SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 04 Bande

Mutters

Agenda

vierten Band

3. Dezember 1963

(Über die Schwierigkeiten gewisser Schüler)

...Endlich nehmen die Dinge deutliche Formen an – wir durchleben die Jahre der Klärung. Jeder steht im Banne seiner eigenen Illusion – immer ein illusorisches Trugbild. Y z.B. ist felsenfest davon überzeugt, sie sei im Begriff, das Supramental auf die Erde herabzuziehen; und unter den Leuten hier lassen sich viele von dieser Illusion verleiten. Damit begeben sie sich weitab von der Wahrheit in eine "wahnbildhafte" Verwirklichung.

Stolz und Eitelkeit sind die schlimmsten Fallstricke. Wenn man diese vitale Kraft in sich spürt (wie Y), glaubt man plötzlich, man habe die Sache erfaßt...

Je weiter ich komme, desto mehr scheint mir das Gegenteil wahr zu sein: ich finde alles armselig – armselig, so armselig.

Ja, wenn man aufrichtig ist und geradeaus blickt, kommt man sich schrecklich armselig vor im Vergleich zu dem, was es zu verkörpern gilt.

Das ist sicher!

Aber dies sind die letzten Tage des Egos, seine Endphase. Wenn es verschwunden ist, sind wir nichts mehr! (Mutter lacht) Dann hat man nicht mehr das Gefühl, etwas Schlechtes oder Gutes zu sein – das verschwindet völlig. Man empfindet ein so starkes Gefühl einer EINZIGEN Existenz, während alles andere... das ist nur noch etwas Verzerrtes, etwas im Bewußtsein Entstelltes... Diese Wahrnehmung wird äußerst konkret...

(Schweigen)

Beim Sportfest 1 am zweiten Dezember geschah etwas Interessantes: tags zuvor, am ersten, war das Wetter wunderschön, und so war ich überzeugt, daß auch der zweite schön sein werde. Am Morgen sah ich, daß dem nicht so war, und je weiter der Tag voranschritt, desto schlechter wurde das Wetter. Meine erste Reaktion war: "Ach, ich habe mich nicht genug darum gekümmert, ich hätte daran denken sollen", dann sah ich, daß dies absurd war. Daraufhin sagte ich dem Herrn: "Warum tust Du das, das ist wirklich nicht nett! Diese Kinder haben so hart gearbeitet und sich so viel Mühe gegeben..." Noch während ich das formulierte, betrachtete das Bewußtsein das soeben Gesagte lächelnd: "Mein Gott, wie dumm ist es doch, immer noch so zu sein!" Dann kam noch etwas (die Wahrnehmung wird sehr vielschichtig), nicht direkt der Herr sondern eine Art Ausdruck des Herrn, das mir sagte (natürlich nicht mit all diesen Worten, aber wie soll ich es sonst erklären?... Sri Aurobindo beschreibt das sehr gut im Yoga der Selbst-Vollendung: etwas sehr Neues, das gleichzeitig mit dem Handeln, dem Gefühl, der sinnlichen Wahrnehmung und dem Bewußtsein zu tun hat, all das zusammen – nichts von alledem und doch all das), etwas sagte mir also (ich übertrage es in Worte, und das entstellt die Sache völlig): "Ja, wenn es aber ein Test ist, was würdest du dann sagen?" Da erwachte augenblicklich hier im Bewußtsein – im Bewußtsein, das hier arbeitet – der Gedanke: "Aha, es muß also zu einem Test werden. Im Bewußtsein DER KINDER muß das Ganze als Test erscheinen" (zunächst hatte ich nämlich versucht, dem Regen Einhalt zu gebieten, doch dann erkannte ich, daß dies nicht der Wahrheit entsprach und man den Regen akzeptieren müsse: "Wieso den Regen akzeptieren...? Nach all den Vorbereitungen nichts tun?" Zudem ist das Akzeptieren zu leicht, es bedeutet nichts, es ist uninteressant, nichts Neues). Also gut, ein Test. Wenn sie es als Test auffassen, werden sie als Sieger daraus hervorgehen, und das wäre ausgezeichnet. Ich war die ganze Zeit so intensiv auf die Sportveranstaltung konzentriert, daß ich nicht einmal mehr wußte, was ich tat oder wo ich mich befand. Das dauerte von vier Uhr nachmittags bis acht Uhr abends. Ungefähr gegen acht Uhr berichtete man mir, die Veranstaltung habe dennoch stattgefunden, die "wichtigen" Besucher seien bis zum Schluß geblieben, und schließlich sei das Ganze zu einem echten Erfolg geworden.

Es bestand nur noch eine Schwierigkeit, und zwar für die kleinen Kinder, denen es nicht möglich ist, sich der Idee eines "Tests" bewußt zu sein, und die viereinhalb Stunden im Regen zugebracht hatten... Es durften keine nachteiligen Folgen entstehen – ungefähr hundert kleine, sehr kleine Kinder hatten teilgenommen. Die ganze Nacht konzentrierte ich mich darauf, ihrem materiellen Empfinden die wahre Reaktion einzuflößen (denn für eine Weile mögen die Kleinen den Regen sehr, sie haben großen Spaß daran), ich sagte mir: "Genau dieser Teil ihres Bewußtseins muß vorherrschen, damit kein Schaden entsteht." Ich erwartete den nächsten Tag, und am nächsten Morgen war keiner krank.

Dann erhielt ich einen Brief von M, dem Gruppenleiter, der mir mitteilte, sie hätten gespürt, daß es ein Test gewesen sei, das Lila 2 des Herrn; er schrieb "... das Lila der universellen Mutter – stimmt das?" Da freute ich mich, und ich antwortete ihm, ja, es sei wahr, und ich sei froh darüber. Alle sagten mir: "Die Kinder waren wunderbar." Als habe die Tatsache, die Vorführung unter strömendem Regen abhalten zu müssen, in ihnen einen besonderen Willen aktiviert; sie waren hervorragend, und alle waren begeistert. Anstatt dem Herrn zu sagen: "Das ist nicht nett", habe ich mich also bei ihm bedankt! Ich mußte lachen und dachte: "Da sieht man wieder, wie die Dinge laufen!..."

Alle Erfahrungen kommen auf diese Weise (runde, globale Geste). Das läßt sich nicht in Worte fassen. Auf diese Weise kommen Hunderte von Dingen zusammen und bilden... (Geste runder Bewegungen innerhalb dieses vollen Ganzen), man hat ein Gefühl von Licht (das einem Willen gleichkäme, aber nicht ein in Worten ausgedrückter Wille), ein Licht, das sich hier innen (in diesem vollen Ganzen) bewegt und all das ordnet und ein Resultat bewirkt – nicht nur eine kleine Sache, ein Punkt, ein Ding, sondern eine Masse von Dingen; und sie verändern sich ständig, sie sind ständig in Bewegung, in einem Vormarsch auf eine vollkommenere Neuordnung hin. Das Gefühl individuellen Handelns, individuellen Mitwirkens, individuellen Wollens erscheint dermaßen töricht, daß es vollkommen unmöglich wird, so etwas überhaupt zu empfinden. Selbst wenn es einer versuchen wollte, vermöchte er es nicht. Wenn man das erst einmal LEBT, dann kommt einem dieses ganze Gefühl individueller Bedeutung so IDIOTISCH vor, daß es völlig unmöglich wird, daran zu denken oder es zu fühlen.

Diese Erfahrung möchte ich gern weitergeben, denn sie ist definitiv: Wenn man das einmal einige Stunden lang LEBT, dann ist es erledigt, man kann sich keiner Illusion mehr hingeben 3, unmöglich – unmöglich, weil das so IDIOTISCH wäre! Vor allem dies: so dumm, so nichtssagend – unmöglich. (Geste eines sich wandelnden runden Ganzen) Man kann auch nicht sagen: "Ich sagte dies, und der andere antwortete jenes." Nur, wie soll man sich sonst ausdrücken?... Wir müssen immer noch mit einer völlig unzulänglichen Sprache Vorlieb nehmen. So ist es jedenfalls nicht, sondern... (dieselbe volle Geste) und dort gibt es nicht einmal eine Richtung: dies geht nicht dahin, und jenes kommt nicht von dort (Geste von einer Person zur andern oder von innen nach außen), auch geht es nicht so aus, um so zurückzukommen (Geste von unten nach oben und von oben nach unten), nein, es ist... ein Ganzes... ein sich ständig vorwärtsbewegendes Ganzes mit inneren Schwingungen, inneren Bewegungen. Und je nach dem angenommenen Punkt der Konzentration entwickelt sich daraus diese oder jene Handlung.

Als ich das Universum vor sehr langer Zeit betrachtete (ich spreche nicht von der Erde sondern dem Universum), erschien es mir oft so (dieselbe Geste einer runden Gesamtheit), wie soll ich sagen?... Es schien sich auf eine fortschreitende Vollkommenheit hin zu bewegen. Seit Jahren nehme ich die Erde auf diese Weise wahr. Und nun geschieht es jederzeit willentlich, eine kleine Regung des Bewußtseins genügt (Geste eines Auslösers oder einer Bewegung nach innen), und schon bewegt sich die ganze Erde mit ihren inneren Ereignissen und Komplikationen auf diese Weise. Jetzt verhält sich dieses gleiche Bewußtsein des Ganzen so: wenn es denkt (aufgrund einer Arbeit, nicht als willkürliche Entscheidung), dann wird es zwingend; ein Komplex von Dingen zeigt sich als ein GANZES, das von der Aktion betroffen ist. Dabei kann es sich um eine Kleinigkeit wie diese Sportveranstaltung handeln, um den Ashram (oft geht es um den Ashram als Ganzes) oder um einen Teil der Erde, manchmal handelt es sich auch um ein einzelnes Individuum (das kein "Individuum" mehr ist, sondern ein gleiches Ganzes, eine gleiche Welt von Dingen, eine Einheit 4). Eine Ansammlung von Dingen (volle Geste) bewegt sich innerhalb ihrer Ganzheit mit... (Mutter zeichnet kleine, individuelle, lokale Bewegungen wie Wellen oder Kraftströmungen innerhalb dieses Ganzen). Ach, das ist außerordentlich interessant! Und selbst hier herrscht nicht mehr die Vorstellung von dieser oder jener Person, dem einen oder anderen – das löst sich auf.

Aber was tun, wenn man sprechen soll?... All das kann man nicht ständig erklären, außerdem ist es unverständlich für jemanden, der es nicht erlebt hat.

Eben sprachen wir von Y; ich sah eine Art kleine Welt (wieder dieselbe runde Geste), in der sich alle möglichen Dinge bewegten (Mutter beschreibt Spiralen innerhalb dieser Fülle), und da war eine Lüge (lachend), nämlich das Bewußtsein ihrer selbst! Es nahm alles an sich und verzerrte die Bewegung.

Aber sobald man sich ausdrückt, spricht man mit gewöhnlichen Worten und in der gewohnten Sprache... Nur eine Minute dieses Bewußtseins zu beschreiben, würde fast ein ganzes Buch erfordern, um sich verständlich zu machen – und dennoch würde man nicht verstanden.

Am zweiten Dezember wurde das sehr aufmerksam beobachtet, denn es handelte sich um ein beschränktes Feld, und die Erfahrung dauerte eine gewisse Anzahl von Stunden (alle übrigen Beschäftigungen ergaben sich automatisch, ohne das aktive Bewußtsein und die Beobachtung zu behindern).

(Schweigen)

Ein anderes interessantes Beispiel erlebte ich bei einem Besucher, ein deutscher Großindustrieller, wie es schien. Ich hatte ein Foto von ihm gesehen und fand, daß etwas in ihm steckte – ich ließ ihn kommen. Er kam herein und trat vor mich: er wußte nicht, was er tun sollte (niemand hatte es ihm gesagt). Ich sah ihn an und ließ die Kraft ein wenig wirken (Mutter senkt sanft ihre Hand), ein klein wenig, ganz allmählich. Und plötzlich... (anfangs verhielt er sich sehr förmlich, denn schließlich war es Herr Soundso, hier präsent) seine rechte Hand fing plötzlich an, sich zu erheben, so (Geste einer verkrampften Hand wie im Trancezustand), sonst war alles an ihm absolut bewegungslos. Als ich dies sah, lächelte ich, zog die Kraft zurück und ließ ihn gehen. Man berichtete mir, er sei daraufhin hinunter in das Zimmer von Sri Aurobindo gegangen und habe zu weinen begonnen. Am darauffolgenden Tag schrieb er mir in einem deutschklingenden Englisch, ich sei "zu menschlich" gewesen: "Warum waren Sie zu menschlich?" – Er wollte, daß sein Wesen ZERSTÖRT werde, um zum wahren Leben erweckt zu werden.

Das interessierte mich. Ich sagte mir: "Sieh an, er hat es gespürt, er war sich sowohl der Kraft als auch des Rückzugs der Kraft bewußt." Ich antwortete ihm: "Es ist wahr, ich habe Sie geschont, aber nur weil dies Ihr erster Besuch war! Halten Sie sich bereit, ich werde Sie wieder sehen."

Weißt du, er kam als großer Industriemagnat mit einer beachtlichen mentalen Macht, die es gewohnt ist, die Dinge ins Rollen zu bringen; und dann... geschmolzen. Dabei hatte ich ihm nicht einmal eine volle Dosis gegeben: ich ließ einfach die Kraft ein wenig wirken, so (Mutter senkt ihre Hand) und schaute ihm ins Gesicht. Dann fühlte ich, wie sich unten etwas tat, und ich sah, daß seine Hand ganz verkrampft war. Also hörte ich auf.

Das Bemerkenswerte daran ist, daß er sich dessen RICHTIG bewußt war.

Und er hat sich beklagt.

*
*   *

(Beim Weggehen)

Wir haben noch zwei schwierige Monate vor uns. Denn es wird sich nicht gleich am ersten Januar abrupt ändern (die Leute glauben, alles werde sich plötzlich ändern – das ist nicht der Fall). Noch zwei schwierige Monate, und dann, glaube ich, beginnt... (Geste einer sich lösenden Beklemmung).

Man hat das Gefühl, beim geringsten Schwanken purzle man, plumps, wieder hinunter und müßte erneut hochklettern! Nun...

Aber wir klettern schneller – es geht schneller.

 

1 Die alljährliche Sportveranstaltung, die dieses Jahr in strömendem Regen stattfand.

Rückwärts zum Text

2 Lila: das göttliche Spiel.

Rückwärts zum Text

3 Der Illusion des Egos.

Rückwärts zum Text

4 Mutter sagte oft, daß jedes Individuum einem Typus angehöre und daß sie durch ein einziges Individuum Tausende von Individuen des gleichen Typs berühren könne.

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English