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Mutters

Agenda

zweiten Band

10. Januar 1961

Ich hab so einen Stapel ungelesener Briefe, und einen noch größeren, die ich zwar gelesen habe, aber die noch zu beantworten sind. Ich kann diese Arbeit mit den Aphorismen nicht machen, wenn ich ständig von Leuten belästigt werde, die "ziehen", weil sie mir geschrieben haben – wenn ich ihnen nicht sofort antworte meinen sie (sie sprechen es nicht aus): "Nun, warum antworten Sie nicht!" So steht es.

Das sind keine günstigen Verhältnisse.

Alles befindet sich in einem fürchterlichen Durcheinander.

(Schweigen)

Wie lautet der nächste Aphorismus?

49 – Den Gott der Schönheit und der Güte auch im Häßlichen und Bösen zu empfinden und zu lieben, und sich dennoch in vollkommener Liebe danach zu sehnen, ihn von seiner Häßlichkeit und Bosheit zu heilen, das ist die wahre Tugend und Moralität.

Hast du eine Frage?

Wie kann man bei der Heilung des Bösen und Häßlichen, das man überall sieht, mitwirken?... Lieben? Was ist die Kraft der Liebe? Und wie kann eine Änderung in einem individuellen Bewußtsein auf die restliche Menschheit wirken?

Wie man bei der Heilung des Bösen und Häßlichen mitwirken kann?... Man kann sagen, es gibt Stufen der Mitwirkung oder des Handelns; eine negative Mitwirkung und eine positive Mitwirkung.

Zuerst die Methode, die man negativ nennen könnte. Sie wird von den buddhistischen und ähnlichen Religionen angewandt: nicht zu sehen. Erst einmal in einem Zustand ausreichender Reinheit und Schönheit zu sein, um das Häßliche und Böse nicht zu empfinden – es ist wie etwas, das euch nicht berührt, weil es in euch nicht existiert.

Das ist die Vollendung der negativen Methode.

Es ist eine sehr primitive Methode: das Böse nie bemerken, nie über das Böse in anderen sprechen, diese Schwingung nicht dadurch verbreiten, daß man es beobachtet, kritisiert oder ihm übermäßig Aufmerksamkeit schenkt. So lehrte es der Buddha: jedesmal, wenn du ein Übel erwähnst, trägst du dazu bei, es zu verbreiten.

Aber das geht dem Problem aus dem Weg.

Dennoch sollte man sich eine Regel daraus machen. Aber die Kritiker haben eine Antwort, sie sagen: "Wenn du das Böse nicht siehst, kannst du es niemals heilen. Wenn du jemanden in seiner Häßlichkeit läßt, wird er nie darüber hinweg kommen." (Das ist nicht wahr, aber so rechtfertigen sie ihr Benehmen.) Hier beantwortet Sri Aurobindo diese Einwände im voraus: du übersiehst das Böse nicht aus Unwissenheit, aus Unbewußtheit oder aus Gleichgültigkeit, du kannst es sehr wohl sehen und sogar empfinden, aber du weigerst dich, mit der Kraft deiner Aufmerksamkeit oder mit der Unterstützung deines Bewußtseins zu seiner Verbreitung beizutragen. Dafür mußt du dich selber jenseits dieser Empfindung oder dieses Gefühls befinden; du mußt Böses und Häßliches sehen können, ohne darunter zu leiden oder davon betroffen oder gestört zu sein. Du siehst es von einer Höhe, auf der diese Dinge nicht existieren, aber du bist dir ihrer bewußt – du bist jedoch nicht davon berührt, du bist frei. Das ist ein erster Schritt.

Ein zweiter Schritt ist, POSITIV der höchsten Güte und Schönheit bewußt zu sein, die hinter allem sind und alles aufrecht erhalten, allem überhaupt ermöglichen zu existieren. Wenn du Das siehst, kannst du es auch hinter dieser Maske, hinter dieser Entstellung erkennen – sogar hinter dieser Häßlichkeit, dieser Gemeinheit; selbst dieses Böse ist eine Verkleidung von Etwas im wesentlichen Schönem, Gutem, Leuchtendem, Reinem.

Und damit erreicht man die WAHRE Mitarbeit, wenn du nämlich diesen Blick, diese Erkenntnis hast, wenn du mit diesem Bewußtsein lebst, gibt dir das auch die Kraft, Das in die Schöpfung, auf die Erde zu ZIEHEN, und Das mit dem in Berührung zu bringen, was bis jetzt noch entstellt und verhüllt ist – derart, daß diese Entstellung und Verkleidung nach und nach durch den Einfluß der dahinter steckenden Wahrheit verwandelt wird.

Dies ist die höchste Stufe der Mitarbeit.

So gesehen braucht das Prinzip der Liebe nicht in die Erklärung einzugehen. Wenn man aber die Beschaffenheit der Kraft oder der Macht, die diese Verwandlung ermöglicht und vollbringt, verstehen oder kennen will (vor allem, wenn es sich um das Böse handelt, aber in begrenztem Maße auch beim Häßlichen), dann sieht man, daß die Liebe natürlich von allen Kräften die mächtigste, die umfassendste ist – umfassend in dem Sinn, daß sie in allen Fällen anwendbar ist. Sie ist sogar mächtiger als die Kraft der Reinheit, die böse Willen auflöst und irgendwie Meister über die widrigen Kräfte ist, die aber nicht die direkte transformierende Kraft hat. Die Kraft der Reinheit löst ERST auf, und formt dann etwas neues, während die Liebe nicht erst auflösen muß, um zu transformieren: sie hat die Kraft, direkt zu transformieren. Die Liebe ist wie eine Flamme, die etwas Hartes formbar macht, und sogar dieses Formbare zu einer Art reinen Hauch verfeinert – sie zerstört nicht, sondern verwandelt.

Die Liebe ist in ihrem Wesen, von ihrem Ursprung her, eine weiße Flamme, die ALLE Widerstände überwältigt. Man kann das selber erfahren: welche Schwierigkeit auch immer man in sich hat, wie groß auch immer das Gewicht der angesammelten Fehler, der Dummheiten, der Schwächen und der schlechten Willen, in einer einzigen SEKUNDE dieser Liebe – rein, essentiell, vollkommen – ist es aufgelöst wie in einer allmächtigen Flamme. In einem einzigen Augenblick kann eine ganze Vergangenheit verschwinden. Einen Augenblick BERÜHRT man Das in seinem Kern, und eine ganze Last ist erlöst.

Man kann leicht erklären, wie jemand, der diese Erfahrung hat, sie verbreiten kann, auf andere wirken kann, denn um diese Erfahrung zu haben, muß man den Einen, Höchsten Ursprung berühren – den Anfang und Ursprung, die Quelle und Wirklichkeit von allem Bestehenden – und damit betritt man sofort die Ebene der Einheit: dort gibt es keine Trennung zwischen den Individuen mehr, alles ist eine einzige Schwingung, die sich ewig in der äußeren Form wiederholen kann. 1

Wenn man sich hoch genug erhebt, ist man im Herzen aller Dinge. Und was immer in diesem Herz hervorgebracht wird, kann auch in allen anderen Dingen hervorgebracht werden. Das ist das große Geheimnis, das Geheimnis der göttlichen Inkarnation in einem individuellen Körper. Denn normalerweise wird das, was sich im Zentrum manifestiert, erst durch das Erwachen und durch die ANTWORT des Willens in der individuellen Form auf der äußeren Ebene verwirklicht. Wenn der zentrale Wille aber beständig und dauernd in einem Menschen vertreten ist, kann dieser Mensch als Zwischenglied zwischen diesem Willen und den anderen Menschen dienen und er kann FÜR SIE wollen. Alles, was dieser Mensch erkennt, und alles, was er in seinem Bewußtsein dem Höchsten Willen darbietet, wird beantwortet, als käme es von jedem einzelnen. Und wenn die Einzelnen aus irgendeinem Grund ein mehr oder weniger bewußtes oder gewolltes Verhältnis zu dem Stellvertreter haben, dann verstärkt das seine Ausführungskraft. In dieser Weise kann die Handlung von Oben viel konkreter und dauerhafter auf die Materie einwirken. Dies ist der Grund für diese Bewußtseinsherabkünfte – man könnte sie "polarisiert" nennen, weil sie immer mit einem wohldefinierten Ziel auf die Erde kommen, für eine besondere Verwirklichung, mit einer Mission, eine vor der Inkarnation entschiedene, bestimmte Mission. Das sind die großen Schritte der Inkarnation des Göttlichen auf der Erde.

Wenn dann schließlich der Tag der Verkörperung der Höchsten Liebe gekommen ist – eine konzentrierte, kristallisierte Verwirklichung der Höchsten Liebe –, dann ist es die Zeit der Transformation. Denn Dem wird nichts widerstehen können.

Aber gerade weil sie allmächtig ist, bedarf es einer gewissen Empfänglichkeit auf der Erde, damit die Auswirkungen nicht katastrophenhaft sind... Sri Aurobindo erklärte das in einem seiner Briefe. Jemand fragte ihn: "Warum kommt das nicht jetzt sofort?" Sri Aurobindo antwortete ungefähr so: Wenn die göttliche Liebe sich konzentriert auf der Erde manifestierte, wäre es wie ein Zerplatzen, denn die Erde ist zu unplastisch und zu unempfänglich, um sich auf die Weite dieser Liebe ausdehnen zu können. Die Erde muß sich erst öffnen und auch weiten und biegsam werden – die Materie ist noch zu starr, sogar die Substanz des physischen Bewußtseins ist zu starr.

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Wäre es nicht gut, wenn du diese Fragen über die Aphorismen immer verbal beantworten könntest?

Oh, das ist immer besser! Wenn ich da mit Papier und Bleistift sitze, und mich aufs Schreiben konzentrieren muß, hält mich das nämlich zurück, es ist eine Fessel.

Natürlich – warum erzählst du es nicht? T oder Z könnte kommen und dir zuhören, sie wären sicher entzückt.

Aber nein! Du verstehst die Sache nicht! Um sprechen zu können, brauche ich eine empfängliche Stimmung. Säße ich alleine in meinem Zimmer, käme ich nicht auf die Idee zu sprechen! Siehst du? Die Laute kämen gar nicht: das kommt so, direkt – und wenn ich die Hand zum Mitschreiben einschalten kann, dann funktioniert es; aber es zieht die Sache ein bißchen hinab. Ich kann dabei mit irgend etwas anderem beschäftigt sein, das ist egal, solange es etwas ist, um das ich mich nicht kümmern muß, zum Beispiel morgens, während ich mich kämme. Aber ich käme nie auf den Gedanken, auch nur ein Wort auszusprechen! Nur wenn ich eine Aufnahmefähigkeit vor mir habe, an die ich mich wenden kann.

Und das, was ich den Leuten sage, hängt vollkommen von ihrem aktuellen Zustand ab. Das war ja mein großes Problem drüben auf dem Sportplatz, 2 die Atmosphäre war so fürchterlich gemischt! Ich mußte KÄMPFEN, um eine Aufnahmefähigkeit zu finden, zu der ich sprechen konnte. Wenn die Leute, die ich vor mir habe, nichts verstehen, kann ich kein Wort aussprechen! Wenn andere kommen, die im Gegenteil bereit sind, etwas zu empfangen, dann sprudelt es plötzlich nur so hervor – aber meistens ist dann gerade kein Bandgerät da!

Ich gab alle möglichen Antworten und Erklärungen über die Schule und World Union 3, über die wahre Industrie (wie eine wahre Industrie sein sollte), über Unmengen von Dingen! Das ergäbe ganze Schriften, wenn man es sammelte! Manchmal sprach ich eine dreiviertel Stunde lang zu Leuten, die mit Interesse zuhörten – sie waren empfänglich – aber vollkommen unfähig, sich später zu erinnern, um es aufzuschreiben. Da hätte ich eins eurer Bandgeräte brauchen können! Aber wenn man so etwas im voraus organisiert, kann es passieren, daß überhaupt nichts kommt.

Alles Intellektuelle blockiert die Dinge. Und wenn ich T vor mir habe, kann ich ihr nichts sagen, weil sie nicht versteht. Es ist schon schwierig genug, ihr zu schreiben (es erniedrigt das, was ich sagen will, ein wenig), aber wenn sie hier wäre und ich sprechen müßte, brächte ich überhaupt nichts hervor!

Nein, wenn es etwas Interessantes gibt, und sie über einen Aphorismus keine Fragen stellt (oder keine unmögliche Frage), machen wir das so, daß ich hier spreche. Für mich ist das viel leichter. Und es kommen Dinge auf, die ich vorher nicht gesehen hatte. Wenn ich es hinschreibe, kommen meist Dinge, die ich schon vorher sah (nicht daß ich sie zurück ins Gedächtnis rufe: sie sind da, und deshalb kommen sie wieder) – bei einem neuen Kontakt hingegen kommt immer etwas neues.

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(Etwas später macht Mutter folgende Bemerkung über die Agenda vom 13. Dezember 1960, wo sie vom "Disbelief", der Ungläubigkeit des physischen Intellekts gesprochen hatte, wie seine defätistischen Reaktionen eng mit den Krankheiten des Körpers verbunden sind:)

Dieser defätistische Intellekt ist immer noch da! Voll im Gange!

Wenn wir den überwinden...

Ich möchte eben erreichen, ohne seine Unterstützung handeln zu können. Sri Aurobindo sagte: ihn loswerden.

 

 

1 Satprem fragte Mutter später: "Ist es eine Schwingung, die sich ewig wiederholen kann oder die sich ewig wiederholt?" Mutter antwortete: "Ich wollte verschiedenes zugleich ausdrücken. Diese Schwingung besteht überall statisch, aber wenn man sich ihrer gewahr wird, hat man die Macht, sie nach Belieben überall zu aktivieren; das heißt nicht, daß man etwas "bewegt", sondern der Druck des Bewußtseins aktiviert sie überall, wohin man sein Bewußtsein richtet.

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2 Zur Zeit der Entretiens ["Gespräche"], als Mutter zweimal wöchentlich auf dem Ashramsportplatz die Fragen der versammelten Schüler beantwortete.

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3 Eine "Bewegung" oder Gruppe, Die Einheit der Welt, die aus der persönlichen Initiative eines Schülers entstanden war.

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