Mutters
Agenda
vierten Band
(Mutter schlägt eine Seite von Savitri auf. Sie wollte den "Dialog mit dem Tod" übersetzen. Die Seite öffnet sich "zufällig" bei den letzten Zeilen der Niederlage des Todes. Mutter liest laut vor:)
And [Death] left crumbling the shape that he had worn.
Abandoning hope to make man's soul his prey
And force to be mortal the immortal spirit. 1
(X.IV.667)
Egal wo man aufschlägt, wo immer man liest – es ist einfach wunderbar! Augenblicklich ist es wunderbar – sind diese drei Zeilen nicht seltsam?...
Abandoning hope to make man's soul his prey
And force to be mortal the immortal spirit.
Wunderbar!
Die Leute könnten mich leicht verleiten: Schon lange wollen sie, daß ich ihnen das ganze Savitri vorlese – was für eine Arbeit! Aber diese Stelle ist unwiderstehlich.
Eigentlich wollte ich den ganzen Dialog mit dem Tod übersetzen (mein Heft wird nicht ausreichen!), er ist wunderbar.
(Mutter blättert)
Als sie sagt... Ich weiß die Worte nicht mehr, aber als sie sagt:
My God is love... 2
Oh! Das ist...
(Mutter blättert zurück zum Anfang des Buches X, Gesang IV)
Hier:
The Dream Twilight of the Earthly Real 3
Hör dir das an:
Or in bodies motionless like statues, fixed
In tranced cessations of their sleepless thought
Sat sleeping souls, and this too was a dream. 4...
(X.IV.642)
Diese Menschen suchen das Nirvana... "And this too was a dream"! [Auch dieses war ein Traum.]
(Mutter blättert weiter)
Hier fängt es an [der Dialog mit dem Tod]:
Once more arose the great destroying Voice:
Across the fruitless labour of the worlds
His huge denial's all-defeating might
Pursued the ignorant march of dolorous Time. 5
Hier müssen wir anfangen.
Das Buch X ist lang: "The Book of the Double Twilight" [Das Buch des doppelten Zwielichts]...
Wenn ich erst einmal zu lesen anfange...
Du wirst noch bis zum Anfang zurückgehen!
Wir würden das ganze Buch übersetzen!
(Mutter blättert zurück)
The Gospel of Death and Vanity of the Ideal 6
Hier finden sich wertvolle Antworten auf alles, alles, alles, was die Leute sagen.
(Mutter blättert weiter)
Ach, hier ist es: "The Debate of Love and Death" [Die Debatte von Liebe und Tod].
Hier beginnt es.
Im Gesang III.
Da ist ein Absatz unterstrichen.
Wenn er unterstrichen ist, dann nicht von mir!... Nein, das ist die Stelle, wo ich beim Lesen aufhörte – ich markiere immer in Rot, wo ich aufhöre.
Er sagt... [der Tod zu Savitri, mit höchst ironischem Ton]:
...Art thou indeed so strong, O heart,
O Soul, so free?... 7
Das ist fabelhaft!
Wir müßten mit dem "Buch des doppelten Zwielichts" anfangen, Buch X. Laß uns sehen, wie es anfängt...
(Mutter liest)
All still was darkness dread and desolate;
There was no change nor any hope of change.
In this black dream which was a house of Void,
A walk to Nowhere in a land of Nought,
Ever they drifted without aim or goal.... 8
(X.I.599)
Mein Gott, wie wunderbar das ist! Einfach wunderbar.
(Mutter blättert weiter)
Und Buch XII [Die Rückkehr zur Erde]... Ich weiß nicht.
(Mutter liest die letzten Zeilen von Savitri:)
Night, splendid with the moon dreaming in heaven
In silver peace, possessed her luminous reign.
She brooded through her stillness on a thought
Deep-guarded by her mystic folds of light,
And in her bosom nursed a greater dawn. 9
(XII.724)
Das ist die Ankündigung des Supramentals.
Mir schien aber, daß er seine Überarbeitung nicht abgeschlossen hatte. Als ich das las, hatte ich den Eindruck, es sei nicht der Schluß, so wie ich auch beim letzten Kapitel des Yoga der Selbst-Vervollkommnung 10 das Gefühl hatte, es sei nicht beendet. Er ließ es unvollendet. Er sagte ja selber: "Nein, ich will nicht mehr auf dieses mentale Niveau hinabsteigen."
Damals kümmerte ich mich nicht darum... Da waren Purani und diese Chinmayi und... (wie heißt er?) Nirod um ihn herum – alle drängten sich um ihn herum. Ich kümmerte mich nicht um Savitri. Vor zwei Jahren las ich das Buch zum ersten Mal, und ich bin so froh darüber! Denn ich las es zu einem Zeitpunkt, wo ich es verstand – und gleichzeitig begriff ich, daß alle diese Leute NICHTS verstanden hatten. Beide Dinge wurden mir gleichzeitig klar.
(Schweigen)
Schauen wir mal: Schlag aufs Geratewohl eine Seite auf, ich will sehen, ob du etwas Interessantes findest – konzentriere dich einen Augenblick und schlag irgendwo auf, ich werde es dir vorlesen.
Leg einfach deinen Finger darauf... Brauchst du etwas Spitzes? (Mutter reicht einen Brieföffner)
(Satprem konzentriert sich und öffnet das Buch)
Oh!
In the passion of its solitary dream
It lay [the heart of the King] like a closed soundless oratory
Where sleeps a consecrated argent floor
Lit by a single and untrembling ray
And an invisible Presence kneels in prayer
Das ist wirklich schön!
Ja, sehr gut... Gehen wir noch ein wenig weiter zurück:
In the luminous stillness of its mute appeal
It looked up to the heights it could not see;
It yearned from the longing depths it could not leave.
In the centre of its vast and fateful trance
Half way between his free and fallen selves,
Interceding twixt God's day and the mortal night,
Accepting worship as its single law,
Accepting bliss as the sole cause of things,
Refusing the austere joy which none can share,
Refusing the calm that lives for calm alone,
To her it turned for whom it willed to be.
In the passion of its solitary dream
It lay like a closed soundless oratory
Where sleeps a consecrated argent floor
Lit by a single and untrembling ray
And an invisible Presence kneels in prayer.
On some deep breast of liberating peace
All else was satisfied with quietude;
This only knew there was a truth beyond.
All other parts were dumb in centred sleep
Consenting to the slow deliberate Power
Which tolerates the world's error and its grief,
Consenting to the cosmic long delay,
Timelessly waiting through the patient years
Her coming they had asked for earth and men;
This was the fiery point that called her now.
Extinction could not quench that lonely fire;
Its seeing filled the blank of mind and will;
Thought dead, its changeless force abode and grew....
Ich sehe nicht mehr klar... Aber ich kenne die Stelle: es ist da, wo der König 11 sein letztes surrender [Unterwerfung] vor der universellen Mutter macht – er löscht sich vor der universellen Mutter aus, und Sie stellt ihn vor die Aufgabe, die er zu erfüllen hat.
Its seeing filled the blank of mind and will;
Thought dead, its changeless force abode and grew.
Armed with the intuition of a bliss
To which some moved tranquillity was the key,
It persevered through life's huge emptiness
Amid the blank denials of the world.
It sent its voiceless prayer to the Unknown;
It listened for the footsteps of its hopes
Returning through the void immensities,
It waited for the fiat of the Word
That comes through the still self from the Supreme.12
Das ist eine gute Wahl!
Ja, so ist es.
Als er aus diesem Zustand erwachte, hatte er die Vision der universellen Mutter und erhielt den Auftrag.
All das ist sehr gut, ein gutes Zeichen.
Savitri ist wirklich spannend!
Ich glaube, dies ist seine wahre Botschaft – alles übrige ist Vorbereitung, aber Savitri ist DIE Botschaft. Unglücklicherweise haben sich zwei Dummköpfe hier damit amüsiert, Verbesserungen anbringen zu wollen – während er noch lebte! (besonders A, der Dichter ist). Deshalb schrieb Sri Aurobindo all diese Briefe über die Dichtung. Ich weigerte mich, sie zu lesen, so empörend finde ich das. Er mußte ein ganzes "poetisches Prinzip" erläutern – was hat das überhaupt damit zu tun! Das Gegenteil ist wahr: Es kommt von oben herab, und NACHHER erklärt man es. Die Inspiration steigt wie ein Hammerschlag herab, und erst nachher erklärt man, wie sich alles gefügt hat – aber das interessiert mich nicht im geringsten.
(Schweigen)
Du bist also gekommen, um the bliss above [die Glückseligkeit oben] zu manifestieren. Das ist sehr gut, ich mag diese Antwort. Hast du verstanden?... Er überschreitet all das, was sich bisher mit dem Höchsten zu vereinen suchte, denn nichts davon genügt ihm – er sehnt sich nach mehr. Schließlich wird alles ausgelöscht, er tritt in das Nichts ein und kehrt von dort mit der Fähigkeit zurück, sich mit der neuen Glückseligkeit zu vereinen.
So ist es – gut!
*
* *
(Übersetzung aus Savitri:)
In der leuchtenden Stille seines stummen Anrufs
schaute es zu den Höhen, die es nicht erkennen konnte,
sehnte es sich den suchenden Tiefen, die es nicht verlassen konnte.
Inmitten seiner weiten schicksalhaften Trance,
auf halbem Wege zwischen seinem freien und seinem gefallnen Selbst,
vermittelnd zwischen Gottes-Tag und der sterblichen Nacht
nahm es demütige Verehrung an als einziges Gebot,
nahm es die Seligkeit an als der Dinge einzige Ursache,
verweigerte die strenge Freude, die niemand mit ihm teilen kann,
wies die Ruhe zurück, die nur für die Ruhe lebt,
und wandte sich an jene Mutter, für die es dasein wollte.
In dieser Leidenschaft seines einsamen abgeschiednen Traums
lag sein Herz still wie ein beendetes tonloses Oratorium,
wo geweiht ein silberfarbener Boden ruht,
von einem einzigen unbewegten Strahl erleuchtet,
und eine unsichtbare Gegenwart in das Gebet versunken kniet.
Hier war an einer tiefen Brust befreienden Friedens
mit Ruhe alles übrige gesättigt und erfüllt.
Nur dessen war sein Herz gewiß, daß Jenseits eine Wahrheit war.
Alle andern Glieder lagen stumm in konzentriertem Schlaf
und stimmten willig jener langsamen bedächtigen Macht zu,
die dieser Welt Irrtum und all ihr Leiden toleriert
und, einverstanden mit des Kosmos langem Zögern,
zeitlos geduldig durch die Jahre wartet
bis jene erscheint, die sie für Mensch und Erde sich erbeten hatten.
Dies war der Feuer-Punkt, der sie jetzt brennend herbeirief.
Vernichtung konnte dies einsame Feuer nicht ersticken.
Sein Blick erfüllte die Leere von Willen und Verstand.
Zwar war das Denken tot, doch seine wandellose Kraft verblieb und wuchs.
Gewappnet mit der Eingebung einer Seligkeit,
zu der eine bewegte Ruhe Schlüssel war,
beharrte dieses Herz durch die gewaltige Leere des Lebens
inmitten der blanken Verneinungen der Welt.
Es sandte sein stimmloses Beten zu dem Unbekannten,
es lauschte auf die Schritte seiner Hoffnungen,
ob sie wohl wiederkehrten durch die leeren Unermeßlichkeiten.
Es wartete auf das Gebot des Wortes,
das durch das stille Selbst von dem Erhabnen kommt.
(nach der dt. Ausgabe von Savitri, a.a.O., S. 342f)
1 Und [der Tod] ließ die Form, die er getragen hatte, bröckelnd zurück. Er gab die Hoffnung auf, des Menschen Seele könne er erbeuten und den unsterblichen Geist zwingen, sterblich zu sein. (nach der dt. Ausgabe von Savitri, a.a.O., S. 681)
2 My God is love and sweetly suffers all (IX.II.591) [Mein Gott ist Liebe, und in seiner Süße erleidet er alles.]
3 Das Traum-Zwielicht des Irdisch-Wirklichen.
4 Oder in Körpern, bewegungslos wie Statuen, erstarrt in tranceähnlicher Auflösung ihrer schlaflosen Gedanken saßen schlafende Seelen, doch auch dieses war ein Traum.
5 Noch einmal erhob sich die mächtige zerstörerische Stimme: Durch all das unfruchtbare Mühen dieser Welten folgte ihre gewaltige allesbezwingende Macht der Verneinung dem unwissenden Marsch der schmerzensreichen Zeit. (X.IV.643)
6 Die Botschaft vom Tod und von der Eitelkeit des Ideals.
7 Bist du denn so stark, o Herz, O Seele, und so frei? (X.III.636)
8 Alles war noch Dunkelheit, trostlos und einsam; es gab noch keine Wandlung, keine Hoffnung auf Verwandlung. In diesem schwarzen Traum, der nur ein Haus des Leeren war, ein Gang zum Nirgendwo in einem Land des Nichts, trieben die drei beständig weiter ohne Zweck und Ziel... (nach der dt. Ausgabe von Savitri, a.a.O., S. 613)
9... Nacht, voll Glanz mit dem am Himmel träumenden Mond In silbernem Frieden, beherrschte ihr leuchtendes Regiment. Sie grübelte in ihrer Stille einem Gedanken nach Tief-bewacht von ihren mystischen Falten des Lichts, und nährte in ihrer Brust einen herrlicheren Tagesanbruch.
10 Das letzte Kapitel der Synthese des Yoga: "Zur Sicht der Supramentalen Zeit".
11 Der König repräsentiert in Savitri die menschliche Aspiration, das Geheimnis der Erde zu entdecken, jenseits alles schon erforschten spirituellen Wissens.
12 III.III.332; Übersetzung siehe S. 78.