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Mutters

Agenda

neunten Band

27. November 1968

(Mutter ist sehr erkältet. Tatsächlich befindet sie sich seit Juli innerhalb derselben schmerzhaften Bahn.)

Das, was du letztes Mal beschrieben hast, könnte vielleicht für das Februar-Bulletin verwendet werden. Es machte einen sehr wichtigen Eindruck...

Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern.

Du berührtest die "zentrale Erfahrung" der Transformation.

Ach, ja. Das war es.

Es geht weiter... Der Körper hat den Eindruck, daß er zu verstehen beginnt. Für ihn ist das natürlich in keiner Weise eine Frage des Denkens sondern der Bewußtseinszustände. Bewußtseinszustände, die sich vervollständigen und sich ablösen... Dies geht so weit, daß er sich fragt, wie man durch Denken überhaupt etwas wissen kann; für ihn liegt die einzige Form des Wissens und des Erkennens im Bewußtsein. Das wird – von einem allgemeinen Standpunkt aus gesehen – immer deutlicher, und er wendet dies auch an; er wendet es auf sich selbst an, d.h. ein Prozeß ist im Gange, damit alle Teile des Körpers nicht allein der Kräfte bewußt werden, die sie aufnehmen und die ihn durchdringen, sondern auch der Aktion seiner inneren Funktionsweise.

Dies präzisiert sich immer mehr.

Es ist vor allem folgendes: alles ist für ihn ein Bewußtseinsphänomen, und wenn er etwas tun möchte, versteht er beinahe nicht mehr, was es heißt "zu wissen, wie man etwas tut"; er muß sich BEWUSST sein, wie es zu tun ist. Und das gilt nicht allein für ihn sondern auch für alle Leute, die ihn umgeben. Das wird jetzt eine so selbstverständliche Tatsache... Etwas von jemand anderem lernen – z.B. zu lernen, wie man etwas Bestimmtes tut, kann er nur, indem er es selber macht und das Bewußtsein darauf richtet. Was man ihm erklärt, was andere ihm erklären können, erscheint ihm hohl – leblos und hohl.

Und das wird mehr und mehr so.

(Schweigen)

Das letzte Mal hattest du nicht auf meine Frage geantwortet, was die Vision von dir wohl bedeuten mochte, in der du flach auf dem Boden lagst...

(Mutter lacht) Ich glaube, es handelt sich hier um das Symbol einer vollkommenen Unterwerfung. Ich lag auf dem Rücken, nicht wahr?

Ja, flach auf dem Boden.

Auf dem Rücken. Das muß wohl der bildhafte Ausdruck für die Haltung des Körpers sein. 1

Die Haltung vollkommener Empfänglichkeit in einer totalen Hingabe.

Denn so verhält es sich tatsächlich.

Ich weiß wirklich nicht, ob es noch "Teile" gibt, d.h. Organe, die noch immer das haben, was man einen "Geist der Unabhängigkeit" nennen könnte, aber der Körper hat seine Unterwerfung wahrhaftig vollzogen, d.h. er hat keinen Eigenwillen, keinerlei Verlangen, und er befindet sich die ganze Zeit auf dem "Horchposten" – die ganze Zeit –, um die Anzeichen wahrnehmen zu können.

Er beginnt, genau die Stelle zu erkennen, wo die Funktionsweise nicht... ich kann nicht von "Transformiertsein" sprechen, denn das ist ein ziemlich großes Wort, aber eine Funktionsweise, die sich nicht in Ausgeglichenheit mit dem Rest befindet und eine Störung verursacht. Das wird eine Wahrnehmung jeden Augenblicks. Sobald etwas geschieht, was anomal erscheint, kommt sogleich das Verständnis, das Bewußtsein, warum dies geschieht und daß es zu etwas führen sollte: wie eine scheinbare Störung zu einer höheren Vollkommenheit führen kann. So ist das. Und dies ist erst ein winziger Anfang. Aber immerhin ist es ein Anfang. Er fängt an, ein bißchen bewußt zu werden. Und nicht nur für sich allein sondern auch für andere: zu sehen, wahrzunehmen, wie Das Bewußtsein in den anderen agiert; und mitunter gerade... (Worte hinken WEIT hinter der Erfahrung her) es gibt keine Wahrnehmung der Trennung mehr: nur eine Wahrnehmung der Vielfalt, und das wird sehr interessant... die Vielfalt, die (gäbe es nicht das, was man eine "Verstrikkung" durch die Trennung nennen könnte) im wahren Bewußtsein vollkommen harmonisch wäre und ein Ganzes ergäbe, das die Vollkommenheit selbst darstellen würde (Mutter macht eine kreisförmige Geste).

Die Verstrickung – was ist bloß geschehen?

Bleibt zu wissen, ob es aus irgendeinem Grunde notwendig war, oder ob ein Unfall dazu führte – aber wie kann es sich um einen Unfall handeln! Für den Augenblick... es gibt keine Gedanken mehr, also ist es ein wenig vage, aber im Moment besteht der Eindruck... man könnte es einfach so sagen: der Aufbau eines UNGEHEUREN Bewußtseins, das um den sehr großen Preis allen Leidens und aller Störungen erworben wurde... Gestern oder heute (ich erinnere mich nicht mehr genau, ich glaube gestern) war das Problem in einem gewissen Moment sehr akut (Mutter berührt ihre Wange und ihren Hals), und da schien es, als sagte das göttliche Bewußtsein: "In all diesem Leiden bin Ich es, der leidet (das Bewußtsein, verstehst du), Ich bin es, der leidet, aber auf andere Weise als ihr." Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... der Eindruck, wie das göttliche Bewußtsein das wahrnimmt, was für uns Leiden ist, und daß es existiert – daß es für das göttliche Bewußtsein existiert, jedoch auf andere Weise als für unser Bewußtsein. Dann ein Versuch, gleichzeitig das Bewußtsein des Ganzen, das gleichzeitige Bewußtsein von allem, begreiflich zu machen... Vereinfacht könnte man sagen: das Bewußtsein des Leidens (der akutesten Störungen) und der vollkommensten Harmonie (des Anandas) – beides zugleich, gemeinsam wahrgenommen. Und dies verändert natürlich die Beschaffenheit des Leidens.

All das ist sich jedoch bewußt, daß all diese Worte wie Geschwätz klingen. Es ist nicht die richtige Übersetzung von dem, was sich tatsächlich abspielt.

Es besteht auch die Wahrnehmung, daß langsam aber sicher, als Folge all dieser Erfahrungen, jedes Gebilde (das, was für uns ein Körper ist) sich daran gewöhnt, das Wahre Bewußtsein ertragen zu können... Dies verlangt einen Spielraum zur Anpassung.

Sri Aurobindo sagte auch in seinen Thoughts and Glimpses, glaube ich, daß das Leiden die Vorbereitung auf das Ananda sei. 2

Ja. Ich muß sagen, daß es eine Menge Dinge von Sri Aurobindo gibt, die ich jetzt in einem ganz anderen Licht begreife.

Ich sagte dir schon, daß sich hier (Mutter deutet auf ihre Nase, ihren Mund und ihre Kehle) der Widerstand am vollständigsten zeigte. Als Erfahrung ist dies sehr interessant, es bedeutet jedoch noch eine Menge...

(Schweigen)

Man hat den Eindruck, daß etwas zum Greifen nahe ist... und dann entzieht es sich wieder. Es fehlt noch etwas.

(Schweigen)

Es ist noch ein langer, langer Weg.

 

1 Unmittelbar nach diesem Gespräch schickte Mutter Satprem eine Notiz, in der sie den nächsten Satz hinzufügte.

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2 "Ein Schmerz, der eine Verbindung mit einer unvorstellbaren Ekstase zu erlangen sucht." Siehe auch Gedanken und Aphorismen, 93: "Der Schmerz gleicht der Faust unserer Mutter, die uns beizubringen versucht, die göttliche Trunkenheit auszuhalten und in der Ekstase zu wachsen. Ihre Lektion vollzieht sich in drei Stufen: zunächst das Ertragen, dann der Gleichmut und schließlich die Ekstase."

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