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Mutters

Agenda

achten Band

30. Dezember 1967

(Mutter entnimmt einem Haufen von Papieren, Briefen und allerlei Umschlägen eine Notiz über Auroville, die aus dem Gedächtnis nach ihren Worten verfaßt worden war.)

(Lachend) All das hängt wunderbar zusammen!

(Satprem liest die Notiz)

Auroville wird eine materiell unabhängige Stadt sein.

Alle, die dort leben, werden sich an ihrem Leben und ihrer Entwicklung beteiligen.

Diese Teilnahme kann passiv oder aktiv sein.

Es wird keine Steuern als solche geben, aber jeder wird durch Arbeit, Güter oder Geld zum allgemeinen Wohlergehen beisteuern.

Bereiche wie Industrien, die aktiv teilnehmen, werden einen Teil ihres Einkommens zur Entwicklung der Stadt beisteuern, oder wenn sie etwas für die Bürger Nützliches herstellen (wie Nahrungsmittel), werden sie in Sachwerten zur Stadt beitragen, die für die Ernährung ihrer Einwohner verantwortlich ist.

Es werden keine Regeln oder Gesetze aufgestellt. Die Dinge werden sich von selbst in dem Maße formulieren, wie die zugrundeliegende Wahrheit der Stadt sich entwickelt und Gestalt annimmt. Wir greifen nicht vor.

Ist das alles?

Ich glaubte, wir hätten mehr darüber gesagt. Denn innerlich habe ich viel über die Organisation der Ernährung, usw. gesagt. Man wird Versuche anstellen.

Manche Dinge sind wirklich interessant. Zum Beispiel möchte ich, daß... Zunächst wird jedes Land seinen Pavillon haben, in dem es eine Küche des Landes geben wird, das heißt, die Japaner können japanisch essen, wenn sie wollen, usw., aber in der Stadt selbst wird es Nahrung für Vegetarier und Nicht-Vegetarier geben und auch eine Art Versuch, die "zukünftige Ernährung" zu finden. Die ganze Arbeit der Assimilierung, die einen so schwer werden läßt (sie nimmt so viel Zeit und Energie des Wesens in Anspruch), sollte VORHER getan sein: die Leute sollten etwas bekommen, das sofort assimiliert wird, so wie es jetzt schon erhältlich ist; zum Beispiel gibt es sofort assimilierbare Vitamine und auch... (wie nennt man das? – Mutter sucht – ich nehme sie täglich... die Worte und ich stehen nicht auf gutem Fuß)... Proteine. Ernährungsprinzipien, die sich in bestimmten Dingen finden und die nicht voluminös sind – man braucht sonst eine gewaltige Menge, um sehr wenig zu assimilieren. Auf dem Gebiet der Chemie sind sie jetzt weit genug, das könnte vereinfacht werden. Die Leute mögen das nicht aus dem einfachen Grund, weil sie ein intensives Vergnügen am Essen haben. Aber wenn man sich nicht mehr am Essen freut, sollte man sich ernähren können, ohne viel Zeit damit zu verlieren. Man verliert enorm viel Zeit damit: Zeit zu essen, Zeit zu verdauen usw. Ich möchte, daß es eine Versuchsküche gibt, eine Art "kulinarisches Labor" als Versuch. Die Leute könnten hierhin und dorthin gehen, je nach Geschmack und Neigung.

Man bezahlt nicht für sein Essen, aber man gibt seine Arbeit oder Zutaten: Diejenigen, die zum Beispiel Felder besitzen, könnten die Produkte ihrer Felder geben; die Besitzer von Fabriken würden von ihren Produkte abgeben; oder man gibt die eigene Arbeit als Gegenleistung für das Essen.

Das unterbindet den internen Geldaustausch schon sehr beträchtlich.

Für alles könnte man Dinge dieser Art finden... Im Grunde soll es eine Stadt für Studien sein – Studien und Forschung, wie man zugleich einfach leben kann und die höheren Qualitäten MEHR ZEIT haben, sich zu entwickeln. Voilà.

Das ist nur ein kleiner Anfang.

(Dann übersetzt Mutter den Text Satz für Satz)

"Auroville wird eine materiell unabhängige Stadt sein"

Ich möchte auf der Tatsache bestehen, daß es ein Experiment sein wird: Der Zweck ist, Experimente zu machen – Experimente, Forschungen, Studien.

Eine experimentelle Stadt?

Ja... Auroville wird eine Stadt sein, die versuchen wird oder danach strebt oder den Willen hat, "autark" zu sein, das heißt...

Autonom?

"Autonom", darunter versteht man eine Art Unabhängigkeit, die die Verbindung mit der Außenwelt abschneidet, das will ich nicht sagen.

Diejenigen, die Nahrungsmittel herstellen (wenn wir fünfzigtausend geworden sind, wird es schwierig sein, die Bedürfnisse abzudecken, aber im Moment werden es höchstens einige Tausend sein, nicht mehr), nun, eine Fabrik produziert immer viel zu viel... Also wird sie nach auswärts verkaufen und Geld dafür einnehmen. Nimm eine Fabrik wie Aurofood: Aurofood möchte eine besondere Beziehung zu den Arbeitern haben, gar nicht nach dem alten System – eine Art Verbesserung des kommunistischen Systems, eine viel ausgeglichenere Organisation als das sowjetischen System oder der Kommunismus, das heißt, etwas, das weder zu sehr zur einen noch zur anderen Seite tendiert.

Die Idee von Aurofood ist gut, und sie versuchen, Propaganda unter den Industriellen zu machen.

Ich wollte sagen, die Beteiligung am Wohlergehen oder an der Existenz der ganzen Stadt ist keine einheitliche Angelegenheit: Jedes Individuum muß soundso viel geben. Nein, das wird sich nach den Mitteln, der Tätigkeit und den Produktionsmöglichkeiten richten; keine demokratische Idee, die alles in gleichkleine Stücke schneidet wie eine absurde Maschine – es wird sich nach den Mitteln richten: wer viel hat, gibt viel, wer wenig hat, gibt wenig; wer kräftig ist, arbeitet viel, wer es nicht ist, tut etwas anderes. Etwas Wahreres und Tieferes. Deshalb versuche ich nicht, es sofort zu erklären, denn die Leute werden alle möglichen Einwände bringen. Es muß sich AUTOMATISCH vollziehen, sozusagen mit dem Wachsen der Stadt, mit der wahren Geisteshaltung. Deshalb ist diese Notiz sehr knapp.

Zum Beispiel dieser Satz:

"Alle, die dort leben, werden sich an ihrem Leben und ihrer Entwicklung beteiligen ..."

...entsprechend ihren Fähigkeiten und ihren Mitteln, nicht mechanisch soundso viel pro Einheit. Darum geht es. Es muß eine lebendige und WAHRE Sache sein, keine mechanische Routine. Das heißt, wer über materielle Mittel verfügt, so wie sie eine Fabrik liefert, wird proportional zu seiner Produktion beisteuern: nicht soundso viel pro Kopf.

"Diese Teilnahme kann passiv oder aktiv sein."

Ich verstehe nicht, was sie unter "passiv" verstehen (ich sprach nämlich französisch, und es wurde ins Englische übertragen). Was meinen sie mit "passiv"?... Es wäre mehr eine Frage verschiedener Bewußtseinsebenen.

Du wolltest sagen, daß diejenigen, die im Grunde Weise sind und in ihrem Inneren arbeiten, nicht verpflichtet sind...

Ja, so ist es. Diejenigen, die ein höheres Wissen haben, müssen nicht unbedingt mit ihren Händen arbeiten, das meine ich.

"Es wird keine Steuern als solche geben, aber jeder wird durch Arbeit, Güter oder Geld zum allgemeinen Wohlergehen beisteuern."

Das versteht sich: es wird keine Steuern und Abgaben geben, aber jeder soll durch seine Arbeit, Güter oder Geld zum allgemeinen Wohlergehen beitragen. Diejenigen, die nichts anderes als Geld haben, werden Geld geben. Die Arbeit kann ja auch eine innere Arbeit sein (aber das läßt sich nicht aussprechen, weil die Leute nicht aufrichtig genug sind), die Arbeit kann okkulter Natur sein, rein innerlich, aber dafür muß man wirklich aufrichtig, wahrhaftig und fähig sein: keine Anmaßung. Es muß jedenfalls nicht unbedingt eine materielle Arbeit sein.

"Bereiche wie Industrien, die aktiv teilnehmen, werden einen Teil ihres Einkommens zur Entwicklung der Stadt beisteuern, oder wenn sie etwas für die Bürger Nützliches herstellen (wie Nahrungsmittel), werden sie in Sachwerten zur Stadt beitragen, die für die Ernährung ihrer Einwohner verantwortlich ist."

Das sagten wir schon. Die Industrien werden aktiv teilnehmen und beitragen. Industrien, die Güter herstellen, die man nicht ständig braucht oder die in zu großer Menge produziert werden, werden nach auswärts verkaufen – diese sollen natürlich ihren Beitrag in Form von Geld leisten. Als Beispiel nehme ich die Ernährung: Diejenigen, die Nahrungsmittel herstellen, werden das Nötige an die Stadt abgeben (natürlich im Verhältnis zu ihrer Produktion), und die Stadt ist für die Ernährung aller verantwortlich. Das heißt, man braucht seine Nahrung nicht mit Geld zu kaufen, aber man muß sie verdienen.

Es ist eine Art Adaptation des kommunistischen Systems, aber nicht im Sinne einer Gleichmacherei sondern entsprechend der Fähigkeit, der Stellung... weder psychologisch noch intellektuell, aber je nach der INNEREN Stellung eines jeden.

Bei den Demokraten und den Kommunisten ist es eine Gleichmacherei von unten her: Alle werden auf ein gleich niedriges Niveau gebracht.

Ja, genau.

Wahr daran ist, daß jedes menschliche Wesen materiell das Recht hat... (aber es ist kein "Recht"...) Die Organisation soll so beschaffen sein, daß die materiellen Bedürfnisse von allen nicht nach der Idee des Rechts und der Gleichheit abgedeckt werden, sondern sich auf die elementarsten Notwendigkeiten stützen; wenn dies einmal gewährleistet ist, soll jeder frei sein, sein Leben, nicht entsprechend seinen geldlichen Mitteln, sondern entsprechend seinen inneren Fähigkeiten zu organisieren.

"Es werden keine Regeln oder Gesetze aufgestellt. Die Dinge werden sich in dem Maße von selbst formulieren, wie die zugrundeliegende Wahrheit der Stadt sich entwickelt und Gestalt annimmt. Wir greifen nicht vor."

Ich will sagen, daß die Menschen (bis jetzt und immer mehr) entsprechend ihren Konzeptionen und ihrem Ideal gewohnheitsmäßig mentale Regeln aufstellen und sie dann anwenden (Mutter senkt ihre Faust, um die Welt unter der Fuchtel des Mentals zu zeigen). Das ist absolut falsch, willkürlich und irreal; die Folge ist, daß die Dinge revoltieren, oder sie verkümmern und verschwinden... Die Erfahrung des Lebens SELBST soll langsam die Regeln ausarbeiten, und zwar so ELASTISCH und so WEIT wie möglich, so daß sie immer fortschreitend sind. Nichts soll festgelegt werden. Das ist der große Irrtum der Regierungen, man fixiert einen Rahmen und sagt: "Das ist der Rahmen, nun habt ihr darin zu leben." So erdrückt man natürlich das Leben und hindert es am Fortschreiten. Das Leben selbst sollte in dem Maße, wie es progressiv in Richtung Licht, Bewußtsein und Macht fortschreitet, allmählich möglichst allgemeine Regeln begründen, so daß diese äußerst anpassungsfähig bleiben und sich bedarfsweise ebenso schnell ändern können, wie die Gewohnheiten und Bedürfnisse wechseln.

(Schweigen)

Im Grunde läuft das Problem auf folgendes hinaus: Die mentale Herrschaft der Intelligenz soll durch die Herrschaft eines spiritualisierten Bewußtseins ersetzt werden.

Das ist eine äußerst interessante Erfahrung: Wie die gleichen Handlungen, die gleiche Arbeit, die gleichen Beobachtungen, die gleiche Beziehung zur Umgebung (nah oder fern) im Mental durch die Intelligenz und im Bewußtsein durch Erfahrung geschehen. Genau das lernt der Körper gerade: die mentale Herrschaft der Intelligenz durch die spirituelle Herrschaft des Bewußtseins zu ersetzen. Das bewirkt einen enormen Unterschied (es sieht nach nichts aus, man nimmt es kaum wahr), insofern als es die Möglichkeiten des Körpers verhundertfacht... Ist der Körper Regeln unterworfen, auch wenn sie noch so weit und umfassend sind, wird er zum Sklaven dieser Regeln, und seine Möglichkeiten werden durch diese Regeln eingeschränkt. Ist er aber vom Geist und vom Bewußtsein geleitet, so gibt ihm das eine unvergleichliche Möglichkeit und Flexibilität. Genau dies wird ihm die Möglichkeit geben, sein Leben, sein Fortbestehen zu verlängern: die mentale, intellektuelle Herrschaft wird ersetzt durch die Herrschaft des Geistes und Bewußtseins – DES Bewußtseins. Äußerlich scheint es keinen großen Unterschied zu machen, aber meine Erfahrung ist so, denn jetzt gehorcht mein Körper überhaupt nicht mehr dem Mental oder der Intelligenz – er versteht nicht einmal mehr, wie diese funktionieren –, stattdessen folgt er immer mehr und immer besser der Leitung, dem Impuls des Bewußtseins. So sieht er in fast jeder Minute den ungeheuren Unterschied... Zum Beispiel hat die Zeit ihren Wert verloren (ihren starren Wert): man kann die genau gleiche Sache entweder in sehr kurzer oder sehr langer Zeit tun. Notwendigkeiten haben ihre Macht eingebüßt: man kann sich so oder so einrichten. Alle Gesetze – wie die "Naturgesetze" – haben ihre Zwangsherrschaft verloren, ja, man kann sagen: sie gelten nicht mehr. Es genügt, immer elastisch, aufmerksam und... "antwortend" zu sein (wenn es das gibt), offen für den Einfluß des Bewußtseins – des Bewußtseins in seiner Allmacht –, um mit außerordentlicher Geschmeidigkeit durch alles hindurchzukommen.

Diese Entdeckung mache ich mehr und mehr.

Eine wunderbare Entdeckung, wirklich wunderbar!

Es ist wie ein fortschreitender Sieg über alle Gebote, alle Naturgesetze. Alle menschlichen Gesetze, alle Gewohnheiten, alle Regeln, all das wird geschmeidiger, um schließlich inexistent zu werden. Trotzdem kann man einen regelmäßigen Rhythmus einhalten, der die Aktion erleichtert – das steht nicht im Gegensatz zu dieser Geschmeidigkeit. Aber es tritt eine Geschmeidigkeit in der Ausführung, in der Anpassung ein, die alles verändert. In hygienischer, gesundheitlicher und organisatorischer Hinsicht – die Beziehungen mit den anderen betreffend, all das hat nicht nur seine Aggressivität verloren (denn dafür genügt es, weise zu sein: weise, überlegt und ruhig), sondern auch seine Absolutheit, seine zwingende Gesetzmäßigkeit ist vollkommen verschwunden.

So sieht man: in dem Maße, wie der Prozeß immer vollkommener wird – "vollkommen" im Sinne von integral, total, nichts zurücklassend –, ergibt sich NOTWENDIGERWEISE und unvermeidlich der Sieg über den Tod. Nicht, daß die Auflösung der Zellen, was den Tod bewirkt, zu existieren aufhört, aber sie würde nur noch existieren, wenn sie notwendig wäre: nicht als absolutes Gesetz, sondern als einer der Prozesse, wenn es erforderlich ist.

Vor allem wird alles, was das Mental an Starrheit, Absolutem und fast Unbezwingbarem brachte... einfach verschwinden, indem die Oberherrschaft an das Höchste Bewußtsein abgetreten wird.

Vielleicht wollten das die alten Weisen sagen, als sie davon sprachen, die Kraft der Natur oder der Prakriti an den Purusha weiterzugeben. Vielleicht drückten sie das auf diese Weise aus.

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