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Mutters

Agenda

vierten Band

21. Dezember 1963

(Über die "Freuden" der tantrischen Disziplin, als Satprem noch am siebentausendsten oder vielleicht siebenhunderttausendsten tantrischen Yantra kritzelte.)

... Es stimmt übrigens, daß mich von Zeit zu Zeit ein Gefühl der Revolte packt, aber immer mehr stecke ich in einer Art Nichts – es bleiben nicht mehr viele Dinge, die einen Sinn haben. Ich hing sehr am Leben, ich liebte das Leben, ich fand das Leben schön – das ist vorbei.

Oh, ja! Ich verstehe!

Aber war nicht trotzdem etwas Gutes an dieser Liebe zum Leben?

Ja... aber später, wenn es anders geworden ist, als es jetzt ist.

Das ist verschwunden. Würde man mir sagen: "Morgen mußt du sterben", wäre mir das völlig egal.

Ja, ich verstehe!

Das ist übrigens die beinahe unerläßliche Voraussetzung, um ein anderes Leben leben zu können, während man dennoch hier bleibt. Das ist unabdingbar, mein Kind, solange man noch "Geschmack am Leben" findet, wird man hin und her geworfen und gerüttelt... Ich sehe das als einen GROSSEN Fortschritt an.

In der Hinsicht geht es gut.

Die Liebe zum Leben könnte man als einen Vorgeschmack dessen bezeichnen, was sein wird, sie ist aber dem gegenwärtigen Zustand überhaupt nicht angemessen.

(Schweigen)

Wenn man die Gewißheit hat, daß die Wahrheit des Wesens im Ananda, in der Freude, im Erblühen liegt, wenn man diese innere Gewißheit besitzt und das gegenwärtige Leben betrachtet, dann erscheint es einem als etwas Unglaubliches (nicht die Gewißheit, sondern das gegenwärtige Leben!), eine solche Entstellung.

Gerade dieser Tage fiel mir das auf. Außer Sri Aurobindo bin ich in meinem Leben fast nur unzufriedenen Leuten begegnet. In einigen besonderen Fällen (Leute, die mir in dauerhafterer Weise nahestanden) handelte es sich entweder um Aufständische oder Menschen, die dem Leben, so wie es jetzt ist, schrecklich bitter gegenüberstehen – was ganz im Gegensatz zu meiner Natur steht. Ich neige eher zur Seite jener, die die Dinge sehr philosophisch nehmen, und dies schon als kleines Kind. Ich sah mir das in den letzten Tagen an und fragte mich: "Warum ist es so gekommen?"

Ich merkte, daß diese Haltung oder Auffassungsweise wie eine Festung der Widerstände gegen die Transformation ist.

(Schweigen)

Heute morgen notierte ich mir zwei Beobachtungen und legte sie auf den Tisch, um sie dir vorzulesen (es waren "Bemerkungen", "Beobachtungen"); dann wurde mir aber klar gesagt, es sei zwar sehr gut, dieses äußerst feine Unterscheidungsvermögen zu besitzen, das alle Widerstände gegen die göttliche Wahrheit wahrnimmt, um nicht enttäuscht zu werden (und sich vor allem nicht selbst zu täuschen), aber jedesmal, wenn man die Existenz dieser Dinge betone, verleihe man ihnen eine MACHT ZU SEIN, die ihre Existenz nur steigert und fortsetzt. Deshalb nahm ich die Notizen und warf sie in den Papierkorb. (Mutter lacht) Sie waren das Ergebnis der Studien und Beobachtungen der letzten Tage.

Solange Sri Aurobindo noch hier war, konnte dies nicht an mich herankommen, denn ich verließ mich auf ihn, was die präzise Wahrnehmung dessen betraf, was zu sein oder zu verschwinden hatte. So lag es weit ab von meinem Bewußtsein, ich kümmerte mich nicht darum. Es kehrte erst wieder zurück, als ich die ganze Arbeit selber übernehmen mußte.

Könnte man sich stets klar und lebendig im Bewußtsein vergegenwärtigen, WAS ZU SEIN HAT, nicht in der Illusion, es sei bereits so (hier darf es keine Illusionen geben), sondern mit einer klaren, positiven Vision dessen, was zu sein hat, trotz allem, was dagegen spricht, dann wäre man sehr stark. Diese Notwendigkeit beginnt zwingend zu werden – dies wird jetzt von mir verlangt. Man WEISS, daß es nicht so ist, wie es sein soll (weiß Gott, man weiß es!), aber diese Verleugnungen willentlich zu ignorieren, um die Vision dessen, was zu sein hat, AKTIV im Bewußtsein wachzuhalten – das empfinde ich als wahre schöpferische Kraft.

Die Tatsache, den physischen Beistand von Sri Aurobindos Anwesenheit verloren zu haben, war ein Schlag, der tödlich hätte sein können (ich verhinderte, daß er tödlich wurde, indem ich eine Tür verschloß, weil er mich bat weiterzumachen und ich beschlossen hatte weiterzumachen), aber dadurch wurden gewisse Dinge erschwert, denn es erforderte eine ständige Wahrnehmung dessen, was zu tun ist, und eine ständige Anstrengung, das, was ist, in das umzuwandeln, was es zu sein hat... Wahrscheinlich muß dieses Stadium der Arbeit jetzt abgeschlossen werden, und er erwartet von mir die Befähigung, auf der positiven Seite zu leben. Unglücklicherweise ist der Körper selbst eine Art Widerspruch – doch mir wurde nahegelegt, daß diese Widersprüche des Körpers darauf zurückzuführen seien, daß ich sämtliche Widersprüche im Bewußtsein akzeptiere und sie daher auch im Körper fortbestehen. Anstatt den Körper zu betrachten und zu sagen: "Ach, das ist immer noch da!" (diese Beschränktheit, jene Enge), sollte ich nur das betrachten, WAS SEIN SOLL, und dadurch wäre der Körper gezwungen zu folgen.

Dies scheint die Vorbereitung auf das Programm des kommenden Jahres zu sein – um dahin zu gelangen, bleibt noch ein langer Weg zu gehen. Aber wir haben ja noch ein paar Tage!

Wieviele Siege mir noch vorenthalten bleiben! Offensichtlich basiert dies auf einer Unfähigkeit, ich stoße da auf Grenzen; das muß an einer noch nicht ganz angemessenen Haltung liegen.

Die Anwesenheit des Herrn und sein Wirken sind beinahe ständig präsent, denn die Augenblicke, wo... Es zieht sich nie zurück, aber die Augenblicke, wo Das nicht aktiv ist, wo Das ein wenig passiv wird, sind viel weniger häufig als die Augenblicke, wo Es aktiv ist – weitaus weniger, kein Vergleich. Dennoch stellt sich das entsprechende Resultat nicht ein. Da sich Das dieses Körpers und dieser Atmosphäre (von Mutter) bedient, muß hier also etwas sein, das abschwächt, vermindert, verzerrt... Ich könnte sehr präzise, konkrete Beispiele nennen, aber da sie gewisse Leute betreffen, spreche ich nicht darüber. Das veranlaßte mich zu suchen: Warum denn nur?...

Ich habe den Eindruck, daß irgend etwas dieses so präzise, so zwingende Unterscheidungsvermögen aus meinem aktiven Bewußtsein verdrängen will. Es ist überaus präzise und getragen von einer Vision... (so wie ich kürzlich die Vision der Nähe und der Entfernung vom Zentrum hatte), eine Vision von fast mikroskopischer Genauigkeit. Offensichtlich bedeutet es eine Hilfe, um all das zu beseitigen, was nicht sein darf, doch nun soll es in den Hintergrund treten, damit das aktive Bewußtsein ständig und fast ausschließlich nur das sieht, WAS SEIN SOLL.

So entstehen zeitweilig eliminierende, zurückweisende Bewegungen, (sekundenlange) transformierende Bewegungen, gefolgt von konstruktiven Bewegungen – jetzt scheint der Augenblick gekommen, in die konstruktive Bewegung einzuschwenken.

Das körperliche Bewußtsein ist noch äußerst zaghaft; zaghaft in dem Sinne, daß es kein Selbstvertrauen hat. Es meint, wenn es nicht ständig wachsam schaue und schaue, beobachte und unterscheide, könnten Dinge geschehen (Geste nach unten), die nicht geschehen dürfen. Das verzögert alles. Und dennoch verstärkt sich die Gewißheit immer mehr: keine Kritik, nur keine Kritik, nicht sehen, was nicht sein darf – nur das sehen, WAS SEIN SOLL.

Dies bedeutet einen großen Sieg, den es zu erringen gilt, einen großen Sieg.

Dieser ist um so größer, um so schwieriger, als ich ausschließlich von Leuten umgeben bin, die auf der anderen Seite stehen (sicherlich entspricht dies einer Notwendigkeit für die Arbeit). Ich habe keinen einzigen Optimisten um mich herum. Alles, was man mir sagt, alles, was man mir bringt, ist immer die mehr oder weniger klare, mehr oder weniger vollständige Ansicht dessen, was verschwinden muß; aber die Vision dessen, was sein soll, habe ich nie vorgefunden, außer bei Sri Aurobindo.

Nur von Zeit zu Zeit und nur wenn er schrieb (nie wenn er sprach), konnte man einen blitzartigen Anflug dieses scharfen Unterscheidungsvermögens bei ihm finden, wie in dem Text, den wir das letzte Mal übersetzten. Ansonsten, wenn er sprach oder mit Leuten zusammen war, kam es nie zu einer negativen Kritik.

Er war der einzige.

Seit meiner frühesten Kindheit (mit fünf, meinen Erinnerungen an dieses Alter), also seit mehr als achtzig Jahren war ich immer nur von Leuten umgeben, die mir Auflehnung und Unzufriedenheit im Übermaß entgegenbrachten, und es kommen immer mehr Fälle von extremer Undankbarkeit dazu (einige davon waren und sind immer noch sehr akut) – nicht mir gegenüber, was überhaupt keine Bedeutung hätte, sondern dem Göttlichen gegenüber. Die Undankbarkeit ist etwas, das mich oft sehr schmerzte: daß so etwas sein kann. Sie gehört zu den Dingen, die mir im Leben am... unerträglichsten erschienen, diese ätzende Bitterkeit dem Göttlichen gegenüber, weil die Dinge so sind, wie sie sind, weil dieses ganze Leid zugelassen wurde. Das nimmt mehr oder weniger unwissende, mehr oder weniger intellektuelle Formen an... aber immer verbunden mit dieser Bitterkeit. Manchmal nimmt es auch persönliche Formen an, was den Kampf noch mehr erschwert, denn hier dürfen keine persönlichen Fragen hineinspielen – das ist keine persönliche Frage, es ist ein IRRTUM zu denken, es gebe irgendeine "persönliche" Regung auf der Welt. Das unwissende Bewußtsein des Menschen läßt sie persönlich erscheinen, aber sie sind es nicht: es sind irdische Verhaltensweisen.

Diese Bitterkeit kam mit dem Mental. Die Tiere haben das nicht. Aus diesem Grunde spüre ich auch bei den angeblich wildesten Tieren eine Sanftheit, die im Menschen nicht existiert.

(langes Schweigen)

Andererseits erzeugt von allen Regungen eine spontane Dankbarkeit die größte Freude – eine unvermischte Freude, ohne diese egoistische Färbung.

Die spontane Dankbarkeit ist etwas ganz Besonderes. Nicht Liebe, nicht Hingabe... Sie bringt eine sehr VOLLE Freude. Sehr voll.

Eine ganz besondere Schwingung, ohne ihresgleichen. Sie erweitert einen, erfüllt einen – sie ist so innig!

Gewiß ist sie unter allen dem menschlichen Bewußtsein zugänglichen Regungen jene, die einen am ehesten über das Ego hinausgelangen läßt.

Und wenn es gar eine Dankbarkeit ohne Motiv sein kann, entsteht eine Schwingung... im Grunde die Schwingung, die das Existierende für die Ursache der Existenz empfindet... Dann verschwinden augenblicklich viele, viele Barrieren.

(Mutter verharrt lange in Betrachtung
dieser Schwingung der Dankbarkeit)

Wenn man diese Schwingung in all ihrer Reinheit erlangen kann, erkennt man gleich, daß es eine Schwingung von gleichem Range wie die der Liebe ist: sie hat keine Richtung. Sie geht nicht von einem zum andern, von hier nach dort (Geste von unten nach oben) oder von dort nach hier... sie ist (volle Geste) gleichzeitig und allumfassend.

Ich will damit sagen, daß sie nicht zweier Pole bedarf, um zu existieren, daß sie nicht von einem Pol zum andern hin und herfließt; diese Schwingung ist in ihrer Reinheit genau dieselbe wie die der Liebe, die auch nicht von hier nach dort zwischen den beiden Polen der Existenz wechselt.

Sie existiert in sich selbst, zu ihrer eigenen Daseinsfreude. (Und was ich hier sage, ist noch sehr abgeschwächt.)

So wie die Liebe.

Die Menschen haben bis zum Überdruß behauptet, ohne diese beiden Pole könne nichts existieren, diese beiden Pole seien die Ursache der Existenz, alles würde sich um sie drehen (Mutter schüttelt den Kopf), aber das stimmt nicht. Der Mensch kann in seinem gewöhnlichen Bewußtsein einfach nichts verstehen, was darüber hinausgeht. Aber in der Essenz ist das jedenfalls nicht so (Mutter schüttelt wieder den Kopf).

Im Grunde ist die Dankbarkeit nur eine leicht abweichende Nuance von der essentiellen Schwingung der Liebe.

(Meditation)

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