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Mutters

Agenda

fünften Band

21. Oktober 1964

Am 18. hatte ich eine interessante Erfahrung. Es war der Geburtstag des Arztes, und ich meditierte mit ihm. Nach der Meditation bat er mich, ihm zu schreiben, was ich während der Meditation gesehen hatte. Ich hatte überhaupt nicht vor, dies zu tun, aber eine Stunde später, d.h. zur Zeit des Mittagessens...

Damit das Ganze Sinn macht, muß ich die Geschichte von Anfang an erzählen.

Vor der Meditation sagte ich ihm: "Lassen Sie mich wissen, wann Sie fertig sind – ich will das nicht entscheiden." Also beendete ich, was ich zu erledigen hatte, dann schaute ich und sagte mir: "Also, versuchen wir mal", und ich machte einfach eine Formation, die ich auf ihn ansetzte, und sagte: "Das wär's." Darauf bewegte ich mich nicht mehr und blieb ganz ruhig. Das dauerte eine knappe halbe Minute, dann öffnete er die Augen, und es war vorbei. Als ich ihn dann zur Stunde des Mittagessens wieder sah, fragte ich ihn: "Was fühlten Sie, als Sie mir das Zeichen gaben, es sei vorbei?" Er erwiderte: "Ich fühlte (Mutter lacht), daß die Kraft wegging, also dachte ich, es sei vorbei"... Nun, seine Antwort zeigte mir den genauen Unterschied... Er hätte fühlen sollen: "Mutter ruft mich, Mutter sagt mir, es sei vorbei", er aber fühlte, daß die Kraft wegging.

Als er nun sah, daß ich mit ihm redete, benutzte er die Gelegenheit, um mich zu bitten: "Ich möchte gerne Visionen haben." Ich sagte ihm alles, was es darauf zu erwidern gab, und erklärte ihm, daß letztlich allein der Herr entscheide, wann wir Visionen haben und wann nicht, wann wir einen Fortschritt machen und wann nicht, etc. Dann sagte er im heuchlerischsten Ton (lachend), wie jemand, der etwas aus Höflichkeit sagt und kein Wort davon glaubt: "Oh, dann freuen wir uns sehr, denn wir haben ja den Herrn unter uns." Ich tat so, als ob ich glaubte, er meine das wirklich und antwortete ihm: "Nein, nein, nein, das können Sie nicht sagen, das ist nicht möglich – ich BIN NICHT der Herr!" Und ich versuchte ihm das Bewußtsein zu erklären, das ich vom Herrn habe, und sagte ihm: "Sie sollten nicht glauben, daß ich der Herr bin ..." (dabei dachte ich mir: "Ich bin nicht der Herr, wie SIE ihn sich vorstellen"), "denn wenn ich der Herr wäre, (Mutter lächelt amüsiert) hätten Sie Visionen, und Sie wären geheilt."

Das geschah gegen elf Uhr dreißig. Am Nachmittag nehme ich mein übliches Bad und leg mich für eine Weile hin. Ich sagte zum Herrn (lachend): "Ja, warum tue ich eigentlich nicht etwas für solche Leute, die doch wirklich nett sind? Warum wirke ich keine Wunder?" Ich fragte ihn das halb scherzhaft, halb im Ernst. Dann wurde es plötzlich ganz ernst. Plötzlich war die Gegenwart sehr intensiv, und es wurde sehr ernst. Dann spürte ich etwas, das auf absolut eindeutige Weise sagte (es drückte sich in Worten aus): "Du SOLLST KEINE Mächte haben!" Und ein totales Verstehen.

Du sollst keine Mächte haben!

Und es beschwor eine ganze Welt... Solche Zwischenfälle bringen eine ganze Welt von Zusammenhängen, Erfahrungen etc. mit sich. Darauf begann ich zu schreiben (wie immer kam es in Abstufungen). Die erste Abstufung war wie folgt:

If you approach me in the hope of obtaining favours, you will be frustrated, because I have no powers at my disposal. 1

Auch auf französisch kam es:

Ceux qui s'approchent de moi avec l'intention d'obtenir des faveurs seront déçus, parce que je ne dispose pas de pouvoirs.

Aber die wahre Version ist folgende: (ich ersetzte "sich nähern" durch "kommen" und "verfüge" durch "besitzen", und ich gebrauchte die Gegenwart), das ist die letzte Abstufung:

Wer mit der Absicht zu mir kommt, Gunstbezeigungen zu erhalten, wird enttäuscht, denn ich besitze keine Mächte.

Und was ans Phantastische grenzte, war die Tatsache, daß dadurch eine ARMEE FEINDLICHER KRÄFTE ZUM SCHWEIGEN GEBRACHT WURDE – augenblicklich. Und die Atmosphäre klärte sich und wurde leichter.

Als ich mir das gut anschaute, verstand ich, daß genau diese Mischung im Denken und Fühlen der Leute, in ihrer Betrachtungsweise des spirituellen Lebens, katastrophal ist – immer "wollen" sie etwas, immer "verlangen" sie etwas, immer "erwarten" sie etwas. Im Grunde genommen ist es ein ewiger Handel. Es ist nicht das Bedürfnis, sich hinzugeben oder im Göttlichen aufzugehen, sich im Göttlichen aufzulösen, sondern das zu erlangen, was man will.

Und mehrere Stunden (es dauerte bis in die Nacht) war die Atmosphäre klar, leicht und leuchtend – und mein Körper empfand eine solche Freude, als ob er in der Luft schwebte!

Danach kam alles zurück – nein, alles kam nicht zurück; etwas kam nicht zurück und wurde definitiv bereinigt, ein Teil der Angriffe wurde geklärt.

Es war so konkret! Ich habe das noch nie so konkret empfunden, etwas war vollständig weggefegt.

Aber inwiefern reicht die Tatsache, daß du verzichtest oder über keine Mächte verfügst, die gegnerischen Kräfte wegzufegen?

Nein, es geht um die Tatsache, daß ich es VERKÜNDET habe.

Daß du es verkündet hast?

Keine Mächte, ich wußte sehr wohl, daß ich keine Mächte besaß, und es war mir absolut gleichgültig, denn ich verstand vollkommen, daß mirakulöse Ereignisse jetzt überhaupt nicht gefragt sind, sondern die normale, zwangsläufige, LOGISCHE KONSEQUENZ der supramentalen Transformation – darum geht es wirklich. Dies weiß ich, und ich wußte es, und aus diesem Grund waren Mächte für mich überhaupt kein Thema, jedenfalls wäre es mir nicht einmal in den Sinn gekommen, für den Arzt oder für diese oder jene Person, die sich an mich wendet, ein Wunder zu wirken – ich dachte nicht einmal daran, es trat nicht in mein Bewußtsein. Erst am achtzehnten, bei dieser Gelegenheit, drang es in mein Bewußtsein, worauf ich die Frage stellte, um zu erfahren, weshalb ich nie daran dachte: "Warum?" Und es wurde mir auf entschiedene Weise gesagt: "Du SOLLST keine Mächte ausüben, denn die Dinge sollen nicht so geschehen."

Das verstehe ich schon, aber...

Aber eine ganze Menge gegnerischer Kräfte versuchten, MICH DARAN ZU HINDERN, es zu verkünden! (Ich sah alle möglichen Dinge, will aber nicht ins Detail gehen.) Ich mußte eine Anstrengung machen (Geste des Zurückstoßens einer im Wege stehenden Masse)... kein Kampf, aber immerhin eine Anstrengung, etwas zu überwinden, so wie wenn man sich eingeschlossen fühlt und einen Panzer durchbrechen muß, um es schließlich verkünden zu können. Und in der Minute, wo ich dies tat, genau zu dem Zeitpunkt, wo ich Papier und Bleistift nahm: paff, ging es weg, wie weggefegt!... Das allerdings verstehe ich! Das ist die Macht des Herrn. Keine geringere Macht kann dies tun – es war ein solcher Glanz, verstehst du, als ob die physische Welt auf einen Schlag zu einer solaren Welt geworden sei, eine glänzende, strahlende Welt, und so leicht und harmonisch! Es war ein Wunder, während Stunden.

Das ließ mich verstehen, daß eines der größten Hindernisse in dieser Verfälschung der Aspiration zu einem Durst nach etwas liegt. Aber wer weicht nicht schon ab?... Verstehst du, ich beginne immer mit der Betrachtung meiner selbst, alles, was ich vom bewußten Leben dieses Wesens kenne (das ist meine erste Beobachtung), und es kommen alle die Bilder; nun, die Selbsthingabe, die völlig reine Aspiration, die keine Resultate erwartet – die absolut frei von jeglicher Vorstellung eines Resultates ist –, in ihrer essentiellen Reinheit... das ist nicht häufig. Das ist wirklich nicht häufig.

Jetzt sind die Bedingungen völlig anders, aber ich sehe die Masse der Aspirationen und der Ansätze, und immer vergleiche ich sie mit meiner Haltung Sri Aurobindo gegenüber zu jener Zeit, als er für mich den Mittler darstellte; nun gut, ich verstehe schon... Ich verstehe, daß die absolut reine Sache, d.h. rein von jeglicher Vermischung mit dem Ichbewußtsein (das Problem stammt vom Ichbewußtsein), das ist... immer noch selten.

Und genau diese Vermischung mit dem Ichbewußtsein (ich spreche hier nicht von einem persönlichen, sondern von einem allgemeinen Standpunkt aus) wurde in dem Moment, da die Worte geschrieben wurden, durch etwas genauso Mächtiges wie ein Wirbelsturm, aber ohne die Gewalt des Wirbelsturms weggefegt – zerstreut, aufgelöst und weggefegt! Alle die Dinge, die drängten, gegen die man sich die ganze Zeit stemmen mußte, um vorwärtszukommen – weggefegt! Und sie kamen nicht mehr vollständig zurück.

Dieser Zustand blieb nicht (es war ein Zustand des Sieges). Aber die Dinge sind nicht so zurückgekommen, wie sie waren, und nie werden sie so zurückkommen wie vorher. Etwas ist wirklich geklärt worden. Und es handelt sich dabei um kein persönliches Problem, sondern um etwas Allgemeines.

(Mutter beginnt mit der Reinschrift der letzten "Fassung":)

Das Wort "Gunst" ist absichtlich, verstehst du. Es ist sehr bewußt gewählt, d.h. es ist wirklich eine Gunstbezeigung – Hilfe für den notwendigen Fortschritt zu erlangen, ist völlig in Ordnung, aber was sie wollen, ist das Resultat, OHNE DEN WEG ABSCHREITEN ZU MÜSSEN, und das ist unmöglich, das soll nicht sein.

Im Grunde verlangen die Menschen immer das von den Religionen; der "Gott" der Religion ist ein Gott, der ihnen zu Diensten sein soll: "Ich glaube an Dich, folglich mußt Du das für mich tun" (so brutal wird dies nicht formuliert, aber so ist es). Es geht nicht um die Aspiration, auf dem Weg geführt zu werden, um genau das zu tun, was zu tun ist, damit die Transformation stattfinden kann. Genau dies wurde mir klar gesagt: "Es DÜRFEN KEINE wunderwirkenden Mächte sein." Die Kraft der Hilfe ist voll da, verstehst du, aber die mirakulöse Macht, welche die Dinge tut, ohne daß sie das Resultat eines geleisteten Fortschrittes wären, das soll nicht sein.

(Mutter fährt fort mit der Reinschrift)

Ich habe das Futur durch die Gegenwart ersetzt, auch dies absichtlich, denn es ist nichts Neues: schon immer war es so; nicht, daß ich jetzt ankündige, sie würden enttäuscht werden, nein, sie wurden schon immer enttäuscht. Und genau die Bekräftigung dieser Tatsache hatte die Macht, eine ganze Masse von Formationen zu zerstreuen: nicht nur Formationen von Wesen des Vitals oder von feindlichen Wesen, sondern auch die falschen mentalen Formationen der menschlichen Wesen.

Und hier schrieb ich: "Ich besitze keine Mächte", das ist besser als "Ich verfüge über keine Mächte". Ich hatte das Wort "verfüge" gewählt (gewählt, nicht auf mentale Weise), aber das Wort "verfüge" kam zusammen mit dem Sinn, daß sie nicht zu meiner Verfügung stehen – da ist eine kleine Nuance. Ich meine damit, daß im Falle, wo ich durch irgendeine Verirrung (es wäre wirklich eine Verirrung) den Wunsch haben sollte, ein Wunder zu wirken, ich dies nicht könnte – es wäre gegen den Höchsten Willen. Es ist nicht so, daß ich absichtlich wähle: "Nein, ich werde keine Wunder wirken" – Es ist nicht "Ich kann nicht", nein, es SOLL NICHT so sein.

Das wirst du den Leuten nur schwer beibringen können!

Oh, es führte zu einer entsetzlichen Revolte in der Atmosphäre des Ashrams! Nicht in ihrem bewußten Mental, sondern im Unterbewußtsein – eine schreckliche Revolte. Um meine Erklärung schreiben zu können, um sie formulieren zu können, mußte ich eine ganze Masse von Dingen überwinden, wirklich außerordentlich! Es kam sogar zu individuellen Reaktionen, wie: "Dann gehe ich." Ich sagte: "Gut, das ist genau der Beweis."

Es war interessant.

Für den Arzt selbst war es wie ein Schlag – er zitterte innerlich.

Nein, die Bitte müßte lauten – wir verlangen ja immer etwas –, daß die Substanz genügend bewußt werde, um die Kraft zu empfangen und ihr eigenes "Wunder" vollbringen zu können – Heilung zu erlangen, oder dies oder jenes, jedenfalls, um die Arbeit zu tun.

Ja, es soll keine "Gunst" sein. "Gib mir die Kraft, das zu sein, was ich sein muß!", das schon.

Was die ganze Erfahrung auslöste (ich vergaß, dir das zu sagen), als ich den Herrn fragte: "Warum nur? Warum sollte ich nicht etwas für diese Leute tun, die doch so nett sind?", war die Tatsache, daß diese Geschichte aus der Vergangenheit zurückkam, als mir Sri Aurobindo sagte: "Du bist im Begriff, ein Werk des Übermentals zu tun, du wirst Wunder wirken und die ganze Welt in Staunen versetzen ..." etc., ich habe dir das schon erzählt. Das drängte sich massiv auf, genau dieselbe Sache: "Das ist nicht die Wahrheit, die wir wollen ..." Deswegen hörte ich auch auf mit all diesen Pujas der Mutter im Oktober / November, denn alle kamen sie mit der Vorstellung, etwas zu erhalten: Wunder, Wunder und nochmals Wunder – nie die Wahre Sache. Eben dies erwarten sie von Gott, verstehst du, Wunder oder Gunstbezeigungen, unlogische, unvernünftige Dinge, anstatt das progressive Fortschreiten des Göttlichen.

Offensichtlich ist das schwieriger.

 

1 "Wer sich mir mit der Absicht nähert, Gunstbezeigungen zu erhalten, wird enttäuscht werden, denn ich verfüge über keine Mächte."

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