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Mutters

Agenda

vierten Band

15. Mai 1963

88 – Diese Welt wurde vom Tod erschaffen, um leben zu können. Möchtest du den Tod abschaffen? Dann wird auch das Leben zunichte. Den Tod kannst du nicht abschaffen, aber du kannst ihn in ein größeres Leben umwandeln.

89 – Diese Welt wurde von der Grausamkeit erschaffen, um lieben zu können. Willst du die Grausamkeit abschaffen? Dann wird auch die Liebe zunichte. Die Grausamkeit kannst du nicht abschaffen, aber du kannst sie in ihr Gegenteil verwandeln: in ungestüme Liebe und in Wonne.

90 – Diese Welt wurde von der Unwissenheit und vom Irrtum geschaffen, um erkennen zu können. Willst du die Unwissenheit und den Irrtum abschaffen? Dann wird auch das Wissen zunichte. Die Unwissenheit und den Irrtum kannst du nicht abschaffen, aber du kannst sie in strahlend-glänzendes Übertreffen der Vernunft verwandeln.

91 – Wenn allein das Leben existierte, ohne den Tod, gäbe es keine Unsterblichkeit; wenn die Liebe allein existierte, ohne die Grausamkeit, wäre die Freude nur ein laues, flüchtiges Entzükken; wenn die Vernunft allein existierte, ohne die Unwissenheit, wäre unsere höchste Errungenschaft nicht mehr als eine beschränkte Rationalität und Lebensklugheit.

92 – Transformiert wird der Tod zum Leben als Unsterblichkeit; umgewandelt wird die Grausamkeit zur Liebe als unerträgliche Ekstase; verwandelt wird die Unwissenheit zum Licht jenseits von Wissen und Weisheit.

Die Vorstellung dabei ist stets dieselbe, nämlich daß der Widerspruch und die Gegensätze die Triebkraft des Fortschritts sind. Denn zu sagen, die Liebe sei ohne Grausamkeit lau... Das Prinzip der Liebe, so wie sie jenseits des Manifestierten und des Nicht-Manifestierten besteht, hat nichts Laues oder Grausames an sich. Nur scheint Sri Aurobindos Idee darauf hinzuweisen, daß die Gegensätze das wirksamste und schnellste Mittel sind, die Materie zu bearbeiten, damit sie ihre Manifestation intensivieren kann.

Als Erfahrung ist es absolut gewiß: Wenn du mit der ewigen Liebe, der höchsten Liebe, in Berührung kommst, hat man als erstes... (wie sagt man?) die Wahrnehmung, die Empfindung (kein Verständnis, sondern etwas sehr Konkretes), daß selbst ein erleuchtetes, ausgebildetes, vorbereitetes materielles Bewußtsein UNFÄHIG ist, "Das" zu manifestieren. Der erste Eindruck ist diese Unfähigkeit. Dann kommt die Erfahrung der Manifestation von... man kann nicht wirklich "Grausamkeit" sagen, denn es ist keine Grausamkeit, wie wir sie auffassen. Aber in der Gesamtheit der Umstände zeigt sich eine Schwingung mit einer gewissen Intensität der Ablehnung der Liebe, wie sie hier manifestiert ist. Genau das ist es: Etwas in der materiellen Welt lehnt die Manifestation der Liebe, wie sie jetzt besteht, ab (ich spreche nicht von der gewöhnlichen Welt, sondern vom Bewußtsein in seiner höchsten gegenwärtigen Form). Das ist eine Erfahrung, ich spreche von etwas Erlebtem. Jener Teil des Bewußtseins, der von diesem Gegensatz berührt wurde, ruft direkt den Ursprung der Liebe an, MIT EINER INTENSITÄT, DIE ES OHNE DIE ERFAHRUNG DIESER ZURÜCKWEISUNG NICHT GEHABT HÄTTE. Grenzen brechen nieder, eine Flut strömt herab, die sich vorher nicht manifestieren KONNTE, und etwas drückt sich aus, das nicht ausgedrückt war.

Dies geschah vor nicht langer Zeit.

Angesichts dieser Tatsache besteht offensichtlich eine analoge Erfahrung in bezug auf das, was wir Leben und Tod nennen. Eine ständige Bedrohung (es kommt mir auf englisch, deshalb habe ich Mühe, mich auszudrücken), die ständige Gegenwart des Todes oder der Möglichkeit des Todes. Wie er in Savitri sagt: Auf dem ganzen Weg zwischen Wiege und Grab folgt einem ein ständiger Gefährte. Man wird ständig begleitet von dieser Bedrohung und Gegenwart des Todes. In den Zellen bewirkt dies eine Intensität des Anrufs an eine Macht der Ewigkeit, die ohne diese ständige Bedrohung nicht vorhanden wäre. Damit versteht man, und man beginnt auf eine sehr konkrete Weise zu spüren, daß all diese Dinge nur ein Mittel sind, um die Manifestation zu intensivieren, sie fortschreiten und vollkommener werden zu lassen. Die Mittel sind nur grob, weil die Manifestation sehr grob ist. Durch ihre Vervollkommnung und durch die Fähigkeit, das EWIG FORTSCHREITENDE zu manifestieren, wird man von sehr groben zu subtileren Mitteln übergehen, und die Welt wird ohne diese brutalen Gegensätze fortschreiten können. Sie bestehen nur, weil die Welt noch in ihren Kinderschuhen steckt und das menschliche Bewußtsein völlig unentwickelt ist.

Das ist eine sehr konkrete Erfahrung.

Wenn die Erde nicht mehr sterben muß, um fortzuschreiten, wird es auch den Tod nicht mehr geben. Wenn die Erde nicht mehr leiden muß, um fortzuschreiten, wird es auch kein Leiden mehr geben. Wenn die Erde nicht mehr hassen muß, um zu lieben, wird es auch keinen Haß mehr geben.

(Schweigen)

Diese Gegensätze sind das schnellste und wirksamste Mittel, um die Schöpfung aus ihrer Trägheit zu reißen und sie zu ihrer Entfaltung voranzutreiben.

(langes Schweigen)

Ein gewisser Aspekt der Schöpfung (vielleicht ein sehr moderner Aspekt) ist das Bedürfnis, aus der Unordnung und der Verwirrung herauszutreten – aus der Disharmonie, der Konfusion. Eine Verwirrung und Unordnung, die die verschiedensten Formen annimmt und sich als Kampf, unnütze Anstrengungen und Verschwendung äußert. Das hängt vom Bereich ab, in dem man sich gerade befindet, aber materiell, beim Handeln sind es unnütze Komplikationen, Vergeudung von Energie und Material, Zeitverlust, Unverständnis, Mißverständnis, Verwirrung, Unordnung – in alten Zeiten, in den Veden nannte man dies Entstellung, crookedness (ich finde kein gleichwertiges französisches Wort: etwas Verdrehtes; anstatt geradewegs auf das Ziel zuzugehen, verläuft es in unnötigem heftigem Zick-Zack). Dies ist einer der ärgsten Widersprüche zur Harmonie einer rein göttlichen Handlung – die von solcher Einfachheit ist!... eine kindlich anmutende Einfachheit... direkt – direkt, statt in absurden und völlig unnützen Windungen abzulaufen. Offensichtlich gilt hier dasselbe: die Unordnung ist ein Mittel, um das Bedürfnis nach reiner und göttlicher Einfachheit zu erwecken.

Der Körper fühlt sehr intensiv, daß alles so einfach sein könnte – so einfach!

Damit das Wesen – dieses individuelle Gebilde – sich transformieren kann, muß es sich deshalb immer mehr vereinfachen. Alle Komplexitäten der Natur, die der Mensch jetzt durch seine Studien zu verstehen beginnt, sind auch für die geringste Kleinigkeit so verwickelt (die geringste unserer physischen Funktionen ist das Resultat eines so komplizierten Systems, daß es fast undenkbar ist... sicherlich wäre es für das menschliche Denken unmöglich, diese Dinge vorauszusehen und miteinander zu verbinden), daß sie die Wissenschaft erst jetzt entdeckt. Da erkennt man sehr deutlich: Um göttlich zu sein, das heißt um dieser Unordnung und Verwirrung entfliehen zu können, muß die Funktionsweise sich vereinfachen und nochmals vereinfachen.

(langes Schweigen)

Das heißt, daß die Natur in ihrer Bestrebung, sich auszudrücken, auf eine unvorstellbare und fast unendliche Komplexität zurückgreifen mußte, um die ursprüngliche Einfachheit wiederzuerlangen.

Auch dies führt uns wieder zum selben Punkt: durch das Übermaß an Komplexität ergibt sich die Möglichkeit einer Einfachheit, die keine Leere ist – eine reiche Einfachheit. Eine Einfachheit, die alles enthält, während sie ohne diese Komplexität eine Leere wäre.

Das ist meine Erfahrung dieser Tage.

Sie machen jetzt Entdeckungen dieser Art. In der Anatomie zum Beispiel entwickeln sie chirurgische Eingriffe, die unglaublich kompliziert sind. So auch die Aufteilung der Grundelemente der Materie, die unvorstellbar komplex ist. All dies geschieht mit dem Ziel und in der Bemühung, die Einheit, die EINE Einfachheit des göttlichen Zustands auszudrücken.

(Schweigen)

Vielleicht wird es ja schnell gehen... Aber das Problem läuft darauf hinaus: Besteht eine AUSREICHENDE Aspiration, intensiv und wirkungsvoll genug, um Das herbeizuführen, was die Komplexität in Einfachheit, die Grausamkeit in Liebe verwandeln kann und so weiter.

Es nützt jedenfalls nichts, sich zu beklagen und den Tatbestand zu bedauern, denn so ist es eben. Und warum?... Wenn es nicht mehr so ist, werden wir es wahrscheinlich wissen. Man kann es auch andersherum ausdrücken: Wenn wir es wüßten, wäre es nicht mehr so.

Alle Spekulationen: "Es wäre besser gewesen, wenn nicht..." usw., all das hat keinen Zweck. Es nützt nichts, es ist sinnlos.

Man muß sich bloß beeilen, das Notwendige zu tun, damit es nicht so bleibt. Das ist alles. Das ist die einzig sinnvolle Sache.

Beim Körper ist das sehr interessant. Aber es bedeutet eine solche Flut von Erfahrungen! Anscheinend ganz klein, aber durch ihre Vielfältigkeit ergibt sich ein Bild 1 .

 

1 Als Mutter sich später den Text dieses Gesprächs anhörte, machte sie die folgende Bemerkung: "Die Wissenschaftler werden es leugnen, sie werden sagen, daß ich dummes Zeug rede, aber nur weil ich nicht ihre Worte benütze, es ist bloß eine Frage der Terminologie."

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