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Mutters

Agenda

fünften Band

21. November 1964

Mutter sieht abgekämpft aus. Sie bedeckt ihre Augen mit den Handflächen.

...Sie begraben mich unter materiellen, mechanischen Dingen, die ich zu erledigen habe, sie sind alle in Eile und schlecht organisiert, sie treffen im letzten Moment ein, und dann muß es "sofort" sein. All dies, um dir zu erklären, daß ich vollkommen ausgelaugt bin.

Wenn du willst, können wir an einer Übersetzung arbeiten, weil du dann die Arbeit tust, und nicht ich!

Oder hast du etwas zu sagen?... Wenn ja, dann sag's mir.

Oh, es sind immer Dinge zu sagen, aber...

Ach, sag schon!

Es sind nur persönliche Angelegenheiten.

Ja, schon gut, schieß los!

Ich bin mir über meine gegenwärtige Position nicht mehr im klaren. Ich habe den Eindruck, meine Existenz sei immer nichtiger geworden – es hat sich alles verdünnt, und nun bleibt nichts mehr übrig.

Ah, sehr gut.

Außer Mechanismen ist nichts mehr da.

Das ist gut, das ist ein sehr gutes Zeichen. Es bedeutet, daß du dabei bist, dich von deinem Ego zu befreien.

Aber wenn sich in dieser Nichtigkeit wenigstens Erfahrungen einstellen würden...

Hör mal, gestern oder vorgestern, nach unserem letzten Treffen jedenfalls, verspürte ich einen ganzen Tag lang die Empfindung, die du soeben beschriebst. Ich erinnerte mich plötzlich an Empfindungen oder Eindrücke oder Erfahrungen, die ich verschiedentlich gehabt hatte – in Frankreich, in Japan –, und dann hatte ich den Eindruck... ja, einer Verdünnung, einer Reduktion bis zur Inexistenz.

Ja, genau.

Eine absolute Inexistenz. Da sagte ich mir: "Aber wo ist denn diese Person, die sich "Ich" nannte?... Wo ist sie, was tut sie?" – Sie hatte sich in Luft aufgelöst (Mutter schnippt mit den Fingern), völlig aufgelöst. Oh, wie ich lachte, mein Kind! Wie ich mich amüsierte! Eine halbe Stunde lachte ich innerlich. Ich sagte mir: "Nun gut, gelungen!" Worauf ich mir diesen armen Körper anschaute und dachte: "Wenn sich das nur auch in etwas anderes verwandeln könnte, das wäre wunderbar!"

(Satprem aus den Augenwinkeln anschauend) Das ist sehr gut – wirklich sehr gut, es ist ein sicheres Zeichen, daß man den Bereich seines Egos verlassen hat.

Ja, aber in dieser Inexistenz bleiben nur noch Dinge ohne Interesse: der Körper, die Mechanismen.

Das bleibt eben. Aber was läßt sich da tun?... Dies sagte ich mir; mir schien, daß nur noch das blieb, was direkt den Körper betraf.

Oh ja!

Also nichts, sozusagen null.

Worauf sich das Problem stellte: "Wie läßt sich das ändern?"

Natürlich erhielt ich eine Antwort... Ich hatte einen Kalender mit Zitaten von Sri Aurobindo, und ich erhielt die Antwort am Abend. An die genauen Worte erinnere ich mich nicht mehr, aber er sagte: "Der Geist wird auch diesen menschlichen Körper in eine göttliche Realität verwandeln." Das war die Antwort; er sagte "der GEIST". Da sagte ich mir: "Selbstverständlich, aber wie läßt sich DAS transformieren?..."

Hier stehen wir also vor dem Problem.

Die Antwort ist immer dieselbe: Es KANN NICHT von unserer Anstrengung abhängen. Es versteht sich, daß wir so plastisch wie möglich werden und möglichst guten Willens sein sollten (ich spreche vom Körper), aber es kann NICHT von ihm abhängen, er hat nicht das nötige Wissen und die Macht dazu, folglich kann es nur vom göttlichen Willen abhängen.

Genau das ist es. Dies war die Erfahrung der letzten Tage.

Aber man hat den Eindruck, daß sogar die Aspiration... Ich kann nicht sagen, daß sie in dieser Inexistenz verschwindet, aber es ist nichts mehr da, fast nichts mehr.

Mein Kind, das ist nur deshalb so, weil das, was du "Aspiration" nennst, eine Bewegung deines psychischen Bewußtseins ist, die mental formuliert und vom Vital unterstützt wird – aber es ist NICHT DEIN KÖRPER. Erst wenn du deine ganze Aufmerksamkeit der Schwingung der Zellen zuwendest, wenn du dir angewöhnst, sie zu beobachten und zu spüren, kannst du sehen. Nun, ich weiß nicht, aber ich kann mich über die Zellen meines Körpers nicht beklagen... Weißt du, es ist keine Wahrnehmung, keine Empfindung, es ist... es ist ein LEBENDIGER GLAUBE an die alleinige Existenz des Höchsten – der Glaube daran, daß dies die einzige Realität und die alleinige Existenz ist. Nichts als das, als ob alles anschwellen würde, alle Zellen schwellen an mit einer solchen Freude!... Nur nimmt es nicht die Form eines Gefühls, nicht einmal die einer Empfindung an, und noch weniger die eines Gedankens; wenn man also nicht sehr aufmerksam ist, nimmt man es nicht einmal wahr. Wenn ich aber beispielsweise das Mantra wiederhole, wird es durch dieses berühmte physische Mental wiederholt, das so dumm ist (das ist das einzige, womit man es in den Griff bekommen kann), und jetzt ist es so vollständig damit identifiziert, daß es nur noch das lebt, wie ein Pulsieren seines Wesens; und wenn ich dann zu den Invokationen komme (es gibt eine ganze Reihe davon, jede mit ihrer speziellen Wirkung auf den Körper), wenn ich zu "Manifestiere Deine Liebe" komme, sehe ich das Funkeln eines goldenen Lichts, das eine intensive Freude in sämtlichen Zellen widerspiegelt.

Es ist nicht leicht zu beobachten, man muß dazu von der Bewegung des Denkens völlig losgelöst sein, sonst nimmt man es nicht wahr. Wenn man es aber sieht, erkennt man, daß sich sogar die Zellen in einem Zustand der Erwartung befinden.

Ich glaube nicht, daß man von ihnen viel mehr erwarten kann, außer vielleicht, daß sie sich ganz allmählich von schlechten Gewohnheiten und schlechten Schwingungen befreien (die natürlich der Grund für das sind, was wir "Krankheiten" nennen).

Aber von einem äußeren Gesichtspunkt aus gesehen haben wir eine recht undankbare Aufgabe!... Der Ruhm wird sich nachher einstellen, aber werden diese Körper ihn noch erleben? Ich weiß es nicht. Es besteht ein so enormer, riesiger Unterschied zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist. Das sind armselige Dinge, da gibt es nicht viel dazu zu sagen, wirklich armselige Dinge.

Mit der üblichen Vorstellung und dem Geschmack für das Wunderbare und allen Legenden läßt sich sagen: "Ja, eine plötzliche Transformation", aber, aber... das sind nur Worte.

(Schweigen)

Ich erinnere mich, irgendwo geschrieben zu haben, vielleicht vor ungefähr zehn Jahren, daß ich das Wiederaufrichten meines gekrümmten Rückens als ein Zeichen nehmen würde. 1 Damals war es noch nicht ausgeprägt, aber es widerte mich an, und ich sagte mir dies als challenge [Herausforderung]. Natürlich liegt meinem Bewußtsein und meinem Denken eine solche Haltung jetzt sehr fern, es erscheint mir kindisch, aber erst kürzlich kam mir das wieder in den Sinn, und ich sagte mir, daß mir das jetzt völlig gleichgültig ist, es bedeutet mir nichts mehr! Alles übrige... ist genauso unzulänglich, unvollständig und armselig, ja, armselig. Wenn man sich das göttliche Leben vorstellt, ist es armselig.

Merkwürdig ist, daß sich alles in Form von Bildern und Möglichkeiten zeigt; zum Beispiel sage ich mir: "Wenn nach einer gewissen Zeit all dies plötzlich zum Stillstand kommen sollte, was wird dann der Nutzen der ganzen Arbeit gewesen sein?" Und immer ist da etwas – etwas, das von einer sehr absoluten Region kommt –, das mich die Nutzlosigkeit des Todes verspüren oder verstehen läßt.

Warum bekomme ich die Nutzlosigkeit des Todes auf diese Weise zu spüren?

Gott weiß, daß mir nie, keinen Augenblick lang in meinem Leben, nicht einmal in den düstersten, schwärzesten, negativsten und schmerzlichsten Momenten, der Gedanke kam: "Ich möchte sterben." Seit meiner Erfahrung der Unsterblichkeit der Seele, des Bewußtseins, d.h. im Jahre 1902 oder 1903 oder spätestens 1904 (vor sechzig Jahren) löste sich alle Furcht vor dem Tod auf. Die Körperzellen haben jetzt das Gefühl ihrer Unsterblichkeit. Auch gab es eine Zeit, wo ich fast neugierig auf den Tod war; diese Neugier wurde durch meine beiden Erfahrungen gestillt, wo dem äußeren Anschein nach mein Körper tot schien, während ich doch innerlich ein Leben von einer wunderbaren Intensität verspürte (das erste Mal war es im Vital, und das andere Mal ganz oben 2), so daß sogar diese Neugier (ich kann es nicht "Neugier" nennen)... Die Frage stellt sich den Zellen gar nicht mehr. Und doch zeigt sich einem noch die Möglichkeit: nach der gewöhnlichen äußeren Logik muß sich notwendigerweise ein Ende einstellen, wenn sich das nicht transformiert. Und immer, immer erhalte ich dieselbe Antwort, keine Antwort in Worten, eine Antwort im Sinne eines Wissens (wie soll ich das nur ausdrücken?...), eines Wissens als TATSACHE: "Das ist keine Lösung." Um es ganz banal auszudrücken, heißt die Antwort: "Das ist keine Lösung."

Folglich sind wir auf der Suche nach einer anderen Lösung, da der Tod ja nicht als Lösung anerkannt wird. Es ist offensichtlich, daß dies nicht die Lösung ist.

Nein, es ist ein Scheitern.

Nicht unbedingt, es muß kein Scheitern sein, wenn es der Wille des Herrn ist. Es liegt nicht in unserer Entscheidung. Nicht, daß wir uns aus dem Staub machen, verstehst du: "ER entscheidet, daß es vorbei ist."

Somit kommt die Antwort (nicht von mir, sondern von sehr weit weg, und es ist sehr ABSOLUT als Schwingung): "Das ist KEINE Lösung." Das heißt, im vorliegenden Fall wird es nicht als Lösung betrachtet.

Es muß eine andere Lösung geben.

Ja, bestimmt.

Unsere Vorstellungskraft ist sehr armselig. Was mich betrifft, ich kann mir nicht vorstellen, wie das vor sich gehen soll! Ich kann mir wohl Romane vorstellen, was ich den Kolportageroman des spirituellen Lebens nenne, aber das will nichts bedeuten, das sind Kindereien.

(Schweigen)

Damals notierte ich mir folgendes: "Wenn mein Rücken sich wieder aufrichtet, werde ich verstehen, daß etwas existiert, das stärker als die materielle Gewohnheit ist."

Jetzt geht es um ganz andere Dinge als darum, meinen Rücken wieder aufzurichten! Von einem äußeren, oberflächlichen – sehr oberflächlichen – Standpunkt, vom Standpunkt des äußeren Anscheins aus gesehen, ist das Leben dieses Körpers äußerst prekär, und zwar in dem Sinne, daß seine Handlungsfähigkeit begrenzt ist – sehr eingeschränkt. Trotzdem habe ich oft den Eindruck, daß das natürliche Bedürfnis (es ist ein natürliches Bedürfnis) nach Schweigen und einer kontemplativen Unbewegtheit (die Zellen verspüren dies: das Bedürfnis nach einer kontemplativen Unbewegtheit) von den Umständen sabotiert wird. Von außen gesehen ist es eine Gebrechlichkeit, d.h. normale menschliche Wesen mit ihrem normalen Denken würden sagen: "Sie ermüdet leicht, sie kann nichts mehr tun, sie ..." – Das ist nicht wahr, es ist nur scheinbar so. Es stimmt aber, daß die Harmonie noch nicht begründet ist, es besteht immer noch eine Diskrepanz zwischen der Empfindung des Körpers und dieser Art... exhilaration... so etwas wie eine innere Glorie.

(Schweigen)

Es herrscht immer noch ein Zustand, in dem die Dinge nicht an ihrem richtigen Platz sind, ein Mangel an Anpassung und möglicherweise auch eine Unfähigkeit zur Verwirklichung. Trotzdem hat der Körper nicht das Gefühl oder die Empfindung, nicht das tun zu können, was er tun will – nie; die Macht zu tun ist geblieben, aber der Wille dazu besteht nicht mehr. Und was immer noch als unangenehm empfunden wird (ein körperlich schmerzhaftes Unbehagen), ist diese Reibung zwischen seiner spontanen Bewegung und dem, was von außen kommt: das Sich-Aufdrängen von äußeren Willensimpulsen.

Und dieses Unbehagen wird immer stärker. Zwar genügt eine einzige Sekunde des Alleinseins (nicht physisch), eine Trennung des Kontakts (mit den anderen), um die Harmonie wiederherzustellen; wenn man sich aber nicht die Mühe nimmt, nach innen zu gehen, erzeugt dies eine gewisse Störung.

Der Körper findet keinen Gefallen mehr an all den Dingen, die für ihn gewöhnlich angenehm sind: das ist ihm vollkommen egal. Aber langsam lehrt ihn etwas oder jemand, etwas zu empfinden, das nicht Vergnügen ist und keinem Reiz entspricht (nicht annähernd), sondern eine behagliche Schwingung in gewissen die Sinne betreffenden Dingen. Nur ist dies sehr, sehr anders, als es vorher war.

Es ist offensichtlich, daß der Körper seine Aktivitäten auf ein Minimum reduzieren sollte, um seinem eigenen Rhythmus folgen zu können; nicht genau "reduzieren", sondern die Freiheit der Wahl seiner Bewegungen innehaben; nichts von außen Aufgezwungenes – was weit entfernt von der Wirklichkeit ist. Als Ganzes gesehen besteht trotzdem eine absolute Überzeugung, sogar von Seiten des Körpers, daß nichts passiert, das nicht die Auswirkung des Höchsten Willens wäre. Folglich entsprechen die Bedingungen, worin er sich befindet, jenen, die Er wollte und will, die Er will – in jeder Sekunde. Es drängt sich also der Schluß auf, daß im Körper ein Widerstand oder eine Unfähigkeit bestehen muß, der Bewegung zu folgen.

Wenn sich das Problem so stellt, ist die Reaktion stets dieselbe: "Kümmere dich nicht darum!" Ich glaube, das ist wahre Weisheit. Voilà.

Man muß lernen, sich leben zu lassen, nur darauf kommt es an. "Stemm dich nicht die ganze Zeit dem entgegen, versuch nicht immer zu... – laß dich leben!"

Im Grunde genommen ist der Wille zum Fortschritt immer noch vom Verlangen gefärbt: es fehlt das Lächeln der Ewigkeit dahinter.

Das ist immer die Antwort, die sich so äußern kann (es sind aber keine Worte): "Kümmere dich nicht darum!"

Es bleibt immer noch ein Rest der alten Spannung.

(Mutter versinkt in Kontemplation)

Jedenfalls besteht eine Art Empfindung oder Wahrnehmung, daß du im Augenblick hier der einzige bist, der wirklich versteht, was mir geschieht. Das ist schon etwas. Ich bin sehr dankbar, wie man sagt, daß das, was abläuft, wenigstens von außen gesehen nicht völlig unnütz sein wird, denn, wie schon gesagt, nehmen die Anzeichen der wirkenden Macht von Tag zu Tag noch zu, und wenn sich das um eine Erfahrung kristallisiert, die für die anderen wahrnehmbar gemacht wird, wird es, so glaube ich, viel klarer, anstatt etwas völlig Diffuses zu sein. Folglich kannst du sogar von diesem äußeren Aspekt der Verwirklichung her gesehen zufrieden sein. Im großen universellen Werk hat deine Existenz ihren Platz und ihre Nützlichkeit.

Von einem persönlichen Gesichtspunkt aus gesehen... Ich habe den Eindruck, daß du nach einiger Zeit einfach Erfahrungen haben MUSST; sie müssen sich notwendigerweise einstellen, denn dieser Bereich ist offen. Den Körper verändern, das ist neu; aber Erfahrungen zu haben, existiert schon, somit muß dir das zustoßen, es muß sich gezwungenermaßen einstellen. Nur glaube ich, daß es Erfahrungen eines sehr besonderen Charakters sein werden, und zwar in dem Sinne, daß sie sehr positiv sein werden.

Die Erfahrungen, die daraus bestehen, aus der gegenwärtigen Existenz auszutreten, hast du kategorisch abgelehnt – deswegen bist du nicht gekommen, und du willst das nicht. Was du willst, ist etwas sehr Konkretes – das ist ein bißchen schwieriger zu erlangen. Aber es wird kommen.

Ich sage dir das nicht zum Trost, sondern weil ich es so SEHE: es wird kommen. Das Interessante daran ist, daß eine Identität der Bewegung besteht 3: Was dir in diesen letzten Tagen zugestoßen ist, dieses Nichtigwerden, ist noch ein Beispiel dafür; genau daraus bestand meine Beschäftigung in den letzten Tagen – das will etwas bedeuten.

Vielleicht gibt man uns eines Tages ein kleines Bonbon.

 

1 Siehe Agenda Bd. 1, 19. und 20. März 1956.

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2 Im Vital, zusammen mit Théon, als Mutter nach dem Mantra des Lebens suchte und Théon in einem Anfall von Zorn den Faden "abtrennte". Das zweite Mal ganz oben, zusammen mit Sri Aurobindo.

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3 Zwischen Mutter und Satprem.

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