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Mutters

Agenda

vierten Band

31. August 1963

(Mutter sieht Satprem lange an)

Ich habe etwas Neues vor dir gesehen.

Du warst von einem recht soliden goldenen Licht umgeben, und von hier (Hals) bis da (Solarplexus) zeigten sich sämtliche tantrische Farben, in allen Nuancen. Ich weiß nicht, ob du das je gesehen hast: ihre Atmosphäre umfaßt alle Farben, aber nicht vermischt, sondern jede für sich, so wie eine "Karte der Kräfte"; und je nach der Farbe, die sie wählen, heranziehen und verwenden, dient es für einen bestimmten Zweck: die eine für die Gesundheit, eine andere für den Fortschritt, eine nächste für die Aufnahmefähigkeit usw. So etwas erschien bei dir, und ich sah deine Hand, wie sie sich beim Schreiben bewegte.

Diese Farben sehe ich in Verbindung mit allen, die den Tantra-Yoga betreiben. X hat das immer bei sich, und bei seinem Guru 1 ist es noch intensiver, sehr kraftvoll und sehr stark.

Dies erschien vor dir, von hier an (Hals), also dem Zentrum der Verbindung mit der Welt, bis hier hinunter (Solarplexus).

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Etwas später

In den letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, am Verhältnis zwischen dem Ausdruck und der Tatsache zu arbeiten. Um genauer zu sein: Man hat zum Beispiel eine Erfahrung (in zwei Fällen ist das sehr klar)... zuerst die Erfahrung, gefolgt vom Ausdruck dieser Erfahrung. Das Verhältnis zwischen der göttlichen Einfachheit der Erfahrung und der Wirkungsmacht des Ausdrucks ergibt das Maß der vollkommenen Aufrichtigkeit – die Entsprechung muß absolut wahr sein.

Ich erkannte darin eine Art Schlüssel für die Einschätzung der Aufrichtigkeit.

Das gleiche gilt für das Lehren: Man hat eine bestimmte Macht, die auf diejenigen wirken soll, die empfänglich sind – eine bestimmte Macht, die dazu bestimmt ist, ein bestimmtes Ergebnis, eine bestimmte Wirkung zu erzielen –, aufgrund der gegenwärtigen Verfassung der Welt, die fast ausschließlich mentaler Natur ist, müssen dieser Macht Worte hinzugefügt werden (was man eine "Lehre" nennt). Dabei muß ein genaues Verhältnis zwischen dem Wortlaut und der Macht bestehen: die Worte sollen nicht mehr und nicht weniger als die Macht ausdrücken. Sie müssen der genaue Ausdruck der Macht sein – nicht zu viele und nicht zu wenige Worte, genau die passenden Worte, die als Umschreibung oder Zwischenträger der Macht vom Mental verstanden werden können. Das Verhältnis zwischen den beiden ergibt das exakte Maß der Aufrichtigkeit.

Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich mache, aber ich arbeitete zwei Tage lang daran, ein absolut wahres Verhältnis herzustellen – und dieses kann nur in völliger Einfachheit und Aufrichtigkeit wahr sein. Ich sah die Kraft, die in Worten wirkt, wie auch jene, die ohne Worte wirkt, wobei das Verhältnis zwischen den beiden exakt und absolut korrekt sein muß, damit vollkommene Aufrichtigkeit herrscht. Kannst du mir folgen?

Das war eine hochinteressante Arbeit – überhaupt keine intellektuelle, sondern eine materielle, völlig praktische Arbeit. Was man jemandem schreibt, muß zum Beispiel genau mit der Qualität und der Quantität der Macht übereinstimmen, die DIREKT wirkt, nicht über das Mental. Das war eine überaus interessante, minutiöse Arbeit. Und hier lag der Schlüssel – einer der Schlüssel zur vollkommenen Aufrichtigkeit.

Damit habe ich mich in den letzten Tagen beschäftigt.

(Schweigen)

Einmal mehr hatte ich diese Erfahrung, während der Körper gerade stöhnte – ich sage "stöhnen", aber es ist eher eine so intensive Aspiration, daß sie zu einer Beklemmung wird, und auch dieses Gefühl der Unfähigkeit. Dieselbe Antwort kam: plötzlich wird der Körper von einer ungeheuerlichen Macht eingenommen, so stark, daß er selber den Eindruck hat, er könne alles zerschmettern. Das kommt wie eine Masse. Dies ließ mich an einen Satz von Sri Aurobindo denken, der besagte: "Bevor man der Löwe des Herrn sein kann, muß man das Lamm des Herrn sein." 2 Dazu wurde mir gleichsam gesagt: "Du bist lange genug Lamm gewesen. (Lachend) Werde jetzt Löwe!" Das hält aber nicht an.

Und ich sehe sehr wohl, warum das nicht anhält! Oh, man hat den Eindruck, man würde alles dem Erdboden gleichmachen!

(Schweigen)

Der Körper selbst profitiert von der Erfahrung, er fühlt sich nämlich stärker danach – nicht physisch, denn um diese Kraft schere ich mich nicht. Das ist eine sehr eigenartige Sache: der Sinn für das "Konkrete" verschwindet – immer mehr. Das "konkrete" Sehen, der "konkrete" Geruchssinn, der "konkrete" Geschmack, das "konkrete" Hören, all das erscheint sehr fern – wie in einer unwirklichen und fernen Vergangenheit. Dieses schroffe und leblose "Konkrete" wird durch etwas sehr Geschmeidiges (runde, globale Geste), etwas sehr Komplettes ersetzt, worin alle Sinne gleichzeitig und SEHR INNIG MIT ALLEM VERBUNDEN arbeiten.

Eine Zeitlang wurden mir beide Funktionen gezeigt, damit ich den Unterschied erkenne: wie die Sinne jetzt funktionieren, und wie es früher war. Das ergibt einen verschwommenen Eindruck, aber gleichzeitig hat man den Eindruck von etwas sehr Innigem und Vollständigen (dieselbe runde Geste), während zuvor jede Sache abgesondert, getrennt war (abgehackte Geste), ohne Verbindung mit den anderen, sehr oberflächlich – sehr genau, aber sehr oberflächlich, wie eine Nadelspitze. So ist es überhaupt nicht mehr.

Wenn man die Dinge über sich ergehen ließe, ohne die absurden Widerstände der Gewohnheit aufkommen zu lassen, wenn man alles einfach geschehen ließe, ergäbe sich offensichtlich etwas sehr... (dieselbe runde, globale Geste) sehr Sanftes im Sinne von smooth, sehr zart, vollkommen, lebendig und mit einer sehr innigen Wahrnehmung der Dinge. Ein Wissen, das ohne die Einmischung der alten Gewohnheit wirklich außerordentlich wäre: keine Wahrnehmung wie von etwas Äußerem, sondern eine INNIGE Wahrnehmung. Unmittelbar bevor jemand das Zimmer betritt oder die Wanduhr schlägt, hat man davon Kenntnis – nicht einmal eine Sekunde, nein, eine Tausendstelsekunde vor dem materiellen Ereignis. Man könnte es für ein Vorauswissen halten, aber das ist es nicht. Es ist kein Vorauswissen, sondern... Es liegt im Bereich der Wahrnehmungen, aber mit anderen Sinnesorganen. VOR ALLEM vermittelt es einen Eindruck der Innigkeit: Es gibt keine Distanzen, keinen Unterschied, nicht jemand, der sieht, und etwas, was gesehen wird. Dennoch umfaßt es das Sehen, Hören und Fühlen – alle Wahrnehmungen –, das Schmecken und Riechen.

Das ist wirklich eine sehr konkrete und spürbare Veränderung gegenüber dem vorherigen Zustand.

Es ist völlig klar, daß nur die vielen alten Gewohnheiten der vollkommenen Funktionsweise im Wege stehen. Könnte man sich gehenlassen, ohne Widerstand zu leisten – ohne "richtig sehen" zu wollen, "richtig hören" zu wollen, "richtig..." –, so besäße man jene andere Wahrnehmung, die viel WAHRER ist. Diese Innigkeit der Sache... die Dinge sind nicht mehr fremd. Es hat aber nichts mit dem Denken zu tun. Man spricht vom "Wissen durch Identität", das sind aber alles intellektuelle Begriffe. So ist es nicht! Es ist...

Immer der Eindruck von etwas, das nirgends anstößt (dieselbe runde Geste), keine Erschütterungen, keine Stöße, keine Komplikationen, als könne man nirgends mehr anstoßen... Das ist überaus interessant.

Nur wegen des Widerstandes der alten Gewohnheiten dauert es so lange. Könnte man sich immer gehenlassen, ginge es viel schneller voran – sehr viel schneller. Ständig, hundertmal am Tag (mehr noch!) sage ich mir: "Warum denkst du an dieses, warum an jenes?" Muß ich zum Beispiel jemandem antworten – nicht schriftlich, sondern eine [okkulte] Arbeit, um etwas zu organisieren –, so wirkt die Kraft ganz natürlich, ohne irgendwelche Hindernisse und Widerstände. Dann erwacht plötzlich das Denken und mischt sich ein (jedesmal ertappe ich es dabei und gebiete ihm Einhalt, aber es geschieht zu häufig!), und schon kehrt die ganze alte Gewohnheit zurück. Dieses Bedürfnis, die Dinge in Gedanken zu übertragen, sie in "klare" Ausdrücke zu fassen... Dadurch verzögert man den Ablauf.

Ach, sich einfach leben lassen, ohne Komplikationen, einfach, so einfach...

 

1 Der verstorbene Guru von X war Mutter mehrere Male in Visionen erschienen (X war Satprems Guru).

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2 Mutter bezieht sich vielleicht auf den folgenden Aphorismus (141): "Nietzsche sah den Übermenschen als die Löwenseele, die aus dem Kamelsein kam; das echte Wappen und Symbol des Übermenschen aber zeigt den Löwen, der auf dem Kamel sitzt, das auf der Kuh des Überflusses steht. Wenn du nicht der ganzen Menschheit dienen kannst, bist du nicht reif, ihr Herr zu sein, und wenn du deine Natur nicht zu Vasishthas Kuh des Überflusses machen kannst, aus deren Eutern die ganze Menschheit die Erfüllung ihrer Wünsche trinkt, wozu nützt dir dann dein löwenhaftes Übermenschentum?" (Der Rishi Vasishtha besaß eine Kuh, die ihm alles gab, was er und sein Ashram benötigte, einschließlich der Armeen für ihre Verteidigung.)

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