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Mutters

Agenda

dritten Band

13. Februar 1962

(Nachdem sich Mutter von Satprem verschiedene alte Entretiens 1 hatte vorlesen lassen, die im Ashram-Bulletin veröffentlicht werden sollten:)

Das ist leichte Kost, die wird ihnen kein Kopfzerbrechen bereiten!

Und trotzdem muß es gesagt sein.

Ich habe festgestellt, daß ich nicht verstanden werde, wenn ich jetzt etwas sage, wie ich es spontan sehe, ohne mich auf die Leute einzustellen – es ist schwierig, mich zu verstehen. Und ich spreche nicht von Leuten, die nichts wissen, nein, ich rede von denen, die mit mir gelebt und gedacht haben.

Meine Sicht der Dinge – DERSELBEN Dinge – ist völlig anders geworden. Völlig anders. Es kommt mir ganz so vor, als ob ich etwas hörte, das von jemand anderem gesagt wurde, es versetzt mich in den Geisteszustand einer anderen Person. Aber immerhin ist es verständlich, während jetzt...

Damals hatte ich die Vorstellung einer "höheren Lebensart"; ich unterschied zwischen verschiedenen Lebensarten, und es gab eine höhere Lebensart. Jetzt hingegen erscheint mir diese sogenannte höhere Lebensart als so erbärmlich – so klein und eng und mickrig, daß ich mich sehr oft in der Haltung jener ertappe, die sich sagen: "Ist überhaupt etwas daran?" Und obwohl in mir ein anderer Wille und eine andere Schau von etwas Kommendem, das noch nicht da ist, anwesend sind, verstehe ich das Gefühl jener, die mit dem spirituellen Leben in Kontakt kamen und sich sagten: "Wozu das alles – wozu das alles? Was ist da schon Lebenswertes dran?" Man befindet sich ZWANGSLÄUFIG in einer Enge – man lebt in einer Enge, in schäbigen Verhältnissen, bloß um leben zu können, um den Bedürfnissen des Körpers zu genügen.

Und was für eine Anstrengung ist nötig für den Versuch, ein Licht, eine Kraft, eine Realität, eine Macht, einfach etwas WAHRES in diese Armseligkeit hineinzubringen. Durch eine beständige Bemühung und Anspannung, einen beständigen Willen, gelingt es mir plötzlich, ja, für zwei, drei Sekunden... dann fällt man wieder zurück.

In der Illusion, die man früher hegte, gab es edle, großzügige, großartig-heroische Taten, alles, was dem Leben ein wenig Farbe gab und einem einige interessante Stunden schenkte. Jetzt hingegen ist auch das vergangen, es erscheint einem wie eine Kinderei.

Mir ist durchaus klar, daß dieser Zustand nötig ist, um da hinauszukommen, denn solange einem etwas als normal und natürlich, als akzeptabel erscheint, findet man den Ausweg nicht. Man führt das eine Leben im Abseits und dann "das" [das Leben im Körper]; genau so haben es alle Leute, die ein spirituelles Leben führten, bis heute gehalten: Sie hatten ihr spirituelles Leben und ließen "das" automatisch weiterlaufen, ohne ihm Bedeutung beizumessen – das ist sehr leicht.

Aber was für eine Erleichterung wäre es doch, die Wahrheit in jedem einzelnen Augenblick leben zu können.

Das Mittel dazu haben wir noch nicht gefunden.

Das wird kommen.

So ist es, Kind.

Aber wird dieser Zeitabschnitt zwischen der einen und der anderen Welt, der alten Welt und der anderen, von langer Dauer sein? Es gibt nichts dazwischen...

Im Moment noch.

Es ist wie ein Niemandsland, da ist nichts. Man ist nicht mehr auf dieser Seite und...

...und noch nicht auf der anderen Seite. Ja, so ist es.

Somit neigt man immer dazu, zurückzutreten und nach oben zu fliehen. Aber so geht's nicht! Das ist die natürliche Bewegung, und ich sehe deutlich, daß sie falsch ist.

Heute morgen war beides da.

Ganz offensichtlich ist viel Ausgeglichenheit und innere Ruhe vonnöten. Ich hatte sehr stark das Gefühl der ausgeprägten Schäbigkeit, Stupidität und Dumpfheit aller äußeren Umstände, des gesamten körperlichen Lebens in seiner äußeren Form, und GLEICHZEITIG das Gefühl einer großartigen Symphonie der göttlichen Freude. Beide Zustände zusammen waren wie Pulsationen.

Aber das verdreht einem den Kopf. Da muß man sehr aufpassen, es... it makes you giddy [es läßt einen schwindlig werden].

Das läßt sich nicht ausdrücken – sobald man es ausdrückt, löst es sich größtenteils in Luft auf. Aber sogar wenn man das Wenige sagte, das sich ausdrücken läßt, würden von zehn Personen neuneinhalb sicher sagen: "Die ist übergeschnappt!" Wenn ich das den Leuten sagte, würden sie wahrscheinlich sagen: "Sie hat einen Dachschaden!"

Das war so merkwürdig heute morgen, denn einerseits war da das Gefühl einer körperlichen Schwäche – fast einer physischen Zersetzung – und GLEICHZEITIG, ZUR SELBEN ZEIT (nicht einmal hintereinander sondern beides zusammen) eine glorreiche göttliche Pracht.

Beides zugleich.

Meine stärksten Erfahrungen kommen immer, während ich mich zurechtmache, um auf den Balkon hinunterzugehen (das heißt im prosaischsten Teil des Lebens). Genau dann kommen sie. Wenn ich meditiere oder wenn ich gehe oder sogar, wenn ich jemanden empfange, ist es nicht so: Die physischen Dinge treten in den Hintergrund, haben keine Bedeutung mehr. Aber diese Erfahrungen kommen immer, wenn ich mitten im physischen Dasein stehe.

Es war merkwürdig heute morgen, denn einerseits (es handelt sich nicht einmal um eine "Seite", wie soll ich sagen? – eben beides zugleich) ging es dem Körper nicht gut, er war überhaupt nicht in Harmonie (einem gewöhnlichen Bewußtsein wäre er krank oder jedenfalls sehr schwach erschienen, gar nicht gut beieinander), und gleichzeitig, in DERSELBEN PHYSISCHEN EMPFINDUNG: eine Glorie! Eine glorreiche Freude und Glückseligkeit, ein Glanz!... Wie konnte das nur zusammen bestehen?

Man muß innerlich wirklich sehr, sehr ruhig bleiben. Äußerlich agiert man, putzt sich die Zähne usw., aber innerlich muß man sehr ruhig bleiben, um nicht den Halt zu verlieren. 2

Was verhindert denn die Vereinigung der beiden Zustände?

Es ist keine Vereinigung – keine Vereinigung, der eine muß an die Stelle des anderen treten.

Der andere kann dann...

Weißt du, es ist so, als ob man die Funktion der Organe verändern wollte. Wie soll man da vorgehen? Die beiden Zustände beginnen schon, gleichzeitig nebeneinander zu existieren. Was braucht es, damit der eine sich auflöst und der andere allein, verändert, zurückbleibt? Verändert, denn so, wie es jetzt ist, würde es nicht genügen, den Körper am Leben zu erhalten. Er könnte nicht alle lebensnotwendigen Funktionen erfüllen. Er würde zwar in einem Zustand der Seligkeit verharren und diesen Zustand genießen, aber nicht für lange, denn all seine Bedürfnisse bestehen noch. Das ist die Schwierigkeit. Für jene, die in hundert oder zweihundert Jahren kommen, wird es leicht sein, sie brauchen nur zu wählen: nicht mehr dem alten System anzugehören oder aber Teil des neuen zu sein. 3 Aber jetzt... Ein Magen muß schließlich verdauen! Da wird es eine neue Art geben, sich an die Naturkräfte anzupassen, eine neue Funktionsweise.

Aber müssen dazu nicht einige Wesen diese neue Funktionsweise vorbereiten?

Manchmal frage ich mich, ob es nicht ein Wahnsinn ist, so etwas versuchen zu wollen?... Vielleicht sollte man diesen Körper einfach der Auflösung überlassen und andere vorbereiten, die sich besser dafür eignen – ich habe keine Ahnung.

Ich weiß es einfach nicht. Niemand vor mir hat das je getan, folglich gibt es auch niemanden, der es mir sagen könnte.

Meine Lösung ist da immer dieselbe: Ich bin so (Geste der Hingabe), der Körper sagt: "Ich will es gerne versuchen, so gut ich kann."

Ist das nicht ein Wahnsinn? Oder ist es doch möglich?... Ich weiß es nicht.

Aber es gab einst ein solches Wissen: alle alten Schriften berichten davon.

Ich glaube ja. Ich glaube ja.

Ich fühle sehr stark das Bedürfnis, jemanden zu haben, der weiß.

Ja, sehr oft habe ich auch gedacht, es müßte jemand hierher kommen, der...

...der es weiß.

Der etwas weiß. 4

Genau das erwartete ich von Sri Aurobindo.

Aber er suchte selbst. Vielleicht hätte er es gefunden, wenn er weitergemacht hätte... Offenbar war es nicht möglich. 5

Er sagte nämlich nie, er wisse es nicht.

Er sagte nie, er wisse es nicht. 6

Immer sagte er mir: "Jedes Ding zu seiner Zeit."

Aber wenn er es wußte, wird er es mir sagen können. Das muß bedeuten, daß der Augenblick noch nicht gekommen ist. Jede Nacht, mein Kind, bin ich nämlich für Stunden bewußt bei ihm (mindestens zwei Stunden jede Nacht), nicht mit ihm vereinigt, sondern wie mit jemandem, den ich sehe und mit dem ich spreche und der mir Dinge sagt.

Auch heute nacht...

Es ist sein Wille, daß ich mir nicht notiere, was er sagt. Denn frühmorgens – wenn ich Zeit hätte – könnte ich mich sehr klar und präzise erinnern. Nachher verwischt es sich, es wird ausgelöscht, nur noch der Eindruck, der Einfluß bleibt – während des ganzen Tages bleibt er sehr stark, bis ein anderer an seine Stelle tritt. Das bildet so etwas wie eine Atmosphäre, in der ich lebe. Eine Atmosphäre des Wissens.

Aber er will nicht, daß ich mir das aufschreibe. Ich habe nicht nur keine Zeit dazu, sondern er will es nicht. Wenn ich aufwache (nicht "aufwache", sondern wenn ich diesen Zustand verlasse), gibt es keine Lücken in meinem Bewußtsein. Das ist etwas, das ich mir durch eine lebenslange Disziplin angeeignet habe, ich habe keine Lücken. Es ist nicht so, daß alles auf einen Schlag verschwindet. Es bleibt sehr klar da – ich gehe ohne den Eindruck eines Bruches vom einen Zustand in den anderen über. Aber ich sehe, was er tut: Er ersetzt die genaue Erinnerung an das, was gesagt und getan wurde, durch eine Art Atmosphäre, ein Gefühl, das ich den ganzen Tag hindurch bewahre.

Manchmal bleibt ein Bild zurück, das einen Schlüssel zur Atmosphäre bildet.

Letzte Nacht war es so lieblich! Wir kamen an einen Ort, wo alles in Schnee gehüllt war, ganz weiß, und alle Tiere der nordischen Gegenden lebten dort. Er selbst trug ein weißes Gewand. Ich ging an seiner Seite, und er begann, mein Mantra zu wiederholen, und sagte: "Sieh!" – Es war glorreich!

Dann die Tiere... die Tiere und alle Dinge, die den Einfluß [des Mantras] aufnahmen und sich veränderten. 7

Der Eindruck bleibt, kein präzises Wissen.

(Schweigen)

Vielleicht wird es kommen ..., wenn man mir genügend Zeit läßt.

Ja, das Lästige sind die Gedanken der Leute. Alle, alle denken die ganze Zeit an Alter und Tod, an Tod und Alter und Krankheit, ach, wie lästig das ist. Ich selbst denke nämlich nie daran. Das ist nicht das Problem. Das Problem liegt in der Schwierigkeit der Arbeit, und dies ist keine Frage von Jahren. Das ist völlig... das ist nichts, eine Sekunde in der Ewigkeit, das ist nichts!

Aber wenn man (ein "Man", ich weiß nicht, wer und was dieses "Man" ist) mir Zeit gibt, werde ich es wirklich erfahren – davon bin ich überzeugt. Überzeugt, weil trotz der wachsenden Schwierigkeiten auch das Wissen wächst, der Fortschritt ist unaufhaltsam. In dieser Hinsicht KANN ich mich nicht täuschen, das ist ausgeschlossen. Diese Gegenwart wird so konkret und so (wie soll ich sagen?) nützlich, konkret in ihrer Hilfe.

Aber offensichtlich nimmt es lange Zeit in Anspruch.

 

1 Entretiens [Gespräche]: In den Jahren 1951-58 beantwortete Mutter zweimal wöchentlich auf dem Sportplatz die Fragen der Schüler. Ihre Kommentare wurden unter dem Titel Entretiens veröffentlicht.

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2 Wir befinden uns genau einen Monat vor der ersten radikalen Wende in Mutters Yoga (13. März).

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3 Offensichtlich gab es für Mutter nur eine mögliche Wahl.

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4 In den Agenda-Gesprächen von 1958 und '59, die Satprem nicht schriftlich festhielt, weil er sie für zu "persönlich" hielt, erläuterte Mutter dies als einen der Hauptgründe für ihre Ermutigung seiner tantrischen Disziplin. Satprem brach sogar in den Himalaya auf mit der Absicht, Mutter in der Art der alten Ritter die Geheimnisse der Transformation zurückzubringen. Mutter beschrieb ihm zu diesem Zweck den Ort, wo ein durch eine kalkhaltige Quelle versteinerter früherer Körper von ihr in einer Höhle des Himalayas lag. Doch das Geheimnis der neuen Spezies läßt sich offensichtlich nicht durch irgendeinen tantrischen oder sonstigen "Trick" finden – es gilt, die Natur selbst zu verändern. Niemand konnte Mutter helfen, denn wenn jemand "wüßte", wäre es bereits getan.

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5 Mutter will damit sagen, daß es Sri Aurobindo nicht möglich war weiterzumachen.

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6 Erinnern wir uns an einen Brief von Sri Aurobindo vom 16. August 1935: "Jetzt habe ich den Dreh gefunden – wie ein wahrer Einstein besitze ich die mathematische Gleichung der ganzen Sache (unverständlich für jedermann außer mir selbst, wie in Einsteins Fall), und jetzt arbeite ich sie Ziffer für Ziffer aus."

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7 Einmal mehr stellen wir fest, daß die Tiere oder die Pflanzen und selbst die "Dinge" leichter auf den Einfluß ansprechen als die Menschen.

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