SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 08 Bande

Mutters

Agenda

achten Band

3. Mai 1967

(Mutter zeigt Satprem eine neue Broschüre mit einem braunen Umschlag und dem Titel "Gott" in goldenen Buchstaben.)

Ich habe eine sehr hübsche kleine Geschichte... Vorgestern kamen Leute (gestern morgen sah ich fünfundfünfzig Leute da drüben im Zimmer... fünfundfünfzig! Vorgestern waren es etwas weniger, vielleicht fünfundvierzig), darunter ein kleines Kind, nicht älter als ein Jahr, das von seinem Vater getragen wurde. Es lehnte schläfrig an der Schulter seines Vaters. Der Vater trat ein, und als er sich mir näherte, erblickte mich das Kind – es öffnete seine Augen, die Augen eines Mannes! Das war kein Kind mehr. Dann sah es mich an. Es lächelte glückselig und... streckte mir die Händchen entgegen! Es ergriff meine Hand, ich gab ihm meine Hand, und es war so glücklich! Aber der Vater wollte ein pranam machen [sich niederwerfen], und so legte er es auf dem Boden ab. Neben mir stand ein großes Regal mit fünfzig dieser Büchlein (mit Zitaten von Sri Aurobindo: sämtliche Stellen, in denen von Gott die Rede ist), das Kind schaute: es nahm eines, betrachtete und betastete es, und versuchte schließlich, es zu öffnen – kein Wort, nichts. Natürlich hielten sich die Eltern für sehr klug, und der Vater sagte: "Man darf dem Kind das Buch nicht lassen", worauf er es nahm, um es zurückzulegen – großes Geschrei! Daraufhin nahm Champaklal das Buch und gab es dem Kleinen, und während der ganzen Zeit, als die anderen ihr Pranam machten (es waren ein Dutzend Leute anwesend), betrachtete und betastete er die goldenen Buchstaben...

Gewiß eines der bemerkenswertesten Kinder, aber nicht das einzige. Alle weniger als ein Jahr alten Kinder, die man mir bringt, sind so (mehr oder weniger). Dieses war wirklich sehr bewußt. Die Augen: vollkommen bewußt.

So lieb! Und so glücklich, ach, als ob es sagen würde: "Endlich treffe ich dich!"

Hier ist das Buch.

Aber diese Menschenmenge übersteigt alle Vorstellungen.

*
*   *

Etwas später

Pavitra ordnete alte Briefe ein, und... Ich habe dir bereits gesagt, daß seit dem 24. ein KONSTANTER Nachdruck darauf bestand, der Harmonie die volle Unterstützung zu gewähren und der Störung, der Disharmonie und Verwirrung nicht zu erlauben, sich zu manifestieren: physisch, vital und mental. Wie ein Hämmern seit dem 24. (kürzlich habe ich dir von dieser Kraft erzählt, die kam: es ist so geblieben). Gestern oder vorgestern fand Pavitra beim Einordnen etwas, das ich jemandem auf englisch geschrieben hatte:

Yes, the good-will hidden in all things reveals itself everywhere to that one who carries good-will in his consciousness.

This is a constructive way of feeling, leading straight to the future.

Gestern habe ich das spontan ins Französische übersetzt.

En vérité, la bonne volonté cachée en toutes choses se révèle à celui qui porte la bonne volonté dans sa conscience.

C'est une manière constructive de sentir qui conduit tout droit à l'avenir. 1

Ich fand das sehr interessant (es wurde vor Jahren geschrieben, jedenfalls vor mehr als einem Jahr, und Pavitra sagte mir, er habe dies nicht einmal in einem Brief gefunden: es steckte zwischen den Mappen), als ob es mir sagen wollte: "Siehst du, du hast schon vorher so gesprochen." Denn der "gute Wille" ist gleichbedeutend mit Harmonie (psychologisch), es ist der Wille, daß psychologisch alles gut gehe. Ich fand dies recht interessant.

Aber es ist gut, daß es wiederkam: eine allen leicht zugängliche Form, die sie verstehen können – es werden ja keine außerordentlichen Dinge verlangt: allein ein guter Wille. Als ich das wiederfand, lächelte ich, ich freute mich und sagte: "Sieh an, genau dasselbe hätte ich auch über die gute Laune schreiben können: Seid guter Laune, und überall wird euch gute Laune entgegengebracht!" – Man kann vieles sagen (Mutter dreht ihre Hand langsam, wie um verschiedene Facetten aufzuzeigen): Mir kommt das immer vor wie ein Kaleidoskop von Farbmustern, das etwas anderes ausdrücken soll, und das, sobald es ausgedrückt wird, sich vermindert, geschmälert und verallgemeinert wird, um allen zugänglich zu sein. Aber da ist etwas: wie ein UNGEHEURER Konflikt, der sich gegenwärtig über der Erde abspielt, mit dieser wunderbaren göttlichen Gnade, die stets das Beste will und Druck ausübt: "Seid doch guten Mutes! Seid doch guten Willens, ja, habt doch diese innere Harmonie der Zufriedenheit, der Hoffnung und des Glaubens! Akzeptiert keine Schwingungen, die... zersetzen – die schmälern, die entwürdigen und zur Zerstörung führen."

Das ist überall, überall so (Geste eines Drucks auf die Erde).

Natürlich fragen die "klugen Menschen", von denen Sri Aurobindo spricht: "Was soll der 4.5.67 bedeuten? Was wird am 4.5.67 geschehen? Warum ..." Von allen Seiten tritt dies in die Atmosphäre. Gestern sagte ich jemandem, der einen starken Glauben hat und eine beachtliche Autorität über eine große Zahl von Leuten genießt (man stellt ihm alle diese dummen Fragen; er hatte es mir nicht gesagt, aber ich empfing es mental), ich sah ihn nachmittags und erklärte ihm: "Aha, man stellt Ihnen also diese Fragen, nun, Sie können ihnen sehr feierlich sagen:

4     bedeutet     Manifestation

5     bedeutet     Macht

6     bedeutet     Neue Schöpfung

7     bedeutet     Verwirklichung

Jetzt sollen sie damit machen, was sie wollen!"

Nur, um sie zu beruhigen 2 .

In der Tat sagte er mir heute morgen (nachdem ich ihm erklärt hatte: "Es ist unnötig, mir das zu sagen, ich weiß es!"): "Oh, ich ziehe es vor, abzuwarten und zu sehen." Ich antwortete: "Das ist die richtige Haltung, es ist besser, abzuwarten und zu sehen."

Jedenfalls... ich weiß nicht – ich weiß nichts, und ich will auch nichts wissen. Falls sich nichts ereignet, würde mich das nicht wundern, denn... Für mich IST ES NÄMLICH SCHON GESCHEHEN. Es kam am 24. – ich habe dir bereits davon erzählt, ich hatte allerlei Erfahrungen (du hast mir das selber erzählt!), die ich nie zuvor hatte. Die materielle Persönlichkeit, der Körper war absolut aufgelöst. Es existierte nur... das höchste Bewußtsein. Und das blieb bestehen, soviel kannst du mir glauben! Es blieb bestehen in dem Sinne, daß... ich nicht mehr essen, mich fast nicht mehr ausruhen kann, obwohl ich wirklich Hunderte von Leuten empfange, und dann noch die Probleme und Papiere und... Der arme Körper könnte wirklich stöhnen: Uff! Aber nichts dergleichen. Und wenn die Spannung der anderen in irgendeinem Augenblick ein kleines Ungleichgewicht verursacht, sagt sich der Körper spontan: "Oh, aber Du, Du bist ja da" – und alles ist vorbei. Augenblicklich. Das ist wirklich erstaunlich.

Wir werden sehen.

(Schweigen)

Im Zusammenhang mit dem 4.5.67 geschehen sehr amüsante Dinge. Es gibt Leute mit der Geisteshaltung von "Gerechtigkeitsfanatikern", die sich selbst als Musterfall betrachten und der Ansicht sind, das ihnen zugefügte Unrecht müsse wieder gutgemacht werden. "Dies wird das Symbol der Mutter sein." Ein anderer wünscht sich Fotoapparate, die so empfindlich sind, daß sie die für das menschliche Auge "unsichtbare Präsenz" fotografieren können. Auch das gibt es, solche Dinge treten in die Atmosphäre (von Mutter). Ein anderer (anscheinend mehrere andere) denkt, das neue indische Jahr beginne mit diesem Tag. Andere... jeder hat irgendeine Vorstellung, die in die Atmosphäre gelangt. Das ist amüsant.

Ich denke immer an den Abschnitt in Savitri, wo Sri Aurobindo sagt: "Gott wächst ..." wird in der Materie wachsen (man SIEHT die Gottheit, die in der Materie wächst, sieht, wie die Materie immer mehr die Gottheit zu manifestieren vermag), worauf Er sagt: "Und die weisen Menschen sprechen und schlafen" 3 . Genau so ist es. Das ist reizend.

(Schweigen)

Sri Aurobindo sagte mir einst, eines der ersten Ergebnisse sei dies, daß die Regierungen unter den supramentalen Einfluß zu stehen kämen (nicht, daß wir selber regieren! aber die Regierungen würden unter seinen Einfluß geraten). In den letzten Tagen habe ich drei Minister und fünf Abgeordnete empfangen. Ich erhielt eine Gabe der Ministerpräsidentin [Indira Gandhi]. Es geht also gut. Das ist wirklich lustig... Manche kommen extra für einen Tag von Delhi, um mich zu sehen und dann wieder zu gehen. Bleibt zu hoffen, daß sie etwas klüger werden!

*
*   *

(Darauf beginnt Mutter, eine Reihe hier und da hingekritzelter Notizen zu ordnen. Bei dieser hält sie inne:)

"Auroville ist der Zufluchtsort für all jene, die es nach einer Zukunft des Wissens, des Friedens und der Einheit drängt."

Einen kleinen Platz haben wir "Promesse" [Versprechen, Verheißung] genannt, dort wird es sechs bis acht Zimmer geben, ein Büro, welches das erste Verwaltungsbüro von Auroville sein wird, und auch ein Gästehaus mit fünf bis sechs Zimmern für Besucher. Ein ganz kleiner Platz, mit einem schönen Garten und Bäumen – an der Straße nach Madras, am Rande von Auroville. Es ist schon im Bau. Es wird einen Teich mit Lotosblumen in der Mitte geben und eine große Marmorschale, glaube ich, auf der dieser Text auf französisch eingraviert sein wird, um den Leuten zu erklären, was Auroville ist.

*
*   *

(Mutter ordnet ihre Notiz über den "guten Willen" ein, nachdem sie entschieden hat, sie zur Veröffentlichung in Mother India freizugeben. Satprem bemerkt, es sei schade, daß sie nicht auch im Bulletin abgedruckt würde.)

Oh, (lachend) ich kann dir so viele zusammenstellen, wie du willst! Das kommt einfach so – etwas amüsiert sich.

Es kommt sogar auf eine lustige Art. Zum Beispiel liest mir jemand einen Brief vor – "mir": es besteht kein Ich, das ist völlig abwesend –, während ich meinen Tätigkeiten nachgehe: Papiere einordnen und dies und jenes tun. Auf einmal (Geste von oben): "Sag das!" Aha, gut... Woraufhin es kommt. Das ist amüsant: Ein Spiel von Worten, so wie eine Katze, die mit etwas spielt: mit einem schelmischen Blick stößt sie den Ball fort, um ihn wieder zu fangen, sie stößt ihn mit einer Pfote fort und fängt ihn mit der anderen wieder auf. Mit Worten ist es genau dieselbe Bewegung. Jemand amüsiert sich. Du weißt, wer dieser "Jemand" ist!

Manchmal geschieht dies mit einem so außerordentlichen Sinn für Humor, mit einer solchen Feinheit: Die etwas lächerliche Seite desjenigen, der den Brief schrieb oder eine Frage stellte, wird genau erfaßt, worauf die Antwort in unerschütterlichem Ernst erfolgt. Das ist wunderbar!

*
*   *

(Mutter räumt ihren Tisch auf, der mit einem unwahrscheinlichen Haufen bunt zusammengewürfelter Gegenstände übersät ist. Aus einer Ecke zieht sie einen neuen Füller:)

Nun, was hast du mir zu erzählen?

(Schweigen)

Brauchst du einen Füller?... Ich weiß nicht, was er taugt, aber er ist ganz neu. Manche Leute bringen mir fünf, sechs davon; andere vier, fünf... Ich werde von Dingen überflutet. Behalte ihn zur Reserve. Wenn du irgend etwas brauchst, zögere nicht, es zu sagen, denn hier gibt es alles – außer Löwen! – Nur unsichtbar gibt es sie. Ach, an einem Tag war es so amüsant! Ich weiß nicht mehr, was passiert war, jedenfalls wartete ich auf jemanden, als ich plötzlich Löwen von hier, von dort, von überallher kommen sah (Geste in die vier Ecken des Zimmers deutend). Meine Augen waren... (wie soll ich sagen?) weder geschlossen noch offen: ich schaute nach innen, ich betrachtete die Arbeit. Schließlich fragte ich sie: "Aber was wollt ihr denn hier?" – Sie lächelten wie Kinder!... Wirklich amüsant. Vielleicht tue ich ihnen also Unrecht, wenn ich sage, daß es hier alles gibt außer Löwen.

Werde ich eines Tages etwas sehen? 4

Mein Kind, es gibt... (du wirst dich amüsieren), es gibt die mentale Schau: Wenn man konzentriert ist, sieht man Dinge hier (Geste um den Kopf), nicht mit derselben Sicht wie mit offenen Augen, aber man sieht sie. Man sieht Bilder, Gedanken... Dann gibt es eine vitale Schau, da genügt es, die Augen zu schließen, und man sieht allerlei Dinge, nicht immer hübsche. Von der Art der Träume, die du hattest, Träume, die nicht sehr erfreulich waren. Während vielleicht zwanzig, dreißig Jahren (ich begann von klein auf zu sehen – ich wußte nicht, was es war), aber als ich anfing zu verstehen, was dies bedeutete, bedauerte ich es sehr, daß ich keine völlig objektiven Visionen hatte (Mutter macht eine Geste vor ihren geöffneten Augen): nicht solche, wie man sie um den Kopf herum hat, auch nicht solche, wie man sie sieht, wenn man im Vital ist, sondern solche, die man mit geöffneten Augen sieht. Und als ich gewisse Hellseher traf, Leute, die mit offenen Augen sehen, sagte ich mir: "Diese Leute sind erstaunlich!" Als ich Sri Aurobindo kennenlernte, erzählte ich ihm davon. Er machte sich natürlich lustig über mich – und er hatte recht. Also kümmerte ich mich nicht mehr darum.

Erst kürzlich, als ich mit dem Yoga in den Zellen begann, fingen die Zellen an zu sehen! Und dann... was für ein Treiben! Ein Kommen und Gehen, und es schaute und schaute die ganze Zeit über. Ich öffnete die Augen: Anstatt materielle Dinge zu sehen, sah ich die physischen Dinge, die dahinter liegen. Oh, da sagte ich mir: "Ich verstehe!... Es war eine Aspiration der Unwissenheit, jetzt verstehe ich: man ist begnadet, wenn man nicht sieht!" Denn ich klagte immer: "Meine Visionen sind nicht konkret, es sind subjektive, innere Visionen, keine konkreten Visionen. Ich möchte konkrete Visionen haben, ich möchte die materielle Welt so sehen, wie sie ist – nicht ihren trügerischen Anschein: SO WIE SIE IST.&Quot; Als ich zu sehen begann, sagte ich: "Nein danke! Wir sind gesegnet, wenn wir nicht sehen."

Aber das ist es nicht, was ich verlange.

Nein, das weiß ich.

Ich möchte das Licht sehen.

Ja, du willst das Licht sehen. Aber du siehst es doch!

Aber nein!

Ach, mein Kind, ich weiß es, denn ich versichere dir mit aller Aufrichtigkeit, seit du mir das erste Mal sagtest: "Ich will sehen", habe ich mich gefragt: "Aber warum sieht er denn nicht? Er sollte doch sehen." Bei meiner nächsten Begegnung mit Sri Aurobindo (das heißt, sofort danach), sagte ich ihm: "Satprem will sehen." Er antwortete mir: "Er sieht, er weiß es nur nicht. Aber er sieht."

Also dachte ich mir, daß vielleicht... Weißt du, manchmal gibt es eine ganz kleine Lücke: Wir haben viele Bewußtseinsschichten, die sich überlappen, und schon eine kleine Lücke, ein fehlendes Stück zwischen zwei Schichten führt dazu, daß man sich nicht erinnern kann. Théon erklärte mir einst: "Alle Ihre Wesenszustände sind in der vierten Dimension enthalten, eine in der anderen, und es fehlt Ihnen nur eine ganz kleine Zwischenstufe." Im Bewußtsein selbst merkt man es nicht, aber etwas in der ganzen Konstruktion ist nicht entwickelt, und daher dringt das, was von der anderen Seite kommt, nicht hindurch; es geht zwischen den beiden Schichten verloren. Da fragte ich ihn: "Was soll ich also tun?" Er sagte mir: "Sie müssen es entwickeln." Und ich machte die Erfahrung. (Er wies mich an, und ich tat es). Tatsächlich war eine "nervliche Unterstufe" nicht entwickelt (er nannte es das "Nervliche" anstatt das "Vital"), sie war nicht ausreichend bewußt. Ein ganzes Jahr lang konzentrierte ich mich Tag für Tag darauf, sie zu entwickeln: eine pausenlose Konzentration, dort Bewußtsein hineinzubringen – ohne Ergebnis. Während mindestens einem halben Jahr übte ich jeden Tag konzentriert eine Stunde lang – absolut erfolglos.

Doch ich zweifelte nicht, sondern dachte einfach: "Ich muß sehr dumm sein. Ich schaffe es einfach nicht ..." Ich lebte in Paris, der Sommer kam, ich fuhr in die Ferien zu Freunden, zu einem Haus am Meer. Dort stand ein Wäldchen, weite Wiesen, es war sehr schön. Nach dem Mittagessen legte ich mich ins Gras... und dann plötzlich, trat alles in mich – aus der Luft, aus der Erde, aus dem Wasser, von überallher –, alles kam. Alles, alles, was ich nur haben wollte, kam auf diese Weise. Ganz plötzlich. Einfach so, mühelos. Das Ergebnis einer sechsmonatigen Arbeit.

Die Natur fehlt mir hier sehr oft.

Du spürst das.

Ja, sehr.

Ja. Ich habe den Eindruck... (ich habe nämlich viel über dein Problem nachgedacht – es mag scheinen, als ob mir das egal wäre, aber das stimmt nicht, ich habe viel darüber nachgedacht!). Nach meinem Gefühl ist in deinem höheren Mental die Ausdrucksfähigkeit äußerst stark entwickelt. Sobald das Licht mit ihm in Berührung kommt, wird es in Ideen, Worte, Konzepte übersetzt. Es hat KEINE ZEIT, visualisiert zu werden. Nicht äußerlich, sondern ganz oben (wie soll ich sagen?), gerade dort ist es besonders aktiv und ausdrucksvoll (etwas sehr Seltenes, denn dort oben ist für die meisten Menschen alles vernebelt). Weil es so entwickelt ist (was einen höheren Zustand darstellt), fehlt dir der erste Zustand, die Schau, der Schock des Lichts.

Für mich gibt es nur eine Lösung, und zwar den plötzlichen Kontakt mit einem noch HÖHEREN Licht im Supramental. Sri Aurobindo sagte (dies ist offensichtlich, es ist immer so), es gebe mehrere layers, wie er sich ausdrückte (wir können es "Schichten" nennen; es sind zwar keine Schichten, aber das macht nichts), mehrere Schichten des supramentalen Lichts. Die erste (diejenige, die sich manifestiert hat), hast du unmittelbar in Konzepte, Ideen und Worte übertragen. Viele Intellektuelle würden alles darum geben, dies zu haben – du hattest das sozusagen spontan. Den ersten Kontakt, den Eindruck dieser blendenden Lichtfülle hast du daher nicht gespürt. Aber du wirst es spüren, wenn ein HÖHERES Licht kommt.

Ich warte auf diesen Augenblick.

Ich weiß nicht, ob dein Mental kritisch ist oder ob... Ich meine damit, um mich klar auszudrücken, was von beiden stärker ist: dein kritisches Mental oder dein Glaube – ich hoffe, es ist der Glaube (ich wende mich nicht an das kritische Mental) –, dem Glauben sage ich, daß man seit dem 23. hart daran arbeitet. Ich habe sehr oft gebetet, daß du schon bald in Kontakt mit diesem höheren Licht gebracht werden mögest und daß du die blendende Schau dieses Lichtes erfährst.

Wenn du den Glauben hast, wirst du sie haben. Wenn das kritische Mental stärker ist, wird es sich vielleicht etwas hinauszögern.

Gut, jetzt habe ich dir gebeichtet!

Es geht um ein noch nicht-manifestiertes supramentales Licht – beim ersten Schock des Kontakts wirst du es sehen.

Verstehst du, ich will nicht etwas sagen, das der Eitelkeit des Ego schmeichelt, falls so etwas da ist. Aber du hast einen Kontakt mit dem Licht, der unusual [ungewöhnlich] ist; für dich ist es ganz natürlich geworden. In Wirklichkeit aber ist das außergewöhnlich. Man sieht Leute, die diese Verwirklichung in keiner Weise haben, diese genießen den Kontakt mit dem Licht, denn für sie ist es geradezu wunderbar, etwas Neues... Du bist dieses Vergnügens deprived (Sri Aurobindo spricht zu mir): beraubt. Du solltest jedoch wissen, daß dies nur daran liegt, daß dir eine sehr viel höhere Verwirklichung gewährt wurde. Aber mit Aspiration, mit Öffnung, mit Selbsthingabe kannst du etwas wirklich Neues berühren. Dann wirst du den Schock des Neuen erleben.

So lautet seine Antwort.

Nur muß sich dazu das Mental ruhig verhalten.

Wieviele Male hat diese so berühmte Weisheit – die im materiellen Bewußtsein ist und durch die Reibung mit dem Leben, der sogenannten "Erfahrung", entsteht – schon versucht, sich in all diese Erfahrungen der Zellen einzumischen, worauf Sri Aurobindo stets, und zwar mercilessly [mitleidlos] erwiderte: "shut up, you are foolish!" [sei still, du verstehst nichts davon].

Sie hat ihre Lektion gelernt, aber erst ganz vor kurzem.

Man hält sich für weise, man hält sich für intelligent...

Voilà.

Das ist deine Bestimmung.

(Mutter nimmt Satprems Hände)

Ich möchte, daß es für dich morgen wirklich eine neue Geburt ist – aber keine neue Geburt zu einem inneren Sein: eine Öffnung zu etwas, das sich noch nicht in der Welt manifestiert hat.

Dies ist deine Bestimmung.

 

1 "Ja, der gute Wille, der in allen Dingen verborgen ist, offenbart sich demjenigen, der in seinem Bewußtsein einen guten Willen trägt. Dies ist eine konstruktive Empfindungsart, die geradewegs in die Zukunft führt."

Rückwärts zum Text

2 Unter den an Mutter gerichteten Fragen können wir folgende festhalten: "Es wurde gesagt, daß das Supramental 1967 in die Phase einer sich realisierenden Macht treten wird. Was bedeutet genau "eine sich realisierende Macht"?" (Mutter:) Entscheidend auf die Denkweise der Menschen und den Verlauf der Dinge einwirken. "Bezeichnet das Datum 4.5.67 den Beginn der, wie Mutter und Sri Aurobindo sie nannten, neuen supramentalen Art?" – (Mutter:) Seit einigen Monaten sind besonders die bei unseren Leuten geborenen Kinder von sehr spezieller Art.

Rückwärts zum Text

3 Savitri, I.IV.55, dt. Ausgabe S. 65.

Rückwärts zum Text

4 Satprem hatte vor mehreren Wochen einen Brief an Mutter geschrieben, in dem er sich bitter darüber beklagte, daß er niemals etwas "sehe".

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English