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Mutters

Agenda

fünften Band

17. Oktober 1964

Und du?

Ich gehe durch alle Phasen, aber glücklicherweise sehr rasch, in wenigen Stunden – zwei Stunden, drei Stunden –, mit neuen Phasen... Jedenfalls recht unangenehme Dinge.

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(Im Zusammenhang mit den Karten, die Mutter den Anhängern anläßlich ihrer Geburtstage schreibt. Diese Karten enthalten gewöhnlich einen Hinweis über die bevorstehende Anstrengung oder die zu erzielende Verwirklichung im neuen Jahr.)

...Weißt du, das ist eine Arbeit!

Verstehst du, mit den Leuten von außen (ungefähr 200 Personen, denen ich auch Karten schicke, vielleicht ein wenig mehr) und allen Mitgliedern des Ashrams (mit sehr seltenen Ausnahmen) macht das an die 1500 Karten im Jahr. Das Jahr hat nur 365 Tage, also rechne mal, wieviel das pro Tag ausmacht... D kommt jeden Morgen mit meinem Frühstück und einer Liste aller birthdays [Geburtstage], und bevor ich die Leute sehe oder meine Arbeit beginne, muß ich all diese birthdays erledigen!

Was für eine Beschäftigung!

Aber jetzt habe ich eine neue Taktik: Man gab mir einige von diesen Filzstiften, die wie Malerpinsel sind; damit schreibe ich – das nimmt viel Platz in Anspruch! So brauche ich nicht viel zu sagen. Und die Hand ist geblieben, was sie einmal war, als ich noch malte, ihrer selbst sehr sicher, aber die Augen versagen ihren Dienst, und so übernimmt das Schreibwerkzeug die Führung!

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Kurz danach

Die Nächte werden immer unwahrscheinlicher.

Jede Nacht treffe ich eine Unmenge von Leuten, die ich physisch überhaupt nicht kenne, mit denen ich aber Beziehungen pflege... eine gewisse enge Arbeitsbeziehung, wie mit jemandem, den man täglich trifft. Und das setzt sich fort, jede Nacht sind es wieder andere. So arbeite ich mit Aberhunderten von Leuten.

Und es ist konkret: konkret wie das physische Leben (es spielt sich im Subtilphysischen ab). Konkret, das heißt, daß man beim Essen den Geschmack spürt und bei einer Berührung die Berührung, auch den Geruch etc. Und was für Geschichten! Geschichten... Erfindungen, einfach phantastisch! Ich notiere mir das nicht alles, denn das würde Stunden dauern, auch finde ich, daß es nicht der Mühe wert ist, aber was für Geschichten würde das ergeben!

Phantastisch.

Letzte Nacht... Jetzt erinnere ich mich überhaupt nicht mehr, nur an den Eindruck; und der Eindruck ist so stark, daß es nach dem Aufstehen mindestens eine halbe Stunde dauert, um die Atmosphäre, in der ich mich befand, abzuschütteln!

Alle möglichen Leute. Die Namen kenne ich nicht, auch nicht, wo sie leben; ich kenne ihre Sprache nicht, und trotzdem verstehen wir uns sehr gut.

Und in der Welt ist es offenbar chaotisch.

Ja, was wird sich wohl aus dieser "Abdankung" Chruschtschows ergeben? 1

Das sieht ernst aus. Es sieht nach einer Revolte aus, denn sein Sohn wurde auch gefeuert. 2

Bedeutet das einen Rückschlag?

Oh ja, einen GEWALTSAMEN Rückschlag!

Das ist ernst.

Amerika und Rußland begannen sich zu verstehen (auf Kosten Chinas, das war amüsant!).

Das wird alles kaputtmachen.

(Schweigen)

Man hat den Eindruck eines einstürzenden Gebäudes (genau der Eindruck, der mir von meinen nächtlichen Aktivitäten zurückbleibt) – auf der ganzen Linie. Genau so wie vor dem Einsturz: es kracht überall.

Wenn man völlig außerhalb seines gewöhnlichen Bewußtseins, seiner üblichen Reaktionen, seiner unmittelbaren Umgebung und seiner Alltagstätigkeit steht, wenn man sich all dem völlig entzieht und man dann schaut und sich fragt: "Was wird geschehen?" – Ein schwarzes Loch, man sieht nichts.

Und wenn ich sage: "Was wird geschehen?", meine ich damit nicht, was hier auf der Erde passieren wird, sondern wie, durch welche Kombination von Umständen oder durch welche Ereignisfolge die neue Schöpfung stattfinden wird.

Ein großer Teil der Vorgeschichte der Erde ist uns im Grunde genommen völlig unbekannt. Wohl machte man sogenannte Entdeckungen, aber... ich weiß nicht, ob an all diesen Geschichten etwas Wahres ist.

Stieß man wirklich auf etwas? – Ich weiß es nicht. Weißt du es?

Wahrscheinlich kennen wir nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte ab einem bestimmten Kataklysmus. Aber wieviele solcher erdgeschichtlicher Katastrophen gab es wohl?...

Ja, wieviele Kataklysmen gab es wirklich?

(Schweigen)

Jetzt wollen die Menschen die großen Umwälzungen ohne Hilfe der Natur auslösen. Es scheint, daß fünf Nationen im Besitz der Atombombe sind, wobei die Bomben einer einzigen dieser Nationen ausreichen, um... wumm, die Erde zu zerstören! Wenn all dies plötzlich außer Kontrolle geraten sollte (es ist schließlich neu)... Sie wissen nicht, wie lange diese Dinge stabil bleiben können: Wenn das plötzlich in die Luft fliegt – kannst du dir das vorstellen! (lachend) Wenn in allen Ländern die Bomben gleichzeitig losgehen!

Arme Erde!

Das wäre schlimmer als eine Sintflut – die Erde ging da sanfter vor, die Natur war gemäßigter.

(Schweigen)

Eigentlich haben wir nur einen einzigen Trost: Immer passiert nur, was passieren muß, folglich... In diesem Bewußtsein lebe ich nun – ich mache mir überhaupt keine Sorgen, nicht im geringsten. Ich will nur sagen, daß wir tatsächlich, objektiv gesehen, nichts wissen.

Wurde das Tier in der Folge von Kataklysmen zum Menschen?... Dies scheint nicht unbedingt nötig zu sein.

Nein, das unruhestiftende Element ist das Mental.

Ich bin nicht auf dem laufenden, was man heute zu wissen glaubt, aber kam es beispielsweise vor der Erscheinung des Tierreiches auf der Erde, und um es überhaupt erscheinen zu lassen, je zu Katastrophen?... Natürlich hat man einen vagen Eindruck einer Erde, die langsam erkaltet und anfänglich rein mineralisch ist, worauf dann nach und nach die Pflanzen erscheinen – man sieht das sehr gut (ich habe sogar sehr interessante Fotos gesehen), aber führte die Erkaltung selbst zu Katastrophen, Erdbeben, Untergängen, Überschwemmungen...?

Ja, es gab die Periode der großen Faltungen.

Es kam zu einer Verschiebung der Kontinente, und damit zwangsweise zu einem Schmelzen der Gletscher und zur Überflutung der Erde. Aber diese Verschiebung der Kontinente war vermutlich eine Folge ihrer Erkaltung.

Man hat jetzt offenbar Instrumente, die messen können, daß die Erde sich weiterhin verschiebt. Es hieß sogar, daß viele Teile Sibiriens, die vor einigen Jahren so kalt waren, daß man dort nichts tun konnte, jetzt urbar würden und daß die Tropen notwendigerweise nicht mehr so warm sind.

Aber diese Dinge müssen sehr allmählich kommen, folglich findet man immer Mittel und Wege, um sich einzurichten, man kann woandershin gehen.

Ja, es dauert Millionen von Jahren.

Man hat Zeit, wegzugehen und seine Gewohnheiten zu ändern.

(Schweigen)

Die geschichtliche Periode ist sehr kurz. Schon hier ist alles sehr unsicher, jedenfalls ist sie sehr kurz.

Vielleicht folgte die bewußte Anstrengung der Veden auf Tausende und Abertausende von Jahren der Forschung, der Studien und Zivilisationen, die keinerlei Spuren hinterließen? Das Erscheinen des Menschen auf der Erde soll ja vor einigen Millionen Jahren stattgefunden haben? Wieviele Millionen?

Eine Million, glaube ich. 3

Und von dieser Million kennen wir gerade 5 000 Jahre, siehst du!

Arme Kugel! Wie eitel wir sind! Man glaubt, alles zu wissen.

(Schweigen)

Vielleicht bewege ich mich in der Vergangenheit? – Vielleicht in der Vergangenheit, vielleicht in der Zukunft, vielleicht in der Gegenwart. Ich habe festgestellt, daß die Kleidung überhaupt nicht dem entspricht, was man heute trägt, sie gleicht nichts von dem, was wir kennen. Aber wenn ich in meinen Aktivitäten dort bin, erscheint sie völlig natürlich, man bemerkt es nicht: Es ist eben das, was man Tag für Tag sieht, man bemerkt es nicht. Erst wenn ich zurückkehre und ein wenig objektiviere, sage ich mir: "Sieh an! Wie eigenartig!" (ich selbst und die andern). Ich bin überhaupt nicht so, wie ich jetzt bin, in keiner Weise. Übrigens kam es mir vor, als sei ich zu verschiedenen Zeiten sozusagen "verschiedene Personen". Es gab sogar eine Zeit, wo ich herauszufinden suchte, ob ich mich nicht etwa mit verschiedenen Personen identifizierte, aber es ist keine Identifikation, ich habe nicht das Gefühl, "in jemanden einzutreten", nichts von alledem. Aber der Erscheinung nach bin ich nicht immer dieselbe Person: Manchmal bin ich sehr groß, manchmal klein, manchmal jung und manchmal nicht gerade alt, aber grown up [erwachsen]. Sehr, sehr verschieden. Doch immer ist da dasselbe zentrale Bewußtsein, immer gibt es... (Mutter sammelt sich) den Zeugen, der im Namen des Herrn schaut und entscheidet. Dies ist die Haltung: der Zeuge, der beobachtet – d.h. der alles sieht, alles beobachtet und der entscheidet, entweder für sich selbst oder die andern (das spielt keine Rolle), immer. Das ist der Fixpunkt. Im Namen von... dem Etwas, das ewig ist – ewig, ewig wahr, ewig mächtig und ewig wissend. Das geht durch alles. Sonst sind es die ganze Zeit verschiedene Dinge, Umstände und Umgebungen; manche Lebensweisen sind sehr anders. Auch wache ich zu Beginn der Nacht auf, und es zeigen sich bestimmte Dinge; ich wache mitten in der Nacht auf: eine andere Art von Dingen; ich erwache... "erwache" soll nicht heißen, aus dem Schlaf zu treten, sondern ins gegenwärtige Bewußtsein zurückzukehren. Und jedesmal ist es wieder anders, es ist anders, als ob es von verschiedenen Welten, verschiedenen Zeiten und Aktivitäten käme.

Offensichtlich erwartet "man" nicht, daß ich mich erinnere – das spielt überhaupt keine Rolle. Es ist eine AKTION. Es ist eine Aktion, kein Wissen, das mir gegeben wird – eine Aktion. Ich tue meine Arbeit. Vielleicht heißt es: ich habe gearbeitet; vielleicht auch: ich werde arbeiten, oder: ich arbeite – ich weiß es nicht. Vielleicht alle drei zusammen.

Ob ich mich erinnere oder nicht, ist dabei überhaupt nicht von Bedeutung.

(Schweigen)

Es gibt allerdings einige Punkte, die man wissen sollte... und wo keine Gewißheit herrscht. In welchem Ausmaß wirkt sich zum Beispiel die Anwesenheit eines physischen Körpers (jener von Mutter) in der gegenwärtigen Welt auf die ablaufende Arbeit aus? In welchem Ausmaß... ist das unerläßlich? Ist das wirklich unerläßlich? Und wenn dies der Fall sein sollte, welche Wirkung hat diese Anwesenheit und in welchem Ausmaß? Das heißt, gibt es Dinge, die man nur tun kann, wenn man einen physischen Körper besitzt, oder können dieselben Dinge in jedem Fall getan werden (außer daß man nicht darüber schwatzen kann, also...!)?

Sicherlich gibt es Dinge, die man nur in einem Körper tun kann.

Schwatzen!

Nein, nicht schwatzen!... Sonst gäbe es keinen Bedarf für Avatare.

Ja, so scheint es zumindest.

(Schweigen)

Aber wenn irgend etwas dran ist an den Geschichten, die man uns erzählt, so gibt es KEINEN EINZIGEN Avatar, der geblieben ist – alle sind sie gegangen. Oder sonst halten sie sich gut versteckt, denn... Man ist ja nie einem begegnet. Manche Leute suchen nach ihnen, aber nie haben sie einen getroffen. Allerdings war viel die Rede von ihrem Tod, der oft eine große Rolle gespielt zu haben scheint.

Wie meinst du das, nie hat man einen getroffen?

Physisch.

Weißt du, man sagt, Shiva habe auf Erden gelebt, Krishna habe hier gelebt. Buddha und Christus, von beiden weiß man, daß sie auf Erden gelebt haben – das hat keinen geringen Staub aufgewirbelt! Um den Tod Christi wurde sogar ein größerer Wirbel veranstaltet als um sein Leben. Was Buddha betrifft, er beteuerte, er werde für immer weggehen (obwohl das nicht stimmt). Aber die anderen...? Man erzählt natürlich die Geschichte von Krishnas Tod – aber Geschichten werden viele erzählt.

Das ist zu "alt".

Nein, es ist nicht alt, mein Kind!

Alt für unsere Geschichte.

Es ist nicht alt. Ganz offensichtlich gab es noch keine Fernsehkameras und keine Zeitungen!

Aber Zeitungen und alles Gedruckte können nicht lange überdauern. In Amerika machten sie unterirdische Bunker für Bücher – sie nehmen das Beste und lagern es dann unter bestimmten Bedingungen. Aber wenn sich die Erde und die Kontinente verschieben!... Und wer könnte das überhaupt noch lesen? Sogar die assyrischen Inschriften, die ja nicht besonders alt sind, stellen immer noch ein Rätsel dar. Man besitzt kein wirkliches Wissen: man stellt sich nur vor, man wisse. Die Namen, die man uns beibrachte, als wir klein waren, und die Namen, die man den Kindern jetzt beibringt, sind völlig verschieden, denn die Aussprache wurde nicht wieder aufgefunden.

Wenn man nur ein wenig aufmerksam hinschaut, sogar rein ÄUSSERLICH, weiß man nichts.

(Mutter versinkt in eine tiefe Meditation)

 

1 Am nächsten Tag, dem 16. Oktober, zündeten die Chinesen ihre erste Atombombe.

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2 Chruschtschows Schwiegersohn, Alexis Adzhubel.

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3 Einige Forscher reden von zwei oder drei Millionen Jahren. Die ersten Wirbeltiere erschienen vor 400 Millionen Jahren und die ersten Säugetiere schätzungsweise vor sechzig Millionen Jahren.

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