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Mutters

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zehnten Band

13. Dezember 1969

Fast täglich lese ich weitere Aphorismen von Sri Aurobindo, die ich völlig vergessen hatte. Darunter sind wirklich interessante Dinge... Einige davon vermitteln mir ganz und gar den Eindruck einer Einkleidung (man könnte sagen, eine intellektuelle Einkleidung, doch das ist es nicht, es ist ein höheres Mental, aber mentalisiert, d.h. dem Denken zugänglich), wie eine Einkleidung der Erfahrung, die ich vom supramentalen Bewußtsein hatte, wo diese Unterscheidung von Gut und Böse und all diese Dinge so kindisch erscheinen. In diesen Aphorismen drückt Sri Aurobindo das in einer der Intelligenz zugänglichen Form aus. Bloß... jene, die das verstehen, verstehen nicht richtig, weil sie es von unten her verstehen.

Erinnerst du dich an diese Aphorismen?... In einem sagt er: "Wenn ich nicht Rama sein kann, möchte ich Ravana sein ...", und er erklärt warum. Um diese Serie handelt es sich. 1

(Schweigen)

Ich habe den Namen von A.R.s "Meister" erfahren. Ich habe dir schon erzählt, daß er einen Guru hat...

(Mutter sucht ein Papier)

Sitaram Omkarnath.

Ich hab noch nie von ihm gehört... Jedenfalls ist er nicht bekannt.

Ach, ja: L fuhr nach Delhi (dort traf er auch A.R.), so fragte ich ihn nach N.S.; er sagte, sie spüre eine große Linderung, sei aber nicht geheilt worden. So erging es auch hier allen Betroffenen: Linderung, aber keine Heilung.

Ja, bei all denen, die mit dir in Kontakt sind, liegt die Sache anders.

Ja. Aber ich sehe deutlich: Es gibt eine gewisse Kraft, die aus der Beziehung mit den supramentalen Kräften hervorgeht und die ich bei Sri Aurobindo erlebte (ich habe dir das schon erzählt: Er entfernte die Dinge, wie man etwas mit einer Hand wegnimmt, nichts bleibt zurück), doch es ist nicht geheilt, denn aus Schwäche erlaubt man dem Übel zurückzukommen. Ich sehe das deutlich, ich habe jetzt dieselbe Erfahrung, aber... ich nenne das nicht "Heilung"; und ich sehe wohl, daß es zur Heilung etwas anderes bedarf. Um es auf ganz banale Weise zu sagen: man kann jemanden im Grunde nur dann heilen, wenn die Krankheit für die Entwicklung des Individuums nicht nötig ist.

Man kann dem Körper die Richtung zeigen, die er für eine Heilung einschlagen müßte, aber... in neunundneunzig Prozent aller Fälle wird er es nicht tun.

Ja, die Leute bezeichnen das als Wunder, aber für mich sind das unvollständige Wunder... Bei all den "Übertragungen" im Körper (was ich "Machtübertragungen" nenne) gibt es im Augenblick des Übergangs eine Art Gleichgewichtsstörung, und wenn man nicht SEHR aufpaßt oder wenn diese Gleichgewichtsstörung etwas stärker ist als gewöhnlich, drückt sich das durch einen Schmerz aus. Wenn man dabei den Fehler macht, die falsche Haltung einzunehmen, wird der Schmerz zur Krankheit; aber mit der wahren Haltung kann der Schmerz innerhalb weniger Sekunden entfernt werden – diese Erfahrung mache ich fast täglich, d.h. ich hatte sie viele hundert Male. Bei den anderen ist es dasselbe – man kann es für einen anderen tun. Aber alles, was man tun kann, ist... ihn zu lehren, wie er sich selber heilen kann – doch die anderen lernen nicht. (Mutter lacht)

(Schweigen)

Es bleibt ein praktisches Problem: Man sieht deutlich, daß es gewisse Bewegungen gibt, die man beseitigen möchte, weil man merkt, daß sie Schwächen sind, aber man weiß nicht, wie man es anstellen soll. Muß man es von oben tun?... Jedesmal, wenn eine solche Regung kommt, richtet man das Licht darauf, aber dann...

Dies hängt von der Art der Regung ab, mein Kind: in welchem Teil des Wesens und welcher Art die Regung ist.

Ich bin überzeugt, daß jede Schwierigkeit ein besonderes Problem darstellt. Wir können keine allgemeinen Regeln aufstellen.

Neulich sagtest du zum Beispiel, daß die Geburt eine "Reinigungsaktion" sei...

(Mutter lacht)

Du erinnerst dich, du sagtest, daß die Probleme, welche die Leute verdrängen, sich in den Kindern wieder zeigen.

Ja, ja.

Und du sagtest, dies zeige einem den Schlüssel dafür, was man nicht tun dürfe.

Ja.

Deshalb würde ich gern wissen, was der Schlüssel für eine Heilung OHNE VERDRÄNGUNG ist. Denn gewöhnlich richtet man eben das Licht darauf, und die falsche Bewegung verkriecht sich nach unten.

Ja, das ist die allgemeine Regel. Wir müssen das Gegenteil tun. Anstatt es zurückzuweisen, müssen wir es darbieten. Das heißt: die Sache, die Regung selbst ins Licht bringen, ins Licht PROJIZIEREN... Gewöhnlich windet und weigert sie sich. Aber... (lachend) das ist der einzige Weg. Eben deshalb ist dieses Bewußtsein so wertvoll... Die Verdrängung resultiert aus unserer Vorstellung von Gut und Böse – eine Art Verachtung und Scham gegenüber dem, was wir als böse betrachten –, und dann machen wir so (Geste eines Zurückstoßens), wir wollen es nicht sehen, wir wollen es nicht bestehen lassen. Als erstes müssen wir verstehen, daß diese Trennung von einer Schwäche unseres Bewußtseins stammt und daß es ein Bewußtsein gibt (jetzt bin ich mir dessen sicher), wo die Trennung nicht existiert, wo das, was wir "böse" nennen, ebenso notwendig ist, wie das, was wir "gut" nennen, und daß die Heilung darin besteht, unsere Empfindung oder unsere Tätigkeit oder unsere Wahrnehmung jenem Licht entgegenzustrecken. 2 Anstatt es zu verdrängen oder zurückzuweisen wie etwas, das wir zerstören möchten (wir können es gar nicht zerstören), müssen wir es ins Licht bringen. Diesbezüglich hatte ich mehrere Tage lang eine sehr interessante Erfahrung: Anstatt gewisse Dinge, die wir nicht zulassen, die eine Störung des Gleichgewichts im Wesen hervorrufen, weit von uns weisen zu wollen, muß man sie annehmen, sie als Teil unserer selbst ergreifen und... (Mutter öffnet ihre Hände) sie darbieten – sie wollen nicht dargebracht werden, aber es gibt ein Mittel, sie zu zwingen: Je mehr wir in uns das Gefühl der Mißbilligung verringern können, um so mehr schwindet der Widerstand. Wenn wir dieses Gefühl der Mißbilligung durch ein höheres Verständnis ersetzen können, dann gelingt es. Das ist viel leichter.

Mir war eine ganze Last derartiger Dinge geblieben, die ich getan hatte, als ich jung war; sie blieben im Hintergrund. Nach dieser supramentalen Erfahrung konnte ich all das sammeln, und ganz plötzlich erhellte es sich, ich verstand alles, und... es verschwand. Dinge, die ich schon sehr lange mit mir herumschleppte – ich wollte nichts davon wissen, verstehst du, ich wollte nichts mehr damit zu tun haben –, in dem Augenblick verschwand all das. Es schmilzt, es klärt sich wie... Ja, es findet seinen Platz.

Ich glaube, das ist es. Alle Regungen, die nach unten ziehen, muß man mit dem höheren Verständnis in Kontakt bringen.

Offensichtlich liegt dies über dem Mental. Ich sagte ja gerade, daß Sri Aurobindo diese Aphorismen auf eine für den Intellekt verständliche Weise formulierte, doch das reduziert die Sache trotzdem; es ist nicht mehr jenes Aufblitzen eines wortlosen Verstehens – denn DORT können die Dinge an ihren Platz gerückt werden.

Selbst wenn man diese Dinge nur für einen selbst erklären will, mindert das. Wir sollten nichts sagen – dies ist, als ob wir... (lachend) eine entstellende Farbschicht darüber legten.

(Plötzlich greift Mutter nach einem Notizblock und schreibt die Antwort auf einen Brief, den sie zu Beginn des Gesprächs gelesen hatte 3)

Ist das lesbar? Ich sehe nicht klar.

(Satprem liest)

"Dies ist eine ausgezeichnete Zeit, um zu lesen, zu meditieren und nach und nach in eine aufnahmebereite Stille einzutreten, die es dem höheren Bewußtsein erlauben wird, den Körper zu durchdringen, um ihn zu transformieren."

Dies ist gerade gekommen; das geht mir jetzt immer so: ganz plötzlich, paff! Und es bleibt, es läßt nicht locker, bis ich es aufschreibe. Das ist amüsant.

Das ist amüsant, weil es nicht dem entspricht... (ich kann nicht einmal sagen, "was ich denke", weil ich tatsächlich nicht mehr denke), es entspricht nicht einmal meiner Erfahrung sondern dem, was der ANDERE braucht. Die Antwort wird FÜR den anderen diktiert. Entsprechend den Leuten, für die es geschrieben wird, kommen völlig verschiedene Worte, Ausdrücke und Satzwendungen. Und mein Bewußtsein hier (Geste nach oben) hat nichts damit zu tun. Es empfängt, dann kommt das herab und macht so (hämmernde Geste), bis ich schreibe. Und es will nicht weggehen, bis es geschrieben ist. Amüsant... Auf diese Weise kann man viel Arbeit erledigen, ohne zu ermüden.

Ich würde mir gern ein Beispiel daran nehmen...

Nimm! (Mutter reicht lachend ihre Hände)

Denn selbst im mentalen Schweigen... Ich habe mir angewöhnt, immer in einem mentalen Schweigen zu schreiben, aber sogar dann bin ich immer noch auf der Hut vor alten Formationen oder Reaktionen.

Ja.

Ich spüre diese Gefahr.

Ja, alte Dinge steigen auf.

Fühlst du denn nicht, daß es von oben kommt?

Ich fühle, daß die Kraft da ist und herabkommt.

Ja, und dann?

Nun ja, aber später, nachdem ich gewisse Dinge geschrieben habe, frage ich mich...

Es vermischt sich.

Ich überlege: Vielleicht hätte ich das nicht sagen dürfen?

Aber das heißt, daß sich das Mental einmischt.

Ich weiß nicht.

Das passiert mir auch. Manchmal schreibe ich etwas und schicke es ab, und später erinnere ich mich an das, was ich geschrieben habe, und ich sage mir: "Zum Teufel! Das hätte ich nicht sagen dürfen ..." Doch später merke ich, daß es sehr gut ist – daß die Reaktion lediglich mental ist.

Das ist mir einige Male passiert. Neulich mußte ich zum Beispiel C.S. schreiben [einem deutschen Übersetzer]. Er hatte mir Sachen geschrieben... Sehr oft schreibt er völlig inakzeptable Dinge, und ich sage nichts; aber neulich schrieb ich ihm einen ziemlich direkten Brief, um ihm zu sagen: "Was soll das heißen?" Und danach sagte ich mir: "Nein, man darf sich nicht rühren", und ich habe meinen Brief nicht abgeschickt... Ich weiß nicht, was tun.

Das, mein Kind... (Schweigen)

Es ist schwierig.

Ja... Aber wenn du dich in deiner Aspiration nach oben wendest und für das Höchste Bewußtsein offen bist, ist das konkret für dich?

Oh, ja, das ist solide.

Es ist konkret? Du müßtest... verstehst du, es gibt nur EINEN Weg, und zwar, daß das Ego abtritt. Darum geht es. Wenn es nämlich anstelle des "Ich" nichts mehr gibt, weißt du: völlig eben (weite, einheitliche, faltenlose Geste) mit einer Art von... nicht einmal in Worte gefaßt, nur eine sehr BESTÄNDIGE Empfindung von: "Was Du willst, wie Du willst." Die Worte werden ganz klein, aber wirklich das konkrete Gefühl haben, daß dies (der Körper) nicht existiert, daß er sozusagen lediglich "benutzt" wird – daß es NUR Das gibt. Das, was so macht (Geste eines Drucks). Dieser Eindruck von Dem, dieser bewußten Unermeßlichkeit, die (Mutter breitet ihre Arme aus)... Schließlich sieht man es... keine Schau in Bildern sondern... ich weiß nicht womit, aber sehr konkret, viel konkreter als Bilder, eine Schau dieser UNERMESSLICHEN Kraft, dieser UNERMESSLICHEN Schwingung, die drängt und drängt... und dann die Welt, die darunter zappelt, und etwas öffnet sich, und wenn es sich öffnet, tritt Das ein und breitet sich aus.

Das ist wirklich interessant.

Dies ist die einzige Lösung, es gibt keine andere. Alles andere ist... Aspirationen, Konzepte, Hoffnungen... das gehört noch zum Supermenschen, aber nicht zum Supramental. Das gehört zu einer höheren Menschheit, die ihre ganze Menschlichkeit nach oben ziehen will, aber das... das nützt nichts. Das nützt nichts.

Das Bild dieser ganzen Menschheit ist sehr klar: sie klammert sich an, um zu klettern, sie will alles an sich reißen, und sie gibt sich nicht – sie will nehmen. Und das, das geht nicht. Sie muß sich auflösen. Dann kann etwas anderes kommen und an ihre Stelle treten.

Darin beruht das ganze Geheimnis.

Dieser ganze Teil der Menschheit, der hier im Ashram z.B. von Y vertreten wird, welcher die Dinge GEWALTSAM an sich reißen will und sie dahin zieht (Geste in Stirnhöhe)... Das ist interessant – man kann nichts sagen, es ist interessant –, aber es ist NICHT DAS. Alle diese Möglichkeiten müssen sich erschöpfen, damit etwas in der Menschheit begreift... daß es nur Das gibt (Mutter öffnet ihre Hände in einer Geste der Überantwortung), ja, und sich bis zum Verschwinden plattdrücken lassen.

Im Grunde ist dies das Schwierigste: lernen zu verschwinden.

(Schweigen)

Gut, mein Kind (lachend), es wird schon gelingen!

 

1 221 – "Die Menschen reden von Feinden, aber wo sind sie? Ich sehe nur Kämpfer des einen oder anderen Lagers in der großen Arena des Universums."

222 – "Der Heilige und der Engel sind nicht die einzigen Gottheiten: bewundere auch den Titanen und den Giganten."

223 – "Die alten Schriften nennen die Titanen die "älteren Götter". Sie sind es noch; und kein Gott ist ganz göttlich, wenn nicht auch ein Titan in ihm verborgen ist."

224 – "Wenn ich nicht Rama sein kann, möchte ich Ravana sein, denn er ist Vishnus dunkle Seite." [Rama ist eine göttliche Inkarnation, während Ravana die Inkarnation eines Dämonen ist.]

Mutter kommentierte diesen Aphorismus so: "Das will zum Ausdruck bringen, daß Sanftheit ohne Kraft, und Güte ohne Macht unvollständig sind und das Göttliche nicht vollständig ausdrücken können. Ich könnte sagen, daß die Barmherzigkeit und Großzügigkeit eines bekehrten Asuras unendlich wirksamer sind als die eines unschuldigen Engels."

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2 Als wir diesen Abschnitt des Gesprächs in den "Notizen auf dem Weg" veröffentlichten, fügte Mutter folgenden Kommentar hinzu: "In jenem Bewußtsein, wo die beiden Gegensätze, die beiden Gegenteile vereint werden, ändern beide ihre Natur. Sie bleiben nicht, was sie sind. Es ist nicht so, daß sie vereinigt werden und dasselbe bleiben: beide verändern ihre Natur. Dies ist von großer Bedeutung. Ihre Natur, ihr Wirken, ihre Schwingung werden ganz anders, sobald sie vereint sind. Nur die Trennung macht sie zu dem, was sie sind. Man muß die Trennung beseitigen, und dann ändert sich ihre eigentliche Natur. Es ist nicht mehr "gut" und "böse" sondern etwas anderes, das vollständig ist. Es ist vollständig."

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3 Es handelte sich um einen Brief, in dem ein Schüler sagte, daß er zwischen 13 und 15 Uhr über freie Zeit verfüge, und fragte, wie er diese Zeit am besten nutzen könne.

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