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Mutters

Agenda

sechsten Band

28. April 1965

Mutter wirkt gedankenverloren

...Solange man nicht alles vermag, weiß man letztlich nichts.

Dies ist meine Erfahrung dieser Tage, das wird immer deutlicher.

Wenn man nicht alles kann, das heißt, wenn man nicht die höchste Macht besitzt, weiß man nichts. Und die höchste Macht ist... Ich werde mich deutlicher ausdrücken (Mutter lächelt). In Amerika stirbt gerade jemand an Krebs. Ich sagte diesem Jemand, was immer auch geschehe, werde das Beste für seine Seele sein; ich sagte es in einem Augenblick, wo das sogenannte menschliche Wissen sich noch vorstellte, ihn heilen zu können. Er verlor die Sprache, aber nicht das Bewußtsein – weder das Gehör noch das Bewußtsein (es ist ein Gehirntumor). Der Arzt (eine Kapazität, nicht wahr, er gehört zu den besten) sagt, daß er nur noch aufgrund seiner Willenskraft weiterlebt – er will aber nicht leben! (Dennoch hält er durch, das Leben haftet an ihm.) Er will nicht leben, er will sterben. Nur kann er es nicht sagen, er kann nicht sprechen. Der Arzt hingegen, in seiner Unwissenheit und Verblüffung über das Phänomen, sagt von ihm, nur noch sein Wille halte ihn aufrecht.

All das erfuhr ich heute morgen; während mehrerer Stunden lebte ich durch das Bewußtsein der anderen mit diesem Problem, daß er weiterlebte. Immer zeigt sich (für ein solches Bewußtsein) der "Tod" mit einem großen Fragezeichen – was ist er genau? Was genau geschieht? Inwiefern verändert sich das Bewußtsein? Gibt es eine Bewußtseinsveränderung? Was geht vor?... Meine Arbeit besteht nämlich darin (ich habe ihm das versprochen), daß er sich der ewigen Wahrheit bewußt werde, bevor er seinen Körper verläßt. Heute morgen war ich für drei Stunden mit diesem Problem konfrontiert (deshalb war ich völlig nach innen gewandt, als ich kam), und ich sagte mir: "Aber... solange man nicht Herr über Leben und Tod ist, weiß man nichts!"

Deshalb war ich in Gedanken versunken.

(Schweigen)

Seit so vielen Jahren habe ich die verschiedensten Erfahrungen. Seit ungefähr sechzig Jahren kümmere ich mich um Leute, von denen es heißt, sie lägen im "Sterben" – ununterbrochen. Es gibt fast ebenso viele verschiedene Fälle wie Personen – es bestehen zwar Kategorien, aber die Fälle sind zahllos (ich spreche nicht von den äußeren Umständen, den materiellen Ereignissen, sondern vom inneren Vorgang). Das heißt, ich wurde fast ständig mit dem Phänomen konfrontiert, und dennoch bleibt es ein Problem. Mindestens zweimal widerfuhr mir selber in diesem Leben das, was die Leute "sterben" nennen – und beide Male war die Erfahrung verschieden. Die Erfahrung war unterschiedlich, und dennoch blieb die augenscheinliche Tatsache dieselbe.

Wenn ich es auf eine gewisse Art betrachte (Erklärungen sind letztlich bedeutungslos), erlangt man das, was einem wirklich den Schlüssel in die Hand gibt... erst mit der Macht. Und diese Macht... (Mutter schüttelt den Kopf).

Es ist schwer zu erklären. Zum Beispiel sagten mir viele Leute, sie wollten aus dem einen oder anderen Grund sterben; indem ich dann eine gewisse Sache tat, geschah es. Die "Sache" war nicht immer die gleiche, doch das Ergebnis blieb in seiner Erscheinung stets dasselbe: die Person verließ ihren Körper. Mindestens zweimal erlebte ich auf sehr klare und präzise Weise, wie Personen – sogenannte "Tote" – ihren Körper verließen, ohne es zu merken! Folglich machte es für diesen Teil ihres Wesens keinen Unterschied. 1 Es kam auch vor, daß ich jemanden sozusagen "wiedererweckte", den man für tot erklärt hatte. Das heißt, alle erdenklichen Umstände, alle Möglichkeiten (nicht alle, aber viele) wurden mir gezeigt.

Natürlich ist es immer eine Bewegung des Bewußtseins (die "Sache", die den Tod herbeiführt) und eine gewisse Bewegung des Willens, aber...

Was ich mich heute fragte (nicht "fragte", Worte sind immer falsch, denn ich fragte nicht mental), aber plötzlich erschien es so vor mir (Geste wie auf einer Filmleinwand): Könnte das, was man "Tod" nennt, etwa eine Vielfalt verschiedener Dinge sein?... Wir sagen "das Leben", "der Tod", und diesen Tod stellen wir dem Leben gegenüber – doch vielleicht sind es unzählige Dinge und verschiedene Möglichkeiten, die der Mensch mit "Tod" bezeichnet?

(Schweigen)

Was ist es?

Die Antwort der menschlichen Wissenschaft lautet: Das gleichbleibende Phänomen ist das der Zersetzung. Aber das...

Schließlich befinden wir uns ja in einem andauernden Zustand der Zersetzung – alles, das ganze Leben ist ständig der Zersetzung und dem Wandel preisgegeben; alle Nahrung, die wir einnehmen, ist immer im Zustand der Zersetzung. Folglich...

Vielleicht ist es einfach unsere Einseitigkeit, ich will sagen, die Begrenztheit unserer Sicht, unserer Wahrnehmung: man sieht zu viele Details statt das Ganze. In dieser angespannten Konzentration stellte ich mir plötzlich die Frage: Welcher Art ist die physische Wahrnehmung der physischen Welt in ihrer Gesamtheit? Das Bewußtsein davon... Ist vielleicht das, was wir Tod und Leben nennen, aus dieser Sicht lediglich ein ähnlicher Vorgang wie der der Zersetzung, Assimilation und Wandlung, der in jedem lebenden Wesen abläuft?

Da wird einem völlig schwindlig!

Die zellulare Umwandlung, die fortschreitende zellulare Transformation entspräche auf der Ebene des menschlichen Wesens (des menschlichen Wesens, des Tieres usw.) dem, was wir "Tod" nennen.

Wir werden darauf zurückkommen.

 

1 Siehe Agenda Bd. 3, 4. Juli 1962.

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