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Mutters

Agenda

dritten Band

6. Februar 1962

In den letzten Tagen habe ich Perseus 1 gelesen – ich kannte das Stück schon, weil es hier aufgeführt wurde, aber es interessierte mich damals nicht sehr. Nun las ich es so, wie ich jetzt lese, und fand es SEHR interessant. Alle möglichen Dinge entdeckte ich darin, alles mögliche.

Ich erinnere mich nicht mehr, wann es aufgeführt wurde (du warst schon hier), aber ich merkte, daß die Zeitspanne zwischen damals und heute einer Differenz von mindestens fünfzig Jahren entspricht. Fünfzig Jahre einer Bewußtseinswandlung 2 .

Aber praktisch bin ich immer noch mit demselben Problem konfrontiert.

Wenn ich es als eine Frage der Haltung ansehe, liegt die Erklärung nicht weit. Wenn ich aber die Wahrheit will, die eigentliche Wahrheit hinter der Haltung, dann wird es sehr schwierig.

Ich habe das gerade im Lichte der im Perseus beschriebenen Ereignisse gesehen. Wenn man das Problem nicht auf allgemeine Art angeht sondern exakt bis ins letzte Detail... – Sobald man es aber ausspricht, löst es sich wieder in Luft auf. Erst wenn man es konkret fühlt und im Griff hat, hält man beide Dinge in den Händen...

(Schweigen)

Ganz allgemein gesagt, ist das Problem folgendes: Nichts existiert, was nicht das Resultat des göttlichen Willens ist.

Immer dasselbe Problem. Immer dasselbe Problem.

Als Ganzes versteht man das Anti-Göttliche sehr gut, aber im Detail eines jeden Augenblicks... wie trifft man da die Wahl zwischen diesem und jenem? Welches ist die Wahrheit hinter der Sache, die man will, und jener, die man nicht will? Wobei ich völlig aus dem Bereich des egoistischen, individuellen Willens getreten bin – all das steht außer Frage, dort liegt nicht das Problem. Das ist es nicht.

Sobald man es auszudrücken versucht, löst es sich in Luft auf.

Und doch ist es sehr deutlich spürbar.

Die Erklärung ist natürlich der universelle Fortschritt, das heißt das Werden: was sein soll und was aufhört zu sein – das ist alles schön und gut; in den groben Umrissen ist es sehr leicht zu verstehen.

Vielleicht ist es der Gegensatz (wenn ein Gegensatz besteht) zwischen zwei Haltungen, von denen eine jede die Beziehung zum Göttlichen ausdrücken soll. Die eine ist die nicht nur willentliche sondern völlig ergebene Annahme aller Dinge, selbst der "schlimmsten Mißgeschicke" (was man gemeinhin als die "schlimmsten Mißgeschicke" bezeichnet). Ich nehme diese Geschichte nicht als Beispiel, weil sie durchaus selbsterklärend ist, aber wenn Andromeda eine Yogini wäre (mit einem "wenn" läßt sich alles konstruieren, doch ich benutze dies als einen Erklärungsversuch für das, was ich sagen will), würde sie die Idee des Todes bereitwillig akzeptieren. (Die Rede ist nicht von dem, was sich in der Geschichte selbst abspielt, ich gebe nur ein Fallbeispiel, um mich verständlich zu machen.) Es ist also genau der Konflikt zwischen dem, was sich sehr leicht fügt und den Tod akzeptiert, weil es der Wille Gottes ist – aus diesem einzigen Grund: Es ist der Wille Gottes, und somit geht das in Ordnung; es ist nun einmal so, also ist es richtig, wie es ist –, und gleichzeitig diese Liebe zum Leben. Diese Liebe zum Leben 3 . Wenn man sich an die Geschichte hält, sagt man sich: es war so, weil sie leben mußte, was alles erklärt, aber das will ich nicht sagen, mir geht es jetzt nicht um die historischen Gegebenheiten.

Solche Dinge kommen nämlich im Bewußtsein vor... Es ist mir immer zuwider, großes Aufhebens zu machen und große Worte zu gebrauchen, aber um mich wirklich zu erklären, müßte ich sagen: im Bewußtsein der universellen Mutter.

(Schweigen)

Automatisch ist alles Existierende natürlich der Ausdruck der göttlichen Freude, sogar die Dinge, die für das menschliche Bewußtsein am abscheulichsten sind – das versteht sich. Aber gleichzeitig besteht eine so intensive Aspiration, daß sie beinahe zu einer Qual wird, nach einer zu erlangenden Vervollkommnung der Schöpfung. Und es scheint, daß genau diese Intensität der Aspiration, diese Qual in der materiellen Welt nötig und eine notwendige Vorbereitung ist, damit jene Vollkommenheit möglich wird. Gleichzeitig ist alles Existierende schon im gegenwärtigen Augenblick vollkommen, denn es ist AUSSCHLIESSLICH das Göttliche. Es gibt nichts außer dem Göttlichen. So haben wir in jeder einzelnen Sekunde diese Fülle der göttlichen Freude in dem, was ist, und zugleich die Aspiration, die Qual – und die Schwierigkeit liegt darin, die beiden zu vereinen.

In der Praxis geht man vom einen zum anderen über, oder vielmehr steht das eine im Vordergrund, und das andere tritt zurück, das eine ist aktiv und das andere passiv. Das Gefühl der vollkommenen Freude ist mit einem fast statischen Zustand verknüpft (die Freude an der Bewegung ist zwar da, aber nicht das Anstreben des Zieles: dieses bleibt im Hintergrund). Wenn hingegen die Aspiration des Werdens vorherrscht, zieht sich die Freude am gegenwärtigen Augenblick, die Freude an der göttlichen Vollkommenheit, in einen statischen Zustand zurück.

Natürlich liegt das Problem gerade im Hin und Her zwischen den beiden.

Vielleicht ist es so, weil es so sein muß, aber es ist nicht befriedigend – gar nicht befriedigend.

In meinen erfülltesten und intensivsten Augenblicken, wo wirklich das Universum (ich meine damit das Werden des Höchsten) mit der höchstmöglichen aktiven Wahrnehmung des Höchsten existiert, da werde ich plötzlich davon erfaßt [von dieser statischen, nirvanahaften Seite]. Es handelt sich nicht um eine Wahl zwischen den beiden, sondern ganz unten, vom Gesichtspunkt der Handlung aus, ist es wie eine Frage der Priorität. Der Instinkt dieses Körpers, dieses materiellen Stützpunktes, geht in Richtung Aspiration, weil dieses Wesen gebaut wurde, um zu handeln. Aber daraus läßt sich keine absolute Regel ableiten, es ist eher eine zufällige Vorliebe.

Ich habe das Gefühl, daß das Leben das ist: diese Aspiration, diese Sehnsucht... Während die Seligkeit ganz natürlich in den Bereich des Nirvanas führt. Ich weiß es nicht...

Aber wie soll man nun den Leuten helfen?... Man kann weder das eine noch das andere empfehlen. Und wenn man beides sagt, ist man mit diesem Dilemma konfrontiert.

Auch erreicht ein solches Problem einen Punkt von so ausgeprägter Spannung, daß man das Gefühl hat, nichts zu wissen, nichts zu verstehen, nie etwas verstehen zu können – einfach hoffnungslos. Wenn ich diesen Punkt erreiche, neige ich immer in dieselbe Richtung, immer heißt es: "Gut, ich liebe den Herrn von ganzem Herzen, und alles andere ist mir egal!" Ich versinke in den Zustand einer wunderbaren innigen Liebe und überlasse Ihm alles Weitere. Für mich ist die Sache damit erledigt.

Aber dies würde sich nur für die Leute eignen, die nicht denken.

Ist es ein Problem des materiellen Handelns hier auf dieser Welt?

Ja, es läuft immer auf das hinaus.

Aber spielt es eine Rolle für das Handeln, ob du die eine oder die andere Haltung einnimmst?

Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht.

Ich erlebte nämlich (vor vielleicht ein oder zwei Tagen, ich weiß nicht mehr genau, es war ziemlich flüchtig aber sehr interessant) einen solchen Augenblick, als ich oben auf und ab ging: Plötzlich war da diese absolute Gewißheit, daß ich nichts wußte (auf dem Balkon dauerte es noch an), daß man (es gibt kein "Ich", überhaupt nicht mehr) nichts wußte... (es gab auch kein "man", einzig...) daß man nichts wissen konnte (ich bin gezwungen, Worte zu gebrauchen), daß es nichts zu wissen gab, daß es überhaupt keinen Sinn hatte, daß es vollkommen UNMÖGLICH war, irgend etwas zu verstehen, ja, sogar außerhalb des mentalen Bereichs, daß kein sprachlicher Ausdruck möglich war, daß es keine Möglichkeit zu verstehen gab. Das war so absolut, daß die Vorstellung, anderen zu helfen, der Welt zum Fortschritt zu verhelfen, das spirituelle Leben, die Suche nach dem Göttlichen, all das, alles, alles, nur Geschwätz und leere Worte waren. Daß nichts daran war und es nichts zu verstehen gab und es unmöglich war zu verstehen – es war sogar unmöglich zu sein. Das Gefühl einer völligen Unfähigkeit. Das wirkte wie ein Lösungsmittel. Alles war wie aufgelöst: die Welt, die Erde, die Menschen, das Leben, der Verstand, alles, restlos alles war aufgelöst, das heißt ein absolut negativer Zustand. Meine Antwort ist dann immer dieselbe – als die Erfahrung total und vollständig war, nichts mehr übrigblieb, da hatte ich das Gefühl von: "All das ist mir schnuppe ..." (das läßt sich wirklich mit den gewöhnlichsten Worten sagen), "ich verehre Dich". Und das "Ich" war etwas völlig Unbeständiges – es gab keine Form, kein Wesen, keine Eigenschaften, nur das "Ich verehre Dich" – etwas, das "ich" war, und "ich verehre Dich". Es war gerade noch genug Ich da, um Dich verehren zu können.

Von diesem Augenblick an war es wie eine unaussprechliche Innigkeit und oben eine Stimme... auch sie von einer solchen Innigkeit und Harmonie (ein Klang, aber keine Worte, doch es machte absolut Sinn für mich, als ob es die präzisesten Worte seien): "Du hast soeben deinen schöpferischsten Augenblick erlebt."

Ach, wirklich? Um so besser!

Danach (lachend) habe ich den Vorhang zugezogen.

Zum Schluß ein unsägliches Lächeln, wie... vielleicht die eigentliche Quelle des Humors? Eine Vernichtung oder Aufhebung von allem und: "Du hast soeben deinen schöpferischsten Augenblick erlebt". Da lachte ich – das ist alles, mir blieb nichts anderes zu tun!

(Schweigen)

Diese Dinge sind interessant, wir sollten sie wirklich aufheben.

Aber was sich unmöglich ausdrücken läßt, ist die Inexistenz eines Wesens, eines individuellen Wesens. Wenn ich "ich" sage, weiß man nicht, was "ich" bedeutet. Es ist auch nicht die Totalität – es ist nicht die Totalität, nicht das Universum in seiner Gesamtheit, und insbesondere ist es nicht die Erde. Die arme kleine Erde, ich sehe sie immer wie etwas Kleines, das im Universum dahintreibt. Was ist es also?...

(Schweigen)

Diese Erfahrung zeigt sich in jedem beliebigen Augenblick: eine Sekunde der Konzentration, des Rückzugs von der Handlung, und die Seligkeit stellt sich ein. Wenn dieser Rückzug nicht stattfindet, ist es wie eine ewige, auf das Handeln ausgerichtete Allmacht, die vollständig umfaßt und aufrechterhalten wird von... Dem. Diese auf das Handeln ausgerichtete Macht ist die erste Manifestation von DEM, das heißt, wenn DAS bewußt zu existieren beginnt, ist es wie die erste Form der Manifestation. (Mutter legt ihre beiden Handflächen aufeinander, und ohne sie zu trennen, dreht sie sie auf die eine, dann auf die andere Seite, wie um die beiden Seiten derselben Sache zu zeigen.) Es ist also unauslöschbar: es sind nicht zwei Dinge, nicht einmal zwei Aspekte, denn es ist kein Aspekt (Worte sind idiotisch und nichtssagend, sie ergeben keinen Sinn). Die Erfahrung läßt sich beliebig wiederholen: eine einzige Sache in ihrer Essenz, unübersehbar in ihrem Ausdruck, und sie scheint an Macht noch zuzunehmen. Ich machte diese Erfahrung willentlich, unter allen erdenklichen Umständen, einschließlich des Ohnmächtigwerdens des Körpers (das habe ich dir neulich erzählt). Man nennt das "Ohnmacht", aber ich habe mein Bewußtsein keine einzige Minute verloren. Keine einzige Minute habe ich mein Bewußtsein PHYSISCH verloren – und hinter all dem, alles begleitend, war diese Erfahrung gegenwärtig.

(Pavitra tritt ein, um Mutter eine "dringende" Frage zu stellen)

Ich höre nichts, ich bin anderswo.

(Pavitra geht hinaus)

So ist das: Ich war nicht da, und trotzdem habe ich PHYSISCH gesehen, wie etwas vorbeiging. Meine Augen waren geschlossen, nicht wahr?

Ja, du hast etwas gefühlt.

Ja, ich sah.

Da besteht jetzt kaum noch ein Unterschied: die physische Sicht ist ziemlich schwach geworden.

(Schweigen)

Verstehst du, was ich sage, oder ist es unverständliches Geschwätz?

Nein, nein! Soweit ich kann, kriege ich es mit.

Es ist schwierig.

Was du am Schluß gesagt hast, scheint mir etwas...

Sieh an! Für mich ist das am klarsten.

Es ist so klar! So klar, aber unaussprechlich.

Ach, ich muß gehen... Und wir haben nichts getan!

Die Worte sind da, aber sie ergeben keinen Sinn.

Doch. Aber als du dieses "Ich" zu erklären versuchtest, das mit beiden Aspekten im Hintergrund ist, habe ich nicht ganz begriffen.

Das ist wirklich schwierig.

Du sagst, es sei dasselbe... Sind es keine Aspekte?

Intellektuell ausgedrückt, ist es das Höchste und...

Die Shakti.

Die universelle Mutter.

Aber was ich zu übermitteln versuchte, war die EMPFINDUNG (denn es ist wirklich eine Frage der Empfindung – es ist kein Gefühl, keine Idee, es ist... Für mich sind die Dinge eben konkret: Sie beginnen dann zu existieren, wenn sie konkret sind). Der konkrete Eindruck ist der, den ich auszudrücken versuchte, und er stellt sich automatisch, unmittelbar immer wieder ein. Der Kopf ist ohne Inhalt, still, unbeweglich, nichts ist da – leer, völlig leer, unbewegt, nichts, kein Gedanke, kein... nichts, nichts, einfach eine Art Superempfindung. Und damit einhergehend, an der Grenze der Wahrnehmungen, beinahe ein Gefühl, eine enge Kombination (keine Mischung) von Allmacht und intensiver Freude. So voll!

Allmacht und intensive Freude.

Wenn so etwas wie eine Wortschwingung existierte, wäre es einfach: Du, Du – das ist alles.

Warum Du? Denn es ist nicht eigentlich anders, aber immerhin anders genug, damit es Du sein kann, um der Freude am Du willen – das ist es. Und doch ist es nicht anders.

Das scheint mir das höchste Geheimnis zu sein (oh, ein nächstes Mal ist es etwas anderes, das auch das höchste Geheimnis zu sein scheint), aber das ist wirklich...

Die Erfahrung ist wiederholbar, beliebig oft – ich muß nur eine kleine innere Bewegung machen, und sie ist da.

Wenn man es wie all diese Idioten betrachtet, die sich für intelligent halten, könnte man fast sagen: Das muß der Grund sein, weshalb der Herr das Universum geschaffen hat.

Um der Freude an diesem Du willen.

Gratuliere, wenn du etwas verstehst!

Auf Wiedersehen, mein Kind.

 

1 Perseus der Befreier, Drama in fünf Akten von Sri Aurobindo.

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2 Das Stück wurde acht Jahre zuvor, im Dezember 1954 gespielt.

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3 In Sri Aurobindos Drama wird Andromeda, die Tochter des Königs von Syrien, von ihrem eigenen Volk dazu verurteilt, für irgendeine Respektlosigkeit gegenüber dem Gott des Meeres, Poseidon, von demselben verschlungen zu werden – tatsächlich ist es die Geschichte des Übergangs eines halbprimitiven Völkerstammes, der in Angst und Schrecken vor dunklen und grausamen alten Göttern lebt, zu einer fortgeschritteneren und lichteren Entwicklungsstufe. Perseus, der Sohn von Danae und Zeus, der von Pallas Athene, der Göttin der Weisheit und des Wissens, beschützt wird, eilt herbei, um Andromeda vom Felsen zu befreien, an den sie gekettet war (der Fels ist bei den Rishis das Symbol des Unbewußten), und begründet die Religion von Athene, der "Allmächtigen, aus Seinem Wesen gemacht, um den unsterblichen Geist des Menschen zu führen und zu disziplinieren, damit er zur Ordnung und wunderbaren Meisterschaft seiner äußeren Welt finde" (in den Worten Sri Aurobindos). Es ist die Kraft des Fortschrittes, die sich gegen die alten Priester der alten Religion, symbolisiert durch den grausamen und ehrgeizigen Polydaon, wendet. Hier untersucht Mutter ein altes Problem – "immer dasselbe Problem" –, das sie in vielen Existenzen angetroffen haben muß (einschließlich Ägypten) und mit dem sie elf Jahre später wieder konfrontiert werden wird: einerseits die Annahme des Todes, der ihr aufgezwungen wird, als der Wille des Höchsten, und andererseits diese "Liebe zum Leben", die sie hier zweimal erwähnt.

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