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Mutters

Agenda

ersten Band

10. Oktober 1958

(Satprem fragt Mutter, was er zu tun habe und was sein Platz in der universellen Manifestation ist)

In allen religiösen und besonders in den okkulten Initiationen wird das Ritual der verschiedenen Zeremonien in allen Einzelheiten vorgeschrieben: jedes ausgesprochene Wort, jede Geste trägt eine besondere Bedeutung, und der geringste Verstoß gegen die Regeln, der geringste Fehler kann zu verhängnisvollen Folgen führen. Im materiellen Leben gilt dasselbe. Wenn wir die Initiation in die wahre Art zu leben besäßen, könnten wir das physische Dasein transformieren.

Betrachtet man den Körper als das Tabernakel des Herrn, so wird beispielsweise die Medizin zum initiatorischen Ritus des Dienstes für den Tempel, und die Ärzte aller Bereiche sind die ausführenden Priester der verschiedenen Riten des Kultes. So wird die Medizin wirklich ein heiliges Amt und muß als solches behandelt werden.

Dasselbe gilt auch für die Körperkultur und alle Wissenschaften, die sich mit dem Körper und seinen Abläufen beschäftigen. Betrachtet man das Universum als die äußere Hülle und die Manifestation des Höchsten, dann können alle physikalischen Wissenschaften als Ritual des Kultes angesehen werden.

Alles führt wirklich zu einem Punkt: die unbedingte Notwendigkeit einer vollkommenen Aufrichtigkeit, einer vollkommenen Ehrlichkeit und dem Gefühl der Würde dessen, was man tut, damit man es richtig tut.

Könnten wir wirklich alle Einzelheiten der Zeremonie des Lebens, des Kults des Herrn im physischen Leben vollkommen kennen, wäre es wunderbar. Zu wissen, und keine Fehler mehr begehen, nie mehr einen Fehler begehen. Man führt die Zeremonie mit der Vollkommenheit einer Initiation aus.

Und um das Leben von Grund auf zu kennen... Da gibt es eine sehr interessante Einzelheit! Seltsamerweise führt dieses Wissen zurück zu meinen Sutras 1 (die niemand verstand, oder nur "ungefähr" verstand):

Der höchste Herr bestimmt unverrückbar deine Stellung im universellen Konzert, doch was auch immer diese Stellung sein mag, du hast dasselbe Recht wie alle anderen, die höchsten Gipfel bis zur supramentalen Verwirklichung zu erklimmen.

Die Stellung in der universellen Hierarchie ist unverrückbar – das ewige Gesetz –, aber die Entwicklung in der Manifestation ist ein Lernvorgang, progressiv und vollzieht sich im Inneren des Wesens. Das Interessante ist dabei, daß man, um ein vollkommenes Wesen zu sein, diese Stellung, welche sie auch sei, die seit allen Zeiten vorbestimmt ist, die Teil der Ewigen Wahrheit ist, mit der größtmöglichen Perfektion der evolutionären Entwicklung manifestieren muß. Diese Verbindung und Vereinigung der beiden Teile – der ewigen Stellung und der evolutionären Verwirklichung –, wird ein vollständiges und vollkommenes Wesen bilden, die Manifestation, wie der Herr sie von Anfang an haben wollte, seit aller Ewigkeit (das heißt, überhaupt kein Anfang!).

Und um den Kreis zu vervollständigen, darf man unterwegs auf keiner Ebene stehen bleiben, weder auf der höchsten spirituellen Ebene noch auf einer der Materie sehr nahen Ebene (wie zum Beispiel die okkulte, im Vital). Man muß bis in die Materie dringen, die Perfektion der Manifestation muß eine materielle Perfektion sein, sonst ist der Kreis nicht vollendet. Das erklärt auch den Fehler all jener, die fliehen wollen, um den Göttlichen Willen auszuführen. Genau das Gegenteil muß getan werden! Die beiden müssen in vollkommener Weise zusammengefügt werden. Deshalb sind alle aufrichtigen Wissenschaften, jene, die aufrichtig, ehrlich, ausschließlich mit dem Willen zu wissen ausgeführt werden, solch schwierige Wege – aber auch so sichere Wege zur vollkommenen Verwirklichung.

Daraus entstehen sehr interessante Dinge. (Was ich jetzt sage ist sehr persönlich und darf deshalb nicht verwendet werden, aber du kannst es trotzdem aufheben:)

Zwei Aspekte bestehen parallel, die vom ewigen und höchsten Standpunkt gleichermaßen wichtig sind, in dem Sinn, daß beide gleichermaßen unerläßlich sind, um die Verwirklichung wirklich zur Verwirklichung zu machen.

Einerseits das, was Sri Aurobindo – der als Avatar das höchste Bewußtsein und den höchsten Willen auf der Erde darstellte – erklärte, daß ich sei, und zwar die universelle höchste Mutter. Und auf der anderen Seite das, was ich durch die integrale Sadhana in meinem Körper verwirkliche. Ich könnte auch die höchste Mutter sein, ohne eine Sadhana auszuüben, und in der Tat, solange Sri Aurobindo in seinem Körper war, führte er die Sadhana aus; mir kamen die Ergebnisse zugute; die Ergebnisse wirkten sich automatisch auf mein äußeres Wesen aus, aber er tat die Arbeit, nicht ich: ich war nur der Zwischenträger, der seine Sadhana auf die Welt übertrug. Erst nachdem er seinen Körper verließ, wurde ich gezwungen, die Sadhana selber fortzusetzen; nicht nur wie zuvor seine Sadhana auf die Welt zu übertragen, sondern sie selber auszuführen. Als er ging, übertrug er mir die Verantwortung für das, was er in seinem Körper tat, ich mußte es jetzt tun. Es bestehen also diese beiden Aspekte, und mal überwiegt der eine, mal der andere (ich meine nicht aufeinanderfolgend in der Zeit, sondern... das geht um Augenblicke), und sie versuchen, sich zu einer vollständigen und vollkommenen Verwirklichung zu vereinen: das unsägliche, unbewegte Ewige Bewußtsein der Vollzieherin des Allerhöchsten, und das Bewußtsein des Sadhak im integralen Yoga, der in seiner aufsteigenden Bemühung einen wachsenden Fortschritt anstrebt.

Zu diesen beiden Teilen fügte sich dann die Entwicklung und Initiation der supramentalen Verwirklichung; sie ist (jetzt verstehe ich das) die vollkommene Vereinigung dessen, was von oben kommt, und dessen, was von unten kommt, das heißt der ewigen Stellung und der evolutionären Verwirklichung.

Das wird so amüsant wie das Schauspiel des Lebens überhaupt... Je nach ihrer Natur, ihrer Stellung, ihrer besonderen Beschäftigung und weil die Menschen sehr beschränkt, sehr partiell, unfähig zu einer umfassenden Sicht sind, haben die einen den Glauben – weil sie Vertrauen haben oder weil die Gnade ihnen eine Vision der Ewigen Mutter gab und sie diese Beziehung zur ewigen Mutter haben –, während andere, die selber in die Sadhana vertieft sind und das entwickelte Bewußtsein eines Sadhaks besitzen, eine Beziehung zu mir haben wie zu einer "verwirklichten Seele", wie sie es nennen. Letztere sehen mich als den Prototyp des Gurus, der einen neuen Weg lehrt, während erstere nicht diese Sadhak-Guru Beziehung haben (ich nenne die beiden Extremfälle, natürlich gibt es auch alle Zwischenstufen), sie stehen ausschließlich in Beziehung zur ewigen Mutter und erwarten in der Einfachheit ihres Herzens, daß sie alles für sie tut. Wären sie in dieser Haltung vollkommen, würde die ewige Mutter auch alles für sie tun – sie tut es in der Tat, aber weil sie unvollkommen sind, können sie es nicht zur Gänze empfangen. Diese zwei Wege sind sehr verschieden, die zwei Beziehungen sind sehr verschieden; und weil wir nach dem Gesetz der externen Dinge alle in einem materiellen Körper leben, herrscht eine Art irritiertes (beinahe irritiertes) Unverständnis zwischen den Anhängern der zwei Wege: jenen, die (unbewußt und ohne es zu wollen) das Verhältnis von Kind zu Mutter haben, und jenen in der anderen Beziehung von Sadhak zu Guru. Das ergibt ein ganzes Spiel von einer unendlichen Vielfalt.

Und das alles steht im Wandel, auf dem Wege zur Verwirklichung, in fortschreitender Bewegung; und wenn man das Ende nicht erkennen kann, versteht man folglich überhaupt nichts. Man lebt in Verwirrung. Erst wenn man das Ende erkennt, die letztendliche Verwirklichung, erst wenn man das BERÜHRT hat, dann versteht man alles, dann wird es so klar und so einfach, wie es nur sein kann. In der Zwischenzeit sind meine Beziehungen zu den verschiedenen Leuten sehr amüsant, wirklich wundersam!

Dabei halten jene mit der "äußerlicheren" Beziehung (obwohl sie es nicht ist), der Beziehung des Yoga, der Sadhana, die anderen für abergläubig; und die anderen, die den Glauben oder die Erkenntnis oder die Gnade haben zu begreifen, was Sri Aurobindo ausdrücken wollte (vielleicht sogar bevor sie wissen, daß er es sagte, auf alle Fälle aber danach), die halten die ersteren für ungläubig und unwissend! Dann gibt es noch alle nur denkbaren Zwischenstufen, es ist wirklich lustig!

Das öffnet weite Horizonte; versteht man das, hält man den Schlüssel – den Schlüssel zu einer Vielzahl von Fragen: die verschiedenen Stellungen der verschiedenen Heiligen, die unterschiedlichen Verwirklichungen und... Das löst alle Ungereimtheiten der irdischen Manifestation.

Nimm zum Beispiel die Frage der Macht – die Macht – über die Materie. Jene mit der Auffassung, ich sei die ewige universelle Mutter und Sri Aurobindo der Avatar, wundern sich, daß unsere Macht nicht absolut ist. Sie wundern sich, daß es uns nicht genügt zu sagen: "es ist so", damit es "so" sei. Der Grund liegt darin, daß für eine integrale Verwirklichung die Vereinigung beider Aspekte unerläßlich ist: der Macht, die von der ewigen Stellung herrührt, und der Macht der Sadhana in der evolutionären Entwicklung. Die Frage stellt sich gleichermaßen bei jenen, die sogar den Gipfel yogischen Wissens erreicht haben (ich denke zum Beispiel an den Swami): wie kommt es, daß sie auf die Hilfe von Wesenheiten wie Göttern und Halbgöttern angewiesen sind, um Dinge verwirklichen zu können? – Denn sie haben innerlich wirklich die Vereinigung mit den höheren Kräften und Wesen erreicht, aber es war nicht von jeher vorbestimmt, daß sie dieses Wesen seien. Sie wurden nicht als dieses oder jenes geboren: durch ihre Entwicklung vereinigten sie sich mit ihren eigenen latenten Möglichkeiten. Jeder trägt das Ewige in sich, aber man kann Es nur berühren, wenn man die vollkommene Vereinigung des latenten Ewigen mit dem ewigen Ewigen erreicht.

Auf diese Weise erklärt sich alles, alles, alles: wie es vonstatten geht, wie es in der Welt abläuft. 2 Ich sagte: mir fehlen die Kräfte, mir fehlen die Kräfte! Vor einigen Tagen überlegte ich: "Aber ich WEISS doch, wer hier ist, wie kommt es...? Oberhalb von hier (Geste über dem Kopf), allmächtig, nichts kann widerstehen – aber darunter... gelingt es nicht." Deshalb sagen jene, die den Glauben haben, einen unwissenden aber wahren Glauben (er mag unwissend sein, ist aber wahr): "Wie! Sie haben keine Macht? Sie!?" Weil die Sadhana noch nicht vollendet ist.

Der Herr wird sein Universum erst besitzen, wenn das Universum bewußt der Herr geworden ist.

 

1 Siehe Agenda 1957, S. 116.

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2 Mutter fügte hinzu: "Ich übergehe den besten Teil der Erfahrung... Wenn ich es zu präzise formulieren will, verflüchtigt sich die ganze Unermeßlichkeit der Erfahrung. Die gesamte Welt mit allen Einzelheiten ihres Aufbaus offenbart sich – aber alles auf einmal; wie willst du das erklären? Es ist unmöglich."

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