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Mutters

Agenda

elften Band

22. Juli 1970

(Im folgenden Gespräch zeigt sich der erste sehr lehrreiche Ansatz eines Phänomens, das bei der Entstehung aller Religionen der Welt eine Rolle spielte und das sich nach Mutters Abschied zu kristallisieren versuchte:)

Ich habe etwas im Zusammenhang mit dem tamilischen Swami, der eine Erfahrung der Transformation des Körpers hatte... Erinnerst du dich? Swami Ramalingam, der diese Vision des "Grace-Light" [Gnaden-Lichts] hatte. Du hattest einige Bemerkungen gemacht, die ich der Person übermittelte, welche die Frage gestellt hatte... Damit löste ich allerdings einen Sturm aus.

Ach! Warum?

Keineswegs bei diesem guten Mann (dem Schüler Ramalingams), sondern bei A 1 .

A?

Ja. A muß von der Antwort erfahren haben und schickte mir einen Brief für dich.

Um was zu sagen?

Weißt du... Auf mich macht das irgendwie den Eindruck einer mentalen Lüge.

Warum? Stört es ihn?

Ja, er ist sehr aufgebracht.

Worüber? Über meine Worte?

Jedenfalls über das, was ich gesagt habe. Er schreibt: "Mutter kann unmöglich gesagt haben..."

Was ist das denn für eine Geschichte!... Aber warum?... Was hat den Herrn denn so verärgert?

Ich werde dir erst vorlesen, was ich an T (den tamilischen Schüler Ramalingams) geschrieben habe:

"Die Übersetzung der Erfahrungen des Swami Ramalingam wurden Mutter vorgelesen, und sie zweifelt nicht an ihrer Echtheit; ihr gefiel besonders die Art, wie der Swami dieses Licht nannte, dieses "Licht der Gnade", und sie sagte, daß es ihrer eigenen Erfahrung entspreche. Sie bemerkte, es sei sehr wahrscheinlich, daß im Laufe der Zeit und auch jetzt eine gewisse Anzahl von bekannten oder unbekannten Leuten ähnliche Erfahrungen hätten. Der einzige Unterschied bestehe darin, daß es sich jetzt anstatt einer individuellen Möglichkeit um eine kollektive Möglichkeit handle – genau dies ist die Arbeit von Sri Aurobindo und der Mutter: das supramentale Bewußtsein oder "das Licht der Gnade", wie es Swami Ramalingam nannte, als eine irdische Tatsache und eine Möglichkeit für alle auf der Erde zu verankern.

Satprem"

Ach, so! Die Vermischung der beiden "grace-light" [Licht der Gnade] und "supramental light" [supramentales Licht] verärgerte ihn... Ich habe nicht gesagt, daß es genau dasselbe ist. Aber das macht nichts... Man hätte nicht "the supramental consciousness" [das supramentale Bewußtsein] nehmen sollen, denn sie verstehen nicht... Das macht nichts.

Nach dem, was du gesagt hast, hatte ich verstanden, daß dieses "Grace-Light" das supramentale Licht sei.

Es ist EINE der Aktionen des supramentalen Lichts. Aber das spielt keine Rolle.

A sagt nun Folgendes:

"Liebe Mutter,

im Hinblick auf gewisse Übersetzungen der Gedichte des Swami Ramalingam durch seinen Schüler T antworteten Sie diesem Schüler durch Satprem in einer Weise, die ihn dazu brachte, Ramalingams "Gnaden-Licht" auf die gleiche Stufe wie das des supramentalen Bewußtseins zu stellen."

Ja, das hätte ich nicht getan... Deshalb ist er aufgebracht.

Aber siehst du, als ich dich fragte, ob im Laufe der Zeit Erfahrungen dieser Art wohl stattgefunden hätten, dachte ich an Erfahrungen von Individuen, die das supramentale Licht oder die supramentale Ebene individuell berührt hatten...

Eine Form der supramentalen Manifestation... Das macht nichts. Fahre fort!

"... Wollten Sie wirklich sagen, daß Ramalingam in DIREKTEM Kontakt mit dem Supramental war?..."

Warum nicht!...

Fahre nur fort!

"... und daß er damit genauso in Verbindung stand wie Sie und Sri Aurobindo?"

Nein, das habe ich nicht gesagt!

Eben! Das ist wirklich eine mentale Lüge, denn nirgendwo in dem Brief wurden derartige Behauptungen gemacht.

"... Vorahnungen und flüchtige Visionen sind von einer anderen Ordnung; das ist das ganze Problem eines direkten, vollkommenen supramentalen Yoga in seiner ganzen Weite ..."

Mein Gott, was sind die Leute für Idioten!

Ja, liebe Mutter.

Ist das alles?

Nein.

"... T [Ramalingams Schüler] glaubte durch Ihre Antwort zu verstehen, daß der einzige Unterschied zwischen Ramalingams supramentalem Yoga und dem von Ihnen und Sri Aurobindo darin liegt, daß der seinige sich mit einer individuellen Supramentalisierung befaßte, während Sie und Sri Aurobindo auch an der kollektiven Supramentalisierung gearbeitet haben.

T ist überzeugt, daß Ramalingam bis zur vollkommenen Supramentalisierung des Körper gelangt sei ..."

Das haben wir nicht gesagt.

"... Seiner Meinung nach bestätigen Sie dies mit Ihren Worten.

Ich neige dazu, seinen Standpunkt als eher phantastisch einzuschätzen; es beweist mir, daß T das Werk und den Yoga Sri Aurobindos gar nicht in ihrem richtigen Wert verstanden hat. Ich glaube, daß weder die kollektive Supramentalisierung noch die individuelle Supramentalisierung jemals zuvor versucht worden sind, geschweige denn ihre Verwirklichung. Selbst die vollkommene Kenntnis des Supramentals durch einen Aufstieg zum Supramental und durch einen erhabenen Eintritt in das Supramental ist nicht vollbracht worden. Wie können wir da von einer praktischen Verwirklichung der vollkommenen Dynamik des supramentalen Herabstiegs sprechen?

Jedenfalls meine ich, dies beim Studium der Schriften von Sri Aurobindo und Ihnen verstanden zu haben. Täusche ich mich? Eine Klarstellung von Ihrer Seite wäre sehr nützlich, um uns die Dinge im wahren Licht sehen zu lassen."

(nach einer langen Konzentration nimmt Mutter einen Schreibblock und geht wieder für lange Zeit in Meditation)

Es weigert sich zu antworten.

(langes Schweigen)

Lebte dieser Mann jetzt?

Nein, um 1850. Er starb zwei Jahre nach Sri Aurobindos Geburt. Ein Jahr vor Sri Aurobindos Geburt hatte er das Kommen einer Inkarnation des Göttlichen und einer neuen Rasse, die "den Tod, das Altern usw. besiegen würde", vorausgesagt.

(nach einem langen Schweigen nimmt Mutter wieder den Block, zögert und schreibt dann einen Brief an A:)

 

22.7.70

A.

Leider legen Sie mir Worte in den Mund, die ich nicht gesagt habe.

Ich habe demnach nichts auf Ihre grundlosen Schlußfolgerungen zu antworten.

Laßt uns hoffen, daß wieder Friede in Ihr Mental einkehrt und damit ein besseres Verständnis.

Mit meinen Segenswünschen

Mutter

 

Das ist hart.

Als ich seinen Brief erhielt, hatte ich innerlich den Eindruck einer mentalen Lüge.

Ja, eine Erregtheit.

Aber ich kann dem Schüler Ramalingams schreiben und richtigstellen, was du gesagt hast.

Ja, es ist nicht das "Supramental", sondern ein Aspekt des Supramentals oder vielmehr eine Tätigkeit des Supramentals.

Soll ich ihm diese Richtigstellung schicken?

Wenn er darüber redet, was man ihm sagt, ja.

(Mutter betrachtet ihren Brief an A und zögert, ihn abzuschicken)

Ach, wir können ihm das geben – er wird verärgert sein.

(Schweigen
Mutter wirkt müde)

Ich bedaure das wirklich!

Nein, (Mutter lacht) das macht nichts! Das ist nicht deine Schuld, es ist A's Schuld.

Ich weiß nicht, warum sie so in Aufregung geraten.

Oh, ich sehe es wohl... Alles geschieht hier (Geste zur Stirn).

Das Mental ist wirklich etwas schrecklich Kompliziertes!

Ja, das ist so, es ist hier (die gleiche Geste zur Stirn). Und wenn ich mir das anschaue, sehe ich es so deutlich!... Die menschlichen Konzepte... immer war es dasselbe, bei allen Avataren: Wenn er nicht EINZIG und so eingeschlossen ist (Geste wie unter einer Glocke), ist es nicht mehr "das"! Es stört sie...

Ja, genau!

So ist es, sie sehen nicht die Kraft, die... (weite, alles umfassende Geste)

Ich sehe das so deutlich!... Diese Personifizierung... Eine große Kraft kommt herab, um zu arbeiten, dann "bündelt sie sich" sozusagen in einer Einzelperson, um die Materie berühren zu können. Und dann (lachend) nehmen die Menschen Scheren, zerschneiden alles (Geste eines kleinen Vierecks im weiten Fluß der Kraft) und machen eine Person daraus und isolieren sie (Geste wie unter einer Glocke). Das sehe ich so deutlich!

Ja, das ist der erste Schritt zum Sektierertum und Fanatismus.

Ja.

(Mutter reicht Satprem eine Girlande von "Aspiration-Blüten")

Willst du?

Oh, ja!

(Satprem legt seine Stirn auf Mutters Schoß)

Ich WEIGERE mich absolut, mich unter so etwas stecken zu lassen (Geste, unter einer Glocke zu sein)... Ich möchte lieber... ich möchte mich lieber auflösen, verstehst du.

Es muß fließend sein.

Mir scheint, die Menschen haben große Scheren und wollen immer Stücke aus dem Herrn herausschneiden.

 

1 Ein alter Schüler, Autor mehrerer Bücher über Sri Aurobindo und Leiter einer der Ashram-Zeitschriften.

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