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Mutters

Agenda

dritten Band

13. März 1962

Du bist schlechter Laune, ja, ich sah es schon von weitem.

(Satprem äußert verschiedene Klagen und fügt dann hinzu:) Zu guter letzt sagtest du mir letztes Mal noch, daß die Agenda nicht interessant sei, daß sie nicht einmal aufgehoben werden solle. Was habe ich dann hier zu suchen?

Was soll nicht aufgehoben werden?

Deine Agenda.

Meine Agenda! Aber ich hebe sie doch sehr sorgfältig auf!

Du sagst aber, daß sie dich nicht interessiere.

Ich? Habe ich das gesagt?

Ja, und ob!

Dann habe ich gelogen.

Nein, natürlich nicht. Du sagst aber, daß sie dich nicht interessiere, daß man sie in irgendeiner Ecke aufbewahren solle, oder ich weiß nicht was. Was habe ich dann hier zu suchen?

Du hast sicherlich nicht verstanden, was ich dir sagte. Ich sagte, daß sie im Augenblick nicht zu veröffentlichen sei, das ist etwas ganz anderes.

Ja, das trifft zweifellos zu, jetzt kann sie nicht veröffentlicht werden.

Dann gab ich dir eine Verabredung in fünfzig Jahren. Das war mein voller Ernst – ich lachte, aber gerade wenn ich lache, meine ich es ernst.

Nein, nein, mein Kind, du hast ganz einfach ein Gift geschluckt.

Nein, du hast sogar gesagt, wenn du zufällig gingest, würdest du eine Notiz hinterlassen, damit sie nicht veröffentlicht werde.

Veröffentlicht? Gewiß nicht in den Zeitungen! Sie ist für jene gedacht, die sich für den Yoga interessieren.

Wenn es so ist, ist das etwas anderes.

Ich meinte Zeitungen, Zeitschriften und die äußere Welt. Ich sagte: "Ich will nicht, daß die äußere Welt sich über etwas Heiliges lustig macht." Das ist alles.

Natürlich.

Das ist alles, was ich sagte. Ich habe es vielleicht nicht wörtlich so gesagt, ich sagte aber, daß sie für jene bestimmt ist, die mich lieben. Nur das. Jenen, die mich geliebt haben, gebe ich sie. Auch wenn sie mich vergessen haben, wird sie die Agenda an mich erinnern. Sie ist mein Geschenk für jene, die mich weiterhin lieben. Ich habe nicht die Absicht, ihnen ein wertloses Geschenk zu machen.

Nein, nein, ich muß mich wirklich sehr ungeschickt ausgedrückt haben, denn genau das Gegenteil trifft zu. Für mich ist die Agenda viel zu intim und mir zu nahe, um sie einem Haufen von Dummköpfen zum Fraße vorzusetzen.

Damit bin ich einverstanden. Du sagtest aber (jedenfalls verstand ich es so), du wolltest die Agenda systematisch unter Verschluß halten, und sie werde niemandem zur Verfügung stehen, auch nicht jenen, die sich für diese Arbeit interessieren.

Nein, nicht so. Ich sagte zwei Dinge: Wenn ich bis ans Ziel gelange, dann könnte ich es vielleicht zulassen, daß sie der Öffentlichkeit gezeigt wird – denn der Beweis wäre da: "Ihr braucht nicht zu spotten: Es führt DAHIN, wo wir jetzt sind." Falls der Herr aber entscheidet, daß es dieses Mal nicht sein soll, dann gebe ich sie jenen, die mich liebten, die mit mir lebten und arbeiteten, die es zusammen mit mir versuchten – und die Respekt vor dem haben, was wir versuchten. Wenn ich gehe, ist das sozusagen mein Abschiedsgeschenk. Ich habe aber nicht die Absicht zu gehen.

Ich hoffe es!

Bist du jetzt zufrieden? Das wollte ich sagen. Vielleicht habe ich mich schlecht ausgedrückt.

Nein, du sagst aber häufig: "Ach, das interessiert mich nicht!"

Nein, so bin ich nie. Gerade dann... Ich kann mich scheinbar über etwas lustig machen, das ist etwas anderes, aber... Hör zu, dir kann ich es sagen: Wenn ich so bin, wenn ich mich lustig zu machen scheine, dann gerade deshalb, weil es in manchen Augenblicken wirklich gefährlich ist 1 .

Ich verabscheue das Drama.

Ich will nicht tragisch sein. Ich möchte mich lieber über alles lustig machen, als erschüttert zu sein.

Anstatt hochtrabend zu erklären, daß es schwierig sei, mache ich mich lustig. Das ist etwas völlig anderes. Ich mag das Drama nicht – ich mag das Drama nicht. Die größten, höchsten, edelsten, prächtigsten Dinge lassen sich in aller Einfachheit sagen. Man braucht nicht dramatisch zu sein, man braucht die Situation nicht tragisch zu sehen. Ich will weder ein Opfer noch ein Held noch... noch eine Märtyrerin sein, nichts von alledem!

Ich verstehe!

Weißt du, ich mag die Geschichte von Christus nicht.

Oh, ja!

Ja, so ist es.

Der Gott, den man kreuzigt, nein danke!

Wenn er seine Haut hingibt, gibt er seine Haut eben hin, das ist alles, es hat keine Bedeutung.

Verstehst du?

Oh, ja!

Das ist alles.

Genau so ist es.

(Schweigen)

Komm, mein Kind...

Nein, wenn es manchmal scheint, es sei mir gleichgültig (denn das willst du doch sagen, oder?), ist es nur, um nicht wie ein Opfer oder Märtyrer zu erscheinen. Ich bin weder Opfer noch Märtyrerin, das verabscheue ich.

Ich verstehe.

Das ist alles.

Ich sagte es dir bereits – es waren keine leeren Sätze –, ich dachte, du hättest es verstanden und würdest dich daran erinnern: Alles, was ich schreibe, hängt absolut von deiner Arbeit ab, wenn du nämlich nicht da wärest, würde ich kein Wort mehr schreiben – Briefe mit "ich sende Ihnen meine Segnung" und Punkt, das wäre alles. Nicht, weil ich keine Zeit habe oder es nicht kann, sondern weil es mir nicht gefällt. Wenn wir zusammen schreiben, habe ich das Gefühl von etwas, das vollständig ist und die nötige Qualität aufweist, um nützlich zu sein. Wenn du nicht da bist, um es aufzuschreiben, fehlt mir etwas. Wenn du es jetzt nutzlos findest, das für mich zu tun, täte mir das leid. Es würde mich ärgern.

Nein!

Verstehst du?

Denn es kommt von hoch oben. Es kommt nicht von hier, ganz und gar nicht: Es ist etwas, das hoch oben und vor SEHR LANGER ZEIT entschieden wurde. Bevor du kamst, hatte ich immer den Eindruck... Die Zeit ohne Sri Aurobindo dauerte ja nicht lange, und als Sri Aurobindo noch da war, hatte ich nichts zu sagen; wenn ich etwas sagte, geschah es fast aus Versehen. Denn er sagte alles. Als er ging und ich anfing, seine Bücher zu lesen, die ich vorher nicht gelesen hatte, sagte ich mir: "Das ist der Grund! Ich brauchte gar nichts zu sagen!" Immer weniger hatte ich Lust, irgend etwas zu sagen. Als ich dann dir begegnete, erwachte sofort mein Interesse, ich sagte mir: "Zusammenarbeit! Hier läßt sich etwas Interessantes machen."

All das ist kein Zufall. Wir profitieren nicht von zufälligen Umständen, sondern das war VORBESTIMMT.

Mein ganzes Leben hatte ich immer den Eindruck, daß ich etwas zu sagen hatte, aber um es zu sagen, bedurfte es eines anderen Instruments als das meinige, um eine gewisse Vollkommenheit des Ausdrucks zu erreichen, die ich selber nicht finden konnte, weil das eben nicht meine Aufgabe ist. Es ist nicht meine Aufgabe.

Was ich der Welt bringen kann, sind Lichtblitze – etwas, das weit über alles hinausgeht, was bis jetzt verwirklicht wurde. Für den konkreten, festgelegten, materiellen Ausdruck habe ich aber nicht die Geduld. Ich könnte eine Gelehrte oder Schriftstellerin sein, so wie ich auch Malerin hätte sein können – aber für all das hatte ich nie die Geduld. "Etwas" ging immer zu schnell, zu hoch und zu weit.

Den schönen Ausdruck schätze ich sehr, das mag ich. In meinem Leben gab es Zeiten, wo ich sehr viel las – ich bin eine ganze Bibliothek! Aber das ist nicht meine Aufgabe.

Ja, natürlich! Dafür bist du nicht gekommen.

Ich schätze die Form deines Ausdrucks sehr. Er hat zugleich etwas Tiefes, sehr Plastisches und Ausgefeiltes – wie eine fein gemeißelte Statue. Er enthält eine tiefe Inspiration und hat einen Rhythmus, eine Harmonie – mir gefällt das. Es war mir eine große Freude, dein erstes Buch zu lesen [Der Goldwäscher]. Die Freude, schöne Formen zu entdekken, eine originelle Art, die Dinge zu betrachten und sie auszudrücken. Das schätze ich sehr. Spontan zählte ich dich zu den wahren Schriftstellern.

Ich hielt keine langen Reden darüber, weil ich es für überflüssig hielt, es ist aber wahr.

Du irrst vollkommen: Nicht DAS, WAS DU BIST, nagt an dir, sondern ganz im Gegenteil, WEIL du dich ärgerst, siehst du dich so.

Jetzt habe ich genug geschimpft, tun wir etwas!

Ich verspüre den Ehrgeiz, die Leute, die mit mir arbeiten, zufriedenzustellen – das macht mir die größte Freude. Das Ideal... Man ist ja nie zufrieden, man wird nie zufrieden sein – man wird immer von einer Aspiration zur nächsten streben. Man sollte sich aber zumindest von einem Sinn getragen fühlen. Nichts hätte mich mehr treffen können als das, was du mir eben gesagt hast.

(Mutter sieht Satprem lange an)

Kind...

 

1 Dies sollte die letzte Unterhaltung mit Mutter vor ihrer schweren Prüfung sein.

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