SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | Workings | Works of Sri Aurobindo | Das Göttliche Leben

Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1I

Kapitel XXVII. Der gnostische Mensch

Ein vollkommener Pfad zur Wahrheit ist in das Seiende gekommen für unsere Fahrt ans andere Ufer jenseits der Finsternis.

Rig Veda, I.46.11.

O Wahrheits-Bewußter, sei der Wahrheit bewußt; lasse hervorbrechen viele Ströme der Wahrheit;

Rig Veda, V. 12.2.

O Flamme, o Wein, deine Kraft ist bewußt geworden; du hast das Eine Licht entdeckt für die vielen.

Rig Veda, I. 93. 4.

Rein-Weiß und doppelt in ihrer Weite folgt sie wirksam, wie jemand der weiß, dem Pfad der Wahrheit und schmälert nicht seine Anweisungen.

Rig Veda, V. 80. 4, 5.

Durch die Wahrheit halten sie die Wahrheit, die alle hält, in der Macht des Opfers, im höchsten Äther.

Rig Veda, V. 15. 2.

O Unsterblicher, der du geboren wirst in Sterblichen in dem Gesetz der Wahrheit, der Unsterblichkeit, der Schönheit... Aus der Wahrheit geboren, wächst er durch die Wahrheit, – ein König, eine Gottheit, die Wahrheit, das Unermeßliche.

Rig Veda, IX. 110.4; 108. 8.

Sobald wir in unserem Denken die Grenzlinie erreichen, an der die Entwicklung vom Mental zum Übermental fortschreitet als Entwicklung vom Übermental zum Supramental, stoßen wir auf eine Schwierigkeit, die zu überwinden fast unmöglich ist. Denn wir möchten nach einer genauen Idee, einer klaren mentalen Beschreibung des supramentalen oder gnostischen Daseins suchen, mit dem die evolutionäre Natur in der Unwissenheit in Wehen liegt. Mit Überschreiten dieser äußersten Grenze des sublimierten Mentals verläßt aber das Bewußtsein den Bereich mentalen Wahrnehmens und Wissens. Es wird umfassender als dessen bezeichnendes Wirken und entgeht dessen Herrschaft. Es ist wohl deutlich, daß die supramentale Natur eine vollkommene Einbeziehung und der Höhepunkt spiritueller Natur und Erfahrung sein muß. Sie müßte auch die völlige Spiritualisierung der Welt-Natur aufgrund des wahren Charakters des evolutionären Prinzips enthalten, obwohl dieses nicht auf diese Umwandlung begrenzt wäre. Unsere Welt-Erfahrung würde auf diese Stufe unserer Evolution emporgehoben und durch Umwandlung ihrer göttlichen Elemente und durch schöpferische Zurückweisung ihrer Unvollkommenheiten und Verkleidungen eine gewisse göttliche Wahrheit und Fülle erlangen. Das sind aber allgemeine Formeln; sie geben uns keine genaue Vorstellung von dieser Umwandlung. Unsere normale Auffassung, Idee oder Formulierung spiritueller Dinge ist mental. Bei der gnostischen Umwandlung überschreitet aber die Evolution eine Grenze, hinter der die höchste und radikale Umkehrung des Bewußtseins und der Wertmaßstäbe eintritt. Formen von mentaler Erkenntnis reichen da nicht mehr aus. Dem mentalen Denken ist es schwierig, die supramentale Natur zu verstehen und zu beschreiben.

Mentale Natur und mentales Denken gründen sich auf ein Bewußtsein des Endlichen. Supramentale Natur ist im Kern ein Bewußtsein und eine Macht des Unendlichen. Supramentale Natur sieht alles vom Standpunkt der Einheit her und betrachtet alle Dinge, auch die größte Vielfalt und Verschiedenheit, selbst das, was dem Mental als stärkster Widerspruch erscheint, im Lichte dieser Einheit. Ihr Wille, ihre Gedanken, Gefühle, Sinnesorgane sind aus der Substanz der Einheit geschaffen. Von dieser Grundlage geht ihr Wirken aus. Im Gegensatz dazu denkt, sieht, will, fühlt und empfindet die mentale Natur vom Ausgangspunkt der Zerteilung her und hat nur ein konstruiertes Verständnis von Einheit. Selbst wenn sie die Einheit erfährt, muß sie doch von der Einheit aus auf der Grundlage von Begrenzung und Verschiedenheit handeln. Das supramentale, das göttliche Leben, aber ist ein Leben von wesenhafter, ungezwungener und innewohnender Einheit. Für das Mental ist es unmöglich, im einzelnen vorauszusagen, was die supramentale Umwandlung hinsichtlich Lebens-Aktion oder äußerem Verhalten sein muß, oder festzulegen, was für Formen sie für das individuelle oder kollektive Dasein erschaffen soll. Denn das Mental handelt aufgrund eines intellektuellen Gesetzes oder Plans, durch eine vernünftig begründete Willensentscheidung, infolge eines mentalen Impulses oder im Gehorsam gegen einen Lebens-Trieb. Die supramentale Natur hingegen wirkt nicht aufgrund einer mentalen Idee oder Regel, ist nicht einem niederen Trieb unterworfen. Jeder ihrer Schritte wird von einer inneren spirituellen Schau diktiert; sie dringt umfassend und genau in die Wahrheit aller Wesen und in die Wahrheit jeder Sache ein. Sie handelt stets im Einklang mit der innewohnenden Wirklichkeit, nicht aufgrund einer mentalen Idee, nicht im Gehorsam gegen ein aufgezwungenes Verhaltensmuster, eine Gedanken-Konstruktion oder einen ausgedachten Plan. Ihre Bewegung ist ruhig, selbstbeherrscht, freiwillig und formbar. Sie entsteht in natürlicher Weise aus einer harmonischen Übereinstimmung mit der Wahrheit, die man in der Substanz des bewußten Wesens fühlt, in einer spirituellen Substanz, die allumfassend und deshalb zuinnerst eins ist mit allem, was in ihre Seins-Erkenntnis einbezogen ist. Mentale Beschreibung könnte die supramentale Natur entweder nur in Sätzen darstellen, die zu abstrakt sind, oder in mentalen Bildern, die sie möglicherweise in etwas von ihrer Wirklichkeit ganz Verschiedenes verwandeln. Darum scheint es unmöglich zu sein, daß das Mental voraussehen oder andeuten könnte, was ein supramentales Wesen sein oder was es wirken soll. Denn hier können mentale Ideen und Formulierungen nichts entscheiden, zu keiner genauen Definition oder Bestimmung kommen, weil sie dem Gesetz und der Selbst-Schau der supramentalen Natur nicht nahe genug sind. Gerade aus dieser Tatsache der Verschiedenheit der Natur kann man zugleich auch gewisse Schlüsse ziehen, die zumindest für eine allgemeine Beschreibung des Übergangs vom Übermental zum Supramental gültig sein oder uns eine unbestimmte Vorstellung vom ersten Zustand des evolutionären supramentalen Seins geben könnten.

Dieser Übergang ist die Stufe, auf der die supramentale Gnosis dem Übermental die Führung abnehmen und die ersten Fundamente für ihre bezeichnende Manifestation und ihre unverhüllten Wirkweisen legen kann. Sie muß deshalb durch einen entscheidenden, aber lange vorbereiteten Übergang von der Entwicklung in der Unwissenheit zur stets fortschreitenden Entwicklung im Wissen gekennzeichnet sein. Das absolute Supramental und das supramentale Wesen werden sich nicht plötzlich offenbaren und so wirksam werden, wie sie es auf ihrer eigenen Ebene sind. Es wird keine rasche Apokalypse eines wahrheitsbewußten Daseins geben, das immer vom Selbst erfüllt und im Selbst-Wissen vollkommen ist. Vielmehr wird es das Phänomen des supramentalen Wesens sein, das in die Welt evolutionären Werdens herabkommt und sich hier gestaltet, das die Mächte der Gnosis in der irdischen Natur entfaltet. Das ist in der Tat das Prinzip alles irdischen Wesens. Ist doch der Prozeß des Erden-Daseins das Spiel einer unendlichen Wirklichkeit, die sich zuerst in einer Folge von dunkel begrenzten, undurchsichtigen, unvollständigen, halben Gestaltungen verbirgt, die durch ihre Unvollkommenheit und die Art ihrer Verkleidung die Wahrheit entstellen, die hervorzubringen sie sich müht. Sie kommt aber danach immer mehr zu halb-erleuchteten Abbildungen ihrer selbst, die, sobald die supramentale Herabkunft eintritt, zur wahren forschreitenden Offenbarung werden. Die supramentale Gnosis kann den Schritt der Herabkunft aus dem ursprünglichen Supramental und des Empornehmens des evolutionären Supramentals sehr wohl unternehmen und zur Vollendung bringen, ohne daß sie ihren wesenhaften Charakter ändert. Sie kann die Formel annehmen, daß ein Wahrheits-bewußtes Dasein auf innere Selbst-Erkenntnis gegründet ist. Zugleich kann sie die mentale Natur, die Natur von Leben und materiellem Körper zu sich empornehmen. Denn als Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen hat das Supramental in seinem dynamischen Prinzip die unendliche Macht zur freien Selbst-Bestimmung. Es kann alles Wissen in sich besitzen und doch nur das gestaltet aus sich herausstellen, was auf jeder Stufe der Evolution erforderlich ist. Es formuliert all das, was mit dem Göttlichen Willen in der Manifestation und mit der Wahrheit der Sache übereinstimmt, die manifestiert werden soll. Durch diese Macht kann das Supramental sein Wissen zurückhalten, seinen Charakter und das Gesetz seines Wirkens verbergen, das Übermental und unterhalb des Übermentals eine Welt der Unwissenheit offenbaren, in der das Seiende einwilligt, an seiner Außenseite unwissend zu sein und sich sogar unter die Herrschaft einer alles durchdringenden Nichtbewußtheit zu stellen. Auf dieser neuen Stufe wird aber die bisher angenommene Verhüllung aufgehoben. Nun will sich die Evolution bei jedem Schritt in der Macht des Wahrheits-Bewußtseins vorwärts bewegen. Ihre progressiven Entscheidungen werden von einem bewußten Wissen getroffen, nicht mehr in den Gestaltungen von Unwissenheit und Unbewußtheit.

So wie auf Erden ein mentales Bewußtsein mit seiner Macht begründet wurde, das eine Rasse mentaler Wesen bildete und die ganze für die Umwandlung bereite Erden-Natur in sich hinein- und empornehmen, so Wird jetzt auf Erden ein gnostisches Bewußtsein mit seiner Macht begründet, das eine Rasse von gnostischen spirituellen Menschen bilden und die ganze Erden-Natur in sich empornehmen wird, die für diese neue Umwandlung zubereitet ist. Hierzu wird es von oben her, fortschreitend, aus seinem eigenen Bereich des vollkommenen Lichtes, der Macht und Schönheit all das in sich aufnehmen, was bereit ist, aus jenem Bereich in das Erden-Wesen herabzukommen. Denn die Evolution vollzog sich in der Vergangenheit dadurch, daß auf jeder kritischen Stufe eine verborgene Macht aus ihrer Involution in der Unbewußtheit empordrang, daß aber auch von oben her, aus ihrer Ebene, diese Macht herabkam, die in ihrem höheren natürlichen Reich bereits selbst-verwirklicht war. Auf all diesen früheren Stufen gab es eine Trennung zwischen dem Selbst und Bewußtsein der Außenseite und dem subliminalen Selbst und Bewußtsein. Das vordergründige Wesen wurde vor allem durch den Druck der von unten empordringenden Kraft, durch das Unbewußte, gebildet, das die Gestaltung einer verborgenen Kraft des Geistes langsam hervortreten ließ. Das subliminale Wesen wurde teils auf dieselbe Weise, hauptsächlich aber durch gleichzeitiges Einströmen derselben umfangreichen Kraft von oben gebildet. Ein mentales oder ein vitales Wesen kam in die subliminalen Wesensschichten herab und gestaltete von seinem verborgenen dortigen Posten aus an der Außenseite eine mentale oder vitale Persönlichkeit. Bevor aber die supramentale Umwandlung eintreten kann, muß bereits die verhüllende Trennung zwischen den subliminalen und den äußeren Schichten niedergebrochen sein. Das Einströmen, die Herabkunft, wird im Bewußtsein als einem Ganzen und nicht nur teilweise hinter der Verhüllung stattfinden: Der Vorgang wird kein verborgener, unklarer und zwiespältiger mehr sein, sondern ein offenbares Hervorblühen, das vom ganzen Wesen bei seiner Unwandlung bewußt gefühlt und befolgt wird. In anderer Hinsicht wird der Prozeß gleichartig sein – supramentales Einströmen von oben, Herabkunft eines gnostischen Wesens in die Natur und Hervortreten der verhüllten supramentalen Kraft von unten. Einströmen und Enthüllen werden miteinander alles beseitigen, was von der Natur der Unwissenheit übrigblieb. Die Herrschaft der Unbewußtheit wird verschwinden, denn die Unbewußtheit wird durch den Ausbruch des größeren geheimen Bewußtseins in ihr, des verborgenen Lichtes, in das verwandelt werden, was sie in Wirklichkeit immer gewesen ist, ein Meer der geheimen Überbewußtheit. Die Folge davon ist eine erste Gestaltung von gnostischem Bewußtsein und gnostischer Natur.

Die Erschaffung eines supramentalen Wesens, einer supramentalen Natur und eines supramentalen Lebens auf Erden wird nicht das einzige Ergebnis dieser Evolution sein. Sie wird auch die höchste Entwicklung jener Stufen mit sich bringen, die zu ihr emporgeführt haben. Denn sie wird bestätigen, daß das Übermental, die Intuition und die anderen Grade der spirituellen Natur-Kraft in die irdische Natur hineingeboren sind und diese besitzen. Sie wird eine Rasse gnostischer Wesen bilden und eine Hierarchie aufrichten, eine leuchtende Leiter aufsteigender Stufen und aufeinanderfolgender aufbauender Gestaltungen des gnostischen Lichtes und seiner Macht in der Erden-Natur. Denn die Beschreibung als Gnosis trifft auf jedes Bewußtsein zu, das auf der Wahrheit des Seienden und nicht auf der Unwissenheit oder Nichtbewußtheit gegründet ist. Alles Leben und alle lebenden Wesen, die bereit sind, über die mentale Unwissenheit emporzukommen, aber noch nicht reif sind für den supramentalen Gipfel, würden so auf einer Art Stufenleiter oder Skala mit überschneidenden Graden ihre sichere Grundlage finden, die Zwischenstufen ihrer Selbst-Gestaltung, den Ausdruck der von ihnen verwirklichten Fähigkeit spirituellen Seins auf dem Weg zur höchsten Wirklichkeit. Wir dürfen aber auch erwarten, daß die Gegenwart des freigesetzten und nun souveränen supramentalen Lichtes und seiner Kraft auf dem Gipfel der evolutionären Natur ihre Auswirkungen auf die ganze Evolution zeitigen wird. Ein Drängen, ein entscheidender Druck würden das Leben der niederen Entwicklungsstufen beeinflussen. Ein wenig vom Licht und von der Kraft würde nach unten hindurchdringen und überall in der Natur die verborgene Wahrheits-Macht zu stärkerem Wirken erwecken. Dem Leben der Unwissenheit würde sich ein bestimmendes Prinzip von Harmonie auferlegen. Zwietracht, blindes Suchen, Zusammenprall im Widerstreit, abnormer Wechsel zwischen Maßlosigkeit und Depression, das labile Gleichgewicht unsichtbarer Kräfte, die vermischt und konfliktreich am Werk sind, würden das Einströmen fühlen. Sie würden einem geordneteren Vorgehen und harmonischen Schritten der Entwicklung des Wesens, einer mehr offenbarenden Gestaltung des fortschreitenden Lebens und Bewußtseins, einer besseren Lebens-Ordnung ihren Platz einräumen. In das menschliche Leben würde so ein freieres Spiel von Intuition, Mitempfinden und gegenseitigem Verstehen kommen, ein klareres Empfinden für die Wahrheit des Selbsts und der Dinge, ein eher erleuchteter Umgang mit den günstigen und schwierigen Umständen des Daseins.

Die Evolution würde zu einem stufenweisen Fortschreiten von einem schwächeren zu einem helleren Licht werden anstelle eines ständigen vermischten und verworrenen Ringens zwischen dem Wachstum von Bewußtsein und der Macht der Unbewußtheit, zwischen den Kräften des Lichtes und den Kräften der Finsternis. Auf jeder ihrer Stufen würden die zu dieser Stufe gehörenden bewußten Wesen auf die innere Bewußtseins-Kraft antworten und ihr kosmisches Naturgesetz zur Möglichkeit einer höheren Stufe dieser Natur ausweiten. Das ist zumindest eine hervorragende Möglichkeit, die wir als die natürliche Folge des unmittelbaren Einwirkens des Supramentals auf die Evolution ansehen können. Dieses Eingreifen kann das evolutionäre Prinzip nicht aufheben. Denn das Supramental hat ebenso die Macht, seine Wissenskraft zurückzuhalten oder in Reserve zu bewahren, wie das Vermögen, sie voll oder teilweise im Wirken einzusetzen. Das würde aber den schwierigen und leidvollen Vorgang des evolutionären Hervortretens harmonisieren, stetig machen, erleichtern, beruhigen und in starkem Maße mit Freude erfüllen.

In der Natur des Supramentals selbst gibt es etwas, das dieses wichtige Ergebnis unvermeidlich macht. In seinem Grundprinzip liegt ein auf Einheit, Integration und Harmonie hinwirkendes Bewußtsein. Wenn es herabkommt und in der Evolution auf die Verschiedenheiten des Unendlichen einwirkt, wird es seine Tendenz zur Vereinigung, sein Drängen auf Einbeziehung und seinen harmonischen Einfluß nicht verlieren. Das Übermental führt die Verschiedenheiten und auseinanderstrebenden Möglichkeiten auf ihren je eigenen divergierenden Bahnen durch. Es kann Widersprüche und Disharmonien zulassen. Es macht aber aus ihnen Elemente eines kosmischen Ganzen, so daß sie, wenn auch ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen, gezwungen sind, ihren Anteil an seiner Ganzheit beizutragen. Wir können auch sagen, das Übermental akzeptiert oder ermutigt sogar die Widersprüche. Es verpflichtet sie aber dazu, sich gegenseitig in ihrem Dasein so zu unterstützen, daß die Wege des Wesens, des Bewußtseins und der Erfahrung wohl auseinanderstreben mögen, als ob sie von dem Einen und voneinander wegführten, daß sie sich aber dennoch auf dem Weg zum Einssein erhalten und jedes, auf seinem eigenen Pfad, wieder zur Einheit zurückführen. Das ist der geheime Sinn selbst in unserer eigenen Welt der Unwissenheit, die von der Unbewußtheit her, jedoch mit dem zugrundeliegenden kosmischen Bewußtsein des Übermental-Prinzips, wirkt. In solch einer Schöpfung besitzt aber der individuelle Mensch dieses geheime Prinzip in seiner Erkenntnis nicht; er gründet auch sein Wirken nicht darauf. Ein Übermental-Mensch würde dieses Geheimnis hier wahrnehmen. Er könnte aber nur im Einklang mit der Inspiration, der dynamischen Kontrolle oder inneren Lenkung durch den Geist des Göttlichen Wesens in seinem Innern auf der Grundlage seiner eigenen Entwicklungslinie in der Natur und des Gesetzes seines Handelns, svabhava, svadharma, wirken und würde die übrigen Menschen ihren eigenen Entwicklungsbahnen innerhalb des Ganzen überlassen. So könnte eine Übermental-Schöpfung in der Unwissenheit etwas von der umgebenden Welt der Unwissenheit Abgesondertes sein. Sie wäre gegen diese durch die erleuchtete, sie umhegende und von ihr trennende Mauer des eigenen Prinzips abgeschirmt. Im Gegensatz dazu wird der supramentale gnostische Mensch seine ganze Lebensweise nicht nur auf ein inniges Empfinden und eine effektive Verwirklichung der harmonischen Einheit in seinem inneren und äußeren Leben sowie in seinem Gruppenleben gründen, sondern er wird auch eine harmonische Einheit mit der weiterlebenden mentalen Welt herstellen, selbst wenn diese Welt noch ganz und gar eine solche der Unwissenheit bliebe. Denn das gnostische Bewußtsein in ihm erkennt die sich entwickelnde Wahrheit und macht das in den Gestaltungen der Unwissenheit verborgene Prinzip der Harmonie nach außen hin wirksam. Bei seinem Empfinden für integrale Ganzheit ist das etwas Natürliches. Es liegt innerhalb seiner Macht, diese Gestaltungen der Unwissenheit in einer wahren Ordnung mit dem eigenen gnostischen Prinzip und mit der entwickelten Wahrheit und Harmonie seiner höheren Lebens-Schöpfung zu verknüpfen. Das wäre aber ohne tiefgreifende Umwandlung im Leben in der Welt unmöglich. Doch wäre ein solcher Wandel die natürliche Folge des Erscheinens einer neuen Macht in der Natur und ihres universalen Einflusses. In dem Hervortreten des gnostischen Menschen liegt also die Hoffnung auf eine harmonischere evolutionäre Ordnung in der irdischen Natur.

Eine supramentale oder gnostische Menschenrasse wird keine nach einem einzigen Typus gebildete, nach einem einzigen Muster modellierte Rasse sein. Ist doch das dem Supramental zugrundeliegende Gesetz die Einheit, die sich in der Verschiedenheit erfüllt. Darum wird es bei den Manifestationen des gnostischen Bewußtseins unendliche Verschiedenheit geben, obwohl dieses Bewußtsein in seiner Grundlage, in seinem Aufbau und in seiner alles offenbarenden und alles vereinenden Ordnung noch eines ist. Es leuchtet ein, daß sich der dreifache Zustand des Supramentals in dieser neuen Manifestation nachvollzieht. Unterhalb von ihm, und dennoch zu ihm gehörig, gibt es die Grade der übermentalen und der intuitiven Gnosis mit den Seelen, die diese Grade des emporsteigenden Bewußtseins bereits realisiert hatten. Beim weiteren Fortschreiten der Evolution im Wissen wird es aber auch auf der höchsten Stufe individuelle Wesen geben, die über die supramentale Gestaltung hinaus weiter emporsteigen und von der höchsten Höhe des Supramentals aus die Gipfel einer unitarischen Selbst-Verwirklichung im Körper erreichen, die der letzte und allerhöchste Zustand der Epiphanie der Schöpfung ist. In der supramentalen Rasse selbst werden aber die Einzelnen unterschiedlichen Rang einnehmen und nicht nach einer einzigen Art von Individualität geprägt sein. Jeder Mensch ist dort vom anderen verschieden, ist eine einzigartige Gestaltung des Wesens, obwohl er mit den übrigen im Fundament des Selbsts, des Empfindens von Einheit und im Prinzip seines Wesens eins ist. Wir können nur versuchen, von diesem allgemeinen Prinzip des supramentalen Seins uns eine, wenngleich durch die Begrenzungen des mentalen Denkens und der mentalen Sprache unzulängliche, Vorstellung zu machen. Allein das Supramental könnte ein lebendigeres Bild vom gnostischen Wesen geben. Für das Mental sind nur einige abstrakte Umrisse möglich.

Die Gnosis ist das wirkungsstarke Prinzip des Geistes, die höchste Dynamik spirituellen Seins. Der gnostische Einzelne ist die höchste Vollendung des spirituellen Menschen. Seine ganze Art zu sein, zu denken, zu leben und zu handeln wird von der Macht einer allumfassenden Spiritualität gelenkt. Für sein Selbst-Innesein werden alle Dreiheiten des Geistes wirklich; sie werden in seinem inneren Leben verwirklicht: Sein ganzes Dasein ist in das Einssein mit dem transzendenten und universalen Selbst und Geist verschmolzen. Sein ganzes Handeln entstammt dem höchsten Selbst und Geist und gehorcht deren göttlicher Lenkung der Natur. Das ganze Leben läßt ihn das Bewußte Wesen, den purusha, im Innern empfinden und findet seinen Selbst-Ausdruck in der Natur. Für ihn werden sein ganzes Leben und alle seine Gedanken, Gefühle und Handlungen mit dieser Bedeutung erfüllt und auf dem Fundament der Geistes-Wirklichkeit erbaut. Er fühlt die Gegenwart des Göttlichen Wesens in jedem Zentrum seines Bewußtseins, in jeder Schwingung seiner Lebens-Kraft, in jeder Zelle seines Körpers. Bei allem Wirken seiner Kraft in der Natur wird der gnostische Mensch dessen innesein, daß die erhabene Welt-Mutter, die Obernatur, am Werk ist. Sein natürliches Wesen wird er erkennen als das Werden und die Manifestation der Macht der Welt-Mutter. In diesem Bewußtsein wird er leben und wirken in transzendenter Freiheit, in erfüllter Freude des Geistes, in voller Identität mit dem kosmischen Selbst und in ungezwungenem Mitfühlen mit allen Wesen im Universum. Sie alle werden für ihn zu seinem eigenen Selbst, alle Arten und Mächte von Bewußtsein zu Arten und Mächten seiner eigenen Universalität. In dieser einbeziehenden Universalität könnte es keine Gebundenheit an niedere Kräfte geben. Er würde nicht von seiner höchsten Wahrheit abgelenkt werden. Denn diese Wahrheit schließt alle Wahrheit der Dinge ein und erhält jede an ihrem Platz in einer Beziehung von unterschiedlicher Harmonie. Diese läßt keine Verwirrung, keinen Zusammenstoß, keine Grenzverletzung und keine Mißklänge in den verschiedenen Harmonien zu, die die volle Harmonie bilden. Sein eigenes Leben und das der Welt werden für ihn zum vollkommenen Kunstwerk. Das wäre wie die spontane Schöpfung eines kosmischen Genies, das unfehlbar ist, wenn es seine vielfältige Ordnung ausarbeitet. Das gnostische Individuum ist in der Welt und von der Welt; es überragt sie aber auch in seinem Bewußtsein und lebt im transzendenten Selbst über ihr. Es wird allumfassend, aber im Universum frei, individuell, aber nicht durch eine gesonderte Individualität begrenzt sein. Die wahre Person ist nicht eine isolierte Wesensgestalt. Ihre Individualität ist allumfassend. Denn sie individualisiert das Universum. Sie tritt aber zugleich in einer spirituellen Luft von transzendenter Unendlichkeit in göttlicher Weise hervor wie ein hoher, über die Wolken herausragender Berggipfel. Denn die Person individualisiert die Göttliche Transzendenz.

Drei Mächte stellen sich unserem Leben als die drei Schlüssel zur Lösung seines Mysteriums dar: das Individuum, die kosmische Wesenheit und die in beiden und jenseits von ihnen gegenwärtige Wirklichkeit. Im Leben des supramentalen Menschen werden diese drei Mysterien des Seins eine geeinte Erfüllung ihrer Harmonie finden. Er wird das vollkommene und vollendete Individuum sein, das in seinem Wachstum zufrieden ist und im Ausdruck seines Selbsts seine Erfüllung gefunden hat. Denn alle seine Elemente werden bis zu einem höchsten Grad erhoben und in eine Art allumfassender Weite integriert. Um was wir hier ringen, das ist dort Vollendung und Harmonie. Worunter wir innerlich am meisten leiden, ist die Unvollkommenheit, Unfähigkeit und Disharmonie in unserer Natur. Das rührt aber daher, daß wir in unserem Wesen unvollendet, in unserer Selbst-Erkenntnis unvollkommen und im Besitz unseres Selbsts und unserer Natur mangelhaft sind. Die Gabe der supramentalen Gnosis ist vollkommene Selbst-Erkenntnis in allen Dingen und in jedem Augenblick. Mit ihr erlangen wir die völlige Meisterschaft über uns selbst, nicht nur im Sinne einer Lenkung der Natur, sondern im Sinne der Macht eines vollkommenen Ausdrucks unseres Selbsts in der Natur. Jede Erkenntnis des Selbsts, die dort möglich ist, wird vollkommen im Willen des Selbsts verkörpert, und der Wille wird vollkommen im Handeln des Selbsts verkörpert. Das Ergebnis ist die vollständige dynamische Gestaltung des Selbsts in seiner Natur. Bei den niederen Graden des gnostischen Wesens ist der Ausdruck des Selbsts je nach Verschiedenheit der Natur begrenzt. Die Vollkommenheit ist eingeschränkt, um ein Nebenelement zu formulieren. Oder es werden Elemente zur Harmonie einer göttlichen Symphonie kombiniert; dazu werden Mächte aus der kosmischen Gestalt des unendlichen mannigfaltigen Einen ausgewählt. Im supramentalen Menschen wird aber diese Notwendigkeit, um der Vollkommenheit willen zu begrenzen, verschwinden. Die Verschiedenheit wird hier nicht durch Begrenzung gesichert, sondern durch Unterschiede in der Macht und Färbung der Übernatur. Dasselbe Ganze des Wesens und dasselbe Ganze der Natur bringen sich in einer unendlich verschiedenen Art und Weise zum Ausdruck. Denn der supramentale Mensch erreicht eine neue Ganzheit, Harmonie und Gleichheit mit dem Selbst des Einen Wesens. Was an der Außenseite zum Ausdruck gebracht oder in einem gewissen Augenblick zurückgehalten wird, hängt nicht von Fähigkeit oder Unfähigkeit ab, sondern von der dynamischen Selbst-Entscheidung des Geistes: von seiner Lust am Ausdruck seines Selbsts, von der Wahrheit des Göttlichen Willens, von seiner Freude über sich selbst im Individuum, schließlich, nebenbei, auch von der Wahrheit dessen, was durch den Einzelnen im Einklang der Ganzheit getan werden muß. Denn der vollendete Einzelne ist das kosmische Individuum, da unsere Individualität nur dann vollendet sein kann, wenn wir das Universum in uns hineingenommen – und transzendiert – haben.

Da der supramentale Mensch in seinem kosmischen Bewußtsein alles als sich selbst sieht und fühlt, wird er in diesem Sinne handeln. Er wird in allumfassender Bewußtheit und einer Harmonie seines individuellen Selbsts mit dem totalen Selbst, seines individuellen Willens mit dem totalen Willen, seines individuellen Handelns mit dem totalen Handeln wirken. Denn am meisten leiden wir in unserem äußeren Leben und in dessen Rückwirkungen auf unser inneres Leben an der Unvollkommenheit unserer Beziehungen zur Welt: daran, daß wir die anderen Menschen nicht erkennen; an unserer Disharmonie mit dem Ganzen der Dinge; an unserer Unfähigkeit, unsere Forderung an die Welt mit der Forderurig der Welt an uns zum Ausgleich zu bringen. Da besteht ein Konflikt, für den es letztlich nur die eine Lösung zu geben scheint, daß wir beidem, der Welt und uns selbst, entkommen, ein Widerstreit zwischen der Durchsetzung unseres Selbsts und einer Welt, der wir diese Durchsetzung aufzwingen wollen, die aber viel zu groß für uns zu sein scheint und die gleichgültig unsere Seele, unser Mental, unser Leben und unseren Körper mit ihrem Kurs auf ihr Ziel hin überrollt. Wir haben keinen Einblick in die Beziehung zwischen unserem Kurs und Ziel und dem der Welt. Um uns damit in Einklang zu bringen, müssen wir entweder uns ihr aufzwingen und sie uns dienstbar machen, oder wir müssen uns selbst unterdrücken und ihr hörig werden. Wir müssen, was schwierig ist, das Gleichgewicht dieser beiden Notwendigkeiten, der Beziehung zwischen dem individuellen persönlichen Schicksal und dem kosmischen Ganzen und seiner verborgenen Absicht, herstellen. Für den supramentalen Menschen, der im kosmischen Bewußtsein lebt, wird eine solche Schwierigkeit nicht bestehen, da er kein Ich mehr hat. Seine kosmische Individualität erkennt die kosmischen Kräfte mit ihrer Bewegung und ihrer Bedeutung als einen Teil seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein in ihm sieht bei jedem Schritt die rechte Beziehung und findet den rechten dynamischen Ausdruck für diese Beziehung.

Tatsächlich sind beide, Individuum und Universum, gleichzeitiger und aufeinander bezogener Ausdruck des gleichen transzendenten Wesens. Zwar gibt es in der Unwissenheit und unter ihrem Gesetz falsche Anpassung und Konflikte. Es muß aber zwischen beiden auch die rechte Beziehung und ein Ausgleich bestehen, zu dem alles hinführt. Wir verfehlen ihn nur durch die Blindheit unseres Ichs und durch unseren Versuch, das Ich durchzusetzen, nicht das Selbst, das in allen eines ist. Das supramentale Bewußtsein trägt diese Wahrheit der Beziehung als sein natürliches Recht und Vorrecht in sich, da allein es die kosmischen Beziehungen und die des Individuums zum Universum bestimmt und frei und souverän als Macht der Transzendenz über sie entscheidet. Im mentalen Menschen könnte nicht einmal der Druck des kosmischen Bewußtseins, der das Ich überwältigt, und das Gewahrwerden der transzendenten Wirklichkeit als solcher eine dynamische Lösung herbeiführen. Denn es gäbe immer noch eine Unvereinbarkeit zwischen der befreiten spirituellen Mentalität und dem dunklen Leben der kosmischen Unwissenheit, die aufzulösen oder zu überwinden das Mental nicht die Macht besitzt. Im supramentalen Menschen jedoch, der nicht nur statisch, sondern auch dynamisch bewußt ist und im schöpferischen Licht und in der Macht der Transzendenz handelt, hat das supramentale Licht, das Wahrheits-Licht, rtam jyotih, diese Macht. Denn hier herrscht Einung mit dem kosmischen Selbst, nicht Gebundenheit an die Unwissenheit der kosmischen Natur in ihrer niederen Formulierung. Im Gegenteil, es gibt hier eine Vollmacht, im Licht der Wahrheit auf jene Unwissenheit einzuwirken. Umfassende Universalität des Selbst-Ausdrucks, weite harmonische Universalität des Welt-Wesens ist hier das eigentliche Kennzeichen der supramentalen Person, des Menschen in seiner gnostischen Natur.

So stellt sich das Dasein des supramentalen Wesens dar als das Spiel einer sich vielfältig und vielfach offenbarenden Wahrheits-Macht des Eins-Seins und des Eins-Bewußtseins zur Freude des Eins-Seins. Der Sinn gnostischen Lebens ist die tiefe Freude an der Manifestation des Geistes in seiner Wahrheit des Seienden. Alle seine Bewegungen sind eine Darlegung der Wahrheit des Geistes, aber auch der Freude des Geistes – eine Bestätigung des spirituellen Seins, des spirituellen Bewußtseins, der spirituellen Freude am Wesen. Trotz der zugrundeliegenden Einheit ist dies etwas anderes als die Tendenz der Selbstbehauptung in uns. Sie ist irgendwie egozentrisch und trennend, der Selbst-Behauptung anderer entgegengesetzt, gleichgültig und ungenügend aufgeschlossen für deren Forderungen an das Dasein. Dagegen wird der supramentale Mensch, im Selbst mit allen geeint, die Freude an der Selbst-Offenbarung des Geistes in sich ebenso wie die Freude des Göttlichen Wesens in allen suchen: Er wird die kosmische Freude besitzen. Er wird Macht haben, die Wonne des Geistes und die Freude am Seienden anderen zu bringen. Denn ihre Freude wird ein Teil seiner eigenen Daseins-Freude sein. Man hat es beschrieben als ein Zeichen dafür, daß ein spiritueller Mensch befreit und zu seiner Erfüllung gelangt ist, wenn er sich um das Gute für alle Wesen bekümmert und sich Freude wie Kummer anderer zu eigen macht. Der supramentale Mensch wird deshalb nicht altruistischer Selbstentäußerung bedürfen, da solche längst zu seiner Selbst-Erfüllung und zur Erfüllung des Einen in allen gehört. Darum kann es keinen Widerspruch, keine Spannung geben zwischen dem, was für ihn selbst, und dem, was für die anderen gut ist. Er braucht auch nicht erst allumfassendes Mitempfinden dadurch zu erwerben, daß er die Freuden und Kümmernisse der noch in der Unwissenheit lebenden Geschöpfe auf sich nimmt. Sein kosmisches Mitempfinden ist ein Teil der ihm eingeborenen Wahrheit des Seienden und hängt nicht von persönlicher Anteilnahme an minderer Lust und Leiden ab. Er transzendiert, was er umfaßt; in diesem Überschreiten wird seine Macht liegen. Sein universales Fühlen und Handeln wird stets eine spontane Haltung und natürliche Bewegung sein, unwillkürlicher Ausdruck der Wahrheit und ein Akt der Freude des Selbst-Seins des Geistes. Darin kann es keinen Raum geben für ein begrenztes Selbst oder für ein Begehren, für die Befriedigung oder Enttäuschung des begrenzten Selbsts, für die Befriedigung oder Enttäuschung von Begehren, keinen Raum für das relative, vom Äußeren abhängige Glück und Leid, das unsere begrenzte Natur besucht oder heimsucht. Denn diese Dinge gehören dem Ich und der Unwissenheit an, nicht aber der Freiheit und Wahrheit des Geistes.

Das gnostische Wesen besitzt den Willen zum Handeln, aber auch das Wissen von dem, was gewollt werden soll, und die Macht, sein Wissen wirksam zu machen. Es wird nicht durch die Unwissenheit dazu verleitet, das zu tun, was nicht getan werden darf. Außerdem geschieht sein Wirken nicht aus einem Streben nach Ertrag oder Erfolg. Die Freude daran liegt im Sein und im Tun, im reinen Zustand des Geistes, im reinen Handeln des Geistes, in der reinen Wonne des Geistes. So wie sein statisches Bewußtsein alles in sich enthält und darum für immer selbst-erfüllt ist, so wird die Dynamik seines Bewußtseins bei jedem Schritt und bei jedem Tun spirituelle Freiheit und Selbst-Erfüllung finden. Alles wird in seiner Beziehung zum Ganzen gesehen, so daß jeder Schritt in sich erleuchtet, freudvoll und befriedigend sein wird, da er im Einklang steht mit einer lichtvollen Ganzheit. Eigentliches Kennzeichen eines supramentalen Bewußtseins, worin es sich von den unzusammenhängenden, ohne Erkenntnis aufeinanderfolgenden Schritten unseres Bewußtseins in der Unwissenheit unterscheidet, ist dieses Bewußtsein, dieses Leben in der spirituellen Ganzheit und das Handeln aus ihr, eine befriedete Ganzheit im Wesen des Seienden und eine befriedete Ganzheit in der dynamischen Bewegung des Wesens; das Empfinden für die Beziehungen innerhalb dieser Ganzheit, das jeden Schritt begleitet. Das gnostische Sein und die Seins-Seligkeit ist ein allumfassendes Wesen und eine allumfassende Seligkeit. In jeder gesonderten Bewegung gibt es die Gegenwart dieser Ganzheit und Allheit. In einer jeden wird das Empfinden der ganzen Bewegung eines integralen Wesens und der Gegenwart seiner völligen und integralen Seins-Seligkeit, ananda, erfahren, anstelle einer partiellen Erfahrung des Selbsts oder nur eines Bruchstücks seiner Freude. Das im Handeln selbst-verwirklichte Wissen des gnostischen Menschen wird die Real-Idee des Supramentals, die Instrumentation des wesenhaften Lichtes des Bewußtseins sein, nicht aber eine ideative Erkenntnis. Es wird das Selbst-Licht aller Wirklichkeit des Seienden und Werdenden sein, das sich ständig nach außen ergießt und jeden einzelnen Akt und jede Tätigkeit mit dem reinen und vollen Entzücken seines Selbst-Seins erfüllt. Ein unendliches Bewußtsein mit seinem Wissen durch Identität erlebt in jeder Unterschiedlichkeit die Freude und Erfahrung des Identischen. In jedem Endlichen fühlt es das Unendliche.

Die Evolution des gnostischen Bewußtseins bringt eine Transformation unseres Bewußtseins von der Welt und unseres Handelns in der Welt mit sich. Denn sie nimmt in die neue Bewußtheits-Macht nicht nur die innere Erfahrung auf, sondern auch unser äußeres Wesen und unser Welt-Wesen. Beide werden neu geschaffen; sie werden in Empfinden und Macht des spirituellen Seins einbezogen. Bei dieser Umwandlung muß es bei uns sofort zu einer Umkehrung und Zurückweisung unserer gegenwärtigen Seins-Weise und zur Erfüllung ihrer inneren Richtung und Tendenz kommen. Denn wir stehen jetzt zwischen diesen beiden Begriffen, einer äußeren Welt von Leben und Materie, die uns gestaltet hat, und einer neuen Welt, die wir selbst im Sinne des sich entfaltenden Geistes erschaffen. Unsere gegenwärtige Lebensweise ist zugleich Unterwerfung unter die Lebens-Kraft und die Materie, aber auch ein Kampf mit dem Leben und mit der Materie. Von Anfang an erschafft das äußere Dasein durch unsere Reaktionen auf seine äußeren Erscheinungen ein inneres, mentales Sein. Wenn wir uns überhaupt selbst gestalten, geschieht das bei den meisten Menschen weniger durch bewußten Druck einer freien Seele oder Intelligenz von innen, als vielmehr durch Reaktion auf unsere Umgebung und auf die Natur der Welt, die auf uns einwirkt. Das Ziel aber, auf das wir uns bei Entwicklung unseres bewußten Wesens hinbewegen, ist ein inneres Sein, das durch seine Erkenntnis und Macht seine äußere Lebensform und die sein Selbst ausdrückende Lebens-Umwelt erschafft. In der gnostischen Natur kommt diese Bewegung zu ihrem höchsten Ziel. Unsere äußere Lebensweise erbaut dann ein vollendetes inneres Sein, dessen Licht und Macht im äußeren Leben vollkommene Gestalt annehmen wird. Der gnostische Mensch nimmt die Welt von Leben und Materie an. Er wird sie aber seiner Wahrheit und dem Zweck seines Daseins anpassen. Er wird das Leben selbst nach seinem eigenen spirituellen Bild umformen. Das kann er fertigbringen, weil er das Geheimnis einer spirituellen Schöpfung besitzt und sich in Gemeinschaft und Einheit mit dem Schöpfer in seinem Innern befindet. Zuerst wird es dadurch wirksam werden, daß sich sein inneres und äußeres individuelles Dasein umgestaltet. Dieselbe Macht und dasselbe Prinzip werden aber auch in jedem gemeinsamen gnostischen Leben wirksam. Die Beziehungen zwischen gnostischen Wesen werden Ausdruck ihres einen gnostischen Selbsts und der Übernatur sein, die alles gemeinsame Dasein in eine bedeutungsvolle Macht und Form ihrer selbst gestaltet.

In allem spirituellen Leben ist in erster Linie das innere Leben wichtig. Der spirituelle Mensch lebt stets in seinem Innern. In einer Welt der Unwissenheit, die ihre Umwandlung verweigert, muß er sich in gewissem Sinn von dieser absondern und sein inneres Leben gegen das Eindringen und den Einfluß der dunkleren Mächte der Unwissenheit schützen. Er steht außerhalb der Welt, selbst wenn er mitten in ihr ist. Wirkt er auf sie ein, so geschieht das von der Burg seines inneren spirituellen Wesens aus, wo er im innersten Heiligtum eins ist mit dem höchsten Sein, wo allein seine Seele und Gott beieinander sind. Das gnostische Leben ist ein inneres Leben, in dem der Gegensatz von innen und außen, von Selbst und Welt, versöhnt und überwunden sein wird. Das gnostische Wesen wird in Wahrheit ein inneres Sein besitzen, in dem es mit Gott allein ist, eins mit dem Ewigen, selbst-versunken in die Tiefen des Unendlichen, in Kommunion mit dessen Höhen und mit den erleuchteten Abgründen seines Geheimnisses. Nichts wird es in diesen Tiefen stören oder in sie eindringen können; nichts wird es von diesen Höhen herabziehen können, weder die Inhalte der Welt, noch sein Wirken, noch alles, was ihn umgibt. Das ist der Aspekt der Transzendenz spirituellen Lebens. Für die Freiheit des Geistes ist er notwendig.

Andernfalls wäre die Identität mit der Natur in der Weit eine begrenzende Bindung und keine freie Identität. Zugleich ist die Gottes-Liebe und die Seligkeit in Gott der Ausdruck des Herzens für jene innere Gemeinschaft und Einheit. Und diese Freude und Liebe wird sich ausdehnen und das ganze Dasein umfassen. Der Friede, Gottes im Innern wird in der gnostischen Erfahrung des Weltalls zur universalen Ruhe, zu einem nicht nur passiven, sondern kraftgeladenen gelassenen Gleichmut. Eine Stille von Freiheit in Einheit herrscht über allem, was ihm begegnet: Sie wird alles beruhigen, was in sie eintritt. Sie wird ihr Gesetz von Frieden den Beziehungen des supramentalen Menschen mit der Welt auferlegen, in der er lebt. In all sein Handeln begleitet ihn das innere Einssein, die innere Kommunion. Sie geht in alle seine Beziehungen zu anderen Menschen ein, die nun für ihn nicht mehr die Anderen sind, sondern Selbste seiner selbst, in dem einen Sein, in seinem eigenen universalen Sein. Diese Gelassenheit und diese Freiheit im Geist werden ihn befähigen, alles Leben in sich hineinzunehmen und doch das spirituelle Selbst zu bleiben, selbst die Welt der Unwissenheit zu umfassen, ohne selbst in die Unwissenheit hineingerissen zu werden.

Wird doch seine Erfahrung des kosmischen Daseins – durch dessen Naturgestalt und infolge seiner individuellen Zentrierung – diejenige eines Menschen sein, der im Universum lebt, zugleich aber auch die eines Menschen, der das Universum und alle seine Wesen in seinem Innern trägt, weil er sich in seinem Einssein selbst nach außen verstreut und ausdehnt. Dieser ausgeweitete Zustand des Wesens ist nicht nur eine Ausdehnung im Einssein des Selbsts oder nur eine solche in begrifflicher Idee und Schau, sondern eine Ausweitung des Einsseins im Herzen, in den Sinnen, in einem konkreten physischen Bewußtsein. Der gnostische Mensch hat kosmisches Bewußtsein, kosmischen Sinn und kosmisches Empfinden, durch die alles objektive Leben zu einem Teil seines subjektiven Daseins wird, so daß er das Göttliche Wesen in allen Gestaltungen erkennen, wahrnehmen, fühlen, sehen und hören kann. Alle Gestaltungen und Bewegungen werden von ihm erkannt, empfunden, gesehen, gefühlt, als ob sie in dem eigenen weiten Selbst seines Wesens stattfänden. Die Welt wird nicht nur mit seinem äußeren, sondern mit seinem inneren Leben verbunden. Er begegnet der Welt nicht nur in ihrer äußeren Gestalt durch äußeren Kontakt. Er steht auch innerlich mit dem inneren Selbst der Dinge und Wesen in Beziehung.

Er nimmt bewußt sowohl ihre inneren wie ihre äußeren Reaktionen auf. Er nimmt wahr, was in ihrem Innern ist, dessen sie selbst nicht bewußt sind. Er wirkt mit innerem Verständnis auf alle ein und begegnet ihnen in vollkommenem Mitempfinden und dem Gefühl des Einsseins, doch auch mit einer Unabhängigkeit, die durch keinen Kontakt überwältigt wird. Sein Wirken auf die Welt ist zumeist inneres Wirken durch die Macht des Geistes, durch die spirituell-supramentale Ideen-Kraft, die sich in der Welt selbst ihre Form gibt: durch das geheime ungesprochene Wort, die Macht des Herzens, dynamische Lebenskraft, durch die alles umhüllende und in alles eindringende Macht des Selbsts, das eines ist mit allen Dingen. Das äußerlich zum Ausdruck kommende sichtbare Handeln ist nur die Randerscheinung einer äußersten Projektion dieser umfassenderen einzigen Ganzheit und Aktivität.

Zugleich bleibt aber das allumfassende innere Leben des Einzelnen nicht auf inneren Kontakt beschränkt, der die physische Welt durchdringt und einschließt. Der Einzelne dehnt ihn weiter aus, weil er die natürliche Verbindung seines subliminalen inneren Wesens mit anderen Ebenen des Seienden voll verwirklicht. Erkenntnis ihrer Mächte und Einflüsse wird zum normalen Element der inneren Erfahrung. Die Ereignisse dieser Welt werden nicht allein in ihrem äußeren Aspekt gesehen, sondern auch im Lichte all dessen, was hinter der physischen und irdischen Schöpfung und Bewegung verborgen ist. Der gnostische Mensch besitzt nicht nur eine der Wahrheit bewußte Beherrschung der erkannten Macht des Geistes über seine physische Welt, sondern auch die Vollmacht über die mentalen und vitalen Ebenen. Er kann ihre stärkeren Kräfte für die Vervollkommnung des physischen Daseins einsetzen. Dieses größere Wissen und diese umfassendere Macht über alles Dasein vermehrt erheblich die Herrschaft der Instrumentation des gnostischen Wesens über seine Umgebung und über die Welt der physischen Natur.

Im Selbst-Sein, dessen dynamisches Wahrheits-Bewußtsein das Supramental ist, gibt es für das Wesen nur das eine Ziel, zu sein; für das Bewußtsein nur das eine Ziel, des Wesens bewußt zu werden; für die Seins-Seligkeit nur das eine Ziel, diese Wonne zu erfahren. Das All ist eine Ewigkeit, die aus dem Selbst existiert, die im Selbst ihr Genüge hat. Die Manifestation, das Werden, hat in ihrer ursprünglichen supramentalen Bewegung denselben Charakter. Sie trägt und erhält in einem aus dem Selbst seienden und im Selbst genügsamen Rhythmus eine Aktivität des Wesens, die sich als vielfältiges Werden erkennt. Die Aktivität des Bewußtseins nimmt die Form vielfältiger Selbst-Erkenntnis an; die Aktivität der Kraft des bewußten Seins existiert für die Herrlichkeit und Schönheit ihrer vielfältigen Wesens-Macht; die Aktivität der Seligkeit nimmt zahllose Formen von Freude an. Sein und Bewußtsein des supramentalen Menschen hier in der Materie müssen im wesentlichen von derselben Art sein. Doch kennzeichnen untergeordnete Eigenschaften den Unterschied zwischen dem Supramental auf seiner eigenen Ebene und einem Supramental, das im Erden-Dasein in seiner manifestierten Macht wirkt. Denn hier wird es zu einem sich entwickelnden Wesen, zu einem sich entwickelnden Bewußtsein, zu einer sich entwickelnden Seins-Seligkeit. Der gnostische Mensch erscheint als Zeichen für eine Entwicklung aus dem Bewußtsein der Unwissenheit in das Bewußtsein von saccidananda. Wir befinden uns in der Unwissenheit hauptsächlich, um zu wachsen, um zu erkennen und zu handeln, oder genauer gesagt, um in etwas hineinzuwachsen, um durch das Erkennen zu einem Ziel zu gelangen, damit etwas getan wird. Da wir unvollkommen sind, finden wir in unserem Wesen keine Befriedigung. Wir müssen unter innerem Zwang, unter Mühen und Schwierigkeiten, darum ringen, in etwas hineinzuwachsen, das wir nicht sind. Da wir unwissend und mit dem Bewußtsein unserer Unwissenheit belastet sind, müssen wir zu einem Zustand gelangen, in dem wir fühlen, daß wir wissen. Gefesselt an unsere Unfähigkeit, müssen wir nach Stärke und Einfluß jagen. Gepeinigt vom Bewußtsein unserer Leiden, müssen wir versuchen, daß etwas geschieht, durch das wir einige Lebensfreude erlangen oder eine zufriedenstellende Lage des Lebens festhalten können. Das Dasein zu erhalten, ist uns in der Tat erstes Bemühen und erste Notwendigkeit. Es ist jedoch nur unser Ausgangspunkt; denn die bloße Erhaltung eines unvollkommenen, von Leiden zerquälten Daseins kann nicht befriedigendes Ziel für unser Wesen sein. Der instinktive Daseins-Wille, die Lust am Dasein, die alles ist, was die Unwissenheit aus der dem Leben insgeheim zugrundeliegenden Macht und Glückseligkeit, ananda, herausholen kann, muß durch das Bedürfnis ergänzt werden, zu handeln und zu werden. Wir haben aber keine klare Erkenntnis davon, was wir tun und was wir werden sollen. So raffen wir zusammen, was wir an Wissen, Macht, Stärke, Reinheit, Frieden und Freude bekommen können. Wir werden zu dem, was wir werden können. Aber all unser Streben und unser Bemühen, etwas davon zu erlangen, und das wenige, das wir als unseren Gewinn festhalten können, wandelt sich in Fangstricke, mit denen wir gefesselt werden. Jene Dinge werden dann zu unserem Lebensziel: Aber unsere Seele zu erkennen und unser Selbst zu sein, was doch die Zielrichtung für den wahren Weg unseres Wesens sein müßte, ist ein Geheimnis, das uns völlig entgeht, da wir uns vordringlich mit dem Erlernen äußerer Dinge, mit der Aufstellung äußerer Erkenntnis-Konstruktionen, mit dem Erfolg in äußerem Wirken und mit Freude an äußeren Dingen befassen. Der spirituelle Mensch dagegen hat seine Seele entdeckt. Er hat sein Selbst gefunden und lebt darin. Er ist seines Selbsts bewußt und hat seine Freude daran. Für die Vollkommenheit seines Daseins benötigt er die äußeren Dinge nicht. Der gnostische Mensch, der von dieser neuen Grundlage ausgeht, nimmt unser unwissendes Werden auf und wandelt es in ein erleuchtetes Werden der Erkenntnis und erkannte Macht des Seienden um. Darum bringt er all das, was wir in der Unwissenheit zu werden versuchen, im Wissen zur Vollendung. Er verwandelt alle Erkenntnis in eine Manifestation des Selbst-Wissens des Seienden. Alle Macht und alles Wirken macht er zu einer Macht und zu einem Wirken der Selbst-Kraft des Seienden. Alle Lust erhöht er zur universalen Seligkeit von Selbst-Sein. Jede Hörigkeit und Gebundenheit fällt dann weg, da das Selbst-Sein bei jedem Schritt und in jedem Ding seine volle Befriedigung findet, da sich das Licht des Bewußtseins selbst zur Erfüllung bringt, da das Entzücken der Seins-Seligkeit sich selbst findet. Auf jeder Stufe der Evolution im Wissen werden diese Macht, dieser Wille des Wesens und diese Freude am Sein entfaltet. Das ist ein freies Werden, das durch das Empfinden des Unendlichen, die Wonne des brahman und die erleuchtete Sanktion der Transzendenz getragen und gefördert wird.

Die supramentale Transformation, die supramentale Evolution muß eine Erhöhung von Mental, Leben und Körper mit sich bringen. Sie werden aus sich heraus in eine höhere Art des Wesens emporgehoben, in der aber ihre Eigentümlichkeiten und Mächte nicht unterdrückt oder beseitigt, vielmehr durch dieses Emporkommen über sich selbst hinaus vervollkommnet und erfüllt werden. In der Unwissenheit sind alle unsere Wege die Pfade des Geistes, auf denen dieser blind oder mit zunehmendem Licht nach sich selbst sucht. Das gnostische Wesen und Leben ist die Selbst-Entdeckung des Geistes. Nun schaut und erreicht er die Ziele all dieser Pfade, jedoch in der höheren Art seiner eigenen, jetzt geoffenbarten und bewußten Wahrheit des Seienden. Das Mental sucht nach Licht, nach Erkenntnis, – nach Wissen um die einzige Wahrheit, auf die sich alle Wahrheiten gründen; nach der wesenhaften Wahrheit des Selbsts und der Dinge; aber auch nach dem, was aller Wahrheit der Mannigfaltigkeit in diesem Einssein zugrundeliegt, all seinem Detail und Umstand, der vielfältigen Art von Wirken und Form, von Gesetz, Bewegung und Ereignis, der verschiedenen Manifestation und Schöpfung. Für das denkende Mental besteht die Freude am Dasein im Entdecken und Durchdringen des Mysteriums der Schöpfung, das wir mit der Erkenntnis erreichen. Das erfüllt die gnostische Umwandlung in reichem Maße. Sie wird dem Erkennen aber einen neuen Charakter geben. Die Erkenntnis arbeitet hier nicht durch die Entdeckung des Unbekannten, sondern sie bringt das bereits Gewußte zum Vorschein. Alles wird zum Finden “des Selbsts durch das Selbst im Selbst”. Denn das Selbst des gnostischen Menschen ist nicht das mentale Ich, sondern der Geist, der eins ist mit allen. Darum schaut der gnostische Mensch die Welt als Universum des Geistes. Er findet in ihr die eine, allen Dingen zugrundeliegende Wahrheit: Das Identische entdeckt überall Identität und identische Wahrheit; es entdeckt auch die Macht, die Wirkweisen und Beziehungen dieser Identität. Die Offenbarung des Details, des Umstands, der überreichen Arten und Formen der Manifestation ist das Enthüllen der endlos reichen Fülle der Wahrheiten dieser Identität, der Formen und Mächte des Selbsts, ihrer überraschenden Vielfalt und Menge der Formen, die ihre Einheit auf unendliche Weise offenbar machen. Diese Erkenntnis entwickelt sich dadurch weiter, daß das gnostische Wesen sich mit allen identifiziert, in alle eingeht durch eine Berührung, die mit einem Sprung eine höhere Selbst-Entdeckung und das Aufflammen von Einsichten einbringt, eine Intuition in die Wahrheit, die größer und gesicherter ist, als das Mental sie erreichen kann. Das führt auch zu einer Intuition in die Art und Weise, wie die geschaute Wahrheit zu verkörpern und zu verwenden ist, zu einer praktisch-brauchbaren Intuition in ihre dynamischen Prozesse, zur unmittelbaren inneren Bewußtheit, die das Leben und die physischen Sinne bei jedem Schritt ihres Wirkens und ihres Dienstes am Geist lenkt, wenn sie als Werkzeuge zur erfolgreichen Durchführung eines Verfahrens in Leben und Materie eingesetzt werden müssen.

Der Charakter jeder gnostischen Erkenntnisbewegung und Wissensbetätigung äußert sich so: Das intellektuelle Suchen wird ersetzt durch die supramentale Identität und die gnostische Intuition der Inhalte der Identität. Der Geist ist mit seinem Licht überall gegenwärtig und durchdringt den ganzen Erkenntnisprozeß und alle Verwendung des Wissens, so daß es zu einer Vereinigung von Erkennendem, Erkenntnis und erkannter Sache, von dem das Erkennen betätigenden Bewußtsein, seinen Werkzeugen und der durchgeführten Angelegenheit kommt. Das einzelne Selbst wacht derweilen über der integralen Bewegung und bringt sich innerlich in ihr zum Ausdruck. Es macht sie zu einer makellosen Einheit von Selbst-Verwirklichung. Das beobachtende und beurteilende Mental müht sich darum, sich von dem, was es zu erkennen hat, zu distanzieren und es objektiv und wirklichkeitsgetreu zu sehen. Es versucht, dieses als Nicht-Selbst, als eine unabhängige andersartige Wirklichkeit zu erkennen, die vom Vorgang des persönlichen Denkens oder durch die Gegenwart des Selbsts nicht beeinträchtigt wird. Das gnostische Bewußtsein kann sofort, von innen her und genau, seinen Gegenstand durch umfassend-verstehende und eindringende Identifikation mit ihm erkennen. Es geht über das hinaus, was es zu erkennen hat, bezieht es aber ein. Es erkennt den Gegenstand ebenso als einen Teil seiner selbst, wie es jede Seite oder Regung seines Wesens erkennt, ohne daß es sich durch die Identifizierung einengt oder sein Denken sich so in ihr verfangen läßt, daß es in seiner Erkenntnis gebunden oder begrenzt wäre. Hier herrscht die unmittelbare Gewißheit, Genauigkeit, eine Fülle unmittelbarer innerer Erkenntnis, weil das Bewußtsein einer allumfassenden, nicht einer begrenzten und ich-gebundenen Person gehört. Es ist nicht jene Selbst-Täuschung des persönlichen Mentals, durch die wir ständig irren. Das führt weiter zu einer All-Erkenntnis, die nicht die eine Wahrheit der anderen entgegenstellt, um zu sehen, weiche sich durchsetzen und überleben wird. Vielmehr vervollständigt die eine Wahrheit die andere im Licht der alleinigen Wahrheit, von der alle nur Aspekte sind. Jede Idee, Schau und Wahrnehmung trägt diesen Charakter eines inneren Sehens, einer inneren ausgedehnten Selbst-Wahrnehmung, einer umfassenden, vom Selbst her einbeziehenden Erkenntnis eines unteilbaren Ganzen, das sich auswirkt, indem Licht in einer sich selbst verwirklichenden Harmonie des Wahrheits-Wesens auf Licht einwirkt. Das ist eine Entfaltung des Lichts, keine Entbindung von Licht aus Finsternis, vielmehr wie eine Geburt von Licht aus sich selbst. Denn wenn ein supramentales Bewußtsein in seiner Entwicklung einen Teil seiner Inhalte an Selbst-Erkenntnis in sich zurückhält, tut es das nicht als einen Schritt oder Akt der Unwissenheit, sondern bringt es absichtsvoll etwas aus seinem zeitlosen Wissen in den Ablauf der Zeit-Manifestation hervor. Die Erkenntnis-Methode dieser evolutionären supramentalen Natur ist Selbst-Erleuchtung, eine Offenbarung von Licht aus Licht.

So wie das Mental nach Licht sucht, um Wissen und Meisterschaft durch Wissen zu entdecken, so sucht das Leben nach der Entfaltung der eigenen Kraft und nach Meisterschaft durch Kraft. Sein Verlangen ist auf Wachstum gerichtet, auf Macht, Eroberung, Besitz, Befriedigung, Schöpfung, Freude, Liebe, Schönheit. Seine Daseins-Freude ist, sich ständig auszudrücken, sich zu entwickeln, in mannigfaltiger Weise zu handeln, zu erschaffen, zu genießen, in großer Fülle sich selbst und seine Macht zu erleben. Die gnostische Evolution erhebt das zu seinem höchsten und vollsten Ausdruck. Sie handelt aber nicht, um dem mentalen oder vitalen Ich Macht, Befriedigung und Genuß zu verschaffen, den engen Besitz seiner selbst und Ausübung seiner gierigen, ehrgeizigen Macht über andere Menschen und Dinge, damit es sich noch stärker durchsetzt und sein aufgeblasenes Ich verkörpert. Läßt sich doch auf solche Weise keine spirituelle Fülle und Vollkommenheit erreichen. Das gnostische Leben existiert und wirkt für das Göttliche Wesen in ihm selbst und in der Welt und für das Göttliche Wesen in allen. Für das gnostische Wesen ist es Sinn des Lebens, daß das individuelle Wesen und die Welt immer mehr von der Göttlichen Gegenwart, ihrem Licht, ihrer Macht, Liebe, Freude und Schönheit in Besitz genommen wird. In der immer befriedigenderen Vervollkommnung dieser zunehmenden Offenbarung findet auch der Einzelne seine Befriedigung. Seine Macht wird zur Instrumentation der Macht der Obernatur, um jenes größere Leben und die höhere Art in die Welt zu bringen und in ihr auszuweiten. Was das an Eroberung und Abenteuer im Gefolge hat, dient nur jenem Ziel, nicht aber der Herrschaft irgendeines individuellen oder kollektiven Ichs. Liebe ist für den gnostischen Menschen Berührung, das Sichbegegnen, die Einung von Selbst mit Selbst, von Geist mit Geist, eine Vereinigung des Wesens, die Macht, Freude, Innerlichkeit und Nähe von Seele zu Seele, des Einen zum Einen; sie ist die Freude an der Identität und an den Auswirkungen ihrer Mannigfaltigkeit. Für ihn liegt der völlig offenbarte Sinn des Lebens in dieser Freude an einer innig verbundenen, sich selbst offenbarenden Mannigfaltigkeit des Einen, an der vielfältigen Einheit des Einen und an einer frohen gegenseitigen Einwirkung in der Identität. Denselben Sinn haben für ihn die Schöpfung, die ästhetische oder dynamische Schöpfung, das mentale, vitale und materielle Erschaffen, die Schönheit und Wahrheit der Formen und Körper des Ewigen, die Schönheit und Wahrheit seiner Mächte und Eigenschaften, die Schönheit und Wahrheit seines Geistes, seine gestaltlose Schönheit von Selbst und wesentlichem Sein.

Als Folge der völligen Umwandlung und Umkehrung des Bewußtseins, die eine neue Beziehung des Geistes zu Mental, Leben und Materie, sowie eine neue Bedeutung und Vollkommenheit in dieser Beziehung herstellt, kommt es auch zu einer Umkehrung, einer vervollkommnenden neuen Bedeutung der Beziehung zwischen dem Geist und dem Körper, den er bewohnt. In unserer gegenwärtigen Lebensweise drückt sich die Seele, so gut sie kann oder so schlecht sie muß, durch das Mental und die Vitalität aus. Öfters aber konzediert sie dem Mental und der Vitalität, selbst nur mit ihrer Unterstützung zu wirken: Der Körper ist das Werkzeug dieses Wirkens. Aber auch wenn der Körper gehorcht, begrenzt und bestimmt er den Selbst-Ausdruck von Mental und Leben durch die beschränkten Möglichkeiten und den erworbenen Charakter seiner eigenen physischen Instrumentierung. Außerdem hat er ein Gesetz für sein eigenes Wirken, eine Bewegung und einen Willen, eine Kraft oder das Drängen einer Regung seiner unterbewußten oder halb-hervorgetretenen bewußten Macht seines Wesens, das sie nur zum Teil beeinflussen oder verändern können. Und selbst in diesem Teil können sie mehr durch mittelbare als durch unmittelbare, und wenn unmittelbar, mehr durch unterbewußte als durch gewollte und bewußte Einwirkung ausrichten. Bei der gnostischen Art von Wesen und Leben muß aber der Wille des Geistes unmittelbar die Bewegungen und das Gesetz des Körpers lenken und bestimmen. Denn der Körper steht unter einem Gesetz, das vom Unterbewußten und Unbewußten her wirkt. Im gnostischen Menschen ist indessen das Unterbewußte bewußt geworden und der supramentalen Herrschaft untergeordnet; es wird von deren Licht und Wirken durchdrungen. Die Grundlage der Unbewußtheit mit ihrer dunklen Zweideutigkeit, ihrer Widersetzlichkeit oder trägen Reaktion wird durch das Hervortreten des Supramentals in ein niederes oder unterstützendes Überbewußtsein umgewandelt. Der Körper wird bereits im verwirklichten Wesen des Höheren Mentals, im Intuitiven Mental sowie im Übermental genügend bewußt, so daß er auf den Einfluß der Idee und der Willens-Kraft reagieren kann. Dadurch wird die Einwirkung des Mentals auf die physischen Seiten, die in uns rudimentär, chaotisch und zumeist unwillkürlich ist, zu einer beträchtlichen Macht entwickelt. Im supramentalen Menschen wird aber alles durch das Bewußtsein beherrscht, das die Real-Idee in sich enthält. Diese Real-Idee ist eine Wahrheits-Wahrnehmung, die sich selbst wirksam durchsetzt. Ist sie doch die Idee und der Wille des Geistes in seiner unmittelbaren Aktion. Sie ruft eine Bewegung in der Substanz des Wesens hervor, die sich unvermeidlich in Zustand und Handeln des Menschen auswirken muß. Dieser dynamische unwiderstehliche spirituelle Realismus des Wahrheits-Bewußtseins auf der höchsten Stufe seiner selbst ist hier im entwickelten gnostischen Wesen bewußt und als solcher leistungsfähig geworden. Es handelt nicht mehr, wie bisher, unverhüllt in scheinbarer Unbewußtheit und durch das Gesetz des Mechanismus selbst-eingeschränkt, sondern wirksam aus dem Selbst als die souveräne Wirklichkeit. Diese beherrscht das Dasein mit ganzem Wissen und voller Macht und bezieht in ihre Herrschaft auch die Funktionen und Tätigkeiten des Körpers mit ein. Durch die Macht des spirituellen Bewußtseins wird der Körper in ein zuverlässiges, geeignetes und völlig aufgeschlossenes Werkzeug des Geistes verwandelt.

Diese neue Beziehung zwischen Geist und Körper setzt – und ermöglicht – an Stelle einer Zurückweisung die freie Annahme des Ganzen der materiellen Natur. Nun ist nicht mehr geboten, daß wir uns aus ihr zurückziehen, jede Identifikation mit ihr oder ihre Annahme verweigern, wie es zuerst normalerweise zwingend für das spirituelle Bewußtsein um seiner Befreiung willen ist. Die Identifizierung mit dem Körper aufzugeben und sich vom Körper-Bewußtsein zu trennen, ist ein Schritt, der sowohl für die spirituelle Befreiung wie für die spirituelle Vollkommenheit und Bemeisterung der Natur anerkannt und für notwendig gehalten wurde. Wenn diese Befreiung aber wirksam geworden ist, kann das spirituelle Licht mit seiner Kraft in den Körper eindringen und ihn emporheben. Dann kann man die materielle Natur auf neue, befreite und souveräne Weise annehmen. Das ist in der Tat nur dann möglich, wenn die Gemeinschaft von Geist und Materie verwandelt wird, wenn es zu einer Lenkung und Umkehrung des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses kommt, das der physischen Natur bisher erlaubte, den Geist zu verhüllen und ihre eigene Vorherrschaft durchzusetzen. Im Licht umfassenden Wissens kann man auch die Materie als das brahman ansehen, als eine von brahman aus sich herausgestellte Selbst-Energie, als eine Form von Substanz des brahman. Das gnostische Licht und seine Macht des geheimen Bewußtseins, die im Innern der materiellen Substanz bewußt und in diesem umfassenderen Wissen sicher sind, können sich mit der so geschauten Materie einen und sie als Werkzeug zur spirituellen Offenbarung annehmen. Es ist sogar eine gewisse Ehrfurcht vor der Materie und eine sakramentale Haltung bei allem Umgang mit ihr möglich. So wie in der Gita vom Akt der Nahrungsaufnahme als einem materiellen Sakrament, einem Opfer, einer Darbringung des brahman an brahman durch brahman gesprochen wird, so können auch das gnostische Bewußtsein und seine Sinne alle Formen der Einwirkung des Geistes auf die Materie als dasselbe ansehen. Der Geist hat sich selbst zur Materie gemacht, um sich hier darzubieten als Instrument für Wohlbefinden und Freude, yogaksema, der erschaffenen Wesen, als Selbst-Opfer zu universalem physischen Nutzen und Dienst. Wenn der gnostische Mensch die Materie verwendet, dies aber ohne materiellen oder vitalen Hang, ohne ein Verlangen tut, wird er fühlen, daß er den Geist in dieser Form seiner selbst mit dessen Zustimmung und Sanktion für dessen eigenen Zweck gebraucht. In ihm wird es eine gewisse Achtung für physische Dinge geben, ein Wahrnehmen des verborgenen Bewußtseins in ihnen, ihres dumpfen Willens, nützlich und dienstbar zu sein. So wird er das Göttliche Wesen, brahman, in allem verehren, was er verwendet. Er wird sein göttliches Material sorgsam, vollkommen fehlerlos gebrauchen zum wahren Rhythmus, rechter Harmonie und Schönheit im Leben der Materie und bei ihrer Verwendung.

Im weiteren Verlauf dieser neuen Beziehung zwischen Geist und Körper bewirkt die gnostische Evolution die Spiritualisierung, Vervollkommnung und Erfüllung des physischen Wesens. Sie tut für den Körper dasselbe wie wir für das Mental und das Leben. Neben dem, was im Körper dunkel, schwach und begrenzt ist – was diese Umwandlung überwinden wird –, ist das Körper-Bewußtsein ein geduldiger Diener. Mit seiner gewaltigen Reserve an Möglichkeiten kann es zum machtvollen Instrument des individuellen Lebens werden. Es verlangt nur wenig für seine eigenen Bedürfnisse. Es begehrt vor allem Fortdauer, Gesundheit, Kraft, physische Vervollkommnung, körperliches Glück, Befreiung vom Leiden, Ruhe. Diese Forderungen sind an sich nicht verwerflich, niedrig oder rechtswidrig. Sie übertragen doch nur in die Begriffe der Materie die Vervollkommnung von Gestalt und Substanz, Macht und Wonne, die ganz natürlich aus dem Geist ausströmen und seine ausdrucksvolle Offenbarung sind. Sobald die gnostische Kraft im Körper wirkt, können diese Dinge dauerhaft wirksam werden. Denn das, was ihnen entgegengesetzt ist, rührt von einem Druck äußerer Kräfte auf das physische Mental, auf das nervliche und materielle Leben, auf den Organismus des Körpers und von einer Unwissenheit her, die nicht weiß, wie sie diesen Kräften entgegentreten soll, oder nicht fähig ist, ihnen richtig oder mit Macht zu begegnen. Dazu kommt eine gewisse Verdunkelung, die den Stoff des physischen Bewußtseins durchdringt und seine Reaktion verzerrt, so daß es darauf falsch antwortet. Eine supramentale Bewußtheit und Erkenntnis, die vom Selbst her wirkt und sich selbst wirksam macht, ersetzt diese Unwissenheit. Sie befreit die verdunkelten und verdorbenen intuitiven Antriebskräfte im Körper, stellt sie wieder her, erleuchtet sie und versorgt sie mit mehr bewußter Wirkkraft. Diese Umwandlung stellt her und erhellt die rechte physische Wahrnehmung der Dinge, die rechte Beziehung zu ihnen und die rechte Reaktion auf Gegenstände und Energien, sowie den rechten Rhythmus von Mental, Nerven und Organismus. In den Körper bringt sie eine höhere spirituelle Macht ein, sowie mehr Lebens-Kraft, die, vereint mit der universalen Lebens-Kraft, fähig ist, von dorther Energie zu beziehen. Dazu erleuchtet sie zur Harmonie mit der materiellen Natur und verleiht das weite, ruhige Eingehen in die ewige Stille, die ihr göttliche Stärke und Beruhigung geben kann. Darüber hinaus – und das ist die wichtigste und fundamentale Umwandlung – durchflutet sie das ganze Wesen mit einer erhabenen Bewußtseins-Kraft, die alle Kräfte des Daseins, die den Körper umgeben und Druck auf ihn ausüben, in sich hineinnimmt, assimiliert und mit sich in Einklang bringt.

Die Unvollkommenheit und Schwäche der Bewußtseins-Kraft, die sich im mentalen, vitalen und physischen Wesen offenbart, ihre Unfähigkeit, die auf sie gerichteten Einwirkungen der universalen Energie willenhaft aufzunehmen oder zurückzuweisen oder, falls sie sie aufnimmt, zu assimilieren und zu harmonisieren, ist die Ursache von Schmerz und Leiden. Im Reich der Materie beginnt die Natur in völliger Unempfindlichkeit. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß sich entweder eine verhältnismäßige Unempfindlichkeit oder sehr geringe Empfindlichkeit oder, noch öfters, ein größeres Vermögen zum Aushalten von Leiden und eine härtere Haltung ihnen gegenüber in den Anfängen des Lebens, im Tier, im primitiven oder wenig entwickelten Menschen findet. In dem Maß, in dem der Mensch in der Evolution wächst, nimmt auch seine Empfindlichkeit zu.

Er leidet stärker in Mental, Leben und Körper, denn das Wachstum in seinem Bewußtsein wird nicht genügend von seinem Wachstum an Kraft unterstützt. Der Körper wird subtiler, feiner, empfindsamer, in seiner äußeren Kraft aber weniger fest und leistungsfähig. Darum muß der Mensch seinen Willen, seine mentale Macht zuhilfe rufen, um sein nervliches Wesen zu stärken, zu korrigieren und zu kontrollieren. Er muß es zu den anstrengenden Aufgaben zwingen, die er von seinen Instrumenten verlangt. Er muß es gegen Leiden und Katastrophen stählen. Bei seinem spirituellen Aufstieg vermehrt sich außerordentlich diese Macht des Bewußtseins und sein Wille über die Werkzeuge, die Kontrolle des Geistes und des inneren Mentals über die äußere Mentalität und das nervliche Wesen sowie über den Körper. Ruhige und weite Gelassenheit des Geistes allen Erschütterungen und Einwirkungen gegenüber tritt ein und wird zur gewohnten Haltung. Sie kann vom Mental auf die vitalen Schichten übergehen und auch dort Kraft und Frieden erheblich ausweiten und dauerhaft machen. Dieser Zustand kann sich sogar im Körper bilden und von innen her den Erschütterungen von Kummer, Schmerz und allen Arten von Leid begegnen. Es kann sogar zu einer Kraft gewollter physischer Unempfindlichkeit kommen. Oder man kann die Fähigkeit erwerben, sich mental von jeglicher Erschütterung und Verletzung zu lösen, was beweist, daß die schwächliche Unterwerfung des körperlichen Ichs unter die gewöhnlichen Reaktionen auf die materielle Natur nicht zwangsläufig und unabänderlich ist. Noch bedeutungsvoller ist die auf der Ebene des spirituellen Mentals oder des Übermentals hervortretende Macht, die uns die Schwingungen von Schmerzen in solche von ananda umwandeln läßt. Wenn das auch nur bis zu einem gewissen Punkt gelingt, weist es doch auf die Möglichkeit hin, die Gesetzmäßigkeit des reagierenden Bewußtseins völlig umzukehren. Das kann auch mit einer Macht zur Selbst-Verteidigung verbunden werden, die die Erschütterungen zurückweist, die wir nur unter größeren Schwierigkeiten umwandeln oder aushalten könnten. Auf einer gewissen Stufe muß die gnostische Entwicklung eine Vollkommenheit dieser Zurückweisung und dieser Macht zur Selbst-Verteidigung bewirken, die den Anspruch des Körpers auf Unverletzbarkeit und gelassene Freude erfüllt und in ihm das Vermögen aufbaut, sich in vollem Maße am Dasein zu erfreuen. Ein spirituelles ananda kann in den Körper einströmen und Zellen und Gewebe durchfluten. Eine erleuchtete Materialisation dieses höheren ananda könnte von sich aus eine vollständige Umwandlung der mangelhaften oder schädlichen Empfindlichkeiten der körperlichen Natur zustandebringen. Insgeheim besteht zwar in der ganzen Anlage unseres Wesens ein Streben, ein Verlangen nach der höchsten, vollkommenen Seins-Seligkeit, das aber verhüllt ist durch die Absonderung der naturhaften Schichten unseres Wesens. Deren unterschiedliches Drängen ist verdunkelt durch deren Unfähigkeit, mehr zu begreifen oder zu fassen als oberflächliche Lust. Im Körperbewußtsein nimmt dieses Verlangen die Gestalt eines Bedürfnisses nach körperlichem Glück an. In den vitalen Schichten ist es Sehnsucht nach Lebens-Glück, eine stark schwingende Reaktion auf vielseitige Freude, auf Entzücken und jede überraschende Befriedigung. Im Mental gestaltet es sich zu einem bereitwilligen Empfangen aller Formen mentaler Freude. Auf einer höheren Ebene erscheint es in dem Wunsch des spirituellen Mentals nach Frieden und göttlicher Ekstase. Dieses Streben gründet in der Wahrheit unseres Wesens. Denn ananda ist die wahre Essenz von brahman; es ist die höchste Natur der allgegenwärtigen Wirklichkeit. Das Supramental selbst geht auf den absteigenden Stufen der Manifestation aus ananda hervor und im evolutionären Aufstieg wieder in ananda ein. In Wirklichkeit ist es aber nicht in dem Sinne mit ihm verschmolzen, daß es ausgelöscht und zunichte wird. Vielmehr ist es in ihm ursprünglich daheim, ununterscheidbar vom Selbst der Bewußtheit und der selbst-wirksamen Kraft der Seligkeit des Seienden. Sowohl bei seiner involutionären Herabkunft als auch bei seiner evolutionären Rückkehr wird das Supramental von der ursprünglichen Seins-Seligkeit unterstützt und trägt diese bei all seinen Betätigungen als deren förderndes Wesen in sich. Denn im Geist ist Bewußtsein sozusagen die Vater-Macht; aber ananda ist der spirituelle Mutter-Schoß, aus dem sich das Supramental offenbart, und der es erhaltende Ursprung, in den es die Seele bei ihrer Rückkehr in den Zustand des Geistes zurückbringt. Steigt die supramentale Manifestation weiter hinauf, so erfährt sie als nächstfolgende Stufe und höchsten Gipfel dessen, was das Selbst erreicht, eine Manifestation der Seligkeit von brahman: Auf die Entwicklung des Wesens der Gnosis folgt die Entwicklung des Wesens der Seligkeit. Als ihre Konsequenz wird die Verkörperung des gnostischen Seins zu einer Verkörperung des glückseligen Seins führen. Immer ist im Wesen der Gnosis und im Leben der Gnosis eine gewisse Macht von ananda als unabtrennbares und durchdringendes Kennzeichen für die supramentale Selbst-Erfahrung vorhanden. Bei der Befreiung der Seele aus der Unwissenheit ist die erste Grunderfahrung Friede, Ruhe, das Schweigen und die Stille des Ewigen und Unendlichen. Eine noch höhere Macht und größere Gestaltung des spirituellen Aufstiegs erhebt diesen Frieden der Befreiung in die Seligkeit einer vollkommenen Erfahrung und Verwirklichung der ewigen Glückseligkeit, zur Wonne des Ewigen und Unendlichen. Dieses ananda ist dem gnostischen Bewußtsein als allumfassende Seligkeit innerlich zu eigen und wird mit der Entwicklung der gnostischen Natur weiter wachsen.

Man hat gemeint, Ekstase sei nur ein niederer und vergänglicher Übergang; der Friede des Erhabenen sei die höchste Verwirklichung, die alles überhöhende, bleibende Erfahrung. Das mag auf der Ebene des spirituellen Mentals wahr sein. Dort ist die erste erlebte Ekstase tatsächlich eine spirituelle Entrückung. Diese kann aber häufig mit einem höchsten Glücksgefühl der vitalen Schichten vermischt sein, die vom Geist ergriffen werden. Begeisterung, Frohlocken, Erregung, intensivste Freude des Herzens und die reine innere Empfindung der Seele können ein wunderbares Durchgangs-Erlebnis, eine erhebende Kraft sein, sind aber keine letzte und bleibende Grundlage. Auf den höchsten Erhebungen spiritueller Seligkeit fehlen Begeisterung und Erregung. Statt dessen gibt es dort einen unermeßlich hohen Grad der Teilnahme an einer ewigen Ekstase, die sich auf das ewige Sein und darum auf glückselige Ruhe und ewigen Frieden gründet. Friede und Ekstase hören dort auf, etwas Verschiedenes zu sein; sie werden eins. Das Supramental versöhnt und verschmilzt ebenso alle Unterschiede wie alle Widersprüche; es bringt diese Einheit zustande. Zu den ersten Stufen der Selbst-Verwirklichung gehören eine umfassende Ruhe und eine tiefe Freude des All-Seins. Diese Ruhe und diese Seligkeit sind aber ein einziger Zustand und erheben sich zusammen in eine wachsende Kraftfülle, bis sie ihren Höhepunkt in der ewigen Ekstase, in der Wonne erreichen, die das Unendliche ist. Im gnostischen Bewußtsein existiert wohl stets auf jeder Stufe diese grundlegende spirituelle bewußte Seins-Seligkeit bis zum gewissen Grad in der ganzen Tiefe des Wesens. Es werden aber auch alle Bewegungen der Natur von ihr durchdrungen, ebenso alle Aktionen und Reaktionen des Lebens und Körpers: Nichts kann sich dem Gesetz von ananda entziehen. Einen Anfang dieser fundamentalen Ekstase des Wesens, die sich in vielfältiger Schönheit und Seligkeit darstellt, kann es schon vor der gnostischen Umwandlung geben. Sie überträgt sich im Mental in die Stille einer starken Freude an spiritueller Wahrnehmung, Schau und Erfahrung. Im Herzen bewirkt sie eine weite, tiefe oder leidenschaftliche Wonne in universaler Einung, Liebe, Sympathie und Freude an den Wesen und an den Dingen. Im Willen und in den vitalen Schichten fühlt man sie als die freudige Energie einer göttlichen Lebens-Macht im Handeln oder als eine Glückseligkeit der Sinne, die den Einen überall wahrnehmen und antreffen. Als ihre normale ästhetische Empfindung der Dinge schauen sie die universale Schönheit und geheime Harmonie der Schöpfung, von der unser Mental nur unvollkommene Ahnungen oder ein seltenes übernormales Empfinden aufnehmen kann. Im Körper offenbart sich ananda als ein Entzücken, das aus den Höhen des Geistes in ihn einströmt, als Friede und Wonne eines reinen spiritualisierten physischen Daseins. Die universale Schönheit und Herrlichkeit des Wesens manifestiert sich immer mehr. Alle Gegenstände offenbaren verborgene Linien, Schwingungen, Mächte, harmonische Bedeutungen, die vor dem normalen Mental und den physischen Sinnen verborgen sind. In den Erscheinungen des Universums wird das ewige ananda enthüllt.

Das sind die ersten größeren Ergebnisse der spirituellen Transformation, die notwendigerweise aus der Natur des Supramentals erfolgen. Wenn es aber nicht nur zu einer Vervollkommnung des inneren Seins, des Bewußtseins einer inneren Seins-Seligkeit kommen soll, sondern zu einer Vervollkommnung des Lebens und Handelns, erheben sich von unserer mentalen Betrachtungsweise her zwei Fragen, die für unser Denken über unser Leben und seine Dynamik beträchtliche, ja primäre Bedeutung haben. Die erste fragt nach dem Ort der Persönlichkeit im gnostischen Menschen – ob der Zustand, die Struktur des Menschen ganz anders sein werde als das, was wir als die Gestalt und das Leben der Person erfahren, oder ob sie ihr ähnlich sind. Wenn es eine Persönlichkeit gibt und diese irgendwie verantwortlich für ihre Handlungen sein soll, erhebt sich hier die zweite Frage nach dem Ort des sittlichen Elements und seiner Vervollkommnung und Erfüllung in der gnostischen Natur. Nach der allgemeinen Annahme ist das separative Ich unser Selbst. Müsse das Ich in einem transzendentalen oder universalen Bewußtsein verschwinden, dann müsse auch das personale Leben und Handeln aufhören. Denn wenn das Individuum verschwinde, könne es nur ein apersonales Bewußtsein, ein kosmisches Selbst, geben. Wenn aber das Individuum völlig ausgelöscht werde, sei jede weitere Frage nach Personalität, Verantwortlichkeit oder sittlicher Vervollkommnung gegenstandslos. Einer anderen Richtung zufolge bleibt die spirituelle Person bestehen, sie ist jedoch befreit, geläutert in ihrer Natur und in einem himmlischen Sein. Hier seien wir aber noch auf der Erde; darum werde vermutet, die Ich-Personalität werde ausgelöscht und durch einen universalisierten spirituellen Einzelnen ersetzt, der Zentrum und Macht des transzendenten Wesens sei. Man könnte schließen, dieses gnostische oder supramentale Individuum sei selbst ohne Persönlichkeit, es sei ein apersonaler purusha. Es könne zwar viele gnostische Individuen geben, gebe aber keine Persönlichkeit; alle seien dasselbe nach Wesen und Natur. Das würde wiederum die Vorstellung von einer Leere oder dem Blanko eines reinen Wesens wachrufen, von dem die Aktivität und Funktion eines erfahrenden Bewußtseins ausgehe, das aber selbst ohne die Struktur einer solchen differenzierten Personalität wäre, wie wir diese jetzt beobachten und in unserer äußeren Person für uns selbst halten. Das wäre jedoch eher eine mentale als eine supramentale Lösung des Problems einer spirituellen Individualität, die das Ich überlebt und in der Erfahrung weiterbesteht. Im Supramental-Bewußtsein sind Personalität und Apersonalität keine entgegengesetzten Prinzipien. Sie sind untrennbare Aspekte einer und derselben Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist nicht das Ich, sondern das Wesen, das im Stoff seiner Natur apersonal und universal ist, aber aus ihm eine es zum Ausdruck bringende Persönlichkeit bildet, die in den Wandlungen der Natur seine Form des Selbsts ist.

Apersonalität ist in ihrem Ursprung etwas Fundamentales und Universales. Sie ist ein Sein, eine Kraft, ein Bewußtsein, das verschiedene Ausgestaltungen seines Wesens und seiner Energie annimmt. Jede solche Gestaltung von Energie, Qualität, Macht oder Kraft wird, obwohl sie an sich noch allgemein, apersonal und universal ist, vom individuellen Wesen als Material angenommen, um aus ihm seine Persönlichkeit aufzubauen. So ist also in der ursprünglichen undifferenzierten Wahrheit der Dinge die Apersonalität die reine Substanz der Natur des Wesens, die Person. In der dynamischen Wahrheit der Dinge differenziert sie ihre Mächte und leiht sie aus, um durch ihre Variationen die Offenbarung der Persönlichkeit zu konstituieren. Liebe ist die Natur des Liebenden, Mut ist die Natur des Kriegers. Liebe und Mut sind apersonale und universale Kräfte oder Formulierungen der kosmischen Kraft. Sie sind Mächte des Geistes, seines universalen Wesens und seiner universalen Natur. Die Person ist das Wesen. Sie trägt und fördert das, was so apersonal ist. Sie behält es in sich als ihr Eigenes, als die Natur ihres Selbsts. Die Person ist das, was der Liebende, der Krieger eigentlich ist. Was wir die Personalität der Person nennen, ist ihre Ausdrucksform im Natur-Zustand und im Natur-Wirken. In ihrem Selbst-Sein ist sie ursprünglich und letztlich viel mehr als das. Sie stellt eine Gestaltung ihres Selbsts heraus als ihr manifestiertes, bereits entwickeltes natürliches Wesen oder als ihr Selbst in der Natur. In dem gestalteten, begrenzten Individuum ist sie der personale Ausdruck dessen, was apersonal ist. Wir können sagen, sie hat sich das Personale angeeignet, um ein Material zu haben, mit dem sie ein bedeutungsvolles Abbild ihrer selbst in der Manifestation herstellen kann. In ihrem ungeformten, unbegrenzten Selbst, in ihrem wirklichen Wesen, in der wahren Person, dem purusha, ist sie das nicht, sondern enthält sie unbegrenzte und universale Möglichkeiten. Als das göttliche Individuum gibt sie ihnen aber ihre eigene Richtung in der Manifestation, so daß jede unter den Vielen ein einzigartiges Selbst des einen Göttlichen Wesens ist. Das Göttliche Wesen, das Ewige, stellt sich nach außen dar als Sein, Bewußtsein, Seligkeit, Weisheit, Wissen, Liebe, Schönheit. Wir können es uns als diese apersonalen und universalen Mächte seiner selbst vorstellen, sie als die Natur des Göttlichen und des Ewigen ansehen. So können wir sagen: Gott ist Liebe, Gott ist Weisheit, Gott ist Wahrheit oder Gerechtigkeit: Er selbst ist aber nicht ein apersonaler Zustand oder ein Abstraktum von Zuständen oder Eigenschaften. Er ist das Wesen, zugleich absolut, universal und individuell. Wenn wir von dieser Grundlage aus die Dinge betrachten, gibt es offensichtlich keinen Gegensatz, keine Unvereinbarkeit, keine Unmöglichkeit einer Koexistenz oder einer einheitlichen Existenz des Apersonalen und der Person. Jede ist auch die andere. Sie leben ineinander, verschmelzen miteinander. Dennoch können sie irgendwie erscheinen, als seien sie die verschiedenen Enden und Seiten derselben Wirklichkeit, ihre Vorderseite und ihre Rückseite. Das gnostische Wesen ist von der Natur des Göttlichen Wesens. Darum wiederholt es in sich selbst dieses natürliche Mysterium des Seins.

Ein supramentaler gnostischer Einzelmensch ist eine spirituelle Person, aber keine Persönlichkeit nach dem Muster einer feststehenden Kombination festliegender Eigenschaften, also kein festgelegter Charakter. Er kann das nicht sein, da er ein bewußter Ausdruck des Universalen und Transzendenten ist. Sein Wesen kann aber auch kein unverantwortliches apersonales Dahinfließen sein, das willkürlich Wellen verschiedener Gestalt, Wogen der Persönlichkeit aufwirft, wenn es sich so durch die Zeit ergießt. Etwas Ähnliches mag man bei Menschen fühlen, die in ihren Tiefen keine starke zentralisierende Person haben, sondern aus einer Art verworrener Multipersonalität, je nach dem Element handeln, das in ihnen zur Zeit vordringlich wird. Das gnostische Bewußtsein ist aber ein Bewußtsein von Harmonie, von Erkenntnis des Selbsts und von Meisterschaft aus dem Selbst; es kann keine solche Unordnung hervorbringen. Gewiß gibt es verschiedene Auffassungen über das, was eine Persönlichkeit und einen Charakter ausmacht. Nach der einen Anschauung sieht man Persönlichkeit an als eine feststehende Struktur von erkennbaren Eigenschaften, die eine Macht des Wesens ausdrücken. Eine andere Auffassung unterscheidet Persönlichkeit und Charakter. Persönlichkeit ist das Strömen eines das Selbst ausdrückenden oder empfindenden oder reagierenden Wesens. Charakter ist geformte Festigkeit des Naturaufbaus. Aber ein Strömen der Natur und eine Festigkeit der Natur sind zwei Aspekte, von denen keiner allein und auch nicht beide zusammen eine Definition von Persönlichkeit sein können. Gibt es doch in allen Menschen ein doppeltes Element, das ungeformte, wenn auch begrenzte Strömen des Wesens oder der Natur, aus dem die Persönlichkeit gestaltet wird; und die personale Formgestalt aus diesem Strömen. Die Ausgestaltung mag starr werden oder verknöchern, sie mag genügend formbar bleiben, um sich ständig zu wandeln und zu entwickeln. Sie entwickelt sich aber aus dem gestaltungsfähigen Strömen, indem sie die Persönlichkeit verändert oder ausweitet oder neu prägt. Gewöhnlich geschieht das nicht durch Vernichtung einer bereits hergestellten Gestaltung oder indem diese durch eine neue Form des Wesens ersetzt wird, – es kann nur bei abnormer Wandlung oder übernormaler Bekehrung geschehen. Neben diesem Strömen und dieser Verfestigung gibt es aber noch ein drittes, verborgenes Element: die Person im Hintergrund, von der die Persönlichkeit ein Selbst-Ausdruck ist. Die Person stellt die Persönlichkeit in den Vordergrund als ihre Rolle, ihren Charakter, persona, im gegenwärtigen Akt des langen Dramas des manifestierten Daseins. Die Person ist aber umfassender als ihre Persönlichkeit. So mag es sein, daß dieses innere Übermaß in die vordergründige Gestaltung überströmt. Ergebnis ist, daß sich das Wesen selbst in einer Weise zum Ausdruck bringt, die man nicht länger mit festen Eigenschaften, normalen Äußerungen der Stimmung oder exakten Umrissen beschreiben oder durch irgendwelche strukturellen Begrenzungen markieren kann. Es ist aber auch kein Strömen ohne Unterschied, das völlig gestaltlos und ungreifbar wäre: Obwohl das Wirken dieses Selbst-Ausdrucks der Natur, jedoch nicht er selbst, charakterisiert werden kann, ist er doch ausdrücklich fühlbar. Man kann ihn bei seinem Wirken verfolgen, man kann ihn erkennen. Nur kann man ihn nicht leicht beschreiben. Ist er doch eher eine Macht des Wesens als eine Struktur. Die gewöhnliche begrenzte Persönlichkeit kann man durch eine Beschreibung der in ihrem Leben, Denken und Handeln ausgeprägten Charaktereigenschaften, durch ihre ganz deutliche äußere Struktur und den Ausdruck ihres Selbsts erfassen. Selbst wenn uns das, was nicht so deutlich ausgedrückt ist, entgehen sollte, würde das doch offensichtlich unser im allgemeinen angemessenes Verständnis nur wenig mindern, da das übersehene Element gewöhnlich wenig mehr ist als ein gestaltloses Rohmaterial, der Teil des Strömens, der nicht verwendet wurde, um einen bedeutungsvolleren Teil der Persönlichkeit zu gestalten. Eine solche Beschreibung wäre aber jämmerlich unangemessen, um der Person Ausdruck zu verleihen, sobald sich die Macht ihres Selbsts im Innern in reicherem Maß manifestiert und die verborgene Macht ihres (ihrer Göttlichkeit, d. Ü.) in die Zusammensetzung im Vordergrund und in das Leben hervortreten läßt. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Lichtes von Bewußtsein, einer Macht, eines Meeres von Energie. Wir können diese freien Wogen von Aktivität und Qualität unterscheiden und beschreiben, die Gegenwart selbst aber nicht deutlich fixieren. Und dennoch haben wir den Eindruck von Persönlichkeit, von der Gegenwart eines machtvollen Wesens, von einem starken, hohen und schönen erkennbaren Irgendwer, von einer Person, nicht von einem begrenzten Geschöpf der Natur, sondern von einem Selbst, von einer Seele, von purusha. Der gnostische Einzelmensch wird eine solche innere unverhüllte Person sein, die beides in einem geeinten Selbst-Innesein umfaßt, die Tiefen – die sich nicht länger selbst verhüllen – und das Vordergründige. Er ist nicht eine nur äußere Persönlichkeit, die ein umfassenderes geheimes Wesen nur teilweise zum Ausdruck bringt. Er ist nicht nur eine Welle, sondern er ist der Ozean: Er ist der purusha, das selbstenthüllte innere bewußte Sein. Eine künstlich geformte ausdrucksvolle Maske, die persona, hat er nicht mehr nötig.

So ist also die Natur der gnostischen Person ein unendliches und allumfassendes Wesen, das sein ewiges Selbst durch bedeutungsvolle Form und in der individuellen und zeitlichen Selbst-Manifestation sich ausdrückende Macht offenbart – oder unsere mentale Unwissenheit ahnen läßt. Die Manifestation der individuellen Natur, ob in ihren Umrissen scharf und unterscheidbar oder vielgestaltig, vielfältig, proteisch, doch noch harmonisch, wäre vorhanden als Hinweis auf das Wesen, nicht als das ganze Wesen: Man fühlt jenes Wesen dahinter. Es ist erkennbar, aber nicht definierbar. Es ist unendlich. Auch das Bewußtsein der gnostischen Person ist ein unendliches Bewußtsein. Es projiziert Gestaltungen, um sich auszudrücken. Es bleibt aber immer seiner uneingeschränkten Unendlichkeit und Universalität inne. Es überträgt Macht und Gefühl seiner Unendlichkeit und Universalität in die Endlichkeit ihrer Ausdrucksformen – durch die es überdies nicht an der weiteren Bewegung seiner Selbst-Offenbarung gehindert wird. Das ist aber noch kein ungeregeltes, unkenntliches Strömen, sondern ein Prozeß der Selbst-Offenbarung, der die innewohnende Wahrheit seiner Seins-Mächte im Einklang mit dem harmonischen Gesetz sichtbar macht, das jeder Manifestation des Unendlichen natürlich ist.

Aus dieser Art seiner gnostischen Individualität entsteht nun, vom Selbst determiniert, der Charakter von Leben und Wirken des gnostischen Menschen. In ihm kann es kein Sonderproblem ethischen oder anderen Inhalts geben, keinen Konflikt zwischen Gut und Böse. Tatsächlich kann dort überhaupt kein Problem entstehen, denn Probleme sind Schöpfungen mentaler Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie können nicht in einem Bewußtsein existieren, in dem das Wissen entsteht, das aus dem Selbst geboren ist, und wo das Handeln aus dem Wissen selbst geboren wird, aus einer präexistenten Wahrheit des Wesens, das bewußt und des Selbsts inne ist. Eine wesenhafte und universale spirituelle Wahrheit des Wesens manifestiert sich selbst. Sie bringt sich in ihrer eigenen Art und ihrem das Selbst verwirklichenden Bewußtsein frei zur Erfüllung. Das ist eine Wahrheit des Wesens, die in allen Menschen, selbst in der unendlichen Verschiedenheit ihrer Wahrheit, eins ist und die alles als eines fühlen läßt. Diese Wahrheit ist eigentlich ein wesenhaftes und universales Gutes, das sich manifestiert, sich in seiner eigenen Natur und in dem das Selbst wirksam machenden Bewußtsein zur Erfüllung bringt. Sie ist eine Wahrheit des Guten, das in allen Menschen und für alle, sogar in der unendlichen Verschiedenheit ihres Guten, eins ist. Die Reinheit des ewigen Selbst-Seins ergießt sich in alles Handeln und macht und erhält so alle Dinge rein. Da könnte es keine Unwissenheit geben, die zu unrechtem Wollen und zu fehlerhaften Schritten führt. Es ist auch kein trennender Egoismus möglich, der durch seine Unwissenheit und seinen separaten Gegen-Willen sich selbst oder anderen Schaden zufügt, der von seinem Ich getrieben wird, mit seiner eigenen Seele, mit seinem Mental, Leben oder Körper in unrechter Weise umzugehen, oder der auf Seele, Mental, Leben und Körper anderer Menschen falsch einwirkt. Das alles ist die praktische Ursache alles Bösen unter den Menschen. Emporzukommen in ein Jenseits von Tugend und Sünde, von Gut und Böse, ist ein wesentlicher Teil der vedantischen Idee der Befreiung. Aus dieser Wechselbeziehung ergibt sich eine von selbst einleuchtende Folge. Denn Befreiung bedeutet, daß wir in die wahre spirituelle Natur des Wesens eintreten, wo jedes Wirken automatisch Selbst-Ausdruck jener Wahrheit ist und es nichts anderes geben kann. In der Unvollkommenheit und im Widerstreit unserer Wesensseiten zeigt sich ein Bemühen, zum rechten Maßstab für unser Verhalten zu kommen und diesen zu beachten. Das ist Ethik, Tugend, verdienstvolles Leben, punya. Anders zu handeln, ist Sünde, nicht verdienstvoll, papa. Das ethische Mental proklamiert ein Gesetz der Liebe, ein Gesetz der Gerechtigkeit, ein Gesetz der Wahrheit, Gesetze ohne Zahl, schwer zu halten, schwierig miteinander in Einklang zu bringen. Ist aber das Einssein mit den anderen Menschen, das Einssein mit der Wahrheit bereits das Wesenhafte der erkannten spirituellen Natur, dann ist kein Gesetz der Wahrheit und der Liebe mehr notwendig. Jetzt freilich muß noch das Gesetz, der Maßstab für unser Verhalten, uns aufgezwungen werden, weil es in unserem natürlichen Wesen noch eine Gegen-Macht der Absonderung gibt, eine Möglichkeit der Feindschaft, eine Kraft der Zwietracht, des bösen Willens, des Streites. Alle Ethik ist die Konstruktion eines Guten in einer Natur, die von den aus der Finsternis geborenen Mächten der Unwissenheit mit dem Bösen heimgesucht wurde, wie das in der alten Legende des Vedanta dargestellt wird. Wo aber alles durch die Wahrheit des Bewußtseins und der Wahrheit des Wesens selbstbestimmt ist, kann es keinen Standard des Guten, keinen Kampf, ihn einzuhalten, keine Tugend oder Verdienste, keine Sünde oder Schuld in unserer Natur geben. Die Macht von Liebe, Wahrheit und rechtem Willen wird hier herrschen, nicht als ein mental konstruiertes Gesetz, sondern als die eigentliche Substanz und Konstitution unserer Natur. Sie werden durch die Integration des Wesens auch mit Notwendigkeit zum eigentlichen Stoff und zur konstituierenden Natur unseres Handelns. In diese Natur unseres wahren Wesens, in die Natur der spirituellen Wahrheit und des Einsseins emporzuwachsen, ist die Befreiung, die wir durch die Evolution des spirituellen Wesens erlangen: Die gnostische Entwicklung verleiht uns die vollständige Dynamik, daß wir so zu uns selbst zurückkehren können. Sobald das getan ist, verschwindet die Notwendigkeit für Maßstäbe der Tugend, dharma. Hier gilt allein das Gesetz und die Selbst-Ordnung der Freiheit des Geistes. Es kann hier kein von außen auferlegtes oder konstruiertes Gesetz für das Verhalten, dharma, geben. Alles wird zu einem Ausströmen aus dem Selbst der spirituellen Selbst-Natur, zum svadharma des svabhava.

Hier kommen wir zum Kern des dynamischen Unterschieds zwischen einem Leben in der mentalen Unwissenheit und einem Leben im gnostischen Wesen und in der gnostischen Natur. Es ist der Unterschied zwischen einem integrierten voll bewußten Menschen, der in vollem Besitz seiner eigenen Seins-Wahrheit diese Wahrheit in seiner eigenen Freiheit ausarbeitet, frei von allen selbst-konstruierten Gesetzen, während sein Leben dennoch eine Erfüllung aller wahren Gesetze des Werdens in ihrer wesenhaften Bedeutung ist, und dem Menschen in einem unwissenden, selbst-zerteilten Dasein, das nach seiner Wahrheit sucht, um seine Ergebnisse in Gesetzen festzulegen und sein Leben nach einem so hergestellten Muster zu gestalten. Jedes wahre Gesetz ist der rechte Vorgang und Entwicklungsprozeß einer Wirklichkeit, einer Energie oder Macht des Seienden in Aktion, das die ihm innewohnende Bewegung, die seiner Seins-Wahrheit zugrundeliegt, zur Erfüllung bringt. Dieses Gesetz mag unbewußt sein, sein Wirken mag als mechanisch erscheinen – bei dem Gesetz der materiellen Natur ist das so oder scheint es zumindest so zu sein. Es kann auch eine bewußte Energie sein, die in ihrem Wirken frei bestimmt wird vom Bewußtsein im Wesen, das seines eigenen Wahrheits-Gebots und seiner formbaren Möglichkeiten zum Selbst-Ausdruck dieser Wahrheit ebenso bewußt ist, wie es auch stets im ganzen und jeden Augenblick im einzelnen der aktuellen Dinge inne ist, die es zu verwirklichen hat: Das ist die Darstellung des Gesetzes des Geistes. Vollkommene Freiheit des Geistes, eine völlig im Selbst seiende Ordnung, die aus dem Selbst erschafft, aus dem Selbst wirksam und in der eigenen natürlichen und unvermeidlichen Bewegung ihrer selbst sicher ist, das ist der Charakter dieser Dynamik der gnostischen Übernatur.

Auf dem Höhepunkt des Wesens steht das Absolute mit seiner absoluten Freiheit der Unendlichkeit, aber auch mit der absoluten Wahrheit seiner selbst und der Macht dieser Wahrheit des Wesens. Diese beiden Aspekte wiederholen sich im Leben des Geistes in der Übernatur. Dort ist alles Wirken das Wirken des höchsten Selbsts, des höchsten ishvara, in der Wahrheit der Übernatur. Es ist zugleich die Wahrheit des Wesens des Selbsts und die mit dieser Wahrheit geeinte Wahrheit des Willens des ishvara – eine zweieinige Wirklichkeit –, die sich in jedem individuellen gnostischen Wesen im Einklang mit seiner Übernatur zum Ausdruck bringt. Die Freiheit des gnostischen Einzelnen ist seine geistige Freiheit, die Wahrheit seines Wesens und die Macht seiner Energie im Leben dynamisch zur Erfüllung zu bringen. Das heißt aber zugleich, daß seine Natur der Wahrheit des Selbsts, die in seinem Sein geoffenbart ist, und dem Willen des Göttlichen Wesens in ihm und in allen gehorcht. Dieser All-Wille ist ein einziger in jedem gnostischen Einzelnen, in vielen gnostischen Individuen und in dem bewußten All, das sie enthält und besitzt. Dieser All-Wille ist in jedem gnostischen Menschen seiner selbst bewußt und dort eins mit dessen eigenem Willen. Zugleich ist dieser Einzelne dessen bewußt, daß der gleiche Wille, das gleiche Selbst und dieselbe Energie in allen verschieden aktiv ist. Solch gnostisches Bewußtsein und solch gnostischer Wille, der seines Einsseins in vielen gnostischen Individuen bewußt ist, der auch um ihre übereinstimmende Ganzheit und die Bedeutung und Gemeinsamkeiten in ihrer Verschiedenheit weiß, muß eine symphonische Bewegung, die Bewegung von Einheit, Einklang und Gegenseitigkeit im Zusammenwirken des Ganzen sicherstellen. Zugleich sichert er im Einzelnen Einheit und symphonische Übereinstimmung aller Mächte und Bewegungen seines Wesens. Alle Energien des Wesens suchen ihren Selbst-Ausdruck. In ihrer höchsten Entfaltung erstreben sie ihr Absolutes. Dies finden sie im erhabenen Selbst. Zugleich entdecken sie dort ihr höchstes Einssein, die Harmonie und Gegenseitigkeit eines geeinten und gemeinsamen Selbst-Ausdrucks in seiner alles schauenden und alles vereinenden dynamischen Macht von Selbst-Bestimmung und Selbst-Verwirklichung, die supramentale Gnosis. Ein gesondertes selbstseiendes Wesen kann mit anderen separaten Wesen in Spannungen leben, mit dem universalen All, in dem sie zusammen existieren, in Widerstreit liegen und sich in einem Zustand von Widerspruch befinden gegen jede höchste Wahrheit, die sich im Universum zum Ausdruck bringen will. Das geschieht mit dem Einzelnen in der Unwissenheit, da er seinen Standpunkt im Bewußtsein gesonderter Individualität einnimmt. Es kann auch einen ähnlichen Konflikt, einen Zwist, eine Unvereinbarkeit geben zwischen den Wahrheiten, Energien, Eigenschaften, Mächten und Wesensarten, die im Einzelnen und im Universum als getrennte Mächte wirken. Eine Welt voller Konflikt, ein Widerstreit in uns selbst, der Gegensatz des Einzelnen zu seiner Umwelt sind normale und unvermeidliche Erscheinungen des trennenden Bewußtseins der Unwissenheit und unseres schlecht harmonisierten Daseins. Im gnostischen Bewußtsein kann das aber nicht geschehen, da dort jeder sein vollkommenes Selbst findet und alle ihre Wahrheit und den Einklang ihrer verschiedenen Bewegungen in Jenem entdecken, das sie alle überragt und dessen Ausdruck sie sind. Darum herrscht im gnostischen Leben völliger Einklang zwischen dem freien Selbst-Ausdruck des Wesens und seinem unwillkürlichen Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das der höchsten und universalen Wahrheit der Dinge innewohnt. Das sind für ihn die miteinander verbundenen Seiten der einen Wahrheit. Das ist auch die eigene höchste Wahrheit seines Wesens, die sich in der geeinten Wahrheit seiner selbst und der Dinge in der einen Obernatur auswirkt. Dort gibt es auch völlige Übereinstimmung zwischen den vielen und verschiedenen Mächten des Wesens und ihres Wirkens. Denn auch die Mächte, die in ihrer hervortretenden Bewegung widerspruchsvoll sind und, wenn wir sie mental erfahren, miteinander in Streit zu liegen scheinen, fügen sich und ihr Wirken auf natürliche Weise ineinander, da jede Macht ihre Wahrheit des Selbsts und die Wahrheit ihrer Beziehung zu den anderen hat und diese in der gnostischen Übernatur im Selbst gegründet und aus dem Selbst gestaltet wird.

Darum wird in der supramentalen gnostischen Natur nicht mehr die starre Art und der harte Stil einer festen Regel, einer einschränkenden Standardisierung, die Aufnötigung einer festgelegten Reihe von Prinzipien notwendig sein. Man braucht das Leben nicht in ein System oder in ein Schema hineinzuzwängen, das allein Geltung haben soll, weil es vom Mental als die einzig richtige Wahrheit des Wesens und Verhaltens anerkannt wird. Denn solch ein Maßstab kann nicht das Ganze des Lebens umschließen; solch eine Konstruktion kann es nicht zu ihrem Inhalt machen. Es kann sich auch nicht freiwillig dem Druck des All-Lebens oder den Notwendigkeiten der evolutionären Kraft anpassen. Da muß das Leben sich selbst oder den von ihm konstruierten Begrenzungen entfliehen, sei es durch seinen Tod, sei es durch seinen Zerfall oder durch heftigen Konflikt und revolutionären Aufruhr. Das Mental muß sein begrenztes Lebens-Gesetz und seine Lebensweise auf solche Weise auswählen, weil es in sich selbst gebunden und in seiner Schau und Fähigkeit begrenzt ist. Der gnostische Mensch aber nimmt das Ganze des Lebens und Daseins in sich auf. Er erfüllt und verwandelt es in den harmonischen Selbst-Ausdruck einer unermeßlichen Wahrheit, die eins und verschiedenartig, unendlich eins und unendlich vielfältig ist. So werden Wissen und Wirken des gnostischen Menschen die Weite und Vielgestaltigkeit unendlicher Freiheit haben. Dieses Wissen wird seine Gegenstände zugleich mit seinem Eintreten in die umfassende Weite des Ganzen erfassen. Es ist nur durch die integrale Wahrheit des Ganzen und die vollständige und innerste Wahrheit des Gegenstandes gebunden, nicht aber durch die gestaltete Idee oder durch festgelegte mentale Symbole, durch die das Mental gefangen, festgehalten und eingesperrt wird, so daß es die Freiheit seines Erkennens verliert. Auch wird seine ganze Aktivität nicht durch den Zwang starrer Regeln gefesselt oder durch Verpflichtungen einem vergangenen Zustand oder Wirken gegenüber oder durch dessen zwingende Folge, das karma. Sein Handeln hat jene sich aus dem Unendlichen ergebende, jedoch vom Selbst gelenkte und sich aus dem Selbst entwickelnde Formbarkeit, mit der das Unendliche unmittelbar auf seine endlichen Gestaltungen einwirkt. Diese Bewegung verursacht kein Dahinströmen, kein Chaos, sondern einen befreiten und harmonischen Ausdruck der Wahrheit. Das ist freie Selbst-Bestimmung des spirituellen Wesens in einer formbereiten, völlig bewußten Natur.

Im Bewußtsein des Unendlichen bricht die Individualität nicht das kosmische Ganze auseinander und engt es nicht ein; und das Kosmische widerspricht nicht der Transzendenz. Das gnostische Wesen, das im Bewußtsein des Unendlichen lebt, erschafft sich seine Selbst-Manifestation als Individuum. Es tut das aber als Mittelpunkt einer umfassenderen Universalität und zugleich als Mittelpunkt der Transzendenz. Als allumfassendes Individuum wird es in all seinem Handeln in Harmonie mit dem kosmischen Wirken sein. Hinsichtlich seiner Transzendenz ist es aber nicht durch eine vorübergehende niedere Ausdrucksform begrenzt oder sämtlichen kosmischen Kräften auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Seine Universalität wird sogar die Unwissenheit seiner Umgebung in sein umfassenderes Selbst einbeziehen. Doch würde es, da es ihrer gründlich bewußt ist, nicht von ihr beeinträchtigt werden. Es wird dem höheren Gesetz seiner transzendenten Individualität folgen und deren gnostische Wahrheit in seiner Seins- und Wirkweise zum Ausdruck bringen. Sein Leben wird so zu einem freien harmonischen Ausdruck des Selbsts. Da aber sein höchstes Selbst eins ist mit dem Wesen des ishvara, wird die natürliche göttliche Lenkung seines Selbst-Ausdrucks durch den ishvara, durch sein höchstes Selbst und die Übernatur, die seine höchste Natur ist, in Wissen, Leben und Wirken automatisch eine umfassende, unbegrenzte, aber vollkommene Ordnung bringen. Der Gehorsam seiner individuellen Natur gegenüber dem ishvara und der Übernatur wird zur natürlichen Übereinstimmung, der eigentlichen Voraussetzung für die Freiheit des Selbsts. Denn es ist ein Gehorsam gegenüber seinem höchsten Wesen, eine Antwort an den Ursprung seines Daseins. Die individuelle Natur ist hier nichts Abgesondertes; sie ist eine Strömung aus der Ubernatur. Die Antinomie von purusha und prakriti, diese eigentümliche Trennung und Unausgewogenheit von Seele und Natur, unter der die Unwissenheit leidet, ist hier völlig beseitigt. Denn nun ist die Natur das Ausströmen der Selbst-Kraft der Person; die Person ist das Ausströmen aus der höchsten Natur, die supramentale Macht des Wesens des ishvara. Es ist diese erhabene Wahrheit seines Wesens, ein unendlich harmonisches Prinzip, das die Ordnung seiner spirituellen Freiheit schafft, eine zuverlässige, unwillkürliche und formbare Ordnung.

Im niederen Dasein ist die Gesetzmäßigkeit unwillkürlich, bindet die Natur ohne Ausnahme, sind ihre Bahnen streng festgelegt. Die kosmische Bewußtseins-Kraft entwickelt ein Schema der Natur und deren gewohnheitsmäßiges Gepräge, ihre festgelegte Routine des Wirkens. Sie zwingt das unterrationale Wesen, nach dem Schema, dem Gepräge oder der für es geschaffenen Routine zu leben und zu handeln. Von diesem im voraus festgelegten Schema, von dieser Routine, geht das Mental im Menschen aus. Im Gang seiner Entwicklung erweitert es aber diesen Plan, vergrößert die Schablone und versucht, dieses unbewußte oder halb-bewußte Gesetz des automatischen Ablaufs durch eine Ordnung zu ersetzen, die sich auf Ideen, tiefere Bedeutungen und angenommene Lebens-Motive gründet. Oder es versucht, durch die Intelligenz Maßstäbe aufzustellen, ein durch ein rationales Ziel, durch Nützlichkeit oder Brauchbarkeit bestimmtes Rahmenwerk zu konstruieren. Doch gibt es in den Wissens- oder Lebens-Strukturen des Menschen nichts wirklich Bindendes oder Dauerhaftes. Er kann aber neue Maßstäbe für sein Denken, Erkennen, seine Persönlichkeit, sein Leben und Verhalten setzen und, mehr oder minder bewußt und vollständig, sein Dasein auf sie gründen oder zumindest versuchen, bestmöglich sein Leben im gedanklichen Rahmen des von ihm angenommenen oder erwählten Gesetzes, dharma, zu gestalten. Beim Übergang zum spirituellen Leben ist, im Gegensatz hierzu, das höchste Ideal nicht mehr ein Gesetz, sondern Freiheit im Geist. Der Geist bricht durch alle Formeln hindurch, um sein Selbst zu finden. Muß er sich immer noch um Gestaltung nach außen kümmern, dann wird er zur Freiheit eines uneingeschränkten und wahren, statt künstlichen Ausdrucks, zu einer wahren und spontan spirituellen Ordnung kommen. “Gib jedes dharma, alle Maßstäbe und Regeln für dein Leben und Wirken auf und nimm deine Zuflucht allein zu Mir” (Gita, XVIII, 66). Das ist die höchste Regel für ein vollkommenes Dasein, die dem Suchenden vom Göttlichen Wesen vorgehalten wird. Wenn wir nach dieser Freiheit trachten, wenn wir loskommen wollen von einem konstruierten Gesetz, um in das Gesetz des Selbsts und Geistes einzutreten, wenn wir die mentale Lenkung zurückweisen, um sie durch die Lenkung durch die spirituelle Wirklichkeit zu ersetzen, wenn wir die niedere konstruierte Wahrheit des Mentals aufgeben und uns dafür der höheren essentiellen Wahrheit des Wesens unterstellen, – können wir durch eine Stufe hindurchgehen, in der es zwar innere Freiheit, aber auch Mangel an äußerer Ordnung gibt, ein im Fließen der Natur dahintreibendes Handeln, kindisch und träge wie ein reglos und passiv am Boden liegendes oder vom Winde verwehtes Blatt, oder ein Verhalten, das nach außen sogar als unzusammenhängend oder überspannt erscheint. Man kann aber auch zu einer vorübergehenden geordneten Art, das Selbst spirituell zum Ausdruck zu bringen, gelangen, die für die Stufe ausreicht, die man in einer gewissen Zeit oder in diesem Leben erreichen kann. Es kann eine personale Ordnung sein, das Selbst auszudrücken, die mit der Norm dessen übereinstimmt, was man bis jetzt von der spirituellen Wahrheit verwirklicht hat. Später ändert sich das in freier Weise durch die Kraft der Spiritualität, um die noch umfassendere Wahrheit auszudrücken, die man nun weiter zu verwirklichen hat. Der supramentale gnostische Mensch befindet sich aber in einem Bewußtsein, in dem das Wissen selbst-seiend ist und sich im Einklang mit der Ordnung manifestiert, die vom Willen des Unendlichen in der Übernatur selbst-bestimmt ist. Diese Bestimmung durch das Selbst im Einklang mit einem selbst-seienden Wissen ersetzt den Automatismus der Natur und die Maßstäbe des Mentals durch die spontane Unmittelbarkeit der Wahrheit, die im eigentlichen Kern des Seins selbst-bewußt und selbst-handelnd ist.

Im gnostischen Menschen wird dieses selbst-bestimmende Wissen, das freiwillig der Wahrheit des Selbsts und der ganzen Wahrheit des Seienden zwanglos gehorcht, zum eigentlichen Gesetz seines Daseins. Wissen und Wollen werden in ihm eins und können nicht in Widerstreit stehen. Wahrheit des Geistes und des Lebens werden eins und können nicht gegensätzlich zueinander sein. Wenn sein Wesen sich auswirkt, kann es keinen Streit, keine ungleiche oder gegensätzliche Spannung zwischen dem Geist und den Gliedern geben. Im Supramental-Bewußtsein sind die beiden Prinzipien von Freiheit und Gesetz, die sich im Mental und Leben ständig als gegensätzlich oder unvereinbar darstellen – obwohl sie das nicht zu sein brauchen, wenn die Freiheit durch das Wissen behütet und das Gesetz auf die Wahrheit des Wesens gegründet ist –, einander nahe verwandt und eben fundamental eins. Das ist so, weil beide als die untrennbaren Aspekte der inneren spirituellen Wahrheit und damit auch als ihre Bestimmungen eins sind. Jede ist in der anderen innerlich gegenwärtig, denn beide entstehen aus einer Identität und stimmen deshalb im Wirken gemäß natürlicher Identität überein. Der gnostische Mensch fühlt in keiner Weise und in keinem Grad seine Freiheit durch eine Zwangsordnung seines Denkens oder seiner Handlungen beschränkt, da diese Ordnung eine innere und unwillkürliche ist. Er empfindet die Freiheit und die Ordnung seiner Freiheit als eine einzige Wahrheit seines Wesens. Seine Freiheit des Wissens bedeutet keineswegs, daß er der Unwahrheit oder dem Irrtum folgen dürfte. Denn er muß ja nicht, wie das Mental, durch die Möglichkeit von Irrtum hindurchgehen, um zu erkennen. Im Gegenteil, bei jeder solchen Abweichung würde er aus der Fülle seines gnostischen Selbsts herausfallen. Das wäre eine Minderung seiner Selbst-Wahrheit, etwas, das seinem Wesen fremd und schädlich ist. Denn seine Freiheit ist eine Freiheit des Lichts, nicht eine der Finsternis. Seine Freiheit zu handeln ist nicht die Willkür, einem bösen Willen oder den Impulsen der Unwissenheit zu folgen. Denn auch das ist seinem Wesen fremd; es würde dieses beschränken und mindern, nicht aber befreien. Er fühlt den Antrieb, eine Unwahrheit oder einen bösen Willen auszuführen, nicht als eine zur Freiheit führende Bewegung, sondern als eine Vergewaltigung, die der Freiheit des Geistes zugefügt wird, als feindliches Eindringen und Zwang, als Angriff auf seine Übernatur, als die Tyrannei einer fremden Natur.

Ein supramentales Bewußtsein muß in seiner Grundlage ein Wahrheits-Bewußtsein, ein unmittelbares, innewohnendes Bewußtsein der Wahrheit des Wesens und der Wahrheit der Dinge sein. Es ist eine Macht des Unendlichen, das seine Endlichkeiten kennt und sie ausarbeitet. Es ist eine Macht des Allumfassenden, das sein Einssein und die Einzelheiten, sein kosmisches Sein und dessen Individualitäten kennt und ausarbeitet. In seinem Selbst ist es im Besitz der Wahrheit. Es braucht nicht nach der Wahrheit zu suchen oder unter dem Gefühl der Sorge zu leiden, daß es sie verfehlen könnte, wie das beim Mental der Unwissenheit der Fall ist. Der entwickelte gnostische Mensch ist in dieses Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen und Allumfassenden eingegangen, und es bestimmt dann für ihn und in ihm all sein individuelles Erkennen und Handeln. Er besitzt nun ein Bewußtsein von allumfassender Identität und daraus folgend – oder eigentlich ihm eigen – ein Wahrheits-Wissen, Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Wollen, eine Wahrheits-Vernunft und Wahrheits-Dynamik des Handelns. Dies alles ist in seiner Identität mit dem Einen enthalten oder entsteht selbsttätig aus seiner Identität mit dem All. Sein Leben wird dadurch zu einem Vorwärtsgehen auf den Bahnen spiritueller Freiheit und umfassender Weite. Es ersetzt das Gesetz der Mental-Idee und das Gesetz des vitalen physischen Bedürfens, des Verlangens und der zwingenden Gewalt der Lebensumwelt. So wird sein Leben und Wirken durch nichts anderes gebunden als durch die Göttliche Weisheit und den Göttlichen Willen, die entsprechend seinem Wahrheits-Bewußtsein auf ihn und in ihm wirken. Nun könnte man erwarten, im Leben in der Unwissenheit könnte das Fehlen eines aufgezwungenen Gesetzes-Systems zu einem Wirrwarr von Konflikten, zu Ausschweifung und ichhafter Unordnung führen, weil sich das menschliche Ich verselbständigt hat und zu kleinlich ist und den Drang fühlt, in das Leben anderer einzugreifen, es in Besitz zu nehmen und für sich zu verwenden. Das alles kann aber im Leben des gnostischen Menschen nicht existieren. Denn im gnostischen Wahrheits-Bewußtsein des supramentalen Wesens muß es notwendig eine Wahrheit der rechten Beziehung aller Teile und Bewegungen des Wesens geben – sei es des Wesens des Einzelnen oder des Wesens eines gnostischen Kollektivs –, ein spontanes und erleuchtetes Einssein und Ganzsein in allen Bewegungen des Bewußtseins und bei jedem Wirken im Leben. Hier kann es keinen Streit zwischen den Gliedern geben. Denn es ist nicht nur das Bewußtsein des Wissens und Wollens in diese vollständige Harmonie von Ganzheit und Einheit eingeschlossen, sondern auch das Bewußtsein des Herzens, das Lebens-Bewußtsein und das Körper-Bewußtsein, alles, was in uns die emotionalen, vitalen oder physischen Seiten unserer Natur ausmacht. In unserer Sprache könnten wir sagen, der supramentale Wissens-Wille des gnostischen Menschen übt eine vollkommene Kontrolle aus über Mental, Herz, Leben und Körper. Diese Beschreibung könnte aber nur für die Übergangsstufe gelten, wenn die Übernatur diese Wesensseiten in ihre Art umprägt. Sobald dieser Übergang vollzogen ist, bedarf es keiner Kontrolle mehr. Alles wird dann ein einziges geeintes Bewußtsein und ein Ganzes in einer ungezwungenen integralen Einheit sein.

Im gnostischen Menschen kann es keinen Widerstreit zwischen der Selbst-Behauptung des Ichs und einer Lenkung durch ein Über-Ich geben. Denn da das gnostische Individuum mit seinem Handeln im Leben sich selbst und die Wahrheit seines Wesens ausdrückt, zugleich aber auch den Göttlichen Willen – da er das Göttliche Wesen als sein wahres Selbst und als den Ursprung und die konstituierende Macht seiner spirituellen Individualität erkennt –, sind diese beiden Triebfedern seines Verhaltens nicht nur in jeder einzelnen Aktion gleichzeitig, sondern auch ein und dieselbe Antriebskraft. Diese Motiv-Macht wirkt bei jeder Veranlassung im Einklang mit der Wahrheit des Umstandes; beim Menschen im Einklang mit seinem Bedürfen, seiner Natur und seinen Beziehungen; im Ereignis im Einklang mit dem, was der Göttliche Wille von diesem Ereignis fordert. Denn hier ist alles das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens und einer engen Verknüpfung vieler Kräfte der einen Kraft. Das gnostische Bewußtsein und der Wahrheits-Wille schauen die Wahrheit dieser Kräfte, einer jeden einzelnen und aller zusammen. Sie üben die notwendige Einwirkung oder den Eingriff auf den Kräfte-Komplex aus, um auszuführen, was nach jenem Willen durch diesen getan werden soll, – allein dies und nichts mehr. Als Folge dieser überall gegenwärtigen Identität, die alles lenkt und alle Unterschiede harmonisiert, kann es für ein trennendes Ich, das auf seine gesonderte Ich-Durchsetzung aus ist, keinen Spielraum geben. Der Wille des Selbsts des gnostischen Menschen ist eins mit dem Willen des ishvara; er ist kein trennender oder gegensätzlicher Ich-Wille mehr. Dieser Wille wird die Freude am Handeln und an dessen Ergebnis haben, ist aber frei von allem Ich-Anspruch, von aller Gebundenheit an das Handeln und von allem Verlangen nach dessen Frucht. Er tut nur das, von dem er einsieht, daß es getan werden muß, weil er zu diesem Tun innerlich veranlaßt ist. In der mentalen Natur kann es zu Gegensätzlichkeit und Widerstreit zwischen der Anstrengung des Ichs und dem Gehorsam gegenüber dem Höheren Willen kommen. Betrachtet sich hier doch das Ich oder die Pseudo-Person als verschieden vom Höchsten Wesen, dem Willen und der Person. Im gnostischen Menschen ist aber die Person ein Wesen aus dem Wesen. Darum kann es zu keiner Opposition und zu keinem Widerstreit kommen. Das Wirken der Person ist das Wirken des ishvara in der Person, des Einen in den Vielen. Es kann keinen Grund geben für die abgetrennte Durchsetzung eines Ich-Willens oder des Stolzes auf eigene Unabhängigkeit.

Auf diese Tatsache, daß das Göttliche Wissen und die Göttliche Kraft, die erhabene Übernatur, durch den gnostischen Menschen mit dessen voller Teilnahme handelt, gründet sich die Freiheit des gnostischen Menschen. Diese Einheit gibt ihm seine Befreiung. Auf die Einheit seines Willens mit dem Willen des Ewigen gründet sich die Unabhängigkeit des spirituellen Menschen gegenüber dem Gesetz, einschließlich des moralischen Gesetzes, die so häufig behauptet wird. Da müssen alle mentalen Maßstäbe verschwinden, da jede Notwendigkeit für sie aufhört. Das höhere verbürgte Gesetz der Identität mit dem Göttlichen Selbst und der Identität mit allen Wesen hat sie ersetzt. Dort wird man auch nicht nach Selbstsucht und Altruismus fragen, nach dem eigenen Ich und nach dem der anderen, da man alle als das eine Selbst sieht und fühlt und nur das tut, was die höchste Wahrheit und die höchste Güte bestimmt. Beim Handeln fühlt man, wie eine selbst-seiende allumfassende Liebe, ein Mitempfinden, ein Einssein alles durchdringt. Aber dieses Fühlen dringt ganz und gar in das Wirken ein, färbt und motiviert es, beherrscht und bestimmt es nicht nur von außen her. Diese Liebe steht nicht für sich selbst da, in Opposition gegen die umfassendere Wahrheit der Dinge. Sie diktiert auch nicht ein aus persönlichen Gründen verursachtes Abweichen von der göttlich gewollten wahren Bewegung. Eine solche Opposition und Abweichung könnte nur in der Unwissenheit geschehen, wo Liebe oder irgendein anderes starkes Prinzip der Natur von der Weisheit ebenso abgesondert sein kann, wie sie von der Macht geschieden ist. In der supramentalen Gnosis stehen aber alle Mächte einander innig nahe und wirken als eine einzige Macht. In der gnostischen Person lenkt und bestimmt das Wahrheits-Wissen; alle anderen Kräfte des Wesens wirken in ihrer Aktion zusammen. Da gibt es keinen Raum für Disharmonie und Streit zwischen den Mächten der Natur. In allem Wirken gibt es nur ein Gebot des Seins, das erfüllt zu werden sucht. Eine noch nicht offenbar gewordene Wahrheit des Seienden soll manifestiert werden. Eine sich manifestierende Wahrheit soll entwickelt, weiter verfolgt und in der Manifestation vervollkommnet werden. Oder sie soll, wenn ihr Ziel schon erreicht ist, die tiefe Freude an ihrem Wesen und ihrer Selbst-Verwirklichung genießen. Im halben Licht und in der halben Nacht der Unwissenheit bleibt dieses Gebot verborgen oder nur halb-offenbar. Der Drang, es zu erfüllen, ist eine unvollkommene, ringende, zum Teil enttäuschte Bewegung. Im gnostischen Menschen und seinem Leben werden die Gebote des Wesens im Innern gefühlt, unmittelbar wahrgenommen und im Wirken entfaltet. Das ist ein freies Spiel ihrer Möglichkeiten. Die Verwirklichung geschieht im Einklang mit der Wahrheit der Umstände und der Absicht der Obernatur. All das wird im Wissen geschaut und entfaltet sich im Handeln. Da gibt es kein unsicheres Kämpfen und kein Sich-Quälen mit den zum Wirken eingesetzten Kräften. Es ist auch kein Raum für Disharmonie des Wesens und für ein widersprüchliches Wirken des Bewußtseins: Ganz überflüssig wird es, die äußerlichen Maßstäbe eines mechanischen Gesetzes dort aufzuzwingen, wo es diese innewohnende Macht der Wahrheit und ihr spontanes Wirken im Handeln unserer Natur gibt. Denn das Gesetz und das natürliche Kräftespiel allen Seins besteht darin, daß wir durch harmonisches Wirken den göttlichen Beweggrund ausarbeiten und die gebotene Wahrheit der Dinge ausführen.

Das Prinzip supramentalen Lebens ist das Wissen durch Identität, das die Mächte des vervollständigten Wesens zur Bereicherung der Instrumentation verwendet. Auf den anderen Stufen des gnostischen Wesens ist die Instrumentation von anderer Ordnung; doch erfüllt sich auch hier eine Wahrheit von spirituellem Wesen und Bewußtsein. So wirkt ein Höheres Mental durch die Wahrheit des Denkens, die Wahrheit der Idee, und bringt sie in der Lebens-Aktivität zur Vollendung. In der supramentalen Gnosis jedoch ist das Denken eine abgeleitete Bewegung; es ist eine Ausdrucksform der Wahrheits-Schau, nicht die bestimmende oder hauptsächliche Antriebs-Kraft. Denken ist hier eher ein Werkzeug, um Erkenntnis auszudrücken, als um Erkenntnis zu gewinnen oder um zu handeln. Es dringt in das Handeln nur als vorstoßende Spitze vom Ganzen des Identitäts-Willens und Identitäts-Wissens ein. In gleicher Weise sind im erleuchteten gnostischen Menschen die unmittelbare Berührung mit der Wahrheit und die wahrnehmenden Wahrheits-Sinne hauptsächliche Triebfedern des Handelns. Im Übermental verursacht das verstehende unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge und des Wesensprinzips jedes Dinges mit all seinen dynamischen Folgen die große Weite gnostischer Schau und gnostischen Denkens. Es faßt sie zusammen und erschafft so ein Fundament für Wissen und Handeln. Diese umfassende Weite von Wesen, Schau und Handeln ist das bunte Ergebnis eines zugrundeliegenden Identitäts-Bewußtseins. Die Identität selbst tritt noch nicht als der eigentliche Stoff des Bewußtseins oder als die wirkliche Kraft des Handelns in den Vordergrund. In der supramentalen Gnosis kehrt aber alles erleuchtete unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge, der Wahrheits-Sinn, die Wahrheits-Schau und das Wahrheits-Denken, wieder in seinen Ursprung im Identitäts-Bewußtsein zurück, um dort weiter zu bestehen als ein einziger Körper seines Wissens. Das Identitäts-Bewußtsein lenkt nun und enthält alles. Es manifestiert sich als Bewußtheit im Kern der Wesens-Substanz und offenbart die ihm innewohnende, sich selbst erfüllende Kraft. Es bestimmt sich selbst dynamisch in der Form von Bewußtsein und in der Form von Wirken. Die ihr innewohnende Bewußtheit ist Ursprung und Prinzip des Wirkens der supramentalen Gnosis. Sie könnte sich mit sich selbst begnügen und hätte es nicht nötig, irgendetwas auszudrücken oder zu verkörpern. Aber das Spiel erleuchteter Schau, das Spiel strahlenden Denkens, das Spiel aller anderen Bewegungen des spirituellen Bewußtseins würde dabei nicht fehlen. Es gäbe eine freie Instrumentation um ihres brillanten Wirkens willen, um einer göttlich reichen Fülle und Verschiedenartigkeit willen, wegen der mannigfaltigen Freude an der Selbst-Offenbarung und wegen der Freude an den Mächten des Unendlichen. In den Zwischen-Stufen oder -Graden der Gnosis kann es die Offenbarung von unterschiedlichen und getrennten Ausdrucksweisen für die Aspekte des göttlichen Wesens und der göttlichen Natur geben: eine Seele und ein Leben von Liebe; eine Seele und ein Leben von göttlichem Licht und Wissen; eine Seele und ein Leben von göttlicher Macht, von souveränem Wirken und Erschaffen, sowie unzählige andere Formen göttlichen Lebens. Auf der supramentalen Höhe wird dies alles in eine vielfältige Einheit, in eine höchste Vervollständigung von Wesen und Leben emporgehoben. Erfüllung des Wesens in einer erleuchteten und wonnevollen Vereinheitlichung seiner Zustandsformen und Mächte, sowie ihres in sich ausgeglichenen dynamischen Wirkens ist der Sinn dieses gnostischen Seins.

Alle supramentale Gnosis ist ein zweifaches Wahrheits-Bewußtsein: ein Bewußtsein der inneren Erkenntnis des Selbsts und, infolge der Identität von Selbst und Welt, ein Bewußtsein gründlicher Welt-Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist das Kriterium, die charakteristische Macht der Gnosis. Das ist nicht rein ideative Erkenntnis, kein Bewußtsein, das Ideen beobachtet, sie gestaltet und dann versucht, sie auszuführen. Es ist ein wesenhaftes Bewußtseins-Licht, das Selbst-Licht aller Wirklichkeiten von Wesen und Werden, die Selbst-Wahrheit des Wesens, das sich selbst bestimmt, formuliert und wirksam macht. Zweck der Manifestation ist es, zu sein, nicht zu erkennen. Erkenntnis ist nur die Instrumentation für ein zum Wirken hervortretendes Bewußtsein des Wesens. So ist das gnostische Leben auf der Erde eine Manifestation oder ein Spiel des wahrheits-bewußten Wesens. Das Wesen ist seiner selbst in allen Dingen bewußt geworden. Es geht dem Bewußtsein seiner selbst nicht mehr verloren, ist nicht mehr tief hinabgesunken in ein Selbst-Vergessen oder Halb-Vergessen seines wirklichen Seins, das deshalb eintrat, weil es in Form und Handeln vertieft war. Vielmehr verwendet es nun Form und Handeln mit einer entbundenen spirituellen Macht, um sich frei und vollkommen auszudrücken. Nun sucht es nicht mehr nach seiner verlorenen, vergessenen oder verhüllten und verborgenen Bedeutung oder seinen Bedeutungen. Es ist nicht mehr gebunden, sondern erlöst aus Unbewußtheit und Unwissenheit. Es ist seiner Wahrheiten und Mächte innegeworden. Es bestimmt frei, in einer Bewegung, die sich in jeder Einzelheit stets in Übereinstimmung und Einklang befindet mit seiner höchsten und allumfassenden Wirklichkeit, seine Manifestation, das Spiel seiner Substanz, das Spiel seines Bewußtseins, das Spiel seiner Daseins-Kraft, das Spiel seiner Seins-Seligkeit.

In der gnostischen Entwicklung wird es eine große Mannigfaltigkeit in Haltung, Zustand und harmonisierten Wirkweisen von Bewußtsein, Kraft und Daseins-Freude geben. Natürlicherweise zeigen sich im Lauf der Zeit viele Stufen weiteren Aufstiegs des sich entfaltenden Supramentals zu seinen Gipfelhöhen. Alle haben aber die gemeinsame Basis und das gemeinsame Prinzip. Bei seiner Manifestation ist der Geist, das Seiende, obwohl er sein ganzes Selbst erkennt, nicht verpflichtet, alles von sich in die aktuelle Außenseite von Gestaltung und Handeln herauszustellen, die seine unmittelbare Macht und der Grad seines Selbst-Ausdrucks sind. Der Geist kann einen vordergründigen Selbst-Ausdruck herausstellen und alles übrige von sich in der unausgedrückten Seligkeit seines Selbst-Seins zurückhalten. Jenes Alles im Hintergrund und seine Seligkeit finden sich im Vordergründigen, erkennen sich darin selbst und halten hier ihren Selbst-Ausdruck, ihre Manifestation, durch die eigene Gegenwart aufrecht und durchtränken sie mit dem Gefühl für seine Ganzheit und Unendlichkeit. Diese frontale Gestaltung ist wegen all dem übrigen hinter ihr und weil sie in der Macht des Wesens festgehalten wird ein Akt der Selbst-Erkenntnis und nicht der Unwissenheit. Sie ist ein erleuchteter Ausdruck der Überbewußtheit, kein Aufwallen aus der Unbewußtheit. Große, abgestimmte Variation ist darum ein Element in der Schönheit und Vollständigkeit der Entwicklung gnostischen Bewußtseins und Seins. Gerade bei seinem Umgang mit dem Mental der Unwissenheit in seiner Umgebung verwendet das supramentale Leben diese ihm eingeborene Macht und Bewegung der Wahrheit seines Wesens ebenso wie bei seinem Umgang mit den noch niederen Graden der gnostischen Entwicklung. Im Lichte dieser integralen Wirklichkeit setzt es seine eigene Wahrheit des Wesens in Beziehung zu jener Wahrheit des Wesens, die hinter der Unwissenheit steht. So gründet es alle Beziehungen auf die gemeinsame spirituelle Einheit und nimmt es die manifestierte Unterschiedlichkeit an, um sie in Einklang zu bringen. Das gnostische Licht wird die rechte Beziehung, das rechte Handeln, die rechte Reaktion eines jeden auf jeden anderen unter allen Umständen sicherstellen. Die gnostische Macht, der gnostische Einfluß werden stets eine symphonische Beziehung durchsetzen, die rechte Beziehung des entwickelteren zu dem weniger entwickelten Leben sicherstellen und durch ihren Einfluß dem niederen Dasein eine größere Harmonie vermitteln.

Soweit wir der Evolution mit unserem mentalen Begreifen bis zu dem Punkt folgen können, wo sie aus dem Übermental hervortritt und die Grenze zur supramentalen Gnosis überschreitet, ist das die Art von Wesen, Leben und Wirken des gnostischen Einzelnen. Dieser Charakter der Gnosis bestimmt offensichtlich alle Beziehungen des Lebens oder Gruppen-Lebens gnostischer Menschen. Denn ein gnostisches Kollektiv ist ebenso eine kollektive Seelen-Macht des Wahrheits-Bewußtseins, wie der gnostische Einzelmensch eine individuelle Seelen-Macht aus ihm ist. Es muß dieselbe Vereinigung von Leben und Handeln im Gleichklang sein, die gleiche verwirklichte und bewußte Einheit des Wesens, die gleiche Ungezwungenheit haben und das tiefe Gefühl des Einsseins, eine einzige und gegenseitige Wahrheits-Schau und Wahrheits-Empfindung der einzelnen Selbste und der Selbste miteinander, das gleiche Wahrheits-Wirken in der Beziehung eines jeden zu jedem anderen und aller zu allen. Dieses Kollektiv ist keine mechanische, sondern eine spirituelle integrale Einheit und handelt als solche. In ähnlicher Weise ist die Einheit von Freiheit und Ordnung unvermeidliches Gesetz kollektiven Lebens. Die Freiheit eines unterschiedlichen Spiels des Unendlichen in göttlichen Seelen, eine Ordnung von bewußter Einheit der Seelen ist das Gesetz des supramentalen Unendlichen. Unsere mentale Auffassung von Einheit unterstellt ihr das Gesetz der Gleichheit. Ein durch die mentale Vernunft zustandegebrachtes Einssein drängt auf eine durchgehende Standardisierung als sein einzig wirksames Mittel. Nur geringfügige Andeutungen von Differenzierung können praktisch zugelassen werden. Das Gesetz des gnostischen Lebens setzt aber die größte Verschiedenheit im Selbst-Ausdruck des Einsseins voraus. Im gnostischen Bewußtsein führt Unterschiedlichkeit nicht zu Zwist, sondern zur freiwilligen natürlichen Anpassung, zum Empfinden des Sich-einander-Ergänzens zur Fülle, zur vielseitigen Verwirklichung der Sache, die kollektiv erkannt, getan und im Leben ausgearbeitet werden soll. Wird doch die Schwierigkeit in Mental und Leben vom Ich dadurch geschaffen, daß es integral Zusammengehöriges in Teile zertrennt, die sich als Gegensätze, Widersprüche und Grundverschiedenheiten darstellen. Alles, worin sie sich unterscheiden, wird leicht empfunden, durchgesetzt und betont. Das, worin sie sich begegnen, was ihre Unterschiedlichkeiten zusammenhält, wird weithin verfehlt oder nur mit Schwierigkeiten entdeckt. Alles muß dadurch getan werden, daß man durch eine konstruierte Einheit die Unterschiede überwindet oder sie einander angleicht. Gewiß gibt es ein grundlegendes Prinzip von Einheit. Die Natur drängt darauf, daß es in einer Konstruktion der Einheit zum Vorschein kommt. Denn die Natur ist ebenso kollektiv und gesellschaftlich wie individuell und ichhaft. Sie besitzt ebenso ihre Instrumentation der Vergesellschaftung, Sympathien, gemeinsamen Bedürfnisse, Interessen, Anziehungen und Verwandtschaften, wie ihre gewalttätigen Mittel, Einheit zu erzwingen. Aber ihre sekundär durchgesetzte und so aufdringliche Basis von Ich-Leben und Ich-Natur überlagert die Einheit und verdirbt alle ihre Konstruktionen durch Unvollkommenheit und Unsicherheit. Eine weitere Schwierigkeit ist dadurch gegeben, daß Intuition und unmittelbare innere Berührung fehlen oder sehr unvollkommen sind. Dadurch wird jeder Mensch zu einem gesonderten Wesen und dazu gezwungen, nur unter Schwierigkeiten das Wesen und die Natur des anderen kennenzulernen. Er muß äußerlich zu Verständnis, Gegenseitigkeit und Einklang kommen, statt innerlich durch unmittelbares Empfinden und Erfassen. So wird durch die Hülle von gegenseitiger Unkenntnis jeder mentale und vitale Austausch behindert, vom Ich verfärbt oder zu Unvollkommenheit und Unvollständigkeit verurteilt. Im kollektiven gnostischen Leben wird das einbeziehende Wahrheits-Empfinden, die zur Eintracht strebende Einheit der gnostischen Natur alle Unterschiedlichkeiten als eigenen Reichtum enthalten. Sie wird ein vielfältiges Denken, Handeln, Fühlen in die Einheit eines erleuchteten Lebens-Ganzen umwandeln. Das ist das offenkundige Prinzip des Wahrheits-Bewußtseins, das unvermeidliche Ergebnis seines Charakters und seine dynamische Verwirklichung der spirituellen Einheit alles Seienden. Diese Verwirklichung, die Grundvoraussetzung für die Vervollkommnung des Lebens, die man auf der mentalen Ebene so schwer erlangen kann und die, selbst wenn man sie innerlich realisiert hat, nur schwer dynamisch durchzusetzen und zu organisieren ist, wird in aller gnostischen Schöpfung und im gnostischen Leben zu etwas in natürlicher Weise Dynamischem und spontan aus dem Selbst Organisiertem.

Das ist leicht zu verstehen, wenn wir die gnostischen Wesen als solche ansehen, die ihr Leben ohne jede Berührung mit einem Leben der Unwissenheit führen. Die gnostische Manifestation ist aber angesichts der Tatsache, daß sich die Entwicklung hier vollzieht, nur ein Ereignis, wenn auch ein ganz entscheidendes Ereignis im Ganzen. Die niederen Grade des Bewußtseins und Lebens werden neben ihr weiterbestehen. Einige werden die Offenbarung in der Unwissenheit festhalten. Andere werden eine vermittelnde Stellung zwischen dieser und der Manifestation in der Gnosis einnehmen. Diese beiden Formen von Wesen und Leben werden entweder Seite an Seite nebeneinander existieren oder einander durchdringen. In beiden Fällen kann man erwarten, daß das gnostische Prinzip, wenn auch nicht sofort, so doch schließlich das Ganze beherrschen wird. Die höheren spirituell-mentalen Grade stehen mit dem jetzt sie offen unterstützenden und zusammenhaltenden supramentalen Prinzip in enger Berührung und werden von dem Zwang der Unwissenheit und Unbewußtheit, der sie einst einengte, befreit. Als eine Wahrheit des Seienden werden sie, wenn auch in eingeschränktem und vermindertem Grad, all ihr Licht und ihre Energie aus der supramentalen Gnosis beziehen und mit deren supramentalen Mächten in umfassender Berührung stehen. So werden sie selbst zu bewußten Antriebskräften des Geistes. Sie werden, wenn auch noch nicht im vollen Besitz der ganz verwirklichten spirituellen Substanz, doch nicht mehr einer niederen Instrumentation unterworfen sein, die durch den Stoff der Nichtbewußtheit bruchstückhaft, verdünnt, vermindert und verfinstert ist. Alle Unwissenheit, die emporkommt oder eingeht in das Übermental, in das intuitive, erleuchtete oder höher-mentale Wesen, hört auf, unwissend zu sein. Sie tritt ein in das Licht. Sie realisiert in diesem Licht die Wahrheit, die sie mit ihrer Finsternis überdeckt hatte. Sie erfährt eine Befreiung, eine Umwandlung, einen neuen Zustand von Bewußtsein und Wesen. So wird sie diesen höheren Zuständen angeglichen und für den supramentalen Zustand vorbereitet. Zugleich wird das involvierte Prinzip der Gnosis jetzt als offene, nach außen gedrungene und ständige Kraft wirken, nicht mehr nur als eine verborgene Macht mit einem geheimen Ursprung, die die Dinge in verhüllter Form unterstützt oder nur gelegentlich eingreift, ihrer einzigen Funktion. Nun kann sie etwas von ihrem Gesetz der Harmonie der fortbestehenden Unbewußtheit und Unwissenheit auferlegen. Denn die in diesen verborgene gnostische Macht wird nun mit vergrößerter Stärke ihrer Hilfe und wirkenden Ursache, mit freierem und machtvollerem Eingreifen aktiv sein. Die Menschen der Unwissenheit werden nun, infolge ihrer Verbindung mit gnostischen Menschen, vom Licht der Gnosis beeinflußt und infolge der entwickelten und wirksamen Gegenwart des supramentalen Wesens und der supramentalen Macht in der Erden-Natur bewußter sein und besser reagieren. In dem noch nicht transformierten Teil der Menschheit kann sehr wohl eine neue und höhere Gemeinschaft mentaler menschlicher Wesen entstehen. Denn nun kann jenes mentale Wesen hervortreten, das unmittelbar intuitiv oder teilweise intuitiv geworden, aber noch nicht gnostisch ist, ferner das unmittelbar oder teilweise erleuchtete mentale Wesen und schließlich das mentale Wesen, das in unmittelbarer oder partieller Kommunion mit der höheren Denk-Ebene steht: Diese Menschen werden immer zahlreicher, immer mehr in ihrer Art entwickelt und immer sicherer. Sie könnten sogar als Rasse eines höheren Menschseins existieren, die in wahrer Brüderlichkeit, entstanden aus dem Empfinden für die Manifestation des einen Göttlichen Wesens in allen Menschen, die weniger Entwickelten emporführt. Auf diese Weise wird die Vollendung auf der höchsten Stufe auch eine minder hohe Vollkommenheit auf seiner eigenen Stufe von dem bedeuten, was noch unten bleiben muß. Am höheren Ende der Evolution werden sich die aufsteigenden Höhen und Gipfel des Supramentals immer weiter erheben bis zu einer höchsten Manifestation des reinen spirituellen Seins, des Bewußtseins und der Seins-Seligkeit von saccidananda.

Man könnte noch die Frage aufwerfen, ob die gnostische Umkehr, der Übergang in die gnostische Entwicklung und über sie hinaus, nicht bedeutet, daß früher oder später die Evolution aus der Unbewußtheit aufhört, da der Grund für diesen dunklen Anfang der Dinge hier unten nun wegfällt. Das hängt aber von der weiteren Frage ab, ob die Bewegung zwischen der Überbewußtheit und der Unbewußtheit, also zwischen den beiden Polen des Seins, ein ständiges Gesetz der materiellen Manifestation oder nur ein vorläufiger Umstand ist. Letztere Annahme läßt sich nur schwer aufrecht erhalten, weil das unbewußte Fundament, das für das ganze materielle Universum gelegt wurde, mit so gewaltiger Kraft alles durchdringt und fortdauert. Würde dieses erste evolutionäre Prinzip völlig umgekehrt oder ausgeschaltet werden, so bedeutete das, daß sich das geheime involvierte Bewußtsein gleichzeitig in jedem Teil dieser ungeheuren universalen Unbewußtheit manifestieren würde. Eine Umwandlung in einem besonderen Ablauf der Natur, wie es die Bahn der Erden-Entwicklung ist, würde keine solche alles durchdringende Auswirkung haben: Die Manifestation in der Erden-Natur hat ihre eigene Kurve. Die Vollendung dieser Kurve ist alles, was wir zu betrachten haben. Hier kann man eine Aussage in dem Sinne wagen, daß im endgültigen Ergebnis der sich offenbarenden Schöpfung oder in der Reproduktion der oberen Hemisphäre des bewußten Wesens hier in der niederen Dreifaltigkeit die Evolution zwar in ihren Graden und Stufen dieselbe bleibt, aber dem Gesetz der Harmonie, dem Gesetz der Einheit in der Verschiedenheit und der in der Verschiedenheit sich herausarbeitenden Einheit unterworfen ist. Nur ist das nicht länger eine Evolution durch Kampf. Sie wird eine harmonische Entwicklung von Stufe zu Stufe werden, von einem schwächeren zu einem stärkeren Licht, von dem einen Typus der Macht und Schönheit eines sich entfaltenden Seins zu einem höheren Typus. Das könnte nur anders sein, wenn aus irgendeinem Grund das Gesetz von Kämpfen und Leiden noch für die weitere Ausarbeitung jener geheimnisvollen Möglichkeiten im Unendlichen notwendig wäre, dessen Prinzip dem Absturz in die Unbewußtheit zugrundeliegt. Diese Notwendigkeit scheint aber für die Erden-Natur zu entfallen, sobald die supramentale Gnosis aus der Unbewußtheit hervorgetreten ist. Mit ihrem endgültigen Erscheinen fängt eine Umwandlung an. Diese Umwandlung erfährt ihre höchste Vollendung, wenn die supramentale Entwicklung vollkommen geworden ist und sich in die größere Fülle der höchsten Manifestation von Sein-Bewußtsein-Seligkeit, von saccidananda, emporgehoben hat.