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Mutters

Agenda

vierten Band

7. Dezember 1963

(Mutter beginnt, einen Brief von Sri Aurobindo vorzulesen:)

Um den Glauben und alles andere zu erlangen, muß man darauf bestehen, ihn zu bekommen, und darf solange nicht erlahmen oder verzweifeln oder aufgeben, bis man ihn besitzt – auf diese Weise wurde alles erlangt, seit diese schwierige Erde von denkenden und sehnsüchtigen Wesen bewohnt wird. Es gilt, sich ständig dem Licht zu öffnen und der Finsternis den Rücken zu kehren. Es gilt, die Stimmen zurückzuweisen, die unermüdlich behaupten: "Du kannst nicht, du darfst nicht, du bist unfähig, du bist die Marionette eines Traumes" – denn dies sind feindliche Stimmen, die uns mit ihrem schrillen Lärm vom Resultat abschneiden, das im Begriff war zu kommen, um dann, wie zum Beweis ihrer Theorie, triumphierend auf die Kargheit der Resultate hinzuweisen. Die Schwierigkeit des Unterfangens ist hinreichend bekannt, aber das Schwierige ist nicht unmöglich: noch immer ist das Schwierige in Erfüllung gegangen, und gerade die Siege über Schwierigkeiten vollbrachten das eigentlich Wertvolle in der Geschichte der Erde. Dasselbe gilt auch für unser spirituelles Unterfangen.

Sri Aurobindo

Ja, they cut one off from the result that WAS coming by their strident clamour... [mit ihrem schrillen Lärm schneiden sie uns vom Resultat ab, das IM BEGRIFF WAR zu kommen]... and then triumphantly point to the barrenness of the result as a proof of their thesis [um dann, wie zum Beweis ihrer Theorie, triumphierend auf die Kargheit der Resultate hinzuweisen]. Das ist SO wahr, diese Erfahrung hatte ich sehr oft, nicht nur mich selber betreffend, sondern für sehr viele Leute.

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Ich glaube ("ich glaube" klingt wie dieses "es scheint" der Gelehrten), ich kann ankündigen, daß sich etwas im Unterbewußtsein organisiert – es fängt an – im Unterbewußtsein der Individuen und im allgemeinen Unterbewußtsein. Es ist weniger unbewußt geworden, ein bißchen mehr... ja, ein bißchen bewußter, umsichtiger und organisierter – ein kleiner Anfang von Organisation, sehr gering, aber ein wachsendes Bewußtsein; es ist nicht mehr so vollkommen unbewußt.

Ich verbringe stets die letzte Hälfte der Nacht darin... Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit dem supramentalen Schiff, wie sich die Dinge durch den Willen und nicht mit äußeren Mitteln organisierten? 1 Genau diese Art von Aktion setzt jetzt im Unterbewußtsein ein.

Letzte Nacht zum Beispiel, früh morgens, erschien eine Art Gebäude voller Etagen mit kleinen Zellen. Jedes dieser "Zimmer" war... ich kann nicht sagen das Eigentum, sondern die Habe eines jeden, als Ausdruck dessen, was direkt seiner Kontrolle untersteht, die Wiederspiegelung dessen, was man gemeinhin als seinen "Seelenzustand" bezeichnet, seine Seinsart. Es gab verschiedene Ebenen: man stieg hinauf und hinunter... Ich hatte den Eindruck, sehr viel größer zu sein und alles zu überragen; irgendwie war ich auch aus einer etwas andersartigen Substanz beschaffen. All dies fand gleichsam in mir statt, ohne innen zu sein (ich kann das nicht erklären): ich befand mich gleichzeitig darüber und wirkte von innen. Je nach ihrer Tätigkeit gingen die Leute hinauf oder hinunter, kamen und gingen. Aber jeder hatte seine kleine Ecke – sie BEGANNEN, es zu haben, es fing an, sich zu organisieren. Jede Zelle war mehr oder weniger klar abgegrenzt: einige waren sehr präzise, andere verschwommen, als seien sie erst im Begriff, sich zu präzisieren. Insgesamt hatten die Dinge in dieser Erfahrung der vergangenen Nacht eine gewisse Präzision. Ich selber war wie etwas sehr viel Größeres außerhalb, und ich lachte, sprach mit allen, aber keiner bemerkte mein Tun. Sie schienen mir nur so groß zu sein (10 cm), ganz klein. Aber äußerst lebhaft: sie kamen und gingen, waren aktiv... Ich sprach mit ihnen, aber sie wußten nicht, woher die Stimme kam. Ich lachte und amüsierte mich. Einigen sagte ich: "Aha, siehst du, so stellst du dir die Dinge vor!" All das war... Oh, wenn ich mich ins letzte Jahr zurückversetze, so besteht vom Standpunkt des BEWUSSTSEINS aus ein ungeheurer Unterschied. Vorher waren alle Bewegungen nichts als Reflexe, Instinkte, als würden die Menschen von einer ihnen völlig unbewußten Kraft getrieben, die sie meistens als ihren "Charakter" oder ihr Schicksal betrachteten (entweder als ihren Charakter oder ihr Schicksal). Sie waren alle wie Marionetten an Lauffäden. Jetzt sind es bewußte Wesen – sie FANGEN AN, bewußt zu werden.

Das Verhältnis hat sich verlagert.

Eben dieses Verhältnis konnte ich ihnen zeigen: den Unterschied zwischen der bewußten, gewollten Bewegung, die sich selbst beobachtet, und diesem fast unbewußten Instinkt, der einer Kraft gehorcht, die ihn ZWINGT und von der man weder weiß, woher sie kommt, noch was sie beabsichtigt, oder sonstwas – man gehorcht.

Einige hatten noch ganz verschwommene, neblige Räume; bei anderen waren sie präzise, manche Einzelheiten waren sogar sehr präzise und hell, sie besaßen ein Licht – ein beginnendes Licht.

Wenn das so weitergeht, ist es gut. Es wird vieles ändern.

War es im Unterbewußtsein der Individuen?

Ja, von Individuen.

Es handelt sich also nicht um ihr erwachtes Bewußtsein?

Nein, nein! Nicht Individuen, wie sie sich selbst kennen, sondern ihr Unterbewußtsein. Es spielt sich im Unterbewußtsein ab. Das Unterbewußtsein stellt einen Bereich dar, so wie das Materielle ein eigener Bereich ist – es spielt sich im Unterbewußtsein ab.

Es gab große Anstrengungen, Konzentrationen, Meditationen und Gebete, um hier Klarheit zu schaffen und all diese halbbewußten Reflexe unter Kontrolle zu bekommen, von denen die Individuen beherrscht werden – eine große Konzentration zielt auf diesen Punkt ab, und diese Erfahrung scheint das Resultat davon zu sein.

Viele Dinge im Leben nimmt man nicht einmal wahr (wenn man ein gewöhnliches Leben lebt, bemerkt man sie gar nicht). Ein ganzer Bereich von Dingen ist absolut... nicht vollkommen unbewußt, aber gewiß nicht bewußt; es sind Reflexe – Reflexe, Reaktionen auf Reize usw.; dann die Reaktion (die halbbewußte, kaum bewußte Reaktion) auf den Druck, den die Kraft von oben ausübt und deren man sich überhaupt nicht bewußt ist. Das Studium dieses Problems steht für mich derzeit auf der Tagesordnung; ich befasse mich sehr intensiv damit. Ein Studium in jeder Sekunde... Siehst du, für den Herrn gibt es verschiedene Arten, anwesend zu sein, das ist sehr interessant (der Unterschied besteht nicht für Ihn sondern für uns!), und das Ganze hängt genau von den vielen gewohnten Reflexbewegungen ab, die fast außerhalb unserer Beobachtung ablaufen (im allgemeinen völlig außerhalb). Das hat mich sehr intensiv beschäftigt: die verschiedenen Arten, die Anwesenheit des Herrn zu fühlen. Da ist eine Art, in der man sie wie etwas Vages fühlt, obgleich man sich ihrer sicher ist – man ist sich ihrer immer sicher, nur das Gefühl ist vage und etwas verschwommen; in anderen Augenblicken ist es eine intensiv spürbare Präsenz 2 (Mutter berührt ihr Gesicht), sehr präzise zugegen in allem, was man tut, was man fühlt und was man ist. Dazwischen liegt eine ganze Skala. Wenn man dieser Richtung folgt (Geste, die sich in der Ferne verliert), kann man das Maß jener erkennen, die so weit entfernt sind, daß sie überhaupt nichts mehr fühlen.

Diese Erfahrung veranlaßte mich gestern, etwas zu notieren (die Erfahrung selbst erstreckte sich über mehrere Tage), ich notierte dies auf englisch und französisch, sozusagen als Resultat der verrichteten Arbeit:

"Il n'y a pas d'autre vice, pas d'autre péché
que d'être loin de Toi."

 

[Es gibt kein anderes Laster, keine andere Sünde,
als fern von Dir zu sein.]

Die ganze Welt, das Universum erschien mir so, und an jedem Punkt (der keinen Raum einnimmt), an jedem Punkt des Universums und im Universum als Ganzes ist es so; nicht, daß es nahe und ferne Bereiche im Universum gäbe, nein (dies liegt außerhalb des Raumes), sondern es besteht eine ganze Rangfolge des Naheseins, bis hin zu dem Punkt, wo nichts mehr empfunden und nichts mehr gewußt wird – es liegt nicht außerhalb, denn nichts befindet sich außerhalb des Herrn, aber es ist wie eine äußerste Grenze: so weit, so unendlich weit entfernt – und völlig schwarz –, daß Er es sozusagen nicht mehr berührt.

Dies war eine ausgesprochen globale Vision und eine so intensive Erfahrung, daß es das einzig Wahre zu sein schien. Es nahm keinen Raum ein, und dennoch bestand dieses Gefühl von Nähe und Fernsein. Da war gleichsam ein Sammelpunkt oder ein Zentrum (aber es war überall), der Höhepunkt vom "Du" – "rein Du". Es hatte eine besondere Beschaffenheit. Und von dort fing es an, sich immer weiter zu entfernen, wodurch eine Art Mischung mit etwas entstand, das nichts war, nicht existierte, das aber seine Schwingung, seine Intensität veränderte und sich immer weiter entfernte bis hin zur... Finsternis – zu einer unbewußten Finsternis.

Daraufhin hörte ich immer wieder: Es gibt keine andere Sünde... (denn es kam nach dem Lesen einiger Verse in Savitri über die Verherrlichung der Sünde in der vitalen Welt – daraus ergaben sich diese Worte)... Es gibt keine andere Sünde, es gibt kein anderes Laster, als fern von Dir zu sein.

Das schien alles zu erklären.

Dann auf englisch:

There is no other sin, no other vice
than to be far from Thee.

Es war nicht ich, die das schrieb! Da ist kein Ich drin: es kommt einfach so.

Das far from Thee [fern von Dir] beinhaltet eine so intensive Vibration, daß es eine sehr konkrete Bedeutung annimmt.

Dies ist die einzige Sache: alles übrige, alle Moralvorstellungen, alles, alles, selbst das, was man sich unter Unwissenheit vorstellt, erscheint als mentales Geschwätz. Diese Erfahrung ist fabelhaft. Far from Thee...

 

1 Siehe Agenda vom 3. Februar 1958, Band 1, S. 134ff.

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2 Mutter kommentierte und vervollständigte diesen Abschnitt im nächsten Gespräch, am 11. Dezember.

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