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Mutters

Agenda

elften Band

20. Mai 1970

(In den letzten Tagen hatte Mutter eine leichte Entzündung am linken Auge, sowie einen Zahnabszeß – Satprem hatte ebenfalls eine Zahnentzündung.)

Nach dem Auge, der Zahn... Ein Ding nach dem anderen. Nun...

Das geht einfach so weiter...

(Schweigen)

Hast du die Broschüre [über Auroville und die Religionen] gesehen? Sie ist gut... Ich habe sie in Auroville verteilen lassen. Die Leute von "Auromodèle" kommen abwechselnd am Dienstagnachmittag (jeden Dienstag kommen fünf oder sechs), ich gab sie ihnen gestern.

Ich sehe auch einige; sie besuchen mich nacheinander.

Ach?

Ja, man hat den Eindruck, daß sie ein wenig aufwachen.

Ja, allmählich rühren sie sich ein wenig.

Einige sind sehr nett.

Was erzählen sie dir? Es würde mich amüsieren, das zu erfahren.

Die meisten haben Probleme mit dem Handeln, oder eher der Tatenlosigkeit.

Ja.

Probleme in ihren Beziehungen untereinander und so weiter. So versuche ich... Ich sage ihnen, was mir gerade einfällt. Ich versuche, ihnen die große Sache, die dahinter steht, begreiflich zu machen.

Ja, das tut ihnen gut. Sie brauchen eine Führung.

Da war sogar einer, der mich fragte, ob ich nach Auroville kommen könnte...

(Mutter lacht)

Ich sagte ihnen: Nein, es ist völlig nutzlos, Reden zu halten – allen, die spontan kommen wollen, kann ich rein persönlich etwas sagen, aber nicht kollektiv.

(Mutter nickt)

Darum bete ich oft: zu wissen, was ich den Leuten sagen soll.

Ja.

(Schweigen)

In Delhi ist ein neuer französischer Botschafter im Amt. Sein Vorgänger war... oh, er war schrecklich – fürchterlich engstirnig. Nun hat man einen neuen entsandt, und Maurice Schumann 1 schrieb ihm einen Brief, in dem er ihm mitteilte, daß er sich besonders für den Ashram interessiere und um Informationen bat – dieses Individuum ist nicht einmal hierhergekommen. Er hat geschrieben (lachend), er habe keine Zeit gehabt zu kommen, er habe aber Informationen bei D 2 eingeholt (ich erfuhr das, weil Schumann dies Baron berichtete, der den Brief an A weiterschickte). D hat ihm geantwortet... Du kannst dir wohl denken, was das sein kann.

Im Konsulat gab man der schlechten Reaktion einiger Dorfbewohner viel Gewicht. Sie behaupteten sogar, die Dorfbewohner hätten die Aurovillianer mit Steinen beworfen... Natürlich konnten sie [die Leute vom Konsulat] damit nur ein Durcheinander auslösen, wo doch im Gegenteil alles gut zu gehen scheint.

R [der Architekt von Auroville] wollte mich heute abend sehen.

Ach! Warum wohl?

Nur so. Ich weiß es nicht. Einfach, um Kontakt aufzunehmen.

R... in ihm tut sich etwas! (Mutter lacht sehr) Er ist hin- und hergerissen zwischen dem alten Menschen, der voller Bindungen dort drüben ist, und dem neuen Leben, dem neuen Bewußtsein, das interessant wird.

(langes Schweigen)

Da waren noch einige interessante Sachen von Sri Aurobindo – hast du sie?

(Satprem liest die letzten Aphorismen, die Mutter kommentiert hat)

517 – Solange du nicht gelernt hast, mit Gott zu ringen...

(Mutter lacht aus ganzem Herzen)

...wie ein Kämpfer mit seinem Kameraden, wird dir die Kraft deiner Seele für immer verborgen bleiben.

516 – O Narr deiner Schwäche, verhülle nicht das Gesicht Gottes mit dem Schleier der Ehrfurcht, nähere dich ihm nicht in flehender Schwäche! Schau! Du wirst auf Seinem Gesicht nicht die Feierlichkeit des Königs oder des Richters sehen, sondern das Lächeln des Geliebten.

Ich erinnere mich nicht mehr... Aber danach kommt noch etwas, oder?...

Nicht danach, sondern davor:

515 – Wer auch nur ein geringes Gutes für die menschlichen Wesen getan hat, wird, auch wenn er der schlimmste Sünder ist, von Gott akzeptiert in der Reihe derer, die Ihn lieben und Ihm dienen. Er wird das Antlitz des Ewigen sehen.

Und du antwortest:

"Sri Aurobindo war immer bemüht, seine Schüler und Leser von allen Vorurteilen und der ganzen konventionellen Moralauffassung zu befreien."

Es ist wunderbar: All dies wird gar nicht mehr von meinem aktiven Bewußtsein geschrieben – diese Texte erscheinen mir jetzt völlig fremd... Vorgestern schrieb ich etwas, und beim Schreiben sagte ich mir: "Ach, das würde Satprem interessieren." Auch an den Text erinnere ich mich überhaupt nicht mehr.

Merkwürdig.

Ich bin so (reglose Geste zur Stirn), dann nehme ich plötzlich meinen Bleistift und schreibe. Ich sehe es erst beim Schreiben, und gleich darauf ist es vorbei.

(Mutter sucht das Heft von S.S. neben ihr)

In dieses schreibe ich jeden zweiten Tag. Nur nimmt er alles mit, deshalb weiß ich nicht. Das hier ist das letzte. Du wirst mir sagen, ob man es versteht.

Er fragt:

"Existiert im kosmischen Bewußtsein keine Empfindung des Schmerzes mehr?"...

Du antwortest:

"Gewiß existiert der Schmerz im kosmischen Bewußtsein ..."

Das kosmische Bewußtsein ist das universelle Bewußtsein, das MATERIELLE Bewußtsein; dort existiert der Schmerz. Ich weiß es, denn dies ist ein Bewußtsein, das ich ständig habe, so weiß ich, daß der Schmerz existiert.

Erst später:

"Im Höchsten Göttlichen Bewußtsein existiert der Schmerz nicht. Das heißt, das Wesen der Empfindung verändert sich, und die Gegensätze verschwinden und werden durch etwas ersetzt, das in unserer Sprache undefinierbar ist."

Ist das klar?

Ja, ja, sehr klar!

Es gibt viele solche Dinge [in den Heften von S.S.], aber ich weiß nicht, was er damit macht... Du könntest ihn ja fragen...

(Schweigen)

Ach! (Mutter reibt sich das linke Auge) Es war besser... Ist es jetzt wieder rot geworden?

Nein, ich sehe nichts, liebe Mutter.

Es brennt...

Oh, weißt du, innen ist es so (Geste eines Kampfes). Ganz und gar der Eindruck einer Lüge, die gegen die Wahrheit ankämpft (ein sehr konkreter Eindruck).

Von Zeit zu Zeit kommt eine kleine Erfahrung... drei, vier Sekunden: einfach wundervoll, unvorstellbar, und dann hopp! nichts mehr... Ein wahres Schlachtfeld.

Folgen wir deiner Erfahrung ein wenig?... Oder was müßte man tun, um der Bewegung besser folgen zu können?

(nach einem Schweigen)

Letztes Mal hatte ich den Eindruck, daß du sehr gut folgst. Und ich habe den Eindruck (auf Sujata deutend), daß auch sie gut folgt. Einige fangen an, Erfahrungen zu haben. Manche haben welche, wissen es aber nicht. (Mutter lacht) Es hat eine Wirkung. Ich kann mich nicht beklagen: es hat eine Wirkung.

Die größte Schwierigkeit stammt immer vom Mental, weil es auf seine Art verstehen will. Das ist die Schwierigkeit... Einige würden viel schneller vorankommen, wenn sie das nicht hätten. Sie haben den Eindruck, wenn sie es nicht mental verstehen, haben sie es nicht verstanden.

Ja, das kann ich sehr gut verstehen.

Oh, ich glaube, du gehst schnell voran.

Aber die Substanz... Das ist es doch, wie... [sie ändern]?

Ach... Nicht einmal der Körper... [weiß es]. Ich sagte dir schon: Von Zeit zu Zeit, einige wenige Male am Tag oder in der Nacht kommt für einige Sekunden... (Mutter öffnet entzückt die Augen), und dann paff! weg.

Der Körper macht sich keine Sorgen, aber da ist ein Druck von außen [von Seiten der Menschen]: "Wird er sich verändern, oder ist all dies bloß eine Vorbereitung für eine zukünftige Existenz?..." Er selbst fragt sich das nicht: die anderen fragen es sich. Außerdem üben all die gewöhnlichen dummen Gedanken einen Druck aus...

Ja.

Aber mir ist das egal, es stört mich nicht besonders. Ich bin daran gewöhnt. Es stört das Bewußtsein nicht, aber manchmal bereitet es Schwierigkeiten.

Der Körper verbringt keine sehr angenehme Zeit, aber letztlich beklagt er sich nicht. Manchmal ist er plötzlich entzückt zu sehen, wie... wie wunderbar sich die Dinge für ihn fügen. Und eine Minute danach fühlt er es nicht mehr. Das ist die Hauptschwierigkeit.

Diese Behinderungen (Mutter berührt ihre Wange) scheinen noch sehr real – eine Sekunde lang sind sie es nicht mehr, aber sie verschwinden nicht wirklich (vermutlich, weil es nicht lange genug dauert).

(Schweigen)

Wenn man nur genau wüßte, was einen auf die eine oder andere Seite kippen läßt...

Ja.

Offensichtlich wird versucht, dies den Körper zu lehren, und plötzlich befindet er sich... außerhalb aller Gewohnheiten, aller Aktionen, Reaktionen, Folgen usw.; und da ist es dann so (Mutter öffnet entzückt die Augen), und dann verschwindet es wieder.

Für das materielle Bewußtsein ist dies so neu, daß man sich jedesmal fühlt, als stünde man... kurz vor einer Verwirrung – einer Störung des BEWUSSTSEINS, denn das Mental hat glücklicherweise nichts damit zu tun; das ist eine wunderbare Hilfe, die mir zuteil wurde. Aber das Bewußtsein erlebt eine Minute der Bestürzung.

Denn schon immer war eine Art gesunder Menschenverstand in meinem Wesen verwurzelt, der jede Einbildung ablehnt. Deshalb akzeptiert das Bewußtsein die Dinge erst, wenn sie ganz konkret sind – sonst könnte man zu leicht anfangen, sich Hirngespinste auszudenken und zu... Nein: ganz PRAKTISCH und konkret.

Aber ist dieser praktische Sinn ein Hindernis?

Oh, keineswegs! Für mich ist er eine Garantie.

Nein, ich sehe nur zu deutlich, daß viele Leute aus einer kleinen Erfahrung eine ganze mentale Konstruktion fabrizieren (Geste wie das Einrollen eines großen Knäuels), und dann... Weißt du, sobald sich das Mental einmischt...

(Schweigen)

Ich habe mich mehrmals gefragt, was geschähe, wenn einer Raupe durch beschleunigte Evolution plötzlich Menschenaugen gegeben würden...

Genau!

Das wäre bestürzend.

Ja, das ist es.

Hier muß es ein wenig ähnlich sein.

Ja, das ist es!... Der Körper ist vernünftig genug, um... Er WEISS, daß er nicht krank ist – er weiß, daß es keine Krankheit, sondern ein Transformationsversuch ist... Und vom psychologischen Standpunkt aus ist dies wichtig und hilft sehr, aber... da sind diese jahrhundertealten Gewohnheiten.

(Mutter geht in Meditation)

Die Atmosphäre ist sehr gut... Ich schaute gerade, es war wunderbar. Deine Atmosphäre ist sehr gut. Sehr gut. Und das Mental ist sehr friedlich, fast ganz still.

Sehr angenehm! (Mutter lacht)

Ja, du könntest S.S. [den Mann mit den Heften] bitten, daß er dir alles, was nicht rein persönlich ist, gibt. Manche Texte sind völlig unbedeutend, aber von Zeit zu Zeit kommt eine interessante Antwort.

Ich werde ihn fragen.

(Satprem legt seinen Kopf auf Mutters Schoß)

Der Körper, das Bewußtsein des Körpers ist dabei, sich sehr schnell zu verändern. Und seine Haltung wird ganz anders, er universalisiert sich gut; er hat nicht mehr... (Mutter berührt ihre Hände, um die Abtrennung des Körpers anzudeuten), das wird immer geringer und... unwirklich.

 

1 Der französische Außenminister, der im September 1947 nach Pondicherry gekommen war, weil er sich für die Äußerungen des damaligen Gouverneurs François Baron interessierte. Er war Sri Aurobindo und Mutter begegnet und hatte vorgeschlagen, ein französisch-indisches Kulturinstitut unter der Leitung von Sri Aurobindo zu gründen.

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2 Der französische Konsul in Pondicherry, der den Ashram ausgesprochen verabscheut.

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