkeiten. Denn es ist
sicher, daß Umwandlung des Charakteristischen des Typus, wenn auch nicht des
Fundamentalen selbst, sowohl in der Art wie in der Gattung zustande Kommen
können – das ist auch schon vom Menschen selbst geleistet worden, und seine
Möglichkeiten werden in kleinem Maßstab durch die experimentelle Wissenschaft in
überrraschender Weise ausgearbeitet –, so daß man mit Recht annehmen kann, die
insgeheim wirkende bewußte Energie in der Natur könnte derartige Maßnahmen in
großem Maßstab bewirken und beträchtliche,
entscheidende Entwicklungen durch die Mittel ihrer eigenen konventionellen
Schöpferkräfte zustande bringen. Notwendige Voraussetzung für eine Umwandlung
vom normalen Tier-Charakter in den des Menschen-Daseins würde eine Entwicklung
der körperlichen Organisation sein, die ein rasches Fortschreiten des
Bewußtseins, seine Umkehr oder Verwandlung ermöglicht, eine neue Höhe erreichen
läßt, von der es auf die niederen Stufen hinabschauen kann, sowie eine
Ausweitung seiner Kapazität, was das Wesen befähigen würde, die
Tier-Eigenschaften in eine umfassendere, bildungsfähigere menschliche
Intelligenz emporzunehmen und zugleich oder später größere und subtilere Mächte
zu entfalten, die der neuen Art des Wesens angemessen sind, Mächte der Vernunft,
des Denkens, der vielseitigen Beobachtung, der planmäßigen Erfindung und
Entdeckung. Tritt dann eine neue Bewußtseins-Kraft hervor, so würde dies, da das
Instrument dafür zubereitet ist, beim Übergang keine Schwierigkeit machen,
abgesehen von der Erschwerung durch die Gegenwirkung und den Widerstand der
materiellen Unbewußtheit. Das Tier besitzt bereits in begrenztem Maß einige der
entsprechenden Eigenschaften, aber nur, um damit in einem primitiven, rohen und
einfachen Organismus von sehr untergeordneter Reichweite und Formbarkeit und
einer begrenzten und mehr zufälligen Verfügungsgewalt über diese Begabung zu
wirken. Besonders die Wirkweise dieser Begabungen ist mechanischer, weniger
planmäßig. Sie ist durch einen gewissen Automatismus der Natur-Energie
gekennzeichnet, der die Aktivität eines primitiven Bewußtseins antreibt. Das ist
nicht wie beim Menschen eine bewußte Energie, die ihre eigenen Maßnahmen
beobachtet, in weitem Umfang lenkt, regiert, absichtlich verändert und
umwandelt. Andere Gewohnheiten des Tier-Bewußtseins sind nicht grundsätzlich von
denen des Menschen verschieden. Er mußte sie aber auf höherer Ebene entwickeln,
ausweiten und, wo immer möglich, mentalisieren, vergeistigen, verfeinern, –
kurz, ihnen die Erleuchtung seines neuen Verstehens, seiner intellektuellen
Begabung und eine dem Tier versagte Macht zu vernunftgemäßer Beherrschung
bringen. Ist diese Umwandlung, diese Umkehr, einmal bewirkt, dann kann sich im
menschlichen Mental im Verlauf seiner Evolution die Macht entwickeln, auf sich
selbst und auf die Dinge einzuwirken, zu erschaffen, zu erkennen,
Denkkonstruktionen zu bilden, auch wenn diese begreiflicherweise anfangs in
ihrem Horizont eng, dem Tier näher, in ihrem Wirken noch verhältnismäßig
einfach und roh sind. Eine solche Verwandlung mußte bei jedem neuen
radikalen Übergang der Natur vorgenommen werden: Die hervortretende Lebens-Kraft
wendet sich der Materie zu, zwingt den Aktivitäten der materiellen Energie
vitalen Inhalt auf, während sie dabei ihre eigenen neuen Bewegungen und
Verfahren entfaltet. Ein Lebens-Mental taucht in der Lebens-Kraft und in der
Materie auf und zwingt deren Abläufen seinen Bewußtseinsinhalt auf, während es
zugleich ihre eigenen Aktivitäten und Fähigkeiten entwickelt. So liegt ein neues
höheres Hervortreten und Sich-Wandeln, das Auftauchen der Menschheit, in der
Richtung all dessen, was in der Natur vorausgegangen ist. Es ist nur eine neue
Anwendung des allgemeinen Prinzips.
Darum kann man diese Theorie leicht akzeptieren: ihr Verfahren ist begreiflich. Indessen bereitet die andere Hypothese beträchtliche Schwierigkeiten. Hinsichtlich des Bewußtseins könnte die neue, die menschliche Manifestation, durch das Auftauchen eines verborgenen Bewußtseins, das der universalen Natur involviert war, erklärt werden. In diesem Fall muß es aber schon eine materielle Form als Träger seines Hervortretens besessen haben. Dieser Träger muß durch die Kraft des Hervortretens als solche den Bedürfnissen einer neuen inneren Schöpfung angepaßt worden sein. Andererseits könnte aber auch eine rasche Abwandlung von früheren Arten oder Modellen ein neues Wesen hervorgerufen haben. Welche Hypothese man auch anwendet, es handelt sich hier um einen Prozeß der Evolution, dabei gibt es nur einen Unterschied in der Methode und im Mechanismus des Abweichens vom früheren Typus oder des Übergangs. Auch könnte es sich -im Gegensatz dazu – nicht um ein Emportauchen, sondern um ein Herabkommen von Mentalität aus einer Mental-Ebene über uns gehandelt haben, vielleicht um das Herniederkommen einer Seele oder eines mentalen Wesens in die irdische Natur. Die Schwierigkeit läge dann im Erscheinen des menschlichen Körpers, der doch ein zu komplexes und schwieriges Organ ist, als daß er plötzlich erschaffen oder manifestiert worden wäre. Denn unter den normalen Möglichkeiten oder Leistungsfähigkeiten der materiellen Energie scheint ein so wundersam rascher Prozeß nicht vorgesehen zu sein, wenn er auch sehr wohl möglich ist auf einer supraphysischen Ebene des Seienden. Er könnte nur durch das Eingreifen einer supraphysischen Kraft oder eines supraphysischen Natur-Gesetzes oder durch ein Schöpfer-Mental stattfinden, die mit voller Macht und unmittelbar auf die Natur einwirken.
Bei jedem sichtbaren
Hervortreten von etwas Neuem in der Materie kann man die Einwirkung einer
supraphysischen Kraft oder eines Schöpfers voraussetzen. Jede solche Erscheinung
ist im Grunde ein Wunder, das von einem verborgenen Bewußtsein bewirkt oder von
einer verhüllten Mental-Energie oder Lebens-Energie unterstützt wird. Doch sieht
man nirgends, daß dieses Wirken unmittelbar, offenkundig und rein aus sich
selbst erklärbar wäre. Es wird stets einer bereits verwirklichten körperlichen
Grundform von oben her auferlegt und wirkt, indem es einen schon festgelegten
Natur-Prozeß ausweitet. Eher ist vorstellbar, wie sich ein schon existierender
Körper so für einen supraphysischen Einfluß öffnete, daß er in einen neuen
Körper umgewandelt wurde. Man kann aber kaum annehmen, ein solches Ereignis habe
in der vergangenen Geschichte der materiellen Natur stattgefunden.
Offensichtlich bedarf es, damit so etwas stattfinden kann, entweder des bewußten
Eingreifens eines unsichtbaren mentalen Wesens, das den Körper bildete, den dann
der Mensch bewohnen sollte, oder auch der vorausgehenden Entwicklung eines
mentalen Wesens in der Materie selbst, das bereits fähig war, eine
supraphysische Macht zu empfangen und sie den starren, engen Formen seines
körperlichen Daseins aufzunötigen. Sonst müßten wir annehmen: Ein präexistenter
Körper war bereits so hoch entwickelt, daß er für den Empfang eines so mächtigen
mentalen Einflusses geeignet war oder fähig, auf das Herabkommen eines mentalen
Wesens auf ihn in anpassungsfähiger Weise zu reagieren. Das würde aber eine
vorausgehende Entwicklung von Mental im Körper bis zu einem solchen Grade
voraussetzen, daß solche Empfänglichkeit möglich sein konnte. Es ist wohl
vorstellbar, daß eine derartige Entwicklung von unten und eine Herabkunft von
oben für das Erscheinen des Mensch-Wesens in der Erden-Natur zusammenwirkten.
Die schon im Tier vorhandene psychische Wesenheit selbst könnte das mentale
Wesen, den Mental-purusha, in den Bereich der lebenden Materie
herabgerufen haben, damit er die bereits aktive vital-mentale Energie aufnimmt
und in eine höhere Mentalität emporhebt. Das wäre immer noch ein Prozeß der
Evolution, wobei die höhere Ebene nur eingreift, um dem Hervortreten und der
Ausweitung ihres eigenen Prinzips in der irdischen Natur beizustehen.
Weiter kann man zugestehen, jede Art oder jedes Modell
von Bewußtsein und Wesen im Körper müssen, wenn sie einmal fest geformt sind, dem Wesensgesetz dieser Art, ihrem eigenen Entwurf und Gesetz
treu bleiben. Es mag aber auch sehr wohl sein, daß eine Seite des Gesetzes der
menschlichen Art ihr Drang ist, über sich selbst hinauszukommen, und daß für die
Mittel zum bewußten Über-sich-hinausgehen unter den spirituellen Kräften des
Menschen gesorgt ist. Der Besitz einer solchen Befähigung mag ein Teil des
Planes sein, nach dem die schöpferische Energie ihn gebildet hat. Man kann
zugeben, daß der Mensch bis jetzt hauptsächlich nur im Umkreis seiner Art, auf
einer Spirale der Natur-Bewegung aktiv gewesen ist, die ihn manchmal in die
Höhe, manchmal in die Tiefe führte, daß es aber keine gerade Linie des
Fortschritts, kein unbestreitbares, fundamentales oder radikales Hinausgehen
über seine vergangene Natur gegeben hat. Er hat lediglich seine Befähigungen
geschärft, verfeinert, umfassender und elastischer verwendet. Man könnte weiß
Gott nicht sagen, seit der Mensch erschienen ist oder seit den Tagen
dokumentierbarer Geschichte habe es nicht so etwas wie einen menschlichen
Fortschritt gegeben. Denn wie groß auch die Menschen des Altertums gewesen
seien, wie hervorragend manche ihrer Schöpfungen und Errungenschaften, wie
eindrucksvoll gewisse Leistungen an Spiritualität, Intellekt und Charakter
waren, so habe es in den späteren Entwicklungen doch eine zunehmende
Verfeinerung, umfassenderen Reichtum, vielfältigere Entfaltung an Wissen und
Können in den Errungenschaften des Menschen, in seiner Politik, Gesellschaft, in
seinem Leben, seiner Wissenschaft, Metaphysik, seinen Erkenntnissen auf allen
Gebieten, seiner Kunst und Literatur gegeben. Auch wenn die Macht seiner
Spiritualität nicht so erstaunlich erhaben und weniger gewaltig war als die der
Erleuchteten früherer Zeiten, so war sein spirituelles Bemühen doch
ausgezeichnet durch Feinheit, vielseitige Gestaltungskraft, Eindringen in die
Tiefen und Ausweitung des Suchens. Es hat Zeiten des Absinkens von einem hohen
Kulturtypus gegeben, einen zeitweiligen tiefen Abfall in einen gewissen
Obskurantismus, ein Nachlassen des spirituellen Strebens und Abstürze in einen
barbarischen naturalistischen Materialismus. Das waren aber nur vorübergehende
Phänomene, schlimmstenfalls eine nach unten verlaufende Kurve der
Fortschrittsspirale. Sicher habe dieser Fortschritt die Menschenrasse noch nicht
über sich selbst emporgetragen, so daß sie über sich hinauskommen und das
mentale Wesen transformieren konnte. Aber das durfte man auch nicht erwarten.
Denn das Wirken der evolutionären Natur in einer
Art
von Wesen und Bewußtsein besteht zuerst darin, diese Art gerade durch
Verfeinerung und zunehmende Vielseitigkeit bis zur äußersten Befähigung zu
entfalten, bis sie ihre Schale sprengen kann, so daß das ausreifende Bewußtsein
entscheidend hervortritt, sich umwandelt und so auf sich selbst einwirkt, daß es
auf eine neue Stufe der Evolution hinwirkt. Setzt man voraus, daß der nächste
Schritt der Natur das spirituelle und supramentale Wesen ist, dann kann man das
Drängen zur Spiritualität in der Menschheit als ein Zeichen dafür nehmen, daß
dies die Absicht der Natur, aber auch ein Hinweis darauf ist, daß der Mensch die
Fähigkeit hat, den Übergang in sich durchzuführen oder der Natur zu helfen, den
Übergang zu bewerkstelligen. Wenn es die Methode der Entwicklung des Menschen
war, daß im Tierwesen eine Art erschien, die in manchen Beziehungen der Affenart
ähnlich, aber schon von Anfang an mit den Elementen des Menschseins begabt war,
dann könnte es für das evolutionäre Erschaffen eines spirituellen und
supramentalen Wesens die deutlich erkennbare Methode der Natur sein, daß im
menschlichen Wesen ein spiritueller Typus erscheint, der einem mental-tierhaften
Menschen ähnlich ist, aber schon durch sein spirituelles Streben geprägt ist.
In Bezug hierauf hat man darauf hingewiesen, daß es –
falls solch ein Gipfel der Evolution beabsichtigt ist und diese sich des
Menschen als Mittel bedient – nur einige wenige besonders entwickelte
menschliche Wesen geben werde, die den neuen Typus bilden und zum neuen Leben
fortschritten. Wenn das erreicht sei, werde die übrige Menschheit aus ihrem
spirituellen Streben zurücksinken, das für die Absicht der Natur nun nicht
länger nötig sei; sie werde dann in der Ruhe ihres normalen Zustands verbleiben.
Man kann aber ebenso behaupten, die menschliche Stufe müsse erhalten bleiben,
wenn es wirklich ein Emporsteigen der Seele mittels der Wiedergeburt durch die
Entwicklungsstufen bis hin zum spirituellen Gipfel gibt. Andernfalls würde sonst
die notwendigste aller Zwischenstufen fehlen. Man muß zugleich betonen, es
besteht nicht die geringste Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit dafür, daß sich
die ganze menschliche Rasse en bloc zur supramentalen Ebene erhebt.
Worauf hier hingewiesen wird, ist keineswegs etwas so Revolutionäres und
Erstaunliches. Vielmehr wird nur dargelegt, daß die Mentalität des Menschen dazu
fähig ist, nach einer höheren Ebene des Bewußtseins und deren Verkörperung im
menschlichen Wesen zu drängen, sobald sie eine gewisse Stufe oder einen gewissen Druck des evolutionären Antriebs erreicht hat. Durch
diese Verkörperung werden wir uns notwendigerweise einer Wandlung über die
normale Konstitution unserer Natur hinaus unterziehen, sicherlich einer
Veränderung der Verfassung unseres Mentals, Fühlens und Empfindens und auch in
großem Maß des Körper-Bewußtseins und der physischen Bedingungen unseres Lebens
und unserer Energien. Der wichtigste Faktor, die ursprüngliche Bewegung, wird
aber die Umwandlung unseres Bewußtseins sein. Die physische Veränderung ist dann
nur ein untergeordneter Faktor, eine Folgeerscheinung. Diese Umwandlung des
Bewußtseins wird dem menschlichen Wesen immer möglich bleiben, sobald die Flamme
der Seele, die psychische Glut im Herzen und im Mental mächtig wird und solange
die Natur bereit ist. Das spirituelle Streben ist dem Menschen eingeboren. Denn
er ist, hierin dem Tier ungleich, sich seiner Unvollkommenheit und Begrenztheit
bewußt und fühlt, daß es jenseits von dem, was er jetzt ist, etwas gibt, das er
erreichen muß. Wahrscheinlich wird in der Menschheit dieser Drang, über sich
hinauszukommen, nie völlig aussterben. Zwar wird es den menschlichen
Mental-Zustand immer geben. Doch wird er nicht nur als Stufe auf der
Stufenleiter der Wiedergeburt nötig sein, sondern auch als Stufe, die den Zugang
öffnet zum spirituellen und supramentalen Zustand.
Es ist zu beachten, daß das Erscheinen des menschlichen
Mentals und Körpers auf der Erde einen folgenschweren Schritt, eine
entscheidende Wandlung im Verlauf und Prozeß der Evolution darstellt. Es ist
nicht nur ein Weiterführen der alten Linien. Bis zum Hervortreten eines
entwickelten denkenden Mentals in der Materie war die Evolution nur unterbewußt
oder subliminal durch das automatische Wirken der Natur vollzogen worden, nicht
aber durch die des Selbsts bewußte Aspiration, Intention, nicht durch den Willen
oder das Suchen des lebenden Wesens. Das war so, weil die Evolution mit der
Unbewußtheit begann und das verborgene Bewußtsein noch nicht genügend aus ihr
hervorgetreten war, um durch den des Selbsts bewußten teilnehmenden
individuellen Willen ihres lebenden Geschöpfes aktiv mitzuarbeiten. Aber im
Menschen hat diese notwendige Umwandlung stattgefunden, das Wesen ist zu seinem
Selbst erwacht und seiner inne geworden. Im Mental ist offenbar geworden sein
Wille, sich zu entwickeln, an Erkenntnis zu wachsen, das innere Dasein zu
vertiefen und das äußere auszuweiten sowie die Fähigkeiten der Natur zu
vermehren. Der Mensch hat eingesehen, daß es
einen höheren Bewußtseins-Status gibt als seinen eigenen. In den Schichten
seines Mentals und Lebens ist der leidenschaftliche Trieb und die Sehnsucht
entbunden worden, über sich hinauszukommen. Das ist nun deutlich ausgedrückt: Er
ist einer Seele bewußt geworden und hat das Selbst und den Geist entdeckt. So
wurde in ihm denkbar und praktisch durchführbar, daß eine unbewußte Evolution
durch eine bewußte ersetzt werden kann. Daraus darf man wohl schließen, daß das
Bestreben, das Drängen und beharrliche Ringen in ihm ein sicherer Hinweis der
Natur darauf ist, daß sie einen höheren Weg zu seiner Erfüllung will und ein
höherer Zustand hervortreten soll.
Bei den vorausgehenden Stufen der Evolution war die
Hauptsorge und das Bemühen der Natur auf eine Umwandlung im physischen
Organismus gerichtet, denn nur so konnte es eine Veränderung des Bewußtseins
geben. Das war eine ihr durch das Unvermögen der schon in der äußeren Form
wirkenden Bewußtseins-Kraft aufgezwungene Notwendigkeit, die keine Umwandlung im
Körper bewirken konnte. Im Menschen ist aber das Umgekehrte möglich, sogar
unvermeidlich. Denn die Evolution kann und muß durch sein Bewußtsein, durch
dessen völlige Mutation bewirkt werden, nicht mehr durch einen neuen
körperlichen Organismus als erste Instrumentation. In der inneren Wirklichkeit
der Dinge war eine Umwandlung des Bewußtseins immer die bedeutungsvollere
Tatsache. Die Evolution hat immer eine spirituelle Bedeutung gehabt, die
physische Umwandlung war nur Werkzeug dazu. Dieses Verhältnis war dank des
anfänglichen abnormen Ungleichgewichts der beiden Faktoren verborgen. Der Körper
der äußeren Unbewußtheit überwog und stellte das spirituelle Element, das
bewußte Wesen, in den Schatten. Sobald aber das rechte Gleichgewicht hergestellt
ist, braucht die Umwandlung des Körpers nicht mehr der Umwandlung des
Bewußtseins vorauszugehen. Vielmehr wird das Bewußtsein durch seine Verwandlung
jede Mutation, die für den Körper nötig ist, zwangsläufig bewirken. Es ist zu
bemerken, daß das menschliche Mental bereits eine Fähigkeit dazu bewiesen hat,
der Natur bei der Entwicklung neuer Pflanzen- und Tier-Arten zu helfen. Es hat
neue Formen seiner Umgebung erschaffen und durch Erkenntnis und Disziplin
bemerkenswerte Umwandlungen in seiner eigenen Mentalität bewirkt. Es ist nicht
unmöglich, daß der Mensch der Natur auch bewußt bei seiner eigenen spirituellen
und physischen Entwicklung und Umwandlung
beistehen sollte. Das Drängen dazu ist bereits vorhanden und schon teilweise
wirksam, auch wenn das von der äußeren Mentalität noch unvollständig verstanden
und angenommen wird. Eines Tages mag sie es verstehen, tiefer in ihr Inneres
eindringen und das Mittel, die geheime Energie, die beabsichtigte Wirkweise der
Bewußtseins-Kraft entdecken, die die verborgene Wirklichkeit dessen ist, was wir
die Natur nennen.
Das alles sind Schlußfolgerungen, zu denen man sogar durch die Beobachtung der äußeren Erscheinungen des Fortschritts der Natur, durch ihre vordergründige Entwicklung von Wesen und Bewußtsein in der physischen Geburt und im Körper gelangen kann. Es gibt aber den anderen, den unsichtbaren Faktor. Das ist die Wiedergeburt, der Fortschritt der Seele durch ein Emporsteigen von Stufe zu Stufe des sich entwickelnden Seins und auf diesen Stufen zu immer höheren Arten körperlicher und mentaler Instrumentation. Bei diesem Fortschreiten ist selbst dem Menschen, dem bewußten mentalen Wesen, die psychische Wesenheit noch durch ihre Instrumente, durch Mental, Leben und Körper, verhüllt. Sie kann sich nicht voll offenbaren. Sie wird daran gehindert, in den Vordergrund zu treten, wo sie als Meister ihrer Natur dastehen könnte. Sie wird gezwungen, sich durch ihre Instrumente bestimmen zu lassen und sich ihnen zu unterwerfen; purusha wird von prakriti beherrscht. Im Menschen kann sich aber die psychische Seite der Persönlichkeit viel schneller als bei der untergeordneten Schöpfung entwickeln. Die Zeit kann kommen, da die Seele aus dem Bereich hinter dem Vorhang offen hervortreten und zum Meister ihrer Instrumentation der Natur werden wird. Das bedeutet aber, daß der verborgene innewohnende Geist, die Gottheit im Innern, den Punkt ihres Hervortretens erreicht hat. Wenn sie sich offenbart, ist kaum zu bezweifeln, daß sie ein eher göttliches, spirituelles Dasein fordern wird, wie das bereits im Mental vorhanden ist, wenn es sich dem inneren psychischen Einfluß unterzieht. In der Natur des Erden-Lebens, wo das Mental ein Instrument der Unwissenheit ist, läßt sich das nur bewirken durch Umwandlung des Bewußtseins, durch einen Übergang aus der Begründung in der Unwissenheit zu einer Grundlegung im Wissen, aus dem mentalen in ein supramentales Bewußtsein, zu einer supramentalen Instrumentation der Natur.
Keineswegs überzeugt der Schluß, eine solche
Transformation könne man, da dies eine Welt der Unwissenheit sei, nur dadurch
erlangen, daß man in einen jenseitigen Himmel
hinübergehe, oder man könne sie überhaupt nicht erlangen. Das Verlangen der
psychischen Wesenheit sei selbst unwissend und müsse ersetzt werden, indem die
Seele völlig im Absoluten aufgehe. Dieser Schluß könnte nur dann gültig sein,
wenn die Unwissenheit der ganze Sinn, alle Substanz und Macht der
Welt-Manifestation wäre, wenn es in der Welt-Natur selbst kein Element gäbe,
durch das man über die unwissende Mentalität hinauskommen könnte, die noch den
gegenwärtigen Zustand unseres Wesens belastet. Die Unwissenheit ist aber nur
eine Teilerscheinung dieser Welt-Natur. Sie ist nicht ihr Ganzes, nicht ihre
ursprüngliche Macht, nicht ihr Schöpfer: In ihrem höheren Ursprung ist sie ein
sich selbst begrenzendes Wissen. Selbst in ihrem niederen Ursprung, in ihrem
Hervortreten aus der völlig materiellen Unbewußtheit, ist sie unterdrücktes
Bewußtsein, das darum ringt, sich selbst zu finden oder wiederzuentdecken, als
Grundlage des Daseins ein Wissen zu manifestieren, das ihr wahrer Charakter ist.
Im universalen Mental selbst gibt es, oberhalb von unserer Mentalität, Bereiche,
die Instrumente der kosmischen Wahrheits-Erkenntnis sind. In diese kann das
mentale Wesen gewiß gelangen. Denn in übernormalen Zuständen erhebt es sich
schon jetzt zu ihnen empor; oder es empfängt von ihnen, ohne sie schon zu kennen
oder zu besitzen, Intuitionen, spirituelle Ahnungen, starke Einflüsse von
Erleuchtung oder spiritueller Begabung. Alle diese Bereiche sind dessen bewußt,
was oberhalb von ihnen existiert. Der höchste von ihnen ist unmittelbar offen
für das Supramental. Er gewahrt das Wahrheits-Bewußtsein, das höher ist als er.
Überdies existieren hier, in dem sich entwickelnden Wesen selbst, diese höheren
Bewußtseins-Mächte. Sie unterstützen die Mental-Wahrheit und liegen ihrem Wirken
zugrunde, das zugleich gegen sie abschirmt. Dieses Supramental und diese
Wahrheits-Mächte sind durch ihre geheime Gegenwart die Erhalter der Natur.
Selbst die Wahrheit des Mentals ist ihr Ergebnis, eine verminderte Wirkweise,
eine Darstellung in Teil-Gestaltungen. Darum ist es nicht nur natürlich, sondern
scheint unausweichlich zu sein, daß diese höheren Mächte des Seins sich ebenso
hier im Mental manifestieren, wie sich das Mental im Leben und in der Materie
manifestiert hat.
Das Drängen des Menschen zur Spiritualität kommt von
der treibenden Kraft des Geistes, der aus seinem Innern hervortreten will, von
dem beharrlichen Drang der Bewußtseins-Kraft des Wesens zur nächsthöheren Stufe ihrer Manifestation. Es ist wahr, daß das spirituelle Drängen
weithin auf eine andere Welt gerichtet war oder sich in seinem Extrem in eine
spirituelle Verneinung und Selbst-Vernichtung des mentalen Individuums
verkehrte. Das ist aber nur die eine Seite seiner Tendenz, die sich durchsetzte
und vorherrschend wurde durch das Bedürfnis der Seele, aus dem Reich der
fundamentalen Unbewußtheit herauszukommen, das Hindernis des Körpers zu
überwinden, das verdunkelnde Vital abzuwerfen und von der unwissenden Mentalität
frei zu werden. Nötig für sie ist, zuerst und vor allem anderen, durch eine
Zurückweisung all dieser Behinderungen zum spirituellen Wesen, zum spirituellen
Zustand zu gelangen. Die andere, dynamische, Seite des spirituellen Antriebs hat
nicht gefehlt: das Verlangen nach spiritueller Beherrschung und Verwandlung der
Natur, nach einer spirituellen Vervollkommnung des Wesens, einer Vergöttlichung
des Mentals, des Herzens und selbst des Körpers. Es gab sogar den Traum oder die
seelische Vorausschau von einer Erfüllung, die über die individuelle Umwandlung
hinausgeht, von einer neuen Erde und einem neuen Himmel, einer Stadt Gottes,
einer Herabkunft des Göttlichen auf die Erde, einer Herrschaft der spirituell
Vollkommenen, von einem Königreich Gottes nicht nur in unserem Innern, sondern
auch außen im kollektiven menschlichen Leben. Wie obskur auch einige der Formen
gewesen sein mögen, die dieses Streben angenommen hat, so ist doch der in ihnen
enthaltene Hinweis unmißverständlich, daß das verborgene spirituelle Wesen im
Innern danach drängt, in die Erden-Natur hervorzutreten.
Ist aber eine spirituelle Entfaltung auf der Erde die
verborgene Wahrheit unserer Geburt in die Materie und gibt es grundsätzlich eine
Entwicklung von Bewußtsein, die in der Natur stattgefunden hat, dann kann der
Mensch so, wie er jetzt ist, nicht die letzte Form dieser Entwicklung sein: Er
ist ein zu unvollkommener Ausdruck des Geistes; das Mental selbst ist eine zu
begrenzte Gestaltung und Instrumentation. Mental ist nur ein Mittelbegriff von
Bewußtsein. Das mentale Wesen kann nur ein Übergangswesen sein. Wenn also der
Mensch unfähig sein sollte, über die Mentalität hinauszukommen, müßte die
Entwicklung über ihn hinausgehen; das Supramental und der Übermensch müßten sich
selbst manifestieren und die Führung der Schöpfung übernehmen. Ist aber das
Mental dazu fähig, sich für das zu öffnen, was es überragt, dann ist nicht
einzusehen, warum nicht der Mensch selbst zum
Supramental und zum übermenschlichen Wesen gelangen sollte. Zumindest kann er
seine Mentalität, sein Leben und seinen Körper der Entwicklung dieser höheren
Form des Geistes zur Verfügung stellen, der sich in der Natur offenbart.