SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 07 Bande

Mutters

Agenda

siebenten Band

29. Juni 1966

Heute morgen erhielt ich den Brief eines kleinen Mädchens, das mich fragt: "Was ist Bewußtsein? Ich habe meine Lehrer gefragt; sie haben geantwortet, das sei sehr schwer zu erklären!" (Mutter lacht) Nun fragt sie mich. Und seit sie mich das gefragt hat, schaue ich. Wie kann man es ausdrücken?

Weißt du vielleicht, wie man das erklären kann? Denn man gebraucht Worte, die gar nichts aussagen.

Spontan würde ich sagen: Es ist das Feuer oder der Atem, der die ganze Welt trägt. Es ist das Feuer, das alles lebendig macht: das die Lunge arbeiten, das Meer anschwellen läßt...

Nicht schlecht!

Was würdest du sagen?

Ich habe folgendes gefunden: Es ist die Ursache der Existenz – Ursache und Wirkung zugleich. Aber das ist es noch nicht.

Deine Erklärung ist poetischer, literarischer, aber ich bin trotzdem nicht sicher, ob es das ist.

Es ist die Substanz der Welt, das, was die Welt ausmacht.

Ja. Wenn man sagen würde: "Ohne Bewußtsein keine Welt", so ist das viel wahrer, aber das erklärt es nicht. Das war meine erste Reaktion: ohne Bewußtsein keine Welt und keine Existenz.

Es ist der Atem, die Kraft oder das Feuer, welche die Welt tragen – die sie sein lassen.

Nicht schlecht. Das müssen wir aufschreiben!

Aber nein! Du mußt es finden.

Ich muß diesem Kind antworten.

Sonst bleibt man in Abstraktionen stecken.

Ja, und mit diesen Abstraktionen gebraucht man Worte, die etwas anderes bedeuten, das ist alles.

Aber wie nimmst du das Bewußtsein wahr?

Ohne Bewußtsein kann man überhaupt nicht empfinden. Das Bewußtsein ist tatsächlich die Basis aller Dinge.

(Mutter betrachtet den Brief des Kindes und reicht ihn Satprem)

Liebe Mutter,

Ich würde gern wissen: "Was ist Bewußtsein?" Ich fragte einen Lehrer. Man hat mir geantwortet: "Das ist sehr schwer zu erklären."

Ich möchte deinen Segen, damit ich meine Prüfungen gut bestehe.

Nimm meine Pranams 1 entgegen.

Dein kleines Mädchen.

Ohne Bewußtsein kein Dasein, das ist vollkommen wahr, doch das erklärt nicht, was Bewußtsein ist. Aber deine Erklärung ist jedenfalls ziemlich poetisch.

In der indischen Philosophie kommt die Existenz vor dem Bewußtsein. Sie sagen: Sat-Chit-Ananda 2 . Wenn wir also sagen: Chit-Sat-Ananda... stimmt das nicht.

Ja, das stimmt nicht. Die Rishis sagten immer, das Feuer, "Agni", sei die fundamentale Substanz.

Aber ist das Feuer Bewußtsein?

Ja, es wird zu Bewußtsein – es ist Bewußtsein. Es ist die Bewußtseins-Kraft. Die Rishis sagten: "Selbst im Stein ist es da, selbst in den Wassern ist es da."

Aber als ich diese Erfahrung von den Pulsationen der Liebe hatte, die die Welt erschufen, war die Pulsation zuerst da, und erst danach das Bewußtsein – das Bewußtsein der Pulsation.

Das heißt, man könnte es so definieren: Als das... das... (ich weiß nie, welches Wort ich gebrauchen soll!) sich Seiner Selbst bewußt wurde, erschuf es die Welt.

In den Upanischaden heißt es, das Tapas 3 habe die Welt erschaffen.

Ja, Tapas, das ist die Macht.

Es ist auch das Feuer.

Nein, Tapas ist die Macht.

Chit-Tapas ist Hitze.

Man sagt: Sat, Chit-Tapas, Ananda. Sie bringen Chit-Tapas zusammen. Und zwar zuerst Chit, dann Tapas. Das ist die schöpferische Kraft des Bewußtseins.

Aber Sri Aurobindo sagt immer: "Bewußtseins-Kraft", untrennbar. Man kann das eine nicht vom anderen trennen. Es gibt kein Bewußtsein ohne Kraft, und es gibt keine Kraft ohne Bewußtsein – Bewußtseins-Kraft. Das ist die Welt!

Auf jeden Fall ist dies sehr unphilosophisch. Es so auszudrücken, ist sehr kindlich, und doch ist es viel wahrer als die metaphysischen Phrasen: Als der Herr sich Seiner Selbst bewußt wurde, erschuf das die Welt.

Schreiben wir also deine Definition für die Kleine auf.

Nein, zuerst deine Definition, das ist das erste Stadium! Und dann das zweite Stadium: das menschliche.

(Mutter lacht und schreibt:)

"Als der Herr sich Seiner Selbst bewußt wurde, erschuf das die Welt."

Und jetzt das zweite. Du bist an der Reihe!

Nein, es liegt an dir.

Nein, nein! Laß es mich hören.

Ich weiß nicht... Das Bewußtsein ist der Atem oder das Feuer, das alles trägt.

Aber wenn ich "Feuer" sage, werden sie sofort sagen: "Aha! Bewußtsein ist also Feuer!"

Der Atem, der alles trägt, der alles atmen läßt?

(Mutter schreibt:)

"Bewußtsein ist der Atem, der das Leben von allem ist."

Nein...

"der alles zum Leben erweckt."

Verstehst du, das wird von Klasse zu Klasse gehen, durch die ganze Schule. (Lachend) Ich weiß schon, was passieren wird.

"Bewußtsein ist der Atem, der alles zum Leben erweckt."

So!

Sie hat Glück, die Kleine.

Kinder sind amüsant!

*
*   *

(Wenig später betrachtet Mutter einen Stapel englischer Texte, die ins Französische übersetzt werden müssen)

Es wäre viel leichter, wenn diese Sachen in großen Buchstaben geschrieben wären... Das mit meinen Augen ist schade... Ich verliere viel Zeit dadurch. Ich bin gezwungen nachzufragen oder muß eine Lupe nehmen. Was ich früher in drei Minuten erledigen konnte, dazu brauche ich heute eine halbe Stunde. Aber um meine Sicht wiederzugewinnen (das wäre möglich, es ist nichts beschädigt, nur abgenutzt), müßte ich viel Zeit darauf verwenden: Übungen, Konzentrationen... Ich habe nicht die Zeit dazu.

Aber wie prompt das Bewußtsein doch war, als ich noch sehen konnte!... Mit den Augen der anderen finde ich nichts. Es war so praktisch.

Nun...

Man muß Geduld haben. Es nützt nichts zu jammern. Entweder ich unternehme etwas, oder ich kümmere mich nicht darum. Und ich habe keine Zeit, etwas zu unternehmen, also warte ich darauf, daß mir das Sehen wiedergegeben wird.

 

1 Pranam: Gruß

Rückwärts zum Text

2 Sat-Chit-Ananda: Sein-Bewußtsein-Glückseligkeit

Rückwärts zum Text

3 Tapas: Energie oder Hitze, oder auch: Konzentration der Macht des Bewußtseins

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English