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Mutters

Agenda

elften Band

23. Mai 1970

(Satprem übergibt Mutter seine Rente. Dann nimmt Mutter das Gespräch auf:)

Es ist eine Zeit der Entdeckungen... überall!... Als hätte etwas solange Druck gemacht, bis die Dinge nichts mehr vortäuschen können – alles muß sich so zeigen, wie es ist. (Lachend) Das sind Entdeckungen!

Wenn man beide Seiten anhört, ergibt sich natürlich eine fast widersprüchliche Geschichte, aber... Man weiß nicht, wo die Wirklichkeit ist.

Nicht nur hier [im Ashram] sondern im ganzen Land. Man erzählt mir alles Elend und bittet mich, einzugreifen (natürlich nicht äußerlich).

Es ist ein Mischmasch...

(Schweigen)

Hast du die letzten Aphorismen von Sri Aurobindo gesehen?... Er rät uns, unsere Moralauffassungen gänzlich abzuwerfen.

(Satprem liest vor)

520 – Der alten semitischen Überlieferung zufolge wurden unsere Vorfahren verjagt, weil sie von der Frucht des Baumes von Gut und Böse kosteten. Hätten sie sofort vom Baum des ewigen Lebens gekostet, wären sie den unmittelbaren Folgen entronnen; aber der Plan Gottes für die Menschheit wäre durchkreuzt worden. Sein Zorn ist unser ewiger Vorteil.

Und du sagst:

"Sri Aurobindo will verständlich machen, wie die Einschränkungen unserer Schau uns daran hindern, die Göttliche Weisheit wahrzunehmen."

(Mutter lacht) Das habe ich gestern geschrieben.

Einige Leute machten ernsthafte Nachforschungen, um den geographischen Ort des irdischen Paradieses zu finden. Sie fanden etwas und erzählten es mir, aber ich erinnere mich nicht mehr, wo.

Théon sagte, daß die Schlange die Evolution darstelle.

(Schweigen)

Hast du keine Fragen?

Ich habe R [den Architekten von Auroville] getroffen. Ich sah ihn zweimal.

Ach! Und was sagte er dir?

Es ist interessant. Zunächst fand ich ihn sehr verändert.

(Mutter stimmt zu)

Er ist ein anderer Mensch. Und ich fand ihn nahe, nicht distanziert. Ich hatte den Eindruck, daß er mir ganz nah war.

(Mutter nickt)

Und er war überaus interessiert an diesem neuen Bewußtsein. Er sagte: "Ich hätte gern die Erfahrung dieses neuen Bewußtseins. Was muß ich dafür tun?... Alle spirituellen Geschichten behaupten: Man darf dies nicht tun, man darf jenes nicht tun, man muß dies tun, man muß meditieren und ..."

Nein.

Ich versuchte ihm zu erklären, daß dieses neue Bewußtsein eben nicht so ist.

Ja. Mit mir hat er darüber nicht gesprochen.

Das läßt ihm keine Ruhe: "Was muß man tun, um die Erfahrung des neuen Bewußtseins zu erlangen?"

Man muß ihm helfen.

Ich hatte den Eindruck, als stehe er ganz dicht am Rande von etwas.

Ja.

Was muß man tun, um das neue Bewußtsein zu erfahren?

Du könntest ihm helfen.

Ich habe versucht, ihm etwas zu sagen; ich weiß nicht, ob ich...

Mich fragt er nichts.

Trotzdem sagte er mir: "Oh, ich sehe Mutter jeden Morgen, und das ist mein Sauerstoff."

Ja, wir sprechen über das, was dort [in Auroville] vor sich geht, und da sage ich ihm ganz offen, was ich sehe und verstehe – das schon... Aber ich will sagen, daß er mit mir gar nicht über sich selbst spricht.

Er ist hin- und hergerissen zwischen seinen Bindungen in Frankreich und... Aber ich fühle, daß er dicht vor etwas steht.

Oh, ja!

Er muß noch eine Weile durchhalten.

Du kannst ihm sehr helfen.

Ich versuchte ihm klar zu machen, daß dieses neue Bewußtsein keine spirituelle Gymnastik, keine großen Konzentrationen und Meditationen und Tapasya [Disziplin] oder irgendwelche besonderen Tugenden erfordert...

Nein.

Es erfordert einfach Vertrauen in etwas anderes, eine Art kindliches Vertrauen und einen Drang nach etwas anderem.

Ja, das ist es.

Er hatte vor allem Angst, daß dies eine weitere "spirituelle Disziplin" verlangt.

Nein, nein! Überhaupt nicht.

Die Leute fallen immer in diese alte Gewohnheit. Sogar in Auroville: Meditationen! Ich kann ihnen aber auch nicht sagen: "Das nützt nichts!" (Mutter lacht)

Er war berührt und beruhigt über das, was ich ihm sagte. Nur weiß er nicht, wie er vorgehen soll.

Du kannst ihm Dinge sagen, die ihm weiterhelfen.

Es ist ein gutes Zeichen, daß er dich sehen wollte.

(langes Schweigen)

Hast du nichts zu fragen?

Es wäre interessant, wenn du ihnen sagen würdest, wie man es konkret anstellen soll, um das neue Bewußtsein zu erfahren.

Das ist ja das Erstaunliche! Alle anderen Verwirklichungen habe ich erarbeitet, ich folgte Disziplinen... Dies hingegen kam so (Geste einer plötzlichen Herabkunft), ohne daß ich etwas suchte, mühelos, ohne...

Erst hinterher achtete ich darauf.

Was kann ich ihnen also sagen?

Äußert es sich durch eine größere Genauigkeit in den Handlungen oder in dem, was zu tun ist oder...?

Nein... Ich habe festgestellt, daß das Sehvermögen, die Reaktion, das heißt die Sichtweise und vor allem das Verständnis völlig anders war. Noch jetzt beobachte ich Tag für Tag: Alle alten Dinge meines Körpers sind völlig weg. Wenn ich jetzt zum Beispiel Texte von Sri Aurobindo lese, verstehe ich sie auf eine ganz andere Art; und so sage ich mir, daß Sri Aurobindo sicher ebenfalls Kontakt zu diesem neuen Bewußtsein hatte... Der Unterschied besteht jedoch darin, daß es sehr konkret ist. Zum Beispiel schreibt mir jemand von der Regierung (Indira oder N.S.): "Da ist dies und das, was sollen wir tun?" Vorher hätte ich gesagt: "Keine Ahnung." Doch jetzt sehe ich alles ganz deutlich und sage ihnen: "Das ist so und so." Ohne auch nur eine Minute lang darüber nachzudenken: dieses Bewußtsein sieht die Dinge.

Nur kann ich das nicht als Hinweis weitergeben, denn ich glaube nicht, daß es für alle gleich ist.

Selbstverständlich muß man vorher genügend abgeklärt sein.

Ja.

Sonst läuft man Gefahr, zu...

Das ist sehr gefährlich, ich sage den Leuten das nie. Sonst könnten sie alle ihre Impulse für Offenbarungen halten.

(Schweigen)

Das Vertrauen ist vermutlich ein großer Schlüssel, oder?

Bei mir spielt sich die ganze Arbeit im Körper ab. Er ist... tagein, tagaus ist er im Zustand eines ständigen Rufens... Alles, alles wird dem Göttlichen dargebracht – die ganze Zeit, die ganze Zeit, ständig... alles: auch die geringfügigsten Dinge.

(Schweigen)

Das kann ich niemandem sagen und niemanden fragen, denn... wenn ich zu all diesen Leuten – wie R zum Beispiel – vom "Göttlichen" spreche, ist das für sie eine Null, es bedeutet ihnen nichts.

Ich sage ihnen "das andere Etwas".

Das ist viel besser. Deshalb sage ich dir, daß du ihm viel besser helfen kannst als ich.

Ach! [Lachen]... Auf alle Fälle hast du ihn schon ziemlich verändert.

(Mutter lacht)

Mich auch!

(langes Schweigen)

Liebe Mutter, ich habe das Gefühl, daß ich ziemlich bald ein neues Buch in Angriff nehmen sollte...

Ja?

Das wird...

Die Fortsetzung.

Ja, die Fortsetzung, der "nächste Schritt", die nächste Etappe 1 .

(Mutter nickt)

Mit einem ganz anderen Ansatz.

(Schweigen)

Das Land scheint auseinanderzufallen, deshalb hat man mich dort [in Delhi] gefragt, was zu tun sei. Ich antwortete, daß diese Hundertjahrfeier [von Sri Aurobindo] ABSICHTLICH jetzt ansteht. Bestimmt passiert dies gerade jetzt, weil das die EINZIGE Rettung für das Land ist, das EINZIGE, was es vereinen kann: daß es sich das Ideal Sri Aurobindos zueigen macht – er hatte einen Plan, er sah sehr genau, wie das Land organisiert sein muß, er hat es mir gesagt; wenn man seine Bücher sehr sorgfältig studiert, sieht man es. Ich sagte ihnen, daß man im GANZEN Land Studiengruppen, Bibliotheken, Konferenzen usw. organisieren sollte, damit das ganze Land Sri Aurobindos Gedanken und Absicht kennenlernt. Die Hundertjahrfeier ist dafür eine ausgezeichnete Gelegenheit. Sie haben mich gefragt: "Was tun, um aus diesem Chaos herauszukommen?..." Auf meinen Rat hin versuchte Indira, sich mit qualifizierten Leuten zu umgeben. (Sie ließ mich wissen, daß sie die Parteienfrage beiseite gelegt habe und fähige Leute um sich sammeln wolle...) Die Schwierigkeit ist aber, integre Leute zu finden. Man muß sie erziehen – sie haben nicht einmal eine VORSTELLUNG, wie man sein kann! Dann sagte ich: "Man muß schon jetzt anfangen, diese Hundertjahrfeier zu organisieren, damit es bis zu seinem hundertsten Geburtsjahr das ganze Land umfaßt ..." In dem, was er geschrieben hat, können sie alles finden, was sie brauchen, um das Land zu organisieren – weitaus besser, als ich es ihnen sagen könnte, denn er kannte das Land und seine mentale Einstellung und all dies sehr viel besser als ich.

Die Menschen brauchen Anlässe, um Dinge zu tun. So scheint dies wunderbar und ABSICHTLICH vorbereitet worden zu sein.

(langes Schweigen)

Ist das alles?

Wäre es nicht gut, daß ich deine ganze Agenda noch einmal durchlese, bevor ich das neue Buch schreibe?

Meine Agenda?

Ja.

Was steht denn da drin?

(Lachen)... Der ganze Vorgang.

(Mutter lacht) Du kannst es durchlesen, wenn du willst!

(Schweigen)

Tag für Tag, fast Stunde für Stunde, bemerkt der Körper sein Unwissen, seine Dummheit... ständig. Und er sieht dies auf eine völlig andere Weise, außerhalb aller Moralvorstellungen und natürlich außerhalb aller vorgefaßten Meinungen – das wurde vollkommen hinweggefegt. Oh, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar mein Körper ist, daß man ihn vom Mental befreit hat... Er hat sich ein eigenes Mental gebildet, das überhaupt nicht auf die gewöhnliche Weise funktioniert, sondern eine Art Vision ist, eine Vision... mit Augen da oben. Und... (lachend) es wäre erschreckend, wenn es nicht so komisch wäre! (Mutter lacht sehr)

Das einzige ist, daß in jeder Sekunde... (Mutter öffnet ihre Hände in einer Geste der Darbietung mit einem glückseligen Lächeln) alles, was sich noch getrennt fühlt, oh, sich in ein Bestreben stürzt, ein wenig anpassungsfähiger zu sein.

(Schweigen)

Hier ist er im Begriff zu lernen, daß... Weißt du, das ganze Leben basiert auf dieser alten Gewohnheit der Gegensätzlichkeit zwischen Gut und Schlecht – was Gutes oder Schlechtes bewirkt –, aber das ist vollkommen hinweggefegt worden, und nun ist er dabei zu lernen... Nimm als Beispiel eine kleine Empfindung, die kommt (das passiert ständig, aber ich muß unter hundert Dingen eines auswählen, um es auszudrücken): wie kann diese Empfindung wahr werden? Und das ist wirklich interessant.

Doch das ist unaussprechlich. Sobald man es in Worte faßt, nimmt es enorme Ausmaße an.

Der Körper hat keinen Hang zur Literatur, er mag keine Phrasen, und sobald etwas gesagt sein will, oh, dies kommt ihm vor... wie leere Worte.

Kannst du mir sagen, wie spät es ist?

Fünf nach elf.

Wir haben noch etwas Zeit. Möchtest du, daß wir einfach still bleiben?

(Meditation)

Das könnte ewig so weitergehen!

 

1 La Genèse du Surhomme ["Auf dem Wege zum Übermenschen", auf deutsch später erschienen als "Der Sonnenweg"].

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