SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 04 Bande

Mutters

Agenda

vierten Band

21. August 1963

(Über ein altes Entretien vom 4. Januar 1951, wo Mutter sagte, eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Transformation sei die Bewußtwerdung der inneren Dimensionen, die sie so beschrieb: "Es ist eine völlige Umkehrung des Bewußtseins, vergleichbar mit dem, was dem Licht passiert, wenn es durch ein Prisma fällt. Oder es ist so, als drehe man einen Ball von innen nach außen, was sich nur in der vierten Dimension durchführen läßt. Man verläßt das gewöhnliche Bewußtsein der drei Dimensionen, um in das höhere Bewußtsein der vierten Dimension sowie einer unendlichen Anzahl von Dimensionen überzugehen. Dies ist der unerläßliche Ausgangspunkt.")

Ich sagte es dir bereits: Die gesamte Grundlage der yogischen Bemühung hat sich verlagert. Vorher basierte die Arbeit genau auf dieser Kenntnis der inneren Dimensionen – das kann ich jetzt nicht mehr aufgreifen, es scheint völlig außerhalb von mir zu liegen. 1

Zu diesen Entretiens kann ich nichts hinzufügen: ihr Ursprung liegt anderswo.

Selbst für die Aphorismen wird es jetzt schwierig. Ich habe den Eindruck, hinabsteigen zu müssen, mich in einen alten Geisteszustand zurückzuversetzen, um etwas sagen zu können.

Du brauchst dich nicht um die Leute zu kümmern. Sage es deiner gegenwärtigen Ausdrucksweise entsprechend, ohne dich darum zu kümmern, ob sie verstehen oder nicht.

Sie verstehen nichts.

Das macht nichts.

Dann lohnt es sich aber nicht, es zu veröffentlichen!

Einige verstehen es.

Nein, was ich jetzt sage, ist für die Schachtel (der Agenda).

*
*   *

(Dann wendet sich Mutter wieder dem Aphorismus über die "Entsagung" zu. Sie bleibt still. Sie sieht noch mitgenommen aus.)

Es ist schwierig, weil...

Diese letzten Tage... ich weiß nicht, ob es der letzte Kampf ist, aber er spielt sich jetzt auf einer sehr tiefen Ebene ab, in den am wenigsten erleuchteten Bereichen der Zellen: in den Teilen, die noch am meisten der Welt des Unbewußten und der Trägheit angehören, die der göttlichen Gegenwart am fremdesten gegenübersteht. Dies ist sozusagen die erste Substanz, die vom Leben benutzt wurde, und sie ist unfähig, in diesem Leben einen Sinn zu erkennen und zu empfinden.

Diese Erfahrung (der Sinnlosigkeit) hatte ich tatsächlich nie. Selbst in meiner frühesten Kindheit, bevor es irgendeine Entwicklung gab, spürte ich immer (nicht auf mentale Art, sondern schwingungsmäßig) eine allmächtige Macht hinter den Dingen, die der Seinsgrund von allem ist – eine Macht, eine Kraft, wie eine Wärme.

Dies entspricht also keiner Erfahrung der Zellen DIESES Körpers sondern einer Identifikation mit der Welt im allgemeinen, der Erde als Ganzem. Ein äußerst schrecklicher und trostloser Zustand: ohne Sinn und Ziel und Daseinsberechtigung, freudlos, schlimmer als unangenehm – meaningless [sinnlos] und gefühllos. Dieser Bereich kennt keine Daseinsberechtigung, existiert aber dennoch. Eine fürchterliche Situation.

Ich habe den Eindruck, daß es dem Boden des Abgrundes sehr nahe kommt.

Gestern war es fast den ganzen Tag so. Aber plötzlich kam etwas (ich weiß nicht, woher oder wie... weder von oben noch von innen noch...): Es gibt nur EINE Daseinsberechtigung, nur EINE Wirklichkeit, nur EIN Leben, nichts anderes besteht als... DAS – Das (überhaupt nicht mental, keineswegs intellektuell formuliert), ETWAS, das Licht war (viel mehr als Licht), Macht (viel mehr als Macht), Allmacht (viel mehr als Allmacht), mit einer solchen Intensität der Sanftheit, Wärme und Fülle – all das gleichzeitig –, etwas, das sich natürlich nicht in Worte fassen läßt. Das kam plötzlich ganz spontan, als der Zustand eine so entsetzliche Bedrängnis erreicht hatte, weil es ein Nichts war, aus dem man nicht herauskommen konnte. Es gab kein Mittel, diesem Nichts zu entrinnen, weil es nichts war.

Die Abscheu vor dem Leben, die jene empfinden, die sich auf die Suche nach dem Nirvana begeben, wirkt fast angenehm im Vergleich dazu. So war es nicht. Es war tausend- und millionenmal schlimmer. Es war nichts, und weil es nichts war, gab es keine Möglichkeit, da herauszukommen – es gab keine... es gab keine Lösung.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde die Spannung so akut, daß ich mich fragte: "Werde ich zerspringen?"

Da entspannte und öffnete sich alles (Geste wie ein Aufblühen der Zellen)... OM.

(Schweigen)

Ich weiß nicht, ob es einen noch tieferen Abgrund gibt, aber...

Dann diese Erleichterung, dieses Aufblühen, dieser Friede... alles verschwindet, bis auf Das.

(Schweigen)

Diese Erfahrung hatte ich wirklich zum ersten Mal – nie zuvor hatte ich sie. Sie betrifft in keiner Weise meinen persönlichen Körper, dies sind nicht die Zellen meines Körpers 2 – es ist etwas anderes...

Dort liegt die Basis, das Fundament des gesamten Materialismus.

Das hielt den ganzen Tag an...

(Schweigen)

Die Erfahrung kam in dem Augenblick, als der Zustand eine solche Intensität des Nichts erreicht hatte... Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, es läßt sich nicht ausdrücken, es war aber so UMFASSEND: nur das verblieb, diese Art "Nichts", das weder Sinn noch Daseinsberechtigung, Ziel oder Ursprung hat, und für das es demzufolge keine Abhilfe gibt. Gerade als... alles zu zerbersten drohte, mit einer derartigen Spannung (ist es Spannung? Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll), plötzlich der totalste nur vorstellbare Wandel!

Jetzt verstehst du, warum diese alten Entretiens... Gerede!

(langes Schweigen)

Jedesmal, wenn es zu einer solchen Erfahrung kommt, verändert sich die gesamte Sicht der Dinge und die Beziehung der Dinge zueinander (Geste der Umwälzung). Sogar in rein praktischer Hinsicht. Das Leben erscheint wie ein Schachbrett, auf dem man die Figuren nach bestimmten inneren Gesetzen anordnet, und jedesmal ändert sich alles – alles: das Schachbrett, die Figuren, die Reihenfolge der Anordnungen und die innere Beschaffenheit der Figuren – radikal.

Zum Beispiel hatte ich in den letzten Tagen eine Vision von X: was er repräsentiert, die Leute seiner Umgebung, seine Beziehung zum Ashram – das alles hat sich völlig verändert. Jede Sache nahm einen unterschiedlichen Platz den anderen gegenüber ein. Ich bin nicht dafür verantwortlich, ich "bemühe" mich nicht zu verstehen, ich "versuche" nicht zu erkennen, nichts von alledem: es zeigt sich einfach. Wie Bilder, die gezeigt werden. Jede Sache hat ihren speziellen Reiz, ihre spezielle Farbe, ihre spezielle Qualität und ihre spezielle Beziehung zum übrigen – alle Beziehungen haben sich verwandelt.

Die Dinge werden äußerst GENAU, fein, zugespitzt, überhaupt nicht verschwommen: in allen Einzelheiten genau und von äußerster Einfachheit.

Als erschiene das Zusammenspiel der Kräfte, der Bewußtseinszustände, der Bewegungen immer klarer und vollständiger – äußerst genau. Und alles wird sehr einfach.

Sehr einfach.

Auf diese Weise lösen sich sämtliche Probleme.

Immer habe ich den Eindruck, aus der vorherigen vermeintlichen "Klarheit" und "Erkenntnis", die jetzt wie Verständnislosigkeit und Konfusion erscheint, herauszukommen und in eine größere Klarheit, ein umfassenderes Verständnis aufzutauchen. Alle möglichen Komplikationen verschwinden dabei, und trotzdem ist alles viel vollständiger als zuvor.

Vorher blieben immer verschwommene Bereiche, vage, ungenaue, unbestimmte Dinge; dadurch, daß all dies verschwindet, wird alles klarer, einfacher und SEHR VIEL GENAUER. Die vernebelten Dinge verschwinden. Man konstruiert sich eine ganze Welt von Eindrücken und Vermutungen (Dinge, die man sich vorstellt, Vermutungen und Eindrücke), um die Löcher zu stopfen; man hatte bestimmte Anhaltspunkte und bekannte Dinge, die durch eine verschwommene Masse von Auffassungen und Vorstellungen zusammengehalten wurden (ganz automatisch). All das läßt man jedesmal hinter sich und tritt in etwas so Leichtes ein! (Geste nach oben) Alle Wolken lösen sich auf. Alles erscheint so einfach: "Aber alles ist so offensichtlich, so klar! Es gab überhaupt keine Komplikationen."

Jedesmal geschieht es so (Geste des Aufstiegs von Stufe zu Stufe): man sieht weiter, man sieht mehr Dinge auf einmal.

Es scheint fast, als ob irgendwann alle Bewegungen der Erde so sein werden: sehr klar, sehr einfach.

Das entspricht diesem Hinabstieg in den Abgrund.

 

1 Siehe auch die Agenda vom 24. Mai 1962, Band 3, Seite 153.

Rückwärts zum Text

2 Dieser Abgrund der Trägheit, der materiellen Unwissenheit, der keine Daseinsberechtigung anerkennt, der "nichts" ist.

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English