Mutters
Agenda
ersten Band
15. Dezember 1958
(Brief von Satprem an Mutter)
Rameswaram, Montag, 15.12.1958
Liebe Mutter,
Ich erhielt erst jetzt Deinen ersten Brief, den Du nach Hyderabad geschickt hattest. Er kommt zur rechten Zeit, um mir wohl zu tun; ich mache schwerwiegende Stunden durch.
Der Swami empfing mich sehr wohlwollend und er tut alles, was er kann, mit großer Herzlichkeit, und ich folge seinen Anweisungen auf den Buchstaben genau, denn ich glaube, Dein Segen wirkt durch ihn. Darüber hinaus ist er Dir vollkommen ergeben und sprach von Dir, wie kein anderer je zu mir sprach – er versteht viele Dinge. Meine Reaktionen ihm gegenüber waren ungerecht.
Am Neumond, als ich sehr niedergeschlagen war, gab er mir das erste tantrische Mantra – ein Mantra an Durga. Über einen Zeitraum von 41 Tagen soll ich es 125000 Mal wiederholen und jeden Morgen zum Tempel gehen, mich vor Parvatis Heiligtum aufrecht halten und dieses Mantra wenigstens eine Stunde lang in mir wiederholen. Danach soll ich für eine halbe Stunde zu Shivas Heiligtum gehen und ein anderes Mantra sagen. Praktisch muß ich ständig Durgas Mantra in einer schweigenden Konzentration in mir wiederholen, was ich auch äußerlich tue. Unter diesen Umständen fällt es mir schwer, an Dich zu denken, und das bewirkt einen leisen Konflikt in mir, doch ich glaube Dein Segen wirkt durch den Swami und durch Durga, die ich allzeit invokiere – ich erinnere mich dessen, was Du über die Notwendigkeit der "Vermittler" sagtest, und gehorche dem Swami ohne Vorbehalte.
Mutter, die Dinge stehen weit davon entfernt, so zu sein wie bei meinem ersten Aufenthalt in Rameswaram, und ich durchlebe so manche Stunden der Hölle – der Feind scheint sich mit unvorstellbarer Wut zu entfesseln. Das kommt in Wellen, aber wenn sie verebben, bin ich buchstäblich ZERBROCHEN, physisch, mental und vital erschöpft. Heute morgen, auf dem Weg zum Tempel, erlebte ich eine dieser Stunden, ein schreckliches Leiden überfällt mich dann plötzlich. Ja, ich hatte den Eindruck, BEDRÄNGT zu sein, genau wie in Deiner Vision, mit dem Rücken vor der Wand. Ich durchschritt diese riesigen Bogengänge aus gehauenem Granit, und ich sah mich dahergehen, sehr klein, sehr allein, allein, und sehr schmerzlich, voll von einer namenlosen Hoffnungslosigkeit, weil es nirgendwo einen Ausweg gab. Da war das Meer, ganz nah, in das ich mich werfen könnte, oder sonst Parvatis Tempel – es gab kein Afrika mehr als Flucht, alles hatte sich um mich verschlossen und ich wiederholte: Warum, warum? Ein unmenschliches Leiden, als fielen mir meine letzten zwanzig Jahre des Alptraums auf die Schultern. Ich biß die Zähne zusammen und ging in den Tempel, um mein Mantra zu sagen. Das war so stark in mir, daß ich in kalten Schweiß ausbrach und beinahe in Ohnmacht fiel. Dann legte es sich. Jetzt noch habe ich den Eindruck, völlig zermartert zu sein. Doch ich sehe deutlich, daß die Stunde gekommen ist: entweder ich lasse mein Leben hier, oder ich komme VOLLKOMMEN verändert von hier zurück. Es muß sich ändern. Mutter, Du bist mit mir, ich weiß es, und Du beschützt mich, Du liebst mich – ich habe nur Dich, ich habe nur Dich, Du bist meine Mutter. Wenn diese schwarzen Stunden wiederkommen – und sie müssen wiederkommen, um alles zu exorzieren, zu besiegen –, dann beschütze mich trotz mir selbst. Mutter, daß Dein Segen mich nicht aufgibt. Ich will all diesen alten Phantomen ein Ende bereiten, in Deinem Licht wiedergeboren werden, es muß sein, anders kann das nicht weitergehen.
Mutter, ich glaube ein wenig zu verstehen, was Du selber erleidest, und daß die Kreuzigung des Göttlichen in der Materie eine wahre Kreuzigung ist. In dieser Minute des Bewußtseins gebe ich Dir die Opfergabe all meiner Prüfungen, die Opfergabe meiner kleinen Leiden, und ich will siegen, damit es Dein Sieg werde, eine Last weniger auf Deinen Schultern.
Mutter, vergib mir alles Böse, was ich auf Dich werfen konnte. Ich habe das Vertrauen, daß ich mit Deinem Segen siegreich hervorgehen werden, als Dein Kind ohne Schatten, in allen Fasern meines Wesens. O Mutter, wie sehr Du all unser Leiden alleine trägst... wenn es mir nur gelingen könnte, mich in den schwarzen Stunden daran zu erinnern.
Ich bin zu Deinen Füßen, meine Mutter, meine einzigen Stütze.
Satprem
Mutter, daß mich nicht eine dieser Wellen wegfegt. Beschütze mich. Liebe mich! Doch ALLES muß JETZT besiegt werden. Ich will kämpfen. Ich bitte Dich deshalb nicht, mich zu verschonen, sondern mir zu helfen, durchzuhalten.
(Mutters Antwort)
Mein liebstes Kind,
Gerade erreicht mich Dein Brief vom 15. Ja, ich weiß, die Stunde ist ernst. Hier war es auch schwerwiegend. Ich mußte alles unterbrechen, der Angriff auf meinen Körper war zu heftig. Jetzt geht es besser – aber ich habe noch keine meiner äußeren Tätigkeiten wieder aufgenommen und ich bleibe oben in meinem Zimmer. Im Unsichtbaren geht die Schlacht weiter, und ich halte sie für entscheidend. Du bist ein Teil davon, ein inniger Teil dieser Schlacht. Dies, um Dir zu sagen, ich bin mit Dir, im umfassendsten Sinne des Wortes. Ich weiß, was Du erleidest, ich fühle es – aber wir müssen durchhalten. Die Gnade ist allmächtig. Sobald als möglich, ohne eine Minute länger zu warten, als nötig ist, um all das zu transformieren, was zu transformieren ist, wird die Prüfung ein Ende nehmen und wir werden im Licht und in der Freude auftauchen. So vergiß nie, daß ich mit Dir bin – in Dir – und WIR WERDEN SIEGEN:
mit allem, was die Liebe an Trost und Ausdauer bringen kann.
Mutter
Mach Dir keine Sorgen über meinen Körper – er ist auf dem sicheren Weg zu Genesung.
*
* *
Mein liebes Kind, ich füge noch einige Worte zu meinem Schreiben von heute morgen hinzu, um Dich zu bitten, den Anweisungen des Swami sehr genau zu folgen – er weiß diese Dinge und hat sich sehr aufrichtig als ein Handlungsinstrument für meinen Segen angeboten.
Wenn Du Durga invokierst, invokierst Du mich durch sie, wenn Du Shiva invokierst, invokierst Du mich durch ihn – und letztlich gehen alle Gebete zum Höchsten Herrn.
In aller Liebe,
Mutter