Mutters
Agenda
ersten Band
3. Juni 1959
(Brief von Satprem an Mutter)
Rameswaram, 3. Juni 1959
Liebe Mutter,
Ich richtete X von Dir aus, daß Du Dich um mich sorgtest. Er hatte auch gefühlt, daß es nicht gut ging und "arbeitete" von seiner Seite. Er trug mir auf, Dir sofort zu schreiben, daß "alles in Ordnung ist".
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Dann erklärte ich ihm, daß Dir ein Mantra gekommen war, das Du besonders von fünf bis sechs Uhr wiederholst, und beschrieb diesen Höhepunkt, wo Du Dankbarkeit, Enthusiasmus usw. ausdrücken wolltest, sowie das französische Mantra. Nach der Erklärung gab ich ihm Deinen Text auf Französisch und Sanskrit. Er fühlte und verstand sehr gut, was Du wolltest. Seine erste Reaktion, nachdem er es las, war zu sagen: "Große Bedeutung, große Kraft ist da. Es ist gut." Ich sagte ihm, abgesehen von der Bedeutung des Mantras wolltest Du wissen, ob es vom Standpunkt der "Schwingung" gut sei. Er sagte, er würde Deinen Text in einer der nächsten Pudjas nehmen und ihn selber wiederholen, um zu sehen. Er hatte vor, das heute morgen zu tun, aber er bekam ein Fieber (seit seiner Rückkehr von Madura geht es ihm nicht gut: Erkältung und Sonnenstich). Sobald ich das Ergebnis seines "Tests" weiß, schreibe ich Dir.
Für mich sagte er ungefähr folgendes: "Als erstes möchte ich eine Zusage von dir haben, daß du unter keinen Umständen je das Ashram verläßt. Was immer auch geschieht, selbst wenn Yama 1 vor deiner Tür tanzt, darfst du nie das Ashram verlassen. Im kritischen Augenblick, wenn der Angriff am stärksten ist, mußt du alles in Seine Hände werfen, dann und nur dann kann das Ding entfernt werden." (Ich weiß nicht mehr, ob er "entfernt" oder "zerstört" sagte.) "Das ist der einzige Weg. Sarvam mama Brahman (Du bist meine einzige Zuflucht). Hier in Rameswaram werden wir 45 Tage lang zusammen meditieren, und die asurische Shakti mag mit voller Kraft angreifen, und ich werde mein Bestes tun, nicht nur zu schützen, sondern zu zerstören, doch dazu benötige ich deine Entschlossenheit. Nur durch deine eigene Entschlossenheit kann ich die Macht bekommen. Wenn die Kraft dir Suggestionen macht: Mangel an Abenteuer, Mangel an Natur, Mangel an Liebe, dann denke dir, daß ich der Wald bin, ich die See bin, ich die Frau bin!!" In der Zwischenzeit verdoppelte X fast die Anzahl der Mantras, die ich jeden Tag wiederholen muß (aber es ist dasselbe Mantra, das er mir in Pondicherry gab). Mehrmals wiederholte er, daß ich für ihn nicht nur ein "Schüler" wie die anderen bin, sondern wie sein Sohn.
Dies war eine erste eilige Unterhaltung, und die Dinge haben sich noch nicht entwickelt. Ich sagte nichts. Ich traue meinen Reaktionen nicht, wenn ich in meinen gänzlich negativen Krisen stecke. Und um die Wahrheit zu sagen, beim letzten Mal, in meiner letzten Krise in Pondicherry, weiß ich nicht, ob es wirklich Xs okkulte Arbeit war, die die Dinge wieder einrenkte, denn ich persönlich (aber das mag ein unwissender Eindruck sein) hatte das Gefühl, daß ich dank Sujata und ihrer kindlichen Einfachheit wieder herausfand.
Seit ich Pondicherry verließ, lebe ich jedenfalls wie eine Art Automat (das begann im Zug), ich bin leer und bar jeden Gefühls für wen es auch sei. Ich mache weiter, wie durch einen vorherigen Schwung, aber eigentlich bin ich wie betäubt.
Entschuldige meine Handschrift. Ich schreibe Dir auf dem Bauch liegend in der Dharamshala 2 in der Nähe von X, denn die "Hütte", die er mir zuweist, ist noch nicht fertig.
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Gestern abend ging X plötzlich sehr heftig auf den Kriegspfad gegen den indischen "Kongress" 3 und begann mit unwiderlegbarem Ton, wie jemand, der weiß, sehr interessante Voraussagungen zu machen.
Vor Ablauf von fünf Monaten (September, Oktober oder November) wird Pakistan mit amerikanischer Unterstützung oder Militärhilfe Indien angreifen. Und ungefähr gleichzeitig wird China Indien angreifen, wegen dem Dalai-Lama, unter dem Vorwand, daß Indien dem Dalai-Lama seine Unterstützung gibt und daß Tausende Tibeter nach Indien flüchten und dort anti-chinesische Tätigkeiten unternehmen. Dann wird Amerika Indien seine Hilfe gegen China anbieten, und, sagt X, "da werden wir sehen, welche Politik der Kongress verfolgt, der vorgibt, sich mit keinem Block verbünden zu wollen. Wenn Indien die amerikanische Hilfe annimmt, wird es kein Pakistan mehr geben, nur amerikanische Truppen, um Ausschreitungen zwischen Hindus und Moslems zu verhindern, und eine einzige Regierung für beide Länder." Ich bemerkte, dies höre sich ganz wie ein Weltkrieg an...
Dann machte er folgenden Vergleich: "Wenn man einen Kiesel in einen Teich wirft, zeigt sich zuerst nur ein Zentrum, der Einschlagspunkt, und von diesem Zentrum strahlt alles aus. Gegenwärtig gibt es zwei solche Zentren in der Welt, zwei Orte mit großen Schwingungen: der eine ist Indien und Pakistan, und von dort strahlt es in ganz Asien. Der andere ist... "
Jedenfalls hörte ich ihn noch nie so heftig den Kongress angreifen, wie er es gestern abend tat, fast mit Gewalt.
Das ist alles, Mutter. Trotz meiner Betäubung denke ich an Dich (ich bin nicht blockiert, im Gegenteil, mir scheint sich das Band seit unserer letzten Begegnung erneuert zu haben, aber ich bin seltsam leer). Ich kann nicht verstehen, wie Du mich lieben kannst. O Mutter, ich muß wirklich anfangen zu leben, wirklich zu lieben.
Dein Kind,
Satprem
(Mutters Antwort)
Mein liebstes Kind,
Ich erhielt und las Deinen sehr interessanten Brief.
Über den Sanskrit Text und das Mantra erwarte ich Deinen nächsten Brief.
Für Dich stimme ich dem voll bei, was er Dir sagte. Mit all meiner Inbrunst und all meiner Liebe bete ich, daß ihm gelingt, was er in diesen 45 Tagen der Meditation machen will. Darauf hatte ich gehofft.
Über das, was hier geschah, kann ich nur eines sagen: wenn der Höchste Herr jemanden retten will, kleidet Er seinen Willen in alle notwendigen Erscheinungen.
Was die Leere angeht, die Du fühlst (vielleicht ist es auch schon besser geworden), jenen, die sich über dieses Gefühl beklagten, sagte Sri Aurobindo immer, das sei etwas sehr Gutes: es ist das Zeichen, daß sie von etwas Besserem und Wahrerem erfüllt werden.
Xs Prophezeiungen nahm ich sorgfältig zur Kenntnis.
Sicherlich ist sein politischer Zorn nicht nur verständlich, sondern auch begründet. Betrachtet man die Dinge jedoch von einem äußeren Standpunkt, sind sie nicht ganz so einfach. Ich kann über all das nicht im Detail schreiben, aber als Beispiel nenne ich Dir, daß hier in Pondicherry jene, die sich bemühen (und nicht ohne Erfolgsaussichten), den Kongress zu verdrängen, unsere schlimmsten Feinde sind, die Feinde von allem, was selbstlos und spirituell ist, und kämen sie an die Macht, wären sie in ihrem Haß zu allem fähig.
Für all diese irdischen Geschehnisse verlasse ich mich immer auf die Sicht und die Weisheit des Göttlichen, und sage zum Höchsten: "Herr, möge Dein Wille geschehen."
Ich hoffe bald von Dir zu hören.
Meine Liebe ist mit Dir.
Mutter
1 . Yama: der Gott des Todes im Hindu Pantheon.
2 . Indische Karawanserei
3 . Indian National Kongress: Widerstandsorganisation gegen die britische Kolonialherrschaft, die nach Indiens Unabhängigkeit unter Jawaharlal Nehru zur größten politischen Partei wurde.