Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1I
Kapitel XXVII. Der gnostische Mensch
Ein vollkommener Pfad
zur Wahrheit ist in das Seiende gekommen für unsere Fahrt ans andere Ufer
jenseits der Finsternis.
Rig Veda, I.46.11.
O Wahrheits-Bewußter, sei der Wahrheit bewußt; lasse hervorbrechen viele Ströme der Wahrheit;
Rig Veda, V. 12.2.
O Flamme, o Wein, deine Kraft ist bewußt geworden; du hast das Eine Licht entdeckt für die vielen.
Rig Veda, I. 93. 4.
Rein-Weiß und doppelt in ihrer Weite folgt sie wirksam, wie jemand der weiß, dem Pfad der Wahrheit und schmälert nicht seine Anweisungen.
Rig Veda, V. 80. 4, 5.
Durch die Wahrheit halten sie die Wahrheit, die alle hält, in der Macht des Opfers, im höchsten Äther.
Rig Veda, V. 15. 2.
O Unsterblicher, der du geboren wirst in Sterblichen in dem Gesetz der Wahrheit, der Unsterblichkeit, der Schönheit... Aus der Wahrheit geboren, wächst er durch die Wahrheit, – ein König, eine Gottheit, die Wahrheit, das Unermeßliche.
Rig Veda, IX. 110.4; 108. 8.
Sobald wir in unserem Denken die Grenzlinie erreichen,
an der die Entwicklung vom Mental zum Übermental fortschreitet als Entwicklung
vom Übermental zum Supramental, stoßen wir auf eine Schwierigkeit, die zu
überwinden fast unmöglich ist. Denn wir möchten nach einer genauen Idee, einer
klaren mentalen Beschreibung des supramentalen oder gnostischen Daseins suchen,
mit dem die evolutionäre Natur in der Unwissenheit in Wehen liegt. Mit
Überschreiten dieser äußersten Grenze des sublimierten Mentals verläßt aber das
Bewußtsein den Bereich mentalen Wahrnehmens und Wissens. Es wird umfassender als dessen bezeichnendes Wirken und entgeht dessen Herrschaft. Es ist wohl
deutlich, daß die supramentale Natur eine vollkommene Einbeziehung und der
Höhepunkt spiritueller Natur und Erfahrung sein muß. Sie müßte auch die völlige
Spiritualisierung der Welt-Natur aufgrund des wahren Charakters des
evolutionären Prinzips enthalten, obwohl dieses nicht auf diese Umwandlung
begrenzt wäre. Unsere Welt-Erfahrung würde auf diese Stufe unserer Evolution
emporgehoben und durch Umwandlung ihrer göttlichen Elemente und durch
schöpferische Zurückweisung ihrer Unvollkommenheiten und Verkleidungen eine
gewisse göttliche Wahrheit und Fülle erlangen. Das sind aber allgemeine Formeln;
sie geben uns keine genaue Vorstellung von dieser Umwandlung. Unsere normale
Auffassung, Idee oder Formulierung spiritueller Dinge ist mental. Bei der
gnostischen Umwandlung überschreitet aber die Evolution eine Grenze, hinter der
die höchste und radikale Umkehrung des Bewußtseins und der Wertmaßstäbe
eintritt. Formen von mentaler Erkenntnis reichen da nicht mehr aus. Dem mentalen
Denken ist es schwierig, die supramentale Natur zu verstehen und zu beschreiben.
Mentale Natur und mentales Denken gründen sich auf ein
Bewußtsein des Endlichen. Supramentale Natur ist im Kern ein Bewußtsein und eine
Macht des Unendlichen. Supramentale Natur sieht alles vom Standpunkt der Einheit
her und betrachtet alle Dinge, auch die größte Vielfalt und Verschiedenheit,
selbst das, was dem Mental als stärkster Widerspruch erscheint, im Lichte dieser
Einheit. Ihr Wille, ihre Gedanken, Gefühle, Sinnesorgane sind aus der Substanz
der Einheit geschaffen. Von dieser Grundlage geht ihr Wirken aus. Im Gegensatz
dazu denkt, sieht, will, fühlt und empfindet die mentale Natur vom Ausgangspunkt
der Zerteilung her und hat nur ein konstruiertes Verständnis von Einheit. Selbst
wenn sie die Einheit erfährt, muß sie doch von der Einheit aus auf der Grundlage
von Begrenzung und Verschiedenheit handeln. Das supramentale, das göttliche
Leben, aber ist ein Leben von wesenhafter, ungezwungener und innewohnender
Einheit. Für das Mental ist es unmöglich, im einzelnen vorauszusagen, was die
supramentale Umwandlung hinsichtlich Lebens-Aktion oder äußerem Verhalten sein
muß, oder festzulegen, was für Formen sie für das individuelle oder kollektive
Dasein erschaffen soll. Denn das Mental handelt aufgrund eines intellektuellen
Gesetzes oder Plans, durch eine vernünftig begründete Willensentscheidung,
infolge eines mentalen Impulses oder im Gehorsam gegen einen Lebens-Trieb. Die
supramentale Natur hingegen wirkt nicht aufgrund
einer mentalen Idee oder Regel, ist nicht einem niederen Trieb unterworfen.
Jeder ihrer Schritte wird von einer inneren spirituellen Schau diktiert; sie
dringt umfassend und genau in die Wahrheit aller Wesen und in die Wahrheit jeder
Sache ein. Sie handelt stets im Einklang mit der innewohnenden Wirklichkeit,
nicht aufgrund einer mentalen Idee, nicht im Gehorsam gegen ein aufgezwungenes
Verhaltensmuster, eine Gedanken-Konstruktion oder einen ausgedachten Plan. Ihre
Bewegung ist ruhig, selbstbeherrscht, freiwillig und formbar. Sie entsteht in
natürlicher Weise aus einer harmonischen Übereinstimmung mit der Wahrheit, die
man in der Substanz des bewußten Wesens fühlt, in einer spirituellen Substanz,
die allumfassend und deshalb zuinnerst eins ist mit allem, was in ihre
Seins-Erkenntnis einbezogen ist. Mentale Beschreibung könnte die supramentale
Natur entweder nur in Sätzen darstellen, die zu abstrakt sind, oder in mentalen
Bildern, die sie möglicherweise in etwas von ihrer Wirklichkeit ganz
Verschiedenes verwandeln. Darum scheint es unmöglich zu sein, daß das Mental
voraussehen oder andeuten könnte, was ein supramentales Wesen sein oder was es
wirken soll. Denn hier können mentale Ideen und Formulierungen nichts
entscheiden, zu keiner genauen Definition oder Bestimmung kommen, weil sie dem
Gesetz und der Selbst-Schau der supramentalen Natur nicht nahe genug sind.
Gerade aus dieser Tatsache der Verschiedenheit der Natur kann man zugleich auch
gewisse Schlüsse ziehen, die zumindest für eine allgemeine Beschreibung des
Übergangs vom Übermental zum Supramental gültig sein oder uns eine unbestimmte
Vorstellung vom ersten Zustand des evolutionären supramentalen Seins geben
könnten.
Dieser Übergang ist die Stufe, auf der die supramentale
Gnosis dem Übermental die Führung abnehmen und die ersten Fundamente für ihre
bezeichnende Manifestation und ihre unverhüllten Wirkweisen legen kann. Sie muß
deshalb durch einen entscheidenden, aber lange vorbereiteten Übergang von der
Entwicklung in der Unwissenheit zur stets fortschreitenden Entwicklung im Wissen
gekennzeichnet sein. Das absolute Supramental und das supramentale Wesen werden
sich nicht plötzlich offenbaren und so wirksam werden, wie sie es auf ihrer
eigenen Ebene sind. Es wird keine rasche Apokalypse eines wahrheitsbewußten
Daseins geben, das immer vom Selbst erfüllt und im Selbst-Wissen vollkommen ist.
Vielmehr wird es das Phänomen des supramentalen Wesens sein, das in die Welt
evolutionären Werdens herabkommt und sich hier
gestaltet, das die Mächte der Gnosis in der irdischen Natur entfaltet. Das ist
in der Tat das Prinzip alles irdischen Wesens. Ist doch der Prozeß des
Erden-Daseins das Spiel einer unendlichen Wirklichkeit, die sich zuerst in einer
Folge von dunkel begrenzten, undurchsichtigen, unvollständigen, halben
Gestaltungen verbirgt, die durch ihre Unvollkommenheit und die Art ihrer
Verkleidung die Wahrheit entstellen, die hervorzubringen sie sich müht. Sie
kommt aber danach immer mehr zu halb-erleuchteten Abbildungen ihrer selbst, die,
sobald die supramentale Herabkunft eintritt, zur wahren forschreitenden
Offenbarung werden. Die supramentale Gnosis kann den Schritt der Herabkunft aus
dem ursprünglichen Supramental und des Empornehmens des evolutionären
Supramentals sehr wohl unternehmen und zur Vollendung bringen, ohne daß sie
ihren wesenhaften Charakter ändert. Sie kann die Formel annehmen, daß ein
Wahrheits-bewußtes Dasein auf innere Selbst-Erkenntnis gegründet ist. Zugleich
kann sie die mentale Natur, die Natur von Leben und materiellem Körper zu sich
empornehmen. Denn als Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen hat das Supramental
in seinem dynamischen Prinzip die unendliche Macht zur freien Selbst-Bestimmung.
Es kann alles Wissen in sich besitzen und doch nur das gestaltet aus sich
herausstellen, was auf jeder Stufe der Evolution erforderlich ist. Es formuliert
all das, was mit dem Göttlichen Willen in der Manifestation und mit der Wahrheit
der Sache übereinstimmt, die manifestiert werden soll. Durch diese Macht kann
das Supramental sein Wissen zurückhalten, seinen Charakter und das Gesetz seines
Wirkens verbergen, das Übermental und unterhalb des Übermentals eine Welt der
Unwissenheit offenbaren, in der das Seiende einwilligt, an seiner Außenseite
unwissend zu sein und sich sogar unter die Herrschaft einer alles
durchdringenden Nichtbewußtheit zu stellen. Auf dieser neuen Stufe wird aber die
bisher angenommene Verhüllung aufgehoben. Nun will sich die Evolution bei jedem
Schritt in der Macht des Wahrheits-Bewußtseins vorwärts bewegen. Ihre
progressiven Entscheidungen werden von einem bewußten Wissen getroffen, nicht
mehr in den Gestaltungen von Unwissenheit und Unbewußtheit.
So wie auf Erden ein mentales Bewußtsein mit seiner
Macht begründet wurde, das eine Rasse mentaler Wesen bildete und die ganze für
die Umwandlung bereite Erden-Natur in sich hinein- und empornehmen, so Wird
jetzt auf Erden ein gnostisches Bewußtsein mit seiner Macht begründet, das eine
Rasse von gnostischen spirituellen Menschen bilden und
die ganze Erden-Natur in sich empornehmen wird, die für diese neue Umwandlung
zubereitet ist. Hierzu wird es von oben her, fortschreitend, aus seinem eigenen
Bereich des vollkommenen Lichtes, der Macht und Schönheit all das in sich
aufnehmen, was bereit ist, aus jenem Bereich in das Erden-Wesen herabzukommen.
Denn die Evolution vollzog sich in der Vergangenheit dadurch, daß auf jeder
kritischen Stufe eine verborgene Macht aus ihrer Involution in der Unbewußtheit
empordrang, daß aber auch von oben her, aus ihrer Ebene, diese Macht herabkam,
die in ihrem höheren natürlichen Reich bereits selbst-verwirklicht war. Auf all
diesen früheren Stufen gab es eine Trennung zwischen dem Selbst und Bewußtsein
der Außenseite und dem subliminalen Selbst und Bewußtsein. Das vordergründige
Wesen wurde vor allem durch den Druck der von unten empordringenden Kraft, durch
das Unbewußte, gebildet, das die Gestaltung einer verborgenen Kraft des Geistes
langsam hervortreten ließ. Das subliminale Wesen wurde teils auf dieselbe Weise,
hauptsächlich aber durch gleichzeitiges Einströmen derselben umfangreichen Kraft
von oben gebildet. Ein mentales oder ein vitales Wesen kam in die subliminalen
Wesensschichten herab und gestaltete von seinem verborgenen dortigen Posten aus
an der Außenseite eine mentale oder vitale Persönlichkeit. Bevor aber die
supramentale Umwandlung eintreten kann, muß bereits die verhüllende Trennung
zwischen den subliminalen und den äußeren Schichten niedergebrochen sein. Das
Einströmen, die Herabkunft, wird im Bewußtsein als einem Ganzen und nicht nur
teilweise hinter der Verhüllung stattfinden: Der Vorgang wird kein verborgener,
unklarer und zwiespältiger mehr sein, sondern ein offenbares Hervorblühen, das
vom ganzen Wesen bei seiner Unwandlung bewußt gefühlt und befolgt wird. In
anderer Hinsicht wird der Prozeß gleichartig sein – supramentales Einströmen von
oben, Herabkunft eines gnostischen Wesens in die Natur und Hervortreten der
verhüllten supramentalen Kraft von unten. Einströmen und Enthüllen werden
miteinander alles beseitigen, was von der Natur der Unwissenheit übrigblieb. Die
Herrschaft der Unbewußtheit wird verschwinden, denn die Unbewußtheit wird durch
den Ausbruch des größeren geheimen Bewußtseins in ihr, des verborgenen Lichtes,
in das verwandelt werden, was sie in Wirklichkeit immer gewesen ist, ein Meer
der geheimen Überbewußtheit. Die Folge davon ist eine erste Gestaltung von
gnostischem Bewußtsein und gnostischer Natur.
Die Erschaffung eines
supramentalen Wesens, einer supramentalen Natur und eines supramentalen Lebens
auf Erden wird nicht das einzige Ergebnis dieser Evolution sein. Sie wird auch
die höchste Entwicklung jener Stufen mit sich bringen, die zu ihr emporgeführt
haben. Denn sie wird bestätigen, daß das Übermental, die Intuition und die
anderen Grade der spirituellen Natur-Kraft in die irdische Natur hineingeboren
sind und diese besitzen. Sie wird eine Rasse gnostischer Wesen bilden und eine
Hierarchie aufrichten, eine leuchtende Leiter aufsteigender Stufen und
aufeinanderfolgender aufbauender Gestaltungen des gnostischen Lichtes und seiner
Macht in der Erden-Natur. Denn die Beschreibung als Gnosis trifft auf jedes
Bewußtsein zu, das auf der Wahrheit des Seienden und nicht auf der Unwissenheit
oder Nichtbewußtheit gegründet ist. Alles Leben und alle lebenden Wesen, die
bereit sind, über die mentale Unwissenheit emporzukommen, aber noch nicht reif
sind für den supramentalen Gipfel, würden so auf einer Art Stufenleiter oder
Skala mit überschneidenden Graden ihre sichere Grundlage finden, die
Zwischenstufen ihrer Selbst-Gestaltung, den Ausdruck der von ihnen
verwirklichten Fähigkeit spirituellen Seins auf dem Weg zur höchsten
Wirklichkeit. Wir dürfen aber auch erwarten, daß die Gegenwart des freigesetzten
und nun souveränen supramentalen Lichtes und seiner Kraft auf dem Gipfel der
evolutionären Natur ihre Auswirkungen auf die ganze Evolution zeitigen wird. Ein
Drängen, ein entscheidender Druck würden das Leben der niederen
Entwicklungsstufen beeinflussen. Ein wenig vom Licht und von der Kraft würde
nach unten hindurchdringen und überall in der Natur die verborgene
Wahrheits-Macht zu stärkerem Wirken erwecken. Dem Leben der Unwissenheit würde
sich ein bestimmendes Prinzip von Harmonie auferlegen. Zwietracht, blindes
Suchen, Zusammenprall im Widerstreit, abnormer Wechsel zwischen Maßlosigkeit und
Depression, das labile Gleichgewicht unsichtbarer Kräfte, die vermischt und
konfliktreich am Werk sind, würden das Einströmen fühlen. Sie würden einem
geordneteren Vorgehen und harmonischen Schritten der Entwicklung des Wesens,
einer mehr offenbarenden Gestaltung des fortschreitenden Lebens und Bewußtseins,
einer besseren Lebens-Ordnung ihren Platz einräumen. In das menschliche Leben
würde so ein freieres Spiel von Intuition, Mitempfinden und gegenseitigem
Verstehen kommen, ein klareres Empfinden für die Wahrheit des Selbsts und der
Dinge, ein eher erleuchteter Umgang mit den günstigen und schwierigen Umständen
des Daseins.
Die Evolution würde zu
einem stufenweisen Fortschreiten von einem schwächeren zu einem helleren Licht
werden anstelle eines ständigen vermischten und verworrenen Ringens zwischen dem
Wachstum von Bewußtsein und der Macht der Unbewußtheit, zwischen den Kräften des
Lichtes und den Kräften der Finsternis. Auf jeder ihrer Stufen würden die zu
dieser Stufe gehörenden bewußten Wesen auf die innere Bewußtseins-Kraft
antworten und ihr kosmisches Naturgesetz zur Möglichkeit einer höheren Stufe
dieser Natur ausweiten. Das ist zumindest eine hervorragende Möglichkeit, die
wir als die natürliche Folge des unmittelbaren Einwirkens des Supramentals auf
die Evolution ansehen können. Dieses Eingreifen kann das evolutionäre Prinzip
nicht aufheben. Denn das Supramental hat ebenso die Macht, seine Wissenskraft
zurückzuhalten oder in Reserve zu bewahren, wie das Vermögen, sie voll oder
teilweise im Wirken einzusetzen. Das würde aber den schwierigen und leidvollen
Vorgang des evolutionären Hervortretens harmonisieren, stetig machen,
erleichtern, beruhigen und in starkem Maße mit Freude erfüllen.
In der Natur des Supramentals selbst gibt es etwas, das
dieses wichtige Ergebnis unvermeidlich macht. In seinem Grundprinzip liegt ein
auf Einheit, Integration und Harmonie hinwirkendes Bewußtsein. Wenn es
herabkommt und in der Evolution auf die Verschiedenheiten des Unendlichen
einwirkt, wird es seine Tendenz zur Vereinigung, sein Drängen auf Einbeziehung
und seinen harmonischen Einfluß nicht verlieren. Das Übermental führt die
Verschiedenheiten und auseinanderstrebenden Möglichkeiten auf ihren je eigenen
divergierenden Bahnen durch. Es kann Widersprüche und Disharmonien zulassen. Es
macht aber aus ihnen Elemente eines kosmischen Ganzen, so daß sie, wenn auch
ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen, gezwungen sind, ihren Anteil an seiner
Ganzheit beizutragen. Wir können auch sagen, das Übermental akzeptiert oder
ermutigt sogar die Widersprüche. Es verpflichtet sie aber dazu, sich gegenseitig
in ihrem Dasein so zu unterstützen, daß die Wege des Wesens, des Bewußtseins und
der Erfahrung wohl auseinanderstreben mögen, als ob sie von dem Einen und
voneinander wegführten, daß sie sich aber dennoch auf dem Weg zum Einssein
erhalten und jedes, auf seinem eigenen Pfad, wieder zur Einheit zurückführen.
Das ist der geheime Sinn selbst in unserer eigenen Welt der Unwissenheit, die
von der Unbewußtheit her, jedoch mit dem zugrundeliegenden kosmischen Bewußtsein
des Übermental-Prinzips, wirkt. In solch einer Schöpfung
besitzt aber der individuelle Mensch dieses geheime Prinzip in seiner Erkenntnis
nicht; er gründet auch sein Wirken nicht darauf. Ein Übermental-Mensch würde
dieses Geheimnis hier wahrnehmen. Er könnte aber nur im Einklang mit der
Inspiration, der dynamischen Kontrolle oder inneren Lenkung durch den Geist des
Göttlichen Wesens in seinem Innern auf der Grundlage seiner eigenen
Entwicklungslinie in der Natur und des Gesetzes seines Handelns, svabhava,
svadharma, wirken und würde die übrigen Menschen ihren eigenen
Entwicklungsbahnen innerhalb des Ganzen überlassen. So könnte eine
Übermental-Schöpfung in der Unwissenheit etwas von der umgebenden Welt der
Unwissenheit Abgesondertes sein. Sie wäre gegen diese durch die erleuchtete, sie
umhegende und von ihr trennende Mauer des eigenen Prinzips abgeschirmt. Im
Gegensatz dazu wird der supramentale gnostische Mensch seine ganze Lebensweise
nicht nur auf ein inniges Empfinden und eine effektive Verwirklichung der
harmonischen Einheit in seinem inneren und äußeren Leben sowie in seinem
Gruppenleben gründen, sondern er wird auch eine harmonische Einheit mit der
weiterlebenden mentalen Welt herstellen, selbst wenn diese Welt noch ganz und
gar eine solche der Unwissenheit bliebe. Denn das gnostische Bewußtsein in ihm
erkennt die sich entwickelnde Wahrheit und macht das in den Gestaltungen der
Unwissenheit verborgene Prinzip der Harmonie nach außen hin wirksam. Bei seinem
Empfinden für integrale Ganzheit ist das etwas Natürliches. Es liegt innerhalb
seiner Macht, diese Gestaltungen der Unwissenheit in einer wahren Ordnung mit
dem eigenen gnostischen Prinzip und mit der entwickelten Wahrheit und Harmonie
seiner höheren Lebens-Schöpfung zu verknüpfen. Das wäre aber ohne tiefgreifende
Umwandlung im Leben in der Welt unmöglich. Doch wäre ein solcher Wandel die
natürliche Folge des Erscheinens einer neuen Macht in der Natur und ihres
universalen Einflusses. In dem Hervortreten des gnostischen Menschen liegt also
die Hoffnung auf eine harmonischere evolutionäre Ordnung in der irdischen Natur.
Eine supramentale oder gnostische Menschenrasse wird
keine nach einem einzigen Typus gebildete, nach einem einzigen Muster
modellierte Rasse sein. Ist doch das dem Supramental zugrundeliegende Gesetz die
Einheit, die sich in der Verschiedenheit erfüllt. Darum wird es bei den
Manifestationen des gnostischen Bewußtseins unendliche Verschiedenheit geben,
obwohl dieses Bewußtsein in seiner Grundlage, in
seinem Aufbau und in seiner alles offenbarenden und alles vereinenden Ordnung
noch eines ist. Es leuchtet ein, daß sich der dreifache Zustand des Supramentals
in dieser neuen Manifestation nachvollzieht. Unterhalb von ihm, und dennoch zu
ihm gehörig, gibt es die Grade der übermentalen und der intuitiven Gnosis mit
den Seelen, die diese Grade des emporsteigenden Bewußtseins bereits realisiert
hatten. Beim weiteren Fortschreiten der Evolution im Wissen wird es aber auch
auf der höchsten Stufe individuelle Wesen geben, die über die supramentale
Gestaltung hinaus weiter emporsteigen und von der höchsten Höhe des Supramentals
aus die Gipfel einer unitarischen Selbst-Verwirklichung im Körper erreichen, die
der letzte und allerhöchste Zustand der Epiphanie der Schöpfung ist. In der
supramentalen Rasse selbst werden aber die Einzelnen unterschiedlichen Rang
einnehmen und nicht nach einer einzigen Art von Individualität geprägt sein.
Jeder Mensch ist dort vom anderen verschieden, ist eine einzigartige Gestaltung
des Wesens, obwohl er mit den übrigen im Fundament des Selbsts, des Empfindens
von Einheit und im Prinzip seines Wesens eins ist. Wir können nur versuchen, von
diesem allgemeinen Prinzip des supramentalen Seins uns eine, wenngleich durch
die Begrenzungen des mentalen Denkens und der mentalen Sprache unzulängliche,
Vorstellung zu machen. Allein das Supramental könnte ein lebendigeres Bild vom
gnostischen Wesen geben. Für das Mental sind nur einige abstrakte Umrisse
möglich.
Die Gnosis ist das wirkungsstarke Prinzip des Geistes,
die höchste Dynamik spirituellen Seins. Der gnostische Einzelne ist die höchste
Vollendung des spirituellen Menschen. Seine ganze Art zu sein, zu denken, zu
leben und zu handeln wird von der Macht einer allumfassenden Spiritualität
gelenkt. Für sein Selbst-Innesein werden alle Dreiheiten des Geistes wirklich;
sie werden in seinem inneren Leben verwirklicht: Sein ganzes Dasein ist in das
Einssein mit dem transzendenten und universalen Selbst und Geist verschmolzen.
Sein ganzes Handeln entstammt dem höchsten Selbst und Geist und gehorcht deren
göttlicher Lenkung der Natur. Das ganze Leben läßt ihn das Bewußte Wesen, den
purusha, im Innern empfinden und findet seinen Selbst-Ausdruck in der Natur.
Für ihn werden sein ganzes Leben und alle seine Gedanken, Gefühle und Handlungen
mit dieser Bedeutung erfüllt und auf dem Fundament der Geistes-Wirklichkeit
erbaut. Er fühlt die Gegenwart des Göttlichen Wesens in jedem Zentrum seines
Bewußtseins, in jeder Schwingung seiner
Lebens-Kraft, in jeder Zelle seines Körpers. Bei allem Wirken seiner Kraft in
der Natur wird der gnostische Mensch dessen innesein, daß die erhabene
Welt-Mutter, die Obernatur, am Werk ist. Sein natürliches Wesen wird er erkennen
als das Werden und die Manifestation der Macht der Welt-Mutter. In diesem
Bewußtsein wird er leben und wirken in transzendenter Freiheit, in erfüllter
Freude des Geistes, in voller Identität mit dem kosmischen Selbst und in
ungezwungenem Mitfühlen mit allen Wesen im Universum. Sie alle werden für ihn zu
seinem eigenen Selbst, alle Arten und Mächte von Bewußtsein zu Arten und Mächten
seiner eigenen Universalität. In dieser einbeziehenden Universalität könnte es
keine Gebundenheit an niedere Kräfte geben. Er würde nicht von seiner höchsten
Wahrheit abgelenkt werden. Denn diese Wahrheit schließt alle Wahrheit der Dinge
ein und erhält jede an ihrem Platz in einer Beziehung von unterschiedlicher
Harmonie. Diese läßt keine Verwirrung, keinen Zusammenstoß, keine
Grenzverletzung und keine Mißklänge in den verschiedenen Harmonien zu, die die
volle Harmonie bilden. Sein eigenes Leben und das der Welt werden für ihn zum
vollkommenen Kunstwerk. Das wäre wie die spontane Schöpfung eines kosmischen
Genies, das unfehlbar ist, wenn es seine vielfältige Ordnung ausarbeitet. Das
gnostische Individuum ist in der Welt und von der Welt; es überragt sie aber
auch in seinem Bewußtsein und lebt im transzendenten Selbst über ihr. Es wird
allumfassend, aber im Universum frei, individuell, aber nicht durch eine
gesonderte Individualität begrenzt sein. Die wahre Person ist nicht eine
isolierte Wesensgestalt. Ihre Individualität ist allumfassend. Denn sie
individualisiert das Universum. Sie tritt aber zugleich in einer spirituellen
Luft von transzendenter Unendlichkeit in göttlicher Weise hervor wie ein hoher,
über die Wolken herausragender Berggipfel. Denn die Person individualisiert die
Göttliche Transzendenz.
Drei Mächte stellen sich unserem Leben als die drei
Schlüssel zur Lösung seines Mysteriums dar: das Individuum, die kosmische
Wesenheit und die in beiden und jenseits von ihnen gegenwärtige Wirklichkeit. Im
Leben des supramentalen Menschen werden diese drei Mysterien des Seins eine
geeinte Erfüllung ihrer Harmonie finden. Er wird das vollkommene und vollendete
Individuum sein, das in seinem Wachstum zufrieden ist und im Ausdruck seines
Selbsts seine Erfüllung gefunden hat. Denn alle seine Elemente werden bis zu
einem höchsten Grad erhoben und in eine Art allumfassender Weite integriert. Um
was wir hier ringen, das ist dort Vollendung und
Harmonie. Worunter wir innerlich am meisten leiden, ist die Unvollkommenheit,
Unfähigkeit und Disharmonie in unserer Natur. Das rührt aber daher, daß wir in
unserem Wesen unvollendet, in unserer Selbst-Erkenntnis unvollkommen und im
Besitz unseres Selbsts und unserer Natur mangelhaft sind. Die Gabe der
supramentalen Gnosis ist vollkommene Selbst-Erkenntnis in allen Dingen und in
jedem Augenblick. Mit ihr erlangen wir die völlige Meisterschaft über uns
selbst, nicht nur im Sinne einer Lenkung der Natur, sondern im Sinne der Macht
eines vollkommenen Ausdrucks unseres Selbsts in der Natur. Jede Erkenntnis des
Selbsts, die dort möglich ist, wird vollkommen im Willen des Selbsts verkörpert,
und der Wille wird vollkommen im Handeln des Selbsts verkörpert. Das Ergebnis
ist die vollständige dynamische Gestaltung des Selbsts in seiner Natur. Bei den
niederen Graden des gnostischen Wesens ist der Ausdruck des Selbsts je nach
Verschiedenheit der Natur begrenzt. Die Vollkommenheit ist eingeschränkt, um ein
Nebenelement zu formulieren. Oder es werden Elemente zur Harmonie einer
göttlichen Symphonie kombiniert; dazu werden Mächte aus der kosmischen Gestalt
des unendlichen mannigfaltigen Einen ausgewählt. Im supramentalen Menschen wird
aber diese Notwendigkeit, um der Vollkommenheit willen zu begrenzen,
verschwinden. Die Verschiedenheit wird hier nicht durch Begrenzung gesichert,
sondern durch Unterschiede in der Macht und Färbung der Übernatur. Dasselbe
Ganze des Wesens und dasselbe Ganze der Natur bringen sich in einer unendlich
verschiedenen Art und Weise zum Ausdruck. Denn der supramentale Mensch erreicht
eine neue Ganzheit, Harmonie und Gleichheit mit dem Selbst des Einen Wesens. Was
an der Außenseite zum Ausdruck gebracht oder in einem gewissen Augenblick
zurückgehalten wird, hängt nicht von Fähigkeit oder Unfähigkeit ab, sondern von
der dynamischen Selbst-Entscheidung des Geistes: von seiner Lust am Ausdruck
seines Selbsts, von der Wahrheit des Göttlichen Willens, von seiner Freude über
sich selbst im Individuum, schließlich, nebenbei, auch von der Wahrheit dessen,
was durch den Einzelnen im Einklang der Ganzheit getan werden muß. Denn der
vollendete Einzelne ist das kosmische Individuum, da unsere Individualität nur
dann vollendet sein kann, wenn wir das Universum in uns hineingenommen – und
transzendiert – haben.
Da der supramentale Mensch in seinem kosmischen
Bewußtsein alles als sich selbst sieht und fühlt, wird er in diesem Sinne
handeln. Er wird in allumfassender Bewußtheit
und einer Harmonie seines individuellen Selbsts mit dem totalen Selbst, seines
individuellen Willens mit dem totalen Willen, seines individuellen Handelns mit
dem totalen Handeln wirken. Denn am meisten leiden wir in unserem äußeren Leben
und in dessen Rückwirkungen auf unser inneres Leben an der Unvollkommenheit
unserer Beziehungen zur Welt: daran, daß wir die anderen Menschen nicht
erkennen; an unserer Disharmonie mit dem Ganzen der Dinge; an unserer
Unfähigkeit, unsere Forderung an die Welt mit der Forderurig der Welt an uns zum
Ausgleich zu bringen. Da besteht ein Konflikt, für den es letztlich nur die eine
Lösung zu geben scheint, daß wir beidem, der Welt und uns selbst, entkommen, ein
Widerstreit zwischen der Durchsetzung unseres Selbsts und einer Welt, der wir
diese Durchsetzung aufzwingen wollen, die aber viel zu groß für uns zu sein
scheint und die gleichgültig unsere Seele, unser Mental, unser Leben und unseren
Körper mit ihrem Kurs auf ihr Ziel hin überrollt. Wir haben keinen Einblick in
die Beziehung zwischen unserem Kurs und Ziel und dem der Welt. Um uns damit in
Einklang zu bringen, müssen wir entweder uns ihr aufzwingen und sie uns
dienstbar machen, oder wir müssen uns selbst unterdrücken und ihr hörig werden.
Wir müssen, was schwierig ist, das Gleichgewicht dieser beiden Notwendigkeiten,
der Beziehung zwischen dem individuellen persönlichen Schicksal und dem
kosmischen Ganzen und seiner verborgenen Absicht, herstellen. Für den
supramentalen Menschen, der im kosmischen Bewußtsein lebt, wird eine solche
Schwierigkeit nicht bestehen, da er kein Ich mehr hat. Seine kosmische
Individualität erkennt die kosmischen Kräfte mit ihrer Bewegung und ihrer
Bedeutung als einen Teil seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein in ihm sieht
bei jedem Schritt die rechte Beziehung und findet den rechten dynamischen
Ausdruck für diese Beziehung.
Tatsächlich sind beide, Individuum und Universum,
gleichzeitiger und aufeinander bezogener Ausdruck des gleichen transzendenten
Wesens. Zwar gibt es in der Unwissenheit und unter ihrem Gesetz falsche
Anpassung und Konflikte. Es muß aber zwischen beiden auch die rechte Beziehung
und ein Ausgleich bestehen, zu dem alles hinführt. Wir verfehlen ihn nur durch
die Blindheit unseres Ichs und durch unseren Versuch, das Ich durchzusetzen,
nicht das Selbst, das in allen eines ist. Das supramentale Bewußtsein trägt
diese Wahrheit der Beziehung als sein natürliches Recht und Vorrecht in sich, da
allein es die kosmischen Beziehungen und die des Individuums zum Universum
bestimmt und frei und souverän als Macht der
Transzendenz über sie entscheidet. Im mentalen Menschen könnte nicht einmal der
Druck des kosmischen Bewußtseins, der das Ich überwältigt, und das Gewahrwerden
der transzendenten Wirklichkeit als solcher eine dynamische Lösung herbeiführen.
Denn es gäbe immer noch eine Unvereinbarkeit zwischen der befreiten spirituellen
Mentalität und dem dunklen Leben der kosmischen Unwissenheit, die aufzulösen
oder zu überwinden das Mental nicht die Macht besitzt. Im supramentalen Menschen
jedoch, der nicht nur statisch, sondern auch dynamisch bewußt ist und im
schöpferischen Licht und in der Macht der Transzendenz handelt, hat das
supramentale Licht, das Wahrheits-Licht, rtam jyotih, diese Macht. Denn
hier herrscht Einung mit dem kosmischen Selbst, nicht Gebundenheit an die
Unwissenheit der kosmischen Natur in ihrer niederen Formulierung. Im Gegenteil,
es gibt hier eine Vollmacht, im Licht der Wahrheit auf jene Unwissenheit
einzuwirken. Umfassende Universalität des Selbst-Ausdrucks, weite harmonische
Universalität des Welt-Wesens ist hier das eigentliche Kennzeichen der
supramentalen Person, des Menschen in seiner gnostischen Natur.
So stellt sich das Dasein des supramentalen Wesens dar
als das Spiel einer sich vielfältig und vielfach offenbarenden Wahrheits-Macht
des Eins-Seins und des Eins-Bewußtseins zur Freude des Eins-Seins. Der Sinn
gnostischen Lebens ist die tiefe Freude an der Manifestation des Geistes in
seiner Wahrheit des Seienden. Alle seine Bewegungen sind eine Darlegung der
Wahrheit des Geistes, aber auch der Freude des Geistes – eine Bestätigung des
spirituellen Seins, des spirituellen Bewußtseins, der spirituellen Freude am
Wesen. Trotz der zugrundeliegenden Einheit ist dies etwas anderes als die
Tendenz der Selbstbehauptung in uns. Sie ist irgendwie egozentrisch und
trennend, der Selbst-Behauptung anderer entgegengesetzt, gleichgültig und
ungenügend aufgeschlossen für deren Forderungen an das Dasein. Dagegen wird der
supramentale Mensch, im Selbst mit allen geeint, die Freude an der
Selbst-Offenbarung des Geistes in sich ebenso wie die Freude des Göttlichen
Wesens in allen suchen: Er wird die kosmische Freude besitzen. Er wird Macht
haben, die Wonne des Geistes und die Freude am Seienden anderen zu bringen. Denn
ihre Freude wird ein Teil seiner eigenen Daseins-Freude sein. Man hat es
beschrieben als ein Zeichen dafür, daß ein spiritueller Mensch befreit und zu
seiner Erfüllung gelangt ist, wenn er sich um das Gute für alle Wesen bekümmert
und sich Freude wie Kummer anderer zu eigen
macht. Der supramentale Mensch wird deshalb nicht altruistischer
Selbstentäußerung bedürfen, da solche längst zu seiner Selbst-Erfüllung und zur
Erfüllung des Einen in allen gehört. Darum kann es keinen Widerspruch, keine
Spannung geben zwischen dem, was für ihn selbst, und dem, was für die anderen
gut ist. Er braucht auch nicht erst allumfassendes Mitempfinden dadurch zu
erwerben, daß er die Freuden und Kümmernisse der noch in der Unwissenheit
lebenden Geschöpfe auf sich nimmt. Sein kosmisches Mitempfinden ist ein Teil der
ihm eingeborenen Wahrheit des Seienden und hängt nicht von persönlicher
Anteilnahme an minderer Lust und Leiden ab. Er transzendiert, was er umfaßt; in
diesem Überschreiten wird seine Macht liegen. Sein universales Fühlen und
Handeln wird stets eine spontane Haltung und natürliche Bewegung sein,
unwillkürlicher Ausdruck der Wahrheit und ein Akt der Freude des Selbst-Seins
des Geistes. Darin kann es keinen Raum geben für ein begrenztes Selbst oder für
ein Begehren, für die Befriedigung oder Enttäuschung des begrenzten Selbsts, für
die Befriedigung oder Enttäuschung von Begehren, keinen Raum für das relative,
vom Äußeren abhängige Glück und Leid, das unsere begrenzte Natur besucht oder
heimsucht. Denn diese Dinge gehören dem Ich und der Unwissenheit an, nicht aber
der Freiheit und Wahrheit des Geistes.
Das gnostische Wesen besitzt den Willen zum Handeln,
aber auch das Wissen von dem, was gewollt werden soll, und die Macht, sein
Wissen wirksam zu machen. Es wird nicht durch die Unwissenheit dazu verleitet,
das zu tun, was nicht getan werden darf. Außerdem geschieht sein Wirken nicht
aus einem Streben nach Ertrag oder Erfolg. Die Freude daran liegt im Sein und im
Tun, im reinen Zustand des Geistes, im reinen Handeln des Geistes, in der reinen
Wonne des Geistes. So wie sein statisches Bewußtsein alles in sich enthält und
darum für immer selbst-erfüllt ist, so wird die Dynamik seines Bewußtseins bei
jedem Schritt und bei jedem Tun spirituelle Freiheit und Selbst-Erfüllung
finden. Alles wird in seiner Beziehung zum Ganzen gesehen, so daß jeder Schritt
in sich erleuchtet, freudvoll und befriedigend sein wird, da er im Einklang
steht mit einer lichtvollen Ganzheit. Eigentliches Kennzeichen eines
supramentalen Bewußtseins, worin es sich von den unzusammenhängenden, ohne
Erkenntnis aufeinanderfolgenden Schritten unseres Bewußtseins in der
Unwissenheit unterscheidet, ist dieses Bewußtsein, dieses Leben in der
spirituellen Ganzheit und das Handeln aus ihr,
eine befriedete Ganzheit im Wesen des Seienden und eine befriedete Ganzheit in
der dynamischen Bewegung des Wesens; das Empfinden für die Beziehungen innerhalb
dieser Ganzheit, das jeden Schritt begleitet. Das gnostische Sein und die
Seins-Seligkeit ist ein allumfassendes Wesen und eine allumfassende Seligkeit.
In jeder gesonderten Bewegung gibt es die Gegenwart dieser Ganzheit und Allheit.
In einer jeden wird das Empfinden der ganzen Bewegung eines integralen Wesens
und der Gegenwart seiner völligen und integralen Seins-Seligkeit, ananda,
erfahren, anstelle einer partiellen Erfahrung des Selbsts oder nur eines
Bruchstücks seiner Freude. Das im Handeln selbst-verwirklichte Wissen des
gnostischen Menschen wird die Real-Idee des Supramentals, die Instrumentation
des wesenhaften Lichtes des Bewußtseins sein, nicht aber eine ideative
Erkenntnis. Es wird das Selbst-Licht aller Wirklichkeit des Seienden und
Werdenden sein, das sich ständig nach außen ergießt und jeden einzelnen Akt und
jede Tätigkeit mit dem reinen und vollen Entzücken seines Selbst-Seins erfüllt.
Ein unendliches Bewußtsein mit seinem Wissen durch Identität erlebt in jeder
Unterschiedlichkeit die Freude und Erfahrung des Identischen. In jedem Endlichen
fühlt es das Unendliche.
Die Evolution des gnostischen Bewußtseins bringt eine
Transformation unseres Bewußtseins von der Welt und unseres Handelns in der Welt
mit sich. Denn sie nimmt in die neue Bewußtheits-Macht nicht nur die innere
Erfahrung auf, sondern auch unser äußeres Wesen und unser Welt-Wesen. Beide
werden neu geschaffen; sie werden in Empfinden und Macht des spirituellen Seins
einbezogen. Bei dieser Umwandlung muß es bei uns sofort zu einer Umkehrung und
Zurückweisung unserer gegenwärtigen Seins-Weise und zur Erfüllung ihrer inneren
Richtung und Tendenz kommen. Denn wir stehen jetzt zwischen diesen beiden
Begriffen, einer äußeren Welt von Leben und Materie, die uns gestaltet hat, und
einer neuen Welt, die wir selbst im Sinne des sich entfaltenden Geistes
erschaffen. Unsere gegenwärtige Lebensweise ist zugleich Unterwerfung unter die
Lebens-Kraft und die Materie, aber auch ein Kampf mit dem Leben und mit der
Materie. Von Anfang an erschafft das äußere Dasein durch unsere Reaktionen auf
seine äußeren Erscheinungen ein inneres, mentales Sein. Wenn wir uns überhaupt
selbst gestalten, geschieht das bei den meisten Menschen weniger durch bewußten
Druck einer freien Seele oder Intelligenz von innen, als vielmehr durch Reaktion
auf unsere Umgebung und auf die Natur der Welt, die auf
uns einwirkt. Das Ziel aber, auf das wir uns bei Entwicklung unseres bewußten
Wesens hinbewegen, ist ein inneres Sein, das durch seine Erkenntnis und Macht
seine äußere Lebensform und die sein Selbst ausdrückende Lebens-Umwelt
erschafft. In der gnostischen Natur kommt diese Bewegung zu ihrem höchsten Ziel.
Unsere äußere Lebensweise erbaut dann ein vollendetes inneres Sein, dessen Licht
und Macht im äußeren Leben vollkommene Gestalt annehmen wird. Der gnostische
Mensch nimmt die Welt von Leben und Materie an. Er wird sie aber seiner Wahrheit
und dem Zweck seines Daseins anpassen. Er wird das Leben selbst nach seinem
eigenen spirituellen Bild umformen. Das kann er fertigbringen, weil er das
Geheimnis einer spirituellen Schöpfung besitzt und sich in Gemeinschaft und
Einheit mit dem Schöpfer in seinem Innern befindet. Zuerst wird es dadurch
wirksam werden, daß sich sein inneres und äußeres individuelles Dasein
umgestaltet. Dieselbe Macht und dasselbe Prinzip werden aber auch in jedem
gemeinsamen gnostischen Leben wirksam. Die Beziehungen zwischen gnostischen
Wesen werden Ausdruck ihres einen gnostischen Selbsts und der Übernatur sein,
die alles gemeinsame Dasein in eine bedeutungsvolle Macht und Form ihrer selbst
gestaltet.
In allem spirituellen Leben ist in erster Linie das innere Leben wichtig. Der spirituelle Mensch lebt stets in seinem Innern. In einer Welt der Unwissenheit, die ihre Umwandlung verweigert, muß er sich in gewissem Sinn von dieser absondern und sein inneres Leben gegen das Eindringen und den Einfluß der dunkleren Mächte der Unwissenheit schützen. Er steht außerhalb der Welt, selbst wenn er mitten in ihr ist. Wirkt er auf sie ein, so geschieht das von der Burg seines inneren spirituellen Wesens aus, wo er im innersten Heiligtum eins ist mit dem höchsten Sein, wo allein seine Seele und Gott beieinander sind. Das gnostische Leben ist ein inneres Leben, in dem der Gegensatz von innen und außen, von Selbst und Welt, versöhnt und überwunden sein wird. Das gnostische Wesen wird in Wahrheit ein inneres Sein besitzen, in dem es mit Gott allein ist, eins mit dem Ewigen, selbst-versunken in die Tiefen des Unendlichen, in Kommunion mit dessen Höhen und mit den erleuchteten Abgründen seines Geheimnisses. Nichts wird es in diesen Tiefen stören oder in sie eindringen können; nichts wird es von diesen Höhen herabziehen können, weder die Inhalte der Welt, noch sein Wirken, noch alles, was ihn umgibt. Das ist der Aspekt der Transzendenz spirituellen Lebens. Für die Freiheit des Geistes ist er notwendig.
Andernfalls wäre die
Identität mit der Natur in der Weit eine begrenzende Bindung und keine freie
Identität. Zugleich ist die Gottes-Liebe und die Seligkeit in Gott der Ausdruck
des Herzens für jene innere Gemeinschaft und Einheit. Und diese Freude und Liebe
wird sich ausdehnen und das ganze Dasein umfassen. Der Friede, Gottes im Innern
wird in der gnostischen Erfahrung des Weltalls zur universalen Ruhe, zu einem
nicht nur passiven, sondern kraftgeladenen gelassenen Gleichmut. Eine Stille von
Freiheit in Einheit herrscht über allem, was ihm begegnet: Sie wird alles
beruhigen, was in sie eintritt. Sie wird ihr Gesetz von Frieden den Beziehungen
des supramentalen Menschen mit der Welt auferlegen, in der er lebt. In all sein
Handeln begleitet ihn das innere Einssein, die innere Kommunion. Sie geht in
alle seine Beziehungen zu anderen Menschen ein, die nun für ihn nicht mehr die
Anderen sind, sondern Selbste seiner selbst, in dem einen Sein, in seinem
eigenen universalen Sein. Diese Gelassenheit und diese Freiheit im Geist werden
ihn befähigen, alles Leben in sich hineinzunehmen und doch das spirituelle
Selbst zu bleiben, selbst die Welt der Unwissenheit zu umfassen, ohne selbst in
die Unwissenheit hineingerissen zu werden.
Wird doch seine Erfahrung des kosmischen Daseins – durch dessen Naturgestalt und infolge seiner individuellen Zentrierung – diejenige eines Menschen sein, der im Universum lebt, zugleich aber auch die eines Menschen, der das Universum und alle seine Wesen in seinem Innern trägt, weil er sich in seinem Einssein selbst nach außen verstreut und ausdehnt. Dieser ausgeweitete Zustand des Wesens ist nicht nur eine Ausdehnung im Einssein des Selbsts oder nur eine solche in begrifflicher Idee und Schau, sondern eine Ausweitung des Einsseins im Herzen, in den Sinnen, in einem konkreten physischen Bewußtsein. Der gnostische Mensch hat kosmisches Bewußtsein, kosmischen Sinn und kosmisches Empfinden, durch die alles objektive Leben zu einem Teil seines subjektiven Daseins wird, so daß er das Göttliche Wesen in allen Gestaltungen erkennen, wahrnehmen, fühlen, sehen und hören kann. Alle Gestaltungen und Bewegungen werden von ihm erkannt, empfunden, gesehen, gefühlt, als ob sie in dem eigenen weiten Selbst seines Wesens stattfänden. Die Welt wird nicht nur mit seinem äußeren, sondern mit seinem inneren Leben verbunden. Er begegnet der Welt nicht nur in ihrer äußeren Gestalt durch äußeren Kontakt. Er steht auch innerlich mit dem inneren Selbst der Dinge und Wesen in Beziehung.
Er nimmt bewußt sowohl
ihre inneren wie ihre äußeren Reaktionen auf. Er nimmt wahr, was in ihrem Innern
ist, dessen sie selbst nicht bewußt sind. Er wirkt mit innerem Verständnis auf
alle ein und begegnet ihnen in vollkommenem Mitempfinden und dem Gefühl des
Einsseins, doch auch mit einer Unabhängigkeit, die durch keinen Kontakt
überwältigt wird. Sein Wirken auf die Welt ist zumeist inneres Wirken durch die
Macht des Geistes, durch die spirituell-supramentale Ideen-Kraft, die sich in
der Welt selbst ihre Form gibt: durch das geheime ungesprochene Wort, die Macht
des Herzens, dynamische Lebenskraft, durch die alles umhüllende und in alles
eindringende Macht des Selbsts, das eines ist mit allen Dingen. Das äußerlich
zum Ausdruck kommende sichtbare Handeln ist nur die Randerscheinung einer
äußersten Projektion dieser umfassenderen einzigen Ganzheit und Aktivität.
Zugleich bleibt aber das allumfassende innere Leben des Einzelnen nicht auf inneren Kontakt beschränkt, der die physische Welt durchdringt und einschließt. Der Einzelne dehnt ihn weiter aus, weil er die natürliche Verbindung seines subliminalen inneren Wesens mit anderen Ebenen des Seienden voll verwirklicht. Erkenntnis ihrer Mächte und Einflüsse wird zum normalen Element der inneren Erfahrung. Die Ereignisse dieser Welt werden nicht allein in ihrem äußeren Aspekt gesehen, sondern auch im Lichte all dessen, was hinter der physischen und irdischen Schöpfung und Bewegung verborgen ist. Der gnostische Mensch besitzt nicht nur eine der Wahrheit bewußte Beherrschung der erkannten Macht des Geistes über seine physische Welt, sondern auch die Vollmacht über die mentalen und vitalen Ebenen. Er kann ihre stärkeren Kräfte für die Vervollkommnung des physischen Daseins einsetzen. Dieses größere Wissen und diese umfassendere Macht über alles Dasein vermehrt erheblich die Herrschaft der Instrumentation des gnostischen Wesens über seine Umgebung und über die Welt der physischen Natur.
Im Selbst-Sein, dessen dynamisches Wahrheits-Bewußtsein
das Supramental ist, gibt es für das Wesen nur das eine Ziel, zu sein; für das
Bewußtsein nur das eine Ziel, des Wesens bewußt zu werden; für die
Seins-Seligkeit nur das eine Ziel, diese Wonne zu erfahren. Das All ist eine
Ewigkeit, die aus dem Selbst existiert, die im Selbst ihr Genüge hat. Die
Manifestation, das Werden, hat in ihrer ursprünglichen supramentalen Bewegung
denselben Charakter. Sie trägt und erhält in einem aus dem Selbst seienden und
im Selbst genügsamen Rhythmus eine Aktivität des
Wesens, die sich als vielfältiges Werden erkennt. Die Aktivität des Bewußtseins
nimmt die Form vielfältiger Selbst-Erkenntnis an; die Aktivität der Kraft des
bewußten Seins existiert für die Herrlichkeit und Schönheit ihrer vielfältigen
Wesens-Macht; die Aktivität der Seligkeit nimmt zahllose Formen von Freude an.
Sein und Bewußtsein des supramentalen Menschen hier in der Materie müssen im
wesentlichen von derselben Art sein. Doch kennzeichnen untergeordnete
Eigenschaften den Unterschied zwischen dem Supramental auf seiner eigenen Ebene
und einem Supramental, das im Erden-Dasein in seiner manifestierten Macht wirkt.
Denn hier wird es zu einem sich entwickelnden Wesen, zu einem sich entwickelnden
Bewußtsein, zu einer sich entwickelnden Seins-Seligkeit. Der gnostische Mensch
erscheint als Zeichen für eine Entwicklung aus dem Bewußtsein der Unwissenheit
in das Bewußtsein von saccidananda. Wir befinden uns in der Unwissenheit
hauptsächlich, um zu wachsen, um zu erkennen und zu handeln, oder genauer
gesagt, um in etwas hineinzuwachsen, um durch das Erkennen zu einem Ziel zu
gelangen, damit etwas getan wird. Da wir unvollkommen sind, finden wir in
unserem Wesen keine Befriedigung. Wir müssen unter innerem Zwang, unter Mühen
und Schwierigkeiten, darum ringen, in etwas hineinzuwachsen, das wir nicht sind.
Da wir unwissend und mit dem Bewußtsein unserer Unwissenheit belastet sind,
müssen wir zu einem Zustand gelangen, in dem wir fühlen, daß wir wissen.
Gefesselt an unsere Unfähigkeit, müssen wir nach Stärke und Einfluß jagen.
Gepeinigt vom Bewußtsein unserer Leiden, müssen wir versuchen, daß etwas
geschieht, durch das wir einige Lebensfreude erlangen oder eine
zufriedenstellende Lage des Lebens festhalten können. Das Dasein zu erhalten,
ist uns in der Tat erstes Bemühen und erste Notwendigkeit. Es ist jedoch nur
unser Ausgangspunkt; denn die bloße Erhaltung eines unvollkommenen, von Leiden
zerquälten Daseins kann nicht befriedigendes Ziel für unser Wesen sein. Der
instinktive Daseins-Wille, die Lust am Dasein, die alles ist, was die
Unwissenheit aus der dem Leben insgeheim zugrundeliegenden Macht und
Glückseligkeit, ananda, herausholen kann, muß durch das Bedürfnis ergänzt
werden, zu handeln und zu werden. Wir haben aber keine klare Erkenntnis davon,
was wir tun und was wir werden sollen. So raffen wir zusammen, was wir an
Wissen, Macht, Stärke, Reinheit, Frieden und Freude bekommen können. Wir werden
zu dem, was wir werden können. Aber all unser Streben und unser Bemühen, etwas
davon zu erlangen, und das wenige, das wir als unseren Gewinn
festhalten können, wandelt sich in Fangstricke, mit denen wir gefesselt werden.
Jene Dinge werden dann zu unserem Lebensziel: Aber unsere Seele zu erkennen und
unser Selbst zu sein, was doch die Zielrichtung für den wahren Weg unseres
Wesens sein müßte, ist ein Geheimnis, das uns völlig entgeht, da wir uns
vordringlich mit dem Erlernen äußerer Dinge, mit der Aufstellung äußerer
Erkenntnis-Konstruktionen, mit dem Erfolg in äußerem Wirken und mit Freude an
äußeren Dingen befassen. Der spirituelle Mensch dagegen hat seine Seele
entdeckt. Er hat sein Selbst gefunden und lebt darin. Er ist seines Selbsts
bewußt und hat seine Freude daran. Für die Vollkommenheit seines Daseins
benötigt er die äußeren Dinge nicht. Der gnostische Mensch, der von dieser neuen
Grundlage ausgeht, nimmt unser unwissendes Werden auf und wandelt es in ein
erleuchtetes Werden der Erkenntnis und erkannte Macht des Seienden um. Darum
bringt er all das, was wir in der Unwissenheit zu werden versuchen, im Wissen
zur Vollendung. Er verwandelt alle Erkenntnis in eine Manifestation des
Selbst-Wissens des Seienden. Alle Macht und alles Wirken macht er zu einer Macht
und zu einem Wirken der Selbst-Kraft des Seienden. Alle Lust erhöht er zur
universalen Seligkeit von Selbst-Sein. Jede Hörigkeit und Gebundenheit fällt
dann weg, da das Selbst-Sein bei jedem Schritt und in jedem Ding seine volle
Befriedigung findet, da sich das Licht des Bewußtseins selbst zur Erfüllung
bringt, da das Entzücken der Seins-Seligkeit sich selbst findet. Auf jeder Stufe
der Evolution im Wissen werden diese Macht, dieser Wille des Wesens und diese
Freude am Sein entfaltet. Das ist ein freies Werden, das durch das Empfinden des
Unendlichen, die Wonne des brahman und die erleuchtete Sanktion der
Transzendenz getragen und gefördert wird.
Die supramentale Transformation, die supramentale
Evolution muß eine Erhöhung von Mental, Leben und Körper mit sich bringen. Sie
werden aus sich heraus in eine höhere Art des Wesens emporgehoben, in der aber
ihre Eigentümlichkeiten und Mächte nicht unterdrückt oder beseitigt, vielmehr
durch dieses Emporkommen über sich selbst hinaus vervollkommnet und erfüllt
werden. In der Unwissenheit sind alle unsere Wege die Pfade des Geistes, auf
denen dieser blind oder mit zunehmendem Licht nach sich selbst sucht. Das
gnostische Wesen und Leben ist die Selbst-Entdeckung des Geistes. Nun schaut und
erreicht er die Ziele all dieser Pfade, jedoch in der höheren Art seiner
eigenen, jetzt geoffenbarten und bewußten
Wahrheit des Seienden. Das Mental sucht nach Licht, nach Erkenntnis, – nach
Wissen um die einzige Wahrheit, auf die sich alle Wahrheiten gründen; nach der
wesenhaften Wahrheit des Selbsts und der Dinge; aber auch nach dem, was aller
Wahrheit der Mannigfaltigkeit in diesem Einssein zugrundeliegt, all seinem
Detail und Umstand, der vielfältigen Art von Wirken und Form, von Gesetz,
Bewegung und Ereignis, der verschiedenen Manifestation und Schöpfung. Für das
denkende Mental besteht die Freude am Dasein im Entdecken und Durchdringen des
Mysteriums der Schöpfung, das wir mit der Erkenntnis erreichen. Das erfüllt die
gnostische Umwandlung in reichem Maße. Sie wird dem Erkennen aber einen neuen
Charakter geben. Die Erkenntnis arbeitet hier nicht durch die Entdeckung des
Unbekannten, sondern sie bringt das bereits Gewußte zum Vorschein. Alles wird
zum Finden “des Selbsts durch das Selbst im Selbst”. Denn das Selbst des
gnostischen Menschen ist nicht das mentale Ich, sondern der Geist, der eins ist
mit allen. Darum schaut der gnostische Mensch die Welt als Universum des
Geistes. Er findet in ihr die eine, allen Dingen zugrundeliegende Wahrheit: Das
Identische entdeckt überall Identität und identische Wahrheit; es entdeckt auch
die Macht, die Wirkweisen und Beziehungen dieser Identität. Die Offenbarung des
Details, des Umstands, der überreichen Arten und Formen der Manifestation ist
das Enthüllen der endlos reichen Fülle der Wahrheiten dieser Identität, der
Formen und Mächte des Selbsts, ihrer überraschenden Vielfalt und Menge der
Formen, die ihre Einheit auf unendliche Weise offenbar machen. Diese Erkenntnis
entwickelt sich dadurch weiter, daß das gnostische Wesen sich mit allen
identifiziert, in alle eingeht durch eine Berührung, die mit einem Sprung eine
höhere Selbst-Entdeckung und das Aufflammen von Einsichten einbringt, eine
Intuition in die Wahrheit, die größer und gesicherter ist, als das Mental sie
erreichen kann. Das führt auch zu einer Intuition in die Art und Weise, wie die
geschaute Wahrheit zu verkörpern und zu verwenden ist, zu einer
praktisch-brauchbaren Intuition in ihre dynamischen Prozesse, zur unmittelbaren
inneren Bewußtheit, die das Leben und die physischen Sinne bei jedem Schritt
ihres Wirkens und ihres Dienstes am Geist lenkt, wenn sie als Werkzeuge zur
erfolgreichen Durchführung eines Verfahrens in Leben und Materie eingesetzt
werden müssen.
Der Charakter jeder gnostischen Erkenntnisbewegung und
Wissensbetätigung äußert sich so: Das intellektuelle Suchen wird ersetzt durch
die supramentale Identität und die gnostische
Intuition der Inhalte der Identität. Der Geist ist mit seinem Licht überall
gegenwärtig und durchdringt den ganzen Erkenntnisprozeß und alle Verwendung des
Wissens, so daß es zu einer Vereinigung von Erkennendem, Erkenntnis und
erkannter Sache, von dem das Erkennen betätigenden Bewußtsein, seinen Werkzeugen
und der durchgeführten Angelegenheit kommt. Das einzelne Selbst wacht derweilen
über der integralen Bewegung und bringt sich innerlich in ihr zum Ausdruck. Es
macht sie zu einer makellosen Einheit von Selbst-Verwirklichung. Das
beobachtende und beurteilende Mental müht sich darum, sich von dem, was es zu
erkennen hat, zu distanzieren und es objektiv und wirklichkeitsgetreu zu sehen.
Es versucht, dieses als Nicht-Selbst, als eine unabhängige andersartige
Wirklichkeit zu erkennen, die vom Vorgang des persönlichen Denkens oder durch
die Gegenwart des Selbsts nicht beeinträchtigt wird. Das gnostische Bewußtsein
kann sofort, von innen her und genau, seinen Gegenstand durch
umfassend-verstehende und eindringende Identifikation mit ihm erkennen. Es geht
über das hinaus, was es zu erkennen hat, bezieht es aber ein. Es erkennt den
Gegenstand ebenso als einen Teil seiner selbst, wie es jede Seite oder Regung
seines Wesens erkennt, ohne daß es sich durch die Identifizierung einengt oder
sein Denken sich so in ihr verfangen läßt, daß es in seiner Erkenntnis gebunden
oder begrenzt wäre. Hier herrscht die unmittelbare Gewißheit, Genauigkeit, eine
Fülle unmittelbarer innerer Erkenntnis, weil das Bewußtsein einer
allumfassenden, nicht einer begrenzten und ich-gebundenen Person gehört. Es ist
nicht jene Selbst-Täuschung des persönlichen Mentals, durch die wir ständig
irren. Das führt weiter zu einer All-Erkenntnis, die nicht die eine Wahrheit der
anderen entgegenstellt, um zu sehen, weiche sich durchsetzen und überleben wird.
Vielmehr vervollständigt die eine Wahrheit die andere im Licht der alleinigen
Wahrheit, von der alle nur Aspekte sind. Jede Idee, Schau und Wahrnehmung trägt
diesen Charakter eines inneren Sehens, einer inneren ausgedehnten
Selbst-Wahrnehmung, einer umfassenden, vom Selbst her einbeziehenden Erkenntnis
eines unteilbaren Ganzen, das sich auswirkt, indem Licht in einer sich selbst
verwirklichenden Harmonie des Wahrheits-Wesens auf Licht einwirkt. Das ist eine
Entfaltung des Lichts, keine Entbindung von Licht aus Finsternis, vielmehr wie
eine Geburt von Licht aus sich selbst. Denn wenn ein supramentales Bewußtsein in
seiner Entwicklung einen Teil seiner Inhalte an Selbst-Erkenntnis in sich
zurückhält, tut es das
nicht als einen Schritt
oder Akt der Unwissenheit, sondern bringt es absichtsvoll etwas aus seinem
zeitlosen Wissen in den Ablauf der Zeit-Manifestation hervor. Die
Erkenntnis-Methode dieser evolutionären supramentalen Natur ist
Selbst-Erleuchtung, eine Offenbarung von Licht aus Licht.
So wie das Mental nach Licht sucht, um Wissen und
Meisterschaft durch Wissen zu entdecken, so sucht das Leben nach der Entfaltung
der eigenen Kraft und nach Meisterschaft durch Kraft. Sein Verlangen ist auf
Wachstum gerichtet, auf Macht, Eroberung, Besitz, Befriedigung, Schöpfung,
Freude, Liebe, Schönheit. Seine Daseins-Freude ist, sich ständig auszudrücken,
sich zu entwickeln, in mannigfaltiger Weise zu handeln, zu erschaffen, zu
genießen, in großer Fülle sich selbst und seine Macht zu erleben. Die gnostische
Evolution erhebt das zu seinem höchsten und vollsten Ausdruck. Sie handelt aber
nicht, um dem mentalen oder vitalen Ich Macht, Befriedigung und Genuß zu
verschaffen, den engen Besitz seiner selbst und Ausübung seiner gierigen,
ehrgeizigen Macht über andere Menschen und Dinge, damit es sich noch stärker
durchsetzt und sein aufgeblasenes Ich verkörpert. Läßt sich doch auf solche
Weise keine spirituelle Fülle und Vollkommenheit erreichen. Das gnostische Leben
existiert und wirkt für das Göttliche Wesen in ihm selbst und in der Welt und
für das Göttliche Wesen in allen. Für das gnostische Wesen ist es Sinn des
Lebens, daß das individuelle Wesen und die Welt immer mehr von der Göttlichen
Gegenwart, ihrem Licht, ihrer Macht, Liebe, Freude und Schönheit in Besitz
genommen wird. In der immer befriedigenderen Vervollkommnung dieser zunehmenden
Offenbarung findet auch der Einzelne seine Befriedigung. Seine Macht wird zur
Instrumentation der Macht der Obernatur, um jenes größere Leben und die höhere
Art in die Welt zu bringen und in ihr auszuweiten. Was das an Eroberung und
Abenteuer im Gefolge hat, dient nur jenem Ziel, nicht aber der Herrschaft
irgendeines individuellen oder kollektiven Ichs. Liebe ist für den gnostischen
Menschen Berührung, das Sichbegegnen, die Einung von Selbst mit Selbst, von
Geist mit Geist, eine Vereinigung des Wesens, die Macht, Freude, Innerlichkeit
und Nähe von Seele zu Seele, des Einen zum Einen; sie ist die Freude an der
Identität und an den Auswirkungen ihrer Mannigfaltigkeit. Für ihn liegt der
völlig offenbarte Sinn des Lebens in dieser Freude an einer innig verbundenen,
sich selbst offenbarenden Mannigfaltigkeit des Einen, an der vielfältigen
Einheit des Einen und an einer frohen gegenseitigen Einwirkung in der Identität. Denselben Sinn haben für ihn die Schöpfung, die
ästhetische oder dynamische Schöpfung, das mentale, vitale und materielle
Erschaffen, die Schönheit und Wahrheit der Formen und Körper des Ewigen, die
Schönheit und Wahrheit seiner Mächte und Eigenschaften, die Schönheit und
Wahrheit seines Geistes, seine gestaltlose Schönheit von Selbst und wesentlichem
Sein.
Als Folge der völligen Umwandlung und Umkehrung des
Bewußtseins, die eine neue Beziehung des Geistes zu Mental, Leben und Materie,
sowie eine neue Bedeutung und Vollkommenheit in dieser Beziehung herstellt,
kommt es auch zu einer Umkehrung, einer vervollkommnenden neuen Bedeutung der
Beziehung zwischen dem Geist und dem Körper, den er bewohnt. In unserer
gegenwärtigen Lebensweise drückt sich die Seele, so gut sie kann oder so
schlecht sie muß, durch das Mental und die Vitalität aus. Öfters aber konzediert
sie dem Mental und der Vitalität, selbst nur mit ihrer Unterstützung zu wirken:
Der Körper ist das Werkzeug dieses Wirkens. Aber auch wenn der Körper gehorcht,
begrenzt und bestimmt er den Selbst-Ausdruck von Mental und Leben durch die
beschränkten Möglichkeiten und den erworbenen Charakter seiner eigenen
physischen Instrumentierung. Außerdem hat er ein Gesetz für sein eigenes Wirken,
eine Bewegung und einen Willen, eine Kraft oder das Drängen einer Regung seiner
unterbewußten oder halb-hervorgetretenen bewußten Macht seines Wesens, das sie
nur zum Teil beeinflussen oder verändern können. Und selbst in diesem Teil
können sie mehr durch mittelbare als durch unmittelbare, und wenn unmittelbar,
mehr durch unterbewußte als durch gewollte und bewußte Einwirkung ausrichten.
Bei der gnostischen Art von Wesen und Leben muß aber der Wille des Geistes
unmittelbar die Bewegungen und das Gesetz des Körpers lenken und bestimmen. Denn
der Körper steht unter einem Gesetz, das vom Unterbewußten und Unbewußten her
wirkt. Im gnostischen Menschen ist indessen das Unterbewußte bewußt geworden und
der supramentalen Herrschaft untergeordnet; es wird von deren Licht und Wirken
durchdrungen. Die Grundlage der Unbewußtheit mit ihrer dunklen Zweideutigkeit,
ihrer Widersetzlichkeit oder trägen Reaktion wird durch das Hervortreten des
Supramentals in ein niederes oder unterstützendes Überbewußtsein umgewandelt.
Der Körper wird bereits im verwirklichten Wesen des Höheren Mentals, im
Intuitiven Mental sowie im Übermental genügend bewußt, so daß er auf den Einfluß
der Idee und der Willens-Kraft reagieren kann. Dadurch wird die Einwirkung des Mentals auf die physischen Seiten, die in uns rudimentär,
chaotisch und zumeist unwillkürlich ist, zu einer beträchtlichen Macht
entwickelt. Im supramentalen Menschen wird aber alles durch das Bewußtsein
beherrscht, das die Real-Idee in sich enthält. Diese Real-Idee ist eine
Wahrheits-Wahrnehmung, die sich selbst wirksam durchsetzt. Ist sie doch die Idee
und der Wille des Geistes in seiner unmittelbaren Aktion. Sie ruft eine Bewegung
in der Substanz des Wesens hervor, die sich unvermeidlich in Zustand und Handeln
des Menschen auswirken muß. Dieser dynamische unwiderstehliche spirituelle
Realismus des Wahrheits-Bewußtseins auf der höchsten Stufe seiner selbst ist
hier im entwickelten gnostischen Wesen bewußt und als solcher leistungsfähig
geworden. Es handelt nicht mehr, wie bisher, unverhüllt in scheinbarer
Unbewußtheit und durch das Gesetz des Mechanismus selbst-eingeschränkt, sondern
wirksam aus dem Selbst als die souveräne Wirklichkeit. Diese beherrscht das
Dasein mit ganzem Wissen und voller Macht und bezieht in ihre Herrschaft auch
die Funktionen und Tätigkeiten des Körpers mit ein. Durch die Macht des
spirituellen Bewußtseins wird der Körper in ein zuverlässiges, geeignetes und
völlig aufgeschlossenes Werkzeug des Geistes verwandelt.
Diese neue Beziehung zwischen Geist und Körper setzt –
und ermöglicht – an Stelle einer Zurückweisung die freie Annahme des Ganzen der
materiellen Natur. Nun ist nicht mehr geboten, daß wir uns aus ihr zurückziehen,
jede Identifikation mit ihr oder ihre Annahme verweigern, wie es zuerst
normalerweise zwingend für das spirituelle Bewußtsein um seiner Befreiung willen
ist. Die Identifizierung mit dem Körper aufzugeben und sich vom
Körper-Bewußtsein zu trennen, ist ein Schritt, der sowohl für die spirituelle
Befreiung wie für die spirituelle Vollkommenheit und Bemeisterung der Natur
anerkannt und für notwendig gehalten wurde. Wenn diese Befreiung aber wirksam
geworden ist, kann das spirituelle Licht mit seiner Kraft in den Körper
eindringen und ihn emporheben. Dann kann man die materielle Natur auf neue,
befreite und souveräne Weise annehmen. Das ist in der Tat nur dann möglich, wenn
die Gemeinschaft von Geist und Materie verwandelt wird, wenn es zu einer Lenkung
und Umkehrung des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses kommt, das der physischen
Natur bisher erlaubte, den Geist zu verhüllen und ihre eigene Vorherrschaft
durchzusetzen. Im Licht umfassenden Wissens kann man auch die Materie als das
brahman ansehen, als eine von brahman aus sich herausgestellte
Selbst-Energie, als eine Form von Substanz des
brahman. Das gnostische Licht und seine Macht des geheimen Bewußtseins, die
im Innern der materiellen Substanz bewußt und in diesem umfassenderen Wissen
sicher sind, können sich mit der so geschauten Materie einen und sie als
Werkzeug zur spirituellen Offenbarung annehmen. Es ist sogar eine gewisse
Ehrfurcht vor der Materie und eine sakramentale Haltung bei allem Umgang mit ihr
möglich. So wie in der Gita vom Akt der Nahrungsaufnahme als einem materiellen
Sakrament, einem Opfer, einer Darbringung des brahman an brahman
durch brahman gesprochen wird, so können auch das gnostische Bewußtsein
und seine Sinne alle Formen der Einwirkung des Geistes auf die Materie als
dasselbe ansehen. Der Geist hat sich selbst zur Materie gemacht, um sich hier
darzubieten als Instrument für Wohlbefinden und Freude, yogaksema, der
erschaffenen Wesen, als Selbst-Opfer zu universalem physischen Nutzen und
Dienst. Wenn der gnostische Mensch die Materie verwendet, dies aber ohne
materiellen oder vitalen Hang, ohne ein Verlangen tut, wird er fühlen, daß er
den Geist in dieser Form seiner selbst mit dessen Zustimmung und Sanktion für
dessen eigenen Zweck gebraucht. In ihm wird es eine gewisse Achtung für
physische Dinge geben, ein Wahrnehmen des verborgenen Bewußtseins in ihnen,
ihres dumpfen Willens, nützlich und dienstbar zu sein. So wird er das Göttliche
Wesen, brahman, in allem verehren, was er verwendet. Er wird sein
göttliches Material sorgsam, vollkommen fehlerlos gebrauchen zum wahren
Rhythmus, rechter Harmonie und Schönheit im Leben der Materie und bei ihrer
Verwendung.
Im weiteren Verlauf dieser neuen Beziehung zwischen
Geist und Körper bewirkt die gnostische Evolution die Spiritualisierung,
Vervollkommnung und Erfüllung des physischen Wesens. Sie tut für den Körper
dasselbe wie wir für das Mental und das Leben. Neben dem, was im Körper dunkel,
schwach und begrenzt ist – was diese Umwandlung überwinden wird –, ist das
Körper-Bewußtsein ein geduldiger Diener. Mit seiner gewaltigen Reserve an
Möglichkeiten kann es zum machtvollen Instrument des individuellen Lebens
werden. Es verlangt nur wenig für seine eigenen Bedürfnisse. Es begehrt vor
allem Fortdauer, Gesundheit, Kraft, physische Vervollkommnung, körperliches
Glück, Befreiung vom Leiden, Ruhe. Diese Forderungen sind an sich nicht
verwerflich, niedrig oder rechtswidrig. Sie übertragen doch nur in die Begriffe
der Materie die Vervollkommnung von Gestalt und Substanz, Macht und Wonne, die
ganz natürlich aus dem Geist ausströmen und seine
ausdrucksvolle Offenbarung sind. Sobald die gnostische Kraft im Körper wirkt,
können diese Dinge dauerhaft wirksam werden. Denn das, was ihnen entgegengesetzt
ist, rührt von einem Druck äußerer Kräfte auf das physische Mental, auf das
nervliche und materielle Leben, auf den Organismus des Körpers und von einer
Unwissenheit her, die nicht weiß, wie sie diesen Kräften entgegentreten soll,
oder nicht fähig ist, ihnen richtig oder mit Macht zu begegnen. Dazu kommt eine
gewisse Verdunkelung, die den Stoff des physischen Bewußtseins durchdringt und
seine Reaktion verzerrt, so daß es darauf falsch antwortet. Eine supramentale
Bewußtheit und Erkenntnis, die vom Selbst her wirkt und sich selbst wirksam
macht, ersetzt diese Unwissenheit. Sie befreit die verdunkelten und verdorbenen
intuitiven Antriebskräfte im Körper, stellt sie wieder her, erleuchtet sie und
versorgt sie mit mehr bewußter Wirkkraft. Diese Umwandlung stellt her und
erhellt die rechte physische Wahrnehmung der Dinge, die rechte Beziehung zu
ihnen und die rechte Reaktion auf Gegenstände und Energien, sowie den rechten
Rhythmus von Mental, Nerven und Organismus. In den Körper bringt sie eine höhere
spirituelle Macht ein, sowie mehr Lebens-Kraft, die, vereint mit der universalen
Lebens-Kraft, fähig ist, von dorther Energie zu beziehen. Dazu erleuchtet sie
zur Harmonie mit der materiellen Natur und verleiht das weite, ruhige Eingehen
in die ewige Stille, die ihr göttliche Stärke und Beruhigung geben kann. Darüber
hinaus – und das ist die wichtigste und fundamentale Umwandlung – durchflutet
sie das ganze Wesen mit einer erhabenen Bewußtseins-Kraft, die alle Kräfte des
Daseins, die den Körper umgeben und Druck auf ihn ausüben, in sich hineinnimmt,
assimiliert und mit sich in Einklang bringt.
Die Unvollkommenheit und Schwäche der Bewußtseins-Kraft, die sich im mentalen, vitalen und physischen Wesen offenbart, ihre Unfähigkeit, die auf sie gerichteten Einwirkungen der universalen Energie willenhaft aufzunehmen oder zurückzuweisen oder, falls sie sie aufnimmt, zu assimilieren und zu harmonisieren, ist die Ursache von Schmerz und Leiden. Im Reich der Materie beginnt die Natur in völliger Unempfindlichkeit. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß sich entweder eine verhältnismäßige Unempfindlichkeit oder sehr geringe Empfindlichkeit oder, noch öfters, ein größeres Vermögen zum Aushalten von Leiden und eine härtere Haltung ihnen gegenüber in den Anfängen des Lebens, im Tier, im primitiven oder wenig entwickelten Menschen findet. In dem Maß, in dem der Mensch in der Evolution wächst, nimmt auch seine Empfindlichkeit zu.
Er leidet stärker in
Mental, Leben und Körper, denn das Wachstum in seinem Bewußtsein wird nicht
genügend von seinem Wachstum an Kraft unterstützt. Der Körper wird subtiler,
feiner, empfindsamer, in seiner äußeren Kraft aber weniger fest und
leistungsfähig. Darum muß der Mensch seinen Willen, seine mentale Macht zuhilfe
rufen, um sein nervliches Wesen zu stärken, zu korrigieren und zu kontrollieren.
Er muß es zu den anstrengenden Aufgaben zwingen, die er von seinen Instrumenten
verlangt. Er muß es gegen Leiden und Katastrophen stählen. Bei seinem
spirituellen Aufstieg vermehrt sich außerordentlich diese Macht des Bewußtseins
und sein Wille über die Werkzeuge, die Kontrolle des Geistes und des inneren
Mentals über die äußere Mentalität und das nervliche Wesen sowie über den
Körper. Ruhige und weite Gelassenheit des Geistes allen Erschütterungen und
Einwirkungen gegenüber tritt ein und wird zur gewohnten Haltung. Sie kann vom
Mental auf die vitalen Schichten übergehen und auch dort Kraft und Frieden
erheblich ausweiten und dauerhaft machen. Dieser Zustand kann sich sogar im
Körper bilden und von innen her den Erschütterungen von Kummer, Schmerz und
allen Arten von Leid begegnen. Es kann sogar zu einer Kraft gewollter physischer
Unempfindlichkeit kommen. Oder man kann die Fähigkeit erwerben, sich mental von
jeglicher Erschütterung und Verletzung zu lösen, was beweist, daß die
schwächliche Unterwerfung des körperlichen Ichs unter die gewöhnlichen
Reaktionen auf die materielle Natur nicht zwangsläufig und unabänderlich ist.
Noch bedeutungsvoller ist die auf der Ebene des spirituellen Mentals oder des
Übermentals hervortretende Macht, die uns die Schwingungen von Schmerzen in
solche von ananda umwandeln läßt. Wenn das auch nur bis zu einem gewissen
Punkt gelingt, weist es doch auf die Möglichkeit hin, die Gesetzmäßigkeit des
reagierenden Bewußtseins völlig umzukehren. Das kann auch mit einer Macht zur
Selbst-Verteidigung verbunden werden, die die Erschütterungen zurückweist, die
wir nur unter größeren Schwierigkeiten umwandeln oder aushalten könnten. Auf
einer gewissen Stufe muß die gnostische Entwicklung eine Vollkommenheit dieser
Zurückweisung und dieser Macht zur Selbst-Verteidigung bewirken, die den
Anspruch des Körpers auf Unverletzbarkeit und gelassene Freude erfüllt und in
ihm das Vermögen aufbaut, sich in vollem Maße am Dasein zu erfreuen. Ein
spirituelles ananda kann in den Körper einströmen und Zellen und Gewebe
durchfluten. Eine erleuchtete Materialisation dieses höheren ananda
könnte
von sich aus eine vollständige Umwandlung
der mangelhaften oder schädlichen Empfindlichkeiten der körperlichen Natur
zustandebringen. Insgeheim besteht zwar in der ganzen Anlage unseres Wesens ein
Streben, ein Verlangen nach der höchsten, vollkommenen Seins-Seligkeit, das aber
verhüllt ist durch die Absonderung der naturhaften Schichten unseres Wesens.
Deren unterschiedliches Drängen ist verdunkelt durch deren Unfähigkeit, mehr zu
begreifen oder zu fassen als oberflächliche Lust. Im Körperbewußtsein nimmt
dieses Verlangen die Gestalt eines Bedürfnisses nach körperlichem Glück an. In
den vitalen Schichten ist es Sehnsucht nach Lebens-Glück, eine stark schwingende
Reaktion auf vielseitige Freude, auf Entzücken und jede überraschende
Befriedigung. Im Mental gestaltet es sich zu einem bereitwilligen Empfangen
aller Formen mentaler Freude. Auf einer höheren Ebene erscheint es in dem Wunsch
des spirituellen Mentals nach Frieden und göttlicher Ekstase. Dieses Streben
gründet in der Wahrheit unseres Wesens. Denn ananda ist die wahre Essenz
von brahman; es ist die höchste Natur der allgegenwärtigen Wirklichkeit.
Das Supramental selbst geht auf den absteigenden Stufen der Manifestation aus
ananda hervor und im evolutionären Aufstieg wieder in ananda ein. In
Wirklichkeit ist es aber nicht in dem Sinne mit ihm verschmolzen, daß es
ausgelöscht und zunichte wird. Vielmehr ist es in ihm ursprünglich daheim,
ununterscheidbar vom Selbst der Bewußtheit und der selbst-wirksamen Kraft der
Seligkeit des Seienden. Sowohl bei seiner involutionären Herabkunft als auch bei
seiner evolutionären Rückkehr wird das Supramental von der ursprünglichen
Seins-Seligkeit unterstützt und trägt diese bei all seinen Betätigungen als
deren förderndes Wesen in sich. Denn im Geist ist Bewußtsein sozusagen die
Vater-Macht; aber ananda ist der spirituelle Mutter-Schoß, aus dem sich
das Supramental offenbart, und der es erhaltende Ursprung, in den es die Seele
bei ihrer Rückkehr in den Zustand des Geistes zurückbringt. Steigt die
supramentale Manifestation weiter hinauf, so erfährt sie als nächstfolgende
Stufe und höchsten Gipfel dessen, was das Selbst erreicht, eine Manifestation
der Seligkeit von brahman: Auf die Entwicklung des Wesens der Gnosis
folgt die Entwicklung des Wesens der Seligkeit. Als ihre Konsequenz wird die
Verkörperung des gnostischen Seins zu einer Verkörperung des glückseligen Seins
führen. Immer ist im Wesen der Gnosis und im Leben der Gnosis eine gewisse Macht
von ananda als unabtrennbares und durchdringendes Kennzeichen für die
supramentale
Selbst-Erfahrung vorhanden. Bei der
Befreiung der Seele aus der Unwissenheit ist die erste Grunderfahrung Friede,
Ruhe, das Schweigen und die Stille des Ewigen und Unendlichen. Eine noch höhere
Macht und größere Gestaltung des spirituellen Aufstiegs erhebt diesen Frieden
der Befreiung in die Seligkeit einer vollkommenen Erfahrung und Verwirklichung
der ewigen Glückseligkeit, zur Wonne des Ewigen und Unendlichen. Dieses
ananda ist dem gnostischen Bewußtsein als allumfassende Seligkeit innerlich
zu eigen und wird mit der Entwicklung der gnostischen Natur weiter wachsen.
Man hat gemeint, Ekstase sei nur ein niederer und
vergänglicher Übergang; der Friede des Erhabenen sei die höchste Verwirklichung,
die alles überhöhende, bleibende Erfahrung. Das mag auf der Ebene des
spirituellen Mentals wahr sein. Dort ist die erste erlebte Ekstase tatsächlich
eine spirituelle Entrückung. Diese kann aber häufig mit einem höchsten
Glücksgefühl der vitalen Schichten vermischt sein, die vom Geist ergriffen
werden. Begeisterung, Frohlocken, Erregung, intensivste Freude des Herzens und
die reine innere Empfindung der Seele können ein wunderbares
Durchgangs-Erlebnis, eine erhebende Kraft sein, sind aber keine letzte und
bleibende Grundlage. Auf den höchsten Erhebungen spiritueller Seligkeit fehlen
Begeisterung und Erregung. Statt dessen gibt es dort einen unermeßlich hohen
Grad der Teilnahme an einer ewigen Ekstase, die sich auf das ewige Sein und
darum auf glückselige Ruhe und ewigen Frieden gründet. Friede und Ekstase hören
dort auf, etwas Verschiedenes zu sein; sie werden eins. Das Supramental versöhnt
und verschmilzt ebenso alle Unterschiede wie alle Widersprüche; es bringt diese
Einheit zustande. Zu den ersten Stufen der Selbst-Verwirklichung gehören eine
umfassende Ruhe und eine tiefe Freude des All-Seins. Diese Ruhe und diese
Seligkeit sind aber ein einziger Zustand und erheben sich zusammen in eine
wachsende Kraftfülle, bis sie ihren Höhepunkt in der ewigen Ekstase, in der
Wonne erreichen, die das Unendliche ist. Im gnostischen Bewußtsein existiert
wohl stets auf jeder Stufe diese grundlegende spirituelle bewußte
Seins-Seligkeit bis zum gewissen Grad in der ganzen Tiefe des Wesens. Es werden
aber auch alle Bewegungen der Natur von ihr durchdrungen, ebenso alle Aktionen
und Reaktionen des Lebens und Körpers: Nichts kann sich dem Gesetz von ananda
entziehen. Einen Anfang dieser fundamentalen Ekstase des Wesens, die sich in
vielfältiger Schönheit und Seligkeit darstellt, kann es schon vor der
gnostischen Umwandlung geben. Sie überträgt sich
im Mental in die Stille einer starken Freude an spiritueller Wahrnehmung, Schau
und Erfahrung. Im Herzen bewirkt sie eine weite, tiefe oder leidenschaftliche
Wonne in universaler Einung, Liebe, Sympathie und Freude an den Wesen und an den
Dingen. Im Willen und in den vitalen Schichten fühlt man sie als die freudige
Energie einer göttlichen Lebens-Macht im Handeln oder als eine Glückseligkeit
der Sinne, die den Einen überall wahrnehmen und antreffen. Als ihre normale
ästhetische Empfindung der Dinge schauen sie die universale Schönheit und
geheime Harmonie der Schöpfung, von der unser Mental nur unvollkommene Ahnungen
oder ein seltenes übernormales Empfinden aufnehmen kann. Im Körper offenbart
sich ananda als ein Entzücken, das aus den Höhen des Geistes in ihn
einströmt, als Friede und Wonne eines reinen spiritualisierten physischen
Daseins. Die universale Schönheit und Herrlichkeit des Wesens manifestiert sich
immer mehr. Alle Gegenstände offenbaren verborgene Linien, Schwingungen, Mächte,
harmonische Bedeutungen, die vor dem normalen Mental und den physischen Sinnen
verborgen sind. In den Erscheinungen des Universums wird das ewige ananda
enthüllt.
Das sind die ersten größeren Ergebnisse der
spirituellen Transformation, die notwendigerweise aus der Natur des Supramentals
erfolgen. Wenn es aber nicht nur zu einer Vervollkommnung des inneren Seins, des
Bewußtseins einer inneren Seins-Seligkeit kommen soll, sondern zu einer
Vervollkommnung des Lebens und Handelns, erheben sich von unserer mentalen
Betrachtungsweise her zwei Fragen, die für unser Denken über unser Leben und
seine Dynamik beträchtliche, ja primäre Bedeutung haben. Die erste fragt nach
dem Ort der Persönlichkeit im gnostischen Menschen – ob der Zustand, die
Struktur des Menschen ganz anders sein werde als das, was wir als die Gestalt
und das Leben der Person erfahren, oder ob sie ihr ähnlich sind. Wenn es eine
Persönlichkeit gibt und diese irgendwie verantwortlich für ihre Handlungen sein
soll, erhebt sich hier die zweite Frage nach dem Ort des sittlichen Elements und
seiner Vervollkommnung und Erfüllung in der gnostischen Natur. Nach der
allgemeinen Annahme ist das separative Ich unser Selbst. Müsse das Ich in einem
transzendentalen oder universalen Bewußtsein verschwinden, dann müsse auch das
personale Leben und Handeln aufhören. Denn wenn das Individuum verschwinde,
könne es nur ein apersonales Bewußtsein, ein kosmisches Selbst, geben. Wenn aber
das Individuum völlig ausgelöscht werde, sei jede weitere Frage nach Personalität, Verantwortlichkeit oder sittlicher Vervollkommnung
gegenstandslos. Einer anderen Richtung zufolge bleibt die spirituelle Person
bestehen, sie ist jedoch befreit, geläutert in ihrer Natur und in einem
himmlischen Sein. Hier seien wir aber noch auf der Erde; darum werde vermutet,
die Ich-Personalität werde ausgelöscht und durch einen universalisierten
spirituellen Einzelnen ersetzt, der Zentrum und Macht des transzendenten Wesens
sei. Man könnte schließen, dieses gnostische oder supramentale Individuum sei
selbst ohne Persönlichkeit, es sei ein apersonaler purusha. Es könne zwar
viele gnostische Individuen geben, gebe aber keine Persönlichkeit; alle seien
dasselbe nach Wesen und Natur. Das würde wiederum die Vorstellung von einer
Leere oder dem Blanko eines reinen Wesens wachrufen, von dem die Aktivität und
Funktion eines erfahrenden Bewußtseins ausgehe, das aber selbst ohne die
Struktur einer solchen differenzierten Personalität wäre, wie wir diese jetzt
beobachten und in unserer äußeren Person für uns selbst halten. Das wäre jedoch
eher eine mentale als eine supramentale Lösung des Problems einer spirituellen
Individualität, die das Ich überlebt und in der Erfahrung weiterbesteht. Im
Supramental-Bewußtsein sind Personalität und Apersonalität keine
entgegengesetzten Prinzipien. Sie sind untrennbare Aspekte einer und derselben
Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist nicht das Ich, sondern das Wesen, das im
Stoff seiner Natur apersonal und universal ist, aber aus ihm eine es zum
Ausdruck bringende Persönlichkeit bildet, die in den Wandlungen der Natur seine
Form des Selbsts ist.
Apersonalität ist in ihrem Ursprung etwas Fundamentales
und Universales. Sie ist ein Sein, eine Kraft, ein Bewußtsein, das verschiedene
Ausgestaltungen seines Wesens und seiner Energie annimmt. Jede solche Gestaltung
von Energie, Qualität, Macht oder Kraft wird, obwohl sie an sich noch allgemein,
apersonal und universal ist, vom individuellen Wesen als Material angenommen, um
aus ihm seine Persönlichkeit aufzubauen. So ist also in der ursprünglichen
undifferenzierten Wahrheit der Dinge die Apersonalität die reine Substanz der
Natur des Wesens, die Person. In der dynamischen Wahrheit der Dinge
differenziert sie ihre Mächte und leiht sie aus, um durch ihre Variationen die
Offenbarung der Persönlichkeit zu konstituieren. Liebe ist die Natur des
Liebenden, Mut ist die Natur des Kriegers. Liebe und Mut sind apersonale und
universale Kräfte oder Formulierungen der kosmischen Kraft. Sie sind Mächte des
Geistes, seines universalen Wesens und seiner
universalen Natur. Die Person ist das Wesen. Sie trägt und fördert das, was so
apersonal ist. Sie behält es in sich als ihr Eigenes, als die Natur ihres
Selbsts. Die Person ist das, was der Liebende, der Krieger eigentlich ist. Was
wir die Personalität der Person nennen, ist ihre Ausdrucksform im Natur-Zustand
und im Natur-Wirken. In ihrem Selbst-Sein ist sie ursprünglich und letztlich
viel mehr als das. Sie stellt eine Gestaltung ihres Selbsts heraus als ihr
manifestiertes, bereits entwickeltes natürliches Wesen oder als ihr Selbst in
der Natur. In dem gestalteten, begrenzten Individuum ist sie der personale
Ausdruck dessen, was apersonal ist. Wir können sagen, sie hat sich das Personale
angeeignet, um ein Material zu haben, mit dem sie ein bedeutungsvolles Abbild
ihrer selbst in der Manifestation herstellen kann. In ihrem ungeformten,
unbegrenzten Selbst, in ihrem wirklichen Wesen, in der wahren Person, dem
purusha, ist sie das nicht, sondern enthält sie unbegrenzte und universale
Möglichkeiten. Als das göttliche Individuum gibt sie ihnen aber ihre eigene
Richtung in der Manifestation, so daß jede unter den Vielen ein einzigartiges
Selbst des einen Göttlichen Wesens ist. Das Göttliche Wesen, das Ewige, stellt
sich nach außen dar als Sein, Bewußtsein, Seligkeit, Weisheit, Wissen, Liebe,
Schönheit. Wir können es uns als diese apersonalen und universalen Mächte seiner
selbst vorstellen, sie als die Natur des Göttlichen und des Ewigen ansehen. So
können wir sagen: Gott ist Liebe, Gott ist Weisheit, Gott ist Wahrheit oder
Gerechtigkeit: Er selbst ist aber nicht ein apersonaler Zustand oder ein
Abstraktum von Zuständen oder Eigenschaften. Er ist das Wesen, zugleich absolut,
universal und individuell. Wenn wir von dieser Grundlage aus die Dinge
betrachten, gibt es offensichtlich keinen Gegensatz, keine Unvereinbarkeit,
keine Unmöglichkeit einer Koexistenz oder einer einheitlichen Existenz des
Apersonalen und der Person. Jede ist auch die andere. Sie leben ineinander,
verschmelzen miteinander. Dennoch können sie irgendwie erscheinen, als seien sie
die verschiedenen Enden und Seiten derselben Wirklichkeit, ihre Vorderseite und
ihre Rückseite. Das gnostische Wesen ist von der Natur des Göttlichen Wesens.
Darum wiederholt es in sich selbst dieses natürliche Mysterium des Seins.
Ein supramentaler gnostischer Einzelmensch ist eine
spirituelle Person, aber keine Persönlichkeit nach dem Muster einer
feststehenden Kombination festliegender Eigenschaften, also kein festgelegter
Charakter. Er kann das nicht sein, da er ein bewußter Ausdruck des Universalen und Transzendenten ist. Sein Wesen kann aber auch kein
unverantwortliches apersonales Dahinfließen sein, das willkürlich Wellen
verschiedener Gestalt, Wogen der Persönlichkeit aufwirft, wenn es sich so durch
die Zeit ergießt. Etwas Ähnliches mag man bei Menschen fühlen, die in ihren
Tiefen keine starke zentralisierende Person haben, sondern aus einer Art
verworrener Multipersonalität, je nach dem Element handeln, das in ihnen zur
Zeit vordringlich wird. Das gnostische Bewußtsein ist aber ein Bewußtsein von
Harmonie, von Erkenntnis des Selbsts und von Meisterschaft aus dem Selbst; es
kann keine solche Unordnung hervorbringen. Gewiß gibt es verschiedene
Auffassungen über das, was eine Persönlichkeit und einen Charakter ausmacht.
Nach der einen Anschauung sieht man Persönlichkeit an als eine feststehende
Struktur von erkennbaren Eigenschaften, die eine Macht des Wesens ausdrücken.
Eine andere Auffassung unterscheidet Persönlichkeit und Charakter.
Persönlichkeit ist das Strömen eines das Selbst ausdrückenden oder empfindenden
oder reagierenden Wesens. Charakter ist geformte Festigkeit des Naturaufbaus.
Aber ein Strömen der Natur und eine Festigkeit der Natur sind zwei Aspekte, von
denen keiner allein und auch nicht beide zusammen eine Definition von
Persönlichkeit sein können. Gibt es doch in allen Menschen ein doppeltes
Element, das ungeformte, wenn auch begrenzte Strömen des Wesens oder der Natur,
aus dem die Persönlichkeit gestaltet wird; und die personale Formgestalt aus
diesem Strömen. Die Ausgestaltung mag starr werden oder verknöchern, sie mag
genügend formbar bleiben, um sich ständig zu wandeln und zu entwickeln. Sie
entwickelt sich aber aus dem gestaltungsfähigen Strömen, indem sie die
Persönlichkeit verändert oder ausweitet oder neu prägt. Gewöhnlich geschieht das
nicht durch Vernichtung einer bereits hergestellten Gestaltung oder indem diese
durch eine neue Form des Wesens ersetzt wird, – es kann nur bei abnormer
Wandlung oder übernormaler Bekehrung geschehen. Neben diesem Strömen und dieser
Verfestigung gibt es aber noch ein drittes, verborgenes Element: die Person im
Hintergrund, von der die Persönlichkeit ein Selbst-Ausdruck ist. Die Person
stellt die Persönlichkeit in den Vordergrund als ihre Rolle, ihren Charakter,
persona, im gegenwärtigen Akt des langen Dramas des manifestierten Daseins.
Die Person ist aber umfassender als ihre Persönlichkeit. So mag es sein, daß
dieses innere Übermaß in die vordergründige Gestaltung überströmt. Ergebnis ist,
daß sich das Wesen selbst in einer Weise zum Ausdruck bringt, die man
nicht länger mit festen Eigenschaften, normalen Äußerungen der
Stimmung oder exakten Umrissen beschreiben oder durch irgendwelche strukturellen
Begrenzungen markieren kann. Es ist aber auch kein Strömen ohne Unterschied, das
völlig gestaltlos und ungreifbar wäre: Obwohl das Wirken dieses Selbst-Ausdrucks
der Natur, jedoch nicht er selbst, charakterisiert werden kann, ist er doch
ausdrücklich fühlbar. Man kann ihn bei seinem Wirken verfolgen, man kann ihn
erkennen. Nur kann man ihn nicht leicht beschreiben. Ist er doch eher eine Macht
des Wesens als eine Struktur. Die gewöhnliche begrenzte Persönlichkeit kann man
durch eine Beschreibung der in ihrem Leben, Denken und Handeln ausgeprägten
Charaktereigenschaften, durch ihre ganz deutliche äußere Struktur und den
Ausdruck ihres Selbsts erfassen. Selbst wenn uns das, was nicht so deutlich
ausgedrückt ist, entgehen sollte, würde das doch offensichtlich unser im
allgemeinen angemessenes Verständnis nur wenig mindern, da das übersehene
Element gewöhnlich wenig mehr ist als ein gestaltloses Rohmaterial, der Teil des
Strömens, der nicht verwendet wurde, um einen bedeutungsvolleren Teil der
Persönlichkeit zu gestalten. Eine solche Beschreibung wäre aber jämmerlich
unangemessen, um der Person Ausdruck zu verleihen, sobald sich die Macht ihres
Selbsts im Innern in reicherem Maß manifestiert und die verborgene Macht ihres
(ihrer Göttlichkeit, d. Ü.) in die Zusammensetzung im Vordergrund und in das
Leben hervortreten läßt. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Lichtes von
Bewußtsein, einer Macht, eines Meeres von Energie. Wir können diese freien Wogen
von Aktivität und Qualität unterscheiden und beschreiben, die Gegenwart selbst
aber nicht deutlich fixieren. Und dennoch haben wir den Eindruck von
Persönlichkeit, von der Gegenwart eines machtvollen Wesens, von einem starken,
hohen und schönen erkennbaren Irgendwer, von einer Person, nicht von einem
begrenzten Geschöpf der Natur, sondern von einem Selbst, von einer Seele, von
purusha. Der gnostische Einzelmensch wird eine solche innere unverhüllte
Person sein, die beides in einem geeinten Selbst-Innesein umfaßt, die Tiefen –
die sich nicht länger selbst verhüllen – und das Vordergründige. Er ist nicht
eine nur äußere Persönlichkeit, die ein umfassenderes geheimes Wesen nur
teilweise zum Ausdruck bringt. Er ist nicht nur eine Welle, sondern er ist der
Ozean: Er ist der purusha, das selbstenthüllte innere bewußte Sein. Eine
künstlich geformte ausdrucksvolle Maske, die persona, hat er nicht mehr
nötig.
So ist also die Natur
der gnostischen Person ein unendliches und allumfassendes Wesen, das sein ewiges
Selbst durch bedeutungsvolle Form und in der individuellen und zeitlichen
Selbst-Manifestation sich ausdrückende Macht offenbart – oder unsere mentale
Unwissenheit ahnen läßt. Die Manifestation der individuellen Natur, ob in ihren
Umrissen scharf und unterscheidbar oder vielgestaltig, vielfältig, proteisch,
doch noch harmonisch, wäre vorhanden als Hinweis auf das Wesen, nicht als das
ganze Wesen: Man fühlt jenes Wesen dahinter. Es ist erkennbar, aber nicht
definierbar. Es ist unendlich. Auch das Bewußtsein der gnostischen Person ist
ein unendliches Bewußtsein. Es projiziert Gestaltungen, um sich auszudrücken. Es
bleibt aber immer seiner uneingeschränkten Unendlichkeit und Universalität inne.
Es überträgt Macht und Gefühl seiner Unendlichkeit und Universalität in die
Endlichkeit ihrer Ausdrucksformen – durch die es überdies nicht an der weiteren
Bewegung seiner Selbst-Offenbarung gehindert wird. Das ist aber noch kein
ungeregeltes, unkenntliches Strömen, sondern ein Prozeß der Selbst-Offenbarung,
der die innewohnende Wahrheit seiner Seins-Mächte im Einklang mit dem
harmonischen Gesetz sichtbar macht, das jeder Manifestation des Unendlichen
natürlich ist.
Aus dieser Art seiner gnostischen Individualität
entsteht nun, vom Selbst determiniert, der Charakter von Leben und Wirken des
gnostischen Menschen. In ihm kann es kein Sonderproblem ethischen oder anderen
Inhalts geben, keinen Konflikt zwischen Gut und Böse. Tatsächlich kann dort
überhaupt kein Problem entstehen, denn Probleme sind Schöpfungen mentaler
Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie können nicht in einem Bewußtsein
existieren, in dem das Wissen entsteht, das aus dem Selbst geboren ist, und wo
das Handeln aus dem Wissen selbst geboren wird, aus einer präexistenten Wahrheit
des Wesens, das bewußt und des Selbsts inne ist. Eine wesenhafte und universale
spirituelle Wahrheit des Wesens manifestiert sich selbst. Sie bringt sich in
ihrer eigenen Art und ihrem das Selbst verwirklichenden Bewußtsein frei zur
Erfüllung. Das ist eine Wahrheit des Wesens, die in allen Menschen, selbst in
der unendlichen Verschiedenheit ihrer Wahrheit, eins ist und die alles als eines
fühlen läßt. Diese Wahrheit ist eigentlich ein wesenhaftes und universales
Gutes, das sich manifestiert, sich in seiner eigenen Natur und in dem das Selbst
wirksam machenden Bewußtsein zur Erfüllung bringt. Sie ist eine Wahrheit des
Guten, das in allen Menschen und für alle, sogar in der unendlichen Verschiedenheit ihres Guten, eins ist. Die Reinheit des ewigen
Selbst-Seins ergießt sich in alles Handeln und macht und erhält so alle Dinge
rein. Da könnte es keine Unwissenheit geben, die zu unrechtem Wollen und zu
fehlerhaften Schritten führt. Es ist auch kein trennender Egoismus möglich, der
durch seine Unwissenheit und seinen separaten Gegen-Willen sich selbst oder
anderen Schaden zufügt, der von seinem Ich getrieben wird, mit seiner eigenen
Seele, mit seinem Mental, Leben oder Körper in unrechter Weise umzugehen, oder
der auf Seele, Mental, Leben und Körper anderer Menschen falsch einwirkt. Das
alles ist die praktische Ursache alles Bösen unter den Menschen. Emporzukommen
in ein Jenseits von Tugend und Sünde, von Gut und Böse, ist ein wesentlicher
Teil der vedantischen Idee der Befreiung. Aus dieser Wechselbeziehung ergibt
sich eine von selbst einleuchtende Folge. Denn Befreiung bedeutet, daß wir in
die wahre spirituelle Natur des Wesens eintreten, wo jedes Wirken automatisch
Selbst-Ausdruck jener Wahrheit ist und es nichts anderes geben kann. In der
Unvollkommenheit und im Widerstreit unserer Wesensseiten zeigt sich ein Bemühen,
zum rechten Maßstab für unser Verhalten zu kommen und diesen zu beachten. Das
ist Ethik, Tugend, verdienstvolles Leben, punya. Anders zu handeln, ist
Sünde, nicht verdienstvoll, papa. Das ethische Mental proklamiert ein
Gesetz der Liebe, ein Gesetz der Gerechtigkeit, ein Gesetz der Wahrheit, Gesetze
ohne Zahl, schwer zu halten, schwierig miteinander in Einklang zu bringen. Ist
aber das Einssein mit den anderen Menschen, das Einssein mit der Wahrheit
bereits das Wesenhafte der erkannten spirituellen Natur, dann ist kein Gesetz
der Wahrheit und der Liebe mehr notwendig. Jetzt freilich muß noch das Gesetz,
der Maßstab für unser Verhalten, uns aufgezwungen werden, weil es in unserem
natürlichen Wesen noch eine Gegen-Macht der Absonderung gibt, eine Möglichkeit
der Feindschaft, eine Kraft der Zwietracht, des bösen Willens, des Streites.
Alle Ethik ist die Konstruktion eines Guten in einer Natur, die von den aus der
Finsternis geborenen Mächten der Unwissenheit mit dem Bösen heimgesucht wurde,
wie das in der alten Legende des Vedanta dargestellt wird. Wo aber alles durch
die Wahrheit des Bewußtseins und der Wahrheit des Wesens selbstbestimmt ist,
kann es keinen Standard des Guten, keinen Kampf, ihn einzuhalten, keine Tugend
oder Verdienste, keine Sünde oder Schuld in unserer Natur geben. Die Macht von
Liebe, Wahrheit und rechtem Willen wird hier herrschen, nicht als ein mental
konstruiertes Gesetz,
sondern als die
eigentliche Substanz und Konstitution unserer Natur. Sie werden durch die
Integration des Wesens auch mit Notwendigkeit zum eigentlichen Stoff und zur
konstituierenden Natur unseres Handelns. In diese Natur unseres wahren Wesens,
in die Natur der spirituellen Wahrheit und des Einsseins emporzuwachsen, ist die
Befreiung, die wir durch die Evolution des spirituellen Wesens erlangen: Die
gnostische Entwicklung verleiht uns die vollständige Dynamik, daß wir so zu uns
selbst zurückkehren können. Sobald das getan ist, verschwindet die Notwendigkeit
für Maßstäbe der Tugend, dharma. Hier gilt allein das Gesetz und die
Selbst-Ordnung der Freiheit des Geistes. Es kann hier kein von außen auferlegtes
oder konstruiertes Gesetz für das Verhalten, dharma, geben. Alles wird zu
einem Ausströmen aus dem Selbst der spirituellen Selbst-Natur, zum svadharma
des svabhava.
Hier kommen wir zum Kern des dynamischen Unterschieds
zwischen einem Leben in der mentalen Unwissenheit und einem Leben im gnostischen
Wesen und in der gnostischen Natur. Es ist der Unterschied zwischen einem
integrierten voll bewußten Menschen, der in vollem Besitz seiner eigenen
Seins-Wahrheit diese Wahrheit in seiner eigenen Freiheit ausarbeitet, frei von
allen selbst-konstruierten Gesetzen, während sein Leben dennoch eine Erfüllung
aller wahren Gesetze des Werdens in ihrer wesenhaften Bedeutung ist, und dem
Menschen in einem unwissenden, selbst-zerteilten Dasein, das nach seiner
Wahrheit sucht, um seine Ergebnisse in Gesetzen festzulegen und sein Leben nach
einem so hergestellten Muster zu gestalten. Jedes wahre Gesetz ist der rechte
Vorgang und Entwicklungsprozeß einer Wirklichkeit, einer Energie oder Macht des
Seienden in Aktion, das die ihm innewohnende Bewegung, die seiner Seins-Wahrheit
zugrundeliegt, zur Erfüllung bringt. Dieses Gesetz mag unbewußt sein, sein
Wirken mag als mechanisch erscheinen – bei dem Gesetz der materiellen Natur ist
das so oder scheint es zumindest so zu sein. Es kann auch eine bewußte Energie
sein, die in ihrem Wirken frei bestimmt wird vom Bewußtsein im Wesen, das seines
eigenen Wahrheits-Gebots und seiner formbaren Möglichkeiten zum Selbst-Ausdruck
dieser Wahrheit ebenso bewußt ist, wie es auch stets im ganzen und jeden
Augenblick im einzelnen der aktuellen Dinge inne ist, die es zu verwirklichen
hat: Das ist die Darstellung des Gesetzes des Geistes. Vollkommene Freiheit des
Geistes, eine völlig im Selbst seiende Ordnung, die aus dem Selbst erschafft,
aus dem Selbst wirksam und in der eigenen
natürlichen und unvermeidlichen Bewegung ihrer selbst sicher ist, das ist der
Charakter dieser Dynamik der gnostischen Übernatur.
Auf dem Höhepunkt des Wesens steht das Absolute mit
seiner absoluten Freiheit der Unendlichkeit, aber auch mit der absoluten
Wahrheit seiner selbst und der Macht dieser Wahrheit des Wesens. Diese beiden
Aspekte wiederholen sich im Leben des Geistes in der Übernatur. Dort ist alles
Wirken das Wirken des höchsten Selbsts, des höchsten ishvara, in der
Wahrheit der Übernatur. Es ist zugleich die Wahrheit des Wesens des Selbsts und
die mit dieser Wahrheit geeinte Wahrheit des Willens des ishvara – eine
zweieinige Wirklichkeit –, die sich in jedem individuellen gnostischen Wesen im
Einklang mit seiner Übernatur zum Ausdruck bringt. Die Freiheit des gnostischen
Einzelnen ist seine geistige Freiheit, die Wahrheit seines Wesens und die Macht
seiner Energie im Leben dynamisch zur Erfüllung zu bringen. Das heißt aber
zugleich, daß seine Natur der Wahrheit des Selbsts, die in seinem Sein
geoffenbart ist, und dem Willen des Göttlichen Wesens in ihm und in allen
gehorcht. Dieser All-Wille ist ein einziger in jedem gnostischen Einzelnen, in
vielen gnostischen Individuen und in dem bewußten All, das sie enthält und
besitzt. Dieser All-Wille ist in jedem gnostischen Menschen seiner selbst bewußt
und dort eins mit dessen eigenem Willen. Zugleich ist dieser Einzelne dessen
bewußt, daß der gleiche Wille, das gleiche Selbst und dieselbe Energie in allen
verschieden aktiv ist. Solch gnostisches Bewußtsein und solch gnostischer Wille,
der seines Einsseins in vielen gnostischen Individuen bewußt ist, der auch um
ihre übereinstimmende Ganzheit und die Bedeutung und Gemeinsamkeiten in ihrer
Verschiedenheit weiß, muß eine symphonische Bewegung, die Bewegung von Einheit,
Einklang und Gegenseitigkeit im Zusammenwirken des Ganzen sicherstellen.
Zugleich sichert er im Einzelnen Einheit und symphonische Übereinstimmung aller
Mächte und Bewegungen seines Wesens. Alle Energien des Wesens suchen ihren
Selbst-Ausdruck. In ihrer höchsten Entfaltung erstreben sie ihr Absolutes. Dies
finden sie im erhabenen Selbst. Zugleich entdecken sie dort ihr höchstes
Einssein, die Harmonie und Gegenseitigkeit eines geeinten und gemeinsamen
Selbst-Ausdrucks in seiner alles schauenden und alles vereinenden dynamischen
Macht von Selbst-Bestimmung und Selbst-Verwirklichung, die supramentale Gnosis.
Ein gesondertes selbstseiendes Wesen kann mit anderen separaten Wesen in
Spannungen leben, mit dem universalen All, in
dem sie zusammen existieren, in Widerstreit liegen und sich in einem Zustand von
Widerspruch befinden gegen jede höchste Wahrheit, die sich im Universum zum
Ausdruck bringen will. Das geschieht mit dem Einzelnen in der Unwissenheit, da
er seinen Standpunkt im Bewußtsein gesonderter Individualität einnimmt. Es kann
auch einen ähnlichen Konflikt, einen Zwist, eine Unvereinbarkeit geben zwischen
den Wahrheiten, Energien, Eigenschaften, Mächten und Wesensarten, die im
Einzelnen und im Universum als getrennte Mächte wirken. Eine Welt voller
Konflikt, ein Widerstreit in uns selbst, der Gegensatz des Einzelnen zu seiner
Umwelt sind normale und unvermeidliche Erscheinungen des trennenden Bewußtseins
der Unwissenheit und unseres schlecht harmonisierten Daseins. Im gnostischen
Bewußtsein kann das aber nicht geschehen, da dort jeder sein vollkommenes Selbst
findet und alle ihre Wahrheit und den Einklang ihrer verschiedenen Bewegungen in
Jenem entdecken, das sie alle überragt und dessen Ausdruck sie sind. Darum
herrscht im gnostischen Leben völliger Einklang zwischen dem freien
Selbst-Ausdruck des Wesens und seinem unwillkürlichen Gehorsam gegenüber dem
Gesetz, das der höchsten und universalen Wahrheit der Dinge innewohnt. Das sind
für ihn die miteinander verbundenen Seiten der einen Wahrheit. Das ist auch die
eigene höchste Wahrheit seines Wesens, die sich in der geeinten Wahrheit seiner
selbst und der Dinge in der einen Obernatur auswirkt. Dort gibt es auch völlige
Übereinstimmung zwischen den vielen und verschiedenen Mächten des Wesens und
ihres Wirkens. Denn auch die Mächte, die in ihrer hervortretenden Bewegung
widerspruchsvoll sind und, wenn wir sie mental erfahren, miteinander in Streit
zu liegen scheinen, fügen sich und ihr Wirken auf natürliche Weise ineinander,
da jede Macht ihre Wahrheit des Selbsts und die Wahrheit ihrer Beziehung zu den
anderen hat und diese in der gnostischen Übernatur im Selbst gegründet und aus
dem Selbst gestaltet wird.
Darum wird in der supramentalen gnostischen Natur nicht
mehr die starre Art und der harte Stil einer festen Regel, einer einschränkenden
Standardisierung, die Aufnötigung einer festgelegten Reihe von Prinzipien
notwendig sein. Man braucht das Leben nicht in ein System oder in ein Schema
hineinzuzwängen, das allein Geltung haben soll, weil es vom Mental als die
einzig richtige Wahrheit des Wesens und Verhaltens anerkannt wird. Denn solch
ein Maßstab kann nicht das Ganze des Lebens umschließen; solch eine Konstruktion
kann es nicht zu ihrem Inhalt machen. Es kann
sich auch nicht freiwillig dem Druck des All-Lebens oder den Notwendigkeiten der
evolutionären Kraft anpassen. Da muß das Leben sich selbst oder den von ihm
konstruierten Begrenzungen entfliehen, sei es durch seinen Tod, sei es durch
seinen Zerfall oder durch heftigen Konflikt und revolutionären Aufruhr. Das
Mental muß sein begrenztes Lebens-Gesetz und seine Lebensweise auf solche Weise
auswählen, weil es in sich selbst gebunden und in seiner Schau und Fähigkeit
begrenzt ist. Der gnostische Mensch aber nimmt das Ganze des Lebens und Daseins
in sich auf. Er erfüllt und verwandelt es in den harmonischen Selbst-Ausdruck
einer unermeßlichen Wahrheit, die eins und verschiedenartig, unendlich eins und
unendlich vielfältig ist. So werden Wissen und Wirken des gnostischen Menschen
die Weite und Vielgestaltigkeit unendlicher Freiheit haben. Dieses Wissen wird
seine Gegenstände zugleich mit seinem Eintreten in die umfassende Weite des
Ganzen erfassen. Es ist nur durch die integrale Wahrheit des Ganzen und die
vollständige und innerste Wahrheit des Gegenstandes gebunden, nicht aber durch
die gestaltete Idee oder durch festgelegte mentale Symbole, durch die das Mental
gefangen, festgehalten und eingesperrt wird, so daß es die Freiheit seines
Erkennens verliert. Auch wird seine ganze Aktivität nicht durch den Zwang
starrer Regeln gefesselt oder durch Verpflichtungen einem vergangenen Zustand
oder Wirken gegenüber oder durch dessen zwingende Folge, das karma. Sein
Handeln hat jene sich aus dem Unendlichen ergebende, jedoch vom Selbst gelenkte
und sich aus dem Selbst entwickelnde Formbarkeit, mit der das Unendliche
unmittelbar auf seine endlichen Gestaltungen einwirkt. Diese Bewegung verursacht
kein Dahinströmen, kein Chaos, sondern einen befreiten und harmonischen Ausdruck
der Wahrheit. Das ist freie Selbst-Bestimmung des spirituellen Wesens in einer
formbereiten, völlig bewußten Natur.
Im Bewußtsein des Unendlichen bricht die Individualität
nicht das kosmische Ganze auseinander und engt es nicht ein; und das Kosmische
widerspricht nicht der Transzendenz. Das gnostische Wesen, das im Bewußtsein des
Unendlichen lebt, erschafft sich seine Selbst-Manifestation als Individuum. Es
tut das aber als Mittelpunkt einer umfassenderen Universalität und zugleich als
Mittelpunkt der Transzendenz. Als allumfassendes Individuum wird es in all
seinem Handeln in Harmonie mit dem kosmischen Wirken sein. Hinsichtlich seiner
Transzendenz ist es aber nicht durch eine vorübergehende niedere Ausdrucksform
begrenzt oder sämtlichen kosmischen Kräften auf
Gnade und Ungnade ausgeliefert. Seine Universalität wird sogar die Unwissenheit
seiner Umgebung in sein umfassenderes Selbst einbeziehen. Doch würde es, da es
ihrer gründlich bewußt ist, nicht von ihr beeinträchtigt werden. Es wird dem
höheren Gesetz seiner transzendenten Individualität folgen und deren gnostische
Wahrheit in seiner Seins- und Wirkweise zum Ausdruck bringen. Sein Leben wird so
zu einem freien harmonischen Ausdruck des Selbsts. Da aber sein höchstes Selbst
eins ist mit dem Wesen des ishvara, wird die natürliche göttliche Lenkung
seines Selbst-Ausdrucks durch den ishvara, durch sein höchstes Selbst und
die Übernatur, die seine höchste Natur ist, in Wissen, Leben und Wirken
automatisch eine umfassende, unbegrenzte, aber vollkommene Ordnung bringen. Der
Gehorsam seiner individuellen Natur gegenüber dem ishvara und der
Übernatur wird zur natürlichen Übereinstimmung, der eigentlichen Voraussetzung
für die Freiheit des Selbsts. Denn es ist ein Gehorsam gegenüber seinem höchsten
Wesen, eine Antwort an den Ursprung seines Daseins. Die individuelle Natur ist
hier nichts Abgesondertes; sie ist eine Strömung aus der Ubernatur. Die
Antinomie von purusha und prakriti, diese eigentümliche Trennung
und Unausgewogenheit von Seele und Natur, unter der die Unwissenheit leidet, ist
hier völlig beseitigt. Denn nun ist die Natur das Ausströmen der Selbst-Kraft
der Person; die Person ist das Ausströmen aus der höchsten Natur, die
supramentale Macht des Wesens des ishvara. Es ist diese erhabene Wahrheit
seines Wesens, ein unendlich harmonisches Prinzip, das die Ordnung seiner
spirituellen Freiheit schafft, eine zuverlässige, unwillkürliche und formbare
Ordnung.
Im niederen Dasein ist die Gesetzmäßigkeit
unwillkürlich, bindet die Natur ohne Ausnahme, sind ihre Bahnen streng
festgelegt. Die kosmische Bewußtseins-Kraft entwickelt ein Schema der Natur und
deren gewohnheitsmäßiges Gepräge, ihre festgelegte Routine des Wirkens. Sie
zwingt das unterrationale Wesen, nach dem Schema, dem Gepräge oder der für es
geschaffenen Routine zu leben und zu handeln. Von diesem im voraus festgelegten
Schema, von dieser Routine, geht das Mental im Menschen aus. Im Gang seiner
Entwicklung erweitert es aber diesen Plan, vergrößert die Schablone und
versucht, dieses unbewußte oder halb-bewußte Gesetz des automatischen Ablaufs
durch eine Ordnung zu ersetzen, die sich auf Ideen, tiefere Bedeutungen und
angenommene Lebens-Motive gründet. Oder es versucht, durch die Intelligenz Maßstäbe aufzustellen, ein durch ein rationales Ziel, durch
Nützlichkeit oder Brauchbarkeit bestimmtes Rahmenwerk zu konstruieren. Doch gibt
es in den Wissens- oder Lebens-Strukturen des Menschen nichts wirklich Bindendes
oder Dauerhaftes. Er kann aber neue Maßstäbe für sein Denken, Erkennen, seine
Persönlichkeit, sein Leben und Verhalten setzen und, mehr oder minder bewußt und
vollständig, sein Dasein auf sie gründen oder zumindest versuchen, bestmöglich
sein Leben im gedanklichen Rahmen des von ihm angenommenen oder erwählten
Gesetzes, dharma, zu gestalten. Beim Übergang zum spirituellen Leben ist,
im Gegensatz hierzu, das höchste Ideal nicht mehr ein Gesetz, sondern Freiheit
im Geist. Der Geist bricht durch alle Formeln hindurch, um sein Selbst zu
finden. Muß er sich immer noch um Gestaltung nach außen kümmern, dann wird er
zur Freiheit eines uneingeschränkten und wahren, statt künstlichen Ausdrucks, zu
einer wahren und spontan spirituellen Ordnung kommen. “Gib jedes dharma,
alle Maßstäbe und Regeln für dein Leben und Wirken auf und nimm deine Zuflucht
allein zu Mir” (Gita, XVIII, 66). Das ist die höchste Regel für ein
vollkommenes Dasein, die dem Suchenden vom Göttlichen Wesen vorgehalten wird.
Wenn wir nach dieser Freiheit trachten, wenn wir loskommen wollen von einem
konstruierten Gesetz, um in das Gesetz des Selbsts und Geistes einzutreten, wenn
wir die mentale Lenkung zurückweisen, um sie durch die Lenkung durch die
spirituelle Wirklichkeit zu ersetzen, wenn wir die niedere konstruierte Wahrheit
des Mentals aufgeben und uns dafür der höheren essentiellen Wahrheit des Wesens
unterstellen, – können wir durch eine Stufe hindurchgehen, in der es zwar innere
Freiheit, aber auch Mangel an äußerer Ordnung gibt, ein im Fließen der Natur
dahintreibendes Handeln, kindisch und träge wie ein reglos und passiv am Boden
liegendes oder vom Winde verwehtes Blatt, oder ein Verhalten, das nach außen
sogar als unzusammenhängend oder überspannt erscheint. Man kann aber auch zu
einer vorübergehenden geordneten Art, das Selbst spirituell zum Ausdruck zu
bringen, gelangen, die für die Stufe ausreicht, die man in einer gewissen Zeit
oder in diesem Leben erreichen kann. Es kann eine personale Ordnung sein, das
Selbst auszudrücken, die mit der Norm dessen übereinstimmt, was man bis jetzt
von der spirituellen Wahrheit verwirklicht hat. Später ändert sich das in freier
Weise durch die Kraft der Spiritualität, um die noch umfassendere Wahrheit
auszudrücken, die man nun weiter zu verwirklichen hat. Der supramentale
gnostische Mensch befindet sich aber in einem Bewußtsein, in dem das
Wissen selbst-seiend ist und sich im Einklang mit der Ordnung manifestiert, die
vom Willen des Unendlichen in der Übernatur selbst-bestimmt ist. Diese
Bestimmung durch das Selbst im Einklang mit einem selbst-seienden Wissen ersetzt
den Automatismus der Natur und die Maßstäbe des Mentals durch die spontane
Unmittelbarkeit der Wahrheit, die im eigentlichen Kern des Seins selbst-bewußt
und selbst-handelnd ist.
Im gnostischen Menschen wird dieses selbst-bestimmende
Wissen, das freiwillig der Wahrheit des Selbsts und der ganzen Wahrheit des
Seienden zwanglos gehorcht, zum eigentlichen Gesetz seines Daseins. Wissen und
Wollen werden in ihm eins und können nicht in Widerstreit stehen. Wahrheit des
Geistes und des Lebens werden eins und können nicht gegensätzlich zueinander
sein. Wenn sein Wesen sich auswirkt, kann es keinen Streit, keine ungleiche oder
gegensätzliche Spannung zwischen dem Geist und den Gliedern geben. Im
Supramental-Bewußtsein sind die beiden Prinzipien von Freiheit und Gesetz, die
sich im Mental und Leben ständig als gegensätzlich oder unvereinbar darstellen –
obwohl sie das nicht zu sein brauchen, wenn die Freiheit durch das Wissen
behütet und das Gesetz auf die Wahrheit des Wesens gegründet ist –, einander
nahe verwandt und eben fundamental eins. Das ist so, weil beide als die
untrennbaren Aspekte der inneren spirituellen Wahrheit und damit auch als ihre
Bestimmungen eins sind. Jede ist in der anderen innerlich gegenwärtig, denn
beide entstehen aus einer Identität und stimmen deshalb im Wirken gemäß
natürlicher Identität überein. Der gnostische Mensch fühlt in keiner Weise und
in keinem Grad seine Freiheit durch eine Zwangsordnung seines Denkens oder
seiner Handlungen beschränkt, da diese Ordnung eine innere und unwillkürliche
ist. Er empfindet die Freiheit und die Ordnung seiner Freiheit als eine einzige
Wahrheit seines Wesens. Seine Freiheit des Wissens bedeutet keineswegs, daß er
der Unwahrheit oder dem Irrtum folgen dürfte. Denn er muß ja nicht, wie das
Mental, durch die Möglichkeit von Irrtum hindurchgehen, um zu erkennen. Im
Gegenteil, bei jeder solchen Abweichung würde er aus der Fülle seines
gnostischen Selbsts herausfallen. Das wäre eine Minderung seiner
Selbst-Wahrheit, etwas, das seinem Wesen fremd und schädlich ist. Denn seine
Freiheit ist eine Freiheit des Lichts, nicht eine der Finsternis. Seine Freiheit
zu handeln ist nicht die Willkür, einem bösen Willen oder den Impulsen der Unwissenheit zu folgen. Denn auch das ist seinem Wesen fremd; es
würde dieses beschränken und mindern, nicht aber befreien. Er fühlt den Antrieb,
eine Unwahrheit oder einen bösen Willen auszuführen, nicht als eine zur Freiheit
führende Bewegung, sondern als eine Vergewaltigung, die der Freiheit des Geistes
zugefügt wird, als feindliches Eindringen und Zwang, als Angriff auf seine
Übernatur, als die Tyrannei einer fremden Natur.
Ein supramentales Bewußtsein muß in seiner Grundlage
ein Wahrheits-Bewußtsein, ein unmittelbares, innewohnendes Bewußtsein der
Wahrheit des Wesens und der Wahrheit der Dinge sein. Es ist eine Macht des
Unendlichen, das seine Endlichkeiten kennt und sie ausarbeitet. Es ist eine
Macht des Allumfassenden, das sein Einssein und die Einzelheiten, sein
kosmisches Sein und dessen Individualitäten kennt und ausarbeitet. In seinem
Selbst ist es im Besitz der Wahrheit. Es braucht nicht nach der Wahrheit zu
suchen oder unter dem Gefühl der Sorge zu leiden, daß es sie verfehlen könnte,
wie das beim Mental der Unwissenheit der Fall ist. Der entwickelte gnostische
Mensch ist in dieses Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen und Allumfassenden
eingegangen, und es bestimmt dann für ihn und in ihm all sein individuelles
Erkennen und Handeln. Er besitzt nun ein Bewußtsein von allumfassender Identität
und daraus folgend – oder eigentlich ihm eigen – ein Wahrheits-Wissen,
Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Wollen, eine Wahrheits-Vernunft
und Wahrheits-Dynamik des Handelns. Dies alles ist in seiner Identität mit dem
Einen enthalten oder entsteht selbsttätig aus seiner Identität mit dem All. Sein
Leben wird dadurch zu einem Vorwärtsgehen auf den Bahnen spiritueller Freiheit
und umfassender Weite. Es ersetzt das Gesetz der Mental-Idee und das Gesetz des
vitalen physischen Bedürfens, des Verlangens und der zwingenden Gewalt der
Lebensumwelt. So wird sein Leben und Wirken durch nichts anderes gebunden als
durch die Göttliche Weisheit und den Göttlichen Willen, die entsprechend seinem
Wahrheits-Bewußtsein auf ihn und in ihm wirken. Nun könnte man erwarten, im
Leben in der Unwissenheit könnte das Fehlen eines aufgezwungenen
Gesetzes-Systems zu einem Wirrwarr von Konflikten, zu Ausschweifung und
ichhafter Unordnung führen, weil sich das menschliche Ich verselbständigt hat
und zu kleinlich ist und den Drang fühlt, in das Leben anderer einzugreifen, es
in Besitz zu nehmen und für sich zu verwenden. Das alles kann aber im Leben des
gnostischen Menschen nicht existieren. Denn im gnostischen Wahrheits-Bewußtsein des supramentalen Wesens muß es notwendig eine
Wahrheit der rechten Beziehung aller Teile und Bewegungen des Wesens geben – sei
es des Wesens des Einzelnen oder des Wesens eines gnostischen Kollektivs –, ein
spontanes und erleuchtetes Einssein und Ganzsein in allen Bewegungen des
Bewußtseins und bei jedem Wirken im Leben. Hier kann es keinen Streit zwischen
den Gliedern geben. Denn es ist nicht nur das Bewußtsein des Wissens und Wollens
in diese vollständige Harmonie von Ganzheit und Einheit eingeschlossen, sondern
auch das Bewußtsein des Herzens, das Lebens-Bewußtsein und das
Körper-Bewußtsein, alles, was in uns die emotionalen, vitalen oder physischen
Seiten unserer Natur ausmacht. In unserer Sprache könnten wir sagen, der
supramentale Wissens-Wille des gnostischen Menschen übt eine vollkommene
Kontrolle aus über Mental, Herz, Leben und Körper. Diese Beschreibung könnte
aber nur für die Übergangsstufe gelten, wenn die Übernatur diese Wesensseiten in
ihre Art umprägt. Sobald dieser Übergang vollzogen ist, bedarf es keiner
Kontrolle mehr. Alles wird dann ein einziges geeintes Bewußtsein und ein Ganzes
in einer ungezwungenen integralen Einheit sein.
Im gnostischen Menschen kann es keinen Widerstreit
zwischen der Selbst-Behauptung des Ichs und einer Lenkung durch ein Über-Ich
geben. Denn da das gnostische Individuum mit seinem Handeln im Leben sich selbst
und die Wahrheit seines Wesens ausdrückt, zugleich aber auch den Göttlichen
Willen – da er das Göttliche Wesen als sein wahres Selbst und als den Ursprung
und die konstituierende Macht seiner spirituellen Individualität erkennt –, sind
diese beiden Triebfedern seines Verhaltens nicht nur in jeder einzelnen Aktion
gleichzeitig, sondern auch ein und dieselbe Antriebskraft. Diese Motiv-Macht
wirkt bei jeder Veranlassung im Einklang mit der Wahrheit des Umstandes; beim
Menschen im Einklang mit seinem Bedürfen, seiner Natur und seinen Beziehungen;
im Ereignis im Einklang mit dem, was der Göttliche Wille von diesem Ereignis
fordert. Denn hier ist alles das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens und
einer engen Verknüpfung vieler Kräfte der einen Kraft. Das gnostische Bewußtsein
und der Wahrheits-Wille schauen die Wahrheit dieser Kräfte, einer jeden
einzelnen und aller zusammen. Sie üben die notwendige Einwirkung oder den
Eingriff auf den Kräfte-Komplex aus, um auszuführen, was nach jenem Willen durch
diesen getan werden soll, – allein dies und nichts mehr. Als Folge dieser
überall gegenwärtigen Identität, die alles lenkt
und alle Unterschiede harmonisiert, kann es für ein trennendes Ich, das auf
seine gesonderte Ich-Durchsetzung aus ist, keinen Spielraum geben. Der Wille des
Selbsts des gnostischen Menschen ist eins mit dem Willen des ishvara; er
ist kein trennender oder gegensätzlicher Ich-Wille mehr. Dieser Wille wird die
Freude am Handeln und an dessen Ergebnis haben, ist aber frei von allem
Ich-Anspruch, von aller Gebundenheit an das Handeln und von allem Verlangen nach
dessen Frucht. Er tut nur das, von dem er einsieht, daß es getan werden muß,
weil er zu diesem Tun innerlich veranlaßt ist. In der mentalen Natur kann es zu
Gegensätzlichkeit und Widerstreit zwischen der Anstrengung des Ichs und dem
Gehorsam gegenüber dem Höheren Willen kommen. Betrachtet sich hier doch das Ich
oder die Pseudo-Person als verschieden vom Höchsten Wesen, dem Willen und der
Person. Im gnostischen Menschen ist aber die Person ein Wesen aus dem Wesen.
Darum kann es zu keiner Opposition und zu keinem Widerstreit kommen. Das Wirken
der Person ist das Wirken des ishvara in der Person, des Einen in den
Vielen. Es kann keinen Grund geben für die abgetrennte Durchsetzung eines
Ich-Willens oder des Stolzes auf eigene Unabhängigkeit.
Auf diese Tatsache, daß das Göttliche Wissen und die
Göttliche Kraft, die erhabene Übernatur, durch den gnostischen Menschen mit
dessen voller Teilnahme handelt, gründet sich die Freiheit des gnostischen
Menschen. Diese Einheit gibt ihm seine Befreiung. Auf die Einheit seines Willens
mit dem Willen des Ewigen gründet sich die Unabhängigkeit des spirituellen
Menschen gegenüber dem Gesetz, einschließlich des moralischen Gesetzes, die so
häufig behauptet wird. Da müssen alle mentalen Maßstäbe verschwinden, da jede
Notwendigkeit für sie aufhört. Das höhere verbürgte Gesetz der Identität mit dem
Göttlichen Selbst und der Identität mit allen Wesen hat sie ersetzt. Dort wird
man auch nicht nach Selbstsucht und Altruismus fragen, nach dem eigenen Ich und
nach dem der anderen, da man alle als das eine Selbst sieht und fühlt und nur
das tut, was die höchste Wahrheit und die höchste Güte bestimmt. Beim Handeln
fühlt man, wie eine selbst-seiende allumfassende Liebe, ein Mitempfinden, ein
Einssein alles durchdringt. Aber dieses Fühlen dringt ganz und gar in das Wirken
ein, färbt und motiviert es, beherrscht und bestimmt es nicht nur von außen her.
Diese Liebe steht nicht für sich selbst da, in Opposition gegen die umfassendere
Wahrheit der Dinge. Sie diktiert auch nicht ein aus persönlichen Gründen
verursachtes Abweichen von der göttlich gewollten wahren Bewegung. Eine solche Opposition und Abweichung könnte nur in der
Unwissenheit geschehen, wo Liebe oder irgendein anderes starkes Prinzip der
Natur von der Weisheit ebenso abgesondert sein kann, wie sie von der Macht
geschieden ist. In der supramentalen Gnosis stehen aber alle Mächte einander
innig nahe und wirken als eine einzige Macht. In der gnostischen Person lenkt
und bestimmt das Wahrheits-Wissen; alle anderen Kräfte des Wesens wirken in
ihrer Aktion zusammen. Da gibt es keinen Raum für Disharmonie und Streit
zwischen den Mächten der Natur. In allem Wirken gibt es nur ein Gebot des Seins,
das erfüllt zu werden sucht. Eine noch nicht offenbar gewordene Wahrheit des
Seienden soll manifestiert werden. Eine sich manifestierende Wahrheit soll
entwickelt, weiter verfolgt und in der Manifestation vervollkommnet werden. Oder
sie soll, wenn ihr Ziel schon erreicht ist, die tiefe Freude an ihrem Wesen und
ihrer Selbst-Verwirklichung genießen. Im halben Licht und in der halben Nacht
der Unwissenheit bleibt dieses Gebot verborgen oder nur halb-offenbar. Der
Drang, es zu erfüllen, ist eine unvollkommene, ringende, zum Teil enttäuschte
Bewegung. Im gnostischen Menschen und seinem Leben werden die Gebote des Wesens
im Innern gefühlt, unmittelbar wahrgenommen und im Wirken entfaltet. Das ist ein
freies Spiel ihrer Möglichkeiten. Die Verwirklichung geschieht im Einklang mit
der Wahrheit der Umstände und der Absicht der Obernatur. All das wird im Wissen
geschaut und entfaltet sich im Handeln. Da gibt es kein unsicheres Kämpfen und
kein Sich-Quälen mit den zum Wirken eingesetzten Kräften. Es ist auch kein Raum
für Disharmonie des Wesens und für ein widersprüchliches Wirken des Bewußtseins:
Ganz überflüssig wird es, die äußerlichen Maßstäbe eines mechanischen Gesetzes
dort aufzuzwingen, wo es diese innewohnende Macht der Wahrheit und ihr spontanes
Wirken im Handeln unserer Natur gibt. Denn das Gesetz und das natürliche
Kräftespiel allen Seins besteht darin, daß wir durch harmonisches Wirken den
göttlichen Beweggrund ausarbeiten und die gebotene Wahrheit der Dinge ausführen.
Das Prinzip supramentalen Lebens ist das Wissen durch
Identität, das die Mächte des vervollständigten Wesens zur Bereicherung der
Instrumentation verwendet. Auf den anderen Stufen des gnostischen Wesens ist die
Instrumentation von anderer Ordnung; doch erfüllt sich auch hier eine Wahrheit
von spirituellem Wesen und Bewußtsein. So wirkt ein Höheres Mental durch die
Wahrheit des Denkens, die Wahrheit der Idee, und
bringt sie in der Lebens-Aktivität zur Vollendung. In der supramentalen Gnosis
jedoch ist das Denken eine abgeleitete Bewegung; es ist eine Ausdrucksform der
Wahrheits-Schau, nicht die bestimmende oder hauptsächliche Antriebs-Kraft.
Denken ist hier eher ein Werkzeug, um Erkenntnis auszudrücken, als um Erkenntnis
zu gewinnen oder um zu handeln. Es dringt in das Handeln nur als vorstoßende
Spitze vom Ganzen des Identitäts-Willens und Identitäts-Wissens ein. In gleicher
Weise sind im erleuchteten gnostischen Menschen die unmittelbare Berührung mit
der Wahrheit und die wahrnehmenden Wahrheits-Sinne hauptsächliche Triebfedern
des Handelns. Im Übermental verursacht das verstehende unmittelbare Erfassen der
Wahrheit der Dinge und des Wesensprinzips jedes Dinges mit all seinen
dynamischen Folgen die große Weite gnostischer Schau und gnostischen Denkens. Es
faßt sie zusammen und erschafft so ein Fundament für Wissen und Handeln. Diese
umfassende Weite von Wesen, Schau und Handeln ist das bunte Ergebnis eines
zugrundeliegenden Identitäts-Bewußtseins. Die Identität selbst tritt noch nicht
als der eigentliche Stoff des Bewußtseins oder als die wirkliche Kraft des
Handelns in den Vordergrund. In der supramentalen Gnosis kehrt aber alles
erleuchtete unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge, der Wahrheits-Sinn,
die Wahrheits-Schau und das Wahrheits-Denken, wieder in seinen Ursprung im
Identitäts-Bewußtsein zurück, um dort weiter zu bestehen als ein einziger Körper
seines Wissens. Das Identitäts-Bewußtsein lenkt nun und enthält alles. Es
manifestiert sich als Bewußtheit im Kern der Wesens-Substanz und offenbart die
ihm innewohnende, sich selbst erfüllende Kraft. Es bestimmt sich selbst
dynamisch in der Form von Bewußtsein und in der Form von Wirken. Die ihr
innewohnende Bewußtheit ist Ursprung und Prinzip des Wirkens der supramentalen
Gnosis. Sie könnte sich mit sich selbst begnügen und hätte es nicht nötig,
irgendetwas auszudrücken oder zu verkörpern. Aber das Spiel erleuchteter Schau,
das Spiel strahlenden Denkens, das Spiel aller anderen Bewegungen des
spirituellen Bewußtseins würde dabei nicht fehlen. Es gäbe eine freie
Instrumentation um ihres brillanten Wirkens willen, um einer göttlich reichen
Fülle und Verschiedenartigkeit willen, wegen der mannigfaltigen Freude an der
Selbst-Offenbarung und wegen der Freude an den Mächten des Unendlichen. In den
Zwischen-Stufen oder -Graden der Gnosis kann es die Offenbarung von
unterschiedlichen und getrennten Ausdrucksweisen für die Aspekte des göttlichen
Wesens und der göttlichen Natur
geben: eine
Seele und ein Leben von Liebe; eine Seele und ein Leben von göttlichem Licht und
Wissen; eine Seele und ein Leben von göttlicher Macht, von souveränem Wirken und
Erschaffen, sowie unzählige andere Formen göttlichen Lebens. Auf der
supramentalen Höhe wird dies alles in eine vielfältige Einheit, in eine höchste
Vervollständigung von Wesen und Leben emporgehoben. Erfüllung des Wesens in
einer erleuchteten und wonnevollen Vereinheitlichung seiner Zustandsformen und
Mächte, sowie ihres in sich ausgeglichenen dynamischen Wirkens ist der Sinn
dieses gnostischen Seins.
Alle supramentale Gnosis ist ein zweifaches Wahrheits-Bewußtsein: ein Bewußtsein der inneren Erkenntnis des Selbsts und, infolge der Identität von Selbst und Welt, ein Bewußtsein gründlicher Welt-Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist das Kriterium, die charakteristische Macht der Gnosis. Das ist nicht rein ideative Erkenntnis, kein Bewußtsein, das Ideen beobachtet, sie gestaltet und dann versucht, sie auszuführen. Es ist ein wesenhaftes Bewußtseins-Licht, das Selbst-Licht aller Wirklichkeiten von Wesen und Werden, die Selbst-Wahrheit des Wesens, das sich selbst bestimmt, formuliert und wirksam macht. Zweck der Manifestation ist es, zu sein, nicht zu erkennen. Erkenntnis ist nur die Instrumentation für ein zum Wirken hervortretendes Bewußtsein des Wesens. So ist das gnostische Leben auf der Erde eine Manifestation oder ein Spiel des wahrheits-bewußten Wesens. Das Wesen ist seiner selbst in allen Dingen bewußt geworden. Es geht dem Bewußtsein seiner selbst nicht mehr verloren, ist nicht mehr tief hinabgesunken in ein Selbst-Vergessen oder Halb-Vergessen seines wirklichen Seins, das deshalb eintrat, weil es in Form und Handeln vertieft war. Vielmehr verwendet es nun Form und Handeln mit einer entbundenen spirituellen Macht, um sich frei und vollkommen auszudrücken. Nun sucht es nicht mehr nach seiner verlorenen, vergessenen oder verhüllten und verborgenen Bedeutung oder seinen Bedeutungen. Es ist nicht mehr gebunden, sondern erlöst aus Unbewußtheit und Unwissenheit. Es ist seiner Wahrheiten und Mächte innegeworden. Es bestimmt frei, in einer Bewegung, die sich in jeder Einzelheit stets in Übereinstimmung und Einklang befindet mit seiner höchsten und allumfassenden Wirklichkeit, seine Manifestation, das Spiel seiner Substanz, das Spiel seines Bewußtseins, das Spiel seiner Daseins-Kraft, das Spiel seiner Seins-Seligkeit.
In der gnostischen
Entwicklung wird es eine große Mannigfaltigkeit in Haltung, Zustand und
harmonisierten Wirkweisen von Bewußtsein, Kraft und Daseins-Freude geben.
Natürlicherweise zeigen sich im Lauf der Zeit viele Stufen weiteren Aufstiegs
des sich entfaltenden Supramentals zu seinen Gipfelhöhen. Alle haben aber die
gemeinsame Basis und das gemeinsame Prinzip. Bei seiner Manifestation ist der
Geist, das Seiende, obwohl er sein ganzes Selbst erkennt, nicht verpflichtet,
alles von sich in die aktuelle Außenseite von Gestaltung und Handeln
herauszustellen, die seine unmittelbare Macht und der Grad seines
Selbst-Ausdrucks sind. Der Geist kann einen vordergründigen Selbst-Ausdruck
herausstellen und alles übrige von sich in der unausgedrückten Seligkeit seines
Selbst-Seins zurückhalten. Jenes Alles im Hintergrund und seine Seligkeit finden
sich im Vordergründigen, erkennen sich darin selbst und halten hier ihren
Selbst-Ausdruck, ihre Manifestation, durch die eigene Gegenwart aufrecht und
durchtränken sie mit dem Gefühl für seine Ganzheit und Unendlichkeit. Diese
frontale Gestaltung ist wegen all dem übrigen hinter ihr und weil sie in der
Macht des Wesens festgehalten wird ein Akt der Selbst-Erkenntnis und nicht der
Unwissenheit. Sie ist ein erleuchteter Ausdruck der Überbewußtheit, kein
Aufwallen aus der Unbewußtheit. Große, abgestimmte Variation ist darum ein
Element in der Schönheit und Vollständigkeit der Entwicklung gnostischen
Bewußtseins und Seins. Gerade bei seinem Umgang mit dem Mental der Unwissenheit
in seiner Umgebung verwendet das supramentale Leben diese ihm eingeborene Macht
und Bewegung der Wahrheit seines Wesens ebenso wie bei seinem Umgang mit den
noch niederen Graden der gnostischen Entwicklung. Im Lichte dieser integralen
Wirklichkeit setzt es seine eigene Wahrheit des Wesens in Beziehung zu jener
Wahrheit des Wesens, die hinter der Unwissenheit steht. So gründet es alle
Beziehungen auf die gemeinsame spirituelle Einheit und nimmt es die
manifestierte Unterschiedlichkeit an, um sie in Einklang zu bringen. Das
gnostische Licht wird die rechte Beziehung, das rechte Handeln, die rechte
Reaktion eines jeden auf jeden anderen unter allen Umständen sicherstellen. Die
gnostische Macht, der gnostische Einfluß werden stets eine symphonische
Beziehung durchsetzen, die rechte Beziehung des entwickelteren zu dem weniger
entwickelten Leben sicherstellen und durch ihren Einfluß dem niederen Dasein
eine größere Harmonie vermitteln.
Soweit wir der
Evolution mit unserem mentalen Begreifen bis zu dem Punkt folgen können, wo sie
aus dem Übermental hervortritt und die Grenze zur supramentalen Gnosis
überschreitet, ist das die Art von Wesen, Leben und Wirken des gnostischen
Einzelnen. Dieser Charakter der Gnosis bestimmt offensichtlich alle Beziehungen
des Lebens oder Gruppen-Lebens gnostischer Menschen. Denn ein gnostisches
Kollektiv ist ebenso eine kollektive Seelen-Macht des Wahrheits-Bewußtseins, wie
der gnostische Einzelmensch eine individuelle Seelen-Macht aus ihm ist. Es muß
dieselbe Vereinigung von Leben und Handeln im Gleichklang sein, die gleiche
verwirklichte und bewußte Einheit des Wesens, die gleiche Ungezwungenheit haben
und das tiefe Gefühl des Einsseins, eine einzige und gegenseitige
Wahrheits-Schau und Wahrheits-Empfindung der einzelnen Selbste und der Selbste
miteinander, das gleiche Wahrheits-Wirken in der Beziehung eines jeden zu jedem
anderen und aller zu allen. Dieses Kollektiv ist keine mechanische, sondern eine
spirituelle integrale Einheit und handelt als solche. In ähnlicher Weise ist die
Einheit von Freiheit und Ordnung unvermeidliches Gesetz kollektiven Lebens. Die
Freiheit eines unterschiedlichen Spiels des Unendlichen in göttlichen Seelen,
eine Ordnung von bewußter Einheit der Seelen ist das Gesetz des supramentalen
Unendlichen. Unsere mentale Auffassung von Einheit unterstellt ihr das Gesetz
der Gleichheit. Ein durch die mentale Vernunft zustandegebrachtes Einssein
drängt auf eine durchgehende Standardisierung als sein einzig wirksames Mittel.
Nur geringfügige Andeutungen von Differenzierung können praktisch zugelassen
werden. Das Gesetz des gnostischen Lebens setzt aber die größte Verschiedenheit
im Selbst-Ausdruck des Einsseins voraus. Im gnostischen Bewußtsein führt
Unterschiedlichkeit nicht zu Zwist, sondern zur freiwilligen natürlichen
Anpassung, zum Empfinden des Sich-einander-Ergänzens zur Fülle, zur vielseitigen
Verwirklichung der Sache, die kollektiv erkannt, getan und im Leben
ausgearbeitet werden soll. Wird doch die Schwierigkeit in Mental und Leben vom
Ich dadurch geschaffen, daß es integral Zusammengehöriges in Teile zertrennt,
die sich als Gegensätze, Widersprüche und Grundverschiedenheiten darstellen.
Alles, worin sie sich unterscheiden, wird leicht empfunden, durchgesetzt und
betont. Das, worin sie sich begegnen, was ihre Unterschiedlichkeiten
zusammenhält, wird weithin verfehlt oder nur mit Schwierigkeiten entdeckt. Alles
muß dadurch getan werden, daß man durch eine konstruierte Einheit die
Unterschiede überwindet oder sie
einander
angleicht. Gewiß gibt es ein grundlegendes Prinzip von Einheit. Die Natur drängt
darauf, daß es in einer Konstruktion der Einheit zum Vorschein kommt. Denn die
Natur ist ebenso kollektiv und gesellschaftlich wie individuell und ichhaft. Sie
besitzt ebenso ihre Instrumentation der Vergesellschaftung, Sympathien,
gemeinsamen Bedürfnisse, Interessen, Anziehungen und Verwandtschaften, wie ihre
gewalttätigen Mittel, Einheit zu erzwingen. Aber ihre sekundär durchgesetzte und
so aufdringliche Basis von Ich-Leben und Ich-Natur überlagert die Einheit und
verdirbt alle ihre Konstruktionen durch Unvollkommenheit und Unsicherheit. Eine
weitere Schwierigkeit ist dadurch gegeben, daß Intuition und unmittelbare innere
Berührung fehlen oder sehr unvollkommen sind. Dadurch wird jeder Mensch zu einem
gesonderten Wesen und dazu gezwungen, nur unter Schwierigkeiten das Wesen und
die Natur des anderen kennenzulernen. Er muß äußerlich zu Verständnis,
Gegenseitigkeit und Einklang kommen, statt innerlich durch unmittelbares
Empfinden und Erfassen. So wird durch die Hülle von gegenseitiger Unkenntnis
jeder mentale und vitale Austausch behindert, vom Ich verfärbt oder zu
Unvollkommenheit und Unvollständigkeit verurteilt. Im kollektiven gnostischen
Leben wird das einbeziehende Wahrheits-Empfinden, die zur Eintracht strebende
Einheit der gnostischen Natur alle Unterschiedlichkeiten als eigenen Reichtum
enthalten. Sie wird ein vielfältiges Denken, Handeln, Fühlen in die Einheit
eines erleuchteten Lebens-Ganzen umwandeln. Das ist das offenkundige Prinzip des
Wahrheits-Bewußtseins, das unvermeidliche Ergebnis seines Charakters und seine
dynamische Verwirklichung der spirituellen Einheit alles Seienden. Diese
Verwirklichung, die Grundvoraussetzung für die Vervollkommnung des Lebens, die
man auf der mentalen Ebene so schwer erlangen kann und die, selbst wenn man sie
innerlich realisiert hat, nur schwer dynamisch durchzusetzen und zu organisieren
ist, wird in aller gnostischen Schöpfung und im gnostischen Leben zu etwas in
natürlicher Weise Dynamischem und spontan aus dem Selbst Organisiertem.
Das ist leicht zu verstehen, wenn wir die gnostischen
Wesen als solche ansehen, die ihr Leben ohne jede Berührung mit einem Leben der
Unwissenheit führen. Die gnostische Manifestation ist aber angesichts der
Tatsache, daß sich die Entwicklung hier vollzieht, nur ein Ereignis, wenn auch
ein ganz entscheidendes Ereignis im Ganzen. Die niederen Grade des Bewußtseins
und Lebens werden neben ihr weiterbestehen. Einige werden die Offenbarung in der
Unwissenheit festhalten. Andere werden eine
vermittelnde Stellung zwischen dieser und der Manifestation in der Gnosis
einnehmen. Diese beiden Formen von Wesen und Leben werden entweder Seite an
Seite nebeneinander existieren oder einander durchdringen. In beiden Fällen kann
man erwarten, daß das gnostische Prinzip, wenn auch nicht sofort, so doch
schließlich das Ganze beherrschen wird. Die höheren spirituell-mentalen Grade
stehen mit dem jetzt sie offen unterstützenden und zusammenhaltenden
supramentalen Prinzip in enger Berührung und werden von dem Zwang der
Unwissenheit und Unbewußtheit, der sie einst einengte, befreit. Als eine
Wahrheit des Seienden werden sie, wenn auch in eingeschränktem und vermindertem
Grad, all ihr Licht und ihre Energie aus der supramentalen Gnosis beziehen und
mit deren supramentalen Mächten in umfassender Berührung stehen. So werden sie
selbst zu bewußten Antriebskräften des Geistes. Sie werden, wenn auch noch nicht
im vollen Besitz der ganz verwirklichten spirituellen Substanz, doch nicht mehr
einer niederen Instrumentation unterworfen sein, die durch den Stoff der
Nichtbewußtheit bruchstückhaft, verdünnt, vermindert und verfinstert ist. Alle
Unwissenheit, die emporkommt oder eingeht in das Übermental, in das intuitive,
erleuchtete oder höher-mentale Wesen, hört auf, unwissend zu sein. Sie tritt ein
in das Licht. Sie realisiert in diesem Licht die Wahrheit, die sie mit ihrer
Finsternis überdeckt hatte. Sie erfährt eine Befreiung, eine Umwandlung, einen
neuen Zustand von Bewußtsein und Wesen. So wird sie diesen höheren Zuständen
angeglichen und für den supramentalen Zustand vorbereitet. Zugleich wird das
involvierte Prinzip der Gnosis jetzt als offene, nach außen gedrungene und
ständige Kraft wirken, nicht mehr nur als eine verborgene Macht mit einem
geheimen Ursprung, die die Dinge in verhüllter Form unterstützt oder nur
gelegentlich eingreift, ihrer einzigen Funktion. Nun kann sie etwas von ihrem
Gesetz der Harmonie der fortbestehenden Unbewußtheit und Unwissenheit
auferlegen. Denn die in diesen verborgene gnostische Macht wird nun mit
vergrößerter Stärke ihrer Hilfe und wirkenden Ursache, mit freierem und
machtvollerem Eingreifen aktiv sein. Die Menschen der Unwissenheit werden nun,
infolge ihrer Verbindung mit gnostischen Menschen, vom Licht der Gnosis
beeinflußt und infolge der entwickelten und wirksamen Gegenwart des
supramentalen Wesens und der supramentalen Macht in der Erden-Natur bewußter
sein und besser reagieren. In dem noch nicht transformierten Teil der Menschheit
kann sehr wohl eine neue und höhere Gemeinschaft mentaler
menschlicher Wesen entstehen. Denn nun kann jenes mentale Wesen
hervortreten, das unmittelbar intuitiv oder teilweise intuitiv geworden, aber
noch nicht gnostisch ist, ferner das unmittelbar oder teilweise erleuchtete
mentale Wesen und schließlich das mentale Wesen, das in unmittelbarer oder
partieller Kommunion mit der höheren Denk-Ebene steht: Diese Menschen werden
immer zahlreicher, immer mehr in ihrer Art entwickelt und immer sicherer. Sie
könnten sogar als Rasse eines höheren Menschseins existieren, die in wahrer
Brüderlichkeit, entstanden aus dem Empfinden für die Manifestation des einen
Göttlichen Wesens in allen Menschen, die weniger Entwickelten emporführt. Auf
diese Weise wird die Vollendung auf der höchsten Stufe auch eine minder hohe
Vollkommenheit auf seiner eigenen Stufe von dem bedeuten, was noch unten bleiben
muß. Am höheren Ende der Evolution werden sich die aufsteigenden Höhen und
Gipfel des Supramentals immer weiter erheben bis zu einer höchsten Manifestation
des reinen spirituellen Seins, des Bewußtseins und der Seins-Seligkeit von
saccidananda.
Man könnte noch die Frage aufwerfen, ob die gnostische
Umkehr, der Übergang in die gnostische Entwicklung und über sie hinaus, nicht
bedeutet, daß früher oder später die Evolution aus der Unbewußtheit aufhört, da
der Grund für diesen dunklen Anfang der Dinge hier unten nun wegfällt. Das hängt
aber von der weiteren Frage ab, ob die Bewegung zwischen der Überbewußtheit und
der Unbewußtheit, also zwischen den beiden Polen des Seins, ein ständiges Gesetz
der materiellen Manifestation oder nur ein vorläufiger Umstand ist. Letztere
Annahme läßt sich nur schwer aufrecht erhalten, weil das unbewußte Fundament,
das für das ganze materielle Universum gelegt wurde, mit so gewaltiger Kraft
alles durchdringt und fortdauert. Würde dieses erste evolutionäre Prinzip völlig
umgekehrt oder ausgeschaltet werden, so bedeutete das, daß sich das geheime
involvierte Bewußtsein gleichzeitig in jedem Teil dieser ungeheuren universalen
Unbewußtheit manifestieren würde. Eine Umwandlung in einem besonderen Ablauf der
Natur, wie es die Bahn der Erden-Entwicklung ist, würde keine solche alles
durchdringende Auswirkung haben: Die Manifestation in der Erden-Natur hat ihre
eigene Kurve. Die Vollendung dieser Kurve ist alles, was wir zu betrachten
haben. Hier kann man eine Aussage in dem Sinne wagen, daß im endgültigen
Ergebnis der sich offenbarenden Schöpfung oder in der Reproduktion der oberen
Hemisphäre des bewußten Wesens hier in der
niederen Dreifaltigkeit die Evolution zwar in ihren Graden und Stufen dieselbe
bleibt, aber dem Gesetz der Harmonie, dem Gesetz der Einheit in der
Verschiedenheit und der in der Verschiedenheit sich herausarbeitenden Einheit
unterworfen ist. Nur ist das nicht länger eine Evolution durch Kampf. Sie wird
eine harmonische Entwicklung von Stufe zu Stufe werden, von einem schwächeren zu
einem stärkeren Licht, von dem einen Typus der Macht und Schönheit eines sich
entfaltenden Seins zu einem höheren Typus. Das könnte nur anders sein, wenn aus
irgendeinem Grund das Gesetz von Kämpfen und Leiden noch für die weitere
Ausarbeitung jener geheimnisvollen Möglichkeiten im Unendlichen notwendig wäre,
dessen Prinzip dem Absturz in die Unbewußtheit zugrundeliegt. Diese
Notwendigkeit scheint aber für die Erden-Natur zu entfallen, sobald die
supramentale Gnosis aus der Unbewußtheit hervorgetreten ist. Mit ihrem
endgültigen Erscheinen fängt eine Umwandlung an. Diese Umwandlung erfährt ihre
höchste Vollendung, wenn die supramentale Entwicklung vollkommen geworden ist
und sich in die größere Fülle der höchsten Manifestation von
Sein-Bewußtsein-Seligkeit, von saccidananda, emporgehoben hat.