Mutters
Agenda
fünften Band
(Mutter zeigt Satprem eine Skizze, die sie soeben zeichnete, um einen Abschnitt aus Savitri zu illustrieren, in dem Sri Aurobindo vom "sardonischen Lachen Gottes" spricht:)
Ich wollte dieses "sardonische Lachen" des Herrn sehen! So schaute ich, und anstelle eines sardonischen Lachens erblickte ich ein Gesicht... mit einem solch tiefen Schmerz – so tief und ernst – und voller Mitgefühl... Danach sagte ich mir (du erinnerst dich, es war da drüben 1, ich sah dies): "Die Falschheit ist der Schmerz des Herrn." Es war natürlich in der Erfahrung begründet, daß alles der Herr ist – es gibt nichts, was der Herr nicht sein könnte. Was bedeutet also dieses "sardonische Lachen"?... Ich schaute mir das an und erblickte dieses Gesicht.
Ich sollte als Vorlagen für Hs Gemälde Skizzen erstellen, und so machte ich die Skizze: "Die Falschheit ist der Schmerz des Herrn".
(Mutter zeigt Satprem die Skizze, die das schmerzvolle Gesicht des Herrn darstellt.Langes Schweigen)
Sri Aurobindo hatte das Gefühl oder die Empfindung, daß das, was am weitesten vom Herrn entfernt ist... (ich stütze mich dabei die ganze Zeit auf diese Erfahrung, die sich sehr konkret als Empfindung der "Nähe" oder des "Entferntseins" äußert – keine gefühlsmäßige Entfernung, durchaus nicht, sondern etwas wie eine materielle Tatsache, allerdings keine räumliche Entfernung), nun, Sri Aurobindo selbst hatte den Eindruck, die Grausamkeit sei am weitesten entfernt. Davon fühlte er sich am fernsten, diese Schwingung schien ihm am weitesten weg von jener des Herrn.
Und trotzdem, es scheint sonderbar, aber selbst in der Grausamkeit spürt man noch die Schwingung der Liebe, einer entstellten Liebe. Weit hinter oder tief innerhalb dieser Schwingung der Grausamkeit existiert immer noch die Schwingung der Liebe – in deformierter Form. Und die Falschheit – die wirkliche Falschheit, die nicht von der Angst herrührt und von nichts sonst, für die kein Grund besteht –, die wirkliche Falschheit, die Negation der Wahrheit (die GEWOLLTE Negation der Wahrheit), ist für mich etwas völlig Schwarzes und Lebloses. Diesen Eindruck gibt sie mir. Sie ist schwarz, schwärzer als die schwärzeste Kohle, und sie ist leblos – leblos, ohne jegliche Reaktion.
Als ich diese Beschreibung in Savitri las 2, empfand ich einen Schmerz, den zu empfinden ich, wie ich glaubte, seit langer Zeit nicht mehr fähig war – seit langer Zeit. Ich glaubte (wie soll ich sagen?), von dieser Möglichkeit geheilt zu sein. Und das letzte Mal, als ich dies sah, erkannte ich, daß sie immer noch existierte, und als ich hinschaute, erkannte ich diesen selben Schmerz in dem Herrn, in Seinem Gesicht, Seinem Ausdruck.
Die willentliche Negierung all dessen, was göttlich ist – all dessen, was wir göttlich nennen.
Das Göttliche ist für uns immer die noch nicht manifestierte Vollkommenheit, alle noch nicht manifestierten Wunder, die sich immer noch weiter entfalten müssen.
Das äußerste Ende der Manifestation (wenn man von einer progressiven Herabkunft ausgeht, was möglich ist, ich weiß es nicht... Es gibt so viele Wahrnehmungen von dem, was passiert ist, und manchmal auch widersprüchliche Wahrnehmungen, immer unvollkommene und vermenschlichte Wahrnehmungen), aber wenn man den Aspekt der Evolution ins Auge faßt, neigt man dazu, von einem äußersten Ende auszugehen, von dem aus man auf ein anderes äußerstes Ende hinschreitet (das ist offensichtlich kindisch, na ja...), oder eine äußerste Seinsart, die sich in Richtung auf die entgegengesetzte Seinsart entwickelt. Nun denn, was mir am Schwärzesten, am Leblosesten erscheint, als vollständige Verneinung dessen, was wir anstreben, ist das, was die Falschheit ausmacht.
Das heißt, vielleicht ist es das, was ich als Falschheit bezeichne, denn die menschliche Falschheit ist immer eine Mischung aus allen möglichen Dingen; die eigentliche Falschheit hingegen ist folgendes: Sie ist die Behauptung, daß Gott nicht existiert, das Leben nicht existiert, das Licht nicht existiert, die Liebe nicht existiert, der Fortschritt nicht existiert – Licht, Leben und Liebe existieren nicht. 3 Ein negatives Nichts, ein dunkles Nichts. Vielleicht ist es dieses Etwas, das sich an die Evolution klammerte und die Dunkelheit erschuf, welche das Licht verneinte, und den Tod, der das Leben verneinte, und auch den Haß und die Grausamkeit, all das, was die Liebe verneinte – aber das ist schon verdünnt, das befindet sich schon in einem verdünnten Zustand, es ist bereits eine Vermischung.
Oh, wenn man daraus Dichtung machen wollte (dies ist keine philosophische und auch keine spirituelle Betrachtungsweise mehr, sondern eine bildliche Art zu sehen), würde man sich einen Herrn vorstellen, der die Totalität aller möglichen und unmöglichen Möglichkeiten in sich schließt und sich auf der Suche nach einer Reinheit und Vollkommenheit befindet, die niemals erreicht werden können und immer weiter fortschreiten... und der Herr würde sich im Laufe der Manifestation von all dem befreien, was seine Entfaltung erschwert – Er begänne mit dem Scheußlichsten. Verstehst du das?... Totale Nacht, totale Unbewußtheit, totaler Haß (nein, der Haß impliziert noch, daß es die Liebe gibt), die Unfähigkeit zu fühlen. Das Nichts.
Wir sind auf dem Weg. Es bleibt mir immer noch ein wenig davon (von diesem totalen Unbewußtsein)...
Ach, machen wir uns an die Arbeit!
1 Im Musikzimmer, am 31. Dezember 1963.
2 "A tract he reached unbuilt and owned by none ..." (II.VII.206) [Er stieß auf eine noch unbebaute Gegend, welche niemandem gehörte] Siehe Gespräch vom 31.12.1963, Agenda Bd. 4, S. 418.
3 Es handelt sich weder um eine intellektuelle noch eine menschliche Verneinung, sondern um eine materielle Tatsache, die man ganz nahe an den Wurzeln des Lebens entdeckt, im materiellsten Bewußtsein, das sich als Abgrund aus schwarzem und erstickendem Basalt zeigt. Diese Art Verneinung ist eng mit dem Tod verknüpft. Sie ist das eigentliche Geheimnis des Todes.