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Mutters

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zehnten Band

8. Februar 1969

(Durch eine Laune des Zufalls ist die Aufzeichnung des Anfangs dieser Unterhaltung erhalten geblieben, obwohl wir normalerweise das einleitende Zwiegespräch oder Nebensächlichkeiten, die uns "geschichtlich" uninteressant erschienen, immer löschten. Hier werden zum Spaß einige dieser Fragmente wiedergegeben:)

Heute ist Suppentag. Hier!

Hühnersuppe... so viel!

Ich bringe dir nur einmal wöchentlich welche mit.

Das ist viel!

(Mutter zeigt Sujata eine Schachtel) Hier, das muß ich dir zeigen. Möchtest du eine Arbeit haben?

(Sujata:) Ja, liebe Mutter.

Dies bekam ich gestern. Angeblich sind das besondere Biskuits – natürlich kann ich sie so nicht kauen, aber glaubst du, du könntest sie für mich zerkrümeln?

Ja, Mutter.

Dann könnte ich sie essen.

Oder vielleicht warten wir, bis die kandierten Kastanien aufgebraucht sind? Denn die halten sich nicht unbegrenzt lange. Ihr eßt sie doch auch, oder?

Ja, liebe Mutter!

Ja? Sonst verderben sie nämlich.

Glaubst du, du könntest mir ein Biskuit zerkrümeln? Immer nur eins.

(Satprem:) Nur eins?... Oder vielleicht zwei?

Zwei wären zu viel.

(Sujata:) Eineinhalb?

Zwei sind zu viel für mich. Eins genügt. Zerkrümelst du es mit der Hand?

Ja, liebe Mutter.

Nun, dann mach mir doch bitte nur eins.

Und was, wenn du noch eins am Nachmittag zu dir nähmest?

Am Nachmittag wäre es zu viel...

Wäre früh morgens unbequem für dich?... Ich frühstücke um halb neun, ist das zu früh?

(Satprem:) Sie erledigt das um 5 Uhr morgens!

Ich stehe um halb fünf auf.

(Sujata lachend:) Ich auch!

Dann halt am Morgen. Du machst es so: erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag, vierter Tag, fünfter Tag...

Ja, Mutter!

Geht das so? Ist dir das nicht lästig?

Überhaupt nicht!

Nicht "lästig", aber schwierig?

Nein, Mutter, keineswegs! Ich stehe morgens sehr früh auf, das geht ganz in Ordnung.

Sie kommen aus Deutschland – jemand brachte sie mir gestern.

Ach, jetzt zu dir (Satprem), hast du etwas Neues?

Hier sind die Korrekturbögen für das Bulletin.

Oh, das müssen wir ansehen!

Hier ist "Die Synthese des Yoga", dann die "Entretiens": dieses lange Entretien [über die Krankheiten]...

Diesbezüglich stellte mir R [der Architekt von Auroville] Fragen, um den Leuten antworten zu können. Er fragte mich, ob es notwendig sei, die Dinge zu organisieren usw. Die Antwort kam in absolut zwingender Weise: ich antwortete, daß Organisation die Disziplin im Handeln ist, und daß Disziplin im Leben ganz und gar unerläßlich ist. Ich sagte: der Körper und seine ganze Funktionsweise ist eine Disziplin, und wenn irgendein Teil nicht mehr der Disziplin folgen will – aus Revolte oder Unfähigkeit oder aus... irgendeinem Grund –, dann wird man krank.

Dies kam so deutlich, daß ich es ihm sagte.

R hat den Zettel noch – ich bat ihn, ihn mir zu geben 1 .

Ich habe noch einen hier, den ich dir später zeigen werde.

Interessanterweise kam die Erfahrung, BEVOR ich seine Frage hörte, wie immer. Am Morgen hatte ich die Erfahrung, ich betrachtete... ich betrachtete die Funktionsweise des Körpers und sagte mir: "Was für eine wunderbare Disziplin!" Jeder Teil verrichtet seine Arbeit regelmäßig. Wenn aus irgendeinem Grund, aus bösem Willen, aufgrund einer Laune oder aus Unfähigkeit ein Teil aufhört, seine Rolle genau zu spielen, plumps! wird man natürlich krank.

Das wird für ein anderes Mal sein.

Danach kommen die "À Propos", dann "Die Notizen auf dem Weg"... Ich fragte mich, ob wir nicht am 21. Februar die Tonbandaufnahme deiner Worte über die Herabkunft des Bewußtseins des Übermenschen vorspielen könnten?

Glaubst du...

Ja, auf dem Sportplatz spielen sie immer die alten "Entretiens" ab.

Glaubst du, das kann nützlich sein?...

Ich glaube, es hat viel mehr Kraft als...

Als das Geschriebene.

Von einem persönlichen Standpunkt stört mich nur, daß ich mehrmals Fragen stelle und man also meine Stimme hören würde.

Das macht nichts! (Mutter lacht)

Ja, nun... Ich weiß, daß es die Leuten freuen würde. Mit deiner eigenen Stimme ist es sofort viel...

Wer entscheidet das? Nolini?

Aber nein! Niemand entscheidet. Du mußt sagen, ob es dir recht ist.

Man hat mich noch nicht gefragt...

Nein, außer den "Aphorismen" hat man keine neueren Gespräche von dir abgespielt.

Könntest du vielleicht Nolini fragen, was er denkt? 2

(Satprem zeigt Mutter das Ende der Druckfahnen)

Gut, das ist in Ordnung.

Solltest du sie nicht unterschreiben?

Ich unterschreibe nie.

Ach, komm näher! Wenn du all das wegnehmen könntest (ein Berg Briefe, unter dem Mutter eine Notiz hervorholt), ich habe hier einen Zettel... Oh, je!... das ist es. Es ist ziemlich schlecht, ich warne dich, es ist wie eine lächerliche Karikatur dessen, was ich gesagt habe...

Ist es eine Mitschrift?

Ich sprach, und F schrieb es nachher aus dem Gedächtnis auf, verstehst du: das Wichtige ist weg, es ist um einiges vermindert...

(Satprem liest:) "In Auroville wird man kein Geld verdienen; man wird nicht arbeiten, um Geld zu verdienen ..."

Das fällt schon drastisch ab... (Geste zum Boden).

Dann: "Wenn man ein Unternehmen aufbaut, werden der Profit oder die Produkte dieses Unternehmens an die Stadt gehen ..."

So ist das nicht – ganz und gar nicht! Nein, das ist unbrauchbar.

"... Jeder soll entsprechend seinen Fähigkeiten und seinen Bestrebungen eine Arbeit für das Kollektiv verrichten – niemals, um Geld zu verdienen, sondern um der Gemeinschaft zu dienen. Im Gegenzug wird jedem das Lebensnotwendige gegeben. Es kann nicht darum gehen, jedem das Gleiche zu geben, sondern jeder wird das für seine wahre Natur Notwendige erhalten. Offensichtlich wird dies sehr schwer zu bestimmen sein, und es müßte im Zentrum von Auroville eine Gruppe von Weisen geben ..."

(Mutter lacht)

"... die über die Bedürfnisse der wahren Natur eines jeden entscheiden. Die Arbeiter werden in einem eigens für sie konzipierten Dorf leben, damit sie sich in einer angemessenen Atmosphäre befinden. Ihrer Arbeit entsprechend werden sie Gutscheine bekommen, mit denen sie sich... usw."

Da ist wirklich kaum ein Wort so, wie ich es gesagt habe. Seltsam. Das gibt mir ein genaues Beispiel von dem, was ich sagte, und wie es im Gehirn der anderen empfangen wurde.

Das ist unbrauchbar.

Ja, man spürt deutlich die menschliche Übertragung.

Es ist nutzlos – es trifft die Sache nicht.

Ja, du hast es nicht so gesagt.

Es ist nutzlos – ich kann es nicht gebrauchen.

Auf diese Weise werden die Ideen verdorben.

Ja, sie werden platt.

(Mutter lacht) Es ist kraftlos! Das ist unbrauchbar.

Es wird platt, kleinkariert und dogmatisch.

Dogmatisch. Es ist ganz und gar unkenntlich. Das ist unbrauchbar.

Ich hatte gar nicht geplant, darüber zu sprechen, aber in dem Moment sah ich die Dinge, und so kam es – es war eine Vision. Es traf sich, daß F gerade da war. Ich fragte sie: "Willst du es versuchen? Ich werde sprechen, und wenn du dich erinnern kannst, schreibst du es auf." Sie war sehr froh und... Nein, das ist ärgerlich, denn es kommt nie auf die gleiche Weise wieder – nie. Beim nächsten Mal ist es immer entweder ein anderer Gesichtspunkt oder ein anderer Anlaß. Somit verändert sich der Blickwinkel.

*
*   *

Etwas später

Diese Atmosphäre oder das Bewußtsein [des Übermenschen] scheint eine Lehrfunktion auszuüben, denn seitdem es erschienen ist, befaßt es sich mit der Erziehung des Körpers – des BEWUSSTSEINS des Körpers –, das ist außerordentlich interessant. Diese Erziehung geschieht ganz und gar nicht auf einer persönlichen Ebene: sie betrifft die Vision der Evolution der Erde, mit einer besonderen Konzentration auf die menschliche Evolution. Es umfaßt verschiedene Konzepte des Ganzen, der Gesamtheit, und auch sehr spezifische Dinge, ganz besondere Gesichtspunkte, Präzisionen und Betonungen, die sich manchmal eine ganze Stunde lang auf ein einzelnes Thema richten, um die Ursachen und Konsequenzen sowie den VERLAUF der Evolution von Grund auf zu verstehen.

Im allgemeinen (aber nicht ausschließlich) besteht die Methode darin, eine Erinnerung im Körper zu erwecken, die ganz vergessen und scheinbar völlig verschwunden war. Dieses Bewußtsein erweckt eine solche Erinnerung und zeigt, wie das betreffende Geschehen im allgemeinen damaligen Zustand möglich war, und wie es ein Rückstand der Vergangenheit ist, der für die Zukunft unannehmbar ist (ich werde gleich ein Beispiel dafür geben).

Heute morgen ging es um etwas sehr Seltsames... Plötzlich erweckte es nämlich die Erinnerung an ein Erlebnis aus meiner Kindheit, als ich acht oder zehn Jahre alt war, das ich völlig vergessen hatte. Sonntags (oder an Feiertagen) besuchte ich immer meine Cousins und Cousinen, die Kinder eines Bruders von meinem Vater. Ich ging, um mit ihnen zu spielen. Ich sehe das Haus immer noch vor mir. Oft verbrachten wir unsere Zeit mit dem Spielen von Szenen oder indem wir eine Geschichte in einzelnen Bildern darstellten. Und heute morgen zeigte mir dieses Bewußtsein eine solche Episode, die ich wirklich total vergessen hatte. Es gibt doch die Geschichte von "Blaubart", nicht wahr? ("Blaubart"... ich weiß nur noch das, was ich heute morgen sah.) Eines Tages bildeten wir ein "lebendes Bild" in mehreren Szenen aus der Geschichte Blaubarts, der seine Frauen köpfte... (zu Satprem:) so geht die Geschichte doch, oder?... (Lachen) Ich erinnere mich nicht mehr... Wir spielten in einem großen, langen Zimmer, einer verglasten Veranda in Paris. Wir hatten einige Mädchen an die Wand gelehnt und ihnen das Haar über dem Kopf festgeknüpft (Mutter lacht). Dann deckten wir den Rest ihres Körpers mit einem Leintuch ab. Das Leintuch reichte bis zum Boden, so daß man den Körper nicht sehen konnte, nur der Kopf war noch sichtbar.... Ich sage dir nur das, was ich heute morgen sah, sonst erinnere ich mich gar nicht mehr an das Märchen. Dieses Bewußtsein zeigte mir die Erinnerung an die ganze Szene: ich sah das Zimmer und seine Einrichtung. Gleichzeitig kam mir in den Sinn, daß... Weißt du, wir fanden das ganz natürlich, einfach eine Geschichte, die wir gelesen hatten, denn ich erinnerte mich an den Eindruck, den ich damals hatte: kein Grauen, es erschien uns überhaupt nicht abscheulich (lachend), wir amüsierten uns köstlich!... Diese Erfahrung kam und blieb mehr als eine Stunde, damit ich gründlich verstehen konnte, woher die Erinnerung aufgestiegen war, wie sie handelte, und warum wir in jener Verfassung waren. Es wurde gar nicht in persönlicher Hinsicht gesehen: in allgemeiner Hinsicht, aus der Perspektive der Erde und der Menschheit im allgemeinen. Das war äußerst interessant! Gleichzeitig zeigte die Vision, mit welch rasanter Bewegung das universale Bewußtsein vorangeht (Geste eines Pfeils), zum Göttlichen fortschreitet – zum WAHREN Göttlichen: nicht das der Religionen sondern... das wahre Göttliche... durch all das hindurch. Das Bewußtsein des GANZEN – sowie die verschiedenen Stufen (z.B. Geschichten wie die des Marquis de Sade usw.), vom Niedersten bis zum Erhabensten. Eine ganze Stunde lang erschaute ich so ein ganzes Stadium der Menschheit – das Stadium der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts –, und wie es vonstatten ging, Fortschritte machte (Geste einer großen Kurve). Und das ist... Ich habe weder die Worte noch die Fähigkeit, es zu beschreiben, aber die Erfahrung ist außerordentlich interessant. Die Vision der menschlichen Kollektivität auf der Erde, mit allen ihren Etappen, ihren Abstufungen, und wie alles einer Bewegung folgte... (gleiche Geste eines Pfeiles). Und diese Geschichte (diese VISION, denn es war keine Geschichte: ich sah nicht, was wir sagten usw., nur die Vision dessen, was wir taten), diese Geschichte kam wie die Darstellung eines gewissen Geisteszustandes der Epoche und wie man den Kindern Geschichten dieser Art zu lesen gab – man fand das völlig natürlich! (Mutter lacht) Dabei handelt es sich um so schreckliche Dinge.

Sobald ich nicht mehr damit beschäftigt bin, zu sprechen oder Leuten zuzuhören oder eine Arbeit zu verrichten, spielt sich das immerfort vor mir ab, als würden "Musterbeispiele" aus dem Leben dieses Körpers aufgegriffen, und anhand dieses Musters wird die Gesamtheit erklärt. Das ist eine wunderbare Erziehung. Keine einzige menschliche Erziehung (in ihrer aktuellen Konzeption) kommt dem nahe, denn dies ist eine Gesamtschau: das Ganze wird einem zusammen gezeigt.

Das läßt sich einfach nicht aussprechen. Zumindest kann ich es nicht – der Körper ist unfähig, das auf eine methodische und klare Weise zu formulieren. Aber so schnell hat er noch nie gelernt!

Gleichzeitig zeigt es einem die wahre Auffassung... Heute morgen waren auch gewisse Aspekte der Religionen damit vermischt (wie um Anhaltspunkte zu geben), gewisse Einblicke in die Religionen: verschiedene Religionen, religiöse Leute gewisser Glaubensrichtungen, die Einstellungen der Religionen. All das mit der Schau des Ganzen und einer völligen Abwesenheit jeglicher persönlichen Reaktionen (in dieser Betrachtung hatte das beobachtende Bewußtsein keinerlei persönliche Reaktionen, wie zum Beispiel die Reaktion einer Religion gegenüber einer anderen, eines Glaubens gegenüber einem anderen, eines sogenannten Wissens gegenüber einem anderen –, ohne all diese Reaktionen, all diese Konflikte, die im menschlichen Mental bestehen), es wurde so gesehen (souveräne Geste wie über einem glatten Meer), ALLES ZUSAMMEN und alles auf derselben Ebene, die wie eine mentale Zone ist und absolut nichts mit der Wahrheit zu tun hat – das Mental repräsentiert eine unglaubliche Verkleidung der Wahrheit. Die sogenannten "Wahrheiten", für welche die Menschen sich bekämpften und starben und mit aller Leidenschaft die größten Zerstörungen anrichteten, sind eine fast groteske Entstellung der Wahrheit.

Auf diese Weise wurden alle Religionen in ihrer Gesamtheit und mit ihrer Geschichte gesehen.

Und da dies nicht gedacht ist, sondern GESEHEN wird – es ist eine Vision, eine Vision im Bewußtsein –, so müßte man zehn Worte gleichzeitig sagen können. Das läßt sich unmöglich ausdrücken oder beschreiben. Wenn man versuchen wollte, eins nach dem anderen zu beschreiben, hätte es keinen Sinn mehr.

Heute morgen ging das drei Stunden lang auf diese Weise weiter. Eigentlich hörte es erst auf, als ich Leute empfangen mußte, denn dann wird natürlich... Nachts ist es dasselbe, es setzt sich fort. Das ist wie eine Super-Erziehung des Körpers – des BEWUSSTSEINS des Körpers – mit Bildern. Diese Geschichte von Blaubart, die ich eben erzählte, kam wie eine Verbildlichung, damit der Körper auch wirklich versteht, denn auf diese Weise SPÜRTE er seinen damaligen Bewußtseinszustand, und dadurch verstand er – er wurde gleichsam mit einem Abgrund konfrontiert: "Wie war das nur möglich?..." – ein Abgrund von Unbewußtheit. Und diese Einstellung war sehr verbreitet. So präsentierte sich die Vision der Vergangenheit, dazu die Sicht der heutigen Situation und dann der Beginn... (Geste einer Kurve nach vorn) der RICHTUNG, in die wir uns bewegen, und schließlich wie eine Öffnung... (Geste in die Ferne) Eine Vision, die sehr weit in die Zukunft reichte, wo die Harmonie sich hier manifestieren wird.

In einem gewissen Augenblick fragte sich der Körper: "Wer... was? Wer erfreut sich denn an dieser ungeheuren Entfaltung ..., die mit etwas so Obskurem begann und auf etwas so Leuchtendes zugeht?" Plötzlich fragte sich der Körper: "Warum?" Und... (Mutter hält ihre Handflächen geöffnet in einer Geste der Erwartung), es gab keine Antwort... Tatsächlich ließ man ihn spüren: "Noch nicht. Du bist noch nicht bereit. Du kannst es nicht verstehen."

(Schweigen)

Das hat eine so besondere Eigenart... Eine außerordentliche Präzision mit einer solchen Intensität, daß die ganze Aufmerksamkeit des Körpers sich darauf richtet, aber er kann es noch nicht weitergeben... Außer es kommt ganz natürlich mit diesem Bewußtsein [des Übermenschen], das direkt wirkt: wenn es für irgendein Detail, für irgendeine Sache in den anderen handelt – sie selbst wissen das allerdings nicht, der einzelne kennt nicht die ganze Handlung: entsprechend seiner Bewußtseinsentwicklung weiß er mehr oder weniger. Dieses Bewußtsein arbeitet offensichtlich in einem sehr großen Maßstab, und die Ergebnisse sind völlig überraschend – für sich allein genommen erscheinen sie wie Wunder (kleine Wunder, aber es gleicht einem Wunder). Daher fragte ich mich, ob das nicht auch die anderen zu einer inneren Arbeit befähigen würde... Bei den meisten Leuten wirkt sich vor allem die mentale Tätigkeit störend aus – mein Körper ist wirklich unendlich dankbar, daß man ihn von der Anwesenheit des Mentals befreit hat, so daß er nun AUSSCHLIESSLICH unter dem Einfluß dieses Bewußtseins steht, ohne all den angesammelten Ballast des künstlichen Wissens... Dadurch ist alles spontan, natürlich, unkompliziert, überaus einfach – fast kindlich in seiner Einfachheit. Das ist ein großer Vorteil [das Verschwinden des Mentals]. Auf diese Weise kann es sehr schnell gehen – man lernt hundert Dinge, zweihundert Dinge zugleich, alles auf einmal gesehen. Heute morgen war es besonders intensiv.

Wenn man das eins nach dem anderen mit Worten beschreibt, wird es wie dieser Text von F über Auroville: platt und künstlich und allen Lebens beraubt.

Gegenwärtig reichen die menschlichen Mittel nicht aus. Welches werden die Mittel des Übermenschen sein? Ich weiß es nicht. Aber die menschlichen Mittel sind unzureichend.

(Schweigen)

Das war eine sonderbare Erfahrung, denn dieses Ereignis liegt sicher... mehr als achtzig Jahre zurück, und doch war es so intensiv und lebhaft, als sei es gerade eben geschehen – außerordentlich! Sogar heute noch SEHE ich den Schauplatz deutlich: die Wohnung, die Leute, die Szene, alles. Aber es kam nicht von innen, sondern es wurde mir gezeigt (Geste einer Sache, die sich einem aufdrängt). Erst als ich dies betrachtete, sagte plötzlich etwas in mir: "Nanu, das habe ich doch selber erlebt!" Irgendwo war es gespeichert (Geste im Hintergrund), wie man Erinnerungen für schulische Zwecke aufhebt, nur viel präziser, vollständiger und konkreter als irgendein Buch oder sonst etwas wortreich Ausgedrücktes.

(Schweigen)

Sorgen bereitet mir die Gefahr, daß die Leute bei der Schaffung Aurovilles Dogmen aufstellen werden... Denn ich hatte nichts dergleichen zu F gesagt. Aber in ihrem Kopf ist es so geworden. Und selbst wenn wir selber etwas schreiben, wenn man z.B. im Bulletin druckt, was ich sage, wird es abgewandelt, sobald sie es mit ihrem Kopf aufnehmen.

Ich bin sicher, wenn drei verschiedene Leute hören, was dort aufgenommen wird (Mutter deutet auf das Tonbandgerät), hört jeder etwas anderes und VERSTEHT etwas anderes... Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich nützlich ist, die Aufnahmen abzuspielen... Jeder geht mit der Gewißheit weg, daß er es so gehört hat, doch er hat etwas ganz anderes verstanden. Außerdem wurde das, was ich sage, dort gesehen (Geste nach oben), und dann... (Geste, daß es in Bodennähe gehört wird), da wird es so dumm und flach.

Nun, du kannst mit Nolini sehen, aber...

Nein, Mutter, wenn du dieses Gefühl hast, brauchen wir nicht weiter darauf zu beharren.

Das ist kein Gefühl sondern die Erfahrung! Mir wäre nichts lieber, als daß... Tatsächlich habe ich immer den Eindruck: "Handelt, so gut ihr könnt, dann wird das Bestmögliche geschehen, und damit hat sich's." Mir wird aber so deutlich bewußt, wie ungewiß die Auswirkung der Dinge bleibt, diese Komplexität... Alles wird so vermischt und konfus, daß...

Das ganze Leben ist so. Die UMSTÄNDE sind so. Ich beginne es zu sehen. Das wird... es zeigt sich immer deutlicher: ehrenwerte Leute sehen wie Taugenichtse aus, und Taugenichtse scheinen... Ich weiß es nicht.

Sri Aurobindo war sich dieser allgemeinen Verwirrung allzu bewußt, und ihm war es gar nicht lieb, daß... Propaganda wollte er sowieso nicht haben, aber er wünschte es nicht einmal, daß man den Leuten erklärte und versuchte, ihnen irgend etwas "verständlich" zu machen, denn er wußte nur zu gut, wie nutzlos das war. Das hat er mir sehr oft gesagt: Bloß nicht versuchen, den Leuten etwas verständlich zu machen. Die beste Wirkung läßt sich erreichen, wenn man das Bewußtsein ungestört in der Welt arbeiten läßt (universale Geste), denn es bringt in jedem das Maximum dessen hervor, was er tun kann – das Maximum dessen, was er verstehen kann: er versteht es durch den Druck der Gegenwart des Bewußtseins. Sobald Worte eingreifen, stiftet das Mental nur Verwirrung.

Sicherlich muß Sri Aurobindo analoge Erfahrungen zu meinen gehabt haben; jetzt bin ich absolut überzeugt davon. Denn selbst die Leute, die voller guten Willens sind, die stets unter dem richtigen Einfluß stehen, die eine Anstrengung machen, sind... (Geste am Boden) von einer anderen Welt. Und jene, die keinen guten Willen mitbringen...

Musik ist gut.

Oh, ja.

Denn das sind keine Worte. Musik ist gut. Ich hatte eine Vision in dieser Richtung: ein großes Auditorium in Auroville mit großen Orgeln, und jemand (der die Orgel sehr gut spielt und den ich innerlich vorzubereiten versuchte) spielte (ich SAH das, ich sah ihn), er spielte die Musik des höheren Bewußtseins. Es war ein Ort, wo alle, die zuhören wollten, hinkommen konnten. Manche Leute kamen von weither, traten ein, setzten sich, hörten und gingen wieder fort. Diese Musik glich einem herabsteigenden Bewußtsein, das einen Druck auf die Leute ausübte, um sich verständlich zu machen. Das war sehr schön – ich hoffe, es wird so sein! Das ist viel besser als Worte; sobald die Leute zu sprechen beginnen (Bewegung zur Erde), ist es nicht mehr das.

Voilà, mein Kind, jetzt ist es Zeit.

(zu Sujata, nach Satprems Fortgehen:)

All diese Tätigkeiten (zum Beispiel diese Erinnerung aus der Kindheit) geschehen zwischen vier und sieben Uhr morgens, bevor die Leute kommen.

 

Addendum

(Notizen von Aurovilles Architekt)

1. Erfordert der Aufbau von Auroville eine koordinierte Arbeits- und Organisationsmethode?

Im Leben braucht man eine Disziplin. Der Körper selbst ist in allen seinen Lebensfunktionen einer rigorosen Disziplin unterworfen. Jedes Nachlassen dieser Disziplin führt zu Krankheiten.

2. Wie sollte diese Organisation beschaffen sein, jetzt und in der Zukunft?

Die Organisation ist eine Disziplin in der Aktion, aber für Auroville hoffen wir, über eine willkürliche und künstliche Organisation hinauszugelangen. Wir suchen eine Organisation, die ein höheres Bewußtsein zum Ausdruck bringt, das für die Manifestation der Wahrheit der Zukunft arbeitet.

3. Wie sollen wir in der Zwischenzeit vorgehen, bis wir ein gemeinsames Bewußtsein erreichen und bis eine wahre und gerechte kollektive Arbeitsweise zustandekommt?

Eine hierarchische Organisation, die sich um das erleuchtetste Zentrum sammelt und sich einer kollektiven Disziplin unterstellt.

4. Sollten wir Organisationsmethoden einsetzen, die ihre Nützlichkeit schon bewiesen haben, auch wenn sie auf der menschlichen Logik und der Verwendung von Maschinen basieren?

Das ist ein Notbehelf, dem man sich nur rein provisorisch unterwerfen sollte.

5. Soll man die individuelle Initiative sich frei entfalten und die Inspiration und Intuition als Antrieb der persönlichen Handlung gelten lassen und jeden Vorschlag zurückweisen, der vom Betroffenen nicht als gut empfunden wird?

Damit das durchführbar ist, müßten alle Arbeiter Aurovilles Yogis sein, die sich der göttlichen Wahrheit bewußt sind.

6. Ist die Zeit gekommen, eine allgemeine Organisation aufzustellen und auszuprobieren, oder muß man auf die wahre Haltung und die erforderlichen Menschen warten?

Zur Ausführung der Arbeit ist eine Organisation erforderlich. Aber die Organisation selbst muß elastisch und fortschrittlich sein.

7. Wenn Abwarten die Lösung ist, wäre es dann nicht trotzdem nötig, einige Organisationsprinzipien festzulegen, um zu verhindern, daß ein unkontrollierbares Chaos entsteht?

Alle, die in Auroville leben und arbeiten wollen, brauchen:

- Einen integralen guten Willen und eine beständige Aspiration, die Wahrheit zu erkennen und sich ihr zu unterstellen.

- Eine ausreichende Flexibilität, um den Anforderungen der Arbeit gerecht zu werden, und einen unablässigen Willen, immer zur äußersten Wahrheit fortzuschreiten.

Ein kleiner Rat zum Schluß:

Beschäftigt euch mehr mit euren eigenen Fehlern als mit denen der anderen.

Wenn sich jeder ernsthaft darum bemühte, sich selbst zu vervollkommnen, würde die Vervollkommnung der anderen automatisch folgen.

6. Februar 1969

 

1 Im Addendum folgen Rs Notizen zur Organisation von Auroville.

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2 Letztlich wurde nichts unternommen.

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