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Mutters

Agenda

zweiten Band

29. April 1961

(Auszüge dieses Gesprächs erschienen in Commentaires de Mère sur les Aphorismes . Mutter wollte nicht einmal, daß der vollständige Text in ihrer Agenda erscheint, weil sie ihn für zu persönlich hielt. Wir glaubten gut daran zu tun, ihn trotzdem zu bewahren. Ausgangspunkt war der folgende Aphorismus von Sri Aurobindo:)

59 – Eine der größten Tröstungen der Religion ist, daß man Gott gelegentlich packen und ihm eine befriedigende Tracht Prügel versetzen kann. Die Leute verspotten die Einfalt der Wilden, die ihren Gott verprügeln, wenn er ihre Gebete nicht beantwortet, doch die Spötter sind die wirklich Einfältigen und Wilden.

Die arme T! Sie fragt mich: "Was heißt es (lachend), "Gott eine befriedigende Tracht Prügel zu versetzen"? Wie ist das möglich?..." Ich habe noch nicht geantwortet. Dann fragt sie noch: "Viele Leute behaupten, daß Sri Aurobindos Lehren eine neue Religion sind. Würdest Du das als Religion bezeichnen?..." Verstehst du, da begann ich zu rauchen!

Ich schrieb (Mutter liest ihre Antwort):

"Jene, die das sagen, sind Idioten und wissen nicht, wovon sie reden! Es genügt zu lesen, was Sri Aurobindo schrieb, um zu sehen, daß es UNMÖGLICH ist, darauf eine Religion zu begründen, denn für jedes Problem, für jede Frage stellt er alle Aspekte dar und zeigt die Wahrheit, die jeder Annäherungsversuch enthält, und er erklärt, daß es nötig ist, eine Synthese zu bilden, die alle mentalen Begriffe übersteigt, und eine Transzendenz jenseits des Denkens zu erreichen, um Die Wahrheit zu berühren.

Deine zweite Frage ergibt also keinen Sinn (!). Hättest du gelesen, was im letzten Bulletin erschienen ist, könntest du sie auch nicht stellen. 1

Ich wiederhole, wenn wir von Sri Aurobindo sprechen, kann es um keine Lehre, nicht einmal um eine Offenbarung gehen, sondern um eine Aktion des Höchsten. Darauf läßt sich keine Religion gründen."

Das ist die erste Salve.

Die zweite:

"Die Menschen sind so verrückt – (lachend) es wird nicht besser! –, daß sie jede beliebige Sache in eine Religion verwandeln können, so sehr bedürfen sie eines starren Rahmens für ihre engen Gedanken und begrenzten Handlungen. Sie fühlen sich nur in Sicherheit, wenn sie sagen können: 'Dies ist wahr und jenes ist es nicht.' Doch diese Behauptung wird unmöglich für jeden, der Sri Aurobindo gelesen und verstanden hat. Religion und Yoga liegen nicht auf derselben Ebene des Wesens, und das spirituelle Leben kann nur dann in seiner Reinheit existieren, wenn es frei von allen mentalen Dogmen ist."

Es ist sehr wichtig, das den Leuten klar zu machen.

Ja, unerläßlich.

Stets sind sie alle bereit, eine Religion zu machen – selbst hier im Ashram.

Ja, was T ausspricht, das sind die Leute im Ashram.

Sie sind so sektär wie ein Katholik, wie ein Protestant...

Ja, DASSELBE. Genau dasselbe.

Das heißt, sie haben nichts begriffen.

Aber das hier: "Wie kann man Gott eine befriedigende Tracht Prügel versetzen?" (Mutter lacht herzlich) Das ist lustig!

Aber was meinte er damit genau?

Was Sri Aurobindo damit sagen wollte?...

Hast du den englischen Text? Vielleicht haben wir ihn etwas... popularisiert?

Das englische Wort ist "beating": a good beating.

"Beating"? Dann ist es wirklich das: eine Tracht Prügel!

Die Religion neigt immer dazu, Gott zu vermenschlichen oder einen Gott im Bildnis des Menschen zu schaffen – ein glorifiziertes und vergrößertes Bildnis, aber im Grunde ist es immer ein Gott mit menschlichen Attributen. Das bewirkt (lachend) eine Art Intimität, eine Nähe!

T faßte es buchstäblich auf, aber es ist wahr, daß sogar die Spanier, wenn ihr Gott nicht tut, was sie wollen, ihn nehmen und in den Fluß schmeißen!

Manche Leute hier tun es. Ich kenne Leute, die eine Kali-Statue hatten (Kali war die Gottheit ihrer Familie). Alle möglichen Unglücke befielen sie, da wurde die letzte Generation wütend: sie nahmen das Idol und warfen es in den Ganges. Noch dazu bat mich einer von ihnen (es sind mehrere) vorher um Erlaubnis!

Diese Art, einen Gott im Gleichnis des Menschen zu machen, gibt euch die Möglichkeit, ihn so zu behandeln, wie ihr es mit einem menschlichen Feind tätet.

Darüber gäbe es viel zu erzählen...

Aber diese Idole sind keine rein menschlichen Schöpfungen, sie haben eine unabhängige Existenz?

Oh! Diesbezüglich kam ich zu sehr interessanten Erkenntnissen, über die Weise, wie diese Leute denken und fühlen. Ich erinnere mich, jemand hatte einmal eine kleine Statue von Sri Aurobindo gemacht, er gab ihm einen Bauch und... jedenfalls erschien mir das lächerlich, und ich sagte ihm: "Wie können Sie etwas derartiges tun?!" Da erklärte er mir: selbst wenn es dem normalen Auge als Karikatur erscheint, weil es ein Bild desjenigen ist, den man als Gott oder als einen Gott oder als Avatar betrachtet, weil es das Bildnis desjenigen ist, den man anbetet, sei es auch nur ein Guru, enthält es den Geist und die Kraft seiner Gegenwart, und das ist es, was man anbetet, selbst in seiner plumpen Form, selbst in einer Form, die dem physischen Auge als Karikatur erscheint.

Jemand hier hatte ein großes Gemälde von Sri Aurobindo und mir gemacht: man brachte es, um es mir zu zeigen. Ich sagte: "Das ist abscheulich!" Es war... für das physische Auge war es abscheulich. "Das ist schrecklich, wir können das nicht behalten." Sofort bat mich jemand darum und sagte: "Ich werde es zu Hause aufhängen und meine Puja davor machen." Ah!... Ich konnte nicht anders, als ihm zu sagen: "Wie? Sie können etwas derartiges aufhängen!" (Es war nicht so sehr häßlich wie schrecklich banal) "Wie können Sie Ihre Puja vor etwas so Banalem und Leerem machen!" Diese Person erwiderte: "Oh! Für mich ist das nicht leer, es enthält die ganze Gegenwart und die ganze Kraft, und ich bete es an als Die Gegenwart und Die Kraft."

All das begründet sich auf dieser alten Idee: was auch immer das Bild sei (was wir abwertend "Idol" nennen), was auch immer die äußere Form der Gottheit sein mag, stets ist die Gegenwart der dargestellten Sache darin enthalten. Und es gibt immer jemanden – sei es ein Priester oder ein Eingeweihter, ein Sadhu, ein Sannyasin –, der die Macht hat (meistens ist das die Aufgabe der Priester) und Die Kraft, Die Gegenwart hineinzieht. Das ist echt: es ist eine vollkommen reelle Tatsache, daß Die Kraft, Die Gegenwart DORT ist, und das ist es, was ihr anbetet, Diese Gegenwart, nicht die Form aus Holz oder Stein oder Metall.

Die Europäer haben überhaupt keinen Sinn für das Innere. Für sie ist alles so (Geste), eine Oberfläche – nicht einmal das: ein dünner Film der Oberfläche. Und dahinter gibt es nichts. Deshalb können sie nichts fühlen. Doch es ist eine Tatsache, eine absolut wirkliche Tatsache, daß Die Gegenwart darin ist, ich garantiere es. Ich habe kleine Objekte aus Metall, aus Holz oder aus Elfenbein, die mir gegeben wurden, die bestimmte Götter darstellen, und ich brauche sie nur in die Hand zu nehmen, damit der Gott hier ist. Ich habe Ganesh-Statuen 2 (man gab mir viele Ganesh-Statuen), ich nehme eine in die Hand, schaue sie eine Minute an, und er ist hier. Eine, die mir geschenkt wurde, hebe ich neben meinem Bett auf (wo ich arbeite, esse und meditiere), ganz klein. Dann habe ich einen Narayana 3 vom Himalaja, aus Badrinath. Sie dienen mir alle als Papiergewichte auf meinen Taschentüchern! (Meine Taschentücher liegen auf einem kleinen Stuhl, dort neben dem Bett, und darauf setze ich Ganesh und Narayana.) Und niemand außer mir berührt sie: ich hebe sie selber hoch, lege neue Taschentücher darunter und stelle sie wieder zurück. Einmal mischte ich mir selber Nagellack (!), und bevor ich meine Nägel bemalte, strich ich ein bißchen auf Ganapatis Stirn, auf seinen Bauch und auf seine Fingerspitzen! Wir stehen in sehr guter Beziehung, sehr freundschaftlich. Für mich ist all das also sehr wahr.

Nur...

Narayana kam als erster. Ich stellte ihn dorthin und trug ihm auf, dort zu bleiben und zufrieden zu sein. Einige Zeit danach brachte man mir einen sehr schönen Ganesh; da bat ich Narayana (ich bat ihn nicht um Erlaubnis, sondern sagte es ihm): "Weißt du, du wirst nicht böse sein, ich werde dir einen Gefährten geben. Ich habe euch beide gerne, keine Vorliebe – der andere ist zwar viel schöner, aber du, du bist Narayana!" Ich schmeichelte ihm! Sagte ihm Liebenswürdigkeiten – er war vollkommen zufrieden.

Und für mich war das immer so, immer. Ich hatte nie-nie eine religiöse Einstellung – du weißt, was die Leute in den Religionen haben, besonders in Europa, diese Art... mir fällt nur das englische Wort ein: awe [Ehrfurcht], ein Entsetzen. Darüber mußte ich immer lachen! Aber was dahinter liegt, die Anwesenheit der Götter, das spürte ich immer.

Ich erinnere mich an einen Besuch in einer Kirche, die ich nicht nenne (ich fand, daß es ein schöner Ort war). Es war kein Feiertag, keine Zeremonie: die Kirche war leer. Nur zwei oder drei Personen waren da, die beteten. Ich trat ein und setzte mich in eine kleine Seitenkapelle... Eine Person betete dort, sie mußte Kummer haben, denn sie weinte und betete. Da sah ich plötzlich... Dort stand eine Statue, ich weiß nicht mehr, ob es eine Christusfigur oder die Jungfrau oder ein Heiliger war, aber anstelle der Statue sah ich eine riesige Spinne... wie eine Tarantel, aber (Geste) ungeheuer! Sie bedeckte die ganze Wand der Kapelle und saß dort, um alle Vitalkraft der Leute aufzusaugen. Das war... schmerzlich. Ich sagte mir: "Da sieht man! Diese Leute..." Diese leidende Person war gekommen, um Hilfe zu finden, sie weinte und betete und hoffte auf Beistand, und anstatt daß es wenigstens zu einem mitfühlenden Bewußtsein ging, diente es als Nahrung für dieses Monster!

Ich sah auch andere Dinge – aber in den Kirchen sah ich selten sehr gutartige Dinge. Hier erinnere ich mich, einmal war ich in M. Man führte mich hinein, empfing mich in sehr außergewöhnlicher Weise. (Ich wurde von jemandem vorstellt, der dort große Hochachtung genoß und der mich als "große Heilige" präsentierte!) Man führte mich bis in das Sanktotum, wo die Leute sonst nicht eingelassen werden, und was sehe ich dort: einen Asura! (Oh, von keinem sehr großen Kaliber: eher ein Rakshasa 4 .) Aber eines dieser Monster! Schrecklich, er saß dort. Ich versetzte ihm einen guten Schlag (Geste)... Ich dachte, es würde etwas geschehen, aber dieses Wesen kam, er bewegte sich: kam zu mir und versuchte, mich einzuschüchtern (natürlich merkte er, daß es sinnlos war). Dann bot er mir ein Bündnis an: "Sage nichts, tue nichts, und ich werde alles, was ich bekomme, mit dir teilen." – Ich ließ ihn abblitzen! Der Leiter dieses Math... (Es war ein Math, mit einem Kloster und einem Tempel: das bedeutet einen beträchtlichen Reichtum, und der jeweilige Leiter darf sich dessen während seiner Amtszeit frei bedienen, und wenn er einmal ernannt wird, ist es auf Lebenszeit. Er muß allerdings seinen Nachfolger nominieren... und der verkürzt meistens sein Leben – so läuft das. Vom gegenwärtigen Leiter wußten alle, daß er das Leben seines Vorgängers beträchtlich verkürzt hatte.) Ein Mann! Ebenso asurisch wie der Gott, den er anbetete: ich sah arme Kerle, die sich ihm zu Füßen warfen (er muß sie irgendwie in die Zwinge bekommen haben) und um Gnade und Mitleid flehten – ein Mann ohne jedes Erbarmen. Aber er empfing mich, das hättest du sehen sollen!... Ich sagte nichts, kein Wort über ihren Gott, gab nichts zu erkennen. Doch ich dachte: "So ist das also!..."

Eine andere Geschichte erlebte ich in einem Fischerdorf in der Nähe von A, an der Küste. Dort ist ein Tempel, der Kali gewidmet ist – eine schreckliche Kali. Ich weiß nicht, was ihr zustieß, aber sie wurde eingegraben: nur ihr Kopf ist zu sehen! – Irgendeine wunderliche Geschichte, aber ich wußte nichts davon. Ich fuhr im Wagen von A zu diesem Tempel, und auf halbem Wege begegnet mir eine schwarze Figur, die mir sehr erregt entgegeneilt und mich um Hilfe bittet: "Ich gebe dir alles-alles, was ich habe, alle meine Macht, die ganze Anbetung der Leute, wenn du mir hilfst, allmächtig zu werden!" Natürlich antwortete ich ihr, wie es sich gehört! Dann fragte ich, wer diese Person sei. Da erklärte man mir, ihr sei irgendein Unglück zugestoßen und sie wurde eingegraben, nur noch der Kopf steckte heraus. Jedes Jahr feiern sie in diesem Fischerdorf ein Fest, wo sie Tausende Hühner umbringen (sie liebt Hühner!). Tausende Hühner. Sie federn sie vor Ort (der Platz ist voller Federn), und natürlich essen die Leute sie, nachdem sie das Blut geopfert haben. Am Morgen des Tages, als ich kam, war das geschehen – alles war voller Federn! Abscheulich. Und sie bat um meine Hilfe!

Das seltsame ist, daß diese Wesen (es sind Wesen des Vitals) sich der Geschehnisse bewußt sind (ich hatte keine Ahnung von dieser Geschichte, wußte nichts von diesem Wesen, daß nur ihr Kopf herausschaute: sie wollte, daß ich sie von dort herausziehe), sie spüren die Atmosphäre. Auf den höheren Ebenen können sie nicht bewußt sein: sie sind im Vital bewußt, sie spüren einzig die vitale Macht und die Kraft, die sie darstellt... Wie dieser Asura von M: als ich eintrat, war es plötzlich, als beginne er auf seinem Sockel zu zittern, da verließ er seine Statue und bot mir ein Bündnis an.

Seltsam...

(Schweigen)

In den Kirchen weiß ich nicht... Ich bin nicht oft darin gewesen. Ich war in Moscheen, in Tempeln – in jüdischen Tempeln. Die jüdischen Tempel in Paris haben eine so schöne Musik! Welch schöne Musik! In einem Tempel hatte ich eine meiner ersten Erfahrungen. Das war bei einer Heirat, und die Musik war wunderbar. Später sagte man mir, es wäre ein Stück von Saint-Saëns, mit einer Orgel (die zweitbeste Orgel in Paris, wunderbar!). Diese Musik spielte, und ich stand mit meiner Mutter oben auf der Galerie (ich war 14), dort waren die Glasfenster – weiße Fenster, ohne Bilder. Ich betrachtete eines dieser Fenster und fühlte mich wirklich von dieser Musik getragen, da kam plötzlich etwas wie ein Blitzschlag durch das Fenster und drang hier ein (Mutter klopft auf ihre Brust), ich sah ihn eindringen und... ich hatte das Gefühl, unermeßlich und allmächtig zu werden... Das blieb mehrere Tage.

Aber meine Mutter war, Gott sei Dank, eine hartgesottene Materialistin, so daß man mit ihr nicht über die unsichtbaren Dinge sprechen konnte – für sie war das ein Zeichen von Gehirnstörungen! (Nichts zählte, was man nicht berühren und sehen konnte.) Aber das war ein göttlicher Segen: ich hatte keine Möglichkeit zu reden. Ich behielt meine Erfahrung für mich. Doch dies war eine meiner ersten Berührungen mit... Später erfuhr ich, daß es eine vergangene Wesenheit war, die in mich eindrang, wegen der Aspiration, die die Musik hervorrief.

Aber in Kirchen hatte ich selten Erfahrungen. Sehr häufig hatte ich hingegen das sehr schmerzliche Erlebnis, wie die menschliche Suche nach höherem Trost, nach göttlichem Mitgefühl... in sehr schlechte Hände fällt – das sah ich sehr oft.

Eine der schrecklichsten Erfahrungen erlebte ich in Venedig. (Die Kathedralen dort sind so schön! Prächtig!) Ich erinnere mich, ich saß in einer Ecke und malte – sie hatten mir erlaubt, dort zu malen – und es war in der Nähe von einem... (wie heißt das?) einem Beichtstuhl. Dort saß eine arme Frau, der es sehr elend ging, oh, mit einem so schrecklichen Schuldgefühl, wirklich jämmerlich! Sie schluchzte und schluchzte. Dann sah ich den Priester kommen, wie ein Monster: ein Monster von Härte. Er betrat den Beichtstuhl wie eine Eisenstange. Diese arme Frau schluchzte in einem fort; und die harte, trockene Stimme des anderen... Ich hatte alle Mühe, still zu bleiben.

Ich weiß nicht warum, aber diese Erfahrung machte ich sehr häufig: entweder eine gegnerische Kraft, die sich dahinter verbirgt und alles aufsaugt, oder der Mensch – der Mensch, der Die Macht mißbraucht, gnadenlos.

Eigentlich sah ich das überall in der Welt. Ich stand nie auf sehr gutem Fuße mit den Religionen, weder in Europa noch in Afrika noch in Japan und auch hier nicht.

(Schweigen)

Ich erinnere mich, als ich achtzehn war, hatte ich ein so intensives Bedürfnis ZU WISSEN... Denn die Erfahrungen hatte ich – die verschiedensten Erfahrungen –, aber aufgrund meines Milieus hatte ich keine Gelegenheit, ein intellektuelles Wissen zu bekommen, das mir den Sinn von all dem gegeben hätte: ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich hatte Erfahrungen über Erfahrungen... Jahrelang hatte ich nachts Erfahrungen (ich hütete mich, darüber zu sprechen!), die verschiedensten Erinnerungen an vergangene Leben, alle möglichen Dinge, aber ohne jede intellektuelle Wissensgrundlage. (Das hatte natürlich den Vorteil, daß meine Erfahrungen keine mentale Fabrikation sondern völlig spontan waren.) Aber ich hatte ein solches BEDÜRFNIS zu wissen!... Ich erinnere mich, wir wohnten in einem Wohnhaus (eins dieser Häuser mit vielen Wohnungen), und in der Wohnung nebenan lebten junge Leute, die sehr katholisch waren und einen sehr überzeugten Glauben hatten. Ich sah das, und eines Tages, als ich gerade meine Haare richtete, sagte ich mir: "Haben die ein Glück, die Leute, die in eine Religion geboren werden und daran glauben, ohne Fragen zu stellen! Wie leicht ist das doch! Man braucht nur noch zu glauben, und alles ist einfach." Ich spürte das, und als ich merkte, daß ich so dachte, (lachend) schimpfte ich mich aus: "Du bist ein Faulpelz!"

Wissen-wissen-WISSEN!... Denn ich wußte überhaupt nichts, nur die Dinge des alltäglichen Lebens: das äußere Wissen. Ich hatte alles gelernt, wozu mir Gelegenheit gegeben wurde: nicht nur das, was man mir beibrachte, sondern auch was mein Bruder lernte, höhere Mathematik und all das! Ich lernte und lernte und lernte – aber das war NICHTS. Nichts konnte mir die Dinge erklären – nichts. Ich konnte nichts begreifen!

Wissen!...

Das kam später, als ich jemandem begegnete, der mir von Théons Lehren erzählte: zwei Jahre danach.

Als man mir sagte, das Göttliche sei im Innern (die Lehre der Gita, aber in Worten, die für westliche Menschen verständlich sind), daß es die innere Gegenwart gibt, daß man das Göttliche in sich trägt, oh!... Das war eine Offenbarung! In wenigen Minuten verstand ich plötzlich alles. Alles war verstanden. Das vermittelte den augenblicklichen Kontakt.

(Schweigen)

Kann man trotzdem sagen, daß unabhängig von den Erscheinungen – den vitalen Spinnen oder den schrecklichen Kalis – das Göttliche dennoch dadurch wirkt, den Leuten dadurch hilft? Es wird nicht völlig aufgesogen und verschwindet, oder?

Nein, aber das ist etwas anderes. Das sind jene, die zu einer persönlichen Erfahrung fähig sind, damit dringen sie durch alles hindurch. Aber das gilt nicht für die Masse.

(Schweigen)

Ich hatte Diskussionen (keine "Diskussionen", aber einen Meinungsaustausch) mit Prälaten. Besonders ein Kardinal... Ich sagte ihm meine Erfahrung, daß ich es WUSSTE. Da erwiderte er: "Ob Sie es wollen oder nicht, Sie gehören der Kirche an, denn all jene, die wissen, gehören der Kirche an." Und er sagte: "Sie wissen das, was uns gelehrt wird, wenn wir Kardinäle werden." Ich erklärte ihm: "Mir hat niemand etwas gelehrt: das ist meine eigene Erfahrung." Darauf wiederholte er: "Ob Sie es wollen oder nicht, Sie gehören der Kirche an." Ich hätte ihm ein oder zwei Dinge sagen wollen, aber ich hielt mich zurück.

Doch ansonsten dreht man sich endlos im Kreis, in der äußeren Form gefangen, von der Form gefesselt!

Oh, ich erinnere mich an einen braven Pfarrer in Pau [Südfrankreich], der seine Kirche – eine ganz kleine Kathedrale – neu ausstatten lassen wollte. Er bat einen einheimischen Anarchisten, es zu tun (dieser Anarchist war ein großer Künstler), und der kannte Andrés Vater [Henri Morisset] und mich. Er sagte dem Pfarrer: "Ich empfehle Ihnen diese Leute für die Gemälde, weil sie wahre Künstler sind." Morisset malte den Wanddekor: Wandtafeln, acht, glaube ich. So arbeitete ich an einer der Tafeln. (Es war eine Kirche, die Saint-Jacques-de-Compostelle gewidmet war, über den es in Spanien eine Geschichte gab: in einer Schlacht zwischen den Christen und den Mauren war er erschienen, und wegen seinem Erscheinen wurden die Mauren besiegt. Er war prächtig! Er war in einem goldenen Licht erschienen, auf einem weißen Pferd, fast wie Kalki 5 hier.) Unten im Bild lagen all die umgekommenen Mauren – und ich malte die toten oder sterbenden Mauren. (Weil ich nicht klettern konnte! Für den oberen Teil der Bilder mußte man auf ein Gerüst klettern, und das war zu schwierig für mich, deshalb malte ich alles, was unten war!) Jedenfalls verlief alles sehr gut, wir brachten die Farben mit in die Kirche und malten die Tafeln. Hinterher lud uns der Pfarrer natürlich zum Abendessen ein, zusammen mit dem Anarchisten. Dieser Pfarrer war ein so lieber Mensch! Wirklich ein braver Mann. Ich war bereits Vegetarierin und trank nicht. Da schimpfte er mich sehr liebenswürdig aus: "Aber all das gibt uns unser Herr, warum nehmen Sie es nicht!"... Er war wirklich sehr charmant. Und als er die Gemälde betrachtete, klopfte er Morisset auf die Schulter (Morisset war ungläubig) und sagte ihm (mit seinem südlichen Akzent): "Sie können sagen, was Sie wollen, aber Sie kennen unseren Herren, sonst hätten Sie das nicht so malen können!"

Nun.

Kurz, ich kannte Leute von überall, war überall, sah alles, hörte alles... Seltsam. Ohne es absichtlich zu tun: einfach, weil der Herr es wollte.

Was für Erfahrungen!

So mein Kind, jetzt muß ich gehen. Ich habe wieder einmal geschwätzt!

Ich wollte mein Morgenprogramm ausführen und konnte nicht, ein Berg von Briefen, alle durcheinander! Und die Leute... Brief über Brief, Brief über Brief, "dringende" Notwendigkeit, mich zu besuchen...

Ich dachte, wir würden die Antwort für T formulieren, doch jetzt habe ich geredet.

Aber darin sind viele Dinge, die benutzt werden können. Ich werde aussuchen, was veröffentlicht werden kann... Ich mache zwei Versionen.

Ja, tu das! Und all das andere möchte ich nicht aufheben, weil es viel zu persönlich ist. Da ist die Rede von vielen Leuten und vielen Dingen, und ich will nicht... Dir erzähle ich es, das ist alles. Heb es für dich selbst auf – nicht einmal für die Agenda, das ist nicht nötig. Wenn es dich amüsiert, hebe es auf, das ist alles. Ich habe es dir einfach so erzählt – wahrscheinlich, weil ich Lust hatte zu schwätzen!

Ich könnte viele andere Dinge sagen, die fast das Gegenteil von dem hier wären! Das hängt von der Ausrichtung ab. Wenn ich zu reden anfinge, sähe ich aus... ich weiß nicht nach was, etwas wie eine Verrückte, denn ich könnte die widersprüchlichsten Dinge mit derselben Aufrichtigkeit und derselben Wahrheit sagen.

Erfahrungen!... Ich hatte die widersprüchlichsten Erfahrungen! Nur eine einzige Sache war seit meiner Kindheit beständig (und je mehr ich sehe, um so deutlicher sehe ich, daß es beständig war): diese Göttliche Gegenwart, bei jemandem, der ÄUSSERLICH durchaus gesagt hätte: "Gott? Was ist das für ein Unsinn! Das gibt es nicht." Du verstehst also. Du siehst das Bild.

Das war ein absolut wunderbarer Segen, diese SO BESTÄNDIGE, SO UNGEHEURE Erfahrung zu haben, etwas, das allem-allem-allem standhält: diese Gegenwart. Und in meinem äußerlichen Bewußtsein war es begleitet von einer Verneinung von allem. Auch später sagte ich noch: "Wenn Gott existiert, ist er aber ein richtiger Bandit! Ein Elender. Von diesem Gott, der uns schuf, will ich nichts wissen..." Weißt du, der Gedanke des Gottes, der zufrieden in seinem Himmel sitzt, und dann schafft er die Welt und amüsiert sich beim Zuschauen, und hinterher sagt er euch: "Es ist gut gemacht!" Oh, da sagte ich: "Von diesem Monster will ich nichts wissen."

(Mutter steht auf)

So, mein Kind.

Ich sehe dich nicht mehr am Balkon, kommst du nicht oder...

Ich bin etwas erschöpft.

(Lachend) Erschöpft?!

Entschuldige, aber ich habe eine Unmenge von Arbeit.

Nein, das ist nicht, um dir zu sagen, daß du kommen sollst, sondern einfach um zu wissen, ob ich dich in der Menge nur nicht finde – ob du da bist und ich dich nicht finde.

Ich könnte kommen, aber...

Nein, nein! Das ist nicht nötig.

Ich habe noch fünf oder sechs Tage Arbeit an dem Buch...

Welches Buch?

Pavitras Buch. Eine Riesenarbeit. Aber ich fühle deine Kraft – sonst...

Gut.

Nein, wenn ich dich nicht sehe, schicke ich es zu dir: ich schicke dir ein "Paket"!

Das ist genau, was ich mir dachte (lachend): er muß etwas mitgenommen sein!

 

1 "Was Sri Aurobindo in der Weltgeschichte darstellt, ist weder eine Lehre noch eine Offenbarung, sondern eine AKTION, die direkt vom Höchsten kommt." Bulletin vom April 1961

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2 Ganesh oder Ganapati ist der erstgeborene Sohn der höchsten Mutter. Er wird mit einem Elefantenkopf und einem üppigen Bauch dargestellt. Er ist der Gott der materiellen Verwirklichung (insbesondere unterliegt ihm das Geld). Er ist auch als der Schreiber bekannt, der das göttliche Wissen übermittelt.

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3 Narayana ist ein anderer Name von Vishnu, einer der Götter der hinduistischen Trinität (jener, der die Schöpfung beschützt, während Brahma der Schöpfer ist und Shiva der Zerstörer).

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4 Die Rakshasas sind die Dämonen der vitalen Welt, während die Asuras der Mentalebene angehören.

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5 Kalki ist der letzte Avatar, er kommt auf einem weißen Pferd.

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