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Mutters

Agenda

fünften Band

23. September 1964

(Im Zusammenhang mit einem Schüler, der sich einer tantrischen Disziplin unterwirft:)

..."Er" hat ihn vollkommen abgestumpft. Er muß sechs bis sieben Stunden Japa pro Tag üben.

In bestimmter Hinsicht ist das schon gut, denn W war nie fähig, die Dinge durchzuziehen, es ist das erste Mal, daß er durchhält. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, tut dies seinem Charakter gut. Das Ausmaß erschien mir allerdings enorm! Er muß drei Lakh 1 von diesem, vier Lakh von jenem rezitieren, sechs bis sieben Stunden Rezitation pro Tag... Das ist viel. Und die ganze Zeit sitzt man dabei in derselben Position – wenn er es wenigstens gehend tun könnte.

Ja, zu einer bestimmten Zeit tat ich das fünf bis sechs Stunden pro Tag.

Aber hatte das eine Auswirkung auf deine Selbstkontrolle?

Ich weiß nicht.

Ich auch nicht!

Ich weiß nicht, ob es die Frucht des Japas oder einfach die Frucht einer inneren Klärung ist, ich kann es nicht sagen. Ich weiß, daß beim Wiederholen des Japas eine ziemlich konzentrierte Kraft entsteht, aber es ist mir nicht klar, ob das am Japa liegt oder ganz einfach an der Tatsache, daß ich mich konzentriere. Ich kann es nicht sagen.

Oh, du sprichst von den Worten des Japas – diese Worte besitzen nur die Macht, die ihnen von vielen Generationen verliehen wurde, die sie wiederholten.

(Schweigen)

Für mich gibt es EINEN Laut, der eine wirklich außerordentliche und UNIVERSALE Macht besitzt (das letztere ist wichtig), unabhängig von der Sprache, die man spricht, unabhängig von der Erziehung, die man erhalten hat, unabhängig von der Atmosphäre, die man atmet. Und diesen einen Laut – ohne irgend etwas davon zu wissen – pflegte ich schon als Kind zu sagen (du weißt, im Französischen sagt man "oh!", nun, ich sagte "OM!" einfach so), und schon damals machte ich mit diesem Laut alle möglichen Erfahrungen – einfach phantastisch! Es ist unglaublich.

Wenn man mit Hilfe dessen sich etwas erschafft, das der eigenen Aspiration entspricht: Laute oder Worte, die FÜR EUCH einen Seelenzustand hervorrufen, dann ist es sehr gut.

Alles Herkömmliche profitiert von der Macht der Tradition, das versteht sich, aber das ist notgedrungen sehr beschränkt, mir persönlich erscheint das als verknittert und vertrocknet, als ob der ganze darin enthaltene Saft herausgepreßt worden wäre! Mit einer Ausnahme: wenn die Laute spontan einem Seelenzustand in euch entsprechen.

Ich habe festgestellt, daß dieses Japa eine sehr aktivierende Auswirkung auf das physische Mental besaß.

Das physische Mental!

Ja, denn immer, wenn ich das Japa mache, werde ich von einer Unmenge materieller Fragen bestürmt, ganz kleine materielle Dinge des Tages, die heraufgeschwemmt werden. Dinge ohne jegliches Interesse. So als ob das Japa auf dieses Mental, auf diesen Bereich des physischen Mentals wirkte.

Ja, es will dort seine Wirkung entfalten. Eben deswegen gerät man durch seine Aktion in einen Dämmerzustand – um dieses Mental abzustumpfen. Aber manche Leute lassen sich nicht abstumpfen, mein Kind!... Für den Durchschnittsmenschen geht das sicher, diesem Teil der Menschheit kann das eine Hilfe sein, aber bei jenen mit einem entwickelten Intellekt kann es keine Wirkung zeitigen.

(Hier stellt Mutter verschiedene Überlegungen zu Satprems tantrischem Guru an und beschreibt gewisse Dinge, die sie im Zusammenhang mit ihm sah:)

...Es kommt in Form von Bildern, es ist eine Art kinematographische Wahrnehmung...

(Dann fährt sie weiter:)

Es gibt einen ganzen Bereich des materiellsten, physischsten Bewußtseins (eben jenes, das an den zahllosen, winzig kleinen Aktivitäten eines jeden Tages beteiligt ist), der offensichtlich sehr schwierig zu ertragen ist. Im gewöhnlichen Leben mag das noch angehen, weil man diesem Bereich ein gewisses Interesse entgegenbringt und manchmal Vergnügen daraus schöpft – dieses ganze Leben an der Oberfläche, das zur Folge hat, daß... man sieht etwas Hübsches und freut sich daran; man ißt etwas Wohlschmeckendes, das bereitet einem Vergnügen, und schließlich all diese kleinen, flüchtigen Freuden, die einem aber immerhin helfen, die Existenz zu ertragen. Jene ohne ein inneres Bewußtsein und ohne den Bezug zu dem, was hinter all dem liegt, könnten nicht leben ohne diese kleinen Freuden. Dann sind da diese Unmengen Probleme und Problemchen, die sich stellen, Probleme der materiellen Existenz, die offensichtlich der Grund dafür sind, daß jene, die keine Wünsche mehr hatten und sich folglich auch an nichts mehr freuten, von einer einzigen Idee beherrscht waren: "Was soll das alles!" Und in der Tat, hätte man nicht das Gefühl, daß es all dies zu ertragen gilt, weil es zu etwas anderem führt, das in seiner Beschaffenheit und seinem Ausdruck völlig verschieden davon ist, wäre es so fad und kindisch, so mikrig, daß es vollends unerträglich würde. Das ist der eigentliche Grund für dieses Streben nach dem Nirvana und die Flucht aus der Welt.

Es besteht also dieses Problem, das Problem einer jeden Sekunde, dem ich in jedem Augenblick durch die entsprechende Haltung, die zur Wahren Sache führt, entgegentreten muß; und gleichzeitig besteht diese Haltung der Akzeptanz dessen, was ist – beispielsweise von dem, was zum Verfall führt: das Akzeptieren des Verfalls, der Niederlage, der Auflösung, des Schwindens der Kräfte, der Zerrüttung – all diese Dinge, die für den gewöhnlichen Menschen natürlich verabscheuungswürdig sind und gegen die er heftig reagiert. Aber da einem gesagt wird, daß alles der Ausdruck des Göttlichen Willens ist und als der Göttliche Wille angenommen werden muß, entsteht somit dieses Problem, das sich fast konstant, sozusagen in jeder Minute, stellt: Wenn man das als Ausdruck des Göttlichen Willens akzeptiert, werden die Dinge selbstverständlich ihrem natürlichen Verlauf in Richtung auf den Zerfall folgen, aber welches ist die WAHRE HALTUNG, damit man diesen vollkommenen Gleichmut in allen Umständen bewahren und gleichzeitig ein Maximum an Kraft, Macht und Willenskraft für die zu verwirklichende Vollkommenheit einsetzen kann?

Sobald man es mit der vitalen Ebene oder gar mit dem niederen Vital zu tun hat, stellt sich das Problem nicht, das ist sehr leicht; aber hier, in diesen Zellen des Körpers, in diesem Leben? Im Leben einer jeden Minute, das so beschränkt, verhärtet und mikroskopisch klein ist... Wie soll man es anstellen, wenn man weiß, das man keinen Willen einsetzen sollte, der alles zurückweist, was nach Verfall aussieht, und man gleichzeitig den Verfall nicht akzeptieren kann, weil man ihn nicht als vollkommenen Ausdruck des Göttlichen ansieht?

Das ist sehr subtil... es gilt, etwas zu finden, und offensichtlich habe ich dieses Etwas noch nicht gefunden, denn es kommt wieder und wieder... Es gibt Augenblicke, wo ich mir sage: "Oh, Friede, Friede, Friede ...", aber dann fühle ich, daß dies eine Schwäche ist. Ich sage mir: "Sich fallen lassen, an nichts denken, nicht wissen wollen", doch dann, ganz plötzlich, erhebt sich irgendwo etwas und sagt: tamas 2 .

(Schweigen)

Weißt du, mental ist dies kein Problem, all das ist geklärt, und es steht bestens damit. Aber es ist HIER, hier drinnen, man kann nicht einmal sagen, im Empfinden, weil ich nicht in den Empfindungen lebe. Es ist ein Problem des Bewußtseins, des Bewußtseins dieses Körpers.

Ich fühle sehr klar, daß das Problem nur verschwinden könnte, wenn das höchste Bewußtsein tatsächlich die Herrschaft über die Zellen übernehmen würde und diese leben, handeln und sich bewegen ließe, womit sie den Eindruck einer Allmacht erhielten, die Besitz von ihnen ergreift, so daß sie für nichts mehr verantwortlich wären. Dies scheint die einzige Lösung zu sein. Dann ertönt der Ruf: "Wann wird das kommen?"

"Strebe intensiv, aber nicht ungeduldig"...

Ich habe nicht einmal das Gefühl, daß die Jahre vergehen – nichts davon, überhaupt nicht! Es gilt einfach, von Sekunde zu Sekunde, von Minute zu Minute zu leben. Der Gedanke kommt mir gar nicht: "Oh, die Jahre vergehen ...", all das hat vor langer Zeit aufgehört. Es ist im Gegenteil der leichte Weg des passiven Annehmens, der offensichtlich ("offensichtlich" heißt, nicht mit dem Verstand gesehen sondern auf der Grundlage der ERFAHRUNG) zur stärkeren Ausprägung des Verfalls führt; oder aber dieses intensive Streben nach Vollkommenheit, die sich manifestieren soll, dieses Streben nach allem, was sein soll und das in dieser erwartungsvollen Haltung alles in einem Schwebezustand hält. Es geht um den Gegensatz zwischen diesen beiden Haltungen.

Dies wird noch verschlimmert durch die Tatsache, daß der gute Wille der Zellen – der zwangsläufig unwissend ist – nicht weiß, ob die eine Haltung besser als die andere ist, ob man sich für die eine entscheiden oder beide akzeptieren soll – sie wissen es nicht! Und da sich dies nicht auf der mentalen Ebene abspielt und auch nicht in Worte gefaßt werden kann, ist es schwierig. Oh, sobald Worte ins Spiel kommen, bringt dies alles schon Gesagte zurück, und es ist aus und vorbei. Es ist nicht das, es ist nicht mehr das. Selbst wenn starke Empfindungen auftreten, eine vitale Kraft, ist das kein Problem mehr. Das Problem stellt sich nur HIER, darin (Mutter klopft auf ihren Körper).

In den Nächten zum Beispiel herrscht ein langanhaltendes Bewußtsein, eine ausgedehnte Tätigkeit, alle möglichen Dinge werden entdeckt, es kommt zu einer Bestandesaufnahme der aktuellen Situation – aber es existieren keine Probleme! Sobald hingegen der Körper... (ich kann nicht sagen "erwacht", denn er ist nicht eingeschlafen: er ist lediglich in einem genügend tiefen Ruhezustand, damit seine persönlichen Schwierigkeiten nicht ins Spiel gelangen) aber von Zeit zu Zeit geschieht etwas, was wir mit "Aufwachen" bezeichnen wollen, d.h. das rein physische Bewußtsein macht sich wieder bemerkbar – und augenblicklich kommt das ganze Problem wieder zurück. Von einem Moment auf den andern ist das Problem wieder da. Ohne eine Erinnerung: Es kommt nicht, weil man sich an das Problem erinnert, das Problem ist einfach da, in den Zellen selbst.

Und dann am Morgen, ach!... – die Vormittage aber, fast drei Stunden jeden Morgen, schleppen sich unendlich langsam dahin. Jede Minute verlangt den Preis einer Anstrengung. Es ist der Moment der Arbeit am Körper, für den Körper, und nicht nur für einen Körper: zum Beispiel kommen all die Schwingungen kranker Leute, alle existenziellen Probleme, von überallher. Und in diesen drei Stunden herrscht Spannung, Kampf und ein akutes Suchen nach der angemessenen Tat oder der einzunehmenden Haltung... In diesen Momenten erprobe ich die Macht des Mantras. In diesen drei Stunden wiederhole ich mein Mantra unablässig, und jedesmal, wenn sich die Schwierigkeit verstärkt, werden die Worte des Mantras mit einer Art Macht aufgeladen, die auf die Materie wirkt. Aus diesem Grunde weiß ich: Ohne dies könnte die Arbeit nicht getan werden. Aber genau deswegen sage ich: Es muß EUER Mantra sein, nicht etwas, das ihr von jemandem, gleich wer dies sei, erhalten habt – das Mantra, das spontan aus eurem tiefen Wesen aufwallt (Geste zum Herzen), von eurem inneren Führer kommt. Das allein hält stand. Wenn man nicht mehr weiter weiß, nicht versteht, und wenn man nicht will, daß das Mental ins Spiel kommt, dann ist Mantra da und hilft euch weiterzugehen. Es hilft weiterzugehen. In kritischen Augenblicken rettet es die Situation, es stellt eine wirklich beachtliche Unterstützung dar.

In diesen drei Stunden (drei Stunden, dreieinhalb Stunden) ist es andauernd, ohne Unterlaß, da. Dann quellen die Worte hervor (Geste vom Herzen aus). Und wenn die Situation kritisch wird, wenn die Unordnung, der Zerfall an Macht zu gewinnen scheint, ist es, als ob sich das Mantra mit Macht aufladen würde und... die Ordnung wiederherstellt.

Und dies war nicht nur einmal so oder einen Monat oder ein Jahr lang: seit Jahren schon ist es so, und es nimmt immer mehr zu.

Aber es ist harte Arbeit.

Danach, nach diesen Stunden, setzt der Kontakt mit der Außenwelt wieder ein: Ich beginne wieder, Leute zu sehen und die äußere Arbeit zu verrichten, lasse mir Briefe vorlesen, beantworte sie, treffe Entscheidungen; und jede Person, jeder Brief, jede Handlung bringt ihren eigenen Schwall an Unordnung, Disharmonie und Auflösung mit sich. Es ist, als ob einem das tonnenweise auf den Kopf geschüttet würde. Da gilt es standzuhalten.

Dies wird dann zuweilen sehr schwierig. Man muß standhalten.

Solange man ganz ruhig bleibt, ist es gut; gilt es aber, Entscheidungen zu treffen, Briefe anzuhören und sie zu beantworten, dann... Wenn es dann überbordet und die Leute zusätzlich ihre eigene Störung mit sich bringen, wird es manchmal ein bißchen viel.

Dies geschieht so subtil, daß es für die Leute in meiner Umgebung unverständlich ist, für sie erscheint es wie viel Lärm um nichts. Das sind Dinge, die sie in ihrer Unbewußtheit überhaupt nicht, nicht im geringsten, spüren – es braucht Geschrei, Streit und fast Schlachten, damit sie wahrnehmen, daß Unordnung herrscht.

Voilà.

Ich hatte nicht die Absicht, dir all das zu erzählen, denn das ist... es führt zu nichts.

 

1 Ein Lakh = hunderttausend.

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2 Tamas = Trägheit.

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