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Mutters

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vierten Band

10. Juli 1963

(In bezug auf die englische Übersetzung von Satprems Abenteuer des Bewußtseins:)

Der musikalische Rhythmus eines Satzes läßt sich einfach nicht übersetzen – das ist unmöglich, denn der englische und der französische Rhythmus sind völlig verschieden; wenn etwas im Englischen einen poetischen Rhythmus hat und man es zu wörtlich übersetzt, klingt es im Französischen überhaupt nicht mehr poetisch. Eine Übersetzung bleibt in jedem Falle eine Übersetzung, das muß man einfach in Kauf nehmen... Es vermittelt aber noch ausreichend Ideen, um bei den Leuten etwas zu bewirken.

Das schon, aber häufig klingt es sehr holperig. Das Französische hat einen akzentuierten, kraftvollen Rhythmus, während man im Englischen den Eindruck von unterbrochenen und zusammengeflickten kleinen Stücken hat. Nun, sie tut sicher ihr Bestes.

Sri Aurobindo sagte mir oft, daß eine Übersetzung aus dem Französischen immer ein gutes Englisch ergibt, während eine Übersetzung aus dem Englischen schlechtes Französisch ergibt. Die Übersetzung aus dem Französischen verleiht dem Englischen eine Genauigkeit der Sprache, die es sonst nicht hat.

Aber ich bin sicher, es wird gehen.

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*   *

(Dann liest Mutter einen Abschnitt aus Savitri vor:)

Hier steht etwas...

A slow reversal's movement then took place:

A gas belched out from some invisible Fire,

Of its dense rings were formed these million stars;

Upon earth's new-born soil God's tread was heard.1

(II.101)

Das ist großartig... einfach großartig.

Im Französischen wäre es armselig.

Ich versuche gar nicht erst, poetisch zu übersetzen, ich bemühe mich nur, den Sinn wiederzugeben. Ich lese den englischen Satz, bis ich den Sinn klar SEHE, dann übertrage ich ihn ins Französische, recht unbeholfen – ich erhebe auch keinen Anspruch, Dichterin zu sein. Nur der Sinn wird richtig wiedergegeben.

Diese Übersetzung wird von keinerlei Nutzen sein, sie ist nur für mich bestimmt. Ich habe ja kaum Zeit, täglich kann ich ihr nur eine knappe halbe Stunde widmen – eine halbe Stunde sollte ich mir täglich gönnen dürfen!

*
*   *

(Satprem liest Mutter das Gespräch vom 11. Mai vor, in dem sie sagte, daß das wahre Mantra einem nicht von einem Guru gegeben wird, sondern spontan aus dem Innern aufbricht, wie der Ruf der Seele.)

Wenn das Mantra automatisch die Kraft der Erfahrung enthält, warum sagt man dann, daß nur das von einem Guru "gegebene" Mantra eine Macht enthält.

Wenn man selbst keine Kraft hat, natürlich!

Wenn zum Beispiel jemand kommt und um ein Mantra bittet, rate ich ihm nicht, sein inneres Mantra zu finden... Was ich dort sage, gilt für Leute, die mit ihrer Seele in Kontakt stehen. Ohne eine bewußte Verbindung mit ihrer Seele können sie kein Mantra erhalten – der Kopf sucht dann ein Wort aus, aber das ist wertlos. Ich sagte, daß das Mantra aus dem Innern hervorquellen muß – bei ihnen dringt jedoch nichts hervor. Da sie keine Kraft haben, können sie es nie finden. In so einem Fall überträgt halt der Guru seine Kraft.

Warum hat denn ein Mantra, das man in einem Buch liest, angeblich keine Kraft, obwohl die Schwingung vorhanden ist?

Wenn man die Macht in sich trägt, spürt man die Kraft beim Lesen! (Mutter lacht) Nötig ist eben die Fähigkeit, sie zu spüren und einen Kontakt zu haben.

Was bewirkt eigentlich der Guru? Er fügt zusammen (Geste der Vereinigung), er schafft lediglich eine Verbindung. Er gibt euch nicht "seine" Kraft (er glaubt das wohl, aber es stimmt nicht). Er stellt die Verbindung her. Er bringt euch in Kontakt mit der Kraft – diesen Kontakt habt ihr ohne ihn nicht. Jene, die keinen Guru brauchen, haben den Kontakt OHNE einen Guru.

Es ist nicht etwas, das er in seiner Tasche hat (lachend) und einem schenkt! Nein: er hat lediglich die Macht, den Kontakt herzustellen.

(Schweigen)

Im Grunde genommen ist es nur eine Frage des Bewußtseins: Bei den meisten reicht das Bewußtsein bis zu einem gewissen Punkt (im allgemeinen nicht sehr weit), und jenseits davon liegt für sie "das Unbewußte" (obgleich es voller Bewußtsein ist!). Für sie ist es das Unbewußte, weil sie keinen Kontakt damit haben. So wie nachts, wenn man in einem anderen Seinszustand erwacht, bewußt wird und einen "Traum" hat (was die Leute eben einen Traum nennen, das heißt, eine Erfahrung); wenn sie dann in ihr gewöhnliches Bewußtsein zurückkehren und kein Kontakt zwischen den beiden Bewußtseinszuständen besteht, erinnern sie sich nicht einmal an ihren Traum. Durch eine methodische Entwicklung kann man aber sein Bewußtsein erweitern und eine Verbindung zwischen den beiden schaffen; und sobald die Verbindung einmal hergestellt ist, kann man sich leicht an alles erinnern. Das Schwierige ist, sein Bewußtsein zu erweitern.

Im Grunde besteht die wahre Macht eines Gurus darin, die Lücken zu stopfen! Euch mit etwas in Kontakt zu bringen, euch von höheren Ebenen aus in Kontakt mit etwas ganz oben zu bringen. Entweder die Verbindung mit eurer Seele, eurem inneren psychischen Wesen herzustellen oder den Kontakt mit dem Höchsten – aber dazu sind nicht viele imstande.

(Schweigen)

Das wurde mir klar, als ich dir neulich vom "Bad des Herrn" erzählte, wie ich es nenne. Die Atmosphäre wird ganz durchdrungen von Seiner Gegenwart (man kann nicht einmal von einer "Schwingung" sprechen, es ist viel mehr als eine Schwingung: eine Gegenwart), aber die Leute treten ein und spüren nichts! Oder wenn sie etwas spüren, verstehen sie nichts, es findet keine Entsprechung in ihrem Bewußtsein. Richte ich jedoch eine bestimmte Schwingung auf ihr Bewußtsein, so bringe ich sie damit in Kontakt. Plötzlich spüren sie etwas und haben den Eindruck von etwas Neuem – es ist gar nicht neu! Allein ihre Wahrnehmungsfähigkeit ist neu.

Im allgemeinen verhält es sich so: Der Herr ist überall, Seine Schwingung ist überall, nur die Fähigkeit, Ihn zu empfinden oder sich Seiner bewußt zu sein, ist neu. Er ist seit aller Ewigkeit und für alle Ewigkeit da.

Ständig mache ich die Erfahrung, daß ich keineswegs nach etwas suchen muß, was nicht schon da wäre, um es irgendwohin zu bringen, wo es noch nicht ist! Wenn ich dem Herrn sage: "Manifestiere Dich!", will ich damit nicht sagen, daß Er sich nicht schon manifestiert hat. Ich will ausdrücken: "Gib uns die Kraft, Deine Manifestation zu spüren!" Ich weiß nicht, ob dies Französisch oder eine Übersetzung aus dem Englischen ist, aber man müßte eigentlich sagen: "Werde manifest... Gewähre, daß wir uns Deiner Gegenwart bewußt werden!"

Das vermittelt ein deutliches Gefühl der Unwirklichkeit und Unbewußtheit – und der gesamten Verwirrung, die daraus hervorgeht. Denn es gibt eine KONSTANTE Realität, eine KONSTANTE göttliche Ordnung, und nur die Unfähigkeit, sie wahrzunehmen, verursacht die gegenwärtige Verwirrung und Falschheit.

Die Erfahrungen häufen sich, während äußerlich alle Leute zu zanken beginnen und sich um die belanglosesten Dinge der Welt streiten (lachend), noch viel mehr als vorher! Ohne jeden Grund und Nutzen. Für mich wird beides gleichzeitig sichtbar: die wahre Sache und ihre Entstellung. Das Ereignis, so wie es ablaufen sollte, und die Entstellung davon. Das Ereignis BLEIBT SICH GLEICH – aber die Entstellung überdeckt das Ganze wie eine Wucherung, die überdies noch völlig unnütz ist und alles fürchterlich kompliziert, für nichts und wieder nichts. Das hinterläßt einen ausgeprägten Eindruck von Falschheit (im Sinne von falsehood, nicht lie 2): es ergibt keinen Sinn und braucht nicht so zu sein, es ist völlig unnütz und absolut schwachsinnig, aber warum ist es dennoch so?... Es wird aufgegriffen und verdreht – alles wird aufgegriffen und verdreht. Was bedeutet diese Gewohnheit, die Dinge zu verdrehen? Ich weiß es nicht.

Eigentlich fragt man sich, wessen Spaß das ist?! Die Leute beklagen sich über ihr Unglück – dabei ist es ihre eigene Schuld! Sie selbst verursachen es. Täten sie dies nicht, wäre alles sehr einfach.

Und die Ereignisse würden sich NICHT ÄNDERN.

(Schweigen)

Voilà.

Ist das alles?

Oder möchtest du etwas fragen?

Nein... Ich dachte gerade über deine Worte nach... Es ist wahr, man sieht die Dinge verdreht.

Ja, so ist es! Genauso ist es!

Gegenwärtig LEBE ich diese Erfahrung mit allem, mit allen mich umgebenden Leuten und Dingen, in jeder MINUTE. Das ist wirklich interessant.

Pavitra erzählte mir eine ähnliche Erfahrung: In seiner Aspiration verließ er stets seinen Körper und stieg ganz hoch auf – schon hundertmal sagte ich ihm, er solle das lassen, es sei nicht gut (FÜR IHN, einem anderen würde ich es raten). Er hat dies nie eingesehen. Jedesmal, wenn er meditierte, brrt, verließ er seinen Körper. Vor einigen Tagen sagte er mir aber: "Ah, jetzt habe ich verstanden! Ich suchte Mutter immer dort oben, und auf einmal fand ich nichts mehr. Also konzentrierte ich mich hier (im Körper) und fand Mutter sofort." Er fügte hinzu: "Mutter ist jetzt nämlich hier!" (Mutter lacht) Ich erklärte ihm nichts, aber genau darum geht es.

Ich sagte nichts und lächelte nur, als ob er eine Entdeckung gemacht hätte!

Man sucht mit etwas in Verbindung zu treten, was bereits HIER IST.

(Schweigen)

Die Kraft... Ich hätte einen ganzen Berg von Erfahrungen zu erzählen. Jahrelang war die Kraft so (Geste über dem Kopf): das Bewußtsein ist hier, und die Kraft wirkt so (dieselbe Geste); es dauert lange, bis sich das manifestiert (es hängt von den Leuten ab, aber es braucht seine Zeit, um manifest zu werden), und es wird beim Durchgang entstellt; was übrig bleibt, ist ein recht wirkungsloser Rückstand. Ich überlegte mir: "Damit sich all das ändern kann, wäre eine DIREKTE Kraft erforderlich. Eine Kraft, die man direkt empfindet, die sich sozusagen von Zelle zu Zelle überträgt: Schwingungen von gleicher Beschaffenheit..." Langsam kommt das auch. Ich fragte mich nur: Warum kommt das nicht viel schneller?... Das weiß ich sehr wohl: Weil wir alles entstellen; wir sind so daran gewöhnt, in einem MENTALISIERTEN Bewußtsein zu leben, daß wir alles entstellen, und natürlich kommt die Kraft nicht, um deformiert zu werden. Meine Folgerung lautet somit: Die Kraft kommt für eine spezielle Aufgabe, zum Beispiel, um auf jemanden einzuwirken – die Kraft ist da und handelt –, gleichzeitig wird mir Gelegenheit gegeben, zu beobachten, nein, zu VISUALISIEREN... (wie soll ich sagen?)... Sri Aurobindo verwendet das Wort accretions dafür ("Wucherungen" ist nicht das passende Wort, weil es den Eindruck von etwas erweckt, das von innen nach außen wächst – es ist aber etwas, das von außen hinzukommt). Ich sehe, wie die Entstellung kommt und sich automatisch der Kraft beimengt – das verdirbt alles. Die Kraft wird dann aufgehalten, und alles rückt wieder an seinen Platz... und es beginnt von vorne.

Es erfordert eine sehr scharfe, sehr aufmerksame und ausgesprochen unpersönliche Beobachtung (im Sinne von objektiv, ohne jede Reaktion), um diese Dinge zu sehen.

Nur ganz allmählich, Schritt für Schritt, lernt man die wahre Funktionsweise; denn diese sich anhaftenden Entstellungen sind keine willentlichen Beimengungen, die von einem Wunsch oder einer Ungeduld oder einem übermäßigen Enthusiasmus herrühren, sondern sie sind ganz einfach eine Gewohnheit. Das psychologische Element hat sich nämlich geklärt und greift nicht ein, somit bleibt nur eine Gewohnheit. Die SUBSTANZ handelt so aus Gewohnheit. Sie muß lernen, sich nicht zu rühren, sich ruhig zu verhalten, so daß sich dieses Element beim Eintritt der Schwingung nicht sofort darauf stürzt.

Das ist sehr interessant.

Als stehe man an der Schwelle einer UNGEHEUERLICHEN Verwirklichung, die von etwas GANZ KLEINEM abhängt.

(Schweigen)

Irgendwo sagte Sri Aurobindo, daß die wunderbaren Verwirklichungen nicht andauern (sie ereignen sich, halten aber nicht an), und nur durch die Transformation werden sie dauerhaft – jetzt verstehe ich! Es gibt ja Leute, die aus irgendeinem Grund (ein bestimmter Augenblick, eine Eingebung, ein Zweck) die Kraft empfangen: plötzlich kommt die Kraft, dringt durch und führt zu einem phantastischen Ergebnis, aber... es wiederholt sich nicht. Es ist nicht wiederholbar, weil es nur durch ein Zusammentreffen von Umständen geschah. Erst wenn diese kleine, sozusagen "lokale" Arbeit der Transformation abgeschlossen ist und das VOLLE Bewußtsein bei VOLLER Beherrschung der Kraft unter Ausschluß aller Störungen wirken kann, dann... ist es wie bei einem chemischen Experiment, das man gründlich beherrscht und das sich beliebig oft wiederholen läßt.

Dies ist das gegenwärtige Stadium der Arbeit, wirklich interessant.

Aber ruhmlos.

 

1 Dann setzte die Bewegung einer langsamen Umkehrung ein: Ein Gas brach aus aus irgendeinem unsichtbaren Feuer, aus seinen dichten Ringen wurden die Millionen Sterne ausgeformt; man hörte auf der Erde neugebornem Boden Gottes Schritt. (Savitri, II.I.101; dt. Ausgabe, a.a.O., S. 111)

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2 Falschheit, nicht die Lüge in Form von Worten.

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