Mutters
Agenda
dritten Band
31. Juli 1962
(Am Anfang des Gesprächs liest Satprem Mutter einen unerfreulichen Brief vor, den er von seinem Verleger P.A.L. aus Paris erhielt:)
Er sagt folgendes: "Ich las mit viel Interesse die Einleitung Ihres neuen Buches über Sri Aurobindo. Ich gestehe, der Grund, warum ich nicht sofort antwortete, war, daß ich sehr unsicher bleibe. Der Text ist ansprechend, aber er gibt keinen Aufschluß darüber, in welchem Maße das folgende Buch den Grundsätzen der Reihe "Spirituelle Meister" entspricht. Ich fürchte sehr, daß wir auf eine erneute gegenseitige Enttäuschung zusteuern. Ich spüre, daß Sie ein sehr persönliches Buch schreiben möchten, während diese Reihe aus Büchern bestehen soll, die im wesentlichen Darstellungen, Einführungen, Werkzeuge der Information sind ..." usw.
(Nach einem Schweigen) Ich spüre eine Art Eingabe: Wenn ich das Suchlicht in diese Richtung wende, fühle ich, daß der Widerstand plötzlich weicht – es muß ein Mittel geben, ihn weichen zu lassen...
Antworte nicht, bleib ruhig, schreib dein Buch, und wir werden sehen!
Ich habe den Eindruck, daß dieser Herr bewußt oder unbewußt (ich weiß es nicht) ein Werkzeug des katholischen Widerstands geworden ist. Der ist in der alten Welt sehr stark, sogar in Amerika, obwohl er dort mehr christlich ist als katholisch. Aber in Frankreich ist er schrecklich stark: Er versucht jede Öffnung einzunehmen und will jede Abweichung verhindern.
Er wird nachgeben.
Aber ich betrachte hier keine persönlichen Dinge, wie diesen Brief oder Einzelheiten, sondern allgemeine Handlungen. Etwas versperrt den Weg (Geste), und dann fällt es plötzlich, dann geht es weiter.
Ich kann nicht sagen, daß dieser Herr es wüßte (wahrscheinlich weiß er nichts – was sich im menschlichen Gehirn abspielt, ist sehr zusammenhangslos), aber er ist jedenfalls voller Mißtrauen: "Was sagt mir, daß dieses Buch mich nicht in eine ungewollte Richtung führen wird?"...
Ihr großer Vorwurf war: "Sie sind abstrakt". Wenn man "konkret" sein will, muß man demnach von Erfahrungen sprechen.
Nein, was sie konkret nennen, heißt, zu erzählen, was Sri Aurobindo physisch tat. Das nennen sie konkret. Psychologie ist für sie abstrakt.
Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll.
Laß mich ein Beispiel geben. A schrieb mir: "Wenn Sie wissen, wie man mit Agni 1 in Verbindung treten kann, lassen Sie es mich wissen, denn ich brauche ihn." (!) Ich antwortete ihm ganz natürlich, daß man eine Aspiration für den Fortschritt, den Willen zur Vervollkommnung haben müsse, und daß man das Feuer entzündet, indem man seine Begierden verbrennt. Ich sagte ihm das auf eine Art, die ich sehr konkret nenne. Er antwortete mir (lachend): "Ooh! Sie leben in Abstraktionen, das will ich nicht, ich will einen lebenden Gott." – Eine Persönlichkeit!
So sind sie eben.
Die Psychologie ist Abstraktion. Was sie wollen, ist dies: An dem Datum ging er an diesen Ort, er sah folgende Leute, tat dieses – eben all das Äußerlichste und Banalste. Auch der Yoga wird so: Er setzte sich, er blieb so und so viele Stunden, er hatte diese Vision, er versuchte jene Methode, er machte Asanas und Atemübungen...
Das nennen sie konkret.
Nur das ist für sie konkret. Die Psychologie ist völlig abstrakt, hat keine Realität für sie.
Aber ich versuchte ja, so konkret wie möglich zu sein! So, wie man eine Ratte auf den Versuchstisch legt und seziert, um zu sehen, was drin ist.
Dazu muß man schon ziemlich fortgeschritten sein.
Hör zu: Denk nicht daran, kümmere dich nicht darum, und beende das Buch!
Ich bin nicht sehr zufrieden damit.
Das ist nicht nötig.
Ist es nötig, zufrieden zu sein? (Mutter lacht)
Ich habe festgestellt, wenn man den Eindruck hat, etwas sehr Schlechtes geleistet zu haben, ist es gewöhnlich das Nützlichste.
Für mich war es immer so. Ich erinnere mich, viele Dinge getan zu haben, ein wenig Malerei, ein wenig Musik, ein wenig Schriftstellerei (sehr wenig). Und immer, wenn ich dachte: "Oh la-la, welch ein Fehlschlag!", waren die Leute genau da am meisten berührt und zufrieden.
Man darf sich nicht darum kümmern, es hat keine Bedeutung.
Ich glaube, es ist sehr gefährlich, zufrieden zu sein, denn etwas schläft ein, und zwar der beste Teil des Wesens.
Es spielt keine Rolle, ob man zufrieden oder unzufrieden ist.
Vielleicht wird bei diesem Herrn eines Tages "jemand" mit dem Daumen drücken, und er wird sagen: "Ah, gut... Versuchen wir es!"
Mach einfach weiter!
1 Agni, das Feuer der inneren Aspiration. In den Veden wird es durch eine Gottheit verkörpert.