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Mutters

Agenda

vierten Band

29. Juni 1963

(Mutter betrachtet eine Sammlung früherer Entretiens und stößt zufällig auf folgende Frage, die sie sogleich beantwortet:)

"Warum ist das Universum kein Ort vollkommener Glückseligkeit?" 1

Weil es fortschreitend ist. Es gibt keinen anderen Grund.

*
*   *

(Dann spricht Mutter über den neuen Papst, Paul VI., der vor wenigen Tagen gewählt wurde:)

Sri Aurobindo scheint an der Nachfolge des Papstes interessiert zu sein... Vor zwei Nächten (nicht nachts: um vier Uhr morgens) war ich nämlich mit ihm zusammen – ich blieb eine halbe Stunde bei ihm (eine halbe Stunde UNSERER Zeit, das ist sehr lange), und er war gerade von einer "Reise" zurückgekommen, die ihn auch nach Italien geführt hatte. Wir sprachen nicht direkt darüber, aber dort waren einige Leute (es gab alle möglichen Dinge, viele Dinge), und aus den Überlegungen, die er zum einen oder anderen anstellte, entnahm ich, daß er gerade von Italien zurückkam und wegen der Ernennung des neuen Papstes dort gewesen war. Er sagte in etwa: "Es war das Beste, was man unter den gegebenen Umständen ausrichten konnte." Er schien also recht zufrieden damit zu sein.

Ich erzählte dir ja, daß ich den Tod des Papstes [Johannes XXIII.] gesehen hatte, ohne auch nur zu wissen, daß er krank war... Plötzlich sah ich eines Nachts in der irdischen mentalen Atmosphäre eine recht gewaltige Bewegung, die fast global war: große mentale Wellen (alles war mental), große Wellen der Besorgnis erhoben sich, als wäre das ganze menschliche Denken in Aufruhr geraten; aber es war nicht nur die Besorgnis der Gläubigen sondern eine weltumfassende Bewegung – in der irdischen mentalen Atmosphäre entstanden große Bewegungen des Aufruhrs und der Beängstigung (Mutter deutet Wellen in der Luft an). Ich fragte mich: "Was geht vor?... Was geschieht, daß die Menschen sich so beunruhigen? (Bei einem Weltkrieg käme es zum Beispiel zu solchen Reaktionen.) Was geht da vor, um die Aufmerksamkeit der ganzen irdischen Atmosphäre, der mentalen Atmosphäre, derart in Beschlag zu nehmen?" Am nächsten Morgen sagte man mir, genau in jenem Augenblick sei der Papst gestorben. "Sieh an!..." dachte ich bei mir.

Ich kümmerte mich nicht besonders darum, aber später erfuhr ich mehr von seinen Tätigkeiten: von seinem "Ökumenischen Konzil" und all seinen Reformen; daß er nach Möglichkeit alle Leute zusammenbringen wollte (jedenfalls alle Christen) und daß er sich mit den Russen anfreundete usw. Daraufhin konzentrierte ich mich, denn der natürlichen Logik entsprechend (der Logik des naturgemäßen Ablaufs) hätte der nächste Papst ein schrecklicher Reaktionär sein müssen – die Chancen standen jedenfalls schlecht. Ich konzentrierte mich und bemühte mich, die Dinge auf eine gute Bahn zu lenken. Ich sehe, daß dies auch Sri Aurobindo wichtig erschien, da er sich mit den dortigen Ereignissen befaßte.

Nach menschlichem Ermessen scheint der Nachfolger in seinen Ideen noch fortschrittlicher zu sein als der Vorgänger... Ich sah sein Foto (allerdings nur ein Zeitungsfoto, die sind gewöhnlich sehr schlecht: Man kann keinen Kontakt aufnehmen, man sieht nur gerade die Oberfläche). Am stärksten fiel mir eine Art Unaufrichtigkeit auf. Eine wohlwollende geistliche Unaufrichtigkeit – kennst du das?

Nur zu gut.

Dort erschien auch ein Foto des Kardinals von Indien (des ersten und einzigen Kardinals von Indien), er ist ein Mann, der mit offenen Karten spielt und ehrlich glaubt – er muß ein fanatischer Katholik sein, aber aufrichtig und voller Elan. Der andere ist ein sehr intelligenter Mann – oh, er hat einen Mund, den ich kaum anschauen kann, schrecklich.

Wir werden ja sehen, was geschieht.

Es scheint, Kennedy ist katholisch. Das ist also eine ernsthafte Angelegenheit.

Man sagt, er sei der erste gewesen, den der Papst empfing nach seiner... wie sagt man bei einem Papst?

Investitur?

Ich weiß nicht. Wenn er zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit tritt: "Hier ist der Papst!"

Jedenfalls empfing er nach der Zeremonie seiner Investitur Herrn Kennedy als erste Person.

(Schweigen)

Der Katholizismus besitzt zwei Dinge, die der Protestantismus nicht hat: den Sinn für das Okkulte (nicht nur den Sinn, sondern ein okkultes Wissen) und dann die Mutter – die Jungfrau. Die Protestanten haben etwas, das den Katholiken abgeht, und zwar die innere göttliche Gegenwart.

Nur durch diese beiden Dinge kann man sie berühren. Aber...

Nun, wir werden ja sehen.

Ich weiß nicht, als ich das Foto des neuen Papstes sah, hatte ich sehr stark den Eindruck eines ausgesprochen hinterhältigen Menschen, eines Politikers.

(Mutter stimmt mit einer Kopfbewegung zu)

Jemand, der äußerst verschlagen ist. Er machte mir überhaupt keinen spirituellen Eindruck.

Oh, auch beim anderen war das nicht der Fall!

Aber der andere schien wenigstens anständig zu sein.

Er war ein guter Mann.

Der hier macht mir den Eindruck eines sehr verschlagenen, gefährlichen Typs. Ein Politiker.

(Mutter nickt) Sri Aurobindo gebrauchte in etwa diese Worte: It is all that can be done in the present circumstances. [Mehr läßt sich unter den gegenwärtigen Umständen nicht erreichen.]

Das heißt, der neue Papst schien seiner Wahl zu entsprechen, denn sicherlich ging er zur Konklave und schaute sich dort um, so arbeitete er – und beeinflußte die Wahl. Wahrscheinlich (lachend) war er unter all den Leuten (es sind achtzig, mein Kind!) derjenige, der am ehesten nach unserem Willen handelt.

Er mag es aus uneingestandenen Gründen tun, aber jedenfalls... Gewöhnlich läuft es beim gegenwärtigen Zustand der Erde so ab: Das Motiv, wonach die Leute handeln, darf man nicht allzu ernst nehmen – wichtig ist, was sie tun. Wenn man die Dinge von einer gewissen Höhe aus betrachtet (dort, wo ENTSCHIEDEN wird), sind die Leute und die Umstände GEZWUNGEN, auf eine bestimmte Weise zu handeln, wobei die bewußten Motive, die ihre Handlungen bestimmen, belanglos sind – "belanglos" heißt, es ist nicht immer... um es klarer auszudrücken: man handelt SEHR selten aus einem WAHREN MOTIV.

Jedenfalls interessiert sich Sri Aurobindo für die irdischen Ereignisse, und so mißt er der Wahl des Papstes eine gewisse Bedeutung bei.

(Schweigen)

Im Grunde wird der Katholizismus durch den Kommunismus im Gleichgewicht gehalten: die Annäherung der beiden war also ein Meisterstreich. Der neue Papst scheint mir ein schlauer Fuchs zu sein, und vermutlich will er den Vorteil, den der andere gewonnen hat, nicht verlieren. Die Freundschaft mit Rußland ist sehr geschickt. Diese beiden Einflußbereiche prägen die irdische Atmosphäre heute ganz wesentlich.

Wir werden sehen.

Ich glaube, der Vorgänger hatte vor allem die eine Idee: den Krieg zu verhindern. Bewußt wollte er, daß alle Christen einander lieben! (Mutter lacht) Wie kindisch! Daß sie einander in Jesus lieben – den sie am Kreuz hängen lassen.

Wie Sri Aurobindo sagt, die Menschen... die Menschen LIEBEN den Schmerz, und deshalb ist Jesus noch immer ans Kreuz genagelt 2 . Das ist so wahr!

(Schweigen)

Bei den anderen, den Kommunisten, ist es das Gegenteil: sie wollen, daß alle glücklich sind, mit dem Ergebnis, daß sie alle unglücklich machten. Jetzt ist niemand mehr glücklich – vorher waren einige glücklich und viele unglücklich. Jetzt sind alle unglücklich.

Und das nennen sie "ernsthafte Angelegenheiten"!

*
*   *

(Etwas später, Sujatas Brief über die "falsche Mutter" betreffend)

Ansonsten geht es dir gut?

Es geht, liebe Mutter... Hast du etwas Besonderes in Sujatas Traum gesehen?

Oh, ich vergaß, dir das zu sagen.

Es handelt sich um einen Spaziergang im Vital.

Du kannst ihr sagen, daß sie sich gut geschlagen hat.

Vom okkulten Standpunkt aus gesehen wären die Türen und Leute wahrscheinlich verschwunden, wenn sie zum Beispiel den Leuten, die die Tür bewachten, gesagt hätte: "Im Namen der Mutter, laßt mich durch!"

Während man träumt, ist es schwierig, sich an diese Dinge zu erinnern. Jedenfalls konnte sie sich dank ihres inneren Vertrauens gut aus der Affäre ziehen.

Und sie wurde nicht durch Zufall geweckt – das war kein Zufall: ihr wurde GEHOLFEN.

Andere Leute hätten die Flecken wahrscheinlich gar nicht bemerkt.

Oh!

Ihre Aufrichtigkeit ließ sie die Flecken sehen. Und weil sie das kundtat, konnte der Wächter sie nicht aufhalten, denn es war das Zeichen der Macht ihrer inneren Aufrichtigkeit.

Das gab mir zu denken... denn ich finde es nicht statthaft, daß sich Leute (die falsche "Mutter") damit amüsieren, solche Dinge zu tun – ich weiß aber, daß es vorkommt, ich weiß, daß es das gibt.

Aber ich glaube, es trug dazu bei, die Atmosphäre ein wenig zu reinigen.

Ja, ich riet ihr, dir zu schreiben, denn nicht nur sie, sondern auch zwei Mädchen des Ashrams schienen in Gefahr zu sein.

Ja. Oh, viele sind in Gefahr – weil sie nicht aufrichtig sind, kann jeder beliebige sie täuschen. Im Falle einer okkulten Gefahr kann NUR EINES helfen, das absolut unabdingbar ist, und zwar die Aufrichtigkeit. Sie bietet Schutz und Sicherheit. Aufrichtigkeit bedeutet Sicherheit. Beispielsweise hätten unaufrichtige Leute in Gegenwart dieses Wesens einfach gesagt: "Ach, das ist ja die Mutter!" Verstehst du, SIE HÄTTEN ES NICHT GESEHEN. Sujata sah es – ihre Aufrichtigkeit sah es.

Das einzige... nun, das macht nichts, es wird kommen: Hätte sie, anstatt fliehen zu wollen, eine entschiedene Haltung eingenommen und gesagt: "Im Namen der Mutter, öffnet!" – Brrrt, und sie hätte gesehen, wie sich alles auflöst. Aber dies... ich denke nicht, daß sich das wiederholen wird; wenn es sich aber wiederholen sollte, wird sie es nächstes Mal wissen. Man bekommt ein gewisses Gespür für die Schlacht.

Du tatest gut daran, ihr zu sagen, sie solle mir das schreiben; dies zu wissen, war wichtig für mich, denn ich muß diesen Bereich ein wenig reinigen. Aber ich sage dir, es gibt viel zu viel Unaufrichtigkeit, das öffnet die Türen – die Unaufrichtigkeit ist genau wie ein Wächter, der die Türe öffnet, nichts anderes. Leider gibt es eine Unmenge davon...

Jedenfalls hat sie sich gut geschlagen.

Hier, ich gebe dir eine Rose für sie, eine große, eine sehr große, voilà!

*
*   *

(Beim Weggehen sagt Mutter plötzlich:)

Ein Boot wird gerade gebaut (offensichtlich das Symbol des Yogas); es besteht ganz aus rosafarbenem Ton, und was für ein schönes Rosa!... Ein Boot aus rosa Ton. Ich war mit Sri Aurobindo dort – ein sehr wacher Sri Aurobindo, er ging umher und leitete den Bau; auch ich stieg mit äußerster Leichtigkeit auf und ab.

Aus Tonerde.

Dort waren Arbeiter, besonders ein junger Mann, der außergewöhnlich war – ich glaube, es sind keine rein menschlichen Wesen. Doch das ist eine lange Geschichte...

Die Tonerde war etwas wirklich Neues – hübsch! Rosa, ein warmes, goldenes Rosa. Und in den Ton wurden Zimmer, Treppen, Bootsbrükken, Kamine und Kapitänskajüten geschnitten... Sri Aurobindo selbst erschien, wie er war, aber... mit einer größeren Harmonie in seiner Gestalt: hier (die Brust) sehr breit und kräftig. Sehr wach: er kommt und geht, setzt sich und erhebt sich, mit großer Majestät. Seine Farbe gleicht einer Art goldener Bronze; eine Farbe wie die Verdichtung seines supramentalen Goldes, seines goldenen supramentalen Wesens. Als wäre es dicht konzentriert und gebündelt, um seine Erscheinung möglichst getreu wiederzugeben. Es reflektiert das Licht nicht: es scheint fast von innen erleuchtet zu sein, strahlt aber nicht aus und wirft keine Schatten. Doch es wirkt ganz natürlich, man ist nicht erstaunt, es erscheint wie die natürlichste Sache der Welt: Er ist so, auch alterslos, und seine Haare sind von derselben Farbe wie sein Körper; er hat Haare, aber man weiß nicht, ob es wirklich Haare sind, sie sind von derselben Farbe, auch die Augen: der Blick ist golden. Dennoch wirkt es völlig natürlich, es hat nichts Erstaunliches an sich. Er setzt sich, wie er es immer tat, mit der gewohnten Stellung seiner Beine [das rechte Bein vorne], und gleichzeitig ist er agil, wann immer er aufsteht: er kommt und geht. Schließlich verließ er das Haus (er hatte mich benachrichtigt, daß er nicht bleiben könne, daß er eine Verabredung mit jemandem habe: er hatte zwei Leuten versprochen, sie zu treffen, und mußte fortgehen), er ging in einen großen Garten, dann stieg er hinab, und da war das Boot – das kein Boot war! Ein flaches Boot – er mußte in die Kapitänskabine gehen (er hatte mit dem Kapitän zu tun), aber es war das Boot, mit dem er in sein Zimmer "andernorts" zurückkehrte – er hat anderswo ein Zimmer. Zu einem gegebenen Augenblick sagte ich mir: "Halt, ich will ihm folgen, ich will zu ihm gehen, um ihn zu treffen." Also folgte ich ihm. Solange ich ihn vor mir sah, folgte ich ihm. Als ich beim Boot ankam, sah ich, daß es ganz aus rosa Ton gebaut war. Handwerker arbeiteten dort – wunderbare Handwerker. Sri Aurobindo stieg ganz selbstverständlich zur Baustelle hinab, ohne... (ich glaube, es gab weder Treppen noch Stufen). Ich folgte ihm. Dann sah ich, daß er ins Zimmer des Kapitäns trat; er hatte mir gesagt, daß er dort zu tun habe, und so dachte ich mir (lachend): "Ich kann mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen! Ich gehe nach Hause" (ich tat gut daran, denn ich hätte bereits wach sein sollen), "ich kehre zurück". Ich sah einen der Arbeiter weggehen (weil Sri Aurobindo zurückgekommen war, hörten sie mit der Arbeit auf). Er ging weg. Ich rief ihn, aber er sprach nicht meine Sprache, keine meiner Sprachen; ich rief ihn in Gedanken und bat ihn, mich hochzuziehen, denn ich stand unten vor einer steilen Mauer aus glatter Tonerde; er lächelte und bedeutete mir mit seinem Kopf: "Ich will gern helfen, aber es ist nicht nötig! Du kannst ganz allein hochsteigen." Tatsächlich reichte er mir die Hand, ich ergriff sie (wir berührten uns flüchtig), dann stieg ich ganz allein hoch, ohne die geringste Schwierigkeit – ich war gewichtslos! Ich hielt mich nicht einmal fest, um mich hochzuziehen: seine Hand zog mich nicht. Sobald ich oben war, kehrte ich hierher zurück – ich wachte auf und fand mich in meinem Bett... fünf Minuten später als gewohnt.

Diese Tonerde erstaunte mich – das bedeutet etwas sehr Materielles, nicht? Und rosa, ein Rosa, oh! Es war so hübsch, ein goldenes Rosa.

Sie sind dabei, etwas zu bauen.

Es muß so sein... Man sagt uns nichts, aber "man" verrichtet unsere Arbeit.

Das hinterließ ein Gefühl von sehr großer Macht – konzentriert.

Das war gestern.

 

1 Entretien vom 18. Juli 1956.

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2 Siehe Aphorismus 35: "Die Menschen lieben noch den Schmerz. Wenn sie jemanden sehen, der zu hoch über dem Schmerz und der Freude steht, lehnen sie ihn ab und rufen: "O Gefühlloser!" Deshalb hängt Jesus noch an seinem Kreuz in Jerusalem."

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