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Mutters

Agenda

zehnten Band

30. Juli 1969

(Der "Heiler", von dem hier die Rede ist, wird noch öfters in dieser Agenda auftauchen und eine entscheidende Rolle im Leben Satprems spielen, denn durch die Absurdheit des Ganzen half er Satprem zu verstehen, wer Mutter wirklich ist.)

Hat man dir von dem Heiler erzählt?... Ein Mann, der uns aus Frankreich schrieb, der Sohn eines Bauern, glaube ich, jedenfalls keineswegs ein Intellektueller. Durch Zufall wurde er gewahr, daß seine Hände Heilkräfte haben. Er schrieb einen sehr langen Brief über alles, was er tat, wie er sich entwickelte, usw., und schließlich fiel ihm dein Buch in die Hände 1, und als er es las, war das für ihn eine Offenbarung (er hat keinen philosophisch entwickelten Geist, nichts dergleichen), und er sagte: "Folge ich etwa, ohne es zu wissen, dem Yoga Sri Aurobindos?" Er schrieb mir all das, um mir diese Frage zu stellen.

Dieser Mann ohne jede Ausbildung las das Buch, und es war eine Offenbarung für ihn... Er sagte, er würde gern für einige Wochen hierher kommen – er wird tatsächlich kommen; ich glaube, er hat schon seinen Flug gebucht. Das wird interessant werden.

Ja, sicherlich.

Er ist... Ich weiß nicht, ich glaube, er ist schon älter. Er arbeitete in der Metro oder so etwas ähnliches, seine Eltern waren einfache Leute und betrieben Ackerbau.

Er erzählte mehrere seiner seltsamen Erlebnisse – es scheint sich nicht um einen gewöhnlichen Heiler zu handeln... Er scheint etwas an sich zu haben.

Er merkte an seinem eigenen Körper, daß seine Hände Heilkräfte haben, indem er seine Hand auflegte... Seinem Brief zufolge scheint das in der Familie zu liegen, denn er hatte eine Nichte, glaube ich, die durch Auflegen ihrer Hände Tiere heilte.

Jedenfalls fand ich interessant, daß ein Mann ohne Ausbildung und ohne Vorwissen dein Buch las und "die Sache" spürte.

Oh, solche Menschen sind viel aufnahmefähiger als die anderen.

Ja.

(Schweigen)

Du weißt, daß ich meinen Sannyasin nach Paris geschickt habe, aber der Herausgeber, der L'Orpailleur veröffentlicht hatte, wollte ihn nicht haben. Er hielt es für "Spekulationen" und "Abstraktionen". 2

Oh... Dein Monsieur ist wohl ein Einfaltspinsel.

Hier lebt F, die mein Buch gelesen hat (ich weiß nicht warum, aber ich verspürte den Impuls, es ihr zu geben, obwohl ich nicht die Absicht hatte). Sie las es und war offenbar sehr berührt. Sie hat eine Bekannte in Frankreich, und die will nun versuchen, es einem anderen Herausgeber vorzulegen. 3

(Mutter nickt zustimmend)

Was hältst du von diesem Sannyasin?

Ich finde dein Buch sehr gut.

Denkst du das wirklich?

Ja.

Ach, es tut mir gut, das zu hören.

Aber ja, dein Buch ist sehr gut. Es ist jedoch ein Buch von morgen, nicht von gestern. Und dein Monsieur ist wahrscheinlich ein Herr von gestern.

Ich bin jedoch zuversichtlich.

(Schweigen)

Um beim Lesen dieses Buches nichts zu spüren, muß man innerlich vollkommen verschlossen sein – bei solchen Leuten dreht sich nur das Mental im Kreise.

Aber das Seltsame ist, daß diese Leute... Alles, was für uns abstrakt und falsch ist, halten sie für konkret und wahr.

Ja.

Das ist sehr seltsam.

Ja, das stimmt.

Es ist genau das Gegenteil.

Ja, genau. Sie leben in einer vollkommenen Lüge.

Aber hör zu, gestern sah ich ein Dutzend junger Burschen und Mädchen, die, glaube ich, aus Amerika gekommen sind (sie stammen aus verschiedenen Ländern); sie hatten gebeten, mich zu sehen. Ich hatte gesagt: mir liegt nicht besonders daran, sie zu empfangen. Aber sie hatten darum gebeten, und L ließ sich erweichen und führte sie zu mir. Mein Kind, wenn du wüßtest, wie HOHL die sind!... Hohl – nichts als Worte. Sie stellten mir Fragen: "Was bedeutet Verantwortung?"... Eine fragte mich: "Was ist das Göttliche?" (All das sind hypermoderne Leute, die sich für zu schlau halten, um an irgendeine Gottheit zu glauben – sie stehen weit darüber), sie fragte mich in einem etwas spöttischen Ton: "Was ist das Göttliche?" Ich schaute sie an (Mutter scheint sich sehr zu amüsieren), und dann antwortete ich ihr (ich übersetze): "Das Göttliche ist die Vollkommenheit, die Sie verwirklichen sollten."

Das amüsierte mich sehr... Da konnte sie nichts mehr sagen. (Mutter lacht)

Ja, da gibt es nichts mehr zu sagen. 4

(Schweigen)

In fünfzig Jahren wird dein Buch sehr berühmt sein. Aber es ist seiner Zeit voraus. Es mag jedoch sein, daß manche Leute ein Gespür dafür haben – das ist eine Frage des Gespürs: sie verstehen nichts, spüren es aber. 5

(langes Schweigen)

Ich habe mich gefragt, ob man nicht einen Verlag in Auroville haben könnte, denn Auroville ist eine internationale Stadt, und so könnte man einen internationalen Verlag haben. Es gäbe Bücher in allen Sprachen. Das wäre interessant.

In Amerika wird Auroville allmählich recht bekannt. Es gibt da eine Dame (ich habe dir das schon erzählt), die 1972 mit einem ganzen Schiff voller Leute kommen möchte – sie ist sehr an Auroville interessiert und organisiert Versammlungen; sie hat auch Verbindungen zur Regierung. Dort scheint es recht gut zu laufen. Man könnte also einen mehrsprachigen Verlag haben.

Was wir auch haben sollten, denn es hat eine ungeheure Kraft, ist das Kino.

Ach!

Ein Filmstudio.

Sieh an, F sagte mir, daß sie sich dein Buch als Film vorstellte.

Ja, das ist möglich.

Das wäre interessant.

Denn mit einem Film berührt man Millionen von Menschen. Und man hat alles: Licht, Musik, Farben, Gesichter... alles.

Das wäre durchaus machbar.

Dies erfordert allerdings gewaltige Investitionen.

Ja.

Jedenfalls würde es mir großen Spaß machen, an einem Film mitzuarbeiten... Ich halte das für ein so komplettes Ausdrucksmittel: Bilder, Musik, alles ist darin.

Kennst du Paolo?... Er dreht Filme. Warum macht ihr das nicht zusammen?... Er wird wiederkommen.

Mir scheint, daß man da über ein außergewöhnliches Arbeitsmittel verfügt.

Ja.

Ein Buch berührt den Leser, aber es ist ziemlich begrenzt, während durch einen Film sofort Millionen Menschen berührt werden. Man müßte also einen wirklich schönen Film drehen, einen WAHREN Film...

Ja, aber aus diesem Buch ließe sich ein sehr guter Film machen. Du kannst das untersuchen, wenn Paolo zurückkommt, er kennt sich da aus.

Das macht nichts, es könnte in Italien anfangen, dann ginge es nach Frankreich, dann... Überallhin.

Ja, das ist eine Idee.

Die Kraft eines schönen Bildes... Es dringt so leicht ein, man kann so viele Leute verändern – oder zumindest öffnen: die Türen öffnen.

Ja, ja.

(langes Schweigen)

Und im... wie nennt man dieses Ding... Mir fällt das Wort nicht ein – weißt du, das Kino, das man zu Hause hat...

Fernsehen.

Fernsehen... Aber im Kino wäre es besser als im Fernsehen.

Ja, das Fernsehen ist sehr begrenzt. Auch ist das Fernsehpublikum recht ordinär. Das Fernsehen erreicht auch viele, aber es ist begrenzt.

Ich sage dir das, denn Ys Idee war es, in Auroville eine Fernsehstation zu haben (sie beschäftigen sich gerade damit). Einen Sender – um unabhängig von den anderen zu sein: einen eigenen Fernsehsender in Auroville selbst haben.

Das Fernsehen eignet sich sehr gut für wissenschaftliche, technische und dokumentarische Sendungen, eben für Informationen – auf dieser Ebene ist es sehr nützlich.

Ja, aber nicht für die Literatur.

Nicht für die Schönheit der Bilder.

Ich kenne es nicht, ich habe es noch nie gesehen.

Es ist ein ganz kleiner Bildschirm.

Ich mochte Filme schon immer gerne. Ich dachte schon immer, damit ließe sich etwas erreichen.

Oh ja, das ist ein außergewöhnliches Mittel.

(Schweigen)

Könntest du denn selber ein Drehbuch aus deinem Buch machen?

Ja, es ist mit Arbeit verbunden, aber es ist möglich.

Meine Idee wäre, Paolo dafür einzusetzen, aber natürlich müßte... Paolo könnte dir technische Hinweise geben, aber du müßtest es selber ausführen.

Ja, das läßt sich bestimmt machen.

Ich glaube, wenn ich mit ihm darüber rede, wird er es gern tun.

Die Bewegung in Italien geht sehr gut voran.

Die Italiener sind viel aufnahmefähiger.

Ach, dies liegt daran, daß sie schmerzliche Erfahrungen gemacht haben, mein Kind. Sie wissen, was es bedeutet, schikaniert zu werden.

Auch haben sie nicht diese intellektuelle Arroganz – das ist französisch.

(langes Schweigen)

Jemand schrieb gerade aus Amerika (ich glaube, es war aus Amerika), daß sie einen Film drehen wollen, den sie für "revolutionär" halten; es geht um Hitler und den Krieg und Kinder... Aber das ist doch total veraltet! Sie wissen nicht, wie uralt das ist.

Dieses Buch müßte verfilmt werden: auf italienisch für Italien, aber vor allem auf französisch und auf englisch; dann (lachend) werden wir sehen... Weißt du, man müßte in jeder Sprache eine eigene Version drehen.

Ja, das wäre sehr amüsant.

Um zu sehen...

Das wäre wirklich interessant. In Amerika, in Frankreich und in Italien. Das Ergebnis zu vergleichen, wäre sehr interessant.

Ich SAH die Szenen deines Buches, ich sah sie – ich sehe immer Szenen. Noch jetzt sehe ich Szenen... Ist dies das Buch, in dem du von jemandem sprichst, der träumt, er sei tot?

Ja.

Das sehe ich. Und dann das Ende. Das Ende sehe ich auch. Mehrere Bilder. Es würde mich wirklich sehr interessieren zu sehen, welche Version diese Bilder wiedergeben würde – diese Bilder existieren irgendwo in einer subtilen Welt.

Wir werden uns darum kümmern.

Selbst wenn es einige Jahre dauert – zwei oder drei Jahre –, macht das nichts.

Wirst du eine Fortsetzung schreiben?

(Satprem öffnet die Hände)

Es muß eine Fortsetzung geben.

Schick sie mir!

Ja.

(langes Schweigen)

*
*   *

(Dann bezieht sich Mutter auf das letzte Gespräch über die Materialisation und Satprems Brief, in dem er schrieb: "Savitri machte sich doch auf, Satyavan aus dem Tod zurückzuholen... Wird Mutter demnach Sri Aurobindo zurückbringen?")

Ich habe deinen Brief erhalten... Aber du weißt ja, daß Sri Aurobindo gesagt hat, er werde nur in einem Körper des Übermenschen 6 auf die Erde zurückkehren... in einem supramentalen Körper.

(Schweigen)

Damit erhebt sich sofort eine Fülle von Problemen... Schließlich besteht ein beachtlicher Unterschied zwischen dem menschlichen und dem tierischen Leben – desgleichen wird es einen erheblichen Unterschied zwischen dem Leben des Übermenschen und dem menschlichen Leben geben: zwischen dem supramentalen Leben und dem menschlichen Leben. Aber IN WELCHER HINSICHT?... Nimm ganz praktische Dinge: Werden sie Häuser haben? Wie werden sie leben?...

Man kann sich vorstellen, daß sie nicht mehr essen müssen, daß es einen anderen Vorgang der Erhaltung gibt, aber...

Kein Bedarf an Häusern!

(Mutter hört nicht und fährt fort)

Ein individuelles oder ein kollektives Leben? Gebaute Wohnmöglichkeiten oder... spontane?

Sie brauchen keine Häuser, sie ziehen sich nach innen zurück.

Glaubst du, sie können sich unsichtbar machen?

Ja, sich nach innen zurückziehen.

Genau das kam mir auch in den Sinn, aber...

Sie ziehen sich zurück und projizieren sich dann wieder nach außen [Geste eines Zusammenziehens und Ausdehnens].

(Mutter stimmt zu und "schaut")

Genau dies kam mir in den Sinn. (Lachend) Es war sogar... Es kam überhaupt nicht als Gedanke sondern als TATSACHE – ein Sri Aurobindo, der sichtbar wird, den man hört und der dann... (Mutter lacht) einfach wieder verschwindet.

Das wäre wunderbar, mein Kind.

(Mutter lächelt und bleibt weiter in Betrachtung)

Eine Gesamtheit von Dingen hätte die Macht, sichtbar oder unsichtbar zu sein: in einem Augenblick zu erscheinen, wo es einen Seinsgrund gibt, und zu verschwinden, wenn es nicht mehr nötig ist... Das eröffnet großartige Horizonte.

Aber so ist es doch schon im Subtilphysischen.

Ja schon, aber...

Im Grunde muß die Trennwand zwischen dem Leben und dem, was die Menschen "Tod" nennen, verschwinden. Wenn ich sage, diese Wesen "ziehen sich nach innen zurück", erscheinen sie für uns wie "tot", verstehst du? Für die Menschen sind sie tot. Aber tatsächlich müßte es einen Übergang geben.

Nein, denn hier bleibt ein Körper zurück, den man einäschert oder beerdigt.

Ja, aber bei diesem supramentalen Wesen würde eben kein "Körper" zurückbleiben: es verinnerlicht sich (das heißt für die Menschen "stirbt" es) oder exteriorisiert sich und wird für die menschlichen Wesen wieder lebendig – ein beliebiger Wechsel von einem Zustand in den anderen.

Das entspricht ganz meiner Erfahrung: Es stimmt nicht, es gibt kein "Leben und Tod".

Genau, das gibt es nicht. Aber trotzdem bleibt ein Schleier oder eine Wand zwischen den beiden Zuständen.

Aber NOCH ist es so – man kann einen Augenblick voraussehen, wo diese Trennung nicht mehr besteht.

Ja. Wenn sie nicht mehr besteht, könnte Sri Aurobindo herüberkommen.

Oh, dann wäre er ständig hier, er würde ständig erscheinen.

Wie kann man die Trennwand zum Fallen bringen?

Ah!...

Wie hindurchgehen?

(langes Schweigen)

Wir werden sehen. Das eröffnet ein ganzes Erfahrungsfeld.

(Mutter verharrt lange in "Betrachtung",
dann scheint sie plötzlich sehr amüsiert)

Ich hatte gerade eine Vision... wie ein Leben wäre, in dem die Wesen des Supramentals mit dem physischen Leben vermischt wären... Das wäre... Weißt du, für Dreiviertel der Menschheit wäre dies ein schrecklicher Schock. Jemand erscheint plötzlich (Mutter lacht), und dann, gerade wenn man ihm etwas sagen will, paff! niemand mehr da.

Stell dir das bloß vor! Der Bösewicht will gerade seinen schlechten Coup landen, und jemand taucht auf... und wenn er sich verteidigen will, paff! (Mutter lacht) ist niemand mehr da.

Ein formidables Handlungsmittel.

Später, wenn dieses neue Leben sich einmal etabliert hat, wird im Grunde nur noch der untransformierbare Überrest wirklich vom Tode betroffen sein. Und dies wird sich immer mehr verringern.

(Schweigen)

Wir werden SEHEN! (Mutter lacht)

Mir scheint, die Tore haben sich geöffnet.

(Mutter schaut in die Zukunft)

 

1 Das Abenteuer des Bewußtseins.

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2 "Alles, was für Sie das Vitalste und Wichtigste ist, erscheint uns wie Abstraktionen und Spekulationen." Ein Freund von Satprem, der bei demselben Herausgeber arbeitete, gab uns folgende Erklärung: "Sprächen Sie von Vietnam, vom Problem der Schwarzen, von LSD, von der Dritten Welt, von Marcuse, so wären wir daran interessiert, selbst wenn wir nicht einer Meinung mit ihnen sind. Aber Ihre weltumfassenden Begriffe machen uns Angst. Der soziale Friede ist ein Thema. Der universelle Friede nicht."

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3 Gallimard, der nicht antworten wird.

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4 Eine der gestellten Fragen war auch: "Was sollte unser Lebensziel sein?" Darauf antwortete Mutter: "Materiell gesprochen: schlau zu sein; spirituell gesprochen: aufrichtig zu sein."

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5 Vier Jahre später, Ende 1973, nach Mutters Abschied, wird Robert Laffont das Buch veröffentlichen.

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6 Lange vertauschte Mutter die Begriffe "Übermensch" und "Supramental" – hier meint sie offensichtlich "Supramental" und nicht "Übermensch".

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