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Mutters

Agenda

vierten Band

28. August 1963

Mein Verlegerfreund schrieb mir, aus welchen Gründen mein Manuskript 1 abgelehnt wurde.

Sieh an!

Es ist interessant. Möchtest du, daß ich es dir vorlese?...

(Satprem liest)

"... Ich hatte Ihnen meine pessimistischen Vorahnungen bereits mitgeteilt 2 . Was die Motive für diese Entscheidung angeht, läuft alles stets auf den gleichen Punkt hinaus: ein aufrichtiges (aber zwiespältiges) ökumenisches Bestreben und eine eher breite als tiefschürfende intellektuelle Neugier bestimmen die Richtung und Gestalt unseres Hauses. Eine solche Geisteshaltung gestattet gewisse akademische Darstellungen von Problembereichen, die man (im vorliegenden Fall zu Unrecht) als relevant für die berühmte "östliche Spiritualität" betrachtet. Sobald es sich aber um innerlich erlebte Darstellungen handelt, zieht sich der gute Wille in sein Schneckenhaus zurück. Die Reaktion ist noch stärker, wenn der Autor ein "Abtrünniger" ist, ein zum Feind übergelaufener Europäer. (Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung! 3) Ich muß betonen, daß dieser ganze Vorgang nicht nur ungewollt sondern sogar unbewußt ist (keine Entschuldigung sondern ein erschwerender Umstand). Der Widerstand, der ihrem ersten Manuskript 4 galt, hat sich gegenüber dem zweiten noch erhärtet, weil dieses eindeutig persönlicher, d.h. weniger "distanziert", noch weniger "objektiv" als das erste und zudem umfassender ist. Durch das Medium der Literatur vermochten Sie zu übermitteln, was immer Sie wollten. Mittels einer direkten Darstellung werden Sie – zum Guten oder Schlechten – nur wirklich Suchende berühren. In dieser Beziehung gehören unser Haus und seine Leser nicht zur Kategorie der Suchenden."

Er ist wirklich bewußt!

Klar ist jedenfalls, und ich habe dir das schon immer gesagt: Dieses Buch ist nicht für sie bestimmt. Es gibt nicht viele, die suchen.

Wirklich Suchende gibt es nicht viele.

Ich sehe Briefe von Leuten, die nicht nur davon überzeugt sind, daß sie suchen, sondern sogar, daß sie bereits gefunden haben... Briefe angeblicher Schüler Sri Aurobindos aus Frankreich, Deutschland, England – sie verstehen nichts, aber auch gar nichts!

Aber das spielt keine Rolle. Dann wird es eben für später sein.

Vor allem glauben sie, alles verstanden zu haben.

Ja, je weniger man weiß, um so mehr glaubt man zu wissen.

Sie wissen alles, man kann ihnen nichts mehr beibringen.

Laß dir beide Manuskripte zurückschicken, damit sie dort nicht nutzlos vergilben.

Ich sehe aber nicht, was diese Leute berühren könnte...

Nein! Der Versuch ist nicht einmal der Mühe wert.

Aber vom Standpunkt der Arbeit würde es sich lohnen – wie kann es dort sonst je zu einem Durchbruch kommen?

Oh!... Erinnerst du dich an diesen Aphorismus von Sri Aurobindo?... Ich verstehe SEHR GUT, was er damit sagen will.

Das wird der Tag des Umsturzes sein.

"Ein kleines Kind..."

[Aphorismus 76 – Europa rühmt sich seiner praktischen und wissenschaftlichen Organisation und Tüchtigkeit. Ich warte, bis seine Organisation perfekt ist; dann wird ein Kind es zerstören.]

Ich wollte keinen Kommentar dazu geben... aber es stimmt.

Weil sie unbelehrbar sind. Sie sind unbelehrbar, diese Leute.

Im mentalen Bereich.

Mental kann man sie nicht erreichen.

Wie aber sonst?... Entweder durch Gewalt – eine gewaltsame Kraft – oder durch ein Wunder (was sie ein "Wunder" nennen)... etwas, das sie sprachlos läßt.

Diese Leute sind sehr verwundbar (das heißt wehrlos) gegenüber der spirituellen Kraft. Wenn sie sich eines Tages physisch manifestiert, wird das ihren Zusammenbruch bedeuten.

Sogar die Leute hier, die aufgrund ihrer Tradition an die Macht, an eine wahre spirituelle Macht gewöhnt sind, beginnen schon zu zittern, sobald sich diese auch nur ein bißchen manifestiert. Im Westen, wo sie von allen verleugnet wird, sind sie erst recht wehrlos.

Ich weiß nicht, wann das kommen wird – ich weiß es nicht, vielleicht wird es nicht sehr bald sein –, eines weiß ich jedoch: Wenn es dazu kommt, wird Panik ausbrechen – DIE Panik.

In einer Panik kann man etwas ausrichten.

(Schweigen)

Jedenfalls wird dein Buch hier veröffentlicht, auf die Weise wird es jene erreichen, die bereit sind – aber nicht dort drüben.

Die Amerikaner sind offener, weil sie Kinder geblieben sind – in materieller Hinsicht glauben sie alles zu wissen, aber sie wissen, daß es Dinge gibt, die sie nicht kennen, während die anderen... sie sind "dem kindlichen religiösen Glauben entwachsen".

Nicht einmal das, denn sobald sich innen etwas regt (Geste zum Herzen), fallen sie in ihren Katholizismus zurück.

Nun, gut.

*
*   *

(Es folgt eine Diskussion zwischen Mutter und Satprem über die Frage, ob der Kommentar zum letzten Aphorismus über die Entsagung ganz oder nur auszugsweise im Bulletin veröffentlicht werden soll. Zunächst findet Mutter den Text zu "persönlich". Dieses Problem stellt sich grundsätzlich bei Mutters Veröffentlichungen.)

...Ich hätte es auf objektive Art ausdrücken müssen, ohne von "meiner Erfahrung" zu sprechen. Sobald ich von "meiner Erfahrung" spreche, muß ich ans Ende meiner Erfahrung gehen und kann nicht auf halbem Wege stehenbleiben.

Es berührt einen aber nur wirklich, wenn es DEINE Erfahrung ist.

Ja, aber dann muß man alles sagen.

Es ist genauso wie in dem Brief deines Freundes: Wenn den Leuten eine "objektive" Theorie vorgesetzt wird, steht alles zum besten – man nimmt sie an oder auch nicht, und das macht nichts; doch dieses persönliche Element einzuführen...

Ich befürchte überhaupt nicht, daß die Leute es nicht wertschätzen (das ist mir absolut egal), sondern eher, daß es bestimmten Leuten schaden könnte.

Wie schaden?

Wenn man etwas liest, wofür man nicht bereit ist, schadet es eher.

Wenn ich es wenigstens in einem belehrenden Ton gesagt hätte...

Auf eine belehrende Art hätte es nicht denselben Reichtum und dieselbe Kraft.

Das ist klar, aber das sehen die Leute eben als "intellektuell" an.

Ich glaube, darum sollten wir uns nicht scheren.

Entweder müßte ich Lehren erteilen oder... Ich gebe aber zu, daß mir das keinen Spaß mehr macht. Es kommt mir so kindisch vor zu sagen: "Die Dinge laufen so und so ab." – Ich weiß doch sehr genau, daß die Dinge nicht "so" ablaufen. Sie verlaufen so und auch anders, alles ist möglich. Man kann den Leuten nicht ständig sagen: "Wißt ihr, alles ist möglich." Jedesmal zu wiederholen: "Ihr müßt wissen, daß alles möglich ist" wird absurd.

Entweder muß ich den Mund halten oder...

Hier ein weiteres Beispiel: Wenn ich die Briefe der Leute beantworte, rede ich nie von mir sondern immer von ihnen, aber auf sehr persönliche Art: es ist FÜR SIE bestimmt. Und jetzt stelle ich fest (auf wenig angenehme Art), daß sie aus einer persönlichen Antwort eine allgemeingültige Lehre machen wollen – das ist absurd. Absurd! Diesem Mann oder jener Frau sage ich dieses, aber einem anderen würde ich genau das Gegenteil sagen. Und das veröffentlichen sie... Folglich darf man nichts mehr veröffentlichen.

Entweder nichts mehr veröffentlichen, oder sonst sei's drum...

Wenn man immer auf alle Eventualitäten achten müßte, könnte man gar nichts mehr tun oder sagen.

Ich könnte sehr wohl nichts mehr veröffentlichen und verkünden: "Jetzt sage ich nichts mehr, Schluß damit!" Dann müßten wir aber das Bulletin einstellen.

Ich glaube, du solltest deine Erfahrung einfach so präsentieren, wie sie ist. Wenn man einmal anfängt, die Texte zu kürzen, um nur die "objektiven" Dinge zu belassen, wird alles so trocken.

Ja, trocken und leer.

Und unvollständig, schrecklich unvollständig. Die Leute könnten es rein dogmatisch auffassen – das wäre schlecht.

Ich glaube, es ist besser, alles zu bringen.

Im Grunde genommen (lachend) ist mir das egal! Selbst wenn sie den Eindruck haben sollten, daß ich den Verstand verliere...

Jene, die falsche Eindrücke haben, werden sie in jedem Fall haben.

Das ist mir nun wirklich gleichgültig. Ebenso, wenn mir die Leute schreiben: "Das ist wunderbar", da kann ich nur lächeln und mir sagen: "Was verstehen die denn schon?" Ich erhalte Briefe... unbezahlbare Briefe! Überschwengliche Briefe voll schwülstiger Worte, und andere, worin mir sehr direkt gesagt wird, es sei nicht ganz sicher, ob ich nicht lediglich "Tricks" benutze, um die "Geschäfte" mit dem normalen Menschenverstand zu betreiben (!), und sie hätten überhaupt nicht den Eindruck, daß irgend etwas Göttliches dahinter stecke. Das eine wie das andere kommt bei mir aufs gleiche hinaus! (Mutter lacht) Für mich ist es dasselbe. Das ist ihr Eindruck – es ist ihr gutes Recht, alle Eindrücke zu haben, die sie möchten. Eigentlich könnte man ihnen nur antworten: "Habt die Eindrücke, die euch weiterhelfen!", ob auf diese Art oder eine andere, spielt überhaupt keine Rolle.

Darum geht es nicht... Vielleicht besteht eine gewisse Befürchtung (ich weiß nicht genau), die intimen Dinge könnten zu vielen Reaktionen ausgesetzt werden.

Ich glaube aber (lachend), da besteht keine Gefahr!

Ich stellte das fest, als ich A ausgewählte Teile der Agenda zu lesen gab. Offensichtlich mag mich A, und er bemüht sich, auf spirituelle Art zu verstehen – aber während er las, sah ich deutlich, daß er nicht verstand. Ein großer Teil lag jenseits seines Verständnisses, er verstand nicht und erfaßte nur die Oberfläche.

Im Grunde genommen spielt das also keine Rolle.

Eine Regel besagt, es sei nicht gut, von sich selbst zu reden – das versteht sich. Aber worüber kann ich denn jetzt sprechen, wenn nicht über meine Erfahrung? Nichts anderes existiert mehr – das gesamte sogenannte "objektive" Wissen ist für mich zu einer nutzlosen mentalen Aktivität geworden.

Also lassen wir es einfach erscheinen.

Sonst hat man gestutzte Veröffentlichungen... Das finde ich sehr schlecht. Dann lieber gar nichts, weil es sonst keinen Sinn mehr ergibt.

Ja, ohne jede Kraft.

Lassen wir es so.

 

1 Sri Aurobindo oder das Abenteuer des Bewußtseins.

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2 Siehe das Gespräch vom 25. Mai 1963.

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3 Der Autor dieses Briefes ist ein Westeuropäer, der zum Sufismus übertrat.

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4 Sri Aurobindo oder die Transformation der Welt.

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