Mutters
Agenda
vierten Band
Aphorismus 93 – Der Schmerz ist wie die Hand unserer Mutter, die uns lehrt, auszuharren und in Seligkeit zu wachsen. Ihr Unterricht vollzieht sich in drei Stufen: zuerst ertragen, dann Gleichmut der Seele, schließlich Ekstase.
Solange es sich um moralische Dinge handelt, ist das absolut klar, indiskutabel: alle moralischen Schmerzen bilden den Charakter und führen einen geradewegs zur Ekstase, wenn man sie zu nehmen weiß. Wenn jedoch der Körper betroffen ist...
Es stimmt zwar, der Arzt sagte selbst (lachend: der Arzt repräsentiert den Zweifel mit großem Z 1), wenn man den Körper lehre, den Schmerz zu ertragen, werde er immer ausdauernder und ließe sich weniger leicht stören – das ist ein konkretes Ergebnis. Bei Leuten, die es verstehen, angesichts diverser Schmerzen nicht gleich völlig aus der Fassung zu geraten, denen es gelingt, sie ruhig zu ertragen und ihr Gleichgewicht zu bewahren, nimmt offenbar die Fähigkeit des Körpers zu, die Störung zu ertragen, ohne in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Das ist sehr wichtig. Erinnerst du dich? In einer früheren Agenda stellte ich mir diese Frage in rein praktischer, äußerlicher Hinsicht 2, und anscheinend trifft das zu. Innerlich wurde mir viele Male gesagt – gesagt und durch kleine Erfahrungen gezeigt –, daß der Körper sehr viel mehr ertragen kann, als man glaubt, wenn nicht zum Schmerz Befürchtungen oder Sorgen hinzukommen. Beseitigt man diesen mentalen Faktor, kann der Körper sehr viel ertragen – sich selbst überlassen, ohne Befürchtungen oder Angst und Sorgen um das, was geschehen wird.
Der zweite Schritt besteht darin, daß der Körper entscheidet, den Schmerz zu ertragen (der Körper trifft diese Entscheidung). Dann verschwindet die Heftigkeit, die Schärfe des Schmerzes augenblicklich. Ich spreche von rein materiellen Vorgängen.
Bewahrt man dabei die Ruhe (hier tritt die Notwendigkeit einer inneren Ruhe als weiterer Faktor ins Spiel), bleibt man innerlich ruhig, so verwandelt sich der Schmerz in ein fast angenehmes Empfinden – nicht "angenehm" im üblichen Sinn, aber ein fast behaglicher Eindruck. Wieder spreche ich von absolut physischen, materiellen Abläufen.
Im letzten Stadium, wenn die Zellen den Glauben an die göttliche Gegenwart und den souveränen göttlichen Willen haben und zuversichtlich sind, daß alles zum besten geschieht, dann kommt die Ekstase – die Zellen öffnen sich, werden leuchtend und ekstatisch.
Dies sind vier Etappen (im Aphorismus sind nur drei angegeben).
Wahrscheinlich ist die letzte nicht in Reichweite aller Leute! Die drei ersten sind jedoch klar – ich weiß, daß es so ist. Mich beunruhigte lediglich (ich erzählte es dir), daß dies keine rein psychologische Erfahrung ist und durch das Ertragen des Schmerzes ein Verschleiß im Körper entstehen kann. Ich habe mich jedoch beim Arzt erkundigt (ich brachte ihn zum Reden, ohne daß er es merkte), und er sagte mir, wenn man den Körper sehr jung lehre, Schmerzen zu ertragen, steigere sich sein Durchhaltevermögen derart, daß er den Krankheiten tatsächlich widerstehen könne: die Krankheit nimmt nicht ihren normal Lauf, sie wird abgewendet. Das ist wertvoll.
Die letzte Erfahrung dieser Tage, in der scheinbar eine Schwierigkeit auftrat (es war aber keine), kam als Demonstration dafür. Ich erzählte dir davon: Es wirkt wie eine Säuberungsaktion der lügenhaften Vibrationen – jene, die nicht die reine, unvermengte Reaktion auf den höchsten Einfluß darstellen (alles, was in den Zellen noch auf die Vibrationen der Lüge oder der Gewohnheit, der Umgebung und der aufgenommenen Nahrung reagiert – tausenderlei Dinge). Als Antwort auf eine Aspiration, eine Entscheidung, fast ein Gebet des Körpers um Reinigung geschieht etwas und führt natürlich zu einer Störung des Gleichgewichts, und diese Störung verursacht ein allgemeines Unwohlsein, das sich meistens mehr oder weniger ähnlich ausdrückt: zuerst in Form von Schmerzen und verschiedensten Empfindungen, die ich nicht zu beschreiben brauche. Nimmt das zu und erlaubt man diesem Zustand, sich ungehindert auszubreiten... früher endete dies in einer Ohnmacht. Diesmal verfolgte ich den Vorgang aber fast zwei Stunden lang nach dem Aufstehen: der Kampf zwischen dem neuen Gleichgewicht, dem neuen Einfluß, der sich stabilisiert, und dem Widerstand des Bestehenden, das verdrängt wird. Dies ergab einen Konflikt. Dabei blieb das Bewußtsein völlig klar – das Bewußtsein DES KÖRPERS blieb sehr klar und ruhig, voller Vertrauen. So konnte ich den Vorgang zwei Stunden lang mitverfolgen (ich konnte meine gewohnten Tätigkeiten unverändert fortsetzen). Dann spürte ich, oder besser gesagt, mir wurde auf unmißverständliche Weise mitgeteilt, der Herr wünsche, daß mein Körper während einer bestimmten Zeit in völliger Unbewegtheit verharre, um Seine Arbeit zu vollenden. Nun bin ich aber nicht allein: andere Leute helfen mir und sorgen für alles (ich sage ihnen jedoch nichts und erkläre auch nichts, denn über diese Dinge spreche ich nicht – ich sage nicht, was geschieht, nichts). Ich fragte mich also: "Ist das wirklich unerläßlich?" (Mutter lacht) Dann fühlte ich, wie der Herr den Druck ein wenig verstärkte, was wiederum die Intensität des Konflikts erhöhte, so daß ich alle Zeichen der Ohnmacht spürte. Ich verstand! Folglich stand ich auf, ließ meinen Körper ein bißchen stöhnen, um zu verstehen zu geben, daß es ihm nicht gut gehe, und legte mich hin. So stellte sich die Unbewegtheit ein, und während dieser Unbewegtheit sah ich, wie die Arbeit voranging – eine Arbeit, die nicht getan werden kann, solange man sich bewegt. Ich sah die Arbeit. Das dauerte ungefähr eine halbe Stunde; nach einer halben Stunde war es zu Ende. Somit ist eindeutig... Auch wenn alle Gedanken und umgebenden Kräfte das Gegenteil behaupten, bleibt die Tatsache unbestreitbar, daß das Bewußtsein immer mehr zunimmt – das Bewußtsein im Körper. Es wird immer genauer, leuchtender, exakter, RUHIGER – sehr friedvoll. Gleichzeitig ist es sich aber des UNGEHEUREN Kampfes gegen jahrtausendealte Gewohnheiten bewußt. Verstehst du?
Danach sah ich, daß sogar physisch, körperlich, eine Kraft am Werk ist: die Veränderung drückt sich durch eine Zunahme an Kraft aus. Die Kraftzunahme ist eindeutig.
Dies geht immer noch weiter. Jetzt gerade wütet ein heftiger Kampf gegen alle Vorstellungen, alle Gewohnheiten, alle Empfindungen, alle Möglichkeiten, gegen alles, was den Tod betrifft – (lachend) nicht den "Tod", nicht der Abschied des Bewußtseins (man spricht von Tod, aber... diese Dinge existieren nicht mehr), nein: DAS, WAS DIE ZELLEN EMPFINDEN MÜSSEN 3 . Alle Möglichkeiten werden mir gezeigt... Was passiert mit dem Bewußtsein, das in den Zellen angesammelt und gebündelt ist, wenn das Herz aufhört zu schlagen und man nach menschlichem Unverstand für "tot" erklärt wird? Wie gibt die Kraft, die alle Zellen zusammenhält, ihren Willen zum Zusammenhalt auf?... Dieses Problem, alle Probleme kommen von allen Seiten, und ich werde absichtlich damit konfrontiert, ich soll mich damit auseinandersetzen; es liegt also keineswegs nur im Bereich abstrakter "Ideen". Natürlich wurde mir sofort gesagt, in meinem Fall werde die Kraft und das Bewußtsein des Zusammenhaltes in diesen so überaus bewußten Zellen... Sie sind ganz und gar nicht mehr auf gewöhnliche Weise bewußt – gewöhnlich ist sich das innere Vitalwesen (Mutter berührt das Herzzentrum) der Einheit bewußt, der Tatsache, ein Wesen zu sein –, jetzt hingegen ist dieses Agglomerat von Zellen ein WILLENTLICHES Gebilde, mit einem organisierten Bewußtsein, einer Art Gruppierung dieses Zellbewußtseins. Gewiß ist dies ein außergewöhnlicher Zustand, aber auch in früheren Zeiten gab es in äußerlich hochentwickelten Menschen Ansätze zu einer solchen willentlichen, bewußten Zellgruppierung. Sicherlich wurden deshalb im alten Ägypten, wo der Okkultismus fortgeschritten war, außergewöhnliche Menschen, wie die Pharaonen und die Hohenpriester, mumifiziert. Man wollte die Form möglichst lange konservieren. Auch in Indien erhielt man sie, indem man sie versteinern ließ (in mineralhaltigen Quellen im Himalaya). Das hatte einen Grund 4 .
Bei Sri Aurobindo beobachtete ich, daß es fünf Tage dauerte, bevor die ersten Zeichen der Auflösung sichtbar wurden (obwohl er die Transformation noch nicht systematisch unternommen hatte, er zog nur ständig die supramentale Kraft in seinen Körper herab). Ich hätte ihn länger in Frieden lassen wollen, aber die Regierung mischt sich immer in Dinge ein, die sie nichts angeht, und man bedrängte mich unablässig mit der Begründung, daß es verboten sei, einen Körper so lange zu behalten, man müsse ihn... Als der Körper (wie soll ich sagen?) sich zu vermindern begann, sich dehydratisierte, da mußte es getan werden. Er hatte genügend Zeit gehabt herauszutreten, denn es war fast alles in meinen Körper übergegangen – fast alles Materielle ging in meinen Körper über.
Aber die Frage stellte sich für diesen Körper hier (Mutter), "um zu sehen". Ich sah viele Dinge, und letztlich war die Antwort immer dieselbe: Ich werde mit dem Problem konfrontiert, damit ich die Situation in all ihren Aspekten verstehe und die Erforderlichkeiten erkenne, aber im Ernstfall werde alles natürlich zum besten geschehen! (Lachend) Selbstverständlich. Es wurde jedoch auf eine sehr konkrete, man könnte sagen, sehr "persönliche" Weise gezeigt, damit ich das Problem verstehe. Da war auch diese alte Sache, die man mir unlängst sagte ("alt", einige Tage alt!): daß den ZELLEN SELBST die freie Wahl gelassen werde. Die Schlußfolgerung dieser ganzen Meditation war, daß im Bewußtsein der Zellaggregate etwas Neues entstanden sein muß – etwas... eine neue Erfahrung steht an. Resultat: Vergangene Nacht hatte ich eine Reihe phantastischer zellularer Erfahrungen, die ich nicht einmal erklären kann und die der Anfang einer neuen Offenbarung sein müssen.
Als die Erfahrung begann, schaute etwas zu (weißt du, etwas in einem beobachtet die Dinge stets ein wenig ironisch und amüsiert), es sagte: "Oh je! Jeder andere, dem dies passiert, würde sich für ziemlich krank (lachend) oder halbverrückt halten." Ich blieb sehr ruhig und sagte: "Man muß es geschehen lassen. Ich werde mir das anschauen, dann werde ich schon sehen! Es hat begonnen, also wird es ein Ende nehmen. Man muß nur..." Unbeschreiblich! Unbeschreiblich (die Erfahrung muß sich noch mehrere Male wiederholen, damit ich verstehen kann), phantastisch! Es begann um halb neun und dauerte bis morgens um halb drei. Keine Sekunde lang verlor ich das Bewußtsein, sechs Stunden lang konnte ich die phantastischsten Dinge beobachten.
Ich weiß nicht, wohin das führen wird...
Unbeschreiblich: man wird ein Wald, ein Fluß, ein Berg, ein Haus – und zwar in den Wahrnehmungen, im völlig konkreten Empfinden DES KÖRPERS, hier. Und viele andere Dinge. Unbeschreiblich! Es dauerte sehr lange, mit den verschiedensten Dingen.
Morgens um halb drei sagte ich dann dem Herrn: "Reicht das nicht?" (Mutter lacht) Daraufhin gewährte er mir bis halb fünf eine selige Ruhe.
Und all das wegen dieses Aphorismus!... Jedenfalls kannst du den Anfang verwenden. Aber willst du mir keine Fragen stellen? Stell mir eine Frage!
Ich frage mich, ob dieser supramentale Prozeß notgedrungen für alle mit großen physischen Schmerzen verbunden sein wird?
Nein.
Nein, denn ich habe zunehmende Beweise, daß ich die Macht erlange, Dinge, die ich jetzt im Körper gemeistert habe... (ständig erhalte ich Briefe und kurze Mitteilungen aus aller Welt von Leuten, die krank sind). Es beginnt zu wirken, noch ist es erst ein Anfang, ein ganz kleiner Anfang: die Macht, den Schmerz zu beseitigen.
Verstehst du, in kleinem Maßstab hast du es bei deiner Krankheit erlebt.
Ja, ich meine aber nicht bei kranken Leuten, sondern jene, die jetzt oder später versuchen werden, in sich selbst die Transformation zu vollziehen.
Nein, sie...
Müssen sie diese Leiden durchmachen?
Nein! Das hat Sri Aurobindo sehr deutlich geschrieben: Für jene, die den Glauben haben, die sich mit surrender [Hingabe] und Glauben öffnen, wird es automatisch geschehen 5 . Mein Kind, in den dreißig Jahren, die ich zu seinen Lebzeiten mit ihm arbeitete, brauchte ich mich KEIN EINZIGES MAL um die Transformation zu bemühen. Tauchte eine Schwierigkeit auf, wiederholte ich nur: My Lord, my Lord, my Lord... ich dachte einfach an ihn – und hopp, war sie verschwunden! Ein physischer Schmerz: er löschte ihn aus. Kam es zu Behinderungen im Körper oder tauchten alte Gewohnheiten auf, so brauchte ich es ihm nur mitzuteilen, und schon verschwanden sie. Genauso wirkte er durch mich auf die anderen ein. Er sagte immer, wir beide führten die Arbeit aus (in Wirklichkeit verrichtete er sie, solange er da war; ich erledigte nur die äußeren Aufgaben). Wir beide taten die Arbeit, und von den anderen wurde lediglich der Glaube und surrender verlangt, mehr nicht.
Hatten sie Vertrauen und gaben sich mit vollem Vertrauen hin, wurde die Arbeit automatisch für sie getan.
In den Zellen deines Körpers findet demnach ein universeller Fortschritt statt, die Erde schreitet fort.
Ja.
(Schweigen)
Dafür wurde dieser Körper geschaffen, denn ich erinnere mich sehr gut, wie ich beim Ausbruch des Krieges – des Ersten Weltkrieges – meinen Körper dem Herrn als Sühneopfer darbot, damit dieser Krieg nicht umsonst sei: die verschiedenen Teile meines Körpers (Mutter berührt ihre Beine, ihre Arme usw.) stellten der Reihe nach oder manchmal mehrmals hintereinander ein Schlachtfeld dar; ich sah es, empfand es, LEBTE es. Jedesmal... das war ganz eigenartig, ich brauchte nur ruhig sitzenzubleiben und zu beobachten, und ich sah alles, was sich hier, da und dort ereignete – in meinem Körper. Und dann lenkte ich jeweils die göttliche Kraft an die betroffene Stelle, damit alles – gerade dieser Schmerz, das Leiden, all das – die Vorbereitung der Erde auf die Herabkunft der Kraft beschleunige. Während des gesamten Krieges geschah dies bewußt.
Dafür wurde dieser Körper geschaffen.
Damals war das Mental noch sehr aktiv, und die Erfahrungen nahmen die verschiedenen Formen an, die das Mental den Dingen verleiht – sehr schön, sehr literarisch! Glücklicherweise ist das jetzt alles vorbei – Gott sei Dank! Vollkommenes Schweigen – ich rede nicht mehr darüber. Doch die Erfahrung der vergangenen Nacht... Wenn man bedenkt, daß Erfahrungen von einer halben Stunde, einer Dreiviertelstunde, einer Stunde bereits außergewöhnlich sind – und diese dauerte ohne Unterbrechung von halb neun bis halb drei an.
Eine Art Allgegenwart der Zellen?
Ja, ja.
Eine Einheit – das Gefühl der Einheit.
(Schweigen)
Wenn das erst etwas Natürliches, Spontanes und Konstantes wird, kann der Tod offensichtlich nicht mehr existieren, sogar hier (Mutter berührt ihren Körper).
Da SPÜRE ich etwas, ohne es schon mental ausdrücken oder verstehen zu können. Es muß sogar einen Unterschied im Verhalten der Zellen geben, wenn man seinen Körper aufgibt.
Etwas anderes muß da ablaufen.
Während dieser ganzen Zeit der Konzentration und der Meditation über das Problem, was sich nach dem Tod im Körper abspielt (ich spreche von der Erfahrung des Körpers angesichts dessen, was man als "Tod" bezeichnet), erschien mir mehrere Male dieselbe Vision... Man hatte mir von bestimmten Heiligen erzählt (und Berichte gezeigt), die nicht verwesten (hier gibt es einen und in Goa – phantastische Geschichten). Natürlich werden solche Geschichten immer ausgeschmückt, aber die materielle Tatsache bleibt, daß in Goa ein Heiliger verstarb, seinen Körper verließ und sein Körper nicht verweste 6 . Ich kenne die Geschichte nicht in allen Einzelheiten, aber aus irgendwelchen Gründen wurde der Körper angeblich von dort weggeholt und nach China gebracht. Dort blieb er eine Zeitlang beerdigt, ich glaube in Hongkong (oder in der Gegend), dann wurde er nach Indien zurückgeholt und wieder beerdigt; für zehn, zwölf Jahre ruhte er an zwei verschiedenen Orten unter der Erde: er verweste nicht. Ausgetrocknet, mumifiziert (dehydratisiert), aber intakt. Diese Vorgangsweise wurde mir mehrere Male als EINE der Möglichkeiten gezeigt.
Das heißt, in Wahrheit ist alles möglich.
Mir wurde auch deutlich gezeigt... (es fällt mir schwer, Worte zu finden, denn all das kam auf englisch: Sri Aurobindo war da) jedenfalls die Dummheit, carelessness, die Unwissenheit, die stupide Unwissenheit und Gleichgültigkeit der Lebenden in ihrem Umgang mit den Toten. Entsetzlich! Entsetzlich... Von allen Seiten werden mir allerlei erschrekkende Geschichten zugetragen... Eine der Geschichten ereignete sich hier, als Sri Aurobindo noch da war: Der Sohn eines Ashramiten war verstorben (man hielt ihn jedenfalls für tot). Da die Familienangehörigen keine Hindus waren, wurde er nicht eingeäschert sondern beerdigt. In der Nacht suchte der Sohn seinen Vater auf: Dieser sah seinen Sohn, der ans Fenster klopfte und ihm sagte: "Warum hast du mich lebend begraben?" (Ich weiß nicht in welcher Sprache, aber was soll's...) Dieser Dummkopf von Vater sagte sich: "Ein Traum!" Am nächsten Morgen, viele Stunden später, überdachte er das Ganze nochmal: "Vielleicht sollten wir doch nachsehen?" Und man fand, daß sich der "Tote" in seinem Sarg umgedreht hatte.
Als dieser Mann mir das erzählte und es so natürlich fand, das für einen Traum gehalten zu haben, fand ich keine Worte für meine Empörung über eine... so unerhörte und träge Dummheit. Ihm kam nicht einmal der Gedanke, daß IHM das zustoßen könnte. Er dachte nicht einmal daran!
Einen anderen hatte man gerade zur Kremationsstätte gebracht, als ein sturzflutartiger Regen fiel – unmöglich, ihn zu verbrennen. Man ließ ihn liegen und sagte sich: "Wir werden ihn morgen früh einäschern." Als man am nächsten Morgen kam, war er nicht mehr da! (Lachend) Er war verschwunden. Das ist aber noch nicht alles: Nach dreißig Jahren kam er zurück (er war ein Raja); er war von Sannyasins aufgenommen worden, die ihn mit in ihre Einsiedelei nahmen und zum Sannyasin machten. Ich weiß den Grund nicht mehr, aber dreißig Jahre später schien es ihm angebracht, sein Recht zu fordern, und so kam er mit den Beweisen zurück, daß er tatsächlich derselbe war 7...
Ich hörte eine ganze Reihe ähnlicher Geschichten, die zeigen, wie weit die Menschen... Sie wollen sich der "Toten" so schnell wie möglich entledigen – das ist es doch! So schnell sie nur können.
Ich erinnere mich an jemanden, der sich für einen Weisen hielt und mir sagte: "Wenn es nicht zutrifft, daß sich dieselben Wesen mehrmals reinkarnieren, wird die Anzahl der Toten immer mehr zunehmen, und die Atmosphäre wird schrecklich überfüllt mit diesen Toten... sie werden zu einer Plage. Was tun? Sie werden zahlreicher sein als die Lebenden und allen Platz einnehmen. Was wird man mit ihnen anstellen?" Solche Überlegungen!
(Schweigen)
Die Haltung der Lebenden gegenüber den Toten gehört zu den abstoßendsten Äußerungen der egoistischen Unwissenheit der Menschheit.
Entweder zeigen sie eine krasse Gleichgültigkeit oder: "Oh, wir müssen sie schleunigst loswerden!" Hier leben Kinder (die keine Kinder mehr sind) mit ihren Eltern (die nicht sehr alt sind), und manche dieser Kinder erzählten mir "Träume", in denen sie sahen, daß ihr Vater oder ihre Mutter tot war und zu ihnen kam... sie wiesen die verstorbene Person mit Heftigkeit zurück und sagten: "Du bist tot, du hast kein Recht mehr, uns zu belästigen!"...
"Du bist tot, du hast kein Recht mehr, uns zu belästigen." So ist das.
Und... wenige haben die Offenheit, es einzugestehen, diese Einstellung ist aber sehr verbreitet.
Vieles muß sich noch ändern, bevor sich ein wenig Wahrheit manifestieren kann. Mehr kann ich nicht sagen 8 .
1 Der "Arzt" ist keine Abstraktion sondern derjenige, der Mutter bis zum Ende behandelte.
2 Siehe auch das Gespräch vom 18. Mai 1963, S. 137.
3 Nach dem "Tod" oder angesichts des "Todes".
4 Mutter hatte Satprem einmal erzählt, sie habe in einer Vision einen ihrer früheren Körper gesehen, der in einer Höhle des Himalaya, in der Nähe eines Pilgerweges versteinert erhalten geblieben sei.
5 Als Satprem vorschlug, diesen Absatz mit dem Anfang des Aphorismus im Bulletin zu veröffentlichen, bemerkte Mutter: "Darüber will ich jetzt nicht sprechen, der rechte Augenblick ist noch nicht gekommen. Man darf ihnen nicht all zu deutlich nahelegen, daß die Arbeit für sie getan wird, sie verlassen sich schon jetzt zu sehr darauf. (Lachend) Das sollte man lieber nicht betonen!"
6 Der Heilige Franz Xaver.
7 Es handelt sich um die Geschichte des Raja von Bhaowal, der die indische Presse um 1930 in Atem hielt.
8 Man denke nur daran, welch entsetzlicher Verrat Mutter selber zehn Jahre später zuteil wurde... Sie ahnte es voraus.