SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 05 Bande

Mutters

Agenda

fünften Band

28. Juli 1964

(Die Rede ist von Doktor S, der nach Amerika gereist war, um sich einer Gehirnoperation zu unterziehen. Die Operation besteht aus dem Einführen einer Nadel in den kranken Teil und der Injektion von flüssigem Sauerstoff, um die betroffene Zellgruppe zu zerstören. Die erste Operation fand vor drei Monaten statt, und die zweite war für die nächsten Tage angesetzt.)

Ich habe soeben einen langen Brief von Doktor S erhalten... Wie du weißt, war er auf der einen Seite operiert worden, und dann... Um interessant zu sein, müßte die Geschichte von Anfang an erzählt werden:

Als er vor seiner Abreise nach Amerika mit mir über diese Operation sprach, sah ich sofort, daß sie nicht nur gefährlich sein würde (das war offensichtlich, und er wußte es selber), sondern auch nicht endgültig sein konnte; eine Operation allein würde jedenfalls nicht ausreichen. Als er mit der Begeisterung von jemandem darüber sprach, der sein Heil darin erblickt, fragte ich ihn: "Sind Sie sicher, daß es definitiv sein wird, daß eine Operation genügt und die Sache nicht wiederkommt?" Er wurde beinahe zornig! Er dachte wohl, ich sei (lachend) eine Ungläubige der medizinischen Wissenschaft!

Jedenfalls ging er doch.

Nach seiner Ankunft sagte man ihm sofort, daß man beide Seiten operieren müsse, da die Krankheit beide Seiten in Mitleidenschaft gezogen habe: Die erste Operation würde auf der rechten Seite durchgeführt, um die linke Seite zu heilen, dann, nach einem halben oder einem ganzen Jahr, würde auf der linken Seite operiert, um die rechte zu heilen – das war die erste Enttäuschung.

Die Operation war extrem schmerzhaft und dauerte vier Stunden; das Resultat war, was ich vorausgesehen hatte, nämlich eine Lähmung (alles, was sie zustande bringen, ist eine Lähmung, worauf der Schaden durch eine Bewegungstherapie wieder behoben werden muß).

Immerhin scheint das letztere geklappt zu haben. Und der amerikanische Arzt sagte ihm, es sei lediglich eine Willenssache... Du siehst also, wie sehr diese Operation, die definitiv und absolut hätte wirken sollen, vom Zufall abhing.

Schließlich sagte ihm der amerikanische Arzt: "Auf jeden Fall können wir vor drei Monaten nichts mehr unternehmen." So wartete er dort drei Monate. Während dieser ganzen Zeit sah ich andauernd, daß die zweite Operation seinen Tod bedeuten würde. Auch wußte ich, daß es keinen Sinn hatte, ihm dies zu schreiben, da dies nur eine Atmosphäre von distrust [Mißtrauen] geschaffen hätte. Ich richtete also eine Formation nach der andern auf den amerikanischen Arzt. Schließlich bat mich S um einen Talisman für die zweite Operation – ich schickte ihm diesen unverzüglich, begleitet von einer großen Konzentration an Kraft, damit die Sache nicht tödlich enden würde.

Vor wenigen Tagen, am 20. Juli, geht S für die zweite Operation ins Spital. Der amerikanische Arzt beobachtet ihn ein, zwei Tage und sagt ihm dann: "Ich kann nicht, ich gehe dieses Risiko nicht ein"... Es scheint, daß er in den letzten drei Monaten mehrere Personen zum zweiten Mal operiert hatte – auf der anderen Seite, wie bei S –, und es trat entweder eine Hirnblutung, eine Lähmung oder gar der Tod ein. Der amerikanische Arzt erklärte: "Ich gehe kein Risiko mehr ein." S erwiderte: "Das ist mir egal, ich sterbe lieber, als verkrüppelt zu sein." Worauf dieser sehr kluge amerikanische Arzt erwiderte: "Ich unternehme nichts ohne die Erlaubnis Ihrer "Mutter"!" In der Folge schickte man mir ein Telegramm, in dem zu lesen war, daß der amerikanische Arzt sich weigere zu operieren, da es zu gefährlich sei, und man bat mich um meinen Rat. Ich antwortete: "No operation."

Gleichzeitig traf ein Telegramm von E ein (sie hatte vorgehabt, der Operation beizuwohnen), eine frohlockende Botschaft, die besagte, dies sei für sie ein Beweis, daß S nicht durch die Kunst der Chirurgie, sondern durch eine supramentale Intervention geheilt werden würde. Dasselbe sagte sie auch S, der nicht ganz glücklich darüber war (!) Jedenfalls kommt er nun wieder zurück.

Aber in diesem Fall war die Aktion der Kraft so präzis... Gleichzeitig hatte ich eine andere Erfahrung (eine viel persönlichere und subjektivere), die mir meine Wahrnehmung bestätigte... Hast du Rodogune von Sri Aurobindo gelesen?... In Rodogune kommt eine Szene vor, in der ein Eremit einem jungen Prinzen begegnet und folgende Worte ausspricht: "Dieser Mann ist von der Atmosphäre einer Person umgeben, die zum Sterben bestimmt ist" (der Prinz hatte soeben einen großen Sieg errungen, alles war jedenfalls zum besten bestellt, und er hatte beschlossen, an den und den Ort zu gehen; zu diesem Zeitpunkt sprach der Eremit diese Worte). Als ich das las, versuchte ich, den Kontakt mit dieser Schwingung herzustellen, die der Eremit "die Atmosphäre eines zum Sterben bestimmten Menschen" nannte. Und als ich dann den Brief von S erhielt, mit der Mitteilung, er sei sicher, daß mit dem Talisman alles gut ausgehen würde, stellte sich genau dieselbe Schwingung ein. Diese Art Frohlocken, die Geltendmachung einer Kraft und Macht, und dahinter genau dieselbe Sache. Das bestätigte mich in dem, was ich wahrgenommen hatte.

Aber ich war sehr glücklich über die Empfänglichkeit des amerikanischen Arztes.

Und als ich das Telegramm von E erhielt, in dem stand, dies sei der Beweis dafür, daß S durch eine supramentale Intervention und nicht durch die Chirurgie geheilt werden würde, schien ein Licht durch ihr Telegramm – E ist eine sehr schwärmerisch veranlagte Person, aber auf einmal sah ich das Licht einer Offenbarung. Darauf sagte ich mir: "Ah, deswegen."

Aber (lachend) S ist nicht allzu begeistert! – er hat eben keinen Glauben. Er sagt, er sei "sehr glücklich darüber... to be worthy of this grace" [dieser Gnade würdig zu sein], anstatt zu sagen: "Ich habe den Glauben, daß die Gnade ..." Das ist eine höfliche Art zu sagen (Mutter lacht): "Ich glaube nicht daran."

Er wird also verkrüppelt zurückkehren.

Eine Seite ist geheilt.

Die linke Seite. Und der amerikanische Arzt ist nicht sehr zufrieden mit dem Ausmaß der Heilung... Dies bedeutet, daß die Dinge wie immer – egal was sie auf der Welt zu sein scheinen – wenn sie mit dem Licht, d.h. einer konzentrierten Wahrheit, in Berührung gebracht werden, sich in ihrer absoluten Realität zeigen: Das ganze Tamtam, das man um diese Operation gemacht hatte, und die ganze Illusion, die sich an diese mirakulöse Heilkraft der Chirurgie geheftet hatte, verflogen im Nu. Laut Brief von S ist der amerikanische Arzt selbst erschüttert und hat den Glauben an die Absolutheit seines Systems verloren. Aber gleich von Anfang an sah ich, daß darin höchstens 60 Prozent Wahrheit enthalten war. Ein ganzes Feld lag noch im Dunkeln, das man bewußt ignorierte, das sich aber deutlich bemerkbar machte, damit es erkannt würde. Für Doktor S ist es dasselbe: "Ein Arzt KONNTE sich keinen Illusionen hingeben", und er wollte es nicht wahrhaben. Als ich ihm sagte, daß eine einzige Operation vielleicht nicht genügen würde, wurde er beinahe zornig: "Warum sagen Sie so etwas!" (Mutter lacht) Er wußte es ebensogut wie ich, aber er wollte es nicht wahrhaben.

Er wird durch eine schreckliche Erfahrung gegangen sein.

Oh ja, und eine sehr gefährliche – darüber war er sich im klaren. Aber ich verstehe bis zu einem gewissen Grad: ein Chirurg, der sich nicht mehr auf seine Hände verlassen kann... 1

Nur sah ich von Anfang an, daß man ihn nicht heilen konnte, weil er keinen wirklichen Glauben besaß. Er hat eine Art verschwommenes Wissen, daß hinter den materiellen Dingen "gewisse Kräfte" liegen, aber trotz alledem ist für ihn die Materie und ihr Mechanismus die konkrete Realität, somit müssen die Heilmittel mechanischer Natur sein. Ich versuchte nämlich mehrere Male, ihn zu heilen, aber es war keine Empfänglichkeit vorhanden, überhaupt keine – weißt du, wie ein Stein.

Vielleicht ist es jetzt damit besser bestellt.

Falls er auf supramentale Art geheilt werden soll, fühle ich mich auf jeden Fall nicht berufen, dies zu tun, denn er hat kein Vertrauen in mich – er mag mich zwar sehr lieben, er hat eine Art... Anbetung, nein, eher ein worshipful feeling [Gefühl der Verehrung] für einen Gott, der gewiß sehr freundlich (!) ist, aber (lachend) von dem man nicht allzuviel erwarten darf: "Er weiß nicht sehr viel von den Dingen dieser Welt; ab und zu mag er einige Wunder verrichten (Mutter lacht schallend), aber das ist mirakulös!"

Es ist merkwürdig, daß er mit einer solchen Geisteshaltung hier gelandet ist.

Oh, er hat alles aufgegeben, um hierherzukommen.

Merkwürdig.

Nein, es ist zu stark in ihm verankert: der innere Ruf ist sehr stark; der äußere Verstand verhüllt alles.

Er hat alles aufgegeben, aber er weiß verteufelt gut, daß er alles aufgegeben hat! Er ist sich seines "Opfers" sehr bewußt, d.h. in seinem Bewußtsein besteht keine Entsprechung zwischen dem, was er gab, und dem, was er empfing – was er gab, war wie etwas, das man für einen zukünftigen Gewinn aufs Spiel setzt.

Jedenfalls wird er nun zurückkommen.

*
*   *

(Später sortiert Satprem verschiedene zerstreute Papiere von Mutter, unvollständige Notizen etc., und dabei stößt er auf diese Zeilen:)

"Jeder Augenblick enthält das Gleichgewicht aller gleichzeitig bestehenden Möglichkeiten."

Das war eine Erfahrung.

Es läuft darauf hinaus, daß man in jedem Moment alles verändern kann; wenn eine Kraft eingreift und dieses Gleichgewicht verändert, ändern sich gleichzeitig alle Konsequenzen.

Das bedeutet, daß weder ein Determinismus noch ein Gesetz von "Ursache und Wirkung" oder sonst etwas existiert – es gibt wohl einen Determinismus, aber nur einen äußeren.

(ein anderes Notizbruchstück:)

"Sri Aurobindo sagte N im T raum, daß am sechsten Dezember ein großer Wandel stattfinden werde."

 

1 Er litt an der Parkinson'schen Krankheit.

Rückwärts zum Text

in French

in English